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Blutsgeschwister

von

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Alltägliche Schuld

Juni 1979
 

„Das macht überhaupt keinen Sinn.“, sagte Sirius zum hundertsten Mal. James stöhnte laut auf.

Den ganzen Morgen schon hatten sie diese Diskussion geführt. James hatte gehofft, er würde endlich damit aufhören, wenn sie sich in Bewegung setzen. Doch dem war definitiv nicht so.

Die jungen Rekruten waren an die Grenze der Universität appariert.

Auf dem ganzen Gelände herrschte striktes Apparierverbot. Es war wie in Hogwarts einfach nicht möglich.

Irgendein dussliger alter Professor hatte vor ein paar Jahrhunderten beschlossen, dass es im Sinne des Geheimhaltungsabkommens wäre. Besonders da auf dem Campus so viele Muggel studierten.

James hatte es immer schon als lästig Empfunden, den ganzen Fußweg in Kauf nehmen zu müssen, um Remus zu besuchen. Doch heute störte es ihn besonders.

Denn es gab Sirius eine unverhohlene Gelegenheit seine Diskussion fortzusetzen. Eigentlich hatte er den Eindruck gehabt, er habe seinem besten Freund recht deutlich vermittelt, dass jeder seiner Einwände dämlich war.

An der Sache mit der Autorität musste er wohl dringend noch einmal arbeiten. Wenn Lily und seine Mutter Sirius zusammen stauchten war er immer ziemlich schnell still.

„Du weißt, dass ich ihm nicht helfen kann.“, fuhr Sirius unbeirrt fort.

James schnaubte, sagte aber nichts.

Sie passierten einen schmalen Pfad, der sie über eine sehr präzise gepflegte Wiese an einer alten Kapelle vorbei führte.

Der Kirchturm warf große Schatten auf den Boden. James bemühte sich in den schattigen Flecken zu laufen, um der Sonne aus dem Weg zu gehen. Für Anfang Juni war es ungewöhnlich warm. Seine Aurorenrobe war nicht unbedingt Luft durchlässig. Die Sonne fiel unangenehm auf den schwarzen Stoff und James begann unangenehm zu schwitzen.

Dank Sirius jedoch hatte er keine Zeit gehabt sich umzuziehen. Was eigentlich auch nicht weiter wild war, auf dem Campus fielen sie nicht wirklich auf.

Die Muggel dachten sicher sie gehörten zu irgendeiner komischen Studentenverbindung. Cheryl hatte ihm von solchen Ritualen und Banden berichtet. Ihr Vater hatte auch oft von einer magischen Bruderschaft erzählt.

„Ich wäre besser ihm Manor geblieben.“, beschwerte sich Sirius hinter ihm erneut. James warf ihm über seine Schulter hinweg einen finsteren Blick zu.

„Und was hättest du da getan?“, fragte er.

„Na – deiner Mum geholfen.“ James seufzte laut.

„In dem du die Schüsseln ausgeleckt und vor Ebony Grimassen geschnitten hättest?“, prophezeite er.

„Wenn du, dass so sagst klingt das als wäre ich verfressen.“ Sirius schmollte. James brauchte sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er seine Unterlippe vorgeschoben hatte.

Ebony hatte morgen Geburtstag. Seine Mutter war schon den ganzen Vormittag mit den Vorbereitungen für die Geburtstagsfeierlichkeit zu Gange. Natürlich durfte eine Torte nicht fehlen.

James sog hörbar nach Luft. Im ganzen Haus hatte es fantastisch nach Schokoladenkuchen gerochen. Am liebsten wäre er selbst dort geblieben.

Wie der Zufall so wollte viel Vollmond auf die Nacht vor Ebonys Geburtstag. Und das war definitiv ein Grund um nach Remus zu sehen.

Es reichte ja nicht, dass Ebonys Geburtstag der Todestag seiner Schwester war. Noch dazu hatte Greyback ihn erst vor ein paar Tagen, bei dem Angriff auf das Kinderheim, ziemlich übel erwischt.

Natürlich hatte Lily es nicht dabei belassen Remus zu heilen. Sobald sie Zuhause angekommen waren hatte sie begonnen zu recherchieren, was die Berührung mit dem Gift seines Erschaffers für Folgen haben konnte.

James musste unweigerlich daran denken, wie besorgt sie hinter diesem dicken Wälzer versunken war. Ohne es zu bemerken lächelte er.

Er war froh Lily zu haben. Nicht jede Freundin würde sich solche Sorgen, um seine Freunde machen. Letztendlich hatte sie ein paar Dokumentationen über ähnliche Vorfälle gefunden. Und immer wieder wurde dasselbe beschrieben. Das wenn das Gift des Erschaffers in die Venen eines seiner Kinder gerät, dem Werwolf eine sehr schmerzhafte und grausame Verwandlung bevorstehen würde.

Dies könne nur um Beisein des Urwerwolfs gelindert werden. Da es aber keine Möglichkeit war Greyback zu suchen und ihn zu Remus in die Katakomben zu sperren, hatte James beschlossen, dass er zumindest nach ihm sehen musste.

Ob er die Nacht als Hirsch bei ihm verbringen würde, konnte er dann immer noch entscheiden. Und das war jener Grund, der diese endlose Diskussion mit Sirius verursacht hatte.

Denn er konnte sich nicht verwandeln. Der Blutsschwur verhinderte es.

Das hinderte ihn aber trotzdem nicht daran Remus einen kurzen Besuch abzustatten, fand James. Sirius hingegen fand das nutzlos.

Wahrscheinlich fühlte er sich einfach nutzlos und handlungsunfähig. James verstand das bis zu einem gewissen Punkt. Den einfach gar nichts zu machen war ziemlich feige.

