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Geschichte von Drachen, Perlen und Priestern

Neue Version: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/209310/200274/
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Im Herzen des Sees

Kapitel 7: Im Herzen des Sees
 

Es ist schwer etwas im Leben hinter sich zu lassen

Doch wenn man etwas aufgibt, gewinnt man auch wieder etwas

Egal was man zurück lässt

Ob Mensch oder sonst was

Alles hat einen Sinn
 

Die Sonne tauchte den weitläufigen Talkessel in ein hell leuchtendes Licht. Alles schien zu glitzern, selbst der Schnee, der vergangene Nacht vom Himmel gerieselt war, sich in den Nadeln der riesigen Bäume verfangen hatte und den ganzen Wald in ein samtig glänzendes weiß hüllte.

Seit Yori und Akina immer weiter nach Nordwesten gereist waren, fielen die Temperaturen steil ab und schon nach einigen Tagen hatten sich die ersten Vorboten des Winters gezeigt. Yori hatte also richtig vermutet: Nach ihrer Flucht aus der unterirdischen Grotte hatten sie das Reich des Granitdrachens zum Westhang verlassen. So wie die Prophezeiung gesagt hatte, waren die Beiden dann weiter nach Norden gereist, dort wo der Winter das ganze Jahr lang herrschte: Im Reich des Eisdrachens.

Es würde wohl nicht mehr lange Dauern, bis der Schnee ihnen bis zu den Knöcheln oder noch höher reichen würde, doch glücklicherweise hatten Yori und Akina vorgesorgt und hatten dick gefütterte Stiefel aus Leder eingepackt und wärmende Anziehsachen aus Fellen.

Yori war erst unbehaglich bei dem Gedanken, Akina nach ihrer Verletzung solche Temperaturen zuzumuten, doch Akina beteuerte ihm immer wieder, dass es ihr jetzt wieder gut ginge und sie so schnell nicht wieder krank werden würde. Trotzdem umsorgte er Akina um so fürsorglicher, sobald Akina einmal nieste oder unterkühlt schien.

Akina hingegen wusste, dass es keinen Sinn hatte Yori von seinem Umsorgungswahn abzuhalten und ließ ihn machen, was er wollte.

Die Nächte verbrachten die Beiden damit lange bis in die Nacht am Lagerfeuer zu reden, während sie am Tag frisch ausgeruht bis in den späten Abend weiterliefen.

Jetzt, nach vollen acht Tagen quälenden Laufens durch den immer höher werdenden Schnee, hatten sie endlich die Eiswüste durchquert und vor dem ungleichen Paar bot sich ein Anblick dar, der sich wohl für alle Ewigkeit in ihr Gedächtnis einbrennen würde:

Egal wie weit man schaute, überall war nur noch eine einzige Spiegelglatte Fläche Eis zu erkennen, die sich bis hinaus über den Horizont zu erstrecken schien. Das musste er sein, sie hatten ihr Ziel erreicht: Den See der Besinnung.

Doch komischerweise konnte man nirgendwo auch nur ein einziges Anzeichen irgendwelchen Lebens ausmachen, überall war es einfach nur weiß. Keine Tiere lebten mehr hier und keine Bäume wuchsen noch in solcher Kälte, eine Stadt gab es hier genauso wenig.

„Und wo soll jetzt hier bitte eine Stadt sein?“ fragte Akina verwirrt und schaute sich noch einmal um.

„Ich habe keine Ahnung“ musste Yori betrübt zugeben und suchte auch nach irgendwelchen Auffälligkeiten.

Inzwischen war schon wieder die eisige Sonne des Reiches dabei unterzugehen, die Tage hier waren immer sehr kurz.

Während Akina und Yori sich weiter am Seeufer umschauten, verdunkelte sich der zuvor leicht violette Himmel dunkelblau und die ersten Sterne und der Mond blitzten auf. Mit der Dunkelheit kam auch die unerträgliche Kälte der Nacht wieder, die Akina dazu zwang wieder einmal eine Flamme auf ihrer Hand tanzen zu lassen.

Verträumt blickte sie über die gefrorene Oberfläche des Sees, bis ihr etwas merkwürdiges auffiel. Matter Lichtschimmer war unter dem dicken Eis zu erkennen, doch wie kam Licht in einen See?

„Yori!“ Alarmiert deutete Akina auf das seltsame Glitzern. „Meinst du das Eis hält uns?“

„So kalt wie es hier ist, muss das Eis ganz schön dick sein“, bemerkte der Kendo und setzte den ersten Fuß auf den glatten Untergrund. Das Eis barst nicht, also setzte er noch einen Schritt und noch einen. „Ich glaube, das Eis müsste sicher sein“, lächelte er und hielt ihr auffordernd die Hand hin. Dankbar griff sie seine Hand, stützte sich an ihm ab und setzte ebenfalls vorsichtig ihre Füße auf das glatte Eis.

Schritt für Schritt rutschten die beiden gen Mitte des Sees. Akina kniete sich an der Stelle nieder, wo sie vorhin das Schimmern entdeckt hatte und wischte die Schneeflocken vom Eis, um besser hindurchsehen zu können. Ihre Augen weiteten sich als sie erkannte, was sich unter der Oberfläche befand, oder eher am Grund des Sees:

Die merkwürdigen Lichter waren teil eines riesigen Gebäudekomplexes der unterhalb des Oberfläche gebaut worden war. All zu viel konnte man allerdings auch nicht erkennen von der merkwürdigen Stadt...

Yori hatte jetzt auch Akinas erstauntes Gesicht bemerkt. „Was siehst du da unten“, fragte er irritiert und kniete sich ebenfalls aufs Eis um selbst zu sehen, was dort unten vor sich ging. „Eine Stadt?“

Die Blonde nickte leicht. „Synrir“, kam es ihr fast lautlos über die Lippen, wie in Trance starrte sie bewegungslos auf die uralte Unterwasserstadt.

Mit einem fragendem Blick schaute Yori zu Akina auf. „Woher kennst du den Namen der Stadt?“

Plötzlich kam wieder Leben in das sonst so quirlige Mädchen. „Ich weiß es selbst nicht“, lachte sie verlegen. „Es kam einfach so über mich...“

Die beiden blickten sich missbilligenden an, dann zog die Hüterin ihren Handschuh aus, legte die flache Hand auf das frostige Eis. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Vergaß die Kälte um sich herum, vergaß die kritischen Blicke Yoris, vergaß, dass sie auf einem eingefrorenen See saß, der jeden Moment brechen könnte und vergaß auch die eisigen Winde, die ihr mit kalten Fingern übers Gesicht streichelten. Akina konzentrierte sich ganz allein auf sich selbst, auf die lodernde Flamme tief in ihrem Inneren. Vorsichtig gewährte sie dem tückischem Feuer aus seinem sonstigen Gefängnis auszubrechen und seine langen Zungen darüber hinaus lecken zu lassen. Die junge Hüterin spürte, wie sich die Flammen den Weg durch ihren Körper bahnten, langsam ihren Arm entlang züngelten und das Eis unter ihrer Hand zum Schmelzen brachte. In sekundenschnelle war ein großes Loch genau zwischen den Weggefährten in der glatten Oberfläche entstanden, klaffte dort wie ein unglückbringender Riss auf einem Spiegel.

Das Mädchen verschloss ihr magisches Feuer wieder tief in ihrer Seele und unterbrach ihre Trance. Dann richtete sie sich auf und deutete an, dass Yori es ihr gleich tun sollte, und zu ihr herüberkommen sollte. Zögernd tat er, wie ihm geheißen und trat zu den Blonden herüber. „Ich ahne, was du vorhast!“, entgegnete er nur, etwas beunruhigt.

„Dann weißt du ja hoffentlich auch, dass du dich jetzt schön an mit festhalten solltest!“ Zaghaft klammerte er sich an ihre Hand.

„Ich hoffe das Ganze klappt, so wie ich es glaube.“ Akina zog ihn mit sich, ließ sich langsam in das eiskalte Wasser hinunter und merkte, wie ihre schweren Kleider sich mit Wasser voll sogen und drohten sie langsam mit nach unten zu ziehen. Bibbernd schwamm Yori hinter Akina, hielt immer noch ihre Hand. Augenverdrehend packte die Hüterin die beiden Hände des Kendo und legte seine Arme feste um ihre Brust. „Lass mich bloß nicht absaufen, solange ich mich hier konzentriere“ drohte Akina fröstelnd vor Kälte und versuchte jetzt krampfhaft zu ignorieren, dass ihre Hände und Füße immer steifer wurden. Sie verbannte die Kälte aus ihrem Körper, versuchte ruhig zu sein und nichts zu denken. Sie verdrängte jeden einzelnen Gedanken und spürte jetzt nur noch das stetige Plätschern des eisigen Wassers. Gehorche mir, dachte die junge Hüterin. Gehorche mir und verschlucke uns in deinen Tiefen. Lass uns eins werden mit dir, lass uns eins werden...

