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Hirngespinnste

Eine Sammlung geistigen Mülls... sprich Kurzgeschichten ~ die neuste für Tonja
von

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Memoryless

Memoryless
 

Mein Kopf schmerzte, als ich langsam die Augen öffnete. Grelles Neonlicht schien mir ins Gesicht, sodass ich es für klüger hielt die Augen geschlossen zu lassen. Die Schmerzen in meinem Kopf wurden zu einem stetigen Klopfen, das in meinen Ohren wieder hallte. Von was der Schmerz auch immer kam, er hielt mich davon ab, darüber nachzudenken, wo ich war. Langsam hob ich meine linke Hand und führt sie zu meinem Kopf. Die Bewegung war langsam und schwerfällig und ich hatte das Gefühl, als hätte ich meine Hand schon eine ganze Weile nicht mehr benutzt. Als meine fast tauben Finger meinen Kopf erreichten, stießen sie auf einen Verband statt auf meine Haare. Etwas verwirrt strich ich über den fest gebundenen Stoff.

Was war passiert?

Ich zog meine Hand zurück und ließ sie erneut neben meinem Körper zum Liegen kommen. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt und so gab ich mich einem unruhigen Schlaf hin. Während ich schlief begleiteten mich seltsame Bilder von Flammen und Tod. Was sie zu bedeuten hatten, vermochte ich zu diesem Zeitpunkt nicht zu begreifen. Ich wusste nur, dass sie mich im Nachhinein sehr traurig machten. Wie lang auch immer ich geschlafen hatte, als ich wieder zu mir kam, waren die kalten Lichter aus. Dennoch war es nicht dunkel in diesem Zimmer. Ich schloss daraus, dass es bereits Tag sein musste und öffnete nun vorsichtig meine Augen, um mich umzusehen. Ich brauchte eine ganze Weile, bis mein verschwommener Blick klar wurde und ich die weiße Decke über mir mit ihren erloschenen Lampen sehen konnte. Jetzt kam mir zum ersten Mal der Gedanke, wo ich sein könnte. Ich sah mich weiter um und erblickte einige Möbel, die mich schließen ließen, dass ich eindeutig in einem Krankenhaus war. Vier Betten mit metallenen Rahmen standen in diesem Zimmer. In einem lag ich, zwei weitere Betten waren leer. Im vierten Bett lag noch jemand, doch ich konnte nicht erkennen wer, denn es saß eine Person auf dem Besucherstuhl und versperrte mir so die Sicht. Ich hatte meinen Kopf mittlerweile zur Seite gedreht und büßte das mit einer erneuten Schmerzwelle. Die Zähne zusammen beißend, starrte ich auf den blonden Hinterkopf, während mir, aufgrund der Schmerzen, ein gequältes Seufzen von den Lippen ging. Der Blonde schien dies nicht gehört zu haben, denn er drehte sich nicht zu mir um. Ich schloss kurz die Augen und wartete darauf, dass die Schmerzen nachließen, erst dann drehte ich mein Haupt zurück, wobei mir ein kleiner durchsichtiger Beutel auffiel, der mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Erst jetzt bemerkte ich, dass in meiner rechten Hand eine Nadel steckte, die mich mit einem Tropf verband und mich so künstlich ernährte. Mein Handrücken, der die Nadel ertragen musste, fühlte sich taub an, so wie nahezu der gesamte Rest meines Körpers. Jetzt, wo ich meine Arme musterte, erkannte ich auch einen Grund dafür. Meine Haut war übersät mit kleinen und größeren Kratzern sowie mit Brandwunden. Nun, da ich das sah, fragte ich mich umso mehr, was wohl passiert war, doch als ich versuchte darüber nachzudenken, schmerzte mein Kopf erneut.

