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Heilloser Romantiker

von

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Kapitel 9

Kapitel 9
 

Es verging ein ganzer Tag, an dem Rick ständig nach Mails schaute, aber keine einzige in seinem Posteingang lag. Er wünschte sich zunehmend mehr, dass ’Einsame Seele’ wieder etwas schrieb. Rick fühlte sich mit diesem fremden Mann auf irgendeine seltsame Art und Weise verbunden. Zwar rührte dies nur daher, dass sie ihre Gedanken ähnlich in Worte fassten, aber das war mehr Verbundenheit als er mit anderen Menschen innehatte. Bei jedem Male, wo er auf ’Aktualisieren’ klickte, sehnte sich ein Stückchen mehr in ihm nach einer Reaktion. Denn wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte ihm die Mail von diesem Unbekannten sehr geholfen. Sie war Anlass dafür, dass er viel über sich nachgedacht hatte und zu dem Entschluss gekommen war, nicht zu fliegen und sich damit nicht vor seinem Leben zu verstecken.

Mittlerweile war es früher Abend und Rick saß erneut vor seinem Computer, der einfach nicht das anzeigen wollte, was er sich erhoffte.

„Blödes Teil“, schimpfte der Dunkelhaarige leise vor sich hin und schnippte die Maus vom Pad herunter.

Das Klingeln seines Handys ließ ihn endlich einmal vom Monitor abwenden.
 

/Eine Nachricht von Joe… seit meinem Anruf gestern habe ich nichts von ihm gehört… /
 

Neugierig öffnete Rick die SMS und stutzte.
 

/’Ich hole dich in zehn Minuten ab. Mach dich startklar!’/
 

Mit fragendem Gesichtsausdruck blickte Rick um sich. Hatte er was verpasst? War heute irgendein besonderer Tag?

Im Kalender stand nichts, also was hatte Joe dann mit ihm vor?

Plötzlich rannte Rick eilig durch seine Wohnung, zog sich um, machte sich im Bad frisch und streifte sich eine Jacke über. Da klingelte es schon an der Haustür.

Völlig abgehetzt öffnete er seinem Freund.

„Puh, ich hab´s geschafft. Bin fertig.“

„Hehe, gut, dann komm mit.“

Joe packte ihn am Arm und zog ihn nach draußen. Gerade noch so konnte Rick die Tür hinter sich herziehen, die laut ins Schloss fiel.

„Wohin gehen wir?“, fragte der Kleinere immer noch völlig außer Atem.

„Das wirst du bald wissen.“

„Du hast mich total überrumpelt.“

„Sinn der Sache.“

„Verrat mir, was du vorhast.“

„Nö.“

„Komm schon.“

„Rick, nein, dann wäre es ja keine Überraschung mehr.“
 

/Überraschung?/
 

„Du schaust ja, als ob du ein Geist gesehen hättest.“
 

/Vielleicht habe ich das auch…/
 

„Hey, ich werde dich schon nicht schocken… Traust du mir im Ernst zu, dass ich was Schlimmes mit dir vorhätte?“

„Naja, also-“

„Na danke, so wirkt das also auf dich.“

„Neeeein, das denke ich nicht.“

„Das weiß ich doch“, lachte Joe und zog Rick weiterhin hinter sich her.
 

Was ging hier vor sich? Er hatte doch noch nie einfach so eine Überraschung bekommen, auch nicht von Joe. Sicher, zu Geburtstagen und zu Weihnachten bekam er was von ihm geschenkt, doch sonst? Verunsichert ließ er sich von seinem Freund führen, der wirklich glücklich aussah. Seine grünen Augen glänzten geheimnisvoll und Rick konnte sich einfach keinen Reim darauf machen.

Sie liefen schon einige Minuten lang durch die Straßen und Rick verlor allmählich die Orientierung. In dem Stadtteil, in dem sie sich gerade befanden, war er vielleicht erst ein- oder zweimal gewesen, und er wusste nicht, was es außer Industrie und Fabriken hier noch geben sollte.