Akina hörte auf sich zu konzentrieren, als eine weiche Wärme sie sanft zu überfluten schien. Sacht öffnete sie ihre Augen, merkte, wie sich ihre Lungen mit Wasser füllten, sie aber trotzdem nicht ertrank. Selbst das Wasser schien nicht in ihren Augen zu brennen, und selbst die Kälte war nur noch halb so schmerzhaft. Akina gewöhnte sich schnell an die ungewohnte Situation, Yori hingegen schien sehr unbehaglich bei dem Gedanken, was hier gerade um sie herum geschah: Das Wasser schien sie zu verschlucken, riss sie langsam nach unten und durchströmte ihre Lungen, dennoch ertranken sie nicht!

Schmunzelnd befreite die Blonde sich aus der Umarmung des Schwarzhaarigen, nahm ihn an der Hand und zog ihn langsam mit sich nach unten.

Synrir, so hieß ihr Ziel. Je näher sie der schlossähnlichen Stadt kamen, desto orachtvoller schien sie zu werden. Sie bestand komplett aus einem hellen, wie feinem Stein aussehendem Material. An manchen Stellen glänzte das mysteriöse Gebilde wie wertvoller Bernstein, manchmal schimmerte das cremefarbene Kunstwerk aber auch perlmutt. Kleine Türmchen setzten sich von dem gesamten Gebilde ab, stachen spitz und blendend in die brausende See. An manchen Stellen wurden die Wände so durchsichtig, dass man wie durch kristallenes Glas ins innere des Bauwerks schauen konnte, direkt in die fürstlichen Säle und prächtigen Hallen. Die gesamte Stadt ruhte auf geschwungenen Säulen über dem Meeresboden, friedlich schwebend wie ein Luftschloss im Himmel.

Da die Beiden nirgendwo eine Öffnung an den Seiten von Synrir vermuteten, beschlossen sie nach unten zu tauchen um unterhalb nach einem Eingang zu suchen.

Synrir thronte auf einem Steinvorsprung, zu ihren Füßen fiel der Seegrund steil ab und bildete eine bodenlose Schlucht.

Auch hier unten gab es keinen sichtbaren Eingang, nur eine Unterwasserhöhle, die einige Meter neben dem eigentlichen Gebäudekomplexes anfing, jedoch führte der schmale Gang hinter der Öffnung genau in Richtung Stadt.

Akina und Yori wechselten zwei vielsagende Blicke, inzwischen kam es immer öfter vor, dass sie auch ohne es auszusprechen genau wussten, was genau der jeweils andere sagen wollte, obgleich es im See der Besinnung kaum möglich gewesen wäre auch nur ein Wort herauszubringen.

Lass es uns probieren, sagten Akinas Blicke zu Yori, lass es uns versuchen, die Höhle bringt uns bestimmt an unser Ziel. Trotzdem hatte Yori eher Zweifel, dennoch nickte er nur stumm und schwamm auf die Öffnung zu.

Akina kam es inzwischen nicht mehr komisch vor, das Kalderan anscheinend aus mysteriösen magischen Fäden gesponnen sein mag, denn wiedereinmal blieb es hell um sie herum, obwohl es in dem Tunnel eigentlich hätte stockfinster sein müssen.

Unbehelligt schwammen sie weiter, diesen unendlich wirkenden, blass erleuchteten Gang entlang, bis die recht schemenhafte Sicht aufklarte, Akina und Yori auftauchten und sie sich in einer hell erleuchteten Höhle wiederfanden.

Vollkommen durchnässt und halb erfroren stiegen sie aus dem Wasser auf den schmalen Steinpfad, der zwischen Wasser und Höhlenwand herführte und ihnen den Weg zum Schloss wies. Über zwei Stufen traten die Beiden in den ersten, riesigen Saal und kamen sich irgendwie verloren und unbedeutend vor, wie sie dort klitschnass standen und sie fröstelnd vor Kälte am ganzen Körper zitterten, denn obwohl sie hier tief unter dem See waren, herrschten hier eisige Temperaturen.

Es war nichts weiter in der Halle, ein gigantischer, leerer Raum mit glasiger, gewölbter Decke, die einen Blick ins Meer bot. Fasziniert beobachtete Akina, wie bunte Fische dicht an der Decke vorbeischwammen, bunt schillernd wie eine Regenbogenwolke.

Immer noch von dem Bann gefangen, schrak Akina plötzlich auf, als sie leise Schritte vernahm. Sie wurden immer lauter, es musste die Füße von mehreren sein. Wie zur Bestätigung liefen fünf Männer in blauen Soldatenuniformen an dem Torbogen am Ende des Saals vorbei. Erst schien es, als wollten sie vorbeilaufen, doch dann erblickte einer der Soldaten die Eindringlinge und deutete allarmierend auf sie.

Mit bedrohlich schweren Schritten traten die Soldaten auf Akina und Yori zu.

„Was macht ihr hier, Eindringlinge?“, knurrte einer der Soldaten, hochgewachsen und mit einer Offiziersmütze auf dem Kopf, wie ein kläffender Hund, der sein Revier verteidigte. „Wer hat euch geschickt, für wen spioniert ihr?“

„Spionieren?“, fragte Akina verwirrt, doch bevor sie überhaupt dazu kam, die ganze Situation zu erklären, ruhten auch schon die Hände der Soldaten auf den Griffen ihrer Schwerter, genauso wie die Hand Yoris.

Der Kampf dauerte nicht lange, nur ein paar Sekunden und die Soldaten hatten Yori entwaffnet und mit der Hand auf dem Rücken zu Boden gedrückt. Akina leistete keinen Widerstand und ließ sich die Hände von einem der jüngeren Soldaten hinterm Rücken fixieren. Überhaupt war nur der Offizier älter, sein Bart wurde schon grau, und seine Haut schien faltig und in die Jahre gekommen. Seine Soldaten hingegen waren noch jung, gerade mal so alt wie Yori und Akina selbst, vielleicht ein paar Jahre älter, mehr aber auch nicht.

„Mal sehen was König Arados dazu sagen wird“ bellte der Offizier und wies seine Soldaten an die Gefangenen hinter ihm her zu führen. Es waren gleich zwei von ihnen nötig um Yori überhaupt festzuhalten. Akina schüttelte leicht ihren Kopf. Es hat keinen Sinn, sagte ihr Blick. Es nützt nichts uns zu wehren, so hören sie uns doch erst recht nicht zu.

Yori ließ sich fesseln, trotzdem blieben sicherheitshalber zwei Soldaten an seiner Seite, als sie durch die verworrenen Säle traten, mal durch dunkle, mal durch ozeanblaue.

Vor einer meterhohen Tür in einem der Säle blieben sie stehen. Der bärtige Offizier hämmerte laut gegen das helle Material, aus dem das ganze Schloss bestand. Nach kurzer Zeit kam Bewegung in die Tür und wie von Geisterhand schwang sie langsam auf.

Sacht schoben die Jungsoldaten Akina und Yori in die sich dahinter befindende Halle, eigentlich viel zu nett für gewöhnliche Soldaten, die normalerweise brutal und aggressiv mit Gefangenen umgingen.

Eine riesige Glaskuppel spannte sich über den Kronsaal, tauchte ihn in ein leuchtendes, blaues Licht, das weich an den Wänden wogte und das unbekannte Gestein, aus dem sie bestanden, zum Glitzern brachte. Auf einem Podest am Ende der Halle stand ein antiker Thron von unschätzbarem Wert. Anscheinend war er aus dem selben Gestein wie auch die Wände, denn er glänzte genauso prachtvoll wie alles um Akina herum, ebenso wie die cremefarbenen Kronleuchter, die überall verteilt im Raum standen und dem kleinen Tisch neben dem Thron, auf dem welke, eisblaue Blumen in einer kristallenen Vase standen. Allgemein wirkte hier alles eher farblos, monotones blau und weiß waren die einzigen erkennbaren Farben.

Die Schatten spielten geheimnisvoll über das Gesicht des alten Mannes der auf dem weiß gepolsterten Thron saß. Hinter ihm rankte die Lehne des prachtvollen Kunstwerks empor, geschwungen und verzweigt wie ein schneeweißer Baum. Die silberne Krone war dem Alten tief ins Gesicht gerutscht, wie er da saß, zusammengekauert und ermattet, verloren in der Größe des Raumes, der lange weiße Bart über seiner Brust hängend, und die weißen Haare wie ein Schleier vorm Gesicht.

