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Zeitzeugen

von

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Ankunft

Als ich von den fürsorglichen Armen meiner Mutter vorsichtig wachgerüttelt wurde und den schweren Purpurvorhang des Kutschfensters beiseite schob, ragte das Schloss bereits als gewaltiger Schattenriss vor mir auf. Anscheinend waren wir nach zwei Tagen Fahrt über holprige Wege und vereinzelte gepflasterte Straßen endlich angekommen.

Während ich noch mit schmerzverzogenem Gesicht mein rechtes Bein ausstreckte, das in der letzen halben Stunde eingeschlafen war und nun kribbelte als züngelten Unmengen kleiner Flammen an ihm, war meine Mutter bereits zur gegenüberliegenden Kutschbank zu dem freien Fensterplatz getreten und warf nun ihrerseits einen Blick auf die Schlossanlage.
 

"Sieh nur Schatz", dabei blieb offen, ob sie mich oder meinen Vater ansprach, der neben ihr saß und in seiner stolzen Haltung keinen Anteil an unserer Aufregung nahm.

"Gleich neben dem Bergfried wurde ein Garten angelegt! Den können wir wunderbar nach Versailles-Ideal richten lassen. Oder wir lassen ihn wild und verwunschen."

Mir persönlich sagte "wild und verwunschen" mehr zu, als all die strengen auf dem Reispapier bis ins letzte Detail berechneten Gärten, die in letzter Zeit regelrecht in Mode gekommen waren. Zwischen Bärlauch und Hagebuttenblüte konnte ich vielleicht sogar für ein paar Stunden meinen Frieden finden, wenn der Unterricht zum "rex doctus", bei dem ich unter den strengen Augen des ersten Kammerherrn zum "König" erzogen wurde, wieder einmal zuviel gewesen war und ich dem Hofalltag entfliehen wollte.
 

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mein Vater mit einer herrischen Bewegung den Vorhang des anderen Fensters, das vom Schloss wegführte, beiseite zerrte und auf eine etwas weiter entfernte Burg zeigte, die sich wie ein grauer Eremit über den abgeernteten Äckern eines nahen Dorfes erhob:

"Dort wohnt ein anderer Fürst mit seiner Familie. Katholiken", fügte er mit einem verächtlichen Unterton in seiner Stimme hinzu. Habsburger, wollte ich ihn ergänzen, denn wir waren im Voraus über die "Nachbarschaftsverhältnisse" aufgeklärt worden, aber ich wollte sein Ehrgefühl nicht verletzen.

Jetzt warf mein Vater mir mit seinen durchdringen braunen Augen für einen Moment einen Blick zu, der so eindringlich war, als wolle er meinen Willen in Besitz nehmen:

"Gib Acht, dass du beim Jagen dem Schloss der Katholiken nicht zu Nahe kommst, mein Sohn." Da der Satz weniger ein gut gemeinter Ratschlag eines besorgten Vaters, als mehr der Befehl eines Mächtigen war, nickte ich bloß und strich mir gleichgültig eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht – was sollte mich in dem anderen Schloss auch erwarten?



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