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Bicontrolled

von

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[The End]

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Genre: Shonen Ai / Yaoi

Fandom: Original
 

Teile: Prolog, Part 1-8, Epilog
 

Disclaimer: Die Charaktere und alles sonstiges gehört mir ^^
 

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Zur Entstehung:

Als ich im Juli 2005 mit dieser Geschichte anfing, habe ich mir eigentlich geschworen, sie sofort fertig zu schreiben... Dass daraus nichts geworden ist, kann ich euch jetzt sagen, mehr als ein Jahr später. Irgendwann überfiel mich einfach die Schreibblockade und ich kam nicht weiter... keine Ideen und nichts... mehr als ein Mal deprimierte mich das, aber es half nichts... die Geschichte blieb unvollständig... bis ich sie mir vor ein paar Tagen an einem kalten Novembernachmittag mal wieder zu Gemüt führte und überarbeitete, was ich schon hatte...

Ehrlich gesagt, ich hätte es nicht gedacht, aber letztendlich habe ich es doch geschafft, die Geschichte zu beenden! Ich bin ziemlich stolz auf mich (*drop*) und ich bin froh um die Geschichte, da ich sie echt unglaublich gerne vollenden wollte... wie gesagt: es ist geschafft! *grins*
 

Zur Story:

Hierbei muss ich sagen, dass sie teils zwar anders verlaufen ist, als sie es sollte, aber im Endeffekt immer in die Bahnen zurücklief, in denen ich sie haben wollte *grins* heißt, ich bin nicht allzu sehr von meiner Grundidee abgewichen, möchte ich sagen (was eigentlich schon recht verwunderlich für mich ist *loool*)
 

Zum Titel:

Den Titel zu einer Story zu finden, empfinde ich persönlich meist als schwieriger wie die eigentliche Grundidee zu entwickeln. Ein Titel sollte interessant klingen und muss zur Story passen...

Ich persönlich mag die englische Sprache sehr gerne, weshalb ich auch gerne englische Titel verwende... sie klingen für mich meist viel aussagekräftiger als deutsche, keine Ahnung, woran das liegt...

„Bicontrolled“ wurde bei der Überarbeitung zum Arbeitstitel... ich habe keine Ahnung mehr, wie genau ich dazu kam, besonders weil ich ja schon weiß, dass es das Wort so eigentlich überhaupt nicht gibt... Dennoch habe ich mich letztendlich ganz für diesen Titel entschieden...

Ob er zur Story passt? Ich denke schon, wenn vielleicht auch eher im übertragenden Sinne oder als Metapher...

Meine kleine Eigenübersetzung des nicht wirklichen Wortes besteht übrigens aus „Zwei“ (für „bi“) und eben „kontrolliert“...
 

Zu den Untertiteln / Kapiteltiteln:

Ich spiele gerne mit Wörtern und so... daher habe ich mir was neues ausgedacht:

Die einzelnen Überschriften der Kapitel bilden alle zusammen einen kleinen Spruch ^__~
 

Zu Kommentaren:

Ich würde mich sehr freuen, wenn die Leute, die diese Story lesen, mir auch ab und zu einen Kommentar dazu hinterlassen. Ich verlange auch gar nicht, dass es ein positiver Kommentar wird... meinetwegen dürft ihr gerne kritisieren, solang es konstruktiv ist XD...

Wie dem auch sei, wüsste ich wirklich gerne eure Meinung ^^
 

Kleine Anmerkung:

Ach ja, bevor ich es vergesse: Vielleicht haben einige von euch die Story „Such dich in mir...“ [http://animexx.onlinewelten.com/fanfic/?doc_modus=startseite&ff=78710] von mir gelesen... Zwar geht es in „Bicontrolled“ um zwei andere Hauptcharaktere, aber Alexander und Julian (Such dich in mir...) haben auch ein paar Auftritte hier drin... d.h. die Story spielt nach „Such dich in mir...“... und allen, die diese Story nicht kennen, möchte ich empfehlen, vielleicht zunächst meine andere zu lesen, auch wenn es bei weitem nicht notwenig ist oder so ^^
 

Jetzt aber viel Spaß beim Lesen!!!
 

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BICONTROLLED
 

Prolog - [The End]
 

„Wir wussten, dass es nicht so lange halten würde.“

Kaum eine Miene verzieht er bei diesen Worten... während ich sie noch immer nicht begreifen kann.

Drei Jahre... ganze drei Jahre...

Schon wieder stehen mir Tränen in den Augen.

„Bitte weine nicht“, sagt er und streicht mir durch die Haare; nicht so zärtlich wie sonst immer. „Es tut mir leid.“

„Ja...“ Meine Stimme bricht schon bei diesem kleinen Wort. Ich will losheulen, und ich will, dass er mich in den Arm nimmt und tröstet. Ich weiß, dass ich wieder mal umsonst hoffe.

„Du weißt, dass ich dich liebe.“

„Dann bleib bei mir.“ All mein Kampfgeist ist schon längst aus diesen Worten gewichen.

„Das kann ich nicht.“

„Du hast dich für ihn entschieden...“ Nun rinnen mir die Tränen tatsächlich über die Wangen. Ich will nicht mehr weinen, nicht mehr leiden, will mich einfach wieder besser fühlen. Wieso tut es bloß so sehr weh?

„Schwule Beziehungen sind nichts für die Ewigkeit“, spricht er leise und seine Hand berührt meine Augenlider. Ich schließe sie und lasse ihn zärtlich hinüber fahren, weiter hinunter bis sein Daumen meine Lippen berührt. Immer mehr Tränen. Ich will ihn küssen, doch ich weiß auch, dass ich es nie wieder tun kann.

Ich habe auf eine Ewigkeit gehofft...

Einen Moment lang verweilt er bei meinen Lippen, dann fährt er mit der Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich heran. Sein Körper berührt meinen und sowohl widerspenstig als auch willig, schmiege ich mich gegen ihn. Warum konnte es nicht für immer so bleiben? Warum musste er es kaputt machen?

„Warum?“, frage ich zum x-ten Mal. „Es war doch so schön...“

Er antwortet nicht, nicht mehr. Schon zu oft hat er versucht, es mir zu erklären, ich habe es nie verstanden, will es nie. Meine Gefühle für ihn sind noch immer so stark, warum seine nicht? Wieso habe ich gegen diesen arroganten Typen, den er erst seit fünf Wochen kennt, verloren?

Eine Weile lang bleiben wir so stehen, dann schiebt er mich von sich. Zärtlich streicht er mir die Tränen von den Wangen und lächelt. Innerlich zerreißt es mir das Herz. Wie kann er nur so kalt zu mir sein, nach all der Zeit, die wir miteinander hatten?

„Ich gehe jetzt...“, sagt er dann. Seine Hand streicht meinen Arm hinab bis hin zu meiner. Während er sich umdreht und mit der anderen Hand seine Jacke von der Garderobe nimmt, berühren wir einander noch, dann zieht er seine Finger zurück. „Glaub mir, Kai, es ist besser so.“

Ich lasse ihn gehen, ohne ein weiteres Wort. Als die Tür zufällt, laufe ich zum Fenster. Unten steht ein Auto, in das er auf der Beifahrerseite einsteigt. Warum ist er so herzlos und lässt sich sogar von seinem Neuen her fahren?

„Ich hasse dich...“, flüstere ich leise und mein Atem oxidiert an der kalten Fensterscheibe. „Ich hasse dich so sehr!“ Ich sinke am Boden zusammen und weine, immer weiter, immer mehr, so wie ich es schon die letzten Tage getan habe.

Gibt es nicht einen Weg all diesen Schmerz einfach hinauszuheulen?

Wieso um Himmels Willen liebe ich ihn noch immer?
 

END - PROLOG

It doesn't always have to be...

Ich kenne Fabian seit fünf Jahren. Er war Quereinsteiger an unserer Uni im vierten Semester. Er machte kein Hehl daraus, dass er schwul war, und vielleicht gefiel er mir gerade deshalb. In meinem Bekanntenkreis wussten nämlich nur knapp eine Hand voll Leuten von meiner sexuellen Orientierung, da ich immer Angst davor hatte, mich zu outen... Ich hatte Angst vor den zu erwartenden, negativen Reaktionen.

Fabian jedoch schien so was vollkommen egal zu sein. Selbst bei den fiesesten Sprüchen fand er etwas zu erwidern... und so hatten sich bald alle damit abgefunden, dass er schwul war, und keiner sprach mehr darüber.

Ich redete in der Anfangszeit nicht viel mit ihm. Er war, ähnlich wie ich, ständig von Leuten umgeben und es war daher wahnsinnig schwer, überhaupt mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ich fand es schade, denn er gefiel mir, ich wollte mit ihm reden und ihn kennenlernen. An eine Beziehung dachte ich zu der Zeit noch nicht. Ich hatte nicht vor, mich von meinem Singledasein zu verabschieden, denn ich mochte dieses unkomplizierte Leben.
 

Es war knapp ein halbes Jahr später auf einer Party, als ich das erste Mal vernünftig, länger und alleine mit ihm sprach. In diesem Gespräch fragte er mich ziemlich schnell, ob ich schwul sei. Zögernd nickte ich und er grinste, schlug mir auf die Schulter und sagte etwas wie ‚Willkommen im Club’. Es war mir peinlich, auch wenn ich eigentlich genau wusste, dass es das nicht sein musste.

Danach redeten wir noch lange, natürlich auch über das Thema. Er erzählte mir von seinem Outing und meine Sympathie für ihn wuchs immer weiter. Er war wirklich total in Ordnung!

Diese Party verließ er zusammen mit einem anderen Kerl, den er kennengelernt hatte, und kurz darauf bekam ich ein Gespräch mit, in dem es um sein Lotterleben ging. Ständig jemand anderes, sagten sie, nie länger etwas Festes. Auf komische Weise enttäuschten mich diese Worte.
 

Es verging ein Jahr, in dem ich oft mit ihm sprach und auch immer öfter etwas mit ihm unternahm, er aber nur ein Mal eine Annäherung startete, die ich abwies. Erst weit danach, ganz langsam begriff ich mit Schrecken, dass da etwas mehr in mir war, als nur Freundschaft, und dass dieses ‚etwas’ ständig wuchs.

Ich wollte mich doch nicht verlieben... Erst recht nicht in ihn!

Kaum hatte ich es mir jedoch eingestanden, wurde es immer schlimmer. Ein paar seltene Male träumte ich sogar von ihm, und dann fiel es mir irgendwann selbst in den Vorlesungen schwer, mich zu konzentrieren.

Ich beobachtete, wie er seine Partner wechselte, und es begann wehzutun. Außerdem wurde unsere Freundschaft immer enger und selbst ein Teil unseres Freundeskreises der Selbe, weshalb es sehr auffällig gewesen wäre, mich plötzlich von ihm zurückzuziehen.

Ich konnte also nur hoffen, dass diese Gefühle irgendwann vorbei gehen würden.

Letztendlich jedoch erfuhr er das Ganze durch einen blöden Zufall. Er war durch seinen Nebenjob kurzfristig verhindert und konnte unser Treffen nicht einhalten. Daher traf ich mich mit einer Freundin, die Einzige, die von meinen Gefühlen zu ihm wusste. Wir saßen in einem Kaffee und redeten über mich, meine Gefühle und Fabian, als eben dieser vorbei kam, da sein Chef ihn genau in dieses Café bestellt hatte. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er alles mitbekommen hatte.

Wir redeten nicht miteinander, denn sein Chef saß schon an einem naheliegenden Tisch, doch während ihres Gespräches sah Fabian immer wieder zu mir hinüber. Seine Augen durchbohrten mich und es tat weh. Ich war mir sicher, unsere Freundschaft zerstört zu haben.

Er gab mir ein Zeichen, auf ihn zu warten, als ich aufstand und zahlte, und widerwillig tat ich es. Besser das Gespräch gleich hinter mich bringen...

An einem Brunnen nahe des Cafés wartete ich also auf ihn und malte mir alles mögliche aus, doch nicht, dass er mich anlächeln würde...

Wir gingen ein Stück schweigend nebeneinander her und dann begann er urplötzlich mit Smalltalk. Ich fand es schrecklich, ich wollte das Ganze endlich auf den Punkt bringen.

„Fabian...“, unterbrach ich ihn irgendwann und wir blieben stehen, mitten im Park. „Du weißt, worüber wir reden sollten.“

Er nickte und lächelte immer noch, was mich in dem Moment vollkommen verrückt machte.

„Du hast dich also in mich verliebt?“

Ich nickte, schwieg und sah zu Boden, als ich plötzlich seine Hand an meinem Arm spürte.

„Auch ich hab dich sehr gern“, begann er und nur langsam wagte ich es, meinen Blick wieder zu heben. „Ich weiß nicht, ob es genug ist, aber ich glaube...“

Er stockte und wurde rot. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte.

„Ja?“, hakte ich nervös nach.

„Ich weiß nicht, ob ich ein guter Freund bin... aber ich würde es gerne probieren...“

Als er diese Worte ausgesprochen hatte, konnte ich ihn nur noch anstarren. Mein Herz raste und immer wieder ging ich das eben gesagte durch. Hatte ich ihn richtig verstanden?

„Du willst… mit mir...“, stotterte ich, so nervös wie wohl noch nie zuvor.

„...mit dir zusammen sein.“, beendete er meinen Satz. „Ja.“ Er lächelte und trat einen Schritt auf mich zu. „Ich verspreche dir nicht, dass alles immer gut läuft, aber wenn dir das genug ist...“

Und dann küssten wir uns zum ersten Mal. Einfach so, mitten in diesem Park. Es war mir zum ersten Mal vollkommen egal, was die Leute darüber denken könnten. Ich sank in seine Arme und alles in mir drehte sich. Noch nie hatte ich so ein wahnsinniges Gefühl empfunden.
 

Er war mein zweiter Freund. Erst ein Mal hatte ich zuvor eine Beziehung gehabt, welche nicht allzu gut gelaufen war, und wohl nicht zuletzt deshalb war ich wohl auch so unglaublich schüchtern. Fabian lachte, als wir einige Tage später auf seinem Bett lagen, er mit mir schlafen wollte und ich unsicher herumfingerte, nicht wusste, was ich tun sollte. Mit meinem ersten Freund hatte ich keinen Sex gehabt. Wir waren damals gerade 15, und ohnehin nur drei Monate lang ein Paar.

Fabian drängte mich zu nichts. Zärtlich küsste er mich an jenem Abend und nahm mir meine Angst, doch wir schliefen noch nicht miteinander. Ehrlich gesagt war ich sehr froh darüber, obwohl ich fürchtete, er würde mich schon bald verlassen, wenn wir keinen Sex haben würden.

Vielleicht hauptsächlich deswegen passierte es knapp eine Woche später, an einem Wochenende, an dem ich ihn zu mir eingeladen hatte. Es tat weh, unheimlich, und doch war es schön. Ich war froh, es getan zu haben, und ich war mir unserer Beziehung danach sicherer.

Doch da gab es noch einen Punkt, der für mich schwerer zu überwinden war, als der Sex: das Outing. Und hier schien Fabian weniger verständnisvoll, selbst wenn er mich auch hier nicht drängte. Dafür sprach er aber immer wieder dieses Thema an und sagte ständig Dinge wie, dass er gerne in der Öffentlichkeit meine Hand halten würde. Zwar freute es mich, dass er sich mit mir zeigen wollte, doch gleichzeitig wuchs meine Angst stetig. Zuvor hatte ich immer sagen können, dass ein Outing nicht nötig sei, da ich eh Single war, doch nun war genau das nicht mehr der Fall. Jetzt fand ich nicht mal mehr eine Ausrede für mich selbst.

Schließlich, als wir seit knapp drei Monaten ein Paar waren und es erst meine engsten Freunde wussten, hatte ich mich schließlich zumindest seelisch so weit. Ich hatte meinen Eltern versprochen, sie besuchen zu kommen, und schließlich, beim letzten Telefongespräch davor, sagte ich meinem Vater, dass ich noch jemanden mitbringen würde. Sofort sprach ich weiter, so dass er überhaupt keine Zeit hatte, nach Einzelheiten zu fragen, und dann, als wir aufgelegt hatten und Fabian mich in den Arm nahm, fühlte ich mich schrecklich. Ich hatte plötzlich wieder wahnsinnige Angst vor dem kommenden Freitag.
 

Wie zu erwarten war, trafen mich fragende Blicke, als ich in mein Elternhaus trat.

„Ach, du hast einen Freund mitgebracht!“, meinte meine Mutter und lächelte Fabian freundlich an. Sofort waren die beiden von dem Gedanken, ich könne eine Freundin haben, wieder ab, und weiter machten sie sich auch keine Gedanken. Es war ja nichts Schlimmes, dass ich einen Kommilitonen mitbrachte…

Am Esstisch allerdings ließ ich die Bombe platzen. Er sei nicht nur ein Freund, sondern mein Freund, sagte ich, und als sie es immer noch nicht verstanden, nicht verstehen wollten, sagte Fabian ‚sein Geliebter’.

Sofort wurden die Gesichter meiner Eltern bleich und ich sank in meinem Stuhl zusammen. Katastrophe!, schrie es in meinem Kopf und ich griff unter dem Tisch nach Fabians Hand, um mir seiner Nähe sicher zu sein.

Es dauerte einige Minuten, bis meine Eltern ihre Sprache wiederfanden.

„Wie lange seid ihr denn schon... zusammen?“, fragte meine Mutter mit dünner Stimme und tat sich schwer daran, mir in die Augen zu sehen.

„Seit ungefähr drei Monaten“, antwortete Fabian für mich, da ich keinen Ton herausbekam. Ich drückte seine Hand immer fester.

Wieder einen Moment Stille, dann war es mein Vater, der sie unterbrach, mit undeutbarem Blick und kühler Stimme: „Seit wann bist du schwul?“

„Schon immer, Dad“, antwortete ich heiser und fühlte mich schlecht.

„Ich verstehe das nicht...“ Er schüttelte den Kopf und legte endlich seine Gabel hin, die er bis dahin unschlüssig in der Hand gewogen hatte.

Es blieb bei diesen Worten seinerseits und ich wagte nicht, etwas zu sagen. Auch meine Mutter blieb still, und dann stand sie sogar auf und fing an abzuräumen. Fassungslose Ratlosigkeit lag in der Luft und schien mich erdrücken zu wollen. Ich spürte Tränen aufkommen, und als mein Vater ebenfalls aufstand und hinausging, konnte ich sie nicht mehr unterdrücken.

„Warum können sie nicht mit mir darüber reden?“, flüsterte ich und einen Moment später spürte ich Fabians Wärme. Erst wollte ich zurückweichen, waren doch meine Eltern noch in der Nähe, aber dann war es mir egal. Ich schmiegte mich an ihn. Ich brauchte seine Nähe.

„Lass ihnen einen Moment Zeit... Es ist klar, dass sie geschockt sind.“ Fabians Hand strich beruhigend über meinen Rücken, während ich versuchte, meine Tränen zu unterdrücken.

Es tat weh, aber ich musste stark bleiben. Ich hatte mich zu diesem Schritt entschieden, also musste ich ihn auch durchziehen, ich musste endlich dazu stehen, wie ich war.

Aber mein Vater... er hatte mich so gefühllos angesehen.

„Ich habe ihn enttäuscht.“

In gewisser Hinsicht war er doch immer mein Vorbild gewesen...

„Geh zu ihm und rede mit ihm.“

Fabian drückte mich von sich und strich mir die Tränen aus den Augen. Ich wollte ihn küssen, doch in diesem Moment konnte ich es nicht. Ich musste erst diese ganze Sache irgendwie klären.

Ich nickte und stand auf. Als ich mich umdrehte, traf es mich wie ein Schlag. Im Türrahmen stand meine Mutter und sah uns an. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, versuchte es auch nicht. Schnell ging ich an ihr vorbei.
 

Vor dem Büro meines Vaters stand ich lange unschlüssig herum. Was sollte ich zu ihm sagen? Ich konnte nicht wieder nur schweigen. Diesmal musste ich reden und endlich zu Fabian und vor allem zu mir stehen.

Nach einem Klopfen trat ich in den kleinen, hellen Raum. Sofort trafen sich unsere Blicke und verloren sich auch nicht, als ich die Tür hinter mir schloss. Ich bildete mir ein, sein Blick sei schon etwas weniger kühl als zuvor.

Ich wollte gerade mit einer Rechtfertigung beginnen, von der ich selbst nicht wusste, wie sie aussehen würde, als er mir zuvorkam.

„Wie lang weißt du es schon?“

„Seit ich vierzehn bin.“

Er nickte und seufzte, ging dann einen Schritt auf mich zu, wirkte unschlüssig.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

„Ich hatte Angst...“

„Wovor?“

„Davor, dass ihr mich nicht versteht... davor, dass ihr mich hasst...“

Er stand direkt vor mir bei diesen Worten. Ich wusste nicht, womit ich jetzt rechnen musste.

„Kai... wir könnten dich nie hassen!“ Er fuhr sich durch die ergrauenden Haare und seufzte. „Wir lieben dich. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass du schwul bist.“

„Dad... ich...“

Die Tränen standen schon wieder in meinen Augen, als mein Vater mich fast grob am Arm packte und mich umarmte.

Zunächst vollkommen verdattert, schlang ich dann meine Arme um ihn. Ich glaube. so froh wie in diesem Moment war ich noch nie über eine Umarmung meines Vaters gewesen. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen.

Lange standen wir schweigend so da, und diese unerwartete Liebe meines Vaters ließ mich erst recht heulen. Er schwieg und hielt mich einfach nur fest, sagte nichts dazu. Ich war ihm so dankbar.

Erst als ich mich wieder beruhigt hatte, schob er mich von sich. Er lächelte ein wenig.

„Liebst du ihn?“

Ich nickte und brachte keine Worte hervor.

„Gut.“

Einen Moment noch standen wir da, bevor er mich aufforderte, mich zu setzen. Danach folgte ein langes Gespräch, in dem ich so ehrlich mit ihm sprach, wie lange nicht mehr. Ich erzählte ihm ganz offen von meiner Angst, sie könnten es herausfinden, als ich mit 15 meinen ersten Freund hatte, und wie ich Fabian kennengelernt hatte. Dass er eigentlich eher ein Mann für nichts Festes war, verschwieg ich dabei. Schon meine Freunde rieten mir von ihm ab; er sei zu sprunghaft. Mein Vater sollte nicht mal im Ansatz so etwas denken.

„Wir sollten die beiden nicht noch länger warten lassen“, meinte mein Vater schließlich und lächelte wieder ganz normal. Er hatte mir versichert, dass er und meine Mutter mit dieser Sache kein Problem hätten, und dass es höchstes schade um die Enkelkinder wäre. Überhaupt hatte er mir einen großen Teil meiner Angst genommen.

Als wir nach unten ins Wohnzimmer kamen, saß Fabian neben meiner Mutter auf dem Sofa und sie guckten sich eine Quizshow an.

„Was ist ein Koronarogram?“, fragte meine Mutter sofort, als wir reinkamen und Fabian grinste mich an. Sofort war klar, dass auch meine Mutter ihren ersten Schock überwunden hatte.

„Irgendein Röntgenbild vom Herzen oder so...“, antwortete mein Vater sofort in Rätselstimmung und ich ließ mich neben meinem Freund nieder.

„Es ist gut gelaufen“, flüsterte ich und lächelte ihn an.

Den restlichen Abend verbrachten wir bei meinen Eltern im Wohnzimmer und irgendwann traute ich mich auch, mich gegen Fabian zu lehnen und vor mich hinzudösen. Ich fühlte mich viel wohler als all die Jahre zuvor.
 

Die Leute an der Uni, die es noch nicht wussten, erfuhren von uns nach dem Semesterferien. Noch ein paar Mal bekam ich gute Ratschläge, dass ich mich auf den Falschen eingelassen hatte, oder hörte ein paar abwertende Kommentare, doch schnell hatten sich alle daran gewöhnt. Und so konnte ich endlich der Kai sein, der sich sonst immer hatte verstecken müssen.
 

Das alles geschah vor und während meines siebten Semesters. Ein Jahr später schlossen wir beide die Universität mit Diplom ab und zogen zusammen.

Noch immer schien das alles für mich wie ein Traum. Ich war mit dem Mann zusammen, den ich liebte, und mittlerweile war ich mir auch sicher, dass er meine Liebe erwiderte. Es war eine wunderschöne Zeit!
 

Wieso bloß musste das alles enden?
 

~ * ~
 

Das Telefon klingelt... Mit seinem grässlichen Ton reißt es mich aus meinen Gedanken. Ich sitze noch immer am Boden unter der Fensterbank. Meine Wangen sind tränennass, aber ich weine nicht mehr.

Noch drei Mal klingelt es, und obwohl ich eigentlich gerade mit niemandem sprechen will, raffe ich mich schließlich auf und nehme ab.

„Hey Süßer!“, ertönt sogleich die fröhliche Stimme meiner besten Freundin.

Sie war die Erste, der ich von Fabians Geständnis erzählte. Ich habe ihr immer alles erzählt. Als ich nicht auf ihre Begrüßung reagiere, spricht sie sofort weiter.

„Wir wollten heut Abend ins Marve... Wie wär’s?“

„Weiß nicht...“

Sie weiß doch, wie schlecht es mir geht. Will sie mich nur aufmuntern oder schon wieder verkuppeln?

„Ach, komm schon! Es wird dir gut tun!!“

„Aber...“

„Ach was, kein aber! Ich hol dich um Elf ab, damit basta!“

Ich seufze und kann mir dennoch ein winziges Lächeln nicht verkneifen.

„Warum fragst du dann überhaupt?“

„Anstand, mein Lieber...“ Sie lacht. „Also abgemacht! Bis nachher!“

Und schon ist das Gespräch beendet. Ich starre den Hörer an.

Scheiße... ich habe keinen Bock rauszugehen!
 

Dennoch bin ich sogar schon um halb Elf fertig und sitze unruhig auf meinem Sofa. Mit allen Mitteln habe ich in den letzten sechs Stunden versucht, mich von Fabian abzulenken, was nicht gerade leicht ist, wenn man bedenkt, dass ich zwei Jahre lang mit ihm in dieser Wohnung gelebt habe. Es wird wirklich Zeit, dass ich mir eine neue suche!

Um zehn vor Elf steht Susanne vor meiner Tür. Sie umarmt mich und lacht mich fröhlich an.

„Bereit, Fabian endlich zu vergessen?“, fragt sie lachend, als sie mich in den Aufzug schiebt.

Sie erhält von mir nur ein müdes Lächeln als Antwort.
 

„Also sehr gesprächig bist du heute wirklich nicht!“, mault sie, als wir beim Marve ankommen.

„Wundert’s dich?“

„Ach komm schon, Schatz, das Leben geht weiter! Du bist jetzt schon seit zwei Wochen Single, Zeit das wieder zu ändern!“

Wusste ich’s doch!

„Ey wirklich Susi, ich hab keinen Bock verkuppelt zu werden...“

„Aber ein bisschen Spaß haben ist doch wohl erlaubt, und außerdem...“

Den Rest verstehe ich nicht mehr, denn die laute Musik im Inneren des Marve übertönt sie.