„Bist du dir auch sicher, dass wir hier richtig sind?“

„Hundertprozentig.“

„Aber-“

„Vertrau mir!“

„Das tu ich ja, aber ich weiß nicht, was es hier geben sollte.“

„Umso besser. Dann wirst du noch größere Augen machen.“

„Kannst du mir nicht mal einen Hinweis geben?“

„Üb dich in Geduld, mein kleiner Romantiker.“

Das war von Joe so einfach daher gesagt. In Rick stauten sich die Gefühle: Neugierde, Verwirrtheit, Zuversicht und natürlich ganz viel Ungeduld. Eigentlich waren dies zu viele Impressionen auf einmal für eine so empfindsame Seele wie Rick, weshalb er sich in Joes Jacke krallte, das erste, was er zu fassen bekam, um ein wenig von der Anspannung loszuwerden.

„Wir sind gleich da.“

Joes Stimme klang wieder einmal vollkommen sanft, was Rick nur noch mehr irritierte. Lange würde er diese Ungewissheit nicht mehr aushalten können, dessen war er sich sicher.

Abrupt blieb der Blonde stehen und lächelte Rick an.

„Schließ die Augen.“

Rick fühlte etwas Kuscheliges um seine Stirn und Augen, es musste ein Schal oder so etwas in der Art sein. Sein Herz klopfte.
 

/Eine Überraschung… jetzt ist es real… und nur für mich…/
 

„Sooo nun ganz vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen. Halte dich ruhig an mir fest. Gleich hast du es geschafft, nur noch eine Stufe.“
 

Es war einfach unbeschreiblich für Rick. Er konnte vor Anspannung kaum atmen und verkrampfte sich in dem Stoff, an dem er sich festhielt.

„Halt, da sind wir.“

Joe trat hinter Rick und legte seine Hände an den Knoten des Schals um Ricks Kopf.

„Bist du bereit?“, fragte er leise.

„Ich denke schon.“

„Gut, dann drei…“

Ricks Körper versteifte sich vor Spannung.

„…zwei…“
 

/Wahh, kann das nicht schneller gehen?/
 

„… eins…“
 

/Nun mach schon, bitte…/
 

Der Schal fiel lose herab und landete auf Ricks Schultern. Der Kleinere hob beide Hände vor den Mund, drehte sich im Kreis und seine Augen wurden feucht.

„Woher… wusstest… du das?“

Der Dunkelhaarige war kaum fähig zu sprechen. Zu viele Glückshormone wurden auf einmal freigesetzt, als dass er in der Lage war, seine Stimme zu kontrollieren.

„Du hast irgendwann einmal erwähnt, dass du so etwas gern machen würdest.“

Rick wusste seine Freude nicht besser auszudrücken als Joe um den Hals zu fallen.

„Gehst du mit rein?“, fragte er leise in Joes Ohr hinein.

„Klar.“

Geschwind rannte Rick davon und sah sich bald ungeduldig nach seinem Freund um.

„Komm, mach schon.“

„Wie ein Kind, das erfahren hat, es bekommt ein Eis“, grinste Joe.

Als die beiden das alte Gemäuer betraten, stob ihnen zugleich staubige Luft und ein leicht modriger Geruch entgegen.

„Dürfen wir überhaupt hier sein? Ich meine, es ist bestimmt Privatbesitz.“

„Darum habe ich mich gekümmert, wir haben für heute Nacht die Erlaubnis.“

Dass er sich nun gerade tatsächlich in einer alten Ruine befand und diese auch einfach so erkunden durfte, machte ihn mehr als glücklich. Er wusste gar nicht, wie lange er sich so etwas bereits gewünscht hatte, und nun wurde dieser Traum wahr. Außerdem war auch noch Joe dabei und erlebte seinen größten Traum mit ihm gemeinsam. All die trüben Gedanken der vorhergehenden Tage waren mit einem Mal vergessen.

„Die hier wirst du brauchen.“

Joe drückte ihm eine Taschenlampe in die Hand, die bläulich leuchtete.