Resignierend schloss ich die Augen und holte tief Luft. Fast im selben Augenblick noch holte mich wieder eine schwere Müdigkeit ein und zwang mich erneut in einen unruhigen Schlaf zu verfallen. Ein sanfter Lichtschein ließ mich nach scheinbar ewiger Zeit wieder erwachen. Das Zimmer war dunkel. Nur durch die weit geöffnete Tür fiel indirektes Licht und warf unheimliche Schatten auf meine Bettdecke. Ich vernahm mit Erleichterung, dass sich mein ganzer Körper, abgesehen vom Kopf, langsam besser anfühlte und wagte es erneut zu meinem Mitpatienten zu blicken. Der Blick auf ihn war nun frei, sodass ich mir die regungslos da liegende Person in Ruhe ansehen konnte. Dort lag ein junger Mann, dessen Kopf, wie meiner, mit einem Verband versehen war. Ich konnte nur seine linke Hälfte sehen und musste feststellen, dass er, abgesehen von einigen kleineren Kratzern, eher wenige Verletzungen hatte.

Seinen muskulösen Arm musternd, sah ich aus den Augenwinkeln, dass der Besucher noch immer in diesem Raum war. Er musste eingeschlafen sein. Er saß zwar immer noch auf dem Stuhl, doch lag sein Oberkörper auf dem Bett des Patienten. Wieder konnte ich nur seinen blonden Hinterkopf sehen, denn wieder hatte er sein Gesicht von mir weg gedreht. Dennoch wirkte er auf mich friedlich und beruhigend. Ein zartes Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit, als ich ihn länger betrachtete.

Doch dann zog sich plötzlich und unerwartet ein scharfer Schmerz durch meinen Kopf, sodass mir ein unterdrücktes schmerzvolles Stöhnen entwich. Mit diesem schloss ich meine Augen und verzog das Gesicht. Alles in mir wollte in diesem Moment sterben, so schmerzhaft war das, was nun langsam von meinem Kopf aus in meine Arm und den Rest des Körpers zog. Ich lag auf der Seite und so war es nur verständlich, dass ich mich zu einem kümmerlichen Etwas zusammen krümmte, während ich spürte, wie sich heiße Tränen aus meinen Augen drückten.

„Alles in Ordnung?“, hörte ich plötzlich eine sanfte aber müde klingende Stimme fragen. Als ich aufgrund der Schmerzen nicht antwortete, fühlte ich, wie der Besitzer der Stimme eine Hand auf meinen Oberarm legte und beruhigend über meine warme Haut strich. Während ich mich so langsam beruhigte, merkte ich, wie sich jemand auf der Kante meines Bettes niederließ. Langsam öffnete ich meine feuchten Augen, doch durch die wenigen Tränen war mein Blick bereits verschwommen. Dennoch konnte ich erkennen, dass er recht groß war, ungefähr 1,90 Meter würde ich schätzen. Und er wirkte recht jung, obgleich sein Gesicht sehr müde aussah, wie ich feststellte, als mein Blick wieder klarer wurde. Ein sanftes Lächeln zierte seine Lippen, während er mir weiter beruhigend über den Oberarm strich.

„Schön, dass du wach bist.“, murmelte er und sein Lächeln wurde zugleich traurig und warm. Das lag sicher daran, dass die Person neben mir noch nicht erwacht war, obwohl wir wohl in einer ähnlichen Situation waren.

„Wie ist dein Name?“, fragte der Größere mich leise. Ich öffnete den Mund, um ihm zu antworten, doch ich blieb still. Es war, als wäre mir in diesem Moment entfallen, was ich antworten wollte. Ich begann Satzanfänge vor mich hin zu stottern, doch es half nichts.

„Ich weiß es nicht“, murmelte ich schließlich fast heißer, denn meine Stimme gab kaum mehr als ein Flüstern her und meine Augen machten erneut den Anschein, als würden sie sich wieder mit Tränen füllen.

Hatte ich tatsächlich vergessen wer ich war?

Es folgte ein Moment der Stille, bis ich mich durchrang und fragte, was mit mir passiert sei. Wieder wurde der Blick des Besuchers etwas trauriger. Dann erklärte er, dass er selbst auch nicht genau wusste, was mit mir und seinem Freund passiert war und er gehofft hatte, es von mir zu erfahren. Sicher war nur, dass wir beide irgendwie in einen Unfall verwickelt wurden. Ich war geschockt über das was ich hörte, doch noch viel mehr schmerzte es mich, ihn bei seiner Erzählung anzusehen. Seine Augen strahlten so viel Trauer aus, selbst dann noch, als er mich aufmunternd ansah. Ich wusste nicht wer er war, aber ich hatte das Gefühl als hätte er einen großen Teil meines Lebens bestimmt. Ich wollte ihn fragen, wer er war, doch schon nach dem ersten Wort meiner Frage brach ich hab. Eine Art von Angst hinderte mich, nach seinem Namen zu fragen, als würde mein Unterbewusstsein verhindern wollen, dass ich mich, durch den Klang seines Namen, an etwas bestimmtes erinnern sollte.