Sie ließen die Kapelle hinter sich und eilten an ein paar ehrwürdigen Gebäuden vor. Ein besonders imposanter Altbau – vermutlich eine Bibliothek – verlängerte die Schatten auf dem Weg.

Einige Studenten verließen das Gebäude voll bepackt mit Büchern. Allgemein herrschte ein Recht geselliges Treiben auf dem Campus.

Sie überquerten einen kleinen Hof, wobei James mehrfach stehen bleiben musste, da Sirius ständig irgendwelche Werbeflyer in die Hand gedrückt worden.

Natürlich blieb er jedes Mal stehen, wenn ein besonders hübsches Mädchen versuchte ihre Flyer los zu werden.

James hatte die Nase irgendwann gestrichen voll, packte ihn an seiner Kapuze und schleifte ihn weiter.

„Boaa Krone!“, protestierte Sirius lautstark.

„Das klingt wirklich lustig. Weißt du was eine Flatrate Party ist?“ Er wedelte mit einem bunten Flyer vor seiner Nase herum.

„Keine Ahnung.“, stöhnte James und zuckte mit den Schultern. „Jetzt beweg dich endlich! Wenn du faule Flohschleuder weiter so trödelst, dann steht der Mond am Himmel bevor wir da sind.“

„Spielverderber!“

Merlin sei Dank, dauerte es nicht mehr lange, bis sie endlich das Haus erreichten in dem Remus wohnte.

James betätigte die Klingeln und schleifte Sirius kurzer Hand durchs Treppenhaus nach oben.

Es war Cheryl die ihnen die Wohnungstür öffnete.

„Cousinchen.“, begrüßte James sie und drückte ihr einen Kuss auf beide Wangen.

„Gut, dass ihr da seid.“, bemerkte sie und lies die beiden herein.

„So schlimm?“, fragte James. Cheryl nickte besorgt.

„Wo ist er?“

Cheryl deutete auf die hinterste Tür im Flur. „Im Arbeitszimmer. Er kommt da seit Tagen nicht mehr raus.“
 

Remus saß in der hintersten Ecke seines Arbeitszimmers. Der Schreibtisch verdeckte sein Gesicht, als James eintrat.

Er war völlig versunken in seiner eigenen Welt. Sein Rücken schmerzte vom langen Sitzen. Er formte ein Hohlkreuz und lehnte sich mit der anderen Schulter an das riesige Bücherregal zu seiner Rechten. Es war einfach nicht möglich lange in der selben Position zu verharren. Dafür war seine innere Unruhe zu stark. Remus hatte Mühe sie zu kontrollieren. Doch genau das war es was er seit Tagen versuchte.

Hunger hatte er keinen.

Er wusste nicht so Recht, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Vermutlich vor dem Angriff auf das Kinderheim. Der Wolf in ihm schrie unaufhörlich. Es fiel ihm schwer seine Stimme zu ignorieren. Es war schier unmöglich.

In all den Jahren hatte er sich an seine Stimme gewöhnt. Daran das es ein paar Tage jeden Monat gab, an denen seine eigene Stimme von der des Ungeheuers in ihm übertönt wurde.

Daran das sein Verlangen, um so vieles Stärker war als seine eigenen Interessen.

Er war lauter. Gieriger. Wilder.

Es gab Tage, an denen es ihm nicht gelang seine Bedürfnisse zu ignorieren. An denen diese tiefen animalischen Bedürfnisse in ihm die Überhand gewannen.

Er wusste, dass es einfacher war, wenn er das Monster in sich nicht hasste. Es gelang ihm jedoch selten sich daran zu halten.

Auch wenn er wusste, dass er Wolf ein Teil von ihm war. Kein fremdes Monster, dass von ihm Besitz ergriffen hatte. Sondern ein Teil seines Innersten.

Vielleicht hasste er ihn gerade deshalb aus tiefster Seele. Wie oft hatte er sich gewünscht normal zu sein?

Er kannte all diese Phasen. Den er erlebte sie stets vor jedem Vollmond.

Und doch war es diesmal anders.

Der Kampf gegen Greyback spielte sich immer wieder vor seinem geistigen Auge ab. Er fühlte seine Präsens. Sie war ganz nah bei ihm.

In seiner eigenen ausgewählten Finsternis. Es gelang ihm nicht so Recht an Deleisha zu denken.

Greybacks Worte hatten einen Zorn in ihm entfacht. Jenen Zorn den er schon letztes Jahr gespürt hatte. Damals war die Trauer irgendwann stärker gewesen als der Zorn.

Er hatte sich redlich bemüht ihr Andenken in allen Ehren zu halten. War jede Woche mehrfach bei Sirius, um sich um seine kleine Nichte zu kümmern.

Ebony war alles was von seiner Schwester geblieben war.

Alles was er tat, all seine Bemühungen, all seine Zeit, all das – es war nicht genug. Es konnte die Lücke nicht füllen, die sie in seinem Leben hinterlassen hatte.

Es war seine Schuld. Und er?

Er schaffte es nicht einmal sich, um ihre Tochter zu kümmern. Mehr für sie zu sein als der nette Onkel, der Ausflüge mit ihr machte und ihr beim Schlafen zu sah.

Er hatte den egoistischen Weg gewählt. Sich für dieses Studium entschieden. Für sein eigenes Leben.

Als Greyback all diese Bemerkungen gemacht hatte, da waren alle seine inneren Impulse mit ihm durchgegangen.

Als er Hannah angegriffen hatte, nur um ihn erneut zu verletzen, hatte er das Gefühl gehabt ein Teil seiner Seele würde zerreißen.

Er hätte sich niemals verziehen, wenn er ihr etwas geschehen wäre. Nicht ihr auch noch.

Sie war das letzte bisschen das von seiner Familie noch übrig geblieben war.

Und doch?

