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Bicontrolled

von

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It doesn't always have to be...

Ich kenne Fabian seit fünf Jahren. Er war Quereinsteiger an unserer Uni im vierten Semester. Er machte kein Hehl daraus, dass er schwul war, und vielleicht gefiel er mir gerade deshalb. In meinem Bekanntenkreis wussten nämlich nur knapp eine Hand voll Leuten von meiner sexuellen Orientierung, da ich immer Angst davor hatte, mich zu outen... Ich hatte Angst vor den zu erwartenden, negativen Reaktionen.

Fabian jedoch schien so was vollkommen egal zu sein. Selbst bei den fiesesten Sprüchen fand er etwas zu erwidern... und so hatten sich bald alle damit abgefunden, dass er schwul war, und keiner sprach mehr darüber.

Ich redete in der Anfangszeit nicht viel mit ihm. Er war, ähnlich wie ich, ständig von Leuten umgeben und es war daher wahnsinnig schwer, überhaupt mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ich fand es schade, denn er gefiel mir, ich wollte mit ihm reden und ihn kennenlernen. An eine Beziehung dachte ich zu der Zeit noch nicht. Ich hatte nicht vor, mich von meinem Singledasein zu verabschieden, denn ich mochte dieses unkomplizierte Leben.
 

Es war knapp ein halbes Jahr später auf einer Party, als ich das erste Mal vernünftig, länger und alleine mit ihm sprach. In diesem Gespräch fragte er mich ziemlich schnell, ob ich schwul sei. Zögernd nickte ich und er grinste, schlug mir auf die Schulter und sagte etwas wie ‚Willkommen im Club’. Es war mir peinlich, auch wenn ich eigentlich genau wusste, dass es das nicht sein musste.

Danach redeten wir noch lange, natürlich auch über das Thema. Er erzählte mir von seinem Outing und meine Sympathie für ihn wuchs immer weiter. Er war wirklich total in Ordnung!

Diese Party verließ er zusammen mit einem anderen Kerl, den er kennengelernt hatte, und kurz darauf bekam ich ein Gespräch mit, in dem es um sein Lotterleben ging. Ständig jemand anderes, sagten sie, nie länger etwas Festes. Auf komische Weise enttäuschten mich diese Worte.
 

Es verging ein Jahr, in dem ich oft mit ihm sprach und auch immer öfter etwas mit ihm unternahm, er aber nur ein Mal eine Annäherung startete, die ich abwies. Erst weit danach, ganz langsam begriff ich mit Schrecken, dass da etwas mehr in mir war, als nur Freundschaft, und dass dieses ‚etwas’ ständig wuchs.

Ich wollte mich doch nicht verlieben... Erst recht nicht in ihn!

Kaum hatte ich es mir jedoch eingestanden, wurde es immer schlimmer. Ein paar seltene Male träumte ich sogar von ihm, und dann fiel es mir irgendwann selbst in den Vorlesungen schwer, mich zu konzentrieren.

Ich beobachtete, wie er seine Partner wechselte, und es begann wehzutun. Außerdem wurde unsere Freundschaft immer enger und selbst ein Teil unseres Freundeskreises der Selbe, weshalb es sehr auffällig gewesen wäre, mich plötzlich von ihm zurückzuziehen.

Ich konnte also nur hoffen, dass diese Gefühle irgendwann vorbei gehen würden.

Letztendlich jedoch erfuhr er das Ganze durch einen blöden Zufall. Er war durch seinen Nebenjob kurzfristig verhindert und konnte unser Treffen nicht einhalten. Daher traf ich mich mit einer Freundin, die Einzige, die von meinen Gefühlen zu ihm wusste. Wir saßen in einem Kaffee und redeten über mich, meine Gefühle und Fabian, als eben dieser vorbei kam, da sein Chef ihn genau in dieses Café bestellt hatte. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er alles mitbekommen hatte.

Wir redeten nicht miteinander, denn sein Chef saß schon an einem naheliegenden Tisch, doch während ihres Gespräches sah Fabian immer wieder zu mir hinüber. Seine Augen durchbohrten mich und es tat weh. Ich war mir sicher, unsere Freundschaft zerstört zu haben.

Er gab mir ein Zeichen, auf ihn zu warten, als ich aufstand und zahlte, und widerwillig tat ich es. Besser das Gespräch gleich hinter mich bringen...