Dann strich er mir mit seiner Hand über die Wange und ich spürte wieder diesen Schmerz in meiner Brust. Schließlich lösten sich Tränen von meinen Augen, ohne dass ich überhaupt wusste warum. Diese Berührung war so schön, aber sie tat auch so unendlich weh. Er lächelte nur verständnisvoll, als könne er meine Gedanken lesen, dann wurde sein Blick wieder traurig. Er warf einen kurzen Blick gen Tür und ich begriff. Er musste sich große Sorgen machen, um seinen Freund.

„Sie können ruhig wieder zu ihm gehen“, sagte ich verständnisvoll und lächelte matt. Ich war mir sicher, dass auch bald jemand kommen würde, der mich kannte und so machte ich mir vorerst keine Sorgen. Vielleicht würde ich mich morgen oder übermorgen auch schon wieder an alles erinnern. Doch der Größere schüttelte den Kopf. Er wollte seinen Freund nicht länger so sehen, erklärte er und außerdem wollte er sich um mich kümmern, da man bis jetzt wohl niemanden gefunden hatte, der mich kannte. Wieder brannten meine Augen. Diesmal weil der Gedanke, allein zu sein, mir nicht gefiel. Langsam setzte ich mich auf und schob schweigend die Beine unter der Decke hervor, sodass ich auch auf der Bettkante saß.

„Danke“, murmelte ich, während meine Augen einen Fleck auf dem Boden fixierten.

„Lass uns jetzt einfach mal ganz von vorn anfangen.“, schlug der Größere vor und reichte mir die Hand.

„Mich kannst du Jan nennen.“, sagte er lächelnd. Ich sah ihn an und als ich so sein Lächeln musterte, musste auch ich lächeln, obgleich der Klang seines Namens wieder etwas in mir auslöste, das ich nicht verstand. Ich schüttelte seine Hand und überlegte. „Ich weiß nicht, wie du mich nennen sollst“, sagte ich dann lächelnd. „Aber ´Du´ ist auf jeden Fall OK.“, fügte ich hinzu. Er grinste scheinbar aufgemuntert und zog mich in eine Umarmung. Er hatte meinen traurigen Blick also doch bemerkt und versprach mir nun, dass er auf mich aufpassen würde, so lange bis ich mich wieder an alles erinnern könnte. Dieses Versprechen war sehr aufmunternd. Lächelnd drückte ich mich an ihn und murmelte ein „Danke“ in sein schwarzes Shirt. Ich hatte das Gefühl, als wenn er gerade etwas sagen wollte, als das Quietschen einer Tür uns beide aufblicken ließ. Eine Krankenschwester hatte ihren Kopf durch die Tür gesteckt und lächelte uns nun entgegen.

„Wie schön, die junge Dame ist aufgewacht.“, begann sie und sie wäre wohl in einen unhaltbaren Redefluss verfallen, wenn Jan ihr nicht sofort ins Wort gefallen und mit ihr nach draußen verschwunden wäre. Er musste gewusst haben, was die Frau noch alles von mir wollte und dass mich die Fragen doch sehr mitgenommen hätten, da ich mich ja an nichts erinnern konnte. Darum hatte er wohl beschlossen, sie über meine Lage aufzuklären. Da ich nicht wusste, wann und ob er so schnell wiederkommen würde, legte ich mich wieder hin. Ich warf einen kurzen Blick auf meinen Mitpatienten, der noch immer regungslos da lag, bevor ich meine Augen schloss und noch etwas döste.
 