„In all der Zeit, die ich hier wohne, habe ich nie in Erfahrung gebracht, dass ganz in meiner Nähe eine Ruine steht, die früher sicher ein halbes Schloss war, habe ich Recht? Sieht zumindest von außen danach aus.“

„1682 erbaut, gehörte mal einem reichen Fürsten, der in der Tat vorhatte, ein Schloss errichten zu lassen, doch seine finanziellen Mittel reichten dafür nicht aus und so entstand dies hier. Mir wurden keine Verbote auferlegt, also dürfen wir überall hingehen. Nur als Warnung wurde mir mitgegeben, dass wir vorsichtig sein sollen, da die Bretter und Mauern hier und da morsch sein könnten.“
 

/Sprachlosigkeit… drückt das, was ich in mir vorgeht, nicht im Geringsten aus…/
 

„Gibt es hier auch Geheimgänge, -türen und so was?“

„Da muss ich leider passen. Was hältst du davon, wenn wir das einfach herausfinden?“

„Und du machst wirklich mit?“

„Ich lass dich hier nicht alleine rumlaufen.“
 

/…?/
 

„Gehen wir zuerst dort entlang!“

Rick leuchtete in einen dunklen langen Gang hinein, der aus der großen sicher einst prunkvollen Vorhalle westwärts führte. Die Finsternis lag schwer im Raum und Spinnweben zierten Wände und Fenster, die meist mit schwarzen Leinentüchern behangen waren. Halb unkenntliche Gemälde schmückten die Seitenwände, zerfressen von Motten und bedeckt mit grauem Staub. Ihre Schritte hallten von überall her wider, verloren sich dann dumpf in den dunklen Winkeln des Ganges. Der Kleinere ging voraus und leuchtete um sich, besah sich jedes Detail, das er zu fassen bekam.
 

/Ich frage mich, wie Joe das wissen konnte... Kann schon sein, dass ich das mal angesprochen habe, aber dass er sich daran erinnern kann?... Sonst merkt er sich solche Dinge auch nicht unbedingt… es muss schon Jahre her sein, dass wir darüber geredet haben könnten… Bin ich ihm mehr wert, als ich immer dachte?/
 

Mit einer leicht zu einer Faust geformten Hand klopfte Rick gegen die Wand rechts von ihm. Abrupt war er stehen geblieben und horchte nun auf den Klang des Schlages.

„Klingt hohl. Dahinter ist ein Zimmer.“

„Dann lass uns mal nachsehen, ob sich hier irgendein Stein bewegen lässt.“

Joe begann, die Wand abzutasten, was ihm Rick gleichtat.

„Wie bist du an die Erlaubnis gekommen?“

„Betriebsgeheimnis.“

„Das ist Wahnsinn. Man bekommt doch sonst auch nie solch eine Möglichkeit.“

„Du bist echt überwältigt.“

„Was auch sonst. Bedenke doch mal, was wir hier tun? Wir erforschen vergangene Zeiten und ein früheres Leben… zudem ist es Nacht… die beste Tageszeit für so was.“

„Kaum zu glauben, eigentlich, dass gerade dich so etwas begeistert.“

„Naja… allein würde ich mich hier nicht aufhalten… das stimmt schon,… aber… du bist ja bei mir.“

Joe räusperte sich, war um eine Erwiderung verlegen. Plötzlich riss er die Augen weit auf und schüttelte den Kopf.

„Hast du was gefunden?“

„Hm?“

„Einen losen Stein oder so was?“

„Nein leider nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte Rick mit unüberhörbarer Enttäuschung in der Stimme.
 

/Auch wenn ich heute hier nichts Ungewöhnliches entdecken sollte, wird mir diese Nacht für immer in Erinnerung bleiben…/
 

Einen verstohlenen Blick warf Rick auf Joe, der mit offenem Mund dastand und an die Decke starrte.

„Joe?“

Der Kleinere schaute ebenfalls empor und schluckte schwer.

„Aber-“

„Hmm-mm.“

„Das kann nicht-“

„Anscheinend schon.“

Rick fühlte eine Hand um seine und er wusste in diesem Moment nicht recht, was ihm das Herz eher schnell schlagen ließ, das Gesehene oder die innige Berührung.

„Siehst du dieses Funkeln, so golden und warm, zugleich so vibrierend und…“

„Grotesk kalt.“

„Seltsam.“

Der Druck um Ricks Hand wurde fester und Rick spürte jeden einzelnen Finger des anderen.
 