An einem Brunnen nahe des Cafés wartete ich also auf ihn und malte mir alles mögliche aus, doch nicht, dass er mich anlächeln würde...

Wir gingen ein Stück schweigend nebeneinander her und dann begann er urplötzlich mit Smalltalk. Ich fand es schrecklich, ich wollte das Ganze endlich auf den Punkt bringen.

„Fabian...“, unterbrach ich ihn irgendwann und wir blieben stehen, mitten im Park. „Du weißt, worüber wir reden sollten.“

Er nickte und lächelte immer noch, was mich in dem Moment vollkommen verrückt machte.

„Du hast dich also in mich verliebt?“

Ich nickte, schwieg und sah zu Boden, als ich plötzlich seine Hand an meinem Arm spürte.

„Auch ich hab dich sehr gern“, begann er und nur langsam wagte ich es, meinen Blick wieder zu heben. „Ich weiß nicht, ob es genug ist, aber ich glaube...“

Er stockte und wurde rot. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte.

„Ja?“, hakte ich nervös nach.

„Ich weiß nicht, ob ich ein guter Freund bin... aber ich würde es gerne probieren...“

Als er diese Worte ausgesprochen hatte, konnte ich ihn nur noch anstarren. Mein Herz raste und immer wieder ging ich das eben gesagte durch. Hatte ich ihn richtig verstanden?

„Du willst… mit mir...“, stotterte ich, so nervös wie wohl noch nie zuvor.

„...mit dir zusammen sein.“, beendete er meinen Satz. „Ja.“ Er lächelte und trat einen Schritt auf mich zu. „Ich verspreche dir nicht, dass alles immer gut läuft, aber wenn dir das genug ist...“

Und dann küssten wir uns zum ersten Mal. Einfach so, mitten in diesem Park. Es war mir zum ersten Mal vollkommen egal, was die Leute darüber denken könnten. Ich sank in seine Arme und alles in mir drehte sich. Noch nie hatte ich so ein wahnsinniges Gefühl empfunden.
 

Er war mein zweiter Freund. Erst ein Mal hatte ich zuvor eine Beziehung gehabt, welche nicht allzu gut gelaufen war, und wohl nicht zuletzt deshalb war ich wohl auch so unglaublich schüchtern. Fabian lachte, als wir einige Tage später auf seinem Bett lagen, er mit mir schlafen wollte und ich unsicher herumfingerte, nicht wusste, was ich tun sollte. Mit meinem ersten Freund hatte ich keinen Sex gehabt. Wir waren damals gerade 15, und ohnehin nur drei Monate lang ein Paar.

Fabian drängte mich zu nichts. Zärtlich küsste er mich an jenem Abend und nahm mir meine Angst, doch wir schliefen noch nicht miteinander. Ehrlich gesagt war ich sehr froh darüber, obwohl ich fürchtete, er würde mich schon bald verlassen, wenn wir keinen Sex haben würden.

Vielleicht hauptsächlich deswegen passierte es knapp eine Woche später, an einem Wochenende, an dem ich ihn zu mir eingeladen hatte. Es tat weh, unheimlich, und doch war es schön. Ich war froh, es getan zu haben, und ich war mir unserer Beziehung danach sicherer.

Doch da gab es noch einen Punkt, der für mich schwerer zu überwinden war, als der Sex: das Outing. Und hier schien Fabian weniger verständnisvoll, selbst wenn er mich auch hier nicht drängte. Dafür sprach er aber immer wieder dieses Thema an und sagte ständig Dinge wie, dass er gerne in der Öffentlichkeit meine Hand halten würde. Zwar freute es mich, dass er sich mit mir zeigen wollte, doch gleichzeitig wuchs meine Angst stetig. Zuvor hatte ich immer sagen können, dass ein Outing nicht nötig sei, da ich eh Single war, doch nun war genau das nicht mehr der Fall. Jetzt fand ich nicht mal mehr eine Ausrede für mich selbst.

Schließlich, als wir seit knapp drei Monaten ein Paar waren und es erst meine engsten Freunde wussten, hatte ich mich schließlich zumindest seelisch so weit. Ich hatte meinen Eltern versprochen, sie besuchen zu kommen, und schließlich, beim letzten Telefongespräch davor, sagte ich meinem Vater, dass ich noch jemanden mitbringen würde. Sofort sprach ich weiter, so dass er überhaupt keine Zeit hatte, nach Einzelheiten zu fragen, und dann, als wir aufgelegt hatten und Fabian mich in den Arm nahm, fühlte ich mich schrecklich. Ich hatte plötzlich wieder wahnsinnige Angst vor dem kommenden Freitag.
 