Kurze Zeit später schon kam Jan wieder ins Zimmer und ließ sich erneut auf meinem Bett nieder. Schweigend begann er wieder meinen Arm zu streicheln und offensichtlich dachte er, ich würde wieder schlafen. Dem Zustand des Schlafes war ich auch sehr nahe, doch ein Geräusch hinderte mich am Schlafen. Es klang wie ein leises unterdrücktes Schluchzen, welches mich dazu veranlasste meine Augen wieder zu öffnen. Müde blinzelnd sah ich in das traurige Gesicht Jans, über welches nun einzelne Tränen flossen. Geschockt von dem Anblick setzte ich mich, gezwungen durch die Schmerzen, sehr langsam auf. Vorsichtig legte ich die Arme um seinen Nacken und zog ihn etwas an mich. Genau genommen zog ich mich etwas an ihn, denn als er seine starken Arm um mich legte, rutschte ich unaufhaltbar in seine Richtung. Wir saßen eine Weile schweigend so da, bevor er sich scheinbar wieder beruhigt hatte und mich los ließ. Dann schenkte er mir ein trauriges Lächeln und ich nickte aufmunternd. Zugegeben, dass hätte ich mir verkneifen können, denn gleich darauf hielt ich mir wieder den schmerzenden Kopf, aber ihm half es wohl erstmal wieder Zuversicht zu fassen.

Für die nächsten drei Tage blieb Jan mein Besuch. Ich konnte mich noch immer an nichts erinnern und es vermisste mich scheinbar auch noch niemand. Doch das störte mich nicht weiter. Vielmehr schmerzte es Jans Freund regungslos da liegen zu sehen und vor allem zu spüren, wie sehr Jan litt.

Es war nun 8³° Uhr, was bedeutete, dass der Blonde bald wieder hier eintreffen würde. ich hatte mir in den Tagen, an denen ich wach war ein Hobby zugelegt und begonnen vor mich hin zu zeichnen. Es war eine willkommene Abwechslung, wenn ich alleine war, denn alles was ich im Fernseher sah, sagte mir nichts, oder machte mich traurig. So saß ich auch diesmal da und quälte ein weißes Blatt mit meinem dünnen Druckbleistift. Ich verbrachte so den Vormittag und sah auch nicht mehr auf die Uhr. Erst als ich Jans federnden Gang im Korridor hören konnte, sah ich auf. Tatsächlich war einige Zeit vergangen und ich wunderte mich, was ihn wohl aufgehalten hatte. Als er schließlich den Raum betrat wurde mir diese Frage auch schon beantwortet. In seiner rechten Hand hielt er eine Gitarrentasche, die offensichtlich gefüllt war. Kaum dass er im Zimmer war, entschuldigte er sich für seine Verspätung und erklärte, dass man ihn mit der Gitarre nicht hatte hineinlassen wollen und er sich erst bis hier her durch argumentieren hatte müssen.

„Schon ok.“, murmelte ich lächelnd. Er hätte auch noch später kommen können, mir war es inzwischen nur wichtig ihn überhaupt zu sehen, denn es war nicht nur unheimlich geworden mit einem Komapatienten in einem Raum zu sein, ich hatte mich auch langsam einsam gefühlt. Nun musterte ich ihn und sein Mitbringsel interessiert, woraufhin er nur breit grinsend sagte: „Wart’s ab.“ und sich ans Werk machte den Verstärker, auf dem sehr groß „Marschall“ zu lesen war, ans Stromnetz anzuschließen, sowie die Gitarre auszupacken und zu stimmen. All das war für mich schon hoch interessant. Ich kannte die Geräte zwar, doch konnte ich mich nicht daran erinnern sie bereits in Aktion gesehen zu haben. Und ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich mich bereits wieder an einzelne Erlebnisse erinnern konnte, wenn auch nicht an meinen Namen oder meine Familie.