Susanne greift nach meiner Hand und zerrt mich mit sich durchs Getümmel bis wir schließlich bei einem kleinen Grüppchen Halt machen.

„Hey Kai! Schön dich auch mal wiederzusehen!“, werde ich sogleich begrüßt und von allen umarmt.

Zwingend lächle ich ihnen zu und würde am liebsten sofort wieder umdrehen. Es war keine gute Idee, mitzukommen, schon jetzt nerven mich ihre lachenden Gesichter.

Dennoch fällt es Ralf und Maike nicht schwer, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich kenne die Beiden schon ewig und war sogar vor ein paar Jahren mal in ihn verschossen. Heute kann ich mich selbst nicht mehr so ganz verstehen.

Maike fragt mich über meine Arbeit aus. Sie wird dieses Jahr fertig mit dem Studium und überlegt noch, in welche Branche sie nun entgültig gehen will.
 

„Ich hol mir noch was zu trinken...“, meine ich knapp drei Stunden später und dränge mich zur Bar durch.

„Einen Cuba Libre bitte!“ Ich lehne mich gegen die Theke und beobachte die Bedienung dabei, wie sie mir meine Bestellung mixt.

Mir wird schlecht, so langsam... Wie viel habe ich eigentlich schon intus?

Als ich mich mit meinem Cocktail in der Hand umdrehen will, werde ich von jemandem angerempelt.

„Hey, pass doch auf!“, meckert er und dreht sich zu mir.

„Sorry, das war keine-“ Ich stocke mit meiner eigentlich nicht notwendigen Entschuldigung, als sich die finstere Miene dieses schwarzhaarigen Mannes zu meinen Gunsten verändert. Plötzlich lächelt er.

„Hey! Wie geht es dir?“

Mist! Ich kenne ihn!! Schnell Kai, kommt drauf, wie er heißt... komm überhaupt drauf, woher!

„Gut...“, antworte ich zögernd und versuche noch, sein Gesicht einzuordnen.

„Mir auch! Find ich ja cool, dich mal wiederzusehen... Wie geht’s Fabian denn?“

Da macht es klick. Natürlich, einer seiner Freunde, einer von denen, die mir nie ganz geheuer waren. Es kann eigentlich noch gar nicht so lange her sein, dass ich ihn kennengelernt habe...

„Keine Ahnung wie es ihm mit seinem Neuen geht...“, antworte ich und schlucke bitter.

Ich habe ihn vergessen in den letzten Stunden, muss mich irgend so ein Kerl, mit dem ich erst ein einziges Mal geredet habe, wieder an ihn erinnern?

„Oh... das tut mir leid...“

Einen Moment lang schweigen wir beide. Ich spüre, wie mir schlecht wird, und wie ich mich plötzlich nach einem Sitzplatz sehne. Außerdem taucht Fabians Visage wieder vor mir auf.

„Hm... Lust, ein bisschen zu quatschen?“, fragt mich mein Gegenüber. Mir ist immer noch nicht eingefallen, wie er heißt.

„Egal...“

„Okay!“ Mir wird mein Drink aus der Hand genommen und dann werde ich mitgezogen. Mir wird immer schlechter.

Kurz darauf lassen wir uns an einem leeren Tisch nieder. Ich nehme mein Glas entgegen und trinke einen Schluck, obwohl mir nicht nur mein Körper sagt, dass ich es eigentlich lassen sollte.

Als ich meinen Blick wieder hebe, werde ich angelächelt. Seine Zähne sind irgendwie schief...

Er beginnt zu reden, über irgendwas... Schnell vergesse ich zuzuhören und kann ihm schon bald nicht mehr folgen. Ich starre ihn nur an, nicke ab und zu oder schüttle den Kopf. Warum rauschen seine Worte an mir vorbei? Warum kann ich sie nicht aufnehmen?

Noch ein Mal hebe ich das Glas an meine Lippen.

In und um mir dreht sich alles. Mir wird schlecht... verdammt... mir...

Klappernd stelle ich das Glas wieder ab und presse die Hand vor den Mund. Ich würge und spüre, wie mir der Schweiß ausbricht.

Ein Lachen, dann werde ich vom Stuhl hochgezogen. Torkelnd und mit der Hand noch immer vorm Mund, werde ich mitgezogen, finde mich in einem grässlich hellen Raum mit ein paar Toiletten wieder. Gerade noch rechtzeitig erreiche ich eine solche, dann kommt alles aus mir heraus, das ich in den vergangenen Stunden getrunken und gegessen habe.

Wie peinlich!, ist mein erster Gedanke, als ich fertig bin und erschöpft zu den Waschbecken taumle. Muss mir so etwas gerade vor jemandem passieren, den ich kaum kenne?

Ich sehe sein Grinsen im Spiegel und werde rot, spüle mir abermals den Mund aus und bekomme dennoch diesen ekelhaften Geschmack nicht los.

„Alles okay?“, fragt er mich schließlich und legt mir die Hand auf die Schulter.

„Ja...“ Ich schlüpfe unter der Hand hinweg und will zur Tür gehen, als mir erneut schwindelig wird. Kommt der Boden mir wirklich näher?

Schnell lehne ich mich an die nächstbeste Wand und schließe die Augen.

„Scheiß Tag!“, fluche ich und versuche, meinen Kopf wieder unter Kontrolle zu bekommen. Alles ist so nebelig...

Im nächsten Moment spüre ich einen Körper an meinem. Erschrocken öffne ich meine Augen. Direkt vor mir steht er, schiebt sein Bein zwischen meines. Sein Gesicht ist mir so nahe...

Noch bevor ich das überhaupt realisiere, drückt er auch schon seine Lippen auf meine. Sofort dringt seine Zunge in meinen Mund. Ich will ihn von mir drücken; das ist doch ekelhaft; doch er ist zu stark. Hände greifen nach meinen und seine Zunge dringt tiefer. Schon wieder wird mir schlecht und ich muss würgen.

Dann plötzlich werde ich von der Wand weggerissen. Noch während des Kusses zieht er mich in eine Kabine und schlägt mit einem lauten Knall die Tür zu. Ich werde erneut an eine Wand gepresst.

Verdammt, was soll das werden?

Die Lippen wandern über meinen Hals und im nächsten Moment macht er sich an meiner Hose zu schaffen.

„Hey, was-“

Mit seiner anderen Hand drückt er meinen Mund zu.

„Sei still!“

Meine Hose rutscht zu Boden, samt Boxershorts, und als er mich dann gegen sich drückt, spüre ich seine Erektion.

Ich winde mich und versuche zu treten, doch irgendwie schwindet meine Kraft immer mehr. Mir ist immer noch schlecht... Ich kann nicht mehr...

„Stell dich nicht an wie eine Jungfrau!“

Er zieht sich die Hose hinunter und greift dann mit seiner Hand nach meinem Po. Noch näher drückt er mich gegen sich, dringt mit zwei Fingern in mich ein.

Tränen steigen mir in die Augen, während ich noch immer versuche, mich zu wehren, mir dabei aber fast meine Beine nachgeben.

Sein Stöhnen dringt in mein Ohr, als er beginnt, sich an mir zu bewegen, und auch seine Finger weitergehen lässt. Ich schreie gegen seine Hand und beiße hinein, was mir schließlich einen Schlag einbringt.

Fabian! Wo bist du?!

Immer lauter stöhnt er, reibt sich fest an mir, und nur kurz darauf spüre ich etwas Feuchtes an meinem Unterkörper. Einen Moment lang noch verharrt er so, dann zieht er seine Finger zurück und sieht mich an. Seine schiefen Zähne grinsen dreckig, als er mich loslässt und ich fast zu Boden sinke.

„Du Schwein!“, ist das einzige, was ich sagen kann, obwohl ich ihn jetzt am liebsten anschreien und verfluchen würde.

Ich beobachte, wie er seine Hose wieder hochzieht, mich noch einmal hämisch angrinst, irgendeinen unverständlichen Kommentar murmelt und die Toilette verlässt.

Was um Himmels Willen war das?

Mit einem Mal breche ich in Tränen aus.
 

Es ist wohl einige Zeit vergangen, als ich mich wieder beruhigt habe. Mittlerweile sitze ich am Boden dieser versifften Toilette. Ich wische mir mit dem Ärmel die Tränen weg und mit Toilettenpapier sein Sperma von meinem Körper. Dann stehe ich auf und ziehe mich an. Noch immer sind meine Beine weich wie Butter und die ersten Schritte fallen schwer.

Das, was da eben passiert ist... Wieso passiert mir so etwas?

Wieso um alles in der Welt ist mein Leben so verdammt scheiße?!

Ich stolpere aus der Toilette und remple eine Frau an. Ich höre ihr Fluchen kaum, folgt dem auch schon das nächste, als ich mich so schnell es geht durch die Menge dränge. Einige Ellenbogen und Verwünschungen später finde ich mich auf der Straße wieder. So schnell es mein momentaner Zustand zulässt, wanke ich diese entlang. Ich will in mein Bett, schlafen und denken, dass alles nur ein schlechter Traum war.

Warum bloß?

Warum ist so was passiert?

Warum konnte ich nicht einfach einen lustigen Abend mit meinen Freunden haben?

Warum musste ich mich derart betrinken?

Warum macht ein Kerl einfach so was mit mir?

Warum war Fabian nicht bei mir?!

„HEY! Pass auf!“

Ich werde zurückgerissen und lande auf dem Boden. Ein lautes Hupen, helles Licht, ein Auto, das an mir vorbei rauscht. Mein Herz rast wie wild. Dann erst das Gefühl eines Körpers auf mir. Sofort stoße ich ihn weg, sehe mich verwirrt um und versuche aufzustehen, stolpere und falle.

Im nächsten Moment wieder zwei Hände, die meine Schultern packen. Ich will sie abschütteln, doch sie halten mich fest.

Ich sehe hoch und sehe in ein junges, erschrockenes Gesicht.

Wieder versuche ich mich aus dem Griff zu winden, während Übelkeit in mir aufsteigt.

Verflucht, was ist das für ein Tag?

Das Letzte was ich spüre, ist, wie mir mein Körper erneut nachgibt und ich gegen jemanden sinke. Dann ist alles schwarz.
 

END – PART 1

...only...

Noch nie in meinem Leben hatte ich so einen schrecklichen Traum.

Das ist das Erste, was mir in den Sinn kommt, als ich wieder aufwache. Dann gähne ich und öffne blinzelnd meine Augen. Vor mir erkenne ich blaue Augen. Sie lächeln mich an. Schöne blaue Augen, wie die von Fabian...

Fabian?

Er ist nicht mehr mit mir zusammen, er kann es nicht sein!

Ich schrecke hoch und falle aus dem Bett.

„Autsch!“, fluche ich und es ertönt ein Lachen.

Ich reibe mir die Augen und öffne sie erst nach einem Moment wieder.

Das Lachen verstummt und der junge Mann mit den blauen Augen ist an die Bettkante gerutscht. Ein Lächeln ziert sein Gesicht, an das ich mich ganz wage erinnern kann... Es ist das aus meinem Traum.

„Alles in Ordnung?“, lächelt er mir zu, während ich ihn noch immer ansehe.

Nein, es war kein Traum. Das alles ist tatsächlich passiert... Ich wurde halb vergewaltigt und fast von einem Auto überfahren...

Und er war es, der mich gerettet hat...

Ich spüre wie ich plötzlich knallrot werde.

Räuspernd stehe ich vom Boden auf, kratze mich am Kopf und sehe ihn an.

„Ähm... ja... danke...“, sage ich und versuche ein Lächeln.

Schmerz zieht dabei durch meinen Kopf. Verflucht, auch das noch; ein Kater.

„Keine Ursache...“ Auch er lächelt und steht auf.

Er ist sogar ein kleines Stück größer als ich. Einen Moment lang sehen wir uns an, dann grinst er noch breiter... freundlich.

„Ich bin Marius, und du?“

Irgendwie verlegen greife ich nach der Hand, die mir hingehalten wird.

„Kai.“

„Möchtest du Frühstücken, Kai, oder erst mal duschen?“

Ganz locker grinsend geht er an mir vorbei und schnappt sich ein T-Shirt vom Stuhl, zieht es über.

„Kann ich... duschen...?“

„Klar! Komm mit!“

Ich folge ihm durch einen schmalen Flur ins Zimmer nebenan.

„Handtücher liegen hier, bedien dich einfach... Und frische Klamotten leg ich dir aufs Bett, du solltest fast meine Größe haben...“

Damit verlässt er das Bad auch schon wieder und vollkommen verdattert sehe ich die geschlossene Tür an. Irgendwie kommt mir das alles grad reichlich merkwürdig vor. Ist es wirklich okay, einfach so hier zu duschen?

Doch als das warme Wasser einen Moment später über meinen Körper fließt, sind diese Gedanken auch schon fast wieder vergessen... zumindest ist es mir gerade ein bisschen mehr egal geworden.

Ich lehne mich gegen die Kacheln und schließe die Augen. Noch immer spüre ich, wie unruhig ich innerlich bin, aufgewühlt und irgendwie durcheinander... Das gestern war zu viel für mich... Warum konnte ich mich nicht mal so sehr betrinken, dass ich alles einfach vergesse? Oder doch vom Auto überfahren werden...
 

Frisch geduscht und angezogen, betrete ich die Küche. Es läuft laute Musik, weshalb Marius mich nicht hört. Er steht an der Ablage und werkelt irgendwas.

Warum hat er mich mitgenommen? Einen verrückten, betrunkenen Idioten... Wieso tut er das so einfach? Wenn ich darüber nachdenke, ist das eigentlich sogar ziemlich peinlich...

„Ah, da bist du ja!“, meint Marius als er sich umdreht und einen Teller mit Broten auf den Tisch stellen will. Er dreht die Musik leiser. „Komm, setz dich!“

Zögernd tue ich wie mir geheißen und nehme ihm gegenüber in der kleinen Küche platz. Noch immer ist dies komische Gefühl in mir. Ich fühle mich so falsch an diesem Ort.

Schweigend essen wir und ich schaffe es nicht, meinen Blick lange von ihm zu nehmen. Er hat braune, kurze Haare, ein schmales Gesicht und diese schönen blauen Augen... Er ist hübsch und er scheint jünger als ich, vielleicht gerade zwanzig...

Warum sitze ich bloß hier?

„Deine Klamotten sind übrigens in der Waschmaschine... Die konntest du wirklich nicht mehr anziehen.“

Wieder erröte ich. Wieso musste ein Fremder mich in so einer peinlichen Situation erleben?

„Danke.“

Ein breites Lächeln. „Ich konnte dich schlecht auf der Straße liegen lassen...“

„Natürlich hättest du das gekonnt...“

„Ich bin kein Unmensch.“

Ich beiße von meinem Schinkenbrot ab und lächle, fühle mich innerlich ganz komisch befangen. Schon merkwürdig, wenn man gerade jemanden kennenlernt und weiß, dass er eine der peinlichsten Seiten von einem bereits gesehen hat...

„Ach ja... deine Freundin hat gestern noch auf deinem Handy angerufen... Anne oder so...“

„Susanne?“

„Ja genau! Sie hat sich ziemliche Sorgen um dich gemacht.“

„Was hast du ihr gesagt?“

„Nur, dass ich dich betrunken von der Straße aufgelesen habe und du gerade schläfst.“

Ein kleines Grinsen kann ich mir nicht verkneifen. Wahrscheinlich hat sie sich dabei wieder alles Mögliche vorgestellt.

„Hattest du Streit mit ihr?“, fast neugierig sieht er mich an, aber dann hebt er auch sofort die Hände. „Wenn ich fragen darf, es geht mich ja nichts an!“

„Du darfst... Nein, hatten wir nicht. Sie ist nur eine gute Freundin und wir waren gestern zusammen im Marve... Sie hat wohl nur nicht damit gerechnet, dass ich alleine abhaue.“ Ich ja eigentlich auch nicht...

„Ach so...“ Ein Lächeln, dann trinkt er einen Schluck aus seiner dampfenden Tasse, während er mich noch immer ansieht. „Wenn du willst, kannst du sie ja gleich mal anrufen...“
 

Gesagt, getan. Nach dem Frühstück drückt Marius mir den Hörer in die Hand und verlässt die Küche. Nachdenklich wähle ich Susannes Nummer. Was um Himmels Willen soll ich ihr denn erzählen?

„Ja?“

„Hey...“

„Kai! Weißt du eigentlich was ich mir gestern für Sorgen gemacht hab?! Kenn ich ja gar nicht von dir, dass du einfach ohne einen Pieps mit einem Kerl abhaust...“

„So war es auch nicht…“

„Nein? Was ist dann passiert?“ Man hört deutlich, dass sie mir nicht wirklich glaubt.

„Das kann ich dir jetzt nicht so einfach erklären...“

„Na gut, wenn du meinst...“ Einen Moment schweigen wir, dann fragt sie mit neugierigem Tonfall: „Und wer ist dieser Typ, der gestern an dein Handy ist? Der klang ja echt toll!“

„Marius.“

„Ja, das hat er gesagt... und weiter?“

„Mehr weiß ich auch nicht.“

„HÄ?“

„Wie gesagt, es ist schwer zu erklären...“

„Sieht er denn gut aus?“

Ich muss lachen. „Ja.“

„Na, dann lern ihn besser kennen!“

„Susi, du weißt, dass ich nicht-“

„Ja, ich weiß. Fabian, Fabian, Fabian... Mensch Kai, das Leben geht weiter! Also schnapp dir diesen Kerl!“

„Ich weiß doch nicht mal, ob er-“

„Dann finde es heraus!“

Aufgelegt. Mal wieder vollkommen verdattert starre ich den Hörer an und kann ihr breites Grinsen förmlich sehen. Wird das jetzt eine neue Masche von ihr?

Seufzend stehe ich auf und gehe Marius suchen, finde ihn im Wohnzimmer auf einem schwarzen Sofa wieder.

„Fertig?“, fragt er und legt die Zeitschrift zur Seite, die er bis eben noch in der Hand gehalten hat.

„Ja.“

Zögernd bleibe ich im Türrahmen stehen. Ich sollte wohl langsam gehen. Ich habe ja nun wirklich keinen Grund, noch länger hier zu bleiben...

„Ich geh dann wohl gleich mal...“

„Quatsch, wieso denn? Mich stört deine Gesellschaft nicht. Im Gegenteil!“ Er lächelt mich an. Er hat ein schönes Lächeln. „Außerdem sind deine Klamotten noch nicht fertig.“

Mist, an die habe ich gar nicht mehr gedacht!

Wohl zuletzt damit überredet, lasse ich mich neben ihm auf der Couch nieder.

„Danke...“

„Jetzt hör auf, dich ständig zu bedanken! Ich sag schon, wenn es mich stört!“

Wir schweigen und verstohlen sehe ich mich im Zimmer um. Ein paar große Bilder hängen an den Wänden, eines mit einem Sonnenuntergang und Palmen, ein anderes mit einer Walflosse im Meer. Irgendwie wirkt es hier wahnsinnig stimmungsvoll...

„Wohnst du alleine?“, frage ich zögernd. Auf dem Regal stehen zwei Fotos. Eins mit einer jungen Frau, das andere eine Gruppe von Leuten.

„Ja. Wie wär’s? Wollen wir uns einen Film angucken?“
 

Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug und ehe ich mich versehe, ist es schon wieder dunkel draußen.

Nach dem ersten Film kam ein zweiter, dann hat Marius etwas zu essen gekocht und wir haben lange am Küchentisch geredet. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass er doch schon 23 ist und seit fünf Jahren in einer Autowerkstatt arbeitet...

Danach haben wir uns noch einen Film angesehen.

Irgendwie ist es komisch... Je länger ich hier bin, desto wohler fühle ich mich. Das Gefühl zu stören, schwindet und auch die Peinlichkeit aufgrund der Nacht wird weniger... Irgendwie ist es ein schönes Gefühl.

„Wenn du willst, kannst du hier schlafen“, meint Marius, als er die DVD zurück in die Hülle schiebt. „Ich fände es schön, dich nicht schon wieder los zu sein...“

Er lächelt mich an und kommt zurück zum Sofa. Ich spüre, wie ich mal wieder rot werde.

„Es stört dich nicht?“

„Würde ich es dir dann anbieten?“ Er legt den Kopf auf die Lehne und sieht mich abwartend an. „Weißt du, ich bin ein Mensch, der immer etwas zu tun braucht... und alleine wird mir schnell langweilig...“ Er grinst und ich frage mich, ob es wirklich stimmt oder ob er es nur sagt, um mich zu überreden... Aber wieso sollte er?

„Okay... Aber nur wenn es dich wirklich nicht-“

„Tut es nicht!“
 

Es ist gegen Mitternacht als wir ins Bett gehen... und ich einen kleinen Schreck bekomme. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass er natürlich nur dies eine hat... Doch als ich vorschlage, auf dem Sofa zu schlafen, winkt er grinsend ab. Also legen wir uns beide nur in Boxershorts bekleidet auf sein Bett, das wenigstens breiter ist als nur einen Meter.

Eine Weile reden wir noch, dann wird es still. Sein Atem hängt in der Luft und ich starre in die Dunkelheit. Irgendwie ein komischer Gedanke, dass ich hier nun neben einem halbnackten Mann liege... Vor ein paar Wochen hätte Fabian mich noch geköpft, und jetzt...

Fabian... Den ganzen Tag habe ich nicht wirklich an ihn gedacht, hatte viel neue Ablenkung... doch jetzt langsam kommen die Gedanken an ihn zurück... Wie gerne würde ich jetzt neben ihm liegen, mich an ihn schmiegen und einfach seine Nähe genießen...
 

~ * ~
 

„Kai... ich muss mit dir reden...“

Es war ein ganz normaler Abend, an dem ich es mir auf dem Sofa gemütlich gemacht und auf Fabian gewartet hatte, als er mich mit diesem Spruch begrüßte. Dennoch beunruhigten seine Worte mich nur wenig, denn Fabian machte gerne einmal aus einer Mücke einen Elefanten.

So also nichts Schlimmes erwartend, stand ich auf und wollte ihn erst einmal ganz normal begrüßen. Doch er drückte mich von sich noch bevor ich ihn hätte küssen können. Dies nun irritierte mich mehr als seine Worte, selbst wenn ich auch jetzt nur mit einem gestressten Fabian rechnete.

Ich seufzte und setzte mich wieder hin, sah ihn nun gespannt an.

Er kam um das Sofa herum und setzte sich in den Sessel mir gegenüber, eine tiefe Falte auf der Stirn.

„Also? Was musst du mir so hochdramatisches erzählen?“

Seine Gesichtszüge blieben unlesbar und ganz langsam beunruhigte mich das Ganze schon ein wenig. Er stützte den Kopf in die Hände und sah zu Boden.

„Ich will Schluss machen.“

Sekundenlang hing der Satz im Raum.

„Was?“ Meine Stimme war dünn und ich räusperte mich, fragte mich, ob ich richtig verstanden hatte. Das konnte doch nicht sein...

„Es... es ist vorbei zwischen uns...“

„Du... du...“ Augenblicklich zog sich alles in mir zusammen. Mein Herz schlug wie wild, als ich vom Sofa aufsprang. „Das meinst du nicht ernst, oder? Das kann nicht... das...“ Ich ging um den Tisch herum und wusste nicht, was ich tun sollte. Wie konnte er so ruhig da sitzen bleiben? „Sieh mich an!“ Ich griff nach seinem Arm. „Verdammt... sieh mich an!“ Ich schrie und ich spürte Tränen in meinen Augen brennen. Warum war ich auch so nah am Wasser gebaut? „Fabian... ich... wieso? Was ist passiert?“

Meine Hände suchten seine und ich krallte mich an ihnen fest. Er erwiderte den Druck nur wenig. Unsere Blicke trafen sich und mir verschlug es die Sprache. Es war keine Gleichgültigkeit, die in seinen Augen lag, aber diese Härte war mir vollkommen fremd.

Da heulte ich los, sank zu Boden und vergrub meinen Kopf in den Polstern. Es war kein blöder Scherz, keine schnell getroffene Entscheidung. In seinen Augen lag etwas, das mir sagte, wie ernst er es meinte... dass er es wirklich wollte.

Als ich mich beruhigte, lag ich in seinen Armen. Fabian war zu mir auf den Boden gerutscht und hatte mich festgehalten, was die Tränen nur noch mehr nach draußen trieb. Nun starrte ich vor mich hin, wischte mir die Nässe von den Wangen und spürte nur diesen drückenden Schmerz in mir.

„Wieso?“, fragte ich leise.

„Weil es nicht mehr geht...“

„Wie meinst du das?“

Dies Gespräch tat schon jetzt höllisch weh. Ich betete dafür, dass es nur ein Traum war, obwohl ich genau wusste, dass ich umsonst hoffte. Schnellstmöglich hinter mich bringen wäre wohl die beste Alternative.

Als er nicht gleich antwortete, fragte ich weiter: „Liebst du mich nicht mehr?“

„Doch...“ Ich hörte ihn schlucken. „Doch, das tue ich.“

„Aber dann... wieso?“ Ich presste seine Hände gegen mich und sein Körper verspannte sich.

„Ich... ich kann nicht mehr gebunden sein... ich brauche ein wenig Zeit für mein eigenes Leben...“

Lange ließ ich diese Worte im Raum liegen. Warum sagte er so etwas? Bedrängte ich ihn etwa, ließ ich ihm keinen Freiraum? Himmel Herrgott, ich war oft lange nicht zu Hause, er hatte eine Menge Zeit und Ruhe für sich!

Ich befreite mich aus seinem Griff und stand auf. Im Raum wurde es dämmerig, weshalb ich das Licht anschaltete. Ich hatte plötzlich den Drang, mich zu bewegen, etwas zu tun...

„Erklär es mir!“, forderte ich, als ich wieder beim Sofa stehen blieb und meine Finger ins Polster krallte. „Sei ehrlich zu mir... wenigstens das habe ich verdient!“

Ich konnte es nicht glauben. Er machte tatsächlich Schluss. Drei Jahre lang waren wir ein Paar, wie konnte er das so einfach beenden? Es waren doch so schöne Jahre gewesen...

„Ich... ich habe da jemanden kennengelernt.“

Ich hatte das Gefühl als würden mir die Beine nachgeben. Nur mit Mühe schaffte ich es, mich aufrecht zu halten, und genauso schwer war es auch, nicht sofort wieder loszuheulen. Eben sagte er doch noch, er wolle nicht gebunden sein.

„Wie- Wie bitte?“

Ich konnte meinen Ohren nicht trauen, ich wollte es nicht.

„Ich kenne ihn noch nicht lange... drei Wochen oder so... Er...“

„WAS?“ Ich schrie. „Du betrügst mich und wagst es dann, ganz in Ruhe mit mir Schluss zu machen?“

„Warte Kai!“ Er stand auf und kam auf mich zu. „Ich habe dich nicht betrogen!“

„Ja sicher! Du SCHWEIN!“, wich ich vor ihm zurück.

„Nein! Glaub mir! Ich habe nichts mit ihm!“

„Aber du hast dich in ihn verliebt!“

„Nein!“

Ich schüttelte den Kopf. Immer wieder. Was sagte er da? Warum sagte er so einen Mist? Und was war überhaupt die Wahrheit?