Wie zu erwarten war, trafen mich fragende Blicke, als ich in mein Elternhaus trat.

„Ach, du hast einen Freund mitgebracht!“, meinte meine Mutter und lächelte Fabian freundlich an. Sofort waren die beiden von dem Gedanken, ich könne eine Freundin haben, wieder ab, und weiter machten sie sich auch keine Gedanken. Es war ja nichts Schlimmes, dass ich einen Kommilitonen mitbrachte…

Am Esstisch allerdings ließ ich die Bombe platzen. Er sei nicht nur ein Freund, sondern mein Freund, sagte ich, und als sie es immer noch nicht verstanden, nicht verstehen wollten, sagte Fabian ‚sein Geliebter’.

Sofort wurden die Gesichter meiner Eltern bleich und ich sank in meinem Stuhl zusammen. Katastrophe!, schrie es in meinem Kopf und ich griff unter dem Tisch nach Fabians Hand, um mir seiner Nähe sicher zu sein.

Es dauerte einige Minuten, bis meine Eltern ihre Sprache wiederfanden.

„Wie lange seid ihr denn schon... zusammen?“, fragte meine Mutter mit dünner Stimme und tat sich schwer daran, mir in die Augen zu sehen.

„Seit ungefähr drei Monaten“, antwortete Fabian für mich, da ich keinen Ton herausbekam. Ich drückte seine Hand immer fester.

Wieder einen Moment Stille, dann war es mein Vater, der sie unterbrach, mit undeutbarem Blick und kühler Stimme: „Seit wann bist du schwul?“

„Schon immer, Dad“, antwortete ich heiser und fühlte mich schlecht.

„Ich verstehe das nicht...“ Er schüttelte den Kopf und legte endlich seine Gabel hin, die er bis dahin unschlüssig in der Hand gewogen hatte.

Es blieb bei diesen Worten seinerseits und ich wagte nicht, etwas zu sagen. Auch meine Mutter blieb still, und dann stand sie sogar auf und fing an abzuräumen. Fassungslose Ratlosigkeit lag in der Luft und schien mich erdrücken zu wollen. Ich spürte Tränen aufkommen, und als mein Vater ebenfalls aufstand und hinausging, konnte ich sie nicht mehr unterdrücken.

„Warum können sie nicht mit mir darüber reden?“, flüsterte ich und einen Moment später spürte ich Fabians Wärme. Erst wollte ich zurückweichen, waren doch meine Eltern noch in der Nähe, aber dann war es mir egal. Ich schmiegte mich an ihn. Ich brauchte seine Nähe.

„Lass ihnen einen Moment Zeit... Es ist klar, dass sie geschockt sind.“ Fabians Hand strich beruhigend über meinen Rücken, während ich versuchte, meine Tränen zu unterdrücken.

Es tat weh, aber ich musste stark bleiben. Ich hatte mich zu diesem Schritt entschieden, also musste ich ihn auch durchziehen, ich musste endlich dazu stehen, wie ich war.

Aber mein Vater... er hatte mich so gefühllos angesehen.

„Ich habe ihn enttäuscht.“

In gewisser Hinsicht war er doch immer mein Vorbild gewesen...

„Geh zu ihm und rede mit ihm.“

Fabian drückte mich von sich und strich mir die Tränen aus den Augen. Ich wollte ihn küssen, doch in diesem Moment konnte ich es nicht. Ich musste erst diese ganze Sache irgendwie klären.

Ich nickte und stand auf. Als ich mich umdrehte, traf es mich wie ein Schlag. Im Türrahmen stand meine Mutter und sah uns an. Ich konnte ihren Blick nicht deuten, versuchte es auch nicht. Schnell ging ich an ihr vorbei.
 

Vor dem Büro meines Vaters stand ich lange unschlüssig herum. Was sollte ich zu ihm sagen? Ich konnte nicht wieder nur schweigen. Diesmal musste ich reden und endlich zu Fabian und vor allem zu mir stehen.

Nach einem Klopfen trat ich in den kleinen, hellen Raum. Sofort trafen sich unsere Blicke und verloren sich auch nicht, als ich die Tür hinter mir schloss. Ich bildete mir ein, sein Blick sei schon etwas weniger kühl als zuvor.