Als sich der ebenso ergraute Offizier leicht räusperte, schien der König aus seinem Schlaf hochzuschrecken und sah Akina plötzlich mit seinen tiefen blassblauen Augen an, in denen soviel Weisheit lag, das ihr ein leichter Schauer über den Rücken fuhr. Arados mag schon ein eindrucksvoller Mann sein, egal wie kränklich und zerbrechlich er auch wirkte.

„Mach sie wieder los, Favian! Das sind doch noch halbe Kinder“ wisperte Arados mit bebender Stimme und warf einen verheißungsvollen Blick auf seine Soldaten.

Sie lockerten die scharfen Seile um Akinas Handknöchel und ließen auch Yori aus ihrer Umklammerung.

„Die Beiden wollen unserem kleinen Reich kein Leid zufügen. Gebt ihnen trockene Kleidung, sie sind meine Gäste...“
 

Das Reich war eine einzige zerbrochene Gemeinde. Ich sah nicht viel von der Stadt doch überall wo ich auch hinschaute sah ich das gleiche hoffnungslose Elend, dass sich in die Herzen des Volkes gefressen hatte. Stumm saßen sie in großen Gruppen in den Sälen, versuchten wenigstens so die unauslöschbare Kälte zu vertreiben, doch auch sie wussten, dass es mit dem Reich zu Ende ging und dass es keine Hoffnung mehr gab, weder für das Reich, noch für seine Bewohner. Mir tat es weh im Herz die kleinen Kinder zu sehen, wie sie fröhlich mit dem kümmerlichen Spielzeug spielten, dass ihnen noch geblieben war, ungewiss darüber, dass sie vermutlich niemals richtig leben würden. Keine Zukunft, keinen Vater, nur eine kaputte Familie in einem Land ohne Perspektive. Berührt wandte ich meinen Blick von den Menschen ab, als wir von den Jungsoldaten weggeführten wurden, um wenigstens so den stechenden Schmerz zu vergessen, der quälend an meiner Seele nagte.
 

König Arados ließ direkt nach ihnen Rufen, nachdem Akina und Yori sich umgezogen hatten. Favian und sein Gefolge führten sie zurück in den Kronsaal. Auf den Wink ihres Herrschers zogen die Soldaten sich zurück, wenn auch Favian eher zögerlich.

„Du bist die Hüterin der Jadeperlen“, sagte Arados mit klarer Stimme und lächelte. „Woher ich das weiß? Der Lauf der Zeiten hat es mir erzählt! Unser Treffen wurde vom Schicksal bestimmt. Ich weiß vieles, was ihr nicht wisst, dafür ist mein Leben auch schon fast gelebt. Bald schon werde ich wohl nicht mehr unter den Lebenden wandeln. Schaut euch um! Was seht ihr? Ein zerbrochenes Königreich, zerstört vom Laufe der Zeit.“ Traurig senkte er seinen Blick.

„Was ist hier passiert?“, fragte Akina gerade heraus und ignorierte Yoris fragendes Gesicht.

„Du hast es also bemerkt“ lächelte Arados wieder. „Ich hätte nicht gedacht, dass du einen so klaren Verstand besitzt, Hüterin. Es ist wahr, meine Männer sind eigentlich keine Soldaten. Meine eigentliche Armee wurde vor Jahren ausgelöscht, bei einem Überfall der Flammenprinzessin Mizuki. Vieles ging in dieser Nacht verloren, die Männer meines Volkes ebenso wie viele Kinder und Frauen die nicht schnell genug fliehen konnten. Auch mein Sohn...“, wieder blickte er mit verklärtem Blick zu Boden, stoppte beim Reden. „Doch das alles ist lange vorbei, dieses Königreich ist schon fast am Ende seiner Geschichte, doch man weiß ja nie, was die Zukunft bringt, habe ich Recht, Hüterin? Wer weiß wie sich die Zukunft durch dein Wirken noch ändern wird...“

„Das Schicksal ist ungewiss“, bestätigte Akina nur und nickte leicht.

„Ich sehe, du verstehst was ich meine.“ Wieder Lächelte er geheimnisvoll. „Komm, ich will dir soweit bei deiner Aufgabe helfen, wie ich kann.“ Vorsichtig erhob Arados sich aus seinem Thron, griff nach seinem geschwungenen Gehstock und schlurfte zu einem weiteren Torbogen hinter dem Thronpodest. Den Gehstock benutzte er jedoch nicht um sich beim Laufen zu stützen, sondern fuhr immer wieder leicht mit seinem Ende über den Boden.

Akina folgte dem weisen König, Yori ihr augenverdrehend hinterher, und wieder hing sie fasziniert an seinen Augen. „Ihr seid blind?“, fragte sie schüchtern.

„Fast“, erwiderte Arados. „Schemen, das sind das Einzige was ich noch erkennen kann, Licht und Dunkel, doch das kann man hier unten so oder so nicht gut auseinander halten. Das Alter verändert viele Dinge, aber denke niemals, dass es ungerecht ist. Ich verlor mein Augenlicht und erlangte Weisheit. Das darfst du niemals vergessen, das Leben gibt und nimmt. Für alles was man verliert, wird einem auch etwas neues gegeben.“

Stumme Zustimmung war die einzige Reaktion der Hüterin. Arados hatte wohl Recht. Das Leben nahm und gab, daran konnte man nichts ändern. Man musste loslassen, um Neues zu erfahren, so war es schon immer gewesen...

„Der Eisdrache... früher erzählte man sich, dass er über unser Reich wachte und es beschützte, doch um so älter es wurde, desto mehr schien er uns zu verlasen. Synrir ist das Einzige, was noch übrig blieb. Der Rest unseres einst stolzen Königreiches ist im ewigen Eis verwittert, genauso trostlos, wie auch Synrir selbst“, säuselte der Alte.

„Trostlos... wenn man ruhig ist scheint es einem fast, als ob die Stadt trauert... leises wimmern...“ nachdenklich lauschte Akina dem leisen Rauschen des Wassers.

„Die Stadt ächzt, sie ist es satt hier unten im Wasser zu verrotten“, bekräftigte Arados Akina. „Vor vielen tausend Jahren entstand sie, Synrir, die Stadt aus Eiskoralle. Doch auch Eiskoralle lebt nicht ewig und genau so wie unser Land langsam untergeht, ist es auch die Stadt leid und wünscht sich endlich zu sterben. Doch bis es so weit ist werde ich schon lange nicht mehr Leben, und der Rest meines Volkes wird schon längst weitergezogen sein und niemand wird die Stadt bei ihrem Untergang begleiten, nur die Toten selbst, die tief unten in der Grotte ruhen.“

„Sie besteht aus Koralle?“

„Gewiss, junge Hüterin. Es ist klar, dass du die Eiskoralle nicht kennst, denn deine Aura verrät mir, dass du von irgendwo weit her kommst. Die Eiskoralle ist eine mächtige Art, lebt fast ewig und ist beinahe unzerstörbar. Doch alles hat ein Ende...“

„Da habt ihr Recht...“, pflichtete Akina ihm bei.

Sie traten in einen riesigen Saal, größer als die vorherigen, und auf eine merkwürdige und magische Weise eindrucksvoller. „Wir sind da“, sagte Arados nur knapp und blieb nahe des Torbogens stehen, während Akina wie im Banne weiter in den Raum hineintrat, Yori dicht hinter ihr. „Findest du nicht auch, dass dieser Raum irgendetwas geheimnisvolles an sich an?“, flüsterte sie Yori atemlos zu.

Ehrfürchtig trat sie an den riesigen gerahmten Spiegel der fast die gesamt Stirnseite des Raumes verdeckte, die mindestens dreißig Fuß maß!

„Irgendetwas ist hier wirklich merkwürdig“, bestätigte Yori und besah sich den Rahmen des Spiegels genauer. Anglesische Schriftzeichen waren eingraviert. „Anglesisch“, flüsterte er.

„Was?“, fragte Akina und schaute über seine Schulter. „Ein Hinweis!“

Die Blonde wollte schon sogleich ihre Hand auf die Gravur legen, doch Yori hielt sie zurück. „Weißt du noch was beim letzten Mal passiert ist? Du wärst fast ohnmächtig geworden! Meinst du nicht wir sollten uns erst ausruhen bevor du wieder fast umkippst?!“

„Aber warum?“, widersprach Akina widerwillig. „Ich will doch jetzt wissen, was da steht!“

„Keine Wiederrede! Wir haben in den letzten Tagen schon genug erreicht, für heute sollten wir uns erst einmal ausruhen und morgen diesen Raum genauer unter die Lupe nehmen!“

„Nur die Schrift! So viel wird da schon nicht stehen, danach ruh ich mich auch aus!“ Yori hob resigniert seine Augenbraue. „Bitte!“, fügte Akina flehend hinzu.