„Und wieso... wieso...“ Meine Stimme zitterte, so wie mein ganzer Körper.

„Wir haben uns nur zwei Mal geküsst... Ich hab gemerkt, wie sehr es mir gefällt... dass ich...“

„STOP!“

Ich war sprachlos und ich wollte nichts mehr hören. Er schien ohnehin nicht wie der Mann, den ich liebte... Wer sprach da durch ihn? Wieso redete er so einen Unsinn? Wieso küsste er einen anderen? Er war doch mit mir...

„Kai...“

„Nein! Halt die Klappe! Verschwinde! Raus!“ Schon wieder heulte ich, während ich ihn zur Tür schob. „Ich will dich nicht mehr sehen!“

„Kai... ich-“

„Nein.“

„Kai...“

„NEIN!“
 

„KAI!“

Ich werde geschüttelt. Licht blendet mich, als ich die Augen öffne.

„Beruhige dich Kai!“

Arme, die mich festhalten, und ein Körper dicht an meinem.

Fremde Bettwäsche... ein fremdes Zimmer... braune Haare...

„Marius?“

„Ja.“ Ganz langsam streichen seine Hände über meinen Rücken. „Endlich bist du wach...“

Erst da spüre ich die Nässe auf meinen Wangen und das Zittern meines Körpers...

Ach du meine Güte, Marius lernt aber wirklich sofort alle schlechten Seiten an mir kennen!

Doch anstatt mich jetzt zusammenzureißen, halte ich mich an ihm fest und vergrabe mein Gesicht an seinem Hals. Es ist ganz egal, was er jetzt denkt... Ich brauche jemanden, der mich festhält, wenigstens für einen kurzen Moment...

Mein Herz tut so weh.
 

Es dauert eine Weile, bis ich überhaupt versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen... bis ich mich wieder dazu in der Lage fühle, meinen Griff zu lösen. Zögernd und mit garantiert nicht vom Weinen tiefroten Wangen drücke ich mich von ihm.

„Geht’s wieder?“ Seine Stimme ist ganz sanft, ebenso wie das Lächeln seiner Lippen. Nichts daran lacht mich aus.

„Mhm...“

Ich sehe ihn an. Ein wenig schmerzt es, in diese Augen zu blicken, die Fabians so ähnlich sind, und trotzdem beruhigt es mich auch. Irgendetwas ist in ihnen, das mir sagt, dass mir nichts peinlich sein muss.

„Danke...“, sage ich leise und löse mich dann ganz von ihm.

Er lässt die Hände sinken und lächelt immer noch.

„Kein Problem.“

Stille. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Er wahrscheinlich auch nicht.

Er räuspert sich und dann steht er auf, verlässt das Zimmer. Ich starre die Tür an. Was denkt er bloß von mir? Ein Mann, der sich sinnlos betrinkt, fast vor ein Auto rennt und dann auch noch im Schlaf weint...

Die Klospülung, kurz darauf ist er wieder da. Sein Blick ist immer noch der Selbe, als er sich wieder zu mir ins Bett legt.

„Darf ich dich etwas fragen?“, unterbricht er nach einer Weile die Stille.

„Natürlich.“

„Wer ist Fabian? Hast du wegen ihm geweint?“

Ich fahre mit aufgerissenen Augen zu ihm herum. Woher...?

„Was?“

„Du hast im Schlaf seinen Namen gesagt. Du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“

Lange Zeit schweige ich. Nicht, weil ich ihm die Sache nicht erklären will, sondern weil ich nicht weiß, wie. Obwohl... eigentlich gibt es da gar nicht so viel zu erklären...

„Er ist... mein Ex.“

Irgendwie erwarte ich nun, dass er mich erschrocken ansieht, vielleicht sogar sofort zurückweicht und angeekelt guckt... aber nichts dergleichen geschieht. Er sieht mich einfach weiterhin an ohne eine Miene zu verziehen.

Dachte er es sich?

„Das ist noch nicht lang so, oder?“, fragt er dann mit ganz normalem Tonfall weiter.

„Er hat vor zwei Wochen Schluss gemacht...“

„Willst du darüber reden?“

„Nein.“

Er nickt. Und ich frage mich, ob ich wirklich nicht darüber reden will.

Gerade als Marius Anstallten macht, sich umzudrehen, spreche ich doch.

„Er hat einen anderen kennengelernt...“

Marius bleibt ruhig liegen und sieht mich fragend an. Und da sprudelnd die Worte nur so aus mir hervor. Ich erzähle ihm von dem Tag, als Fabian es mir sagte, die Tage danach, als er beschloss auszuziehen, und so weiter... und ich beginne auch wieder zu weinen. Schon oft habe ich mich dafür verflucht, immer so schnell heulen zu müssen, doch jetzt, wo Marius mich wieder in den Arm nimmt und mir ganz ruhig zuhört, habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es gar nicht so schlimm ist...

Irgendwann, als ich nichts mehr zu erzählen habe und meine Tränen langsam nachlassen, streicht Marius mir die Nässe von den Wangen. Wieder liegt ein Lächeln auf seinen Lippen. Es erscheint plötzlich noch viel schöner als zuvor.

Wir sehen uns an... und er kommt näher... Sein Atem streift meine Haut... Wird er etwa...

Ich schließe meine Augen und ganz vorsichtig berühren seine Lippen die meinen.

Im ersten Moment ist es ein merkwürdiges Gefühl... oder eher sind es merkwürdige Gedanken in meinem Kopf. Ich lasse ihn mich küssen... ein anderer Mann als Fabian...

Er wagt mehr nach ein paar Augenblicken, indem er seinen Mund öffnet und seine Zunge über meine Lippen lecken lässt. Alles beginnt zu kribbeln, und als ich zögernd diesen Kuss zu erwidern beginne, umfängt mich ein ganz warmes, schönes Gefühl. Es fühlt sich trotz allem so toll an... das alles hier...

Er ist es, der den Kuss beendet, nach einigen Sekunden, nach einer Ewigkeit...

Diesmal sieht er mich nicht an, sondern dreht sich und schaltet das Licht ab.

„Lass... uns noch etwas schlafen“, flüstert er mit deutlich nervöser Stimme, bevor er seinen Arm wieder um mich schlingt.

Erst will ich etwas sagen, doch dann lass ich es sein. Vielleicht ist es besser so...

Stattdessen kuschle ich mich an seine nackte Haut, in die warme Umarmung und schließe die Augen wieder. Plötzlich komme ich mir vor, als wäre ich ein kleines Kind im Arm meiner Mutter... doch diese würde ich nie so küssen... bei ihr würde ich nie solch Herzrasen bekommen, wie ich es jetzt habe...
 

~ * ~
 

Am Morgen liege ich allein im Bett. Ich brauche einen Moment, um wach zu werden und mich zurechtzufinden. Geträumt habe ich nicht mehr, oder zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Eigentlich habe ich noch ziemlich gut geschlafen...

Ich richte mich auf und entdecke auf dem Nachtisch meine Kleidung.

Nachdem ich mich angezogen und dem Bad einen Besuch abgestattet habe, gehe ich in die Küche. Wie am Morgen zuvor finde ich hier Marius vor. Er sitzt mit verschränkten Beinen auf der Spülmaschine und blättert in einer Zeitung.

„Guten Morgen...“, sage ich und gehe unschlüssig zwei Schritte in den Raum hinein.

„Morgen!“, kommt es mit fröhlicher Stimme zurück, dann schaut er von seiner Zeitung auf. „Noch gut geschlafen?“

„Ja.“

Seine gute Stimmung beruhigt mich irgendwie. Ich lasse mich am gedeckten Küchentisch nieder und Marius setzt sich zu mir.
 

Der Morgen vergeht schnell und irgendwann mache ich mich auf den Heimweg.

„Ich hab noch jede Menge für morgen zu tun... Die Arbeit ruht nicht mal am Wochenende“, grinse ich, als ich merke, dass Marius fast schon ein bisschen traurig wirkt.

Er bringt mich zur Tür.

„Sag mal... Was hast du nächstes Wochenende vor?“, fragt er dann.

„Bis jetzt noch nichts...“

„Na dann hat sich das soeben geändert...“ Er grinst breit. „Das heißt, wenn du Lust hast, triefnasse Klamotten, krabbelndes Getier und Rückenschmerzen zu ertragen...“

Neugierig sehe ich ihn an. „Wobei denn?“

„Einige Freunde von mir wollen übers Wochenende ne Kanutour machen, mit Zelten, Grillen und allem was dazu gehört... und ich hab noch nen Platz in meinem Kanu frei...“

„Na, das trifft sich ja.“

„Du kommst also mit?“

„Klar!“

Sein Grinsen wird noch breiter. „Super!“

Schnell klären wir, wann ich am Freitag zu ihm kommen soll und irgendwie freue ich mich schon jetzt. Lange habe ich so etwas nicht mehr gemacht, ein Wochenende weg von Zuhause und einfach nur Spaß haben...
 

END – PART 2

...a sad memory.

„Er scheint dich zu mögen!“, grinst Susanne mich an, als ich ihr am Abend von Marius erzähle.

Eigentlich wollte ich sie nur kurz anrufen, doch sofort lud sie sich bei mir zum Abendessen ein und wollte alles genauestens berichtet bekommen.

Ich zögerte lange, bevor ich ihr auch von dem Kuss erzählte. Ihre Augen wurden immer größer.

„Hm...“, mache ich nun auf ihre Aussage hin und sehe die Tasse in meinen Händen an.

„Nichts ‚Hm’! Er hat dich geküsst, Mann! Der Kerl steht auf dich!“

„Quatsch! Warum sollte er denn? Wir kennen uns noch nicht mal zwei Tage lang!“

„Na und? Er will sich immerhin wieder mit dir treffen! Da ist doch alles klar! Glückwunsch!“

Ich seufze und stelle das Glas ab.

„Mensch Susanne... Selbst wenn es so ist... ich will nichts von ihm...“

„Wieso denn nicht? Nach dem, was du sagst, sieht er doch echt toll aus und ist auch noch nett! Was steht also noch im Wege?!“

„Das weißt du genau! Ich kann nicht nach drei Jahren einfach so mit jemand anderem zusammen sein!“

„Wieso denn nicht? Er kann es doch auch!“

Das sitzt. Ich schließe meinen Mund wieder und schlucke.

„Es... Es tut mir leid...“ Sofort gemerkt, dass sie einen Fehler gemacht hat, spricht sie jetzt mit sanfter Stimme und rückt ein Stück zu mir heran, legt mir die Hand auf den Arm.

„Das weiß ich doch...“ Ich greife nach der Hand und halte sie fest. „Aber ich kann das einfach nicht so schnell... Ich liebe Fabian doch...“

„Ich weiß...“

Ich lehne mich im Sofa zurück. Mein Blick fällt auf den Rücken des großen Bilderrahmens, der am Regal lehnt. Ich konnte es nicht ertragen, die Fotos weiterhin täglich zu sehen... doch ganz wegräumen konnte ich sie auch nicht.

„Wart’s einfach ab...“, meint Susanne nach einer Weile. „Vielleicht beginnst du ihn ja zu mögen...“

Ich nicke, spreche jedoch meine Gedanken nicht aus. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt noch mal so für jemand anderes empfinden kann...
 

Als Susi weg ist, gehe ich ins Bett. Eigentlich hatte ich vor, noch etwas für den morgigen Arbeitstag zu tun, doch ebenso wie heute Nachmittag würde das auch jetzt wohl nichts bringen...

Jetzt schwirrt mir nämlich nicht nur Fabian im Kopf herum, sondern auch noch Marius. Denn eigentlich ist Susanne mit ihren Gedanken gar nicht so alleine... Sogar ziemlich viel habe ich über den vergangenen Tag nachgedacht... Wieso war Marius so nett zu mir, wieso wollte er, dass ich noch länger bleibe, ließ mich sogar bei sich im Bett schlafen... und wieso hat er mich geküsst? Kann es sein, dass da vielleicht doch mehr war? Aber wieso? Ich bin ein vollkommen fremder Mann für ihn...

Oder wollte er mich von Anfang an nur ins Bett bekommen?

Ich ziehe mir die Decke bis zu den Schultern und starre in die Dunkelheit.

Mir täte es leid, wenn es so wäre... Er ist hübsch und wirklich sehr nett, doch mehr als Freundschaft kann ich nicht für ihn empfinden, auch in Zukunft nicht... und wenn ihm das nicht genug ist?

Verdammt, was hast du bloß mit mir gemacht, Fabian?
 

~ * ~
 

Die nächste Woche zieht sich viel zu lange hin. Während der Arbeit im Büro, bei der ich alleine an meinem Schreibtisch sitze, denke ich viel nach. Fabian gelten meine meisten Gedanken, vor allem weil er immer noch ein paar Sachen bei mir hat und wir uns zu alldem auch noch treffen wollten, um zu klären, wie wir weiter mit der Wohnung verfahren, deren Miete wir immerhin bis jetzt zusammen trugen...

Doch ich denke auch viel an das bevorstehende Wochenende. Das letzte Mal Kanufahren war ich vor knapp sechs Jahren mit ein paar Freunden... Es war toll, aber ein seltenes Erlebnis. Eigentlich freue ich mich sogar wahnsinnig auf Freitag! Und um genau zu sein, freue ich mich auch, Marius wiederzusehen. Vielleicht entwickelt sich bei uns ja wirklich eine Freundschaft... Es würde mir jedenfalls gefallen!
 

~ * ~
 

Als es endlich Freitag ist und ich meine Sachen zusammenpacke, klingelt das Telefon. Widerwillig nehme ich ab, als ich Fabians Handynummer auf der Anzeige erkenne.

„Was verschafft mir die Ehre?“, murmle ich mürrisch und stopfe von einem Moment auf den anderen wieder ziemlich aggressiv ein paar Klamotten in meinen Rucksack. Mittlerweile werde ich einfach nur noch wütend, wenn es zu Fabian kommt... Die Phase der erschütternden Enttäuschung scheine ich endlich überwunden zu haben.

> „Passt es dir, wenn ich am Sonntag vorbeikomme und wir das mit der Wohnung klären?“

„Bin am Wochenende nicht da...“

> „Echt? Was machst du denn?“

„Was geht dich das an?“

Ich schnüre mit aller Kraft das Band meines Rucksackes zu. Hoffentlich bekomme ich den Knoten wieder auf... Dann lasse ich mich aufs Bett fallen.

Ein Seufzen ist zu hören. „Na gut... Wann passt es dir dann? Dienstag?“

„Meinetwegen...“

> „Okay... ich komm gegen Abend.“

„War’s das?“, zische ich in den Hörer.

> „Ja...“

„Gut.“ Damit lege ich auf und feuere den Hörer ins Kissen.

Die Auflösung dieser Wohnung... oder zumindest eine Änderung im Vertrag. Langsam aber sicher geht alles zu Ende, das ich je mit ihm hatte... es tut höllisch weh!

Ein paar Minuten lang bleibe ich starr auf dem Bett sitzen und sehe mich im mittlerweile sehr leeren Schlafzimmer um, bevor ich mich aufraffe.

Genug geschmollt, noch schnell duschen und dann los ins Wochenende! Irgendwie habe ich plötzlich aber gar keine Lust mehr...
 

~ * ~
 

Marius strahlt mich an, als er mir die Tür öffnet... und gleich habe ich das Gefühl, dass meine Laune einen kleinen Satz nach oben macht.

„Hey!“ Er nimmt mir den Rucksack ab. „Du hättest mir mal deine Nummer geben sollen!“

„Wieso? Gibt es ein Problem?“

„Nein, nicht wirklich... Ich wollte dich nur fragen, ob du vielleicht irgendwo ein Zelt auftreiben kannst... Meins ist vollkommen zerfressen... Naja, hab mir jetzt das Iglu unserer Nachbarin geliehen...“

„Hätte eh keins gehabt... aber wozu gibt es Telefonbücher?“

Mit einem breiten Grinsen dreht er sich zu mir um. „Ohne Nachnamen?“

„Ach Mist! Eins zu Null für dich!“

Ich krame mein Portmonee heraus und ziehe eine kleine Karte hervor. Nach einem kurzen Blickwechsel nimmt er sie entgegen.

„Bekomm ich auch deine Privatnummer?“, fragt er dann und dreht die Karte in seinen Fingern.

„Natürlich... Hast du nen Stift?“

Nachdem diese Sache dann also geklärt ist, setzen wir uns in die Küche und ich bekomme eine Tasse frischen Kaffee.

„Wie war deine Woche?“, fragt Marius und setzt sich mir gegenüber.

„Stressig... Viiiel zu viele Kunden, die abgefertigt werden wollen...“

„Echt? Ich dachte immer ihr Steuerfritzen habt zehn hübsche Sekretärinnen, die für euch die Arbeit machen...“ Er streckt mir mit ironischem Grinsen die Zunge hin und lacht.

„Natürlich! Und außerdem hab ich auch noch drei die mir den Haushalt machen, kochen und mich anderweitig prächtig verwöhnen...“

„Wusst ich’s doch...“ Er legt den Kopf schief und lächelt. Er hat schöne Zähne... überhaupt ein schönes Lächeln.

„Und wie war deine Woche?“, frage ich nun ihn.

„Nicht viel anders als bei dir... Es scheint echt die perfekte Zeit dafür zu sein, ein Auto nach dem anderen zu Schrott zu fahren... Mein Chef wollte mich heute Nachmittag erst noch mit einplanen, weil irgendso ein Typ unbedingt seinen Angeberschlitten bis morgen wieder haben will... Aber wie du siehst, ich bin dem entkommen...“

„Was musstest du ihm dafür versprechen?“

„Eine heiße Nacht, und dass seine Frau nichts davon erfährt...“

Kaum hat er es ausgesprochen, beginne ich wie wild zu husten und zu würgen, versuche den Kaffee nicht über den ganzen Tisch zu spucken. Marius springt auf und klopft mir auf den Rücken. Sein Lachen erfüllt die Küche.

„Geht’s wieder?“, fragt er, als ich es geschafft habe, meine Atemwege wieder frei zu bekommen.

Ich nicke.

„Na das hoffe ich doch! Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn du wegen meiner Beichte jämmerlich erstickt wärst...“ Noch immer dieses Grinsen, irgendwie schelmisch. Seine Hand liegt ruhig auf meiner Schultern. „Ne im Ernst, das war nur ein Scherz... Kein Grund also zu sterben. Ich musste ihm nur versprechen, dafür nächsten Samstag seine Schicht zu übernehmen, weil seine Frau da wegen einer Operation ins Krankenhaus kommt...“
 

~ * ~
 

Um drei Uhr schleppen wir gemeinsam Marius’ Kanu zum Auto und fahren dann zum Treffpunkt.

„Wie viele sind wir eigentlich?“, frage ich ihn, als wir im Auto sitzen.

„Äh... zähl mal mit... Matthias und Helen, Julian mit Alexander, Nadja mit ihrem neuen – Peter glaub ich –, Michael, Emilie mit Tom, und Karen... zehn oder?“

„Zwölf... du hast uns vergessen...“ Ich grinse und sehe aus dem Fenster.

Um ehrlich zu sein wurde mir bei seiner Aufzählung ein bisschen unwohl. Julian mit Alexander... wie es sich anhört ein schwules Paar also... hoffentlich denken sie nicht, dass auch Marius und ich... ach quatsch, ich mach mir viel zu viele Gedanken!

Aber auch so... ein bisschen nervös bin ich schon. Ich mag es, neue Leute kennenzulernen, aber nicht einmal die Person, mit der man hingeht, richtig zu kennen, ist schon etwas anderes...
 

Ziemlich schnell allerdings merke ich, dass meine Sorgen, wenn ich in sofern überhaupt welche hatte, total unbegründet waren. Mit sprichwörtlich offenen Armen werde ich empfangen.

Einer nach dem anderen stellt sich mir vor und auf den ersten Blick wirken sie eigentlich alle sehr sympathisch...

Wir lassen die Boote zu Wasser und verstauen die mitgebrachten Sachen darin, anschließend uns selbst.

„Vorne oder hinten?“, fragt Marius und stützt sich auf einem der Paddel ab.

„Hinten...“, antworte ich nach einem Moment des Nachdenkens.

„Okay!“ Er drückt mir das Paddel in die Hand und klettert ins Kanu.

Dieses wackelt mit einem Mal ganz schön. Irgendwie schon ein komisches Gefühl, in so ein kleines Ding zu steigen... Na ja, schwimmen kann man im Notfall ja auch noch...

Zögernd steige ich in den kleinen, freien Raum, nicht wirklich sicher, wie ich dies am Besten anstelle. Neben mir beobachte ich eine der Frauen, wie sie galant das Gleiche vollführt. Ein Fuß hinein und dann...

„Wow! Vorsicht!“

Dem Wasser gefährlich entgegenfallend und eine schnellen Bewegung neben mir, dann werde ich zurück gerissen. Vollkommen verdattert sehe ich mich um.

„Du willst doch nicht jetzt schon Baden gehen, oder?“ grinst er mich an. Wer war er noch gleich... A... A... Alexander? Ja genau!

„Danke“, ist das Einzige, was ich hervorbringe, während er mich angrinst und hinter mir das mittlerweile schon sehr bekannte Lachen von Marius verklingt.

„Keine Ursache!“

Mein nächster Versuch verläuft weniger tollpatschig und so schaffe ich es schließlich hinter Marius in das wacklige Ding.

„Na geht doch!“ Er grinst und reicht mir ein Paddel nach hinten. „So... und auf geht’s! Hast du das schon mal gemacht?“

„Jup... aber das scheint schon Ewigkeiten zurück zu liegen...“

Marius stößt uns vom Steg ab und mit einem Mal fühl ich mich vollkommen sicher. Komisch, dabei war es gerade schon eine ziemliche Überwindung, überhaupt in dies Teil zu steigen...

Vor uns ist ein Boot, die anderen noch hinter uns. Zwei einzeln, vier Doppel. Es dauert nicht lang, dann hat uns... ähm... Michael eingeholt und im selben Moment verstärkt Marius seinen Schlag deutlich.

„Ey, das ist nicht fair, ihr seid immerhin zwei!“, lacht Michael und paddelt kräftig mit.

„Dafür haben wir aber auch mehr Gewicht zu bewegen!“, ruft Marius zurück.

Das Doppelkanu vor uns eingeholt, beginnt tatsächlich eine Art Wettkampf... und mit einem Mal fühl ich mich einfach unglaublich frei.
 

Etwas später, nach bestimmt zwei Stunden Fahrt, taucht das knallgelbe Kanu neben uns auf. Emilie und Tom... zusammen seit acht Jahren, sie schwanger im vierten Monat...

Ganz von alleine hat Marius irgendwann angefangen, mir seine Freunde alle ein wenig näher zu führen. So weiß ich zum Beispiel, dass Julian sein bester Freund ist, den er seit fast neun Jahren kennt und mit dem er in der Werkstatt zusammen arbeitet, und dass dieser nun seit drei Jahren mit Alex zusammen ist... oder, dass Michael schon ewig etwas von Karen will, diese ihn aber immer wieder abblitzen lässt... und so weiter...

„Darf ich dich mal was fragen?“, ist es nun Emilie, die sich in einigem Abstand neben uns hertreiben lässt. Wie von alleine sehe ich kurz auf ihren Bauch. Eigentlich quatsch, im vierten Monat sieht man eh noch nichts...

„Klar...“

Ich merke wie sie zögert, Marius einen kurzen Blick zuwirft.

„Naja... seid ihr beide... zusammen?“

Es braucht einen Moment, bis ich nichtsahnend ihre Frage endlich realisiert habe.

„Emilie!“, höre ich Tom hinter ihr zischen.

„Was denn? Ich bin nun mal neugierig!“

Es ist Marius, der für mich diese Frage beantwortet, obwohl ich das ja auch selbst gekonnt hätte. Irgendwie war ich einfach nur überrascht. „Mensch... du kannst dir wohl echt nicht vorstellen, dass auch ich mal einfach nur nen normalen Freund mitbringe, was?“, lacht er.

„Also nicht? Oh!“ Einen Moment wirkt sie überrascht, dann verlegen. „Ähm... sorry, Kai...“, grinst sie.

„Ach quatsch!“, antworte ich nur ebenso grinsend. Trotzdem komme ich mir grad irgendwie doof vor. Also haben wirklich alle gedacht, dass ich was mit Marius habe?

Wohl immer noch etwas verlegen und nicht genau wissend, was sie denn jetzt sagen soll, beginnt sie schließlich Smalltalk. Erst über das perfekte Wetter für eine Kanutour, dann doch direkter auf mich bezogen, wie ich Marius kennengelernt habe, und so... Und kaum habe ich mich versehen, wird zur ersten Pause gerufen.

„Ich hoffe, die Frage von Emilie hat dich wirklich nicht gestört...“, meint Marius zu mir, als er unser Kanu am Steg vertäut.

„Quatsch! Wieso sollte es?“

Ein Zucken mit den Schultern. „Weiß nicht, könnte ja sein...“
 

Eine halbe Stunde später geht’s weiter. Die restliche, knapp dreistündige Fahrt vergeht schnell. Ich komme mit meinem voriger Retter Alexander ins Gespräch, während Marius und Julian vor uns herumalbern. Dies führt zu spritzendem Wasser und schließlich wieder zu einem kleinen Wettrennen. Ein schönes, befreiendes Gefühl...

Und dann kommen wir an unserem Nachtplatz an, einem kleinen Stück Wiese umgeben von Bäumen.

Es werden die Kanus an Land gezogen und dann die Zelte aufgebaut.

„Wow, das ist ja noch kleiner, als ich dachte...“, grinst Marius mich an, auch wenn er dabei fast ein wenig peinlich berührt klingt. „Ich hoffe, du hast keine Berührungsängste...“

„Das hättest du schon gemerkt...“ Auch ich muss grinsen, doch plötzlich spüre ich, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt und ich ihn nicht länger ansehen kann. Ich muss daran denken, wie er mich im Arm gehalten hat, als ich geweint habe... Wie peinlich!

„Stimmt...“ Er bohrt den letzten Hering in den Boden, steht dann auf und klopft sich die Knie ab. „Fertig!“

Ich sehe mich zu den anderen Zelten um. Alle stehen schon, nur Matthias und Helen werkeln noch herum und wirken weniger glücklich dabei.

Als sie es mit Michaels Hilfe auch endlich geschafft haben, finden wir uns alle irgendwo in der Mitte wieder. Alexander und Julian, Nadja und Peter, sowie Marius und ich werden zum Feuerholzsuchen eingeteilt.

Mit mittlerweile knurrenden Mägen marschieren wir los.
 

„Ich find es toll, dass du mitgekommen bist...“, meint Marius, nachdem er eine Weile lang einfach nur singend durch die Bäume gestreift ist und hier und da etwas aufgehoben hat.

„Ja...“ Ich fühle wie ich schon wieder ein wenig unsicher werde. „Schön, dass du mich gefragt hast!“

„Klar!“ Er grinst und fragt dann zögernd: „Wie geht es dir denn sonst so?“ Seinem Blick ist deutlich anzusehen, dass er sich nicht sicher ist, ob die Frage zu indiskret war.