Es gelang ihm nicht all diese anderen Bemerkungen aus seinem Kopf zu verdrängen. Mittlerweile wusste er was Greyback gemeint hatte.

Der Brief vom Ministerium hatte bereits auf ihn gewartet als er heimgekehrt war. Der Brief über diese wiederwertigen neuen Gesetze des Zauberreiministeriums.

Wieder einmal musste er sich einer gründlichen Überprüfung durch das Ministerium unterziehen. Natürlich war er schon immer ein registrierter Werwolf gewesen.

Er war sich trotzdem sicher. Diesmal war es anders.

Alles veränderte sich. Die Presse, die Gesetze im Ministerium, Zusammenkünfte von Hexen und Zauberern an allen möglichen magischen Orten.

Das Ministerium zog die Zügel an. Er wusste, dass sie es mussten.

Doch wieder einmal mehr hatte er das Gefühl, dass sie die falschen Methoden wählten, um zu erreichen was sie wollten.

Waren sie dann auch nur einen Deut besser als Voldemort?

Schnell verdrängte er diesen Gedanken in die hinterste Ecke seines Kopfes.

Aber es war schlicht und einfach nicht fair.

Sie hatten es gewusst, sagte die leise Stimme in seinem Kopf. Seine Freunde hatten es gewusst.

James, Sirius und Lily. Natürlich hatten sie es gewusst, sie arbeiteten in der Aurorenzentrale. Nach allem was sie für ihn getan hatten, hatten sie es nicht für nötig gehalten ihn darüber zu informieren.

Remus wusste nicht warum dieser Gedanke eine unbändige Wut in ihm auslöste. Aber er tat es. Hätte es den etwas geändert?

Wenn sie ihm vor dem Brief und vor Greyback davon berichtet hätten?

Wahrscheinlich nicht.

Aber es fühlte sich verdammt noch mal nicht so an.

James stand noch immer im Türrahmen. Er räusperte sich. Remus hatte ihm bisher keinerlei Beachtung geschenkt.

Er tat sich schwer sich loszureißen, von dem kleinen Loch in der Wand, dass er seit Stunden fixierte. Er erlaubte sich nach einem weiteren Räuspern von James ihn anzusehen.

Sein Freund stand da. Seelenruhig. Und sah ihn durch seine düsteren Augen besorgt an.

Warum war er gekommen?

Und Remus erkannte, dass es Schuld war. Auch James fühlte sich schuldig.

„Moony...“, begann James. Seine Stimme klang rau, erschöpft und müde. Remus war sich sicher, dass James sich auch genauso fühlte. Und schuldig.

„Was?“, fragte er harsch.

James erwiderte nichts. Er schob den Schreibtischstuhl bei Seite. Das Knarren, dass die Rollen auf dem Parkettboden hinterließen, war um so vieles lauter als es hätte sein sollen.

Remus wusste es war der Wolf. Der Wolf hatte diesen über aus ausgeprägten unmenschlichen Gehörsinn. Der Wolf überschattete seine eigenen menschlichen Sinne.

James lies sich geschmeidig neben ihm auf dem Boden nieder.

„Ich wollte nach dir sehen.“, sagte James vorsichtig.

Er roch ziemlich stark nach schweiß. Kein Wunder, draußen war es höllisch warm. Das Arbeitszimmer war hingegen ziemlich kühl. Remus hatte die Fenster verzaubert, damit die Hitze nicht nach innen dringen konnte.

Die Rollos waren immer noch zur Hälfte heruntergelassen. So wie er die Wohnung hinterlassen hatte bevor er in dem tropfenden Kessel appariert war, um sich mit Wurmschwanz zu treffen.

„Das hast du ja jetzt.“, antwortete Remus tonlos.

Etwas anderes viel ihm nicht ein. Da war auch nichts, was er hätte sagen können. Nichts was James Schuld lindern könnte.

James rückte seine schmale Brille zu recht. „Tut es noch sehr weh?“

Remus zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Lily hat alles hervorragend geheilt, wenn es das ist was du meinst.“

Er seufzte auf.

„Sie sagt, es könnte Auswirkungen haben.“, fuhr James fort. „Auf deine Verwandlung.“

„Sagt sie das also?“ Lily war schließlich kein verfluchter Werwolf!

James nickte.

„Merkst du was?“ Remus antwortete nicht.

„Ich dachte...“ James zögerte. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, doch Remus fiel es sofort auf. „Vielleicht könnte ich mit dir kommen. Heute Nacht.“

Remus schnaubte.

„Wohin den?“

Cheryls Eltern hatten dem Dekan ein kleines Vermögen bezahlt, damit Remus die Vollmondnächte in den unbenutzten Katakomben unter der Universität verbringen konnte.

Es war nicht die heulende Hütte.

Die Katakomben waren eng, feucht und rochen modrig. Der Wolf hasste sie.

Es gab auch keine peitschende Weide, die man überwinden konnte, um zu ihm zu gelangen.

Ein Medimagier aus dem Mungo bewachte ihn.

Remus war sich sicher, dass auch er exzellent für seine Aufgabe und vor allem für sein Schweigen bezahlt wurde.

Er hatte nicht nachgefragt. Es war ihm ohnehin schon unangenehm Geld von Cheryls Eltern anzunehmen. Aber ohne sie wäre es nicht möglich gewesen zu studieren.

Und so sehr er es auch hasste, er brauchte einen Ort. Einen Ort an dem seine Umwelt vor dem Wolf sicher war. Einen Ort an dem er nur sich selbst verletzte.

Keiner seiner Freunde war seit Hogwarts bei ihm gewesen. Niemand hatte gefragt, wo er sich aufhielt und ob man ihn begleiten könne.

Sie hatten alle genug zu tun gehabt. Außerdem war es nicht möglich. Zumindest Sirius konnte es nicht. Und Hannah konnte es auch nicht.