Yori blieb eisern, doch dann verdrehte er nur die Augen und raunte ein genervtes „Meinetwegen!“.

Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, dann legte sie ihre Hand auf die Schrift. Mit der kalten Flutwelle kam auch die Dunkelheit wieder über Akina. Abermals färbten sich ihre saphirblauen Augen blutrot und feurige Lettern brannten vor ihr in der Schwärze auf.

Es ist nicht alles so, wie es scheint“, las die Blonde vor.

„Weiter?“, fragte der Schwarzhaarige.

„Da steht nichts mehr! Nur das...“ Sie zog ihre Hand zurück. Mit jedem Augenschlag wurde die Umgebung wieder klarer, Farben, Dunkel und Licht waren wieder erkennbar und die Augen waren wieder blau. Ein leichter Schwindel überkam Akina für einen Moment. Sie taumelte leicht, fing sich dann aber wieder.

„Alles in Ordnung?“, fragte ihr Begleiter besorgt.

„Ja, nur der übliche Schwindel“, lächelte Akina.

Ihr Gesicht wurde wieder ernst. „Was hat das nur zu bedeuten? Es ist nicht alles so, wie es scheint?"

„Ich weiß es nicht, aber wir werden es sicher morgen herausfinden.“ Ein fieses Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er sah wie empört Akina dreinschaute, als ihr wieder einfiel, was sie Yori eben noch versprochen hatte.

„Du bist gemein! Ich will aber jetzt wissen, was das bedeutet! Komm schon, so schwer kann das nicht sein, das bekommen wir schon raus!“

„Ja, aber morgen“, grinste er wieder. Wenn sie so war, erinnerte Akina Yori immer an ein trotziges, kleines Kind.

„Du bist echt fies...“, schmollte die Hüterin, ließ sich aber trotzdem von Yori mitziehen, zurück zu dem alten König.

Yori wandte sich an ihn. „Wäre es wohl möglich, dass wir ein oder zwei Tage hier unterkommen? Wir würden uns gerne ausruhen, bevor wir den nächsten Tempel suchen, die Reise war doch etwas anstrengend.“

„Ich sagte doch schon“, fing Arados an, „ihr seid meine Gäste, da ist es selbstverständlich, dass ihr in Synrir residiert. Ich werde gleich ein Zimmer für euch herrichten lassen...“
 

Am nächsten Morgen war das erste woran ich denken konnte, der kathedralenähnliche Raum mit seinem Geheimnis. Schon früh standen wir auf, und überprüften die gesamten Wände und den Fußboden auf irgendwelche Auffälligkeiten, einen Knopf, einen Schalter oder eine Falltür vielleicht, aber nichts ließ sich finden. Den riesigen Spiegel fand ich zwar auffällig, aber auf der glatten Oberfläche war nichts zu sehen außer ein ganz normales Spiegelbild und am Rahmen konnte ich auch nichts finden. Trotzdem fragte ich mich, warum gerade ein Spiegel in so einem Raum wie diesem hier hing. Einfach so. Irgendeinen Grund mussten die Erbauer des Reiches doch gehabt haben, ihn hier hin zu hängen, oder war er vielleicht schon immer hier gewesen? Schließlich wurde das Schloss ja nicht erbaut, sondern entstand über viele tausend Jahre. Dennoch wäre es eine Überlegung wert den König danach zu fragen, wie Synrir allgemein entstanden war? Gab es hier früher nur ein leeres Eiskorallengebilde, aus dem man durch Werkzeuge und Zauberei die Stadt erschaffen hatte, oder besaß die Stadt doch schon immer seinen natürlichen Ursprung im See der Besinnung?

Yori und ich fanden keine Antworten auf unsere Fragen...
 

Ich stemmte mich gegen die riesige Eiskorallentür, lautlos öffnete sie sich und ließ einen hellen Lichtstreifen in den dahinterliegenden Saal fallen. Arados fand bereits Platz an der riesigen Tafel, er war der einzige der im Speisesaal saß. Yori und ich schoben uns durch den Spalt und hasteten leere Stuhlreihen entlang. Neben Arados waren nur noch zwei weitere Plätze eingedeckt. Ich nahm zur rechten Seite des weisen Königs platz, Yori zu seiner linken. Wortlos winkte Arados die Diener aus der Dunkelheit und Unmengen von kulinarischen Köstlichkeiten wurden hereingetragen und auf dem Tisch abgestellt. Nach einer kurzen Verbeugung, zogen sich Arados’ untergebene wieder in die Dunkelheit zurück, darauf wartend ihrem König den nächsten Wunsch von den Augen abzulesen.

Stumm speisten wir das Abendessen und weiterhin blieb die Stimmung am Tisch eher bedrückend und niemand redete viel.

Nachdem die Mägde dann den letzten Gang serviert hatten und auch dieser genüsslich verzehrt wurde, brach endlich die erdrückende Stille und Arados erhob seine helle Stimme, die klang wie das Plätschern eines ruhigen Bachs.

„Mein junger Freund“, wandte er sich mit seinem freundlichen Lächeln an Yori, „bei unserer ersten Begegnung hast du das gesamte Schloss immer sehr interessiert angesehen. Begeisterst du dich für so etwas?“

Yori nickte verblüfft. Wie hatte Arados ihn beobachten können, wo ihm doch das Augenlicht fehlte? „Ich frage mich wirklich, wie das ganze hier aufgebaut ist.“

„Was hältst du davon, dem auf den Grund zu gehen? Schau dich ruhig um!“ Yori warf einen fragenden Blick auf mich. Bitter schaute ich auf ihn zurück, ich hielt nicht viel von einem langwidrigen Rundgang durch die Stadt. Die Leute taten mir leid und freiwillig wollte ich mir ihr Elend nicht ansehen.

Wiedereinmal schien Arados genau zu wissen, was uns bewegte. Yori wollte mich nicht unbedingt alleine lassen und ich hatte nicht wirklich Lust auf den Rundgang. „Ich beschäftige deine Freundin schon“ lächelte er und zwinkerte mir zu.

Noch einmal warf Yori mir einen kurzen Blick zu, und antwortete dem König nach meinem knappen Nicken: „Es wäre mir eine Freude mit eurer Erlaubnis die Stadt erkunden zu dürfen“ Yori schob seinen Stuhl zurück und eine kurze Verbeugung folgte seinen Worten. Mit einem flüchtigen Blick auf mich verließ er den Speisesaal, ließ nur das Lächeln auf meinen Lippen zurück, dass ich ihm erwidert hatte.

„Früher einmal war ich genau wie er.“ Die Erinnerungen zauberten ein verträumtes Lächeln auf das faltige Gesicht. „Ungestüm, immer auf der Suche nach Abenteuern, auf der Suche nach dem Unbekanntem.“

Arados Gedanken schienen immer weiter abzuschweifen, sein Blick verklärte, verloren in längst Vergessenem. Gespannt lauschte ich dem, was der alte Mann erzählte.

„Du musst wissen, ich habe die Stadt niemals verlassen, mein ganzes Leben habe ich hier unten verbracht, in der Welt, die sich meine Vorfahren erschaffen haben, Der einzige Weg hinauf zu kommen, war mit der Hilfe eines Priesters, doch mit der Zeit hier unten wurden sie immer rarer, bis sie schließlich ausstarben, zumindest in Synrir. Die Menschen lernten ohne ihre Magie hier unten zurecht zu kommen und als ich geboren wurde, wussten die meisten noch nicht einmal mehr, wie es an der Oberfläche aussah. Als ich noch jung war, habe ich mir immer nur gewünscht ein einziges Mal die andere Welt kennen zu lernen. Ich habe immer einen Weg gesucht nach oben zu gelangen und wäre bei meinem letzten Versuch fast umgekommen. Seitdem das Alter sich langsam in mir ausgebreitet hatte und mir nach und nach mein Augenlicht nahm, habe ich einsehen müssen, dass es hoffnungslos ist, dass ich die unendlichen weiten der Oberwelt wohl niemals in natura kennen lernen werde. Weder werde ich sie jemals sehen, noch werde ich sie jemals erreichen...“

Ich grübelte und kam letztlich zu einem ganz anderen Entschluss: „Aber ich bin doch Priesterin! Ich kann sie doch an die Oberfläche begleiten und nichts würde geschehen!“

„Es stimmt schon, du könntest, doch ich glaube, dass mein Herz das alles auf meine alten Tage nicht mehr tragen könnte. Es ist verwurzelt in dieser Welt und hier wird es auch auf ewig bleiben, bis zu meinem Ende und dem Ende der Stadt.“

Stumm starrte ich nieder auf den Boden, erst als ich Arados leise Stimme wieder vernahm blickte ich auf.