„Ganz gut...“, erkläre ich. „Etwas Ablenkung tut wirklich gut.“

„Stimmt.“ Marius bleibt unvermittelt stehen, nachdem er einen weiteren Ast aufgehoben hat. Sein Blick trifft meinen. „Du wirst schon sehen... ein ganzes Wochenende mit mir kann dich nur auf andere Gedanken bringen...“

Ein weiteres breites Grinsen. Die Sonnenstrahlen fallen durch die Zweige auf sein Gesicht. Plötzlich sieht er wahnsinnig hübsch aus. Und ich weiß nichts zu sagen.

„Hey ihr zwei!“, ertönt es unerwartet zusammen mit knackenden Schritten hinter uns.

Ich entdecke Julian, als ich mich umdrehe, der beladen mit Feuerholz auf uns zukommt, hinter ihm Alexander.

„Na, aber sehr fleißig wart ihr nicht gerade...“, grinst Julian und stößt Marius von der Seite an. „Aber Nadja und Peter haben auch genug... lasst uns zurück gehen...“

Julian verwickelt Marius sogleich in ein Gespräch, als wir zurück gehen. Es geht um irgendetwas Technisches.

„Haben wir euch irgendwie gestört?“, fragt Alexander, der neben mir läuft. Überrascht sehe ich ihn an.

„Nein. Wie kommst du darauf?“

„Ich weiß nicht... Es wirkte irgendwie so als hättet ihr gerade über was wichtiges gesprochen...“ Er zuckt mit den Schultern und grinst.

„Nein, eigentlich nicht...“ Es stimmt, wir haben wirklich über nichts wichtiges gesprochen, und eigentlich bin ich sogar einen Moment lang froh gewesen, dass sie gekommen sind...

Ich schaue mich um zu Marius und Julian, wie sie lachend über irgendwas gestikulieren.

„Seit wann kennst du Marius?“, frage ich ein wenig leiser an Alexander gewandt.

„Seit knapp drei Jahren... kurz nachdem ich mit Julian zusammen kam...“

Einige Minuten laufen wir danach schweigend weiter, bis Alexander mich nach meiner Arbeit fragt und wir so ins Gespräch kommen. Bei den anderen schließlich angelangt, frage ich mich schon, wieso ich vorhin eigentlich nichts gesagt habe... Marius Worte waren nichts besonderes, haben mir fröhlich ein schönes Wochenende versprochen... und doch wusste ich nichts zu erwidern...

Es werden Kartoffeln und Fleischstücke aufgespießt und über dem Feuer gebraten, es wird viel gelacht und es fällt nicht schwer, sich darin einzugliedern. Nach einer Weile schon habe ich nicht mehr das Gefühl, ihnen allen ein Fremder zu sein. Es ist ein schönes Gefühl...

Und nur einmal kurz, als Nadja und Peter erzählen, dass sie jetzt endlich zusammenziehen wollen, muss ich an Fabian denken. Auch jetzt hätte ich ihn gerne bei mir...
 

Der Abend wird später und kühler und schnell verziehen sich die anderen in die Zelte. Marius und Julian bleiben sitzen, reden munter weiter.

„Wie wär’s? Wollen wir noch ein bisschen spazieren gehen?“, fragt Alexander mich. „Die beiden brauchen eh noch Stunden, bis sie sich voneinander trennen können... haben sich ja schon sooo lang nicht mehr gesehen...“

„Gerne.“

Alexander geht zu seinem Freund und legt die Arme um ihn. Sie küssen sich und in dem Moment beneide ich sie irgendwie. Marius’ und mein Blick treffen sich, ich spüre, wie ich rot werde.

Alexander und ich entfernen uns von der kleinen Stelle und verschwinden zwischen den Bäumen. Der Vollmond erhellt kleine Flecken zwischen den Schatten der Bäume und irgendwie ist es schon fast ein wenig unheimlich.

„Was hältst du von Marius?“, fragt Alexander, als wir ein paar Schritte gegangen sind. Seine Frage überrascht mich.

„Ähm... er ist nett... ich denke, ich mag ihn irgendwie...“ Ich finde nicht die richtigen Worte, die ich eigentlich sagen will. Wie beschreibt man dies winzige, schöne Gefühl, das ich in seiner Nähe habe?

„Marius war am Mittwoch bei uns...“ Alexander schweigt kurz, als wisse er nicht, wie weiterreden... und ich frage mich, was er damit sagen will. „Er erzählte, dass er am Wochenende jemanden kennengelernt hat... um ehrlich zu sein, ist das schon lange nicht mehr vorgekommen...“

„Was meinst du?“

Er seufzt. „Ach, ich weiß nicht, ob es richtig ist, dir solche Sachen zu sagen...“

Ich schweige. Was soll ich schon anderes tun?

„Hm...“, macht er, fährt sich nachdenklich durch die Haare... fährt aber letztendlich doch fort. „Es ist so, dass er vor etwas mehr als einem Jahr ziemlich von einem Kerl verarscht wurde... seitdem hatte er höchstens ein paar kurze Affären, wollte nie etwas festes...“ Er zuckt mit den Schultern und sieht mich an.

„Okay, und was hat das mit mir zu tun?“

„Na ja, irgendwie habe ich das Gefühl, dass es bei dir anders ist... so wie er von dir erzählt hat und auch, wie er dich ansieht...“

„Aber... wir kennen uns doch erst seit einer Woche... und was heißt schon kennen...“

„So was geht manchmal schneller, als man denkt, glaub mir... aber ich meine ja auch nicht, dass er in dich verliebt ist oder so... ich glaube einfach, dass es dazu kommen könnte... Und auch wenn ich jetzt wie ein großer Bruder klinge... ich will nicht, dass er noch mal so verletzt wird...“

Ich bleibe stehen, einfach weil ich mich gerade nicht fähig für einen weiteren Schritt fühle. Alexanders Worte überraschen mich... und sie gefallen mir nicht. Sie machen schon wieder alles so kompliziert...

„Ich habe nicht vor, ihn zu verletzten... ich hatte noch nicht einmal vor, überhaupt etwas mit ihm anzufangen... Ich mag Marius, aber nicht auf diese Weise...“

Alexander steht in einem schwachen Lichtfleck vor mir. Soweit ich es erraten kann, sieht er sehr nachdenklich aus. Glaubt er wirklich, dass Marius vielleicht mehr will? Verdammt, warum kann er so was nicht für sich behalten?

„Weiß du was, vergiss das Ganze am besten... vielleicht hätte ich so gar nicht erst anfangen sollen...“

„Okay...“, sage ich, obwohl uns wohl beiden klar ist, dass ich diese Gedanken nun nicht mehr so schnell aus meinem Kopf bekommen werde. Vielleicht wollte Alexander auch genau das...

„Ich kenne das Gefühl, auf diese Weise verletzt zu werden...“, sage ich unvermittelt, als wir wieder losgehen. „Mein Freund hat sich vor kurzem von mir getrennt...“

„Oh... das tut mir leid!“

„Schon okay. Ich denke, ich beginne ganz langsam mich damit abzufinden...“

„Hast du ihn geliebt?“

„Ja... sehr sogar... und ich vermisse ihn schrecklich...“

„Darf ich fragen, wieso?“

„Natürlich...“ Dennoch zögere ich einen Moment. „Weißt du... er war schon immer eigentlich mehr der Typ für Affären...“, beginne ich dann.
 

~ * ~
 

Knapp eine Stunde später kommen wir wieder bei unserem Lagerplatz an.

Ich habe Alexander mehr erzählt als ich wollte und danach erzählte er mir, wie er Julian kennenlernte, und dass er mit seinen Eltern noch immer deshalb zerstritten ist. Es hörte sich schön an, wie er seine Liebe zu Julian schilderte und ganz langsam bemerkte ich ein paar Dinge, die zwischen Fabian und mir schiefgelaufen sein könnten... zum Beispiel, dass wir fast nie miteinander über unsere Probleme sprachen.

„Scheint, als haben Marius und Julian auch aufgegeben...“, meint Alexander, als wir zum ausgebrannten Feuer zurückkommen. „Also dann, man sieht sich morgen... gute Nacht im Schlafsack!“ Er lacht und wir trennen uns an den Zelten.

Leise ziehe ich den Reißverschluss herunter und krabble ins Innere des Zeltes, so vorsichtig wie möglich, um einen eventuell schlafenden Marius nicht zu wecken.

„Da bist du ja...“, kommt es jedoch fast im selben Moment aus der Dunkelheit. Erschrocken fahre ich zusammen und dann geht auch noch das fahle Licht der Taschenlampe an.

„Du bist noch wach?“, frage ich mit der Hand vor den Augen.

„Wir sind erst vor ein paar Minuten in die Zelte...“ Er dreht den Lichtkegel der Taschenlampe weg von mir, so dass ich ihn nun gefahrlos ansehen kann. Er lächelt, wie immer...

Zögernd beginne ich mich auszuziehen, bis auf die Boxershorts. Ich habe das Gefühl, die ganze Zeit seine Blicke zu spüren, und ich muss daran denken, was Alexander gesagt hat. Kopfschüttelnd und frierend schlüpfe ich in den Schlafsack.

„Ich mag deine Freunde...“, spreche ich nach ein paar Minuten. Das Licht ist noch immer an. Marius hat sich mir zugedreht, allerdings mit geschlossenen Augen. Nun zieht er zufrieden die Mundwinkel in die Höhe.

„Das freut mich...“

Ich sehe ihn an und wir schweigen wieder. Ein paar der kurzen Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn und ich muss mich zusammenreißen, sie nicht von diesem Ort zu entfernen. Am liebsten würde ich meine Finger einfach danach ausstrecken.

Marius gähnt und rutscht ein bisschen im Schlafsack herum. Warum macht er die Lampe nicht aus? Doch auch ich mache keine Anstalten, dies zu ändern. Der matte Schein wirft Schatten in Marius Augenhöhlen und neben seine Nase. Ich habe das Gefühl ihn noch stundenlang einfach nur ansehen zu können. Ich weiß nicht einmal wieso.
 

END – PART 3
 

zur kleinen Erinnerung:

Julian & Alexander sind die Hauptcharas aus meiner Story "Such Dich in mir"...

wer also mehr über sie wissen will, einfach mal da schauen ^__~

(PS: ist aber schon etwas älter die Story XD)

'Cause sometimes...

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich sehe, ist die blaue, durchhellte Wand des Zeltes. Es ist schon wieder morgen...

Ich drehe mich um, der Schlafsack neben mir ist leer. Von draußen dringen ein paar Stimmen an mein Ohr. Eigentlich... habe ich noch überhaupt keine Lust, aufzustehen...

Es vergehen ein paar Minuten, in denen ich einfach nur mit geschlossenen Augen daliege und an nichts denke, als vorsichtig der Reißverschluss heruntergezogen wird, kurz darauf wieder hinauf. Ein paar raschelnde Geräusche, dann wieder Stille, nur der Atem einer anderen Person.

Eigentlich will ich meine Augen öffnen, doch irgendwie tue ich es nicht. Am liebsten würde ich wieder einschlafen. Ich kann mich schwach dran erinnern, dass ich noch eine ganze Weile lang Marius angeschaut habe...

Eine Berührung lässt mich erstarren, bevor ich auch nur die Möglichkeit habe, mein Wachsein kund zu tun, doch das winzige Zucken durch meinen Körper scheint es ihm auch so zu verraten. Der Finger, der sich soeben sanft auf meine Unterlippe gelegt hat, verschwindet wieder.

„Bist du wach?“, ganz leise, flüsternd.

Ich nicke, warte einen Moment und öffne dann meine Augen. Marius Blick trifft meinen. Sind seine Wangen tatsächlich etwas röter als sonst, oder bilde ich mir das ein?

„Komm, aufstehen... Es gibt Frühstück!“ Ein übliches Grinsen, dann krabbelt er wieder aus dem Zelt.
 

Der Tag verläuft ein bisschen merkwürdig. Zwar ist es die ganze Zeit lustig und ich lache viel, doch irgendwie spüre ich eine gewisse Distanz, mit der Marius mich behandelt... oder ich bilde es mir einfach ein.

Er unterhält sich die meisten Zeit mit Julian, was bewirkt, dass ich meine Aufmerksamkeit auf Alexander richte, der ebenfalls im Kanu neben uns herpaddelt. Wie unterhalten uns über eine Menge verschiedener Dinge und irgendwie bin ich froh, dass er da ist... Marius ging mir schon heute morgen beim Frühstück aus dem Weg, wenn ich jetzt niemandem zum Reden hätte, käme ich mir reichlich beschissen vor.
 

Trotz der ganzen Gedanken, die ich mir mache, geht der Tag sehr schnell vorbei, und kaum habe ich mich versehen, kommen wir wieder an einer Wiese an, wo wir beschließen, die Nacht zu verbringen.

Müder als am Vortag, schaffen wir es diesmal aber schneller das Zelt zum Stehen zu bekommen und lassen uns an den Holzscheiten nieder.

Marius streckt sich neben mir im Gras aus und schließt die Augen. Er gähnt. Ich sehe zu den anderen, die noch an den Zelten sich. Emilie und Nadja kümmern sich derweil ums Essen.

Ich stütze mein Kinn auf die Knie und starre auf das splitternde Holz. Ich würde so gerne mit Marius reden... doch ich weiß nicht über was... während ich mit Alexander über alles Mögliche gequatscht habe, gibt es hier plötzlich eine kleine Barriere. Unwillkürlich muss ich wieder an heute Morgen denken. Die Geste war so zart... Ich würde gerne wissen, wieso er es getan hat... doch er scheint genau davor Angst zu haben.

Mein Blick fällt auf sein nun friedliches Gesicht.

Irgendwie bin ich plötzlich froh, trotz allem jetzt hier zu sein.
 

~ * ~
 

„Sag mal, Kai...“

Es ist später im Zelt, als er mich endlich wieder direkt anspricht. Die ganzen letzten Stunden hat er mit allen anderen geredet, nur mich dabei ein bisschen außen vor gelassen. Irgendwann kam ich mir doof vor, doch zum Glück war er der Einzige, der das tat...

„Ja?“

„Heute Morgen...“ Er druckst ein wenig herum, kratzt sich am Kopf und wirkt verlegen. Ich setze mich im Schlafsack auf, tue wahrscheinlich schwer daran, meine Überraschung zu verbergen. Dass er es von alleine anspricht... hätte ich nicht gedacht.

„Du warst schon wach, oder?“

„Ja...“

„Okay...“

Stille. Er wird rot, ein klein wenig. Vielleicht hätte ich lügen sollen, vortäuschen, ich habe die Berührung nicht mitbekommen... Das würde ihm besser tun, sicherlich, aber irgendwie kann ich ihn gerade nicht anlügen. Ich würde so gerne den Grund kennen, immerhin hat er mich deswegen heute so merkwürdig behandelt...

„Es tut mir leid, dass ich...“ Er zuckt mit den Schultern, grinst mich fast nervös an.

Ich reagiere nicht darauf, erwidere einfach nur seinen Blick. Was soll ich schon sagen? Dass es mich gestört hat? Immerhin ist dies nicht wirklich der Fall.

„Du musst nicht denken, dass ich was von dir will... nun ja... es ist nur, dass... ich...“ Seine Finger spielen mit dem Stoff des Schlafsackes. Es raschelt. „Es ist nur... ich würde...“ Er nimmt die Hände zurück. Vielleicht nervt ihn das Geräusch. Dann rückt er ein winziges Stück näher zu mir. „Ich würde dich gerne küssen.“

Plötzlich habe ich das Gefühl, das Blut in meinen Ohren rauschen zu hören. Mein Herz rast ganz merkwürdig, während ich schwer daran tue, ihn weiterhin anzusehen.

Hat er das jetzt tatsächlich gesagt?

Doch noch sprachloser als das, machen mich die Worte, die danach folgen: „Darf ich es tun?“

„Ja“, hauche ich ohne darüber nachzudenken und frage mich gleichzeitig, ob er das geflüsterte Wort überhaupt hören konnte.

Scheinbar schon, denn sogleich rutscht er noch etwas näher. Als er die Hand nach mir ausstreckt, ohne mich aber letztendlich zu berühren, frage ich mich, weshalb ich überhaupt zugestimmt habe.

Mache ich ihm damit nicht falsche Hoffnungen?

Marius lässt die Hand wieder sinken, sein Atem streicht über meine Lippen, heiß und angenehm... und dann wird er von etwas weicherem abgelöst.

Ganz sanft drückt er seine Lippen auf meine, nicht sehr energisch, vielleicht um mir Freiraum zu lassen. Erst als er merkt, dass ich mich nicht wehre, verstärkt er den Druck ein wenig, und dann berührt auch seine Hand meinen Nacken. Er zieht mich zu sich und intensiviert den Kuss, lässt seine Zunge zwischen meine Lippen gleiten. Ein Schauer durchläuft mich, als ich diese ganzen Berührungen schließlich erwidere.
 

Als der Kuss vorbei ist, weiß ich nicht wirklich, was ich sagen soll. Einen Moment lang lasse ich meine Augen geschlossen, hoffe sogar irgendwie, er würde mich noch mal küssen. Doch dies geschieht nicht. Gar nichts geschieht.

Langsam öffne ich meine Augen. Marius Kopf ist gesenkt, seine Wangen glühen.

Oh Gott, was soll ich denn jetzt tun? Ich hasse solch peinliche Situationen!

Was wohl in ihm vorgeht?

„Es war... schön...“, sage ich, nachdem ich ihn noch lange einfach nur beobachtet habe.

Bei meinen Worten fährt sein Kopf sofort in die Höhe. Sein Blick ist zwar irgendwie ungläubig, aber ein bisschen auch erfreut.

Seine Lippen öffnen sich und er scheint etwas sagen zu wollen, wartet jedoch einen ganzen Moment, bevor er es tut. „Lass uns schlafen...“, spricht er dann. „Das wird besser sein...“

„Für wen?“

„Für mich.“

Damit erlischt das Licht der Taschenlampe und ich kann ihn nicht mehr sehen. Es raschelt und wird wieder still. Er meint es ernst...

Ich ziehe mir das Hemd aus und lege mich ebenfalls hin.

Und dann schlafen wir...

Oder wir versuchen es...

Mir gelingt es nicht. Ich habe noch immer das Gefühl seiner Lippen auf meinen...

Ich mag es...

Aber wieso?
 

~ * ~
 

„Ich... ich habe da jemanden kennengelernt...“

Meine Beine zitterten. Am liebsten wollte ich heulen, bei seinen Worten... wie konnte er mir jetzt so plötzlich so etwas sagen?

„Wie- Wie bitte?“, fragte ich ungläubig.

„Ich kenne ihn noch nicht lange... drei Wochen oder so... Er...“

„WAS?“, platzte es aus mir heraus. „Du betrügst mich und wagst es dann, ganz in Ruhe mit mir Schluss zu machen?“

„Warte Kai!“ Er erhob sich vom Sofa, kam mir näher. „Ich habe dich nicht betrogen!“

„Ja sicher! Du SCHWEIN!“

„Nein! Glaub mir! Ich hab nichts mit ihm!“

„Aber du hast dich in ihn verliebt!“

„Nein!“

„Und wieso... wieso...“ Ich zitterte wie Espenlaub, konnte meinen Körper nicht mehr kontrollieren.

„Wir haben uns nur zwei Mal geküsst... Ich hab gemerkt, wie sehr es mir gefällt... dass ich...“

„STOP!“ Ich wollte nicht mehr hören.

„Kai...“, versuchte er es zärtlich.

„Nein! Halt die Klappe! Verschwinde! Raus!“ Tränen liefen meine Wangen hinab. Energisch schob ich ihn Richtung Tür. „Ich will dich nicht mehr sehen!“

„Kai... ich“

„Nein.“

„Kai...“

„NEIN!“

Damit knallte ich die Tür ins Schloss und presste mir im selben Moment die Hände an die Ohren. Ich wollte ihn nicht mehr hören, ich wollte gar nichts mehr hören.

Unter seinen jetzt leiseren Bitten mich wieder reinzulassen, sank ich zu Boden, an der Wand neben der Tür. Ich schlang die Arme um meinen Kopf und vergrub mich in mir selbst... Und die Tränen flossen in Strömen.

Die Geräusche vor der Tür verschwanden nach viel zu schneller Zeit, was mich noch mehr heulen ließ. Ich schleppte mich ins Bett und vergrub mich in den Kissen.

Hatte ich schon jemals in meinem Leben so erbärmlich geweint?

Fast war es mir vor mir selbst peinlich.
 

Ich schlief ein... und wachte wieder auf. Erst begriff ich gar nicht, was passiert war... Ein Traum, war es nicht nur ein Traum? ... Doch nachdem ich ein Weile still dagelegen hatte und darüber nachdachte, die Tränen wie von selbst wieder kamen, war mir klar, dass es kein Traum war.

Ich kämpfte mich aus dem Bett und unter die Dusche. Ich musste zur Arbeit... ich wollte nicht... ich wollte nicht... Und nach vielen stillen Minuten am Küchentisch, bei einer heißen Tasse Kaffee, an der ich mir den Mund verbrannte, rief ich im Büro an und meldete mich krank.

Danach saß ich lange da... viel zu lange... viel zu erbärmlich... ich starrte das schnurlose Telefon an und ging mit meinen Augen immer wieder seine Handynummer ab... Als ich schließlich jedoch jemanden anrief, war es Susanne.

Sie hatte natürlich keine Zeit... hätte ich mir denken können, um 11 Uhr morgens... doch da sie sofort hörte, dass etwas nicht stimmte, versprach sie, so schnell es ging zu kommen... Auf ihre Fragen, was wäre, antwortete ich nicht und legte stattdessen schnell auf... Mein Kopf dröhnte...

Nach vielen weiteren Stunden kam Susanne schließlich vorbei... Ich begann schon wieder elendig zu heulen, als ich ihr das Ganze erzählte, und sie schaffte es nicht, mich zu beruhigen...

Am Abend, als wir zusammen auf dem Sofa saßen und sie mich endlich überredet hatte, irgendeinen Film zu gucken, klingelte es... Susanne öffnete und es war Fabian...
 

Irgendetwas lässt mich auffahren. Erschrocken und am ganzen Körper zitternd schaue ich mich um. Tiefste Finsternis... Das Zelt... Ein Traum... schon wieder...

Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht. Schweiß.... aber keine Tränen diesmal. Ein Glück.

Zögernd lasse ich mich wieder in den Schlafsack sinken.

Wieso muss ich bloß immer wieder von Fabian träumen? Dabei habe ich heute so wenig an ihn gedacht...

Diesmal ist es eine Berührung, die mich zusammenzucken lässt. Eine Hand an meiner. Fabian...

Nein...

Marius.

Es dauert einen Moment, bis ich bereit bin, die Berührung zu erwidern, schließe dann aber meine Finger ganz fest um seine. Seine Wärme...

Ja, das ist genau das, was ich jetzt brauche.

Ich bin nicht allein... und plötzlich tut das unheimlich gut.
 

~ * ~
 

Der nächste Tag verläuft zum Glück anders als der vorherige, wenn auch nicht minder merkwürdig. Marius ist wahnsinnig gut drauf, lacht noch mehr als sonst und redet allerhand Mist. Denkt er, so würde ich den Kuss vergessen? Weiß er nicht wie eigenartig er sich verhält?

Aber zum Glück ignoriert er mich heute nicht, redet sogar sehr viel belangloses Zeug mit mir und scheint hyperenergen im Kanu zu sein. Eigentlich macht es ziemlich Spaß, auch wenn es genauso seltsam ist...

Schließlich dort angekommen, wo wir zwei Tage zuvor aufgebrochen sind, verabschieden wir uns von den anderen. Alexander lädt uns fürs nächste Wochenende zu sich und Julian ein.
 

Knapp eine halbe Stunde später kommen wir bei Marius Zuhause an. Nachdem das Kanu verstaut ist, bleibe ich unschlüssig stehen. Auch wenn eine Menge Arbeit auf mich wartet, habe ich dennoch keine Lust zu gehen.

Und auch Marius scheint mich noch nicht loswerden zu wollen.

„Willst du noch... was trinken?“

Ich stimme zu und wir gehen in die Küche. Ich beobachte ihn, wie er Gläser und Getränke holt, dann wieder an mir vorbei zum Wohnzimmer geht. Schon seit wir hier sind, scheint seine gesamte Energie verrauscht zu sein. Denkt er eigentlich wirklich, dass ich das Alles nicht bemerke?

Auf dem Sofa lassen wir uns nebeneinander nieder. Er schenkt uns etwas ein und reicht mir ein Glas. Stille... und er starrt den Saft an.

„Kai...“, beginnt er schließlich, und stellt das Glas zurück auf den Tisch. Seine Stimme ist ernst. „Ich wollte mich schon die ganze Zeit bei dir entschuldigen.“

„Wofür?“

„Na für den Kuss“ Er dreht mir den Kopf zu und wir sehen einander in die Augen.

„Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen... Erstens war es nur ein Kuss... und zweitens gefiel er mir ja auch...“

„Wirklich?“

Ich nicke. Ein Lächeln huscht über seine Lippen.

„Das solltest du nicht sagen, sonst will ich es wieder tun...“

„Dann tu es wieder.“

Seine Augen weiten sich, über die Worte, die mich selbst überraschen. Ob ich rot bin? Ich fühle mich, als würde ich in Flammen stehen...

Warum sage ich so etwas?

„Ich... Kai... das...“ Er rückt ein Stück näher zu mir. Unsere Beine berühren sich fast. Dann legt er die Hand auf die Sofalehne und beugt sich mir entgegen.

Zu dem Kuss kommt es nicht, denn plötzlich klingelt das Telefon... Fast wie in einem dieser dämlichen Hollywoodfilme, wo der Regisseur nicht will, dass sie sich küssen....

Sofort springt Marius auf und geht dran. Nur langsam lässt mein Herzklopfen wieder nach.
 

END – PART 4

...even if we part...

Susanne will vom Wochenende erzählt bekommen, doch ich halte mich kurz. Nichts besonderes sei passiert, versichere ich ihr und komme mir schon irgendwie schlecht vor, weil ich sie anlüge. Aber im Moment kann ich das noch nicht erzählen... Im Moment geht mir noch zu viel durch den Kopf, muss ich es erst mal selbst verstehen.

Kurz danach telefoniere ich mit meiner Mutter. Sie fragt mich, wie es mir geht... ob es was neues von Fabian gibt. Als ich ihr von der Trennung erzählte, war sie ziemlich geschockt. Sie hat ihn sehr in ihr Herz geschlossen und er wurde mit der Zeit der perfekte Schwiegersohn für sie. Nun bei diesem Gespräch muss ich aufpassen, dass sie es nicht schafft, wieder Hoffnungen in mir zu entfachen, so gut wie sie über ihn spricht.

Am Ende verspreche ich ihr, bald mal wieder nach Hause zu kommen, und dann bin ich froh, als das Gespräch beendet ist.

Im nächsten Moment aber auch schon wieder nicht, denn als ich aufgelegt habe, wird es still um mich herum. Ich sollte arbeiten... ich sollte wirklich noch schnell etwas für morgen tun!