Ich wollte gerade mit einer Rechtfertigung beginnen, von der ich selbst nicht wusste, wie sie aussehen würde, als er mir zuvorkam.

„Wie lang weißt du es schon?“

„Seit ich vierzehn bin.“

Er nickte und seufzte, ging dann einen Schritt auf mich zu, wirkte unschlüssig.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

„Ich hatte Angst...“

„Wovor?“

„Davor, dass ihr mich nicht versteht... davor, dass ihr mich hasst...“

Er stand direkt vor mir bei diesen Worten. Ich wusste nicht, womit ich jetzt rechnen musste.

„Kai... wir könnten dich nie hassen!“ Er fuhr sich durch die ergrauenden Haare und seufzte. „Wir lieben dich. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass du schwul bist.“

„Dad... ich...“

Die Tränen standen schon wieder in meinen Augen, als mein Vater mich fast grob am Arm packte und mich umarmte.

Zunächst vollkommen verdattert, schlang ich dann meine Arme um ihn. Ich glaube. so froh wie in diesem Moment war ich noch nie über eine Umarmung meines Vaters gewesen. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen.

Lange standen wir schweigend so da, und diese unerwartete Liebe meines Vaters ließ mich erst recht heulen. Er schwieg und hielt mich einfach nur fest, sagte nichts dazu. Ich war ihm so dankbar.

Erst als ich mich wieder beruhigt hatte, schob er mich von sich. Er lächelte ein wenig.

„Liebst du ihn?“

Ich nickte und brachte keine Worte hervor.

„Gut.“

Einen Moment noch standen wir da, bevor er mich aufforderte, mich zu setzen. Danach folgte ein langes Gespräch, in dem ich so ehrlich mit ihm sprach, wie lange nicht mehr. Ich erzählte ihm ganz offen von meiner Angst, sie könnten es herausfinden, als ich mit 15 meinen ersten Freund hatte, und wie ich Fabian kennengelernt hatte. Dass er eigentlich eher ein Mann für nichts Festes war, verschwieg ich dabei. Schon meine Freunde rieten mir von ihm ab; er sei zu sprunghaft. Mein Vater sollte nicht mal im Ansatz so etwas denken.

„Wir sollten die beiden nicht noch länger warten lassen“, meinte mein Vater schließlich und lächelte wieder ganz normal. Er hatte mir versichert, dass er und meine Mutter mit dieser Sache kein Problem hätten, und dass es höchstes schade um die Enkelkinder wäre. Überhaupt hatte er mir einen großen Teil meiner Angst genommen.

Als wir nach unten ins Wohnzimmer kamen, saß Fabian neben meiner Mutter auf dem Sofa und sie guckten sich eine Quizshow an.

„Was ist ein Koronarogram?“, fragte meine Mutter sofort, als wir reinkamen und Fabian grinste mich an. Sofort war klar, dass auch meine Mutter ihren ersten Schock überwunden hatte.

„Irgendein Röntgenbild vom Herzen oder so...“, antwortete mein Vater sofort in Rätselstimmung und ich ließ mich neben meinem Freund nieder.

„Es ist gut gelaufen“, flüsterte ich und lächelte ihn an.

Den restlichen Abend verbrachten wir bei meinen Eltern im Wohnzimmer und irgendwann traute ich mich auch, mich gegen Fabian zu lehnen und vor mich hinzudösen. Ich fühlte mich viel wohler als all die Jahre zuvor.
 

Die Leute an der Uni, die es noch nicht wussten, erfuhren von uns nach dem Semesterferien. Noch ein paar Mal bekam ich gute Ratschläge, dass ich mich auf den Falschen eingelassen hatte, oder hörte ein paar abwertende Kommentare, doch schnell hatten sich alle daran gewöhnt. Und so konnte ich endlich der Kai sein, der sich sonst immer hatte verstecken müssen.
 

Das alles geschah vor und während meines siebten Semesters. Ein Jahr später schlossen wir beide die Universität mit Diplom ab und zogen zusammen.

Noch immer schien das alles für mich wie ein Traum. Ich war mit dem Mann zusammen, den ich liebte, und mittlerweile war ich mir auch sicher, dass er meine Liebe erwiderte. Es war eine wunderschöne Zeit!
 

Wieso bloß musste das alles enden?
 