„Ich möchte dich gerne um einen Gefallen bitten...“

Erst nickte ich, doch dann fügte ich noch schnell ein „Fragt, was euch bewegt“ hinzu, da er mein Nicken kaum hätte bemerken können.

„Es ist nicht viel, aber es würde dem Traum eines alten Mannes endlich eine Gestalt geben. Beschreibt mir bitte eure Welt. Erzählt von dem, was ihr die Sonne nennt, von dem, was ihr Eis und Schnee nennt und von den so vielen anderen merkwürdigen Dingen, die es hier unten nie gegeben hat.“

Ich lächelte und räusperte mich leicht. Dann fing ich an zu erzählen, von den endlosen Grasebenen Kalderans, dem riesigen Schloss Kentosai, auf dem meine Reise begonnen hatte. Von der hügligen Berglandschaft im Reich des Granitdrachen und von den tropischen Wäldern, die wir in Ai-Lynns Reich entdeckt hatten. Von den kühlen Wäldern im Norden und dem Eissee, in dem, versteckt unter einem Spiegel aus Eis Synrir versteckt lag. Von der Sonne und ihrer heißen Strahlen, von Schnee und von Regen. Vom ewigen Meer an der Südküste Kalderans und den unendlich glitzernden Wellen, in denen sich jeden Abend aufs neue die orangerote Abendsonne spiegelte.

Arados wurde von meinen Worten in seine eigene Traumwelt getragen, entstanden durch die Phantasie des jungen Abenteurers, der immer noch in ihm schlummerte. Arados spürte die Sommerbrise auf seiner alten, faltigen Haut, das Gras, dass ihn zwischen seinen Zehen kitzelte und die heißen Sonnenstrahlen, die seine noch unberührt weiße Haut küssten. Dann spürte er den Sand und die Wellen, wie sie seine Füße umspielten, dann das knisternde Laub, dass jeden seiner Schritte auf dem weichen Waldboden abfederten. Kalter Schnee wehte plötzlich gegen seine blasse Haut, die Kälte nagte an seinen Kleidern und ließ ihn frösteln. All diese Bilder, Gerüche, Geräusche und Farben durchfluteten seine Seele, während ich die mir inzwischen so bekannte Welt beschrieb und ihn mit klarer, langsamer Stimme hinfort trug.

Auch als ich aufhörte zu reden, schienen meine Worte immer noch durch den riesigen Raum zu schweben, wie Schmetterlinge vom Abendwind getragen...
 

Yori durchstreifte inzwischen schon den abertausendsten Saal, hatte sich mal die rätselhafte Eiskoralle angesehen, dann wieder ein paar Minuten mit den kleinen Kindern gespielt, die sich sehr über den ungewohnten Besuch freuten und war dann weitergegangen, einen anderen Gang entlang, in eine andere der endlos vielen Hallen.

Diese Welt war schon anders, als das, was er kannte. Genau das machte sie so aufregend!

Wie konnte eine gesamte Stadt unter dem Wasserspiegel liegen, und wie war es möglich, dass man hier unten überhaupt überleben konnte? Woher bekamen die Leute ihr Essen und wie war das alles hier überhaupt entstanden? Wie war es möglich, dass die Wände der Stadt nicht einfach unter dem Wasserdruck barsten? Und warum gab es hier unten überhaupt Luft? Was hatte es mit der Eiskoralle auf sich? Welches Geheimnis umgab sie hier? Und überhaupt, was hatte die Menschen damals dazu gebracht sich hier unten zurückzuziehen? Wurden sie bedroht oder doch einfach nur wegen der eisigen Kälte?

Ratlos ließ Yori seinen Blick hinauf zur Decke schweifen. Hier war er in einem der Säle von dem man direkt ins Meer starren konnte und die bunt schillernden Fische bei ihrem Fangspiel beobachten konnte. Doch statt der farbenreichen Meeresbewohner schwamm etwas anderes an dem Eiskorallenglas vorbei. Ein riesiger schwarzer Fleck kam der Glasfläche immer näher, verwandelte sich langsam in etwas, das man als riesigen Schwarm hätte beschreiben können, doch es waren keine dunklen Fische oder andere Unterwasserwesen, es waren vielmehr menschenähnliche Wesen, die der Stadt in ihrer kriegstruppähnlichen Einheit bedrohlich immer näher kam, beschützt von einer Luftblase, die die gesamte Brut umschloss.

Es gab keinen Zweifel: Das mussten Mizukis Mannen sein, die gekommen waren, um das zuende zu bringen, was sie beim letzten Besuch nicht geschafft hatten. Sie wollte die Zerstörung des Reiches, das einst bekannt dafür gewesen war, vom unikalen Eisdrachen behütet worden zu sein.

Abrupt drehte der Kendo sich um und rannte allarmiert zurück.

„Der Feind greift an!“, schrie er warnend durch die Gänge, hörte seine eigene Stimme wie ein bebendes Grollen um ihn her tanzen, so wie die Vorhut eines Übels, das erst noch kommen würde, wie das Toben vor dem eigentlichen Sturm.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die tiefen Trommeln, die die Soldaten anfingen zu spielen, wenn Gefahr drohte. Ein bedrohlicher, dunkler Rhythmus wurde diesmal gespielt, die Ankündigung der Feinde...
 

Erst der dunkle Klang von grollenden Trommeln riss uns aus dem mächtigen Bann der Worte, die immer noch hell leuchtend im Raum zu schweben schienen. Sie mischten sich mit den tiefen Tönen, wurden langsam ausgelöscht und der Schall der Trommeln wurde immer realer als die Traumworte. Wie durch einen Schlag ins Gesicht fühlte ich mich plötzlich in die Realität zurückversetzt, und lauschte jetzt dem stetigen Rhythmus der Trommelschläge.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte ich mit leiser, verängstigter Stimme, schon ahnend, das solche Töne nichts gutes zu verheißen hatten.

„Sie greifen an“, brachte Arados nur wortlos heraus, mit stockendem Atem nieder starrend, wieder die alte Angst ins Gesicht geschrieben.

Wie durch den Trommelklang getragen flogen auf einmal die Türen auf und leises weinen drang durch den Spalt der riesigen Tür, durch den sich jetzt der Gardeoffizier Favian, einige Soldaten und Yori zwängten.

„Herr, die Stadt wird angegriffen!“, murmelte der alte Offizier aufgeregt und kam mit schnellen, humpelnden Schritten auf seinen König zu. „Welche Befehle geben sie?“ Angst war aus der alten, zitternden Stimme herauszuhören, genau die selbe Angst die auch das Trommelgewirbel auf Arados Gesicht gehetzt hatte.

„Von wo kommen sie?“, Arados Stimme klang blass.

Besorgt schaute ich zu Yori, der unwissend was jetzt kommen würde die Schultern zuckte. Ich trat zu ihm herüber und er nahm tröstend meine Hand in seine.

„Überall, egal wo man hinschaut, sie kommen von überall...“ Hoffnung klang nicht in Favians Stimme wieder, das Ende würde wohl doch noch kommen, das dachten wohl die Bewohner Synrirs.

„Stellt Posten überall dort auf, wo die Eiskoralle allgemein leichter zu durchbrechen ist, dort werden sie wohl angreifen. Stellt auch welche bei der Seepracht auf, dort werden sie vermutlich auch benötigt. Geht außerdem in die Stallungen und sagt den Domteuren, dass sie die Zulos zum Kampf nach draußen ins Wasser schicken sollen!“

„Verstanden, Herr“, sagte Favian schnell, verbeugte sich rasch und drehte um, um den Soldaten und Domteuren die Befehle zu geben.

Ich hatte nur wenig von den Anweisungen verstanden, Seepracht, was war das? Und die Zulos?

Yori schien ebenfalls sichtlich ratlos, ich konnte aber noch etwas anderes in seinem Gesicht ablesen: Kampfeslust. Ich umschloss seine Hand noch fester.