Als ich kurz darauf am Schreibtisch sitze und meine neuen eMails durchgehe, beginnt die Stille mich aufzufressen... und ehe ich mich versehe, springe ich in den Ordner, wo alle eMails von Fabian gespeichert sind... die vergangenen drei Jahre...

Ich lese erst irgendeine, dann eine andere, wild durcheinander... und schließlich eine nach der anderen... die letzten paar Wochen... es ist nichts besonderes, manchmal auch nur irgendwelche Einkaufslisten oder Terminänderungen, manchmal eine weitergeleitete Scherzmail... doch fast unter jeder steht ein Gruß von ihm, in dem er mir mitteilt, dass er mich liebt, vermisst, sich auf mich freut, es kaum noch erwarten kann, mich zu sehen... selbst dann noch, als nach meiner Rechnung ungefähr das Datum erreicht ist, an dem er diesen anderen Kerl kennenlernte...

„Ich hasse dich...“, flüstere ich und verschiebe den Ordner zu „Gelöschten Nachrichten“... wische mir die paar winzigen Tränen weg, stehe auf, schließe das Programm und will gerade in die Küche gehen, mir etwas zu trinken holen, als ich begreife, was ich da soeben getan habe...

Ein Satz und ich sitze wieder am PC, habe wieder Outlook geöffnet und sehe... nichts... der Ordner ist weg und auch „Gelöschten Nachrichten“ ist leer...

Ich habe ihn gelöscht.

Es ist ein Gefühl, als würde mir das Herz stehen bleiben... und dann im nächsten Moment herausgerissen. Das ist nicht wahr... das kann nicht wahr sein... das DARF nicht wahr sein...

Diese Erinnerungen... seine Worte... sie sind tatsächlich verschwunden, als hätten sie nie existiert.
 

~ * ~
 

Der folgende Montag verläuft äußerst chaotisch, was zum größten Teil wirklich meine Schuld ist.

Nachdem ich Fabians Mails unwiderruflich vernichtet hatte, konnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Lange saß ich noch fassungslos vorm Computer, bis ich es endlich schaffte, diesen herunterzufahren und mich zur Ablenkung vor den Fernseher zu begeben. Abgelenkt hat es mich nicht wirklich, aber wenigstens schlief ich nach unzähligen Selbstvorwürfen und Verwünschungen endlich ein. Prompt verschlief ich natürlich auch noch den nächsten Morgen und kam fast drei Stunden zu spät ins Büro. Das Chaos war perfekt, meine Mitarbeiterin gestresst und sauer, und ich eigentlich noch gar nicht bereit zum Arbeiten.
 

Doch selbst dieser Tag vergeht irgendwann und ich schaffe es, mein Büro mit einem etwas besseren Gefühl wieder zu verlassen. Die nötigsten Dinge sind erledigt...

Zuhause ist es wieder still, doch diesmal beschließe ich, mich nicht davon einnehmen zu lassen. Ich werfe meine Anlage an, ebenso wie den Herd. Ich habe schon ewig nichts mehr gekocht... es wird Zeit, das normale Leben wieder beginnen zu lassen...

Mit einem Teller voll Spaghetti mit Soße setze ich mich aufs Sofa, schalte die Anlage aus und den Fernseher an, verbringe den Abend mit einem Film, der schon von Anfang an dämlich war und bei dem man dennoch das Ende wissen will. Dieses enttäuscht, doch es stört mich nicht wirklich...

Erst als ich entschließe, mich ins Bett zu begeben, holen mich die Gedanken wieder ein... und zwar als ich auf der Suche nach meinem Wecker über irgendeine Rechnung stolpere... zwar an mich gerichtet, aber dennoch erinnert sie mich an etwas...

Morgen wollte Fabian kommen...

Lange starre ich den Wisch an, bevor ich ihn in einer Schublade im Schreibtisch verschwinden lasse. Morgen Abend wird zu guter letzt endlich über unsere Wohnung entschieden... Endlich?

Ich will es nicht... verdammt nein, ich will es wirklich nicht... damit wäre auch unsere letzte Verbindung gekappt, damit würde ich ihn endgültig verlieren...

Er würde mir keine neuen eMails mehr schreiben.
 

> „Hey! Du bist es!... Wie geht es dir?“

„Gut, und selbst?“

> „Alles im grünen Bereich... gibt es einen Grund warum du anrufst, oder wolltest du einfach meine tolle Stimme hören?“ Ein erfrischendes, beruhigendes Lachen...

Ich sollte es nicht tun... es ist gemein, ich sollte es wirklich nicht tun! Ich sollte ihn nicht ausnutzen... Ich...

„Sag mal, Marius, hast du morgen Abend Lust zum Essen vorbei zu kommen?“

> „Im Ernst? Klar, gerne!“

Ich lasse mich in meinen Sessel fallen...

Mist, hätte er nicht nein sagen können?

„Schön...“

„Wann soll ich da sein?“

Wir vereinbaren eine Uhrzeit und so schnell wie das Gespräch begonnen hat, ist es auch schon wieder vorbei...

Verdammt! Ich spinne doch!

Es war eine Kurzschlussreaktion... ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin, ausgerechnet ihn anzurufen... Wie ich überhaupt auf die dämliche Idee komme, morgen Abend noch jemanden einzuladen...

Ich sollte die Sache mit Fabian klären, mich nicht verstecken und dadurch sicherer fühlen, dass noch jemand da sein wird...

„Du bist so verdammt feige!“, spreche ich zu mir selbst und stehe wieder vom Sessel auf.

Einen Moment lang starre ich den Hörer in meiner Hand an, drücke sogar die Wahlwiederholung.... Ich könnte ihn noch mal anrufen und sagen, dass ich ja was anderes, wichtiges vor hätte... mich mit ihm für Mittwoch verabreden...

Ich könnte das tun... könnte fair sein....

Ich bin es nicht, lege den Hörer auf die Ladestation zurück.

Ich werde ihm morgen einfach von Anfang an sagen, was los ist... hoffentlich versteht er es...
 

~ * ~
 

Ich bin bereits am Kochen, als es an der Tür klingelt. Mein Herz setzt für eine Sekunde lang aus... es könnte auch Fabian sein... er hat nicht gesagt, wann genau er kommen wollte...

Zögernd wische ich mir die Hände ab und gehe Richtung Tür...

Augen zu und durch!

Als erstes blitzt mir eine Flasche Wein entgegen, als ich öffne, danach Marius strahlendes Lächeln... All meine Nervosität ist wie weggeblasen.

„Gott sei dank!“, flüstere ich und Marius sieht mich fragen an.

„Nichts, nichts... komm rein!“

Er folgt mir in die Küche und schnuppert.

„Wow! Was gibt es denn?“

„Ich hab mich für Lasagne entschieden... hoffe du magst sie...“

„Bestimmt!“ Marius geht vor dem Herd in die Knie. „Sieht spitze aus!“

Lächelnd nehme ich wieder mein Messer und den Salatkopf in die Hand.

„Und was wird das feines?“

„Salat a lá Kai?!” Ich muss grinsen, einfach weil Marius mich so fröhlich anlächelt.

Er bleibt neben mir stehen und beobachtet mich, schnappt sich hier und da ein Stück Paprika oder Karotte...

„Du siehst richtig professionell aus... wolltest du mal Koch werden, oder so?“, fragt er, an einem Salatblatt knabbernd.

„Nein, eigentlich nicht... ich hab aber schon immer gern gekocht...“

„Hm... ich schau eigentlich lieber dabei zu und nasche..“

„Das merkt man!“ Lachend schnappe ich mir das Stück Paprika aus seiner Hand und will es zurück in die Schüssel werfen.... Doch ehe ich mich versehe, geht mein Vorhaben schief und er hält meine Hand in seiner, zieht sie näher zu sich heran. Unsere Blicke treffen sich und wahrscheinlich erröte ich schon wieder...

„Ich weiß...“

Er fasst mit den Zähnen nach dem Stück Paprika, schließt die Lippen wieder und streift dabei sacht meine Fingerspitzen. Ein Kribbeln fährt durch meinen Körper.

„Ich...“ Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Noch immer verharrt sein Blick in meinen Augen... „Ich muss nach der Lasagne gucken!“

Schnell reiße ich mich los, lasse das Messer auf die Ablage fallen und spurte das kurze Stück zum Herd. Mein Herz rast.

Anders als erwartet, ist die Lasagne tatsächlich schon so gut wie fertig und so kommt mir meine Flucht nicht mehr ganz so peinlich und durchschaubar vor... auch wenn sie genau das war. Aber wieso macht er auch so etwas?

Gerade als ich mich wieder zu ihm umdrehen will, ihn bitten, doch mal den Wein zu öffnen, klingelt es an der Tür.

Mir fährt der Schreck in die Knochen.... und dann, nur einen Augenblick später, wird mir siedend heiß bewusst, dass ich Marius noch gar nichts von Fabians Kommen erzählt habe...

Verflucht!!

Ich lege das Messer mit zitternder Hand beiseite und versuche, Marius Blick auszuweichen. Schnell gehe ich an ihm vorbei zur Tür. Einen Moment bleibe ich unschlüssig vor dieser stehen, als ich auch Marius aus der Küche kommen höre.

Ich öffne die Tür... und er ist es, natürlich...

„Fabian...“, spreche ich leise.

„Hey...“, meint er lächelnd und es fährt mir ganz tief in den Bauch.

Meine Hand krallt sich an der Türklinke fest und ich spüre, wie fest mein Herz schlägt. Schmerzen, Wut.... und immer noch diese unendliche Liebe.

„K... Komm rein...“, sage ich und trete zur Seite, sehe mich zögernd um und treffe auf Marius fragenden Blick.

Es erschreckt mich... für einen Moment habe ich ihn vergessen.

Ich halte dem Blick nicht stand und sehe wieder Fabian an. Auch er hat nun Marius entdeckt und wirkt nicht minder verwundert, hält in seiner Bewegung inne.

„Das...“ Meine Stimme ist erschreckend dünn und ich räuspere mich. „Fabian, das ich Marius, Marius das ist-“

„Fabian.“ Marius Stimme klingt erschreckend kühl und sein Blick wird härter.

Mein Gott, ich hab sie doch nicht mehr alle, wieso konfrontier ich Marius mit meinem Exfreund?!

Stille hängt über uns und die Situation wird immer unangenehmer. Ich kralle mich noch immer an der Türklinke fest.

„Ich gehe dann wohl mal besser...“ Marius Augen sehen mich direkt an... Aber ich kann seinen Blick nicht deuten.

Wahrscheinlich denkt er noch, dass Fabians Auftauchen nur Zufall ist... ich sollte ihn gehen lassen, dann bleibt es auch dabei...

„Nein, bleiben Sie ruhig hier... Ich wollte Sie nicht vertreiben...“, meldet sich plötzlich Fabian zu Wort, als Marius sich seine Jacke geschnappt hat und an ihm vorbei zur Tür will.

„Ich denke nicht, dass das gut ist...“

Meine Finger lösen sich von der Türklinke und dann bekomme ich Marius Arm zu fassen. Ein überraschter und erschrockener Blick trifft mich.

„Bleib...“, sage ich. „Bitte...“

Und da klärt sich langsam das Unverständnis in seinen Augen. „So ist das also...“, flüstert er so leise, dass wahrscheinlich nur ich es hören kann, und dann dreht er sich um, geht ohne ein weiteres Wort zurück in die Küche.

Ich sehe ihm nach.

„Dein neuer Freund?“, kommt es neben mir.

„Nein!“ Erschrocken sehe ich Fabian an. Dieser grinst. „Nein... nur ein Bekannter...“

Mit jeder Sekunde komme ich mir gemeiner vor.

Es tut mir so leid, Marius!
 

Beim Essen habe ich das Gefühl, als würde die Lasagne gefrieren. Die Stimmung ist eisig und es wird sehr wenig gesprochen... das nötigste und ein paar Höflichkeiten. Immer wieder schiele ich zwischen den beiden hin und her. Marius sitzt da mit scheinbar riesigem Appetit, so als würde ihn die Situation nicht wirklich kratzen, doch ich bin mir sicher, durch diese Fassade blicken zu können. Er ist ziemlich sauer auf mich... und garantiert auch enttäuscht.

Was Fabian angeht, so habe ich hier größere Schwierigkeiten, ihn zu deuten, er wirkt freundlich und dennoch kühl, redet die meiste Zeit nur ein paar belanglose Dinge mit mir.

Ich für meinen Teil... fühle mich schrecklich und kann nicht sagen, woher dies eigentlich am meisten kommt...
 

„Das Essen war super!“, lobt Fabian, als ich die Teller abräume. „Wie immer!“

Ein Stich in meinen Magen.

„Ja, es war wirklich lecker...“ Marius Stimme klingt nicht nach seinen Worten.

Es fällt mir schwer, mich wieder umzudrehen.

„Ich hole die Unterlagen!“ Schnell verlasse ich die Küche. An meinem Schreibtisch bleibe ich für einen Moment stehen, stütze mich auf und versuche durchzuatmen, das beklemmende Gefühl loszuwerden...

Lass diesen Abend schnell vorbei gehen!
 

Das tut er wirklich... schneller als gedacht haben wir die Sache geregelt. Wie im Vertrag festgelegt, wird Fabian noch drei Monate lang seinen Teil der Miete tragen, danach gehört die Wohnung mir und ich kann entscheiden, ob ich die Kosten alleine übernehme oder umziehe... Sogar einen Kündigungsvertrag hat Fabian mitgebracht, damit die Sache schnellstmöglich durch ist... Meine Hand zittert, als ich das Dokument unterschreibe.
 

„Na dann... euch noch einen schönen Abend!“ Fabian wirkt zufrieden, als ich ihn zur Tür begleite. Er lächelt mich an.

„Ja... dir auch...“, sage ich und halte ihm die Tür auf.

„Man sieht sich...“

Ich nicke und er geht an mir vorbei. Sofort drücke ich die Tür hinter ihm zu. Dies lächelnde Gesicht hätte ich nicht eine Sekunde länger ertragen.

Mein Herz rast, als ich mich mit der Stirn gegen das kühle Holz der geschlossenen Tür lehne.

Das war es also?

War das das Ende?

Schritte hinter mir lassen mich realisieren, dass ich ja gar nicht allein bin... Nun nicht den Gefühlen nachgeben, Kai!

„Es tut mir leid...“, spreche ich leise, schaffe es aber nicht, mich umzudrehen. Einen Moment noch, bitte... „Ich hätte dir sagen sollen, dass er vorbei kommt...“

Mein Herz tut weh... schon wieder, viel zu sehr...

„Ja, das hättest du.“ Seine Stimme ist ruhig... ganz anders als erwartet... Komischerweise liegt kein Vorwurf darin. Schritte nähern sich mir. „Aber es ist okay...“

„Nein, ist es nicht... es...“ Der Kloß in meinem Hals wird stärker.

Kannst du nicht sauer sein? Das warst du doch die ganze Zeit! Kannst du mich jetzt nicht anschreien und mich von diesem verdammten Schmerz ablenken?

Ich schlucke, versuche das erdrückende Gefühl loszuwerden. Dreh dich um... lächle ihn an... es ist doch gar nichts passiert!

Es klappt nicht, egal wie sehr ich es versuche. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl seine Anwesenheit macht das alles gerade noch viel schlimmer.

„Ich...“

Eine Träne läuft über meine Wangen... und fast im selben Augenblick schlingen sich zwei Arme von hinten um mich.

„Lass mich...“ Erschrocken versuche ich ihn abzuschütteln, winde mich in seinen Armen, mit wenig Kraft und belegter Stimme. „Geh weg... sieh mich nicht an...“

Ich will deine Nähe nicht... nicht jetzt... es tut so sehr weh...

Ich wehre mich noch, als sich plötzlich eine Hand über meine Augen legt.

„Es ist okay... Ich sehe nichts...“

Da ist es aus mit meiner Gegenwehr. Ich lasse meine Arme sinken... einen Moment lang... dann kralle ich mich im Nächsten auch schon an seinem fest und kann ein lautes Schluchzen nicht mehr länger unterdrücken.

Marius Körper schmiegt sich gegen mich, sein Arm hält mich fest. Ich presse meine Hand gegen seine an meinen Augen und kann mit einem Mal einfach nicht mehr aufhören zu heulen.

Wann hört es bloß auf, so schrecklich weh zu tun?
 

Irgendwann, nach einer schier endlosen Zeit, lassen meine Tränen endlich nach. Noch immer stehen wir so da.

„Danke...“, flüstere ich, als ich meine Stimme wiederfinde.

Einen Moment zögere ich, dann drehe ich mich langsam zu ihm herum. Sein Blick ist liebevoll.

„Kein Problem...“

Ich betrachte Marius Gesicht, seine Wangen und die schöne Nase... die langen Wimpern, ein paar winzige Bartstoppeln und seine Lippen.

Fabian konnte so gut küssen. Es war so schön, wenn seine Lippen mich verwöhnten...

Ich weiß, dass auch Marius gut küsst...

Ich ziehe ihn an mich, ohne Vorwarnung, und drücke aus purem Affekt heraus meine Lippen auf seine. Sein Körper versteift sich einen Moment, dann versucht er mich wegzuschieben. Ich halte ihn fest, öffne meine Lippen und fordere mehr. Noch ein ganz kurzer Widerstand, dann hören die Abwehrversuche auf und er erwidert den Kuss.

Nur ein paar Augenblicke später, ehe ich mich versehe, finden wir uns in meinem Zimmer wieder. Ich drücke Marius aufs Bett hinunter und löse den Kuss... Er streckt sich und ich ziehe ihm das Hemd über den Kopf... auch meines folgt kurz darauf... Ich lasse meine Lippen an seinem Hals hinabwandern bis zu seinen Brustwarzen... spüre, wie mir immer heißer wird, wie mein Körper immer mehr nach seiner warmen Haut, nach ihm verlangt...

Doch gerade als ich meine Finger an seinen Hosenbund legen will, greifen zwei Hände nach meinen Schultern. „Wir sollten das nicht tun.“ Marius schiebt mich von sich und setzt sich auf.

„Doch, sollten wir...“

„Nein! Sollten wir nicht!“ Seine Arme schlingen sich um mich. „Hör auf damit, Kai...“

Stille, einen ganzen Moment lang. Ich spüre meine Finger zittern, als ich meine Hände hebe und sie auf seinen nackten Rücken lege, mich im nächsten Augenblick daran festklammere, meine Lippen in seine Halsbeuge presse. Dies Verlangen in mir... spürst du es nicht?

„Hör mir zu, Kai...“ Seine Hand streicht durch meine Haare. „Ich halte dich fest solange du willst, aber DAS sollten wir nicht tun...“

Wärme... in seinen Worte... und durch seinen Körper...

Ich will mehr... ich brauche mehr... ich...

Mit einem Mal fühle ich mich schläfrig.

Ich drücke mich fester gegen ihn und wir sinken auf die Matratze zurück.

Und ganz langsam lässt alles nach... Das Verlangen und der Schmerz in meinem Inneren... Das Gefühl, denken zu können...
 

~ * ~
 

Wach werde ich durch ein dumpfes Geräusch und ein anschließendes Fluchen. Gähnend öffne ich meine Augen.

„Mist... ich wollte dich nicht wecken!“

„Mhm... Und wieso bist du schon wach?“, verdutzt setze ich mich auf.

„Es ist schon nach halb Sieben... Ich muss zwar erst um Acht zur Arbeit, aber vorher muss ich noch mal nach Hause und was holen...“

Er nimmt seine Armbanduhr vom Nachtschrank.

„Also dann...“ Er hebt die Hand zum Gruß.

„Marius!“, halte ich ihn auf.

„Ja?“

„Meld dich, okay?“

Überrascht sieht er mich an. „Klar, aber wieso tust du-“

„Ich hab viel zu tun in den nächsten Tagen... ich möchte nicht riskieren, es zu vergessen...“

Und ich möchte dich sehen...

„Okay, ich ruf dich an!“

Als er weg ist, stehe ich auf und gehe duschen. Das heiße Wasser läuft an mir hinab und ich muss an die letzte Nacht denken... an Marius’ Umarmung. Es hat gut getan... Es war so ungewohnt beruhigend...

Nach der Dusche gehe ich wieder ins Schlafzimmer und ziehe mich an. Die Uhr zeigt fünf nach Sieben. Noch viel zu früh... noch eine ganze Stunde... und ich bin hellwach.

Noch während ich mich frage, wann ich das letzte Mal so gut und erholsam geschlafen habe, stelle ich Kaffee auf und beginne dann, ein bisschen aufzuräumen und mein Bett zu machen. Irgendwann halte ich einen ganzen Moment lang inne.

Das Piepen aus der Küche lässt mich zusammenzucken. Das Kissen in meinen Händen fällt zu Boden. Erst da wird mir klar, was ich getan habe... Nachdenklich hebe ich es auf und lege es aufs Bett zurück, gehe dann in die Küche.

Warum habe ich das getan?

Und warum ist mir gestern nicht aufgefallen, wie gut Marius roch? Der Duft war dem von Fabian ähnlich... und doch mit einer ganz eigenen, unverkennbaren Note.
 

END – PART 5

...couldn’t it only just start...

Ich glaube noch schlimmer als sich ständig über die Gefühle von anderen Leuten Gedanken zu machen, ist es, wenn man immer und immer wieder über seine eigenen Gefühle nachdenkt, weil man einfach keine Ahnung hat, wie man sie deuten soll. So geht es mir nämlich, seit ich beschlossen habe, einfach mal etwas früher zur Arbeit zu gehen, um mich abzulenken.

Nun frage ich mich jedoch: ablenken wovon?

Zum einen natürlich Fabian... unser Schlussstrich und die damit verbundenen Schmerzen in mir...

Doch da gibt es auch noch etwas anderes, was ich erst in dem Moment festgestellt habe, als mir bewusst wurde, dass ich an dem Kissen roch, auf dem Marius geschlafen hatte.

Was um Himmels Willen ist los mit mir?

Kann es wirklich sein, dass ich etwas für Marius empfinde... ich meine, etwas anderes als nur bloße Freundschaft?

Aber wie lässt sich das mit meiner Liebe zu Fabian vereinbaren?

Wir sind doch noch nicht mal einen Monat lang getrennt, wie kann es da sein, dass ich mich... so zu Marius hingezogen fühle?

Denn nichts anderes ist es, das wird mir immer klarer, je länger ich darüber nachdenke.

Nein, ich bin nicht verliebt in Marius, aber ich habe ihn gern... so gern, dass ich mich tatsächlich ein wenig zu sehr darauf freue, ihn wiederzusehen... so gern, dass ich mir fast schon erhoffe, dass es wieder zu einem Kuss kommt.

Aber das kann doch nicht sein. Nie zuvor, seit ich Fabian liebe, ist derartiges mit mir passiert... dabei habe ich so viele nette Menschen kennengelernt, dabei habe ich auch hier und da ein eindeutiges Angebot bekommen...

Wieso also kann es jetzt so plötzlich sein, dass ich tatsächlich so sehr auf Marius freue?
 

„Ganz klar, du bist verliebt!“, ist Susannes erste Reaktion, als ich ihr bei unserem Treffen am Abend von meinen Gedanken erzähle, doch sofort schüttle ich energisch den Kopf.

„Das stimmt nicht! Ich liebe ihn nicht!“

„Das habe ich auch nicht behauptet.“ Sie zwinkert mir vielsagend zu. „Es gibt einen großen Unterschied zwischen Lieben und Verliebtsein.“

„Und der wäre?“

„Keine Ahnung.“ Ein Lachen. „Aber er ist da, ganz sicher.“

Sie steht auf, geht in die Küche und kommt kurz darauf mit zwei Schüsseln dampfender Tomatensuppe zurück, setzt sich wieder neben mich und reicht mir das heiße Geschirrstück.

„Ich kann aber nicht in ihn verliebt sein!“

„Wieso nicht?“

„Weil ich nur Fabian liebe, weil ich keinen anderen will als ihn.“

„Aber du magst es, wenn Marius dich küsst, dich berührt... und so weiter...“

„Nichts und so weiter! Ich will nicht mit ihm schlafen!“

„Willst du nicht?“

„Nein...“

„Nein?“

„Nein! Verdammt Susanne!“

Lachend stellt sie die Schüssel beiseite, klopft mir auf die Schulter. „Schon gut... trotzdem glaube ich, dass du es tun würdest...“

„Ich-“

Ihre Hand auf meinen Mund hält mich vom Weitersprechen ab... und dann ist sie ganz nah... ganz nah an meinen Lippen. Sofort drücke ich sie erschrocken von mir.

„Susi?!“

Ihr Lachen wird lauter... und irgendwie fühle ich mich ausgelacht, beschämt...

„Hör auf damit!“, fauche ich und tatsächlich reißt sie sich zusammen.

„Merkst du nun den Unterschied?“

„Du bist eine Frau, das gilt nicht!“

Ein Kopfschütteln. „Nein... das hat damit nichts zu tun. Du willst nicht, dass ich dich küsse, weil ich einfach nur eine Freundin für dich bin, weil du nichts fühlst, außer das.“ Sie kriecht auf ihre Sofaseite zurück, greift wieder nach ihrer Schüssel. „Überleg doch mal, Kai. Du freust dich auch, wenn wir uns sehen, aber ist es wirklich das Selbe wie wenn ich dir jetzt sagen würde, dass du auf dem Heimweg Marius begegnest?“

„Natür-“

Diesmal unterbreche ich mich selbst. Wirklich? Wäre es wirklich das Selbe? Würde mein Herz nicht ein klein wenig schneller rasen bei dem Gedanken, Marius zu sehen?

Doch, würde es.

„Trotzdem bin ich nicht verliebt!“

„Na gut, wenn du meinst...“ Ein sanftes, verständnisvolles Lächeln ziert ihre Lippen. „Du solltest aber auf jeden Fall darüber nachdenken, wie du nun mit ihm umgehst. Wenn du ihn wieder küsst, machst du ihm nur falsche Hoffnungen...“

„Ich weiß...“ Resignierend senke ich meinen Blick auf die rote Suppe.

„Na dann ist ja gut...“
 

~ * ~
 

Die letzten drei Werktage dieser Woche verlaufen ziemlich unspektakulär. Ich denke viel nach, schaffe es aber dennoch überraschend gut, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Von Fabian höre ich nichts mehr – Natürlich...

Und auch die Verbindung in Richtung Marius bleibt ruhig... was mich hingegen schon ein wenig mehr... überrascht. Na ja, vielleicht ist überrascht auch das falsche Wort... enttäuscht trifft es schlimmer Weise wohl eher.
 

Am Freitagabend, als ich gerade darüber nachdenke, was ich wohl am Wochenende machen könnte, ist es, dass mir die Einladung von Alexander und Julian wieder einfällt. Die hätte ich tatsächlich fast vergessen!

Unschlüssig überlege ich hin und her, ehe ich mich dann doch dazu entscheide, Marius anzurufen.

Ironischerweise freut es mich ziemlich, dass ich plötzlich einen Vorwand gefunden habe, um mit ihm zu sprechen...

Zögernd wähl ich die Nummer, versuche zu unterdrücken, dass ich irgendwie nervös bin.

