I. Take away the pain
I drift away to a place
Another kind of life
Take away the pain
I create my paradise
Es war ein Tag wie jeder andere. Einfach nur ein normaler Schultag.
Gut, ein weiterer Schultag, an dem sich Draco Malfoy mit dem undankbaren Auftrag auseinandersetzen durften, Dumbledore umzubringen. Aber es war an sich ein normaler Tag. Das fand er zumindest.
Wenigstens bis er Potter über den Weg lief. Genauer gesagt: Bis er und Harry Potter zusammenprallten. Beide hatten sie nicht aufgepasst, aber das würde Draco natürlich niemals zugeben.
„Potter!“, fauchte er los, kurz nachdem er unsanft auf dem Boden gelandet war. Einen Augenblick später wurde ihm jedoch die Luft aus den Lungen gepresst, als der wohl berühmteste Gryffindor aller Zeiten auf ihm landete. Das Gefühl des warmen Körpers an seinem, der Kontakt ihrer Hände, Potters Haar an seiner Wange – unwillkürlich zuckte Draco zusammen.
„Oh...“, murmelte Potter in diesem Moment und sein warmer Atem streifte den Hals des Slytherins. Dieser konnte nur allzu deutlich spüren, wie ihm ein Schauer über den Nacken rann und sich die feinen Härchen aufstellten. Sein Herz schlug abrupt schneller und das Blut schien in seinen Ohren zu rauschen.
Langsam richtete sich Potter auf, während Draco noch immer wie angewurzelt auf dem Boden saß.
„Malfoy? Lebst du noch?“ Spott lag in der Stimme des Gryffindors und dieser Ton brachte den Slytherin wieder zur Besinnung.
„Aber nur, weil ich Glück hatte, dass du nicht so schwer bist wie dieser vertrottelte Riese“, knurrte Draco und stand auf. Demonstrativ wischte er sich seine Kleider ab.
„Oh, ich sehe schon, dir geht es bestens. Wobei dein Mundwerk wahrscheinlich selbst dann noch problemlos funktioniert, wenn alle deine anderen Körperfunktionen längst Geschichte sind.“
Draco zog überrascht eine Augenbraue hoch. Derartige Sprüche von Potter zu hören war reichlich ungewöhnlich.
„Was denn, Potter, heute Morgen einen kleinen Trank eingeworfen, damit du verbal mithalten kannst?“
„Ich habe andere Drogen.“ Der Junge-der-lebt grinste breit und winkte jemandem zu, der sich aus einem der Seitengänge näherte.
Draco runzelte leicht die Stirn. Diese Worte machten für ihn keinen Sinn. Einen Augenblick später taten sie es aber, als ein weibliches Mitglied der rothaarigen Wiesel-Familie dem Gryffindor um den Hals fiel.
„Tu mir den Gefallen und hol dir eine Überdosis, damit du elendig krepierst“, verteilte Draco noch eine letzte Breitseite, während er sich abwandte. In seinem Inneren schien ein Sturm zu toben und er versuchte, ihn irgendwie wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch er ahnte, dass es vergeblich war. Er hatte gehofft, dass es niemals passieren würde, doch es war geschehen. Und er konnte nichts dagegen tun.
Draco ballte die Hände zu Fäusten, sodass sich seine Fingernägel schmerzhaft in seine Handflächen bohrten. Er schloss die Augen und bemühte sich, ruhig durchzuatmen.
Er konnte es nicht. Er konnte es einfach nicht. Der Schmerz ließ nicht nach. Egal, was er tat. Egal, was auch immer er versuchte. Er ließ nicht nach.
Er öffnete die Augen wieder und wurde brutal in die Wirklichkeit der lärmenden Großen Halle versetzt. Es war die Zeit des Mittagessens und ausnahmslos alle Tische waren voll besetzt. Auch der Tisch der Gryffindors. Und natürlich saß er auch dort. Natürlich. Wie hätte es je anders sein können?
Draco seufzte leise. Und natürlich saß sie neben ihm und beide führten der Schule ihr Glück vor Augen. Es war zum Kotzen.
Und es tat weh.
Draco würde niemals im Leben zugeben, was es war, das ihn beschäftigte. Und doch war es so. Harry Potter ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er wusste nicht warum und wieso. Und warum es ihm erst jetzt aufgegangen war. Er hatte nur zugleich eins begriffen: Was auch immer diese elenden Gefühle waren – es war aussichtslos. Absolut und vollkommen aussichtslos. Nichts anderes. Ein winziger, leiser Seufzer kam ihm über die Lippen.
Moment – er seufzte wegen einem Harry Potter? Das wurde ja immer schöner!
Lustlos begann der Blonde in seinem Mittagessen herumzustochern. Ihm war jeglicher Appetit vergangen.
„Was denn, Draco, keinen Hunger?“, fragte Blaise und beugte sich zu ihm hinüber.
Draco schüttelte schweigend den Kopf und lehnte sich zurück. Warum musste er eigentlich so sitzen, dass er Potter sah? Saß er schon all die Jahre da? Warum war es ihm nie aufgefallen? Warum...?
Abrupt stand er auf. Er konnte nicht hier bleiben. Nicht jetzt. Ohne ein Wort zu sagen verließ er den Slytherintisch, begleitet von nicht wenigen irritierten Blicken. Sie kümmerten ihn kein bisschen.
Er ließ sich auf der Treppe vor dem Eingangstor nieder. Er stützte das Kinn in die Hände und starrte vor sich hin, ohne irgendetwas zu sehen. Wie hatte das geschehen können? Wie hatte das gerade geschehen können? Was bedeutete dieses Gefühl in ihm, das so hohe Wogen schlug und ihn kaum mehr zu Atem kommen ließ? Was geschah mit ihm?
Er war sich nicht sicher. Er wusste nur, dass es wehgetan hatte. Dass es wehgetan hatte, als Ginny Weasley sich Harry Potter an den Hals geschmissen hatte. Es war ein Schmerz, der ihn bis in sein Innerstes zu versengen drohte, ja, der ihn bereits verbrannte.
„Warum immer ich?“, murmelte er leise. Nicht genug damit, dass er diesen verdammten Auftrag erledigen musste und über ihm dabei ständig das Damoklesschwert von Voldemorts Zorn hing, nein, Potter war ihm auch noch ständig auf den Fersen und jetzt auch noch schlagartig ständig in seinem Kopf. Nein, schlagartig stimmte nicht ganz. Von Beginn seiner Schulzeit an hatte er sich immer mit Harry Potter auseinangesetzt. Von Beginn an war Harry Potter in seinem Kopf gewesen. Immer. Das war nichts Neues. Nur irgendwie... hatte sich die Konnotation verändert.
Und in was verändert? Draco war sich nicht sicher.
Der Hass, die unbändige Wut – sie waren noch immer da. Der Schmerz war neu. Und noch etwas anderes... Schwächer, weicher und doch genauso brennend und bohrend wie der Schmerz. Es fühlte sich an, als wenn in ihm eine Tür aufgestoßen worden wäre, die er vor langer Zeit einmal abgeschlossen hatte. Konnte das sein? Konnte man Gefühle so einfach freilassen? Wenn ja – konnte er sie nicht genauso schnell wieder wegschließen? Ging das nicht genauso?