~ * ~
 

Das Telefon klingelt... Mit seinem grässlichen Ton reißt es mich aus meinen Gedanken. Ich sitze noch immer am Boden unter der Fensterbank. Meine Wangen sind tränennass, aber ich weine nicht mehr.

Noch drei Mal klingelt es, und obwohl ich eigentlich gerade mit niemandem sprechen will, raffe ich mich schließlich auf und nehme ab.

„Hey Süßer!“, ertönt sogleich die fröhliche Stimme meiner besten Freundin.

Sie war die Erste, der ich von Fabians Geständnis erzählte. Ich habe ihr immer alles erzählt. Als ich nicht auf ihre Begrüßung reagiere, spricht sie sofort weiter.

„Wir wollten heut Abend ins Marve... Wie wär’s?“

„Weiß nicht...“

Sie weiß doch, wie schlecht es mir geht. Will sie mich nur aufmuntern oder schon wieder verkuppeln?

„Ach, komm schon! Es wird dir gut tun!!“

„Aber...“

„Ach was, kein aber! Ich hol dich um Elf ab, damit basta!“

Ich seufze und kann mir dennoch ein winziges Lächeln nicht verkneifen.

„Warum fragst du dann überhaupt?“

„Anstand, mein Lieber...“ Sie lacht. „Also abgemacht! Bis nachher!“

Und schon ist das Gespräch beendet. Ich starre den Hörer an.

Scheiße... ich habe keinen Bock rauszugehen!
 

Dennoch bin ich sogar schon um halb Elf fertig und sitze unruhig auf meinem Sofa. Mit allen Mitteln habe ich in den letzten sechs Stunden versucht, mich von Fabian abzulenken, was nicht gerade leicht ist, wenn man bedenkt, dass ich zwei Jahre lang mit ihm in dieser Wohnung gelebt habe. Es wird wirklich Zeit, dass ich mir eine neue suche!

Um zehn vor Elf steht Susanne vor meiner Tür. Sie umarmt mich und lacht mich fröhlich an.

„Bereit, Fabian endlich zu vergessen?“, fragt sie lachend, als sie mich in den Aufzug schiebt.

Sie erhält von mir nur ein müdes Lächeln als Antwort.
 

„Also sehr gesprächig bist du heute wirklich nicht!“, mault sie, als wir beim Marve ankommen.

„Wundert’s dich?“

„Ach komm schon, Schatz, das Leben geht weiter! Du bist jetzt schon seit zwei Wochen Single, Zeit das wieder zu ändern!“

Wusste ich’s doch!

„Ey wirklich Susi, ich hab keinen Bock verkuppelt zu werden...“

„Aber ein bisschen Spaß haben ist doch wohl erlaubt, und außerdem...“

Den Rest verstehe ich nicht mehr, denn die laute Musik im Inneren des Marve übertönt sie.

Susanne greift nach meiner Hand und zerrt mich mit sich durchs Getümmel bis wir schließlich bei einem kleinen Grüppchen Halt machen.

„Hey Kai! Schön dich auch mal wiederzusehen!“, werde ich sogleich begrüßt und von allen umarmt.

Zwingend lächle ich ihnen zu und würde am liebsten sofort wieder umdrehen. Es war keine gute Idee, mitzukommen, schon jetzt nerven mich ihre lachenden Gesichter.

Dennoch fällt es Ralf und Maike nicht schwer, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ich kenne die Beiden schon ewig und war sogar vor ein paar Jahren mal in ihn verschossen. Heute kann ich mich selbst nicht mehr so ganz verstehen.

Maike fragt mich über meine Arbeit aus. Sie wird dieses Jahr fertig mit dem Studium und überlegt noch, in welche Branche sie nun entgültig gehen will.
 

„Ich hol mir noch was zu trinken...“, meine ich knapp drei Stunden später und dränge mich zur Bar durch.

„Einen Cuba Libre bitte!“ Ich lehne mich gegen die Theke und beobachte die Bedienung dabei, wie sie mir meine Bestellung mixt.

Mir wird schlecht, so langsam... Wie viel habe ich eigentlich schon intus?

Als ich mich mit meinem Cocktail in der Hand umdrehen will, werde ich von jemandem angerempelt.

„Hey, pass doch auf!“, meckert er und dreht sich zu mir.