> „Ja?“, meldet sich nach viermaligen Tuten seine Stimme am Apparat.

„Hi...“, sage ich nur, während mein Herz einen kleinen Hüpfer macht.

„Ganz klar, du bist verliebt!“

Quatsch!

> „Ach, hallo Kai!“, kommt es fröhlich zurück. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Du hast nicht angerufen...“

FALSCH! Schockiert starre ich in mein imaginäres Spiegelbild, das mir die Zunge hinstreckt. Ganz und vollkommen falsch! Das wollte ich doch überhaupt nicht sagen! Ich wollte dich doch nur auf unsere Verabredung hinweisen!

„Ich meine-“

> „Tut mir leid“, unterbricht er mich, „Ich hatte sehr viel zu tun in den letzten Tagen... ich hätte dich aber sicher Morgen früh angerufen... immerhin haben wir ja eine Verabredung.“

Ach, und nur deswegen hättest du angerufen?

Zum Glück schaffe ich es diesmal, mir diese Aussage zu verkneifen.

„Ist ja... auch kein Problem...“, versuche ich meinen bescheuerten Vorwurf wieder gutzumachen. „Das ist auch der eigentliche Grund, weshalb ich anrufe...“
 

Nachdem nun also der dämliche Grund für unser Gespräch feststeht, schaffen wir es, ganz normal miteinander zu kommunizieren. Mir machen aus, dass er mich morgen Abend abholt, da ich, wie er sagt, näher an der gemeinsamen Wohnung von Alexander und Julian wohne... Und danach schaffen wir es auch, ganz normal miteinander zu reden, allerdings nicht besonders lange... und so bin ich schon irgendwie enttäuscht, als das Telefonat knapp zwanzig Minuten später auch schon wieder beendet ist.
 

~ * ~
 

Am Samstagabend freue ich mich seit Ewigkeit mal wieder richtig darüber, keine Frau zu sein... Wie sonst würden wohl die zwei Stunden ausfallen, in denen ich darauf warte, dass Marius bei mir auftaucht. Wie viele verschieden Kleidungskombinationen ich dann wohl durch hätte, wo ich doch jetzt schon auf gut Zehn komme.

„Hilfe!“, stöhne ich, als ich mich gegen halb Acht endlich dazu bringen kann, dem Sofa einen Besuch abzustatten. Nur noch eine halbe Stunde... und ich bin tatsächlich nervös.

Kann das bitte endlich wieder aufhören? Ich bin grad echt nicht für dieses Gefühlchaos zu haben! Ich liebe Fabian, wieso also freue ich mich so auf Marius?

„Ich bin nicht verliebt!“

Nein, Himmelherrgott, das bin ich wirklich nicht!

Aber wieso freue ich mich dann so unheimlich, als es eine halbe Stunde später endlich an der Tür klingelt?
 

Die Wohnung von Alexander und Julian ist der reinste Wahnsinn. Sprachlos bleibe ich bereits im großen und hellen Flur stehen, werde von allen drein irritiert angesehen.

Meine Augen wandern herum, erhaschen einen Blick in ein großes Schlafzimmer, in dem ein riesiges Bett steht, mit einem großen Bild in schwarzweiß darüber.

Ich reiße mich schwer wieder los und folge den Gastgebern ins Wohn- und Esszimmer. Auch hier komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auf dem hellen Parkettboden steht eine dunkelbraune Ledercoach und ein passender Sessel, zudem ein hölzerner Esstisch, eine Vitrine, ein Klavier und noch ein paar andere Dinge. Und überall hängen Bilder, aber nicht zu viele, sondern genau richtig, dass es schön stimmungsvoll wirkt.

„Ich bin begeistert!“, spreche ich meine Sprachlosigkeit aus, sehe zwischen den beiden Männern hin und her.

Während Alexander eher verlegen wirkt, grinst Julian mich an.

„Das freut mich...“, lächelt er. „Es war ziemlich schwer, das alles so hinzubekommen...“

„Wieso?“

„Weil wir beide ganz andere Vorstellungen hatten...“

„Ja, Julian wollte mich zum Beispiel zu bunten Tapeten überreden...“, meldet sich nun auch Alexander zu Wort, wirft seinem Freund einen fast strafenden Blick zu.

„Ist ja schon gut, ich weiß ja, dass es so besser aussieht...“, grinst dieser schelmisch zurück und verkündet dann, dass er das Essen holen geht.

„Setzt euch...“, deutet Alexander auf die schwarzen Stühle.

„Danke.“ Ich tue wie mir geheißen. „Wie lange wohnt ihr denn schon hier?“

„Seit etwas mehr als zwei Jahren...“ Alexander lässt sich mir gegenüber nieder. „Du musst wissen... auch wenn man es nicht denkt, ist Julian ein ziemliches Gewohnheitstier... es fiel ihm ziemlich schwer, aus seiner WG auszuziehen...“

„Und weil er nicht dort einziehen wollte, musste ich immer wieder Liebesentzug ertragen...“, fügt Julian hinzu, der gerade zwei große Schüsseln hereinträgt.

„Gott, da kann ich mich auch noch bestens dran erinnern!“, lacht nun auch Marius und schüttelt den Kopf. „Es war ein richtig kleines Liebesdrama...“

„Du sei still!“, droht Julian mit einem Kochlöffel... und plötzlich muss ich lachen, einfach so. Ich fühle mich toll, vielleicht liegt es daran. Ich fühle mich einfach nur total befreit und die Stimmung ist schon jetzt wahnsinnig vielversprechend. Es wird bestimmt ein toller Abend!
 

Nach einem wunderbaren Essen, gekocht von Alexander, der, wie er sagt, dafür zuständig ist, dass Julian nicht verhungert, entscheiden wir uns dazu, etwas zu spielen.

Zunächst fällt unsere Entscheidung auf das Kartenspiel „Phase 10“, ein Spiel, von dem ich noch nie gehört habe. Doch dafür, dass mir versichert wird, dass es meist ziemlich lange dauert, wenn man mit mehr als drei Personen spielt, komme ich nicht all zu lang in den Genuss.

„Das kann doch nicht wahr sein!?“, flucht Marius, als Julian auch die letzte Runde sofort beendet und somit haushoch gewinnt. „Wo hast du die Joker versteckt, hm?“

„Ich hab doch nur einen!“, deutet Julian auf seine Karten.

„Ja, jetzt!“ Schmollend sinkt Marius in seinem Stuhl zusammen und ich sehe ihn verwundert an.

„Ich glaub’s nicht...“

„Was?“, knurrt er.

„Dass du so ein schlechter Verlierer bist. Du erinnerst mich an den achtjährigen Sohn einer Freundin!“, necke ich ihn.

Mir wird die Zunge rausgestreckt, doch seine Augen zeigen mir, dass er nicht wirklich böse ist.

„So war er schon immer“, meint Julian und steht auf. „Man gewöhnt sich dran. Und was spielen wir jetzt?“

„Trivial Pursuit!“, reagiert Marius sogleich.

„Oh Gott, nicht schon wieder!“ Verwundert sehe ich Julian an, der auch sofort erklärt: „In dem Spiel gewinnt er meistens, daher mag er es so gerne...“
 

Tatsächlich lassen wir uns von Marius zu Trivial Pursuit überreden...

Was mich angeht, so habe ich das Spiel noch nie sonderlich gemocht. Ich habe fast immer das Problem, dass ich die Antworten zwar eigentlich weiß, aber das Wort einfach nicht über meine Lippen kommen will. Dass genau das der Fall ist, wird mir auch heute wieder deutlich. Viele einfache Sachen fallen mir beim besten Willen nicht ein... und während ich so meist gleichauf mit Julian hinterher hinke, leisten sich Marius und Alexander ein Kopf an Kopf rennen, das am Ende so ausgeht, dass Marius ein siegessicheres Grinsen auf den Lippen trägt.

„Mist!“, ist es diesmal Alexander. „Naja, dafür habe ich zwei Fragen mehr richtig als du!“, deutet er auf die Strichliste, die neben Julian auf dem Tisch liegt, der mir zuvor erklärte, dass die beiden sich immer ihren kleinen, persönlichen Wettstreit liefern und daher diese Liste führen.

Lachend schaue ich mir die daraufhin folgende Diskussion an, wer wohl die schwereren Fragen hatte, und räume währenddessen mit Julian das Spiel wieder ein.

„Schon verrückt die beiden, nicht wahr?“, zwinkert mir dieser zu, als er das Spiel wegräumt und dabei an mir vorbei kommt.

Ich nicke... doch ich muss sagen, dass mir gerade solche verrückten Kleinigkeiten unglaublichen Spaß bereiten.
 

Die restlichen zwei Stunden bis zu unserem Aufbruch vergehen ohne ein weiteres Spiel und mit jeder Minute fühle ich mich noch wohler und zufriedener. Irgendwie bin ich gerade unglaublich froh, diese drei Menschen kennengelernt zu haben.

„Es geht dir wieder besser, was?“, werde ich dann auch noch von Alexander darauf angesprochen, als wir uns bei der Wohnungstür eingefunden haben und eigentlich nur noch darauf warten, dass Julian endlich damit fertig wird, mit was auch immer er Marius noch am Computer zeigen wollte.

Verwundert sehe ich nun zu Alexander, der mich freundlich anlächelt.

„Ich kenne dich zwar noch nicht wirklich, aber du wirkst fröhlicher als letztes Wochenende...“, erklärt er.

Zögernd nicke ich, fast ein wenig darüber erschrocken, dass man mir wohl so leicht ansieht, wie ich mich fühle.

„Ich glaube, ich gewöhne mich langsam an den Gedanken, dass mit Fabian Schluss ist...“

„Hat das was mit Marius zu tun?“

Erschrocken frage ich mich, ob ich die leise gesprochenen Worte auch richtig verstanden habe... aber kein Zweifel, auch sein Blick zeigt es mir.

„Ich weiß nicht...“, beginne ich zögernd. „Ich mag ihn sehr gerne, aber mehr-“

„Schon gut“, werde ich unterbrochen... gerade noch rechtzeitig, denn da betreten auch schon die anderen beiden den Flur.

„Fertig?“, frage ich, schaffe es aber wohl nicht, so beiläufig zu klingen, wie ich will. Zögernd schiele ich zu Alexander, der immer noch lächelt.

Ich fühle mich durchschaut...

Aber was genau mag er wohl gesehen haben?
 

„Und? Hat dir der Abend gefallen?“, fragt Marius, als wir wenig später auf dem Heimweg sind.

„Ja, sehr sogar...“

„Das freut mich.“

„Mich auch... Wir können das gerne bald wiederholen!“

Er strahlt mich an, kommt mir nach der nächsten Ecke so nah, dass ich seine Schulter an meiner spüre.

„Weißt du Kai...“, spricht er zögernd und ich spüre seinen Blick von der Seite.

„Hm?“

„Es... Ich mache sehr gerne etwas mit dir... und dabei... naja... wir kennen uns ja noch nicht sehr lange...“

Ich spüre, wie mir heiß wird... wie meine Kehle sich zusammenzieht und mir irgendwas die Luft zum Atmen nimmt. Am liebsten würde ich einen Schritt zur Seite springen... oder umdrehen und weglaufen...

Irgendwie fühle ich mich ganz plötzlich so eingeengt... durch diese einfachen Worte...

Und dann, auf einmal bleibt er auch noch stehen, greift nach meinem Arm, zieht mich nahe an sich.

„Aber ich glaube, Kai... das...“ Ein zögerndes Kopfschütteln wie zu sich selbst, während mein Herz rast... und mir gleichzeitig richtig unangenehm heiß wird. „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.“
 

~ * ~
 

Ich sehe wie die Ziffern meiner Digitaluhr auf 6:17 Uhr umspringen und höre den Sekundenzeiger meiner Wanduhr...

Ich sehe wie draußen langsam die Sonne aufgeht und höre wie die Vögel anfangen zu zwitschern...

Ich sehe die Silhouette eines Körpers neben mir und höre seinen ruhigen Atem...

Ich sehe wie erbärmlich ich doch bin.

Und nun stellt sich mir die Frage, wenn ich wirklich in ihn verliebt bin... sollte ich mich dann nicht freuen, hätte mein Herz nicht schon bei seinen Worten einen Sprung machen sollen? Sollte ich gerade nicht das Gefühl haben, der glücklichste Mensch auf Erden zu sein?

Wieso fühle ich mich dann so überladen durch die Tatsche, dass er mich liebt?

Wieso habe ich nicht das Gefühl, mich zu freuen?

Wieso fühle ich mich überfordert?

Heißt das nicht, dass ich ihn doch nicht liebe?

Heißt das nicht, dass ich die ganze Zeit recht hatte, was meine Gefühle angeht?

Wieso aber fühle ich mich dann so traurig?
 

Leise stehe ich auf und greife nach meiner Shorts, die neben meinem Bett auf dem Boden liegt. Als ich hineinschlüpfen will, merke ich, dass es gar nicht meine eigene ist... Schnell lasse ich sie fallen, lasse dann mich zurück aufs Bett sinken und vergrabe mein Gesicht wieder in meinen Händen... so wie ich es schon zuvor in dieser Nacht unzählige Male getan habe, in der Hoffnung, vielleicht einschlafen zu können.

Wieso habe ich das getan?

Wieso habe ich zugelassen, dass er mir seine Gefühle gesteht?

Wieso habe ich den Kuss nicht unterbunden, der darauf folgte?

Wieso habe ich letztendlich sogar mit ihm geschlafen?

Und wieso freue ich mich über all das so gar nicht?
 

„Bereust du es?“

Erschrocken fahre ich hoch... ob nun wegen den Worten oder wegen der warmen Hand, die meine Schulter berührt. Voller Schreck stoße ich mit dem Schienbein gegen meinen Nachtschrank... sacke sogleich fluchend wieder auf dem Bett zusammen.

Im nächsten Moment wird es hell... und ich verfluche, dass es hier so leicht ist, den Lichtschalter zu finden.

„Kai?“, kommt es mit sanfter Stimme und diesmal lässt weder sie noch die Hand mich erschrecken... dennoch würde ich auch jetzt gerne wieder aufspringen.

„Marius... ich...“

Zögernd drehe ich mich, sehe ihn an... nur einen kurzen Moment, bevor er mir ein Nicken schenkt, zusammen mit einem traurigen Lächeln.

„Ist okay, du brauchst es nicht zu sagen...“

Die Hand verschwindet und ebenso verschwindet er aus dem Bett. Schnell wende ich meinen Blick von seinem entblößten Körper ab, deute peinlich berührt vor mich, weil ich weiß, dass ich dort seine Shorts habe fallen lassen.

Während er sich anzieht, suche ich den Boden nach meiner eigenen Shorts ab, greife schnell danach, als ich sie gefunden habe, und schlüpfe ebenso schnell hinein.

Dann stehe ich da, mitten im Raum und weiß nicht, was ich tun soll.

Marius ist schon fast komplett wieder angezogen und ich fühle mich schrecklich. Ich will doch gar nicht, dass er geht! Ich will ihm nicht wehtun! Und ich... ich mag doch immer noch seine Nähe.

„Es... tut mir leid...!“, flüstere ich und ernte kurz darauf ein zögerndes Nicken.

„Mir auch.“

Zuletzt streift er sich die Socken über und bleibt dann direkt vor mir stehen. Ich kann ihn nicht ansehen, sehe stattdessen auf seine Hände, die nervös miteinander spielen. Als ihm das bewusst wird, lässt er es schnell sein.

„Kai? Sieh mich an...“

Ich tue es... und fühle mich schrecklich. Ich habe ihm wehgetan, nicht wahr?

Eine Hand streckt er aus und berührt mich dann damit, streicht zärtlich über meine Wange. Ich lasse es geschehen und es fühlt sich schön an... so schön richtig.

Wieso hat der Kuss sich nicht auch so angefühlt? Oder der Sex...

„Ich weiß nicht, ob du mich bisher wirklich als Freund gesehen hast...“, spricht er nach einer Weile zögernd, nimmt seine Hand wieder weg. „Aber wenn es so ist... glaubst du, dass du das immer noch kannst?“

„Ich... wieso...“, stottere ich ohne selbst zu wissen, was ich eigentlich sagen will.

Und du? Weißt du überhaupt, was du da sagst? Willst du wirklich... noch immer... wieder...

„Geht das denn?“, frage ich schließlich und erhalte ein zögerliches Nicken als Antwort.

„Ich weiß, dass du Fabian liebst...“, spricht Marius zögernd, „und ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, dir meine Liebe zu gestehen... es war einfach so schön heute Abend... es hat sich so... so...“

„...so richtig angefühlt“, beende ich Marius’ Satz und schaffe es dann nicht länger, ihn anzusehen.

„Ich... Ja.“

„Ich weiß, was du meinst... und irgendwie ging es mir auch so... aber... ich liebe Fabian... ich kann ihn nicht einfach so vergessen... ich kann nicht einfach so... mit dir...“

„Ich weiß. Glaubst du, dass du vergessen kannst, was heute passiert ist?“

„Nein“, antworte ich ehrlich... zu ehrlich.

„Dann versuche es... für mich! Ich würde gerne dein Freund sein... rein platonisch, meine ich...“

„Wirklich?“

„Ja...“

„Okay... ich werde es vergessen...“, sage ich, obwohl ich selbst nicht daran glaube.

„Danke.“ Damit tritt er einen Schritt zurück... grinst ganz merkwürdig. „Ich gehe jetzt nach Hause... ich muss endlich ein wenig schlafen...“

„Willst du nicht hier...“

„Nein... das geht nicht, verstehst du?“

„Ja...“

Ich folge ihm aus meinem Schlafzimmer hinaus auf den Flur.

„Darf ich dich anrufen?“, fragt er, als er nach seinen Schuhen greift, die irgendwo auf dem Boden liegen.

„Wenn du willst...“

„Ja, ich werde es tun.“ Er öffnet die Tür, sieht mir fest in die Augen. „Beim nächsten Mal ist das alles vergessen, okay?“

„Okay.“
 

END – PART 6

...try anew and then maybe...

Seit jener Nacht, in der ich das erste und einzige Mal mit Marius geschlafen habe, sind nun mehr als vier Monate vergangen.

Seitdem haben wir uns kein einziges Mal mehr geküsst... seitdem haben wir uns kein einziges Mal mehr zu lange in die Auge gesehen... und uns kein einziges Mal mehr zärtlich berührt.

Seitdem sind wir Freunde, rein platonisch und kein bisschen mehr.

So zumindest sollte es sein, wenn in den vier Monaten alles so gelaufen wäre, wie ich es mir vorgestellt habe.

Doch das ist es nicht.

Auch wenn wir uns kein einziges Mal geküsst, zu lange angesehen oder berührt haben, ist der Umgang zwischen uns ein ganz anderer als der zwischen normalen Freunden.

Nein, wir führen keine normale, platonische Freundschaft... die haben wir nie geführt...

Denn er liebt mich...

Und auch ich habe begonnen, mich in ihn zu verlieben.
 

Wie es dazu gekommen ist? Ich weiß es nicht, ich kann es nicht sagen. Es ist passiert, einfach so... und wahrscheinlich hat es tatsächlich schon bei der Kanutour begonnen, dieses merkwürdige Gefühl.

Es hat nur ziemlich lange gedauert, bis ich es mir endlich selbst eingestanden habe, bis ich mir endlich selbst erlaubte, auch jemand anderen als Fabian auf diese Weise zu mögen.

Jetzt glaube ich, dass das mein größtes Problem war: die Moral. Nie hatte ich daran geglaubt, dass man für zwei Personen so empfinden kann, also darf es gerade mir selbst nicht passieren.

Aber es ist passiert, ziemlich stark sogar.
 

Wieso ich es dann in dieser Nacht vor mehr als vier Monaten bereute, mit ihm geschlafen zu haben?

Genau weiß ich es nicht, denn als es passiert war, verdrängte ich jeden Gedanken daran. Ich versuchte, gar nicht mehr darüber nachzudenken, und versuchte, es schnellstmöglich zu vergessen... und so vergaß ich zumindest den Grund, weshalb es mir dabei so schlecht ging.

Ich vermute mittlerweile, dass ich keine falschen Hoffnungen in ihm wecken wollte... dass ich mir einfach selbst diese schönen Gefühle nicht erlaubte und mir so verbot, ihm etwas zu geben, was ich ihm nicht geben durfte...

Dabei hätte die Nacht so schön werden können.
 

Wann ich realisiert habe, doch verliebt zu sein? Vor einigen Wochen erst, denke ich, vor nicht mal ganz zwei Monaten... irgendwann, bei einem Videoabend, als wir uns einen bescheuerten, langweiligen Schnulzenfilm ansahen, als er dabei einschlief und ich gar nicht merkte, wie ich den Film ignorierte und mich dafür minutenlang in seiner Betrachtung verlor. Ja, ich weiß, das klingt wahnsinnig kitschig, aber ich glaube es war genau der Moment, in dem meine Gefühle so stark in mir hämmerten, dass ich sie einfach nicht länger ignorieren konnte.

Ich schlief schlecht in jener Nacht, machte mir über alles und nichts Gedanken, und lauschte auf den Atem des Mannes, der in genügend Abstand zu mir im Bett lag.

Susanne lachte, als ich mit meiner Erkenntnis ein paar Tage später zu ihr kam. Sie wäre davon begeistert, wie lange ich mich doch selbst belügen konnte, sagte sie... während ich das gar nicht witzig fand. Und ihr nächster Tipp war, gleich zu Marius zu gehen und ihm die Wahrheit zu sagen.

Doch das habe ich nicht getan, bis heute nicht.

Wieso nicht?

Ich weiß es nicht... vielleicht aus Angst... vielleicht aus Scharm.

Angst nicht davor, dass er mich zurückweisen würde – denn ich bin mir sicher, dass das nicht passieren würde – sondern Angst vor der Erkenntnis, vor dem letzten Schritt, davor, mich entgültig von Fabian zu lösen... Es klingt blöd, aber ich kann nichts dagegen tun.

Und Scharm? Irgendwie ist es mir einfach nur peinlich, ihm nun zu gestehen, dass ich mich ebenfalls in ihn verliebt habe...
 

Aber eigentlich ist da noch etwas anderes, was mir mehr Kopfzerbrechen bereitet... etwas, weshalb ich das Gefühl habe, dass ich ihn einfach nicht verdient habe...

Es ist die Frage, was wäre, wenn ich noch mit Fabian zusammen wäre...

Ob ich mich dann auch in ihn verliebt hätte?

Diese Frage geht mir immer wieder durch den Kopf... und wahrscheinlich ist es vollkommen falsch, sie sich zu stellen... und trotzdem... Wäre es trotzdem passiert? Hätte ich dennoch diese Gefühle für ihn entwickeln können?

Ist er jetzt nicht eher mein Rettungsanker, weil ich Fabian nicht mehr haben kann?

Und ist es nicht falsch, dass ich mich genau das frage?

Ja, und genau das ist der Grund, weshalb ich es ihm nicht sagen kann. Ich bin mir einfach nicht sicher genug, auch wenn ich genau spüre, wie wichtig er mir ist und dass ich ihn nicht verlieren will.
 

~ * ~
 

Doch nicht nur die Freundschaft – wenn man sie jetzt einfach mal so nennt – zu Marius hat sich weiterentwickelt, sondern auch mein Verhältnis zu seinen Freunden. Besonders mit Alexander verstehe ich mich immer besser und beginne mit ihm eine Freundschaft zu führen, wie ist sie mir vielleicht auch für Marius und mich gewünscht hätte. Schon ein paar Mal habe ich sogar etwas mit ihm alleine unternommen und beim letzten Mal – vor zwei Tagen – habe ich ihm dann gestanden, wie es mir mit Marius ergeht. Ich konnte es einfach nicht länger für mich behalten.

„Was soll ich denn jetzt tun?“, habe ich gefragt, auch wenn ich nicht wirklich eine Antwort erwartete. Er ist schon viel länger ein Freund von Marius... wie kam ich überhaupt auf die Idee, ihm diese Sache zu erzählen?

„Er würde sich ganz sicher wahnsinnig freuen...“

„Ja, schon... aber...“

„Du liebst ihn doch.“

„Ja... Ich... naja... Liebe ist so ein großes Wort...“, druckste ich nervös geworden herum.

„Also nicht?“

„Doch... aber Fabian...“

„Der Kerl muss echt der Hammer sein, dass du nicht über ihn hinweg kommst...“ Ein seufzendes Kopfschütteln, bei dem ich nur nickte... und an den umgedrehten Bilderrahmen dachte, den ich noch immer nicht wegräumen konnte. „Aber wünscht du dir denn nicht mehr? Ich meine, Marius zu küssen oder mit ihm zu schlafen...?“

Wieso wurde ich bloß rot bei einer solchen Frage?

„Doch... aber ich will ihm nicht wehtun...“

„Wieso hast du bloß so große Angst davor, dass es passieren könnte?“

„Ich weiß es nicht...“
 

Letztendlich kam bei dem Gespräch nur heraus, dass es wohl doch besser sei, es Marius vorerst noch nicht zu gestehen... auch wenn deutlich zu merken war, dass Alexander meine Ansichten nicht ganz unterstütze. Aber das nehme ich ihm nicht übel... er liebt Julian über alles, er kann sich einfach nicht in mich hinein versetzen.

Wäre ich an seiner Stelle... ich hätte auch nicht verstehen können, wie ich neben Fabian noch für jemand anderen so fühlen könnte...

Aber ich bin nicht an seiner Stelle, sondern an meiner... und für mich gibt es nicht mehr nur noch eine Person...
 

„Was würdest du tun, wenn Fabian zurückkommen würde?“, ist die wohl schwierigste Frage, die Susanne mir stellte, seit ich mir meiner geteilten Gefühle klar bin, doch bis heute habe ich keine Antwort darauf gefunden.

Oder sagen wir... ich habe keine gefunden, die mir gefällt.

Denn es kann doch nicht sein, dass ich nach allem, was Fabian getan hat, noch immer ihn wählen würde?

Das könnte ich Marius doch niemals antun, oder?

Nein, die Antwort kann einfach nicht sicher sein...
 

~ * ~
 

>„Hey, hast du Lust, mit uns einkaufen zu gehen?“

„Huch, wie kommst du denn zu der Frage?“

>„Alex und Julian haben mich überredet, mitzukommen... Winterschlussverkauf und so.“

Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. „Es regnet...“

>„Na und? Wenn du keinen Regenschirm hast, teile ich gerne meinen mit dir.“

Einen Moment ist es still in der Leitung... ob er denkt, jetzt etwas Falsches gesagt zu haben?

Und ich? Wieso gehe ich nicht einfach mit einem blöden Spruch darauf ein, sondern halte stattdessen die Luft an, damit er meinen nervösen Atem nicht hören kann?

„Ich weiß nicht...“, spreche ich weiter, versuche dabei einen neckischen Unterton einzuschlagen.

>„Ach komm schon, lass mich nicht mit den beiden allein... Ich versteh ohnehin nicht, wie man nach mehr als drei Jahren immer noch so turteln kann.“

Da hat er recht, gerade für ein männliches Paar... Aber wenn er wüsste, wie sehr ich die beiden darum beneide.