„Uns würde schon was einfallen.“, beschwor James.

„Was den?“, fragte Remus. James reagierte nicht.

„Es würde auch nicht viel nutzen, oder?“ Remus konnte sich nicht zurückhalten. „Du alleine, meine ich? Du könntest ihn nicht bremsen, wenn er in Rage gerät. Und ich bin sicher, dass wird er.“

„Ich könnte Würmchen fragen.“, schlug James vor.

„Der Wolf verspeist ihn zum Frühstück.“ Das stimmte nicht. Remus wusste, dass ein Werwolf nicht für Tiere gefährlich war. Aber es war ihm egal.

„Warum habt ihr es mir nicht gesagt?“ James blinzelte irritiert.

„Was?“

„Das neue Werwolf-Gesetz.“

„Moony...“

Er hatte ins Schwarze getroffen. Das Übel gefunden, ohne überhaupt danach gesucht zu haben.

Das war der Auslöser für James Schuldgefühle.

Ohne ihn wirklich zu betrachten, bemerkte er wie sehr es an James nagte.

Seine entspannte Körperhaltung hatte sich deutlich angespannt.

Er roch quasi sein Unwohlsein. Es war menschlich und gerade dafür menschliche Sinne sehr präzise in sich aufzunehmen, war er gerade empfänglich.

Er sehnte sich danach sie nicht so bewusst zu bemerken. James Emotionen.

Denn gerade, weil er sie so genau spürte, tat es ihm ein bisschen leid. Das er gerade so war wie er war. Distanziert. Kalt. Emotionslos.

Und so unsagbar wütend.

James gab sich wenigstens Mühe. Er hatte sich immer schon Mühe gegeben. Er war kein perfekter Anführer. Bei Merlin nicht.

Doch er gab sein bestes.

Trotz dieser seltsamen brüderlichen Verbindung die zwischen ihm und Sirius herrschte, hatte er es gewagt mit Hannah zu sprechen.

Bei der Meisterschaft. Er hatte sie bis zu einem gewissen Grad zurück geholt.

Remus hatte nicht wirklich damit gerechnet.

Denn diese Verbindung zwischen Sirius und ihm, sie war unnatürlich. Egal was einer von beiden tat, sie standen immer für einander ein.

Auch wenn es hieß durchs Feuer zu gehen.

Vielleicht lag er falsch. Etwas in ihm machte James den Vorwurf, dass er den Kampf mit Sirius gegen Bellatrix aufgenommen hatte.

Anstatt ihm zu helfen. Anstatt direkt an seiner Seite gegen das Monster zu kämpfen, dass sein Leben zerstört hatte.

Aber James und Sirius...nun ja...sie waren eben James und Sirius.

Trotzdem hatte er mit Hannah gesprochen. Dafür allein hätte ihm Remus all sein Gold aus Gringotts vor die Füße geworfen. Auch wenn es nicht wirklich viel war.

Aber James war gelungen, was ihm verwehrt geblieben war. Er hatte Hannah zurück geholt.

Und er tat es noch.

Allein deshalb musste er sich bemühen. Er musste James ansehen und zumindest versuchen zu verstehen. Versuchen zu verzeihen.

James rieb sich immer noch durch das rabenschwarze Haar. Er machte es immer, wenn er nervös war. Bewusst war Remus, dass noch nie aufgefallen.

„Also?“, fragte er erneut und nun sah er seinen Freund an.

James seufzte angespannt. „Nichts was ich sage macht es besser, oder?“

„Das weiß ich noch nicht.“, antwortete Remus leise. „Was würdest du den sagen?“

James zuckte mit den Achseln.

„Das Schweigepflicht zum Kotzen ist.“ Er zögerte. „Und das es mir ziemlich leid tut.“

Remus sah ihn an und er wusste, dass er es ehrlich meinte.

Er wusste nur nicht, ob es es besser machte.

„Seit wann hältst du dich an solche Dinge wie eine Ministeriumsinterne Schweigepflicht?“, fragte er tonlos.

„So was hat dich noch nie interessiert. Und jeden Moment im Orden verstößt du dagegen. Dass weißt du schon, Krone.“

James atmete hörbar aus.

„Ich weiß.“, gab er zu.

„Aber Moody hat uns darum gebeten. In diesem Fall darauf zu achten. Weiß Merlin warum.“

Er stützte seinen Kopf auf seinem Knie ab und sah schuldbewusst zu ihm herüber.

„Es war nicht wirklich so, dass wir es einhalten wollten.“, ergänzte er.

„Es war nur keine Gelegenheit da.“

Remus runzelte die Stirn. Tiefe Falten bildeten sich zwischen seinen frischen Narben.

„Mit mir zu sprechen?“, fragte er. Nun wieder zornig.

„Ihr hättet im Tropfenden Kessel etwas sagen können.“

James hob abwehrend die Hände.

„Nein, das meinte ich nicht.“ sagte er hastig. „Es war keine Gelegenheit da, in der wir uns beratschlagen konnten, ob wir uns an Moodys Anweisung halten.“

„Darüber hättet ihr ernsthaft sprechen müssen?“, fragte Remus enttäuscht.

James sah ihn sorgenvoll an, dann nickte er.

„Ich denke, dass hätten wir.“

„Gut zu wissen.“ Remus wusste genau wie harsch er klang, aber es kümmerte ihn nicht.

„Moony...sei nicht so.“, flehte James.

Remus zuckte mit den Schultern.

„Es ist nicht mehr zu ändern, oder?“ James antwortete nicht. Was sollte er auch sagen?

Remus selbst wusste, dass sie sich in einer Sackgasse befanden.

Er wollte nicht Verzeihen. Nicht jetzt. Er konnte nicht einmal differenzieren, ob es der Wolf in seinem innersten war, der diese Wut empfand oder er selbst.