„So fertig.“, murmelte er schließlich und verband Gitarre und Verstärker. „Bereit?“, fragte er dann, während er sich aufrichtete und in meine Richtung grinste. Ich saß nun kerzengerade in meinem Bett und nickte heftig. Er hatte je bereits erzählt, dass er Musiker war, aber bis jetzt hatte ich noch nichts von ihm hören dürfen. Bevor er zu singen begann warf er einen flüchtigen Blick zu seinem noch immer reglos daliegendem Freund. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, dennoch wurde mir bewusste, dass Jan nicht für mich sang. Er hoffte wohl sein Freund, nach dessen Namen ich noch nicht gewagt hatte zu fragen, würde dadurch wieder erwachen. Zu mehr Gedankengängen kam ich nicht, dann Jan hatte begonnen ein Intro zu spielen, das mir Gänsehaut den Arm hinauftrieb. Es war nur ein leises Zupfen, doch verbunden mit seinem Lächeln, war es das Schönste was ich je gehört hatte. Dieses Intro war der Beginn einer ganzen Stunde voller Musik, während der ich meine Augen keine einzige Sekunde hatte von Jan abwenden können. Schließlich wurden wir von einer Schwester gestört, die meinte, es sei jetzt genug. Der große Blonde nickte und murmelte etwas von einem letzten Lied, das er unbedingt spielen müsse, woraufhin, die Schwester nickte.

Kaum, dass sie weg war, ließ er erneut die Klänge seiner Gitarre durch den Raum hallen und ich lauschte wieder voller Ehrfurcht.

„Ich bin allein, du bist nicht hier...“, begann er zu singen, während er sich dem anderen Bett zu wand. Kaum dass er weiter sang, stiegen auch schon Tränen in meine Augen. Seine Stimme zitterte und sein Blick war starr auf die reglose Person gerichtet. Nicht nur, dass ich das Gefühl hatte, dass dieses Lied auch für mich viel bedeutete, aber das was ich sah und wie er dieses Lied sang, so voller Qualen und Sehnsucht, war einfach zu viel für mich. Ich versuchte nicht einmal meine Tränen zurück zu halten, denn ich hätte es sicher nicht geschafft.

Während der letzten Töne noch, rutschte dem Blonden bereits das Musikinstrument aus der Hand und hätte es nicht mittels des Gurtes an einem Nacken gehangen, wäre es wohl ohne weitere Beachtung zu Boden gefallen. Durch den Schleier aus Tränen sah ich zu, wie auch Jan sich seinen Gefühlen hingab und ebenfalls zu weinen begann. Es schien als hatte er gerad noch genug Kraft um die Gitarre über seinen Kopf zu heben und abzulegen. Dann legte er sich zu mir aufs Bett und nahm mich schweigend in den Arm. Wir lagen wohl länger so da und schwiegen, denn wir schreckten beide auf, als ein ungewöhnliches Geräusch durch das Zimmer zu uns drang.

„Was gibt’s denn da zu heulen?“, fragte eine schwache rauchige Stimme. Kaum dass ich verstanden hatte, was geschehen war, sprang Jan auch schon auf und stolperte etwas überstürzt zu dem zweiten belegten Bett in diesem Zimmer. Immer noch schweigend beobachtete ich wie er seinem Freund um den Hals fiel und ihn scheinbar nie wieder loslassen wollte.

„Jan, du tust mir weh...“, murmelte der Kleinere, legte aber mühevoll eine Hand auf Jans Schulter. Mehr Zeit hatten die beiden nicht, um sich zu begrüßen, denn zu diesem Zeitpunkt betrat wieder eine Schwester das Zimmer. Wohl um mir das Essen zu bringen, genau kann ich das aber nicht sagen, denn zu diesem Zeitpunkt war es auch, als ich plötzlich wieder das Bewusstsein verlor.

Wieder zwang ich meine Augen gegen das helle Licht von Neonröhren anzukämpfen, während ich den stechenden Schmerz in meinem Kopf ignorierte. „Ein Traum“, dachte ich, während ich mich an mein erstes Erwachen in diesem Raum erinnerte. Sicher hatte ich das alles mit Jan nur geträumt. Ich gab dem Wunsch meiner Augen nach und ließ meine Lieder wieder sinken.

„Sie ist wacht!“, drang es da plötzlich leise an mein Ohr.

„Nein du hast dich geirrt, sieh doch sie liegt genauso da wie vorher.“, erklang eine zweite Stimme.