Dann wandte Arados sich an mich. „Akina, ich muss dich abermals um einen Gefallen bitten. Bring die Frauen und Kinder fort, bring sie in Sicherheit! Versteckt euch irgendwo hier im Schloss, bleibt bloß geschützt, und wenn es sein muss, flieh mit ihnen. Ich weiß, dass du das schaffen kannst.“

Ich schluckte schwer. „Ich werde es tun, Arados.“ Dann drehte ich mich um und verließ gemeinsam mit Yori den Speisesaal, wenn er auch eher widerwillig mit mir kam, das spürte ich. Sein Herz gehörte dem Kampf, es war das eines Beschützers. Doch solange ich ihn davon abhalten konnte sich für andere in Gefahr zu bringen, würde ich das auch tun, auch wenn ich merkte, dass der Moment nah kam, an dem ich seine Hand loslassen musste und um sein Leben bangen musste. Genau wie damals, das erste Mal als ich ihn traf.

Vor der Tür warteten schon die Frauen, verängstigte Mienen auf ihren Gesichtern, die weinenden Kinder tröstend im Arm.

„Folgt mir“, sagte ich mit klarer, lauter Stimme, obwohl die Angst mich fast zerfraß.

Die Frauen schauten auf, skeptisch, kamen mir dann doch hinterher. Ich eilte irgendeinen Weg entlang, irgendeinen, ungewiss wohin er führte. Wohin? Genau das war die Frage die ich mir stellte. Wo sollte ich so viele Menschen verstecken und sie vor Mizukis Vasallen schützen? Ich fühlte mich vom Pech verfolgt, egal wohin ich kam, Mizuki folgte mir wie mein dunkler Schatten.

Auf einmal fand ich mich in dem riesigen Spiegelsaal wieder, vor dem Rätsel, dass mich schon seit einigen Tagen nicht mehr losließ. Was sollte das bloß bedeuten? Es ist nicht alles so, wie es scheint...

Ich blickte mich fragend im Saal um, durchlöcherte mir den Kopf mit so vielen Gedanken, wurde fast verrückt bei all den wirren Fragen. Mein Blick blieb and der leeren Wand gegenüber der reflektierenden Spiegelfläche hängen. Irgendwie fand ich sie genau in diesem Moment eigenartig. Eine Wand, eine simple, leere Wand. Genau in dem Moment in dem mir so viele andere Fragen durch den wirren Verstand jagten, musste ich mich auch noch über eine leere Wand wundern.

Doch als mein Blick dann auf den Spiegel fiel stockte mir der Atem. Mir war vorher nie aufgefallen, dass er nicht genau der Raum spiegelte, in dem ich mich befand, denn genau an der Wand, die mir gerade jetzt so ein Kopfzerbrechen bereitete, konnte ich eine riesige, eisblauglänzende Flügeltür sehen. Sonst sah der Raum hinter dem Spiegel jedoch genau gleich aus.

Es ist nicht alles so, wie es scheint...

Ich trat an den Spiegel, betrachtete genau die Tür. Waren dort nicht anglesische Schriftzeichen? Kurzerhand berührte ich die kalte Oberfläche, schloss die Augen und konzentrierte mich auch die Tür, die ja eigentlich gar nicht da war.

Auf einmal wurde wieder alles schwarz und kalt um mich herum. Ich hatte schon Angst, dass ich für ewig in der dunklen Kälte verschollen gegangen war, bis ich die wärmende Hand von Yori spürte, die mich immer noch festhielt und mir halt gab.

In dieser Situation fand ich die eisige Dunkelheit noch erschreckender als sonst, nahm alles noch extremer wahr und erschrak, als plötzlich die Flammen vor meiner Hand auftauchten. Sie formten sich, bildeten erst unkenntliche Bilder, wurden dann zu unleserlichen Zeichen, bis ich endlich das Anglesische ausmachen konnte. Öffne dich, Tür zum Herzen der eisigen Stadt. Leise flüsterte ich die Worte und zog erschrocken die Hand zurück, als ich panische Schreie hinter mir vernahm. Yori fing mich auf, als ich ohne Halt nach hinten taumelte. Einige Augenaufschläge blieb meine Welt noch schwarz, ich hatte schon Angst für immer blind geworden zu sein, doch dann blitzen mir auf einmal die tiefblau leuchtenden Augen Yoris entgegen, ein besorgter Schimmer auf ihnen liegend.

Ich schüttelte nur kaum merklich den Kopf, um ihm zu sagen, dass nichts war, dass es mir gut ging, auch wenn ich in diesem Augenblick eher damit log. Mir war speiübel vor Angst, besonders bangte mir davor, was passieren könnte, wenn meine Furcht mich wiedereinmal so überrumpelte, dass meine Magie die Überhand gewann.

Die Schreie waren die der Frauen und Kinder. Ich war selbst erstaunt als mein Blick die eisblaue Korallentür streifte, die plötzlich an der gegenüberliegenden Wand des Spiegels war. Genau wie die Zeichen es gesagt hatten, die Tür zum Herzen der eisigen Stadt hatte sich geöffnet.

Wir waren gerettet! Dort waren wir und das gesamte Volk bestimmt sicher!

Die Frauen blickten die Tür immer noch mit verängstigten Augen an, die Kinder hatten die Gesichte abgewandt, an die Schultern ihrer Mütter gelehnt oder sich ihre Tränen am Rock der Mütter trocknend.

Yori distanzierte sich leicht von mir, hielt aber weiterhin meine Hand, auch wenn nur noch sehr zaghaft.

Sein Blick verriet mir was er vorhatte, bedrückt starrte ich auf den Boden, damit er meine Furcht nicht erkenne konnte.

„Du schaffst das hier doch alleine, oder?“

Bang nickte ich, fast schon nicht mehr als Bewegung auszumachen.

„Ich werde mithelfen Synrir zu verteidigen.“

Ich nahm Yoris Worte kaum wahr, ich wusste eh was er sagen würde.

Ich fuhr zusammen als mir die erste Träne die Wange hinunterlief.

Stutzig probierte Yori mir ins Gesicht zu schauen. „Akina, weinst du?“

Mir schauderte. Die Tränen kamen immer rascher.

Yori zog mich mit einem Ruck an seine Schulter und legte seinen Arm um meinen Rücken, während er mit der linken Hand immer noch meine Rechte hielt.

Sanft lehnte ich meine Stirn gegen sein weiches Hemd. Es roch nach Salz, genauso wie das Meer.

„Was hast du denn?“, fragte er sacht, trotzdem hörte man den leicht genervten Unterton heraus. „Es geht um mich, oder?“

Ich nickte wieder kaum merklich.

„Du brauchst dir um mich doch keine Sorgen machen, und Tränen bin ich erst recht nicht wert.“

Ich unterdrückte das Schluchzen und probierte Worte herauszubringen. „Und was ist, wenn dir etwas passiert?“

„Das wird es nicht! Was soll mir schon groß passieren? Heute wird Synrir noch nicht untergehen, du hast doch Arados Gerede über die Weissagungen des Laufes der Zeiten gehört!“

„Das heißt aber nicht, dass du da auch heil wieder rauskommst!“, fuhr ich ihn wütend an. „Ich hab Angst um dich.... Kannst du mich nicht mitnehmen?“

„Wenn ich dich mitnehme an die Front, würde ich die ganze Zeit Angst haben, dass man dich vor mir ermordet! Das ist zu gefährlich! Du bleibst hier und ich hol dich wieder ab! Versprich mir, dass du hier bleibst...“

„Und was ist, wenn...“

„Ein letztes Mal, mir wird nichts passieren!“

„Und was ist, wenn es wieder passiert?“ Ich musste an den Tag im Reich des Granitdrachen denken, wo ich wegen meiner Angst zusammengebrochen war und mit einem Erbeben fast die Höhlen zerstört hatte...

„Wa...?“, fing Yori stammelnd an, bis ihm einfiel, was ich meinte. Er kramte in seiner Hosentasche. „Hier, das schenke ich dir... Einst hat mein Vater es mir gegeben und seitdem trage ich es immer bei mir, aber jetzt will ich, dass du es nimmst... als Versprechen dafür, dass uns beiden nichts passiert und das du hier bleibst! Wenn das ganze hier vorbei ist, Kalderan gerettet ist, dann gib es mir wieder!“

Dann drückte er mir etwas kleines, kaltes in die Hand, drehte sich um, ließ mich schluchzend und wimmernd stehen und verließ rasch den Saal.

Immer noch zweifelnd standen die Frauen vor der Tür, schauten zu mir, wartend auf ein Zeichen, wo es jetzt lang gehen sollte.

Ich öffnete meine Hand und musterte den Talisman, den mir Yori geschenkt hatte. Es war ein kleiner Drache aus Kristall. Drachen standen für Mut und Stärke. Genau so wollte ich jetzt sein. Ich straffte mich für einen kurzen Moment, dann wies ich die Frauen an mir zu folgen, trat durch den schmalen Spalt der Tür und trat in den Tempelsaal, der sich dahinter befand.