/Bist du dir bewusst, was du hier tust?... Oder ist es nur ein Reflex, weil die Atmosphäre in diesen Gemäuern mit einem Mal viel unheimlicher wurde?... Wenn ich die Zeit anhalten könnte, dann würde ich das tun… dann würdest du mich nie wieder loslassen…/
 

„Hast du dir jemals Gedanken über Mythen gemacht?“

„Sehr oft sogar.“

Weiterhin blickten beide unbeirrt empor, das Spiel des wundersamen Lichtes schien beide nicht mehr loszulassen.

„Als kleines Kind starb mein Vater, wie du weißt…“

Rick stockte der Atem, denn er konnte nicht recht einordnen, ob er vielleicht träumte oder doch wachte. War es dieses Schloss, diese merkwürdige Atmosphäre, die seinen Freund zu all dem bewog?

„Viele Nächte saß ich auf dem Fensterbrett und schaute hinaus in den Garten… ich vermisste ihn schrecklich und wollte nicht wahrhaben, dass er tot war… mich zurückgelassen hat…“

Ein dicker Kloß steckte in Ricks Hals, er hatte den Blonden bisher nur ganz selten so reden hören und das letzte Mal war schon eine kleine Ewigkeit her. Seit der Schulzeit hatte er ihn nicht mehr so erlebt. Er wollte irgendwas sagen, doch er konnte nicht, er brachte keine einzige Silbe über die Lippen.

„Während ich hinaussah, glaubte ich, meinen Vater dort stehen zu sehen… ich berichtete meiner Mutter davon, doch sie nahm mich nur in den Arm und meinte, dass er ihr ebenso fehlte… doch ich wollte das nicht so auf mir beruhen lassen… als ich alt genug war, suchte ich nach Informationen über unser Grundstück…“
 

/Aber… das hast du mir nie erzählt… wie… hast… du das… vor mir… geheim halten können?/
 

„Ich habe nichts gefunden… nichts, was in irgendeiner Weise mystisch oder geheimnisumwoben war… da begann ich meine Mutter zu verstehen… wenn man sich etwas ganz sehr wünscht, dann kann man sich einbilden, dass es in Erfüllung geht… als kleiner Junge wollte ich nichts sehnlicher als meinen Vater zurück und ’sah’ ihn in unserem Garten…“
 

/Heißt das, dass… dass… du… bemerkt hast… dass…/
 

„Und doch… habe ich den Glauben an… wie soll ich sagen… Übernatürliches… nicht verloren… etwas in mir wehrte sich gegen ein allzu rationales Denken…“
 

/… diese Seite… an dir… kenne ich… gar nicht…/
 

„Als ich mit dem Hausbesitzer gesprochen habe, erwähnte er, dass dieser Fürst ein Urahne von ihm sei… er brachte es nie übers Herz, das Gemäuer abzureißen… vermutlich aus demselben Grund, wie ich meinen Vater nicht loslassen wollte… das, was einem teuer ist, was einen verbindet, möchte man nicht gehen lassen…“
 

Stille kehrte ein und Rick wusste noch immer nicht, was er sagen sollte. Die richtigen Worte konnte er sowieso nicht finden, denn die gab es nicht. Das Licht über ihnen erlosch plötzlich und die Berührung zwischen ihren Händen löste sich.
 

„Wollen wir nach oben?“

Joes Stimme trug nun keine Sehnsucht mehr in sich, was Rick irgendwie bedauerte. Zu gern hätte er länger dort in stiller Zweisamkeit verweilt und die Offenheit seines Freundes genossen.
 


 

/Einmal mehr entdeckte ich eine Facette an dir, die mich tief bewegte… einmal mehr durfte ich in dein Herz blicken und sehen, welch besonderer Mensch du bist… einmal mehr erkannte ich, dass du das Beste in meinem Leben bist…/



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-12-22T12:18:10+00:00 22.12.2006 13:18
Hm komisch das noch keiner einen Kommentar geschrieben hat. Aber egal. Ich muss einfach sagen das ich diese FF liebe, sie ist wirklich wunderschön geschrieben und ich freue mich schon sehr darauf das du weiter schreibst.
Also lass mich nicht zu lange warten


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