„Ich irre mich nicht, sie hatte gerade die Augen offen, ich schwöre!“, sagte jemand mit Nachdruck.

Wer war da?

Jan?

Wieder zwang ich mich die Augen zu öffnen, doch außer den Neonröhren an der Decke konnte ich nichts sehen und ich wagte es nicht meinen Kopf zu bewegen. Ich hatte Angst davor wirklich allein im Raum zu sein und mir die Stimmen nur eingebildet zu haben.

„Ha, siehst du, Ich hatte Recht.“, ertönte die erste Stimme plötzlich wieder. Ich zuckte etwas zusammen, war sie doch plötzlich lauter als noch vor wenigen Minuten. Und kaum, dass ich das gedacht hatte, schob sich ein lächelndes Gesicht in mein Blickfeld. Als mein Besucher merkte, dass ich wirklich wach war und ihn wahr nahm, machte sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit und ein Lächeln auf meinem.

„Schön, dass du wieder wach bist.“, murmelte Jan leise. „Ich hab schon begonnen mir Sorgen zu machen.“ – „Wie geht es Bela?“, fragte ich mit, zu meinem Erschrecken sehr schwacher Stimme. Jan öffnete den Mund wollte mir antworten, doch stattdessen sah er mich nur verwirrt an.

„Es geht ihm gut... aber... Ich hab dir nie gesagt, dass er Bela heißt.“, sagte er immer leiser werdend. Nun schob sich auch das Gesicht unseres Gesprächsthemas in mein Blickfeld und lächelte mich an. Er hatte scheinbar nicht gehört, was wir eben gesagt hatten, denn er begann sofort damit, mich und Jan aufzuziehen und zu fragen, warum sich der Blonde denn solche Sorgen um ein so junges Ding wie mich mache, ich sei doch vollkommen in Ordnung. Eine Kopfnuss von Seiten Jans, lockerte die ganze Stimmung wieder auf und ich wurde zu meinem wiedergefundenem Gedächtnis beglückwünscht.

„Wieso wiedergefunden, hatte sie es etwa verloren?“, fragte der Kleinere, dem Jan offenbar noch nichts über die Zeit hier erzählt hatte. Jan sah ihn mit einem finsteren Blick an und kurz darauf, waren die beiden in ein sehr hitziges Streitgespräch verwickelt. Ein Streitgespräch, das sehr erheiternd war, denn kaum, dass sie ein paar Worte gewechselt hatten begann ich zu lachen. Da das die beiden aber nicht vom Streiten abhielt, hielt ich mir bald den Bauch vor lachen.

„Sie dir das an, Jan, du bringst sie noch um, mit deinen komischen Argumenten.“, beendete Bela schließlich das Gespräch und beide grinsten mich an.

Von diesem Abend an dauerte es nicht mehr lang bis zu meiner Entlassung. Bela war bereits wieder nach hause zurückgekehrt, er hatte sich während des Kommas schon voll erholt. Beide Musiker besuchten mich noch eins zwei Mal, doch im großen und ganzen überließen sie mich nun meiner Familie, die mir half mich wieder einzuleben und meinen Freunden die psychische Betreuung überließ, sodass ich mich sehr schnell wieder erholte.
 

Das alles ist jetzt schon sehr lange her und ich hatte seit dem weder Kontakt mit Jan, noch mit Bela...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-10-25T14:31:52+00:00 25.10.2006 16:31
So: also erstmal muss ich sagen, dass ich alle deine sog. "Hirngespinnste" vom Schreibstil her toll und beeindruckend finde. Einige sind etwas zu sehr in eine bestimmte Richtung (du weißt, was ich meine...^^). Ich such mir jetzt mal die für ein Kommi aus, weil so ne tolle Story einfach Kommis verdient hat (und hier isses ja noch a bissl leer...)
Also: Beeindruckende Story. Es ist toll, wie du dich in diese für Bela sicherlich schlimme Situation des Unfalls, Komas etc. hineinversetzt und dieser ein gutes Ende gibst. Auch die Erzählweise aus der Dritte-Person-Beobachter-Perspektive ist gut gewählt. Such dir endlich nen Verlag für dein Schreibtalent! *dir "in den Arsch tret"*


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