„Sorry, das war keine-“ Ich stocke mit meiner eigentlich nicht notwendigen Entschuldigung, als sich die finstere Miene dieses schwarzhaarigen Mannes zu meinen Gunsten verändert. Plötzlich lächelt er.

„Hey! Wie geht es dir?“

Mist! Ich kenne ihn!! Schnell Kai, kommt drauf, wie er heißt... komm überhaupt drauf, woher!

„Gut...“, antworte ich zögernd und versuche noch, sein Gesicht einzuordnen.

„Mir auch! Find ich ja cool, dich mal wiederzusehen... Wie geht’s Fabian denn?“

Da macht es klick. Natürlich, einer seiner Freunde, einer von denen, die mir nie ganz geheuer waren. Es kann eigentlich noch gar nicht so lange her sein, dass ich ihn kennengelernt habe...

„Keine Ahnung wie es ihm mit seinem Neuen geht...“, antworte ich und schlucke bitter.

Ich habe ihn vergessen in den letzten Stunden, muss mich irgend so ein Kerl, mit dem ich erst ein einziges Mal geredet habe, wieder an ihn erinnern?

„Oh... das tut mir leid...“

Einen Moment lang schweigen wir beide. Ich spüre, wie mir schlecht wird, und wie ich mich plötzlich nach einem Sitzplatz sehne. Außerdem taucht Fabians Visage wieder vor mir auf.

„Hm... Lust, ein bisschen zu quatschen?“, fragt mich mein Gegenüber. Mir ist immer noch nicht eingefallen, wie er heißt.

„Egal...“

„Okay!“ Mir wird mein Drink aus der Hand genommen und dann werde ich mitgezogen. Mir wird immer schlechter.

Kurz darauf lassen wir uns an einem leeren Tisch nieder. Ich nehme mein Glas entgegen und trinke einen Schluck, obwohl mir nicht nur mein Körper sagt, dass ich es eigentlich lassen sollte.

Als ich meinen Blick wieder hebe, werde ich angelächelt. Seine Zähne sind irgendwie schief...

Er beginnt zu reden, über irgendwas... Schnell vergesse ich zuzuhören und kann ihm schon bald nicht mehr folgen. Ich starre ihn nur an, nicke ab und zu oder schüttle den Kopf. Warum rauschen seine Worte an mir vorbei? Warum kann ich sie nicht aufnehmen?

Noch ein Mal hebe ich das Glas an meine Lippen.

In und um mir dreht sich alles. Mir wird schlecht... verdammt... mir...

Klappernd stelle ich das Glas wieder ab und presse die Hand vor den Mund. Ich würge und spüre, wie mir der Schweiß ausbricht.

Ein Lachen, dann werde ich vom Stuhl hochgezogen. Torkelnd und mit der Hand noch immer vorm Mund, werde ich mitgezogen, finde mich in einem grässlich hellen Raum mit ein paar Toiletten wieder. Gerade noch rechtzeitig erreiche ich eine solche, dann kommt alles aus mir heraus, das ich in den vergangenen Stunden getrunken und gegessen habe.

Wie peinlich!, ist mein erster Gedanke, als ich fertig bin und erschöpft zu den Waschbecken taumle. Muss mir so etwas gerade vor jemandem passieren, den ich kaum kenne?

Ich sehe sein Grinsen im Spiegel und werde rot, spüle mir abermals den Mund aus und bekomme dennoch diesen ekelhaften Geschmack nicht los.

„Alles okay?“, fragt er mich schließlich und legt mir die Hand auf die Schulter.

„Ja...“ Ich schlüpfe unter der Hand hinweg und will zur Tür gehen, als mir erneut schwindelig wird. Kommt der Boden mir wirklich näher?

Schnell lehne ich mich an die nächstbeste Wand und schließe die Augen.

„Scheiß Tag!“, fluche ich und versuche, meinen Kopf wieder unter Kontrolle zu bekommen. Alles ist so nebelig...

Im nächsten Moment spüre ich einen Körper an meinem. Erschrocken öffne ich meine Augen. Direkt vor mir steht er, schiebt sein Bein zwischen meines. Sein Gesicht ist mir so nahe...

Noch bevor ich das überhaupt realisiere, drückt er auch schon seine Lippen auf meine. Sofort dringt seine Zunge in meinen Mund. Ich will ihn von mir drücken; das ist doch ekelhaft; doch er ist zu stark. Hände greifen nach meinen und seine Zunge dringt tiefer. Schon wieder wird mir schlecht und ich muss würgen.