„Na gut, überredet... Wo treffen wir uns?“

>„Ich hol dich ab... ach, und sag mal...“ Kurz ist es still, als überlege er irgendwas.

„Ja?“

>„Was hältst du davon, wenn wir danach noch Fondue bei dir machen oder so?“

„Jetzt willst du dich auch noch selbst einladen?“, lache ich.

>„Klar! Ne im Ernst, das hatten wir doch den ganzen Winter durch vor und bei dir ist einfach am meisten Platz...“

„Stimmt, wieso haben wir’s eigentlich nicht gemacht?“

>„Ich habe keine blassen Schimmer...“ Ich sehe sein ausgiebiges Schulternzucken richtig vor mir. „Ach, sag mal, lad doch vielleicht auch noch Susanne und ihren Freund ein...“

„Der ist im Moment auf Geschäftsreise...“

>„Na dann soll sie eine Freundin mitbringen oder so...“

„Stopp, wirst du etwa plötzlich hetero?“

>„Quatsch, so verzweifelt bin ich nun auch nicht! Aber weißt du, ich habe mich Sylvester mit ihr unterhalten... und irgendwie klang sie, als würde sie sich ausgeschlossen fühlen...“

„Das ist nicht dein Ernst?!“ Der Schreck fährt mir bei seinen Worten ganz tief in den Bauch. Okay, ich verbringe im Moment wirklich viel Zeit mit Marius und seinen Freunden... aber eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass ich sie vernachlässigen würde...

>„Ich weiß nicht... ein bisschen vielleicht...“

„Okay! Ich ruf sie gleich an! Fragst du Alexander und Julian wegen dem Fondue?“

>„Schon erledigt!“

„Wie bitte?“

>„Na, weißt du... irgendwie wusste ich, dass ich dich überreden kann...“

„Also wirklich, das-!“

>„Ich weiß, du liebst mich dafür!“ Ein Lachen, das für ihn an diese Stelle gehört, für mich aber überhaupt nicht... Doch zum Glück spricht er gleich weiter, so dass ich nicht darauf reagieren muss. „Also dann, bis in drei Stunden, okay?“

„Okay!“
 

Susanne scheint sich tatsächlich riesig über meine Einladung zu freuen und so habe ich erst recht ein schlechtes Gewissen. Ich muss mich unbedingt noch mal bei Marius bedanken!

Dies allerdings vergesse ich schon, als er vor mir steht. Seit meinem Gespräch mit Alexander vor zwei Tagen habe ihn nicht mehr gesehen... und irgendwie muss ich nun an die Worte denken.

„Er würde sich ganz sicher wahnsinnig freuen...“

Ja... schlimmerweise bin ich selbst nur zu überzeugt davon.

„Was hast du?“, lächelt Marius mich an und deutet auf meinen Hals... erst jetzt merke ich, dass ich mich vor nachdenken wie verrückt der Stelle dort gekratzt habe, die schon den ganzen Tag juckt.

„Nichts...“, erwidere ich und nehme die Hand weg... doch das scheint ihm nicht genug zu sein, denn er tritt an mich heran und streckt die Hände aus.

Erschrocken will ich im gleichen Moment, als er meine Haut berührt, auch schon wieder zurückweichen.

„Kalt!“, spreche ich meinen Schreck aber nur aus und bleibe wie angewurzelt stehen.

Wann hat er mich eigentlich das letzte Mal berührt?

„Ach ja?“

Grinsend legt er nun beide Handflächen ganz gegen meine Haut, was mir eine eisige Gänsehaut über den Körper jagt. Sofort greife ich nach den menschlichen Eiswürfeln und entferne sie von meinem Hals... doch loslassen tue ich sie nicht, erst recht nicht, als er mit einem Mal die Hände dreht und seine Finger um meine schlingt.

„Schön warm“, lächelt er.

Ich schlucke... und sehe in seine Augen, die meinen Blick ebenso verwirrt erwidern.

„Ich weiß, du liebst mich dafür!“

Wenn du wüsstest, wie recht du mit dieser Aussage hast... wenn du wüsstest, wie sehr ich es liebe, dass du mich immer wieder zum Lachen bringen kannst, wie ich es genieße, bei dir zu sein... oder jetzt deine eisigen Hände zu wärmen.

„Marius, ich-“

Die Türklingel lässt mich zusammenschrecken und prompt in meinem unüberlegten Geständnis innen halten.

Ich will mich von seinem Griff befreien und zur Tür sprinten, doch seine Hände lassen mich nicht los.

„Was?“, werde ich fragend und ganz ernst angesehen. „Was wolltest du sagen?“

Ich schlucke erneut fest, suche in meinem Kopf nach den Worten, die ich gerade aussprechen wollte... ganz einfache Worte... und dennoch sind sie verschwunden.

„Nichts...“ Meine Stimme zittert, als ich versuche, mich zu befreien. Es klingelt erneut. „Es war nichts Wichtiges...“

Marius lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. Dann nickt er, als wolle er sagen, dass ich nun zur Tür gehen kann.

Irgendwie weißt du, dass sie wichtig waren, nicht wahr?

Noch einen Moment lang sehe ich ihn an, bevor ich mich dazu entschließe, dass es nun zu spät ist. Ich drehe mich um und gehe zur Tür um Alexander und Julian zu öffnen, die mit Marius abgemacht haben, dass sie uns abholen. Wen ich gerade am liebsten dafür verfluchen will, weiß ich nicht...
 

Der Einkaufsbummel wird ein ziemlich langwidriges Unterfangen... ich wusste gar nicht, dass Julian so verrückt nach Geschäften ist... und auch Marius scheint dem nicht viel nachzustehen... Wieder mal eine Sache, bei der Alexander und ich anders empfinden als die beiden.

„Ich muss ständig aufpassen, dass er uns nicht die Wohnung mit allem möglichen Kram vollstellt“, lacht dieser, während wir den nächsten Laden betreten.

„Das glaub ich dir gerne!“

Mittlerweile eine kleine Führung durch ihre gesamte Wohnung bekommen, weiß ich genau, wovon er spricht... zum Beispiel von ihrem gemeinsamen Arbeitszimmer, das vor Krimskrams nur so wimmelt... Da ist das Wohnzimmer doch in einem ganz anderen Stil gehalten und ich kann die Aussage von meinem ersten Besuch, dass sie einen ganz unterschiedlichen Geschmack in solchen Dingen haben, viel besser verstehen... Ich wäre dann wohl auch eher der schlichtere Typ, ähnlich eigentlich wie Fabian, weshalb sich nicht all zu viel Zeug angesammelt hat in den zwei Jahren...

„Was ist?“

„Hm?“ Verwirrt sehe ich ihn an.

„Du hattest für einen Moment so einen wütenden Blick drauf...“

„Ach... ich hab nur an Fabian gedacht...“, seufze ich, werde daraufhin fragend und ein wenig resignierend angesehen. „Er war wie ich kein großer Einkaufliebhaber...“

„Das ist schade...“

„Wieso?“

„Weil es, so anstrengend es manchmal auch ist, trotzdem sehr viel Spaß macht... gerade wenn die andere Person so verrückt ist wie Julian... oder wie Marius...“

„Ja...“ Ich seufze. „Vielleicht hast du recht...“

Einen Moment lang muss ich daran denken, wie wir damals unsere Wohnung eingerichtet haben. Das meiste trugen wir zusammen aus den Sachen, die wir noch aus unseren ehemaligen Wohnungen hatten... und den Rest, der so nach und nach dazu kam... ja, diesen Rest habe ich großteils zusammen mit Susanne gekauft. Es hat mich damals sehr gefreut, dass Fabian und ich einen sehr ähnlichen Geschmack hatten...

Wäre es besser gewesen, wenn es anders gewesen wäre... wenn wir uns auch mal über solche Kleinigkeiten gestritten hätten?

„Hör auf, an ihn zu denken!“, werde ich ermahnt und dann deutet Alexander in eine Richtung, aus der die anderen Beide wieder zu uns zurückkommen. „Meistens sieht man es dir an...“

Er grinst... und zu schnell sind Julian und Marius bei uns angekommen, als dass ich hätte fragen können, ob er das ernst meint. Stattdessen versuche ich nun, Marius’ Lächeln zu erwidern.
 

Gegen halb Acht kommen wir, durchnässter als wir es wohl alle erwartet haben, bei mir Zuhause an.

„Mein Gott!“, stöhnt Marius, der sich sogleich den Pullover samt Shirt vom Körper streift. „Von Sturm haben die in den Nachrichten aber nichts gesagt!“

„Echt grauenhaft!“, stimmt Julian zu. „Da hilft der beste Schirm nichts! Selbst meine Winterjacke ist klatschnass!“

„Ich sag doch immer, dass du dir mal eine Wasserfeste holen sollst...“ Alexander schüttelt den Kopf und sieht mich grinsend an. „Aber nein, der Herr denkt, Schnee sei genauso trocken, wie er aussieht... und regnen tut es bei uns im hohen Norden ja sowieso nie...“

„Ach sei still!“, kommt es mürrisch zurück. „Du bist ja auch noch trocken!“

„Also wenn du das trocken nennst...“ Es wird auf die nasse Hose gezeigt.

Ich, ein wenig überfordert und erfroren, sehe nur zwischen den beiden hin und her, frage mich, was nun das Beste wäre. „Wollt ihr was von mir haben? Ich weiß nicht, ob es euch passt... aber man könnte es probieren... Oder wollt ihr nach Hause gehen?“

„Quatsch! Als könnten uns so ein paar Tropfen Regen das Fondue verderben!“, meldet sich nun Marius zu Wort und ich kann grade noch rechtzeitig reagieren um das Bündel nasser Wäsche aufzufangen, das er mir zuwirft. „Ich hol mir was, ich weiß ja, wo es ist!“

Verdutzt nickend schaue ich ihm hinterher... und bleibe ein wenig länger daran hängen, weil es wohl ewig her ist, dass ich ihn nur in Shorts gesehen habe.

„Marius hat recht!“, holt Julian mich aus meinen Gedanken zurück. „Ich häng die Sachen über die Badewanne, okay?“

Auch hier nicke ich nur, sehe nun ihm nach... und dann zu Alexander, der nur in Pullover und Shorts vor mir steht.

„Manchmal frage ich mich, wer von den beiden wohl adoptiert wurde...“, lacht er mich an.

„Stimmt... die können echt nur Brüder sein!“ Ich schüttle grinsend den Kopf. „Komm mit, ich geb’ dir ne frische Hose...“
 

Nicht nur ich scheine es ausgesprochen komisch zu finden, die Drei in meinen Klamotten um meinen Tisch herum sitzen zu sehen, sondern auch Susanne, die mehr als verwundert dreinschaut, als sie das Wohnzimmer betritt.

„Diesen hässlichen Pulli gibt es zwei Mal auf der Welt?“, deutet sie auf Julian und ich kann ein Lachen nicht unterdrücken. Ich war schon, als er ihn sich aussuchte, gespannt darauf, ob sie ihn erkennen würde.

„Klar... aber das ist meiner...“, erkläre ich und kann mich nur zu gut daran erinnern, wie schockiert sie damals war, als ich diesen Pullover von meiner Großmutter zum Geburtstag bekommen habe. Ich glaube, das einzige Mal, das ich ihn getragen habe, war, als mich diese verdammte Grippe erwischt hatte und kein anderer Pullover mehr sauber war...

„Schrecklich!“ Sie grinst und lässt sich neben Alexander auf den freien Platz fallen.

Ihre Freundin Janine setzt sich neben Marius... wo eigentlich bis gerade mein Platz war, aber da wir noch keine Gläser benutzt haben, kann man das nicht erkennen... Seufzend weiche ich Marius’ Blick aus und gehe in die Küche, erkläre mich dabei für verrückt, dass ich mich über eine solche Kleinigkeit ärgere.
 

Das letzte Mal Fondue habe ich vor etwas mehr als einem Jahr gegessen, alleine mit Fabian... und auch wenn ich es damals wahnsinnig genossen habe, muss ich jetzt zugeben, dass gerade so etwas viel mehr Spaß macht, wenn man zu mehreren isst. Zwar hat man dann nur einen Spieß und muss dementsprechend länger warten, aber dafür scheint die Wartezeit auch viel schneller zu vergehen...

„Das mit dem Fondue war eine spitzen Idee!“, lächle ich, als ich Marius zur Tür bringe.

Alle anderen sind schon vorher gegangen und er hat mir noch beim Aufräumen geholfen. Während dieser ganzen Zeit, die wir so alleine verbrachten, habe ich darüber nachgedacht, ihn zu fragen, ob er nicht hier bleiben wolle... doch letztendlich habe ich es nicht getan.

Es ist besser, wenn ich ihn gehen lasse, denke ich... Und so steht er nun mit seinen noch immer feuchten Klamotten in der Hand vor mir, grinst mich an.

„Find ich auch. Wir müssen das unbedingt bald mal wiederholen...“

Ich nicke und wünsche mir, die Zeit anhalten zu können... so wie ich es mir in letzter Zeit eigentlich immer wünsche, wenn wir zusammen allein sind.

Marius öffnet die Tür und tritt hinaus ins Treppenhaus. „Mist, es regnet immer noch...“

„Rufst du mich die Woche mal an?“, frage ich unvermittelt und weiß, dass ich eigentlich etwas anderes fragen wollte. So was wie ‚Willst du dann nicht lieber hier bleiben?’ zum Beispiel...

„Klar.“

Er spannt den Schirm auf, dreht sich noch mal zu mir um und schenkt mir ein Lächeln... das Lächeln, welches er immer kurz vor dem Abschied auf den Lippen trägt... das Lächeln, das ich am meisten hasse.

Und diesmal halte ich dieses Lächeln nicht aus. Ich reiße meine Hände nach vorne und greife blindlings nach seiner Jacke... presse ihn im nächsten Moment gegen mich, presse meine Lippen auf die seinen. Es ist ein fester Kuss, wenn auch nur ein ganz kurzer... Gott, ich will so viel mehr als das!

„Komm... gut nach Hause...“, stottere ich, als ich es schaffe, ihn wieder loszulassen. Schnell bücke ich mich und hebe den Schirm auf, der bei meiner peinlichen Aktion zu Boden ging, drücke ihn Marius zurück in die Hand. „Bis dann!“

Ich knalle ihm die Tür regelrecht vor der Nase zu. Nicht eine Sekunde länger hätte ich diesen verwirrten Gesichtsausdruck ertragen, nicht eine Sekunde länger das wilde Rasen meines Herzens...

Gott, verdammt, wie soll das bloß weiter gehen?
 

Gerade mal drei Schritte schaffe ich, in den Raum zu gehen, als mich das Klingeln der Tür zum zweiten Mal an diesem Tag hochschrecken lässt. Ich fahre herum, starre auf das dunkle Holz.

Oh Gott, nein, bitte nicht, ich will dir jetzt nicht erklären müssen, wieso ich das getan habe... ich will nicht, denn sonst falle ich noch wirklich über dich her... und genau das will ich nicht tun, obwohl ich es mir doch so sehnlichst wünsche... das darf ich nicht tun!

Mit einem guten Spruch auf den Lippen, um ihn gleich wieder loszuwerden, reiße ich die Tür auf... und bekomme dann doch keinen einzigen Ton heraus.

„Was war das gerade?“, kommt es sogleich wütend... viel zu wütend... viel zu sehr nach einer Rechtfertigung verlangend, die ich nicht geben sollte.

„Ich...“ Erschrocken und verwirrt stolpere ich einen Schritt rückwärts. Gleichzeitig fällt sein nasser Schirm zu Boden und ich werde am Arm gegriffen, zurück nach vorne gerissen.

Lippen pressen sich auf meine, energisch, fest, erdrückend... und dennoch kralle ich mich an der nassen Jacke fest. Schritte lenken mich ins Innere der Wohnung und die Wohnungstür fällt ins Schloss, kurz darauf die zum Schlafzimmer...

Das ist nicht wahr... das kann nicht wahr sein...

Was geht hier vor...?

Was...?

„Fabian?!“, bringe ich gerade noch hervor, als ich auch schon aufs Bett gedrückt werde und sich seine Lippen wieder auf meine drücken.
 

END – PART 7

...to a surprising...

„Kai... ich muss mit dir reden...“

...

„Ich will Schluss machen.“

...

„Wieso?“

„Weil es nicht mehr geht...“

...

„Ich... ich kann nicht mehr gebunden sein... ich brauche ein wenig Zeit für mein eigenes Leben...“

...

„Ich... ich habe da jemanden kennengelernt...“

...

„Wir haben uns nur zwei Mal geküsst... Ich hab gemerkt, wie sehr es mir gefällt...“

...

„Du weißt, dass ich dich liebe...“
 

Ich schrecke hoch, panisch, aufgewühlt, in Alarmbereitschaft... doch nichts geschieht, als ich senkrecht im Bett sitze, nichts, als ich mich im erhellten Zimmer umsehe... gar nichts. Ich höre nur die Stille... und den Atem neben mir.

Wieso?

Wieso verdammt noch mal?

Warum ausgerechnet jetzt?

Ich starre auf ihn hinab, starre die blonden Haare an, die einfach nicht hierher gehören... sie haben es mal, aber sie tun es nicht mehr...

Verdammt!

Viel zu aufgewühlt, um an Ort und Stelle zu bleiben, stehe ich auf, suche wie wild nach meiner Shorts und schlüpfe hinein, verlasse mit schnellen Schritten das Schlafzimmer und bleibe im Flur wieder stehen.

Das kann doch nicht wirklich passiert sein?!

Ich sehe mich um nach irgendeinem Beweis hier im Flur... und da ist der Schirm... sowie die noch immer nasse Jacke auf dem Boden.

Oh Gott!

Ich stolpere daran vorbei in die Küche, reiße mir einen Stuhl heran, lasse mich darauf fallen... und habe das Verlangen, laut zu schreien.
 

Warum wird einem immer dann alles zerrissen, wenn man sich gerade daran gewöhnt hat?

Das war vor fünf Monaten so... und nun ist es wieder so.

Wieso musste er gerade jetzt wieder in meinem Leben auftauchen? Jetzt, wo ich bereit war, ihn ein für alle mal aufzugeben.

Wieso muss er mir das zerstören?
 

Nicht lange schaffe ich es allerdings, ruhig in der Küche sitzen zu bleiben. Bald schon springe ich wieder auf, stürme auf die Spülmaschine zu, hoffend, dass sie schon durchgelaufen ist... Als ich sie öffne, sehe ich, dass ich ganz vergessen habe, sie anzustellen... oder Marius hat es vergessen.

Marius!

Plötzlich von Wut gepackt, renne ich ins Schlafzimmer, knalle die Tür hinter mir zu und springe aufs Bett... Ich reiße die nackte Person zu mir herum, packe ihn grob an den Schultern und hätte am liebsten zugeschlagen.

„Wieso?“, schreie ich. „Wieso ausgerechnet jetzt?“

Ich bekomme keine Antwort, nur einen müden Blick, der versucht, wach zu werden. Er streicht sich durch die blonden Haare, was mich nur noch rasender macht und meine Fingernägel noch tiefer in seine Schultern gräbt.

„Was verdammt noch mal machst du hier?“, schreie ich noch lauter und schüttle ihn.

Ich spüre, wie ich schon wieder anfangen könnte zu weinen. Nein, bitte nicht schon wieder, nicht gerade jetzt!

„Kai...“ Er streckt die Hand aus, die ich immer so geliebt habe, und streicht nun mir durch die Haare, über meine Wange. „Kai, das tut weh...“

Augenblicklich lasse ich von ihm ab, erschrocken darüber, ihm wehgetan zu haben... und eine Sekunde danach wütend darüber, dass es mir überhaupt etwas ausmacht.

Verdammt, warum kann er mir denn nicht endlich egal sein?

Ich lasse mich zurückfallen und vergrabe meinen Kopf in meinen Händen... Ich will nicht weinen, nein, ich will es nicht!

„Du darfst weinen...“

Die sanften Worte erschrecken mich noch mehr als die Tatsache, dass er genau weiß, wie nah ich schon wieder den Tränen bin... er hat mich jahrelang kennengelernt, natürlich weiß er so etwas.

Und tatsächlich breche ich in Tränen aus, als er die Arme um mich schlingt und mich an sich zieht, als er zärtlich meine Haut streichelt und ich seinen Geruch wahrnehme.

„Ich habe dich vermisst...“, kommt es nach einer Weile flüsternd, was mich erst recht schluchzen lässt.

„Ich... ich dich auch... aber... wieso gerade... jetzt?“, stottere ich und versuche, mich zusammenzureißen.

Wieso nicht vor zwei Monaten? Wieso nicht IN zwei Monaten? Dann wäre alles so viel leichter gewesen!

„Weil ich es jetzt einfach nicht mehr ertragen habe... Darum wollte ich mit dir reden, aber als ich dich dann diesen Kerl küssen sah...“

Marius!

Gott, es tut schon weh, wenn ich nur seinen Namen denke.

„Aber wieso?“, frage ich weiter und kämpfe mich aus seinem Griff frei. Ich sehe ihn an. „Wieso verdammt noch mal?“

„Weil ich dich liebe, Kai... Ich habe nie damit aufgehört.“

Ich sehe ihn an, sehe in diese wundeschönen, blauen Augen... Oh Gott, ich habe sie so sehr vermisst... ich habe dich so sehr vermisst...

Aber wieso ausgerechnet jetzt?

„Ich liebe ihn“, sage ich stockend und der Blick in Fabians Augen verdüstert sich.

„Wirklich?“

„Ja.“

„Und was ist mit mir?“

„Dich… liebe ich auch...“

Ein leichtes Lächeln. „Dann lass mich zu dir zurückkommen... ich werde dir nie wieder wehtun, das verspreche ich dir.“

Es sind die Worte, die ich immer gehofft habe, zu hören, die ich mir immer erträumte, so sehr wünschte... aber...

Wieso stirbt ein Traum, wenn er zur Wahrheit wird?

Wieso zerplatzt er wie eine Seifenblase?

Ich drücke mich von Fabian weg, stehe auf, lasse nicht zu, dass er mich am Arm festhält.

„Ich... ich weiß nicht, was ich tun soll... ich... ich...“

Auch er steht auf, kommt einen Schritt auf mich zu... ich weiche weiter zurück.

„Kai...“

„Bitte geh“, bringe ich leise hervor, versuche ihn so fest wie möglich anzusehen. „Ich muss nachdenken... ich... muss alleine sein...“

Er scheint etwas sagen zu wollen, doch dann lässt er es sein, dreht sich um, greift nach seinen Klamotten... und zieht sich an. Ich habe das Verlangen, ihn aufzuhalten... und ich habe das Verlangen, ihn zu zwingen, noch schneller zu machen.

Mein Gott, was soll ich bloß tun?

Ich folge ihn in den Flur, wo er seine nasse Jacke vom Boden aufhebt und auch den Schirm an sich nimmt... Langsam öffnet er die Tür.

„Bitte ruf mich an“, spricht er leise und in einer Stimmlage, wie ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr gehört habe...

Ich nicke, auch wenn es schwer fällt, und dann schließe ich schnell die Tür hinter ihm...

Es klingelt fast im selben Moment. Mein Magen verkrampft sich sofort.

Nichts Gutes lauert heute hinter dieser Tür...

Als ich sie öffne, steht da immer noch Fabian... und ich werde an ihn gezogen, fest geküsst...

Ehe ich mich versehe, wird die Tür auch schon wieder von außen geschlossen und ich bin allein.

Mein Gott, das kann doch alles gerade nicht wirklich passieren?!
 

Vollkommen verwirrt stiefele ich in den nächsten Minuten durch meine Wohnung. Ich versuche zu verstehen, ob es nun die Wirklichkeit war... oder ob ich plötzlich begonnen habe, Schlafzuwandeln. Erschreckenderweise ist es auf dem Klo, wo mir der hundertprozentige Beweis geliefert wird, dass all das in der letzten Stunde tatsächlich passiert ist...

„Und dann auch noch ohne Kondom!“, schreie ich und schlage aus, reiße dabei den Handtuchständer zu Boden... und verspüre dabei irgendwie ein guttuendes Gefühl. Ob ich irgendwas zerstören kann?

Wieder aus dem Bad draußen und mit der Gewissheit, dass es wirklich kein Traum war, sondern dass Fabian tatsächlich hier war und mit mir geschlafen hat, weiß ich nicht, was ich nun tun soll.

3:14 Uhr verrät mir die Uhr... viel zu spät um irgendjemanden anzurufen... oder zu früh...

Ich gehe ins Schlafzimmer, setze mich aufs Bett... lege mich dann aber doch nicht hin. Als könnte ich jetzt schlafen!

Ich stehe wieder auf, gehe in die Küche... reiße erneut die Spülmaschine auf... und dann, kurzentschlossen, lasse ich Spülwasser ein.

Ich brauche was zu tun, verdammt!
 

Mit durchgeweichten Händen lasse ich mich gut eine Stunde später wieder im Bett nieder... diesmal lege ich mich tatsächlich hin... doch natürlich kann ich nicht einschlafen, auch wenn ich todmüde bin.

Ich wälze mich herum, frage mich, ob ich tatsächlich seinen Geruch auf dem Laken wahrnehme oder ob das nur Einbildung ist... und frage mich x-Mal, wie das alles nur plötzlich wieder so weit kommen konnte.
 

~ * ~
 

Ich verschlafe den halben Sonntag und wache auf, als die Uhr gerade 15:30 anzeigt und zur 31 überspringt. Ein Wunder, dass ich überhaupt eingeschlafen bin... und dann auch noch für so lange!

Bis 16 Uhr bleibe ich im Bett liegen. Ich fühle mich nicht fähig dazu, aufzustehen, auch wenn der Geruch nach Sex – den ich mir ebenfalls hundertprozentig einbilde – meinen Magen dazu veranlasst, sich hin und her zu drehen und den Rittberger zu üben...

Als ich dann schließlich doch aufstehe, tue ich es nur, weil die Flüssigkeit in meinem Inneren einfach nicht mehr eingehalten werden will. Ich sprinte ins Bad und springe nach Toilettenbesuch direkt unter die Dusche.

Und jetzt?

Was um Himmels Willen soll ich jetzt tun?
 

Ich rufe Susanne an, doch ich erreiche sie nicht... ebenso wenig Erfolg habe ich bei Alexander, bei dem ich im nächsten Moment fast schon wieder froh bin, dass er nicht abgenommen hat...

Aber ich will doch mit jemandem reden!

Und warum... warum verdammt noch mal ist es in solchen Momenten immer genau die falsche Person, die zur Stelle ist... wieso muss er gerade heute auf die glorreiche Idee kommen, mir einen Überraschungsbesuch abzustatten?

„Marius?“ Mein Herz bleibt fast stehen, als ich die Tür öffne... als ich das lächelnde Gesicht dahinter erkenne.

Nein, bitte nicht!

„Hi!“, grinst er mich an, scheint dann aber zu merken, dass irgendwas nicht stimmt. „Ähm... stör ich?“

„N... Nein...“, bekomme ich stockend heraus und schaffe es tatsächlich, mich einen Schritt zur Seite zu bewegen, so dass er eintreten kann.