Seine Gefühle und Instinkte verschwammen mit ihm. Es nützte nichts.

Aber er wollte James auch nicht gehen lassen. Immerhin war er hier. Er wollte nicht, dass er so gehen musste. Mit einer weiteren Last auf seinen Schultern.

Und mit der Möglichkeit ihn auch noch zu verlieren.

Natürlich wusste er, dass er ihn nicht verlieren würde. Auch wenn er einen Teil des Vertrauens in seine Freunde verloren hatte.

„Du hast Tatze mitgebracht?“, fragte er schließlich abschätzend.

Ein Themawechsel war ein sicheres Terrain. Obwohl seine Frage absolut überflüssig war. Denn Sirius schaffte es niemals leise zu sein.

Man hörte seine Stimme deutlich aus der Küche. Vermutlich trieb er Cheryl mit irgendwelchen unnützen und gesetzeswidrigen Anekdoten in den Wahnsinn.

Denn das tat er ja immer gern.

James nickte. Sichtbar erleichtert, dass Remus sich entschieden hatte, die Stille zwischen ihnen zu unterbrechen.

„Musste ihn fast herschleifen...“, gestand er grinsend. „Mum backt Kuchen.“

Remus betrachtete die Tür zum Flur auf dessen anderer Seite die Stimmen immer lauter wurden.

Er lachte kurz und hohl auf. „Da darf Tatze wohl nicht die Schüssel auslecken? Das muss das Schlimmste sein, was ihm diesen Monat passiert ist.“

James verstand. Natürlich tat er das. James verstand immer.

Remus musste ihm nicht sagen, dass die Situation zwischen ihm und Sirius immer noch angespannt war. Nach dem beide sich auf der Europameisterschaft beinah fast eine reingehauen hatten. Natürlich ging Remus nach wie vor bei Sirius ein und aus.

Er tat es für Ebony. Aber auch das musste er James nicht erklären.

„Moony.“, sagte James sachte. „Sei nicht so gehässig.“

„Schätze ER kann immer noch nicht mitkommen?“, fragte Remus. Er lies sich nicht beirren und reckte sein Kinn in Richtung Tür.

James seufzte schwer. Nachdenklich betrachtete er seine eigene Blutsschwurnarbe.

„Schätze nein.“, erwiderte er letztendlich.

Remus schnaubte verächtlich auf.

„Kommen sie wieder nicht klar?“ Seine Augenbraue war kritisch nach oben geschnellt.

„Ich weiß nicht.“

„Natürlich weißt du es. Er sagt dir immer alles.“

„Moony!“ James Hand war schon wieder zu seinen Haaren geschnellt.

„Also, Krone?“

Remus wusste, dass er ihm heute keine Antwort verwehren würde. Heute hatte er nicht die Möglichkeit zu schweigen oder über Quidditch zu diskutieren.

Er war sich sicher, James wusste es auch.

„Das war kein Streit neulich im Orden.“, bemerkte James schließlich.

Remus sah ihn ungläubig an. Natürlich hatte er Hannah beobachtet als sie mit Sirius in das Nebenzimmer gegangen war. Und dem Geräuschpegel zur Folge hatte es nicht sonderlich friedlich gelungen.

Fletcher jedoch war direkt neben der Tür stehen geblieben und hatte sich an die Wand gelehnt. Auch ihm schien nicht Wohl bei dem Gedanken Hannah mit Sirius alleine zu lassen. Vermutlich jedoch aus völlig anderen Gründen.

Aber auch als die Stimmen lauter geworden waren, war Fletcher nicht in das Zimmer gegangen. Also hatte Remus sich entschieden es ihm gleich zu tun. Obwohl er ziemlich mit dieser Entscheidung gehadert hatte.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Krone!“

James nickte stumm.

„Ich weiß es, Moony.“, antwortete er. „Du weißt doch, er sagt mir immer alles.“ Ein schiefes Grinsen schoss auf James Gesicht.

„Es war kein wirklicher Streit. Hannah kommt morgen. Tatze weiß das.“

„Was war es dann?“

Remus schaffte es kaum die Erleichterung darüber zu spüren, dass Hannah Ebonys Geburtstag nicht verpassen würde. Der Wolf war zu fordernd.

„Ich würde es eine Diskussion nennen.“

„Du wirst mir den Inhalt nicht sagen, nicht wahr?“

James grinste immer noch. „So viel ALLES weiß ich dann wohl doch nicht.“, gestand er.

Remus stöhnte.

„Das hättest du auch gleich sagen können, Krone.“

„Also soll ich mitkommen?“

Remus schob sein Gesicht zurück in die Schatten des großen Regals. Er wollte nicht, dass James bemerkte, wie sehr ihn dieser Gedanke in Versuchung brachte.

Es wäre einfach schön in dieser Nacht nicht alleine zu sein.

Schön einen Freund – nein – einen Gefährten zu haben.

Aber James hatte es bereits gesagt, auch wenn er lediglich Lilys Worte zitiert hatte, niemand wusste, was Greybacks Gift heute Nacht mit ihm anstellen würde.

Und egal welche Unzulänglichkeiten seine Freunde sich erlaubten, niemals würde er einen von ihnen wissentlich einem solchen Risiko aussetzen. Niemals!

„Nein.“, antworte er. Es kostete ihn jede Kraft, die der Mensch in ihm noch aufbringen konnte.

„Es ist besser alleine.“
 

„Sie können Mittag machen, Mr. Pettigrew.“ Mr. Oglive hatte es nicht lassen können ihm vorher minutenlang über die Schultern zu schauen und den Bericht unter seiner Feder zu inspizieren.

Es handelte sich, um eine trostlose Übersetzung aus dem letzten Treffen der internationalen Zauberervereinigung. Britannien hatte ohne Staatsoberhaupt nicht teilnehmen dürfen, aber die Franzosen hatten ihnen eine Abschrift zu geschickt. Selbstverständlich auf Französisch. Der Protokollant hatte eine ziemliche Sauklaue.