Dann plötzlich werde ich von der Wand weggerissen. Noch während des Kusses zieht er mich in eine Kabine und schlägt mit einem lauten Knall die Tür zu. Ich werde erneut an eine Wand gepresst.

Verdammt, was soll das werden?

Die Lippen wandern über meinen Hals und im nächsten Moment macht er sich an meiner Hose zu schaffen.

„Hey, was-“

Mit seiner anderen Hand drückt er meinen Mund zu.

„Sei still!“

Meine Hose rutscht zu Boden, samt Boxershorts, und als er mich dann gegen sich drückt, spüre ich seine Erektion.

Ich winde mich und versuche zu treten, doch irgendwie schwindet meine Kraft immer mehr. Mir ist immer noch schlecht... Ich kann nicht mehr...

„Stell dich nicht an wie eine Jungfrau!“

Er zieht sich die Hose hinunter und greift dann mit seiner Hand nach meinem Po. Noch näher drückt er mich gegen sich, dringt mit zwei Fingern in mich ein.

Tränen steigen mir in die Augen, während ich noch immer versuche, mich zu wehren, mir dabei aber fast meine Beine nachgeben.

Sein Stöhnen dringt in mein Ohr, als er beginnt, sich an mir zu bewegen, und auch seine Finger weitergehen lässt. Ich schreie gegen seine Hand und beiße hinein, was mir schließlich einen Schlag einbringt.

Fabian! Wo bist du?!

Immer lauter stöhnt er, reibt sich fest an mir, und nur kurz darauf spüre ich etwas Feuchtes an meinem Unterkörper. Einen Moment lang noch verharrt er so, dann zieht er seine Finger zurück und sieht mich an. Seine schiefen Zähne grinsen dreckig, als er mich loslässt und ich fast zu Boden sinke.

„Du Schwein!“, ist das einzige, was ich sagen kann, obwohl ich ihn jetzt am liebsten anschreien und verfluchen würde.

Ich beobachte, wie er seine Hose wieder hochzieht, mich noch einmal hämisch angrinst, irgendeinen unverständlichen Kommentar murmelt und die Toilette verlässt.

Was um Himmels Willen war das?

Mit einem Mal breche ich in Tränen aus.
 

Es ist wohl einige Zeit vergangen, als ich mich wieder beruhigt habe. Mittlerweile sitze ich am Boden dieser versifften Toilette. Ich wische mir mit dem Ärmel die Tränen weg und mit Toilettenpapier sein Sperma von meinem Körper. Dann stehe ich auf und ziehe mich an. Noch immer sind meine Beine weich wie Butter und die ersten Schritte fallen schwer.

Das, was da eben passiert ist... Wieso passiert mir so etwas?

Wieso um alles in der Welt ist mein Leben so verdammt scheiße?!

Ich stolpere aus der Toilette und remple eine Frau an. Ich höre ihr Fluchen kaum, folgt dem auch schon das nächste, als ich mich so schnell es geht durch die Menge dränge. Einige Ellenbogen und Verwünschungen später finde ich mich auf der Straße wieder. So schnell es mein momentaner Zustand zulässt, wanke ich diese entlang. Ich will in mein Bett, schlafen und denken, dass alles nur ein schlechter Traum war.

Warum bloß?

Warum ist so was passiert?

Warum konnte ich nicht einfach einen lustigen Abend mit meinen Freunden haben?

Warum musste ich mich derart betrinken?

Warum macht ein Kerl einfach so was mit mir?

Warum war Fabian nicht bei mir?!

„HEY! Pass auf!“

Ich werde zurückgerissen und lande auf dem Boden. Ein lautes Hupen, helles Licht, ein Auto, das an mir vorbei rauscht. Mein Herz rast wie wild. Dann erst das Gefühl eines Körpers auf mir. Sofort stoße ich ihn weg, sehe mich verwirrt um und versuche aufzustehen, stolpere und falle.

Im nächsten Moment wieder zwei Hände, die meine Schultern packen. Ich will sie abschütteln, doch sie halten mich fest.

Ich sehe hoch und sehe in ein junges, erschrockenes Gesicht.

Wieder versuche ich mich aus dem Griff zu winden, während Übelkeit in mir aufsteigt.

Verflucht, was ist das für ein Tag?

Das Letzte was ich spüre, ist, wie mir mein Körper erneut nachgibt und ich gegen jemanden sinke. Dann ist alles schwarz.
 