Er war nicht besonders groß, ein bisschen kleiner als die Hallen im Reich sonst, trotzdem war er prachtvoller und eindrucksvoller als die übrige Stadt. Die Decke war über zwanzig Meter hoch und wölbte sich in mehreren Bögen, ähnlich wie in einer Kathedrale. Auch hier war die Decke durchsichtig und so sahen wir das Szenario draußen mit an: Die Zulos, Meereswesen, die aussahen wie eine Mischung aus Riesenseepferdchen und Einhorn, kämpften gegen die Missgeburtwesen die Mizuki mit ihrer Schwarzmagie hatte entstehen lassen, unförmige Wesen, die aussahen als würden sie aus Schlamm bestehen, der nur durch die Schwarzmagie bewegende Form annahm. Mir kam ein Schauer über den Rücken, als ich daran dachte, dass die Wesen vielleicht die Seele schwarzer Magier darstellten, die durch Mizukis Zauberei wieder Gestalt angenommen hatten und nun aus einem undefinierbaren toten Etwas entstanden waren.

Die durchsichtige Oberfläche wurde nach unten hin immer milchiger, färbte sich dann über die nächsten zwei Meter immer blauer, bis die gesamte untere Wand aus einem dunklen Blau wie das des Nachthimmels gefärbt war. Der schwache Wasserschimmer brach sich tausendfach an den winzigen Bruchstücken, die die gesamten Eiskorallenwände übersäten wie Sterne das Blau der Nacht. Es waren Kristallsplitter, die im Schein glitzerten und so einen zweiten Nachthimmel unter Wasser zauberten.

Der Raum selbst war eher leer, in der Mitte war eine kleine Empore auf der sich eine Steintafel mit alten Inschriften befand, vermutlich das nächste Rätsel auf Anglesisch.

An den Wänden befanden sich korallene Sitzbänke, so wie Kerzen, die aber nicht brannten.

Neben dem kleinen Altar befanden sich ebenfalls Kerzen, und immer mehr erinnerte mich der Tempel des Eisdrachen an eine Kirche oder Kathedrale, ein Ort an dem man ehrfürchtig um Vergebung bat oder um Schutz für Geliebte, bei wem auch immer.

An der Stirnseite sah man eine antike Malerei: Der Eisdrache! Eisblaue Schuppen, blauer Kamm, so wie die Farbe des Meers und Augen die silberweiß glitzernd wie die Sterne.

Die ängstlichen Mütter hatten sich auf die Bänke gesetzt, wiegten die kleinen Kinder schützend in ihren Armen und die größeren Kinder ließen sie sich ängstlich an die Hüfte klammern. Ehrfürchtig schlossen viele die Augen und falteten die Hände vor der Brust, betend.

Ich fragte mich, ob das wohl wirklich etwas brachte?

Immer noch wuchs dieses unangenehme Gefühl in mir heran. Ich wusste einfach nicht warum, aber mir war einfach nicht wohl bei dem Ganzen.

Ich trat an die Steintafel heran, Anglesisch, eindeutig! Vielleicht konnte mir ja diese Beschäftigung Ablenkung von der Angst geben.

Ich zögerte. Ich hatte nie die Schriftzeichen gerufen, ohne das Yori hinter mir gestanden hatte, auf mich geachtet hatte und mich aufgefangen hatte, wenn ich den Halt verlor. Diesmal kann er nicht da sein, dachte ich, diesmal muss er das tun was sein Herz ihm sagt, sein kleines kaputtes Herz, von Schmerz zerfressen, dass ihn zum Kampfe und irgendwann zur Rache treibt, zur Rache für den Tod seiner Eltern.

Das war mir klar geworden, als er mir den Talisman überreicht hat, es war nicht nur das Versprechen gewesen, dass ihm nichts passiert, insgeheim hatte er sich bestimmt geschworen am Ende unserer Reise endlich seine Rache gefunden zu haben.

Er tat mir Leid für sein kaputtes Leben, doch ich zweifelte, dass irgendwer etwas daran ändern konnte außer er selbst.

Ich überlegte noch kurz, dann legte ich die Hand auf den kalten Stein und las die rote Schrift im Dunkel:

Ein stolzes Reich

Durchschlängelt von Wasser

Grenzen der Trauer

Grenzen der Ungleichheit

Einst getrennt von Hass und Wut

Heut zerstreut durch puren Stolz

Gras wiegt im Wind

Rascheln der Blätter

Das ist das Reich des Flussdrachens

Ein Tempel

Stehend in der Mitte der Einigkeit

Versteckt hinter einer undurchdringbaren Barriere

Die nur durchdrungen werden kann

Mit der vereinten Kraft der Mächte.

Ich zog die Hand zurück. Viel konnte ich mir darunter nicht vorstellen. Ich beschloss das Rätsel aufzuschreiben, damit ich es nicht vergaß.

Immer keimte die Furcht in meinem Herzen. Beten...? Würde das vielleicht helfen? Ich schlenderte zum Altar, beobachtete die ehrfürchtigen Frauen. Keine von ihnen sprach auch nur ein Wort.

Was da oben wohl passierte, fragte ich mich. Wieder wanderte mein Blick nach oben, aber inzwischen war das Wasser dunkel, gefärbt von Blut und den toten Überresten der schwarzmagischen Wesen. Nichts war mehr zu erkennen. Würden wir es merken, wenn die Stadt mit uns untergeht oder wenn der Kampf zuende war? Wäre die Stadt am Ende würden uns sicher bald die Wassermassen erdrücken, schloss ich nachdenklich.

Ich wollte nicht daran denken, dass wir verloren. Ich wollte hoffen, hoffen, dass die Stadt gewann, hoffen, das niemand der Soldaten starb und hoffen das ich Yori den Talisman irgendwann wieder zurückgeben konnte.

Vielleicht war beten doch keine schlechte Idee. Betete man nicht immer, um die Hoffnung und den Glauben an etwas nicht zu verlieren?

Ich hätte nur einen kurzen Handschlenker machen müssen, doch ich fand, dass so der Gedanke verloren ging. Vorsichtig entzündete ich ein Stück Pergament an einer der Spitzen. Ich schloss die Augen und bat darum, dass Yori das heil wieder herauskam. Ich musste die Tränen unterdrücken, wenn ich daran dacht, dass er nicht wiederkam.

Dann hielt ich das Pergament an den Kerzendocht. Hoffentlich konnte das Feuer Yori vor den Dingen beschützen, die im Wasser lauerten.

Gerade blieb mir wohl nichts anderes übrig als zu warten, das hatte ich Yori versprochen...
 

Es dauerte nicht lange, bis die Zulos an manchen Stellen dem Druck nicht stand hielten und die Schattenwesen Mizukis die Eiskoralle dort durchbrachen. Die Soldaten schlossen dann schnell die Türen und strichen eine eigenartige Paste in die Ritzen, einiges Wasser sickerte trotzdem durch.

An der Wölbung auf die Yori und eine Hand voll anderer Soldaten achteten, durchbrachen die Schatten schon nach ein paar Minuten die Koralle. Seitdem kämpfte er an der Seepracht, so nannten die Bewohner Synrirs den Ort, an dem man vom Meer aus in die Stadt gelangte.

Die Schatten probierten auch hier hineinzugelangen. Es waren ekelhafte Biester, die mit gefletschten Zähnen und stechend gelbgrauen Augen auf die Soldaten losgingen. Sobald man einen von ihnen erstochen hatte, verflüssigte das merkwürdige Wesen sich und roch nach Tod und morastigem Schlamm. Der gesamte Boden war schon schlammig schwarz, doch glücklicherweise konnte man immer noch nicht ausmachen, ob die Bestien aus verfaulten Kadaverresten oder doch nur aus Schlamm bestanden, wenn Yori ehrlich war, wollte er es aber auch gar nicht wissen.

Yori hatte Favian, an dessen Seite er jetzt kämpfte, gefragt, wann es Zeit für die Flucht war.

„Wenn die große Kuppel in der Mitte der Stadt gebrochen ist“ hatte er geantwortet, „dann ist die Stadt unwiderruflich verloren.“

Bis jetzt hielt sie stand, aber das lag auch nur daran, das dort die meisten Zulos waren. Es waren schlaue Tiere, aber schwer zu zähmen. Er hatte schon mal von den Biestern gehört. Sie waren groß wie Raubtiere und ernährten sich normalerweise von Fisch und Aas. Keine sehr freundlichen Viecher, dachte er und stieß sein Schwert wiedereinmal durch den Rumpf eines Schattens. Yori hielt den Atem an, um den Gestank nicht einzuatmen, was aber eigentlich sinnlos war, da es sowieso schon überall abartig nach den Bestien stank.