Viele Tinten verschmierte Stellen auf dem dünnen gelblichen Pergamentbogen machten den Übersetzungszauber doppelt so schwer. Peter war es nach Stunden endlich gelungen alles halbwegs zu entziffern. Selbst das Siegel des französischen Ministeriums hatte er makellos auf seine Niederschrift dupliziert.

Er beendete den Satz und steckte seine Feder zurück in die Halterung.

Rasch nickte er und griff nach seinem Umhang. Während er die Schnalle befestigte, warf er einen prüfenden Blick auf die riesige Uhr in seiner Bürozelle.

Er würde zu spät kommen. Ausgerechnet heute, wo er tatsächlich einmal eine Verabredung zum Mittagessen hatte.

Aber Diggory war natürlich zu erst in die Mittagspause gegangen. Sofern sich Peter erinnern konnte, ging Diggory stets zu erst in die Mittagspause. Auch beim Urlaub wurde er ständig bevorzugt behandelt.

Sein Chef war völlig vernarrt in Diggory. Außerdem hatte der Kollege natürlich Familie. Nicht wie Peter. Ohne Freundin. Ohne Kinder.

Peter schluckte und versteifte angespannt den Kiefer. Grob rieb er sich über die Wangen. Er musste aufhören daran zu denken.

Daran das Yuko bald eine Familie haben würde. Mit José Chang. Ausgerechnet mit diesem Widerling.

Vor ein paar Tagen hatte er ihn von Weitem im Atrium getroffen. Unmittelbar war er in Deckung gegangen. Er wusste selbst nicht so genau warum.

Er hatte nichts falsch gemacht. Es gab keinen Grund sich zu schämen oder sich zu fürchten.

Peter wusste das. Sirius hatte es ihm mehrfach bestätigt.

Obwohl er zugeben musste, dass Sirius so sehr er ihn auch bewunderte, nicht der beste Mensch für Beziehungsratschläge war.

Peter verschnellerte seine Schritte und fuhr mit dem Aufzug hinunter ins Atrium. Ein paar interne Memos sausten unentwegt an seinem Ohr vorbei.

Sie wechselten erst die Richtung als Peter hinüber zu den Kaminen trottete.

Er reihte sich in die rechte kurze Schlange der wartenden Kollegen ein.

Noch bevor er den Kamin betreten konnte, riss ein lautes Scheppern ihn aus seinen Gedanken.

In unmittelbarer Nähe war ein hagerer Mann auf den Boden gestürzt. Klirrend waren ihm mehrere Flächen und Phiolen aus der Hand gerutscht.

Einige waren geräuschvoll am Boden auseinander gesprochen. Winzige Scherben lagen überall verstreut. Eine grüne Flüssigkeit – vermutlich der Inhalt der kaputten Flaschen war auf den Boden gelaufen.

Sie verbreitete einen salbeiähnlichen Geruch. Peter zögerte nicht. Er ging in die Hocke und zog den Mann reflexartig auf die Beine.

Der Mann klopfte sich fluchend die Kleidung sauber.

Peter kannte ihn irgendwoher. Ihm fiel nur beim besten Willen nicht ein woher.

„Alles in Ordnung bei ihnen?“, fragte er.

Der Mann blickte ihn durch gläsrige Augen an. Es brauchte eine Weile bis er antwortete.

„Jahhh...“, stöhnte er.

„Nur ein Missgeschick.“ Seine Stimme klang völlig monoton. Die Art und Weise wie er Sprach war ziemlich irritierend. Irgendwie wie im Zeitraffer.

Der Mann warf einen mechanischen Blick auf den Boden.

„Das diese Böden immer so sorgsam polierten werden müssen.“, fluchte er abwertend.

Peter nickte.

„Ich hoffe ihnen ist nichts wichtiges kaputt gegangen.“, sagte er und betrachtete die ramponierten Gefäße auf dem Boden.

„Oh nein.“, sagte der Mann. „Nur ein simpler Heiltrank.“

Er kramte zittrig nach seinem Zauberstab und richtete ihn auf die Flüssigkeit am Boden.

„Ratzeputz.“

Der Mann nickte ihm zu. „Danke für ihre Hilfe.“

„Ihnen geht es gut?“, versicherte sich Peter höflich. Wieder nickte er und wandte sich mit einem Handgruß zum Gehen um.

Peter blieb verdattert stehen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Dieser glasige Blick, die zeitverzögerten Reaktion und die mechanische Bewegung.

Irgendetwas war faul.

Erst als Peter das Ministerium verlassen hatte und sich zielstrebig auf den Weg zum Café an der Ecke machte fiel ihm ein, woher er den verwirrten Mann kannte.

Es war Mr. Cartwright. Er arbeitete mit Lily in der Toxilogie.

Lily war die Einzige seiner Freunde, die darauf bestand, dass er stets zu Beginn seiner Mittagspause in die Aurorenzentrale kam, um nach zu sehen, ob sie Zeit hatte mit ihm Essen zu gehen.

Bei einer dieser Gelegenheiten hatte sie sie einander vorgestellt.

Er seufzte innerlich. Recht zufrieden mit sich, dass es ihm gelungen war, diesen Zusammenhang herzustellen.

Er würde definitiv mit Lily über seine Vermutungen sprechen müssen. Hier war etwas ganz und gar nicht geheuer. Peter hatte eine böse Vorahnung tief in seinen Eingeweiden.

Er war jedoch nicht gänzlich sicher, dass er die Symptome richtig gedeutet hatte. Lily würde wissen was zu tun sei.

Sie wusste schließlich immer was zu tun war. Vermutlich war er einfach übertrieben vorsichtig.