END – PART 1



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von: abgemeldet
2008-11-04T13:27:52+00:00 04.11.2008 14:27
Oh nein. Das ist ja schrecklich. Kai hat so richtig Pech. Klingt ja noch harmlos. Ist ja richtig besch...
Bin gespannt wie es weiter geht.
Von:  Shunima
2008-03-17T12:40:58+00:00 17.03.2008 13:40
warum gibt es immer nur so wenig kommentare zu deinen kapiteln? :(
Kann ich echt nicht verstehen!
Vol Stil her gefällt mir diese Story noch besser als der Vorgänger dazu und da war ich schon süchtig :) Der Fluss ist hier besser, es wirkt sogar noch lebendiger, da einige wenige doch vorhandene holprige Stellen nicht da sind. Bisher ^.~
Keep on going :D
Von: abgemeldet
2007-05-14T18:55:17+00:00 14.05.2007 20:55
Ich bin beeindruckt... wirklich. Bisher ist das die einzige FF in der das schwule Leben nahezu exakt an die Realität agepasst ist. Tschuldigung, aber auf Rechtschreibung und Grammatik habe ich gar nicht geachtet, da ich so hin und weg war. Es sind nur wenige kleinere Details die einen echten Schwule (der sich in der Szene auskennt) grübeln lassen, so zum Beispiel die Vergewaltiung (kann ich nicht erklären aber, alle "Freunde" von mir, die ich fragte, fanden den Akt ebenfalls seltsam). Auch die Tatsache, dass Fabian wie der perfekte Partner erschien und Kai dann doch fallen ließ ist nicht ganz treffend, sein Handeln passt nicht zu seiner Philosophie des schwulen Lebens (ist er vielleicht Schauspieler?). Trotzdem ist es immernoch spannend und, wie ich bereits sagte, sehr realitätsnah, was für SA Stories nun wirklich selten ist und nur, denen die lange genug "dabei" sind sollten diese Dinge auffallen. ;)

Ich werde die Geschichte auf jedenfall weiter verfolgen und gegebenenfalls wieder meinen Senf, als jemand der sich auskennt, dazugeben!

Take care!
Viv
Von:  inulin
2007-01-08T14:58:40+00:00 08.01.2007 15:58
schön *.*
der teil, in dem du die beziehung zwischen kai und fabian erzählt hast, war total schön geschrieben.
man merkt, dass kai ihn geliebt hat und die zeit genossen hat. aber auch fabian kam so rüber, als dass er die beziehung mit ihm gerne geführt hatte.
doch ist das genauso traurig gewesen, wie die beiden nicht mehr zusammen waren.
ich mag die beiden charaktere total gern. ^^

die toilettenszene war auch super beschrieben. zuerst war mir der typ unsymphatisch, als er ihn angerempelt und dumm von der seite angemacht hatte, dann mochte ich ihn irgendwie als sie zusammen am tisch saßen und sich unterhielten, naja... viel mehr einen monolog führten ^^
und ähm *räusper* nach der sache auf der toilette, war die sache mit der sympathie dann eh vergessen... <.<

ich bin gespannt, wem er da in die arme gefallen ist. hoffentlich is kai nicht dem nächsten idioten entgegen gerasselt. die letzten zwei wochen waren ja so schon schlimm genug für ihn. ganz zu schweigen von dem abend. da kann man ihm doch nur wünschen, dass wenigstens diese person, die ihn vor dem auto gerettet hatte kein arsch ist.

ich freu mich auf deinen nächsten teil ^^
Von:  achikochi
2007-01-08T14:54:18+00:00 08.01.2007 15:54
armer kai! T-T
ich hoffe jemand "nettes" hat ihn da vor dem auto gerettet...

blöder fabian! was hat der denn für freunde?!
also meine abneigung gegen ihn wird mit jedem kapi größer...
nach dem nächsten is es bestimmt schon inniger hass...

schreib bloß schnell weiter ^^
Von:  Kato_chan
2007-01-08T13:28:43+00:00 08.01.2007 14:28
boah! das kapitel ist echt kuhl xD der arme kai *heulz* wie kann dieser blöde wicher ihn einfach mittem auf dem klo vergewaltigen?!!! so eine dreckssau!!!! *sniff* und warum hörst du so spannend auf?! *unbedingt wissen will wies im kapitel 2 weita geht*


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