Was lag Mizuki nur daran, das Reich auszulöschen. Wahrscheinlich wollte sie bloß so wenige Feinde wie möglich haben, und eine Stadt unter Wasser war einfach am Einfachsten auszulöschen. Oder steckte etwas anderes dahinter?

Er musste an Akina denken, die im Tempel auf sie wartete. Was war, wenn sie Mizukis wahres Ziel war? Es war schon eigenartig, dass Mizuki immer gerade da auftauchte, wo sie hinreisten. Aber selbst wenn, woher sollte sie wissen wohin ihre Reisen führten?

Wieder trieb er einem der Schatten sein Schwert genau durch den Rumpf, einem anderen schlug er mit der scharfen Seite in die Flanke. Beide zerliefen in eine Pfütze aus schwarzer, übelriechender Brühe.

Wieder hörte man ein Knacksen, eine weitere Kuppel war gebrochen. Nichts neues inzwischen.

Yori hatte bis jetzt erst zwei Männer gesehen, die ernsthafte Verletzungen davongetragen hatten. Sie wurden in den Saal getragen, in dem immer noch der König saß, ein eigenartiger Mann, wie Yori fand. Weise aber eigenartig, und wissen tat er auch nicht alles...

Wieder stiegen einige von den Schatten aus dem inzwischen ebenso schwarzen Wasser. Yori erstach gleich zwei auf einmal und schlug einem anderen den wulstigen Kopf ab, wenn man überhaupt von irgendwelchen Proportionen reden konnte.

Er wunderte sich, wie lange die Stadt diesen Zustand wohl noch aushalten konnte. Ein Wunder, dass sie alle noch nicht von den Wellen erdrückt worden waren!

Langsam beschlich ihn aber das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis Synrir sterben würde, egal was der alte Mann über das sagte, was ihm der Lauf der Zeiten erzählt hatte.

Yori hatte Favian erklärt, dass sie nur mit der Hilfe von Akina flüchten konnten, falls es zu dem Notfall überhaupt kam. Deswegen hatte man allen Soldaten gesagt, dass sie zum Spiegelsaal kommen sollten, sobald sie das Horn zur Kapitulation hörten.

Wieder erstach Yori einige der widerlichen Wesen.

Er hatte beschlossen sofort hier abzuhauen, sobald er konnte, oder sogar musste. Dann würde er Akina seinen Plan erklären, wie sie alle von hier Flüchten konnten... hoffentlich heil!

Da war es! Ein leises Knarren.

War es so weit?

Sein Schwert schnitt wieder durch einen der weichen Körper.

Und wieder hörte er es, ein Knacksen, so wie das Knacken von Eis, wenn sich langsam ein Riss durch die dicke Schicht frisst.

Zehn der Biester schälten sich wieder aus dem dreckigen Wasser, drei tötete Yori, zwei Favian. Um den Rest kümmerten sich die Soldaten, auch um die Nachkommenden.

Wo es da nicht wieder? Das Ächzen von Glas unter dem Wasserdruck?

Einer der Männer wurde verletzt. Yori sprang zwischen ihn und dem Schatten, der den Verletzten angreifen wollte.

Yori lauschte. Konnte man außer dem Wasserrauschen noch etwas hören?

Eine der Bestien biss mit kräftigen Zähnen in die Klinge und kratzte ihn am rechten Arm. Er schüttelte das Vieh ab und schlug ihm das Schwert genau zwischen die Augen. Unter höllischem Geschrei zerfloss es mit einem blubbernden Geräusch. Die Wunde brannte, vielleicht waren die Schatten giftig?

Dann hörte Yori es laut und deutlich: Das Horn! Die Kuppel würde bald brechen!

Yori hastete los, wehrte noch mal einen der Schatten ab und rannte dann genauso wie die anderen Männer in Richtung Spiegelsaal davon.

Er war der erste der die eisblaue Tür erreichte und in den Tempelsaal trat. Die Blicke der Frauen wanderten allesamt in seine Richtung, dann warf sich ihm etwas schweres um den Hals. Es war Akina. Mit leucht feuchten Augen lächelte sie den Schwarzhaarigen an. „Dir ist nichts passiert“, lachte sie glücklich, dann sah sie die Wunde an seinem Arm.

„Halb so schlimm“, winkte er ab und drückte sie sanft von sich weg, als die anderen Soldaten kamen. „Wir müssen hier weg, die große Kuppel wird bald brechen!“

„Die große Kuppel?“, verwirrt hob sie ihre Augenbraue.

„Wenn sie bricht, versinkt Synrir unwiderruflich, also müssen wir hier raus!“

„Und die Leute?“, fragte die Blonde irritiert.

„Die kommen mit!“

„Wie willst du das den anstellen?“ Skepsis verlieh Akinas Stimme einen sarkastischen Unterton.

„Das habe ich mir so vorgestellt“ sagte Yori nur geheimnisvoll und erläuterte Akina seinen Plan.

„Klingt einleuchtend, hoffe das klappt auch...“

Yoris Blick fiel auf die Steintafel. „Hast du...?“

Akina nickte nur und setzte sich auf dem Boden nieder. „Wann kommt denn der Rest?“

„Wenn Favian kommt, müssten mit ihm die übrigen kommen.“

Einen kurzen Moment später traten die Letzten ein. Akina sah sich um. „Wo ist Arados?“

Favian trat zu ihnen. „Nun ja... es ist so... der König hat beschlossen zu bleiben...“

Die Hüterin sprang auf und wollte aus dem Raum rennen, doch genau in dem Moment ertönte ein Ohrenbetäubendes Klirren. Unwillkürlich stoppte die Blonde und drückte sich mit einem lauten Schreckensschrei die Hände auf die Ohren. Die Kuppel war gebrochen...

Yori war hinter Akina her gerannt, wollte sie am Arm zurückziehen, doch widerstrebend probierte sie immer wieder sich von ihm loszureißen.

„Ich muss Arados retten! Er wird hier unten sterben!“

„Er wollte bleiben Akina!“

„Woher willst du das wissen?“ Sie war den Tränen nah. „Wir können ihn doch nicht einfach im Stich lassen!“

„Er wollte es so, er meinte er gehört nicht in unsere Welt.“

„Woher...?“

„Favian.“

„Aber warum“, schluchzte sie.

„Sein Herz ist mit dieser Welt verbunden, sein Leben hier verwurzelt. Und wenn Synrir stirbt, will er mit ihr untergehen.“

„Ja... das klingt nach ihm...“, gab Akina traurig zu, eine einzelne Träne verfing sich in ihren Wimpern. Ihr Körper erschlaffte leicht.

„Komm jetzt... sonst ist es für uns bald auch zu spät...“

„Aber ich kann doch nicht... es geht doch nicht...“ Tränen tropften vor Akina auf den Boden.

„Bitte, wenn wir jetzt nicht flüchten sind wir alle verloren!“

Kraftlos setzte sich Akina wieder auf den Boden, schloss diesmal jedoch die Augen und schien sich voll und ganz zu konzentrieren.

Die Soldaten hingegen schossen mit brennenden Pfeilen auf die Kuppel. Die Flammen zeigten ihre Wirkung: Die ersten Löcher brannten sich in die Decke, das Feuer wurde jedoch durch die ersten Wasserfontänen wieder gelöscht. Mehr Feuerpfeile wurden geschossen, bis auch hier die Kuppel mit einem lauten Klirren barst und Fluten auf die Menschen niederprasselten...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Azurblau
2008-09-02T09:08:31+00:00 02.09.2008 11:08
So, nun endlich fertig^^ ein richtiges ende ist das zwar nicht aber du hast ja jetzt ne "neue Version" ...

Ich liebe dieses FF, was dir alles für Sachen einfallen, ein Schloss aus Korallen unterm Meer und drüber noch ne Eisdecke ... O.o´*also echt, Respekt!!!* die Viecher kommen mir schon nen bisschen wie die gruseligen Biester aus Herr der Ringe vor *Gänsehautkrieg* ... Auch wie du die Räumlichkeiten und Menschen beschreibst ... , man kann sich total hineinverstetzen! ^^´
und als Yori Akina dann seine Kette gegeben hatte ... das war ja total süß!
das einzigste was ich mir wünschen würde ... wäre vllt. dass Akina ihre Kräfte öfter einsetz ... muss aber net sein O.<


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