Hannah wartete bereits in dem Café an der Ecke.

Sie hatte sich an einem runden Tisch direkt vor dem Fenster niedergelassen. Es war fantastisches Wetter und Peter war froh darum, dass sie sich entschieden hatte draußen zu sitzen.

Er genoss die frische Luft. In seiner Bürozelle gab es kein verzaubertes Fenster. Dies stand nur höheren Beamten zu. Den ganzen Tag in einer düsteren Büronische eingesperrt zu sein, konnte manchmal schon ziemlich beengend sein.

„Würmchen!“, begrüßte Hannah ihn. Sie stand auf und drückte ihm einen Kuss auf beide Wangen.

Peter setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber.

„Ich dachte, schon du kommst gar nicht mehr.“, warf sie ihm grinsend vor.

Peter hob abwehrend beide Hände.

„Feder, ich habe dir gesagt, mein Chef ist ein Arschloch.“ Er blickte sich hastig um. Bei seinem Glück stand Mr. Oglive nachher noch genau hinter ihm.

Hannah lachte.

„Leiden wir auch schon unter Verfolgungswahn, Mr. Wurmschwanz?“

„Gar nicht.“, erwiderte er schmollend.

„Ich bin nur irgendwie vom Pech verfolgt.“, beharrte er. Hannah betrachtete ihn belustigt.

„So hartnäckig kann das Pech nicht sein.“, kommentierte sie. „Du hast noch alle Körperteile und atmen kannst du auch noch.“

„Ist das deine Definition für Pech?“ Peter zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Vielleicht ein bisschen bösartig angesetzt, oder? Vielleicht solltest du einmal deine Prioritäten überdenken.“

„Würmchen.“, tadelte Hannah ihn. „Ich bin nur realistisch.“

Sie senkte die Stimme, denn die Muggelkellnerin war am Tisch neben ihnen aufgetaucht, um dem Pärchen das dort saß, die Rechnung zu bringen.

„Es ist ein Wunder, dass wir in dieser Zeit alle noch leben und noch halbwegs ganz sind. Zumindest noch bei Verstand.“

„Bei Verstand waren wir noch nie. Soweit ich mich erinnern kann.“ Hannah gluckste.

Peter orderte einen Kaffee und ein Sandwich als die Kellnerin zu ihnen herüberkam. Beide warteten bis sie außer Hörreichweite war bevor sie ihr Gespräch fortsetzen.

„Hast du es?“, fragte Hannah flüsternd.

Peter nickte. Er kramte in seiner Umhangtasche und zog eine verschlossene Pergamentrolle aus einer Tasche.

Hannah griff dankend nach ihr als er sie über den Tisch schob.

Sorgsam verstaute sie sie in den tiefen ihrer Jeansjacke.

„Verrätst du mir wofür du es brauchst?“, fragte er.

Hannah sah ihn achselzuckend an.

„Sommerpraktikum.“, sagte sie dann. Sie hatte noch keinem ihrer Freunde davon erzählt. Eigentlich war die Aussicht drei Wochen weg vom Fenster zu sein nicht sonderlich erfreulich.

„Dafür brauchst du Übersetzungsanleitungen? Auf Deutsch?“ Peter schien absolut verwirrt. „Ich dachte, du hattest bereits ein Vorstellungsgespräch bei Moody.“

„Schon.“, bestätigte sie und nippte an ihrer Kafeetasse.

„Hast du die Stelle etwa nicht bekommen?“

Peter wusste ziemlich genau, dass Hannah niemals so ein Überflieger wie James oder Sirius gewesen war. Oder so ehrgeizig und fleißig wie Lily.

Schule war ihr immer schwer gefallen.

Wahnsinnig viele Stunden hatten sie gemeinsam in der Bibliothek gesessen und gelernt, während James und Sirius beim Quidditchtraining waren oder bereits am See herumlungerten.

Er war sogar ziemlich glücklich darüber gewesen, dass es ihr genauso ging wie ihm selbst. Nicht jedem fiel alles in den Schoß.

„Doch...hab ich.“, gestand Hannah. Sie wirkte ziemlich bedrückt.

Die Kellnerin brachte ihm seinen Kaffee und das dick belegte Thunfischsandwich. Peter wartete ungeduldig, bis sie wieder gegangen war.

„Wofür brauchst du dann ein Praktikum?“, bohrte er.

„Ich brauche es nicht direkt.“, Hannah fixierte den Boden ihrer Tasse.

„Warum machst du es dann?“

„Ach, Würmchen!“

Peter schnaubte. „Was denn? Ich dachte, wir sagen uns alles.“ Er holte tief Luft. „Früher haben wir alle einander immer alles erzählt.“

„Früher ist ziemlich lange her.“, ergänzte Hannah schnippisch.

„Das war ja wohl nicht meine Schuld.“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie in eben jenem Café saßen, in dem Sirius und Hannah sich vor einem Jahr zerstritten hatten.

Er hätte sich selbst ohrfeigen können. Wie konnte er nur so taktlos sein, sich ausgerechnet hier mit ihr zu verabreden?

Er hatte nicht gedacht.

Es war ja nicht so, als wäre er dabei gewesen ohne auch nur das Geringste zu tun. Wenn er ehrlich zu sich war, hätte er ohnehin nichts tun können.

Beide hatten sich in ihrer Sturheit und Starrköpfigkeit hochgeschaukelt und bevor er überhaupt erkannt hatte, dass sich die ganze Situation zu einen ausgearteten Drama entwickelte, hatte Hannah alles stehen und liegen gelassen und war davon gestürmt.

Peter konnte sich noch genau daran erinnern wie Sirius versucht hatte ihm die kleine Ebony aufs Auge zu drücken, um sich Moodys Wutanfall nicht aussetzen zu müssen.