„Wirklich nicht?“

Ich schüttle den Kopf und schließe die Tür hinter ihm. Vielleicht sollte ich sie zumauern lassen... dann kommen auch keine Überraschungen mehr hindurch, denn von denen habe ich fürs erste eindeutig genug!

„Ich... komm gleich“, deute ich ihm mit der Hand auf die Küchentür und verschwinde dann so schnell es geht im Schlafzimmer.

Wieso muss er hier auftauchen?

Wieso ausgerechnet jetzt?

Was soll ich denn jetzt tun?

Ich kann doch nicht einfach so tun als wäre nichts passiert...

Innerlich immer wieder meinen Kopf schüttelnd, schlüpfe ich aus meinem Bademantel schnell in ein paar saubere Klamotten.

Was soll ich tun?
 

„Sag mal, Kai, hast du-“

„Fabian war gestern da.“

Unterbrochen in seiner Frage sieht Marius mich nun aus riesengroßen Augen an.

„Wie bitte?“, fragt er verwirrt. „Gestern?“

„Ja.“ Ich gehe um den Tisch herum, so dass ich Marius gegenüber stehe. Hier kralle ich nun meine Finger in die Stuhllehne und zwinge mich dazu, in Marius’ Augen zu sehen. „Nachdem du gegangen bist.“

Wieso erzähle ich ihm das?

Ein schwerfälliges Nicken. Er weicht meinem Blick aus. „Und wieso war er so spät noch hier?“

Merkt er, dass etwas an der Sache nicht stimmt? Wahrscheinlich... Er ist ja nicht blöd.

„Er... er hat gesagt, dass er mich zurück will.“

Stille, die wohl unangenehmste, die ich seit einer Ewigkeit erlebt habe. Marius’ Mund öffnet sich, ohne dass er aber einen Laut von sich gibt. Ich höre die drei Buchstaben, die in seinem Kopf herumschwirren müssen, trotzdem. W, A und S... begleitet von dem riesigen Fragezeichen.

Wieso tue ich ihm das an?

Wieso?

Langsam tut mein eigener Griff um die Stuhllehne mir weh und so lasse ich los, setze mich stattdessen hin... und sehe Marius noch immer an.

„Er... er sagt, dass er mich vermisst...“

„Aha...“, ist das Einzige, was Marius über die Lippen bekommt, und es ist das wohl kühlste Wort, das er je gesagt hat.

Es tut weh. Und trotzdem... wieso kann ich nicht mehr aufhören?

„Ich weiß nicht, was ich tun soll...“, spreche ich weiter, während in mir alles zu schreien beginnt.

Bin ich jetzt vollkommen verrückt geworden? Ich kann doch nicht ausgerechnet ihn zum Rat fragen! Bin ich jetzt von allen guten Geistern verlassen??

„Liebst du ihn noch?“ Marius steht auf, nachdem er diese Frage gestellt hat... und er dreht sich weg.

„Ja.“

„Und WIESO hast du mich dann gestern geküsst?“, fährt er plötzlich wieder herum, stützt die Hände auf den Tisch und sieht mich aus wütenden Augen an. „WIESO machst du mir Hoffnung und zertrittst sie jetzt? Ist das ein Spiel? Findest du es lustig? Das ist es nicht, hörst du? DAS IST ES NICHT!“

Zum aller ersten Mal seit wir uns kennen ist es nun er, dem Tränen in den Augen stehen... zum aller ersten Mal ist er der verzweifelte von uns beiden... und zum aller ersten Mal wäre mein Feingefühl wirklich gefragt...

Aber ich finde es nicht, wo ist es geblieben?

„Ich weiß es nicht...“, stottere ich. „Ich weiß nicht... Marius... das...“

Ich liebe dich!

Ja verdammt, das tue ich! Wieso kann ich es dann nicht aussprechen? Wieso spreche ich nur Worte, die ihm wehtun? Wieso kommen nicht diese drei, diese wichtigen über meine Lippen?

„Du bist so ein Arschloch!“, spricht er leise und abfällig, richtet sich wieder auf und tritt einen Schritt zurück. „Weißt du eigentlich wie sehr ich mich gestern gefreut habe? Und jetzt... was machst du JETZT?“

Tränen fließen seine Wangen hinab. Ich stehe auf, strecke meine Hand aus... doch er weicht zurück, lässt nicht zu, dass ich ihn berühre.

„Marius...“

Er schüttelt den Kopf und geht zur Küchentür, greift nach dem Türrahmen... und dreht sich dann wieder zu mir herum.

„Weißt du, Kai... ich habe gedacht, ich könnte damit umgehen... ich dachte, es wäre okay für mich, dass du ihn noch liebst... und ich dachte, ich könne auch damit leben, wenn er irgendwann wieder kommen würde... aber ich kann es nicht... ich hätte nie gedacht, dass es so sehr weh tut.“

Und ehe ich noch irgendetwas darauf erwidern kann, führen seine schnellen Schritte ihn fort von mir und die Wohnungstür fällt ins Schloss. Ich renne hinterher, greife nach der Türklinke... doch schaffe es nicht, sie hinunterzudrücken. Stattdessen sacke ich auf dem Boden zusammen.

Wieso mache ich eigentlich immer alles falsch?

Wieso kann ich nicht aussprechen, was ich wirklich denke?

Wieso tue ich ihm so sehr weh?
 

Es vergeht eine ganze Weile, bevor ich es schaffe, mich wieder vom Boden loszureißen. Langsam gehe ich in Wohnzimmer und greife nach dem Hörer auf dem Sofa. Wahlwiederholung...

Susanne, ich muss mit dir reden!

Doch statt ihrer Stimme, die ich jetzt wohl als wahnsinnig beruhigend angesehen hätte, ertönt eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

Julian.

Mein Herz bleibt stehen, als mir klar wird, welche Nummer ich zuvor als letztes gewählt habe.

„Ich bin’s...“, schaffe ich es doch nicht, einfach so wieder aufzulegen. „Ist... ist Alex da?“

>„Ja, einen Moment.“

Es knistert in der Leitung, im Hintergrund höre ich unverständliche Worte und dann meldet sich Alexander.

„Hallo...“, spreche ich und höre, wie meine eigene Stimme bricht.

>„Kai? Was ist los?“, scheint er sofort zu merken, dass etwas nicht stimmt.

„Ich...“ Sogleich schweige ich wieder. Kann ich das jetzt wirklich sagen? Er ist schon viel länger mit Marius befreundet als mit mir... er ist der Freund von Marius’ bestem Freund... kann ich mir ausgerechnet von ihm einen Rat erhoffen? Ausgerechnet in dieser Sache...

>„Was ist denn?“, kommt es nun schon etwas neugieriger, drängender.

„Fabian...“, flüstere ich... noch immer nicht sicher, ob ich es wirklich sagen soll. Aber er hört es sowieso bald, spätestens dann, wenn Marius bei ihnen auftaucht...

>„Was ist mit ihm?“

„Ich... er war gestern Nacht hier... wir... ich habe wieder mit ihm geschlafen.“

>„Wie bitte?“

Anders als Marius spricht er seinen ersten Gedanken sofort aus... und ich meine, reinste Missbilligung in den beiden Worten zu hören.

„Ja...“, stottere ich, „Er... hat gesagt, dass er mich zurück will... er... er liebt mich noch... ich weiß nicht was ich tun soll...“

>„Ach du meine Güte!“

Ich nicke stumm und verkrieche mich im Sofa.

>„Das heißt dann wohl, dass du Marius beibringen musst, dass du wieder mit Fabian zusammen bist, hm?“

„Was?“, bin es nun ich, der überrascht nachfragt.

>„Etwa nicht? Du hast doch vor ein paar Tagen selbst zu mir gesagt, dass du dich für Fabian entscheiden würdest, nicht wahr?“

„Ja, schon... aber-“

>„Wen liebst du mehr, Kai?“

„Ich... ich weiß es nicht... Es ist nur... Fabian ist... ich hab ihn...“

>„Du musst dich schon entscheiden...“

„Ich weiß... aber ich will Marius nicht verlieren... ich will ihm nicht wehtun...“

>„Und was ist mit Fabian?“

„Ich habe mir so gewünscht, dass er zurückkommt...“

>„Ja, ich weiß, das hast du...“ Ein tiefes Seufzen in der Leitung. „Weißt du... Manchmal muss man einem Menschen wehtun, damit man glücklich wird... und manchmal muss man für eine Liebe eine andere opfern...“
 

END – PART 8

...eternal memory

Es ist Ende März... Etwas mehr als zwei Monate ist es nun her, dass Fabian zu mir zurückkam... etwas mehr als zwei Monate, seit er mich vor eine Entscheidung stellte, die ich nie treffen wollte, die ich nie dachte, einmal treffen zu müssen.
 

Zwei Tage nachdem Fabian bei mir war, rief ich ihn an. Ich musste mit ihm sprechen, richtig sprechen, ernst und ehrlich. Ich musste wissen, ob er sich ändern würde und ich musste wissen, ob ich ihm glauben konnte... Ich musste wissen, ob ich wieder mit ihm leben könnte.

Das Gespräch verlief ziemlich gut... und es war ein schönes Gefühl, wieder mit ihm in dieser Wohnung zu sitzen, die wir uns knapp drei Jahre lang geteilt hatten... doch trotz allem war es kein vollständiges Gefühl, trotz allem merkte ich während des gesamten Gespräches, dass ich auch an Marius dachte, dass ich mich immer wieder fragte, wie ich bloß die richtige Entscheidung treffen konnte.

Nach dem Gespräch küsste Fabian mich innig und dann bat ich ihn zu gehen... ich musste nachdenken, noch ein Mal.
 

In den folgenden Tagen fragte ich mich immer wieder, in wie weit ich die Liebe, die ich für beide empfand, miteinander vergleichen konnte.

War es wirklich das Selbe, was ich für sie empfand, oder unterschied es sich?

Bestand der Unterschied in der Zeit, die meine Liebe währte, oder gab es einen anderen, wichtigeren Punkt?

Wie war mein Leben gewesen, in den drei Jahren, die ich mit Fabian zusammen war?

War ich glücklich?

Ja, das war ich. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, als mit ihm zusammen zu sein.

Und dennoch hatte ich mich nach unserer Trennung neu verliebt...

Dachte ich bei dieser neuen Liebe etwas zu finden, was mir bisher fehlte?

Aber was kann das gewesen sein?

Gab es denn wirklich etwas, das mir fehlte?

Und wie genau sahen diese Gefühle für Marius überhaupt aus?
 

Tatsächlich, umso länger ich über all das nachdachte, desto klarer wurde mir, dass es andere Gefühle waren, als die, die ich für Fabian fühlte. Es gab da eine ganz andere Verbindung zwischen Marius und mir... etwas Tiefes, etwas ganz Reines.

Und ansonsten?

Ja, ich mochte seinen Körper, ich sehnte mich ständig nach ihm und wollte seine warme Haut spüren...

Ich mochte die seltenen Male, die wir uns berührten und ich liebte es, mit ihm irgendwo zu sitzen und zu schweigen...

Ich mochte seine Lippen und erinnerte mich gerne an die wenigem Küsse, die wir geteilt hatten...

Ich mochte seinen Geruch und ich liebte die Macken, die er hatte, seine witzige, kindliche Seite...

Eigentlich konnte man sagen, dass ich wohl alles an ihm mochte...
 

Ja, ich war mir sicher, dass auch das Liebe war... dass ich tatsächlich auf ganz andere Weise angefangen hatte, diesen Menschen zu lieben.

Aber welche Liebe war nun wichtiger?

Für welche Liebe sollte ich mich entscheiden?

Mit welcher Liebe wollte ich mein Leben verbringen?
 

Fast zwei Wochen lang kam ich zu keiner Entscheidung, obwohl ich gedacht hätte, dass es mir leichter fallen würde.

Wieso konnte ich mich nicht einfach für die Liebe entscheiden, die ich schon einmal für drei Jahre lang kennengelernt hatte? Wieso konnte ich die neue nicht einfach abschreiben und mir sagen, dass es nur eine orientierungslose Phase war?

Weil eben meine Gefühle mir etwas anderes sagten?
 

~ * ~
 

Es ist Ende März... Genau zwei Monate ist es nun her, seitdem ich eine Entscheidung getroffen habe.

Es fiel nicht leicht, nein, dass fiel es wirklich nicht... aber in dem Moment, als ich meine Entscheidung entgültig traf, wusste ich sofort, dass es die Richtige war. Und ich wusste, dass ich eigentlich ganz umsonst fast zwei Wochen lang mit mir selbst gerungen hatte.

Eigentlich hatte ich doch schon von Anfang an gewusst, wie ich mich entscheiden würde... ich konnte es einfach nur nicht sehen.
 

Was mir letztendlich bei meiner Entscheidung half?

Ein kleiner Gedanke...

Eine kleine Erinnerung...

Ein kleiner Moment, ganz am Anfang, der mir damals so viel bedeutete und mir zum ersten Mal hundertprozentig das Gefühl gab, nicht alleine zu sein...

Ja, ich erinnerte mich an etwas, das ich fast vergessen hatte.
 

~ * ~
 

Lächelnd schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf... zu unserer Wohnung. Es ist später geworden als ich eigentlich vorgehabt hatte, aber ich konnte mich einfach nicht so schnell von der Betriebsfeier verdünnisieren.

Aber das macht nichts. Ich weiß, dass du mir keinen Vorwurf daraus machen wirst… Ebenso wenig, wie du mir vor zwei Monaten einen Vorwurf daraus machtest, dass ich dich mit meiner Entscheidung warten ließ.

Du hast mich trotzdem mit offenen Armen empfangen und mich damit wahnsinnig glücklich gemacht.
 

Leise schleiche ich mich ins Schlafzimmer, das nun nicht mehr so leer wirkt, nun, da wieder zwei Personen darin leben. Nun wirkt es wieder vollkommen, ebenso wie die ganze Wohnung.

Das Licht ist erloschen und ich erkenne deine Silhouette in der Dunkelheit.

Lächelnd schließe ich die Tür wieder von außen, statte erst einmal dem Bad einen kurzen Besuch ab.

Als ich es wieder verlasse, fällt mein Blick auf die Wand gegenüber... Der Bilderrahmen, der nun nicht mehr am Boden steht, hat nicht nur seinen Platz gewechselt...
 

Schon auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer ziehe ich mich bis auf die Shorts aus, lasse die Klamotten dann einfach nur noch in den Korb neben der Tür fallen, als ich die Dunkelheit betreten habe.

Vorsichtig taste ich mich zum Bett und lausche gleichzeitig auf deinen Atem, der mir verrät, dass du wachgeworden bist...

„Hey...“, flüstere ich entschuldigend, erhalte daraufhin nur ein müdes Murren als Antwort.

Ich liebe es wenn du solch kleine, süße Geräusche von dir gibst...
 

Ja, ich liebe es, wie ich alles an dir liebe...

Wie ich wohl von Anfang an alles an dir geliebt habe...

Ich glaube es begann noch früher als ich dachte, dass ich mir ein Leben mit dir vorstellen konnte...

Ein Leben, in dem ich dir auch kleine Fehler und Ausrutscher verzeihen würde, da ich sie an dir liebe, diese Macken...

Ja, ich weiß jetzt, dass ich richtig gewählt habe, dass letztendlich alles so gekommen ist, wie es kommen sollte... Dass ich mich niemals wieder anders entscheiden würde.
 

Ich lege mich hin und taste auf der Matratze nach deiner Hand... ich greife danach, so wie du es damals in dem kleinen Igluzelt getan hast, als ich einen Albtraum hatte und deine Nähe so sehr brauchte... damals, als du mir zeigtest, dass du immer bei mir sein wirst.
 

BICONTROLLED – 07.2005–07.2007
 

[The End]

It doesn't always have to be,

only a sad memory.

‘Cause sometimes even if we part,

couldn't it only just start,

try anew and then maybe,

to a surprising, eternal memory



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Kommentare zu dieser Fanfic (77)
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Von:  Hisoka_Hebi
2010-07-08T15:57:29+00:00 08.07.2010 17:57
Die Geschichte hat uns mitgerissen und gut gefallen. Da wir eigentlich vorhatten, nur eine von deinen beiden Geschichten zu bewerten, ist für diese Geschichte, die es trotzdem auf Platz 6 geschafft hat (wir haben berücksichtigt, dass du bereits eine Einsendung hattest, die wir in Betracht gezogen haben) und ein kleines Preisgeld verdient hat. =)
Von:  MaiRaike
2009-09-29T23:50:02+00:00 30.09.2009 01:50
Wunderschön.

Zu sehen das Alexander und Julian immer noch glücklich sind...

Und das er sich am Ende (zum Glück) doch für Kai entschieden hat.
Das Ende hättest du übrigens ruhig etwas mehr ausbauen können. Es war etwas aprupt.

Aber trotzdem: Wunderschön.
Von: Karma
2009-05-21T10:53:50+00:00 21.05.2009 12:53
Wunderwunderwunderschön, diese Geschichte. Ich hatte sie mir schon vor einer Weile in die Favos gepackt, bin aber erst heute dazu gekommen, sie zu lesen. Und was soll ich sagen? Du hast es wieder mal geschafft, mich zu Tränen zu rühren. Die Art, wie Du Gefühle beschreibst, ist jedes Mal wieder unglaublich. Ich habe so mit Kai mitgelitten, hatte beim Lesen das Gefühl, genauso zerrissen zu sein wie er es war. Du hast wirklich unglaubliches Talent und ich bin jedes Mal wieder begeistert, wenn ich etwas von Dir lese - auch wenn ich jedes Mal bei jeder neuen Story wieder heulen muss, weil Du so intensiv und einfühlsam schreibst. Ich kann nicht mal jetzt damit aufhören.

Irgendwo, das muss ich ganz ehrlich gestehen, bin ich unglaublich froh, dass Kai sich am Ende doch noch für Marius entschieden hat. Nach dem Kapitel, als Fabian wieder aufgetaucht ist und ihn praktisch überfallen hat, habe ich es nicht für möglich gehalten - obwohl ich es gehofft hatte. Marius hat Kai schliesslich von Anfang an zu schätzen gewusst, ganz im Gegensatz zu Fabian. Aber im Bezug auf seine eigene Beziehung mit Kai hatte er wohl voll und ganz Recht, als er gesagt hat, dass (schule) Beziehungen nicht ewig halten - was ja bei Hetero-Beziehungen auch nicht immer der Fall ist.

Ganz zu Beginn der Story hatte ich irgendwie gehofft, dass Kai und Fabian wieder zusammenkommen, aber ich bin inzwischen wirklich froh, dass Kai sich anders entschieden hat. Marius ist einfach jemand, den man lieben muss.

Den Epilog finde ich übrigens besonders gelungen. Nicht, dass die anderen Kapitel nicht auch wahnsinnig toll gewesen wären, aber gerade dieses vage Ende war wirklich klasse. Die Szene mit dem Zelt... Da war es bei mir vorbei. In dem Moment konnte ich die aufgestauten Tränen endgültig nicht mehr halten. Ich habe vorher schon die ganze Zeit damit gekämpft, aber in dem Moment war es einfach zu spät.

Ich bin jetzt schon ehrlich gespannt, mit welcher Story Du mich als nächstes zum Weinen bringen wirst.
^____^

Danke für dieses Lesevergnügen!

Karma
Von: abgemeldet
2009-05-20T18:03:08+00:00 20.05.2009 20:03
Hallo.
Und noch einmal ich... dann hab ich aber auch wirklich all deine alten FFs durch, die mich interessieren und du ahst es überstanden^^
<Schwule Beziehungen sind nichts für die Ewigkeit...> -.-'''' Mit SO einer Einstellung, kann das ja nichts werden!
<Wieso um Himmels Willen liebe ich ihn noch immer?> Na, das hört sich ja nicht so toll an... drei Jahre und dann geht der einfach so... unfair ist das...
<Ich verspreche dir nicht, dass alles immer gut läuft,> Wer kann das schon? Es gibt doch keine Garantie für Glück oder so was... deshalb heißt es ja auch 'in guten wie in schlechten Zeiten'... die haben sich da schon was bei gedacht^^
<Es tat weh, aber ich musste stark bleiben.> Abweisung würde mehr wehtun... ich weiß, es ist auch nicht besser, so etwas zu ignorieren, aber manche Menschen können nur so mit solchen Dingen umgehen...
<Scheiß Tag!> Oh ja... und das ist noch nett ausgedrückt... Menschen sind doof.
<seit fünf Jahren in einer Autowerkstatt arbeitet...> zusammen mit Julian^^
<Ich dachte immer ihr Steuerfritzen habt zehn hübsche Sekretärinnen> HEY! Ich bin auch so ein Steuerfritze (auch Steuerfachangestellte - zumindest bald^^) und WIR sind die, die für die Steuerberater Sekretärin spielen dürfen :) Aber die tun auch ihren Teil^^
<Julian mit Alexander> Ah, da sind die zwei ja endlich^^
<und doch wusste ich nichts zu erwidern... > weil du nicht geradeaus denkst, sondern schief und weil du einfach viel zu viel denkst und immer wieder Sachen in Worte reininterpretierst und dir dann über die erfundenen Folgen Sorgen machst :)
<Diese Erinnerungen... seine Worte... sie sind tatsächlich verschwunden, als hätten sie nie existiert.> Und so ist es wahrscheinlich am besten^^
<Es tut mir so leid, Marius!> Da sollte es auch. Er hätte ihn ja wenigstens vorwarnen können, aber so...? Echt gemein und ihn dann auch noch bitten zubleiben... Marius muss ihn ja echt mögen, dass er das macht...
<dass die Story zu sehr in Kitsch und Klischee abrutsch> Na ja, ich gebe zu ein paar Klischees werden schon aufgegriffen, aber bei weitem nicht ZU viele... eben genau richtig... und kitschig? Nö, also ich finde es nicht kitschig^^
<In dem Spiel gewinnt er meistens, daher mag er es so gerne...> XD Phase10 ist auch nicht gerade mein Lieblingsspiel, deshalb will ich immer Monopoly spielen^^ Da hat niemand eine Chance gegen mich ;)
<Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.> Das war vielleicht ein bisschen zu früh.... der rme ist jetzt bestimmt wieder total überfordert...
<Beim nächsten Mal ist das alles vergessen, okay?> Klar, als ob man so etwas einfach so vergessen könnte...
<Und auch ich habe begonnen, mich in ihn zu verlieben.> Oh, na das ist doch gut, oder nicht?
<Ob ich mich dann auch in ihn verliebt hätte? > Wenn das so gewesen und das dann in Folge dessen anders gewesen wäre und sich der Hund in dem Moment nicht umgedreht und die Katze in der Sekunde nicht gepupst hätte, ja dann, wäre wirklich alles agnz anders gekommen -.-'
<Fabian?!> WAAAAS?!?!?!? Ich hoffe, dass ich mich verhört bzw. verlesen habe? Also das kann doch jetzt unmöglich dein Ernst seiN!? Mensch, bist du gemein zu dem armen Kerl!^^
<Wieso stirbt ein Traum, wenn er zur Wahrheit wird?> Der Satz gefällt mir. WIrklich ein ... na ja, kein schöner oder guter oder sa was... halt einfach ein Gedanke.
<und manchmal muss man für eine Liebe eine andere opfern...> Er weiß, wovon er spricht... Anne und Julian... und er mitten drin...
<Ich habe langsam [?? ^^*] das Gefühl, dass ich die einzige bin, die ihn leiden kann> XD Da liegst du vollkommen richtig^^ Aber ich mocht Tobi in deiner anderen FF ja auch erst nicht und na ja, vielleicht kommt das irgendwann noch^^
<Ein Leben, in dem ich dir auch kleine Fehler und Ausrutscher verzeihen würde, da ich sie an dir liebe, diese Macken... [...] in dem kleinen Igluzelt> OH Got,, ich dachte schon im ersten Moment (wie von dir beabsichtigt, nehme ich an, dass er sich für Fabian entschieden hat! Meine Güte, bin ich froh, dass dem nicht so ist^^
Also, auch das war eine super FF (auch wenn ich einige Teile langsam anfange wieder zu erkennen aus anderen deiner Geschichten, aber so wirklich macht mir das nichts aus) und ich bin wirklich froh, dass ich mich entschlossen habe, die (alle) soch noch zu lesen^^
Bis zum nächsten Mal,
LG cada :)
Von:  shiri_yuki
2009-05-20T10:17:42+00:00 20.05.2009 12:17
woow einfach nur nur schön ich war mir nciht sicher das er marius nehmen würde aber mir war klar das er nicht mehr zu fabian zurück gehen würde aba das er sich für marius entschieden hat war mir dann klar als du da geschrieben hast ich errninere mich an die zeit als ich nicht alleine war den marius hat sich am meisten um ihn gekümmert als fabian er war immer für ihn da eine sehr schöne fortsetztung und eine sehr schöne story

LG shiri
Von:  Mel_Vineyard
2009-01-27T18:41:08+00:00 27.01.2009 19:41
das ende hast du echt super geschrieben!
mir hat die ganze geschichte sehr gut gefallen. und das ende war total gut, vor allem, weil du es geschafft hast, dass man(oder ich) wirklich nicht wusste, wer es jetzt am ende ist.bei dem bilderrahmen kam erst die erste ahnung, dann bei der macke, aber 100% bestätigt hat sich das erst mit dem zelt.
Mel
Von:  Mel_Vineyard
2009-01-27T16:53:02+00:00 27.01.2009 17:53
normalerweise schreib ich ja mittendrin keine kommis, wenn ich quasi
'nachlese', aber jetzt muss ich dich echt mal fragen:
bist du schonmal aufm wasser ausm kanu gekippt?
ich schon!
du hast recht, man kann zwar schwimmen, aber ich muss sagen, es ist nicht so wirklich das wahre....du kriegst erstmal voll den schock und willst wissen ob deine mitfahrer auch noch schwimmen und dann musst du dich irgendwie mit dem kanu ans ufer durchkämpfen und bestenfalls auch ncoh die ruder und säcke in denen das gepäck vestaut ist mitnehmen...
wir hatten glück, dass wir so nah am ufer waren....
Mel
Von: abgemeldet
2008-12-24T20:08:19+00:00 24.12.2008 21:08
jaaaaaaaaa es ist marius:D:D das freut mich so sehr so sehr sooo sehr:D
fabian wäre ja auch nicht schlecht gewesen, aber das er kai einfach so verlssen hat, für einen anderen, obwohl er ihn doch noch liebte.... das war so unverständlich! und marius war immer daaa<3 gute entscheidung juhu<3<3<3


glg tanja
Von: abgemeldet
2008-11-04T13:27:52+00:00 04.11.2008 14:27
Oh nein. Das ist ja schrecklich. Kai hat so richtig Pech. Klingt ja noch harmlos. Ist ja richtig besch...
Bin gespannt wie es weiter geht.
Von: abgemeldet
2008-11-04T13:08:35+00:00 04.11.2008 14:08
*drama*
Oha, das wird ne schwierige Story. Bin aber auch ganz gespannt auf die Auftritte von Alex und Julian. *g*
Ja ja, ich weiß, um die geht es nicht... Was solls..


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