Er hatte aber auch zurück ins Büro gemusst.

„Tut mir leid.“, sagte er hastig. Hannah betrachtete ihn. „Ich meine auch, dass wir hier sind.“

Sie zuckte langsam mit den Achseln.

„Schon okay, Würmchen. Du hast ja Recht.“ Peter schlabberte mit seinem Kaffee und setzte die Tasse wieder zurück auf den Unterteller.

„Nein.“, antwortete er. „Wir hätten nicht hier herkommen sollen. Es ist irgendwie dumm.“

„Es ist ein Ort wie jeder andere, Würmchen.“, beruhigte Hannah ihn.

Sorgfältig faltete sie ihre Hände und verschränkte die Finger in einander.

„Erzählst du es Sirius? Wenn ich es dir erzähle?“, fragte sie forsch.

Peter schüttelte hastig den Kopf.

„Ich sehe ihn sowieso kaum.“, bemerkte er. „Das reicht nicht!“

„Nein, ich sage ihm gar nichts, wenn du es nicht möchtest, Feder!“

Hannah nickte nachdenklich.

„Dung kennt jemanden in Deutschland.“, begann sie. Es war nicht zu übersehen wie unwohl sie sich fühlte.

„Du hast ihn gesehen auf der Europameisterschaft. Gregorowitsch.“

„Der Zauberstabmacher vom Festland?“

„Ja, genau.“

„Und der hat dir ein Praktikum besorgt?“ Hannah nickte. „Es war nicht wirklich sein guter Wille, weißt du?“ Peter sagte nichts und so fuhr Hannah fort.

„Er hat Dung einen Job angeboten und versucht mich mit der Aussicht auf dieses Praktikum zu ködern.“ Peters Augen verengten sich schlagartig.

„Nichts illegales, oder so!“, fügte Hannah hastig hinzu, die zweifelsohne seinen Gesichtsausdruck bemerkt hatte.

„Du gehst weg?“, fragte Peter erschrocken. „Einfach weg?“

„Nein, nein!“ Hannah war inzwischen knallrot geworden. „Du verstehst das falsch, Würmchen!“

„Wenn du weggehst, solltest du vielleicht darüber nachdenken Deutsch zu lernen. Ein einfacher Übersetzungszauber hilft dir da nichts.“

Er bereute es mittlerweile ihr den Zauberspruch überhaupt besorgt zu haben.

„Du hörst nicht zu!“ Hannah war deutlich aufgebracht. Energisch warf sie ihre Haare in den Nacken und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich hätte besser gar nichts gesagt.“

„Dann erkläre es mir doch.“, forderte er sie auf. „Meinst du ich weiß nicht, dass das ein Thema ist?“, fragte er unwirsch.

„Ich sitze im Ministerium! Jeder Dritte redet davon auszuwandern. Meine Mum hat sogar schon drüber nachgedacht! Meine verfluchte Abteilung protokolliert die Auswanderungszahlen, da sich das Ausland ständig über die britischen Flüchtlinge beschwert.“

Er biss lustlos in sein Sandwich und verschlang einen großen Bissen ohne wirklich zu kauen.

„Laut dem Ausland bringt eine wachsende magische Bevölkerung nämlich jede Menge Probleme. Beispielsweise mit dem Geheimhaltungsabkommen. Angeblich sind wir nämlich nicht sehr anpassungsfähig!“

„Peter!“ Ihm fiel auf, dass sie nun seinen Vornamen benutzte. „Ich will nicht auswandern. Es ist nur ein verfluchtes Praktikum. Ja....okay...wir haben darüber gesprochen. Dung dachte,...“, sie senkte die Stimme „...dass ich dort in Sicherheit wäre. Aber ich hab ihm gesagt, dass ich es nicht kann. England ist mein Zuhause und wir müssen kämpfen.“

„Warum gehst du dann mit?“, fragte er verwirrt.

„Ihm zu liebe...vermute ich.“ Peter antwortete nicht.

Hannah erfasste das zwingende Bedürfnis sich zu erklären. Mit Peters Wut konnte sie unfassbar schwer umgehen.

„Er macht ständig etwas für mich.“, sagte sie leise. „Hat auf der Europameisterschaft mit euch gezeltet...sich es ziemlich im Orden verscherzt...meinetwegen....“ Sie schluckte.

„Ich glaube, ich bin ihm schuldig es wenigstens einmal anzusehen.“

Peter blickte sie ernst an. Natürlich wollte sie in Sicherheit sein. Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, was das Wissen, dass Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf nach ihr suchte mit ihr anstellte.

Er wollte es sich auch nicht vorstellen müssen. Sicher war es schrecklich, wenn immer alle auf ihre Sicherheit achteten. Ständig schrieb ihr jemand vor was sie zu tun oder zu lassen hatte.

Und sie musste Angst haben. Mehr noch als er es hatte.

Entweder hatte sie den Gedanken mit der Flucht nicht ganz ausgeschlossen oder sie log.

Hannah zu durchschauen war keine einfache Angelegenheit.

Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihm nicht alles sagte.

Wenn sie ehrlich an Flucht dachte, dann konnte ein Teil in ihm sie verstehen. Er würde ihr nicht die Möglichkeit nehmen an ihrem Kampf zu zweifeln. Aber wenn sie ehrlich kämpfen wollte, für England, für den Orden, für Freiheit, dann war falsch was sie tat.

„Du machst ihm Hoffnungen.“, sprach Peter seine Gedanken aus. „Wenn du mit gehst, um ihm einen Gefallen zu tun und bereits weißt das du zurück willst, dann machst du ihm Hoffnungen.“ Er zögerte einen Moment.

„Und das ist nicht fair.“

Ohne darüber nachzudenken, wusste Hannah, dass Peter nicht nur das Sommerpraktikum meinte. Und diese Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht.



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