Sanji: Doubt
Seufzend lehne ich mich auf die Brüstung des Oberdecks. Die Zigarette zwischen meinen Finger habe ich völlig vergessen, genauso wie ich auch keinen Blick für den Horizont übrig habe, der in einem leuchtenden Orange hell aufleuchtet. Ich nehme nichts um mich herum wahr, bis auf das schmerzende Pochen hinter meinen Augen und den unerträglichen Erinnerungen, die mich schon seit dem Morgen quälen. Der Anblick der Flying Lamb, wie sie sanft auf dem Wasser des Hafenbeckens getrieben hatte, hat mich fast in die Knie gezwungen. Im ersten Moment wollte ich sogar umdrehen. Einfach nur umdrehen und flüchten! Flüchten vor den Versprechungen und Träume, die die Flying Lamb immer für mich bedeutet hat. Flüchten vor den Erinnerungen, die seitdem noch lebhafter vor meinem inneren Auge vorbeiziehen.
Von ganzem Herzen wünsche ich mir, dass Ace mit einem anderen Schiff gekommen wäre. Es gibt hier kaum einen Ort, an dem man nicht irgendwelche Sachen von Nami vorfindet. Selbst ihr blumiger Duft hängt noch immer über den einzelnen Räumen ... und verspottet mich! Das hätte ich vielleicht haben können. Das und noch vieles mehr, wenn ich damals den Mut dazu gehabt hätte ihr meine Gefühle zu gestehen. Immer nur von weitem konnte ich sie lieben. Anders wird es wohl auch nie sein!
Wieder spüre ich die Fänge des Zweifels, die nach meinem Verstand greifen. Stets habe ich in Nami die Person gesehen, die einzig und alleine nur für mich bestimmt ist! Doch nie hat sie mir Anlass dazu gegeben, zu glauben, dass ihre Gefühle den meinen gleichen. Freundschaft war alles, was sie mir gezeigt hat. Nie habe ich auch nur etwas anderes in ihren Augen gesehen, das weit darüber hinausgeht. Aber vielleicht habe ich mir ja etwas vorgemacht? Vielleicht ist das, was ich für Nami empfinde, überhaupt keine Liebe? War es nie gewesen?
Unablässig schießt mir diese Frage durch den Kopf, während ich gleichzeitig an den gestrigen Tag zurückdenken muss. An die Gefühle, die mich durchströmt haben. Und auch an die Angst! Diese seltsame Angst, die ich mir nicht erklären kann, habe ich bislang noch nie gefühlt. Ich weiß, dass sie noch immer da ist ... ganz tief in meinem Herzen. Aber woher kommt sie? Was hat sie verursacht? Ist es die Angst vor dem Alleinsein?
Robin hat nie einen Hehl aus ihrer Liebe zu Zorro gemacht. Auch jetzt nicht, wo ihre Beziehung nur noch ein Teil ihrer Erinnerung ist. Doch was ist mit Zorro selbst? Dass er eine innige Zuneigung zu ihr gehegt hat, steht außer Frage. Aber ob es sich dabei auch um Liebe gehandelt hat, vermag ich nicht zu sagen. Wird diese Zuneigung wieder aufflammen? Ich zweifle nicht daran, dass Robin sich dann für ihn entscheiden wird. Ich wäre dann nur im Wege, bin doch ich der Schuldige, der ihre Beziehung zerstört hat.
"Wie konntest du nur? Du bist doch sein Freund!"
Wieder höre ich Namis vorwurfsvolle Stimme und spüre ihren anklagenden Blick auf mir. Nur allzu gut kann ich mir vorstellen, wie Zorro sich gefühlt haben muss, als Robin sich für mich eingesetzt hatte. Ich weiß, ich habe mich nie vorteilhaft benommen, wenn es um Frauen ging. Doch dass Nami wirklich angenommen hat, dass ich so weit gehen würde und einem Freund die Freundin ausspanne, das hat unglaublich wehgetan. Ich habe immer gedacht, dass sie mich kennen würde.
Gequält und zugleich erschöpft, schließe ich die Augen. Alles in mir dreht sich im Kreis und ich habe das Gefühl, dass es keinen Ausweg daraus gibt. Tief in mir drin spüre ich die Anwesenheit von Etwas, dass ich mit aller Macht versuche zu verdrängen. Doch instinktiv weiß ich, dass ich mich nicht länger dagegen verschließen kann. Dieses Etwas enthält die Antworten auf meine Fragen.
Vielleicht aber auch nicht? Ich kann meinen Gefühlen momentan nicht vertrauen. Aber wenn es sich als wahr herausstellen sollte ... wenn es wirklich passiert ist ... dann wird mir mein Leben aus meinen Händen entgleiten. Mein Glaube ... meine Hoffnung ... meine Träume ... sie alle werden wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen. Und dennoch würde sich dadurch nicht viel verändern. Meine Situation wäre die gleiche ... eine Liebe ... eine unerwiderte Liebe ... von weitem. Nur der Schmerz würde zunehmen ... mich zerreißen ... weiß ich doch, was ich dann verlieren würde.
Sie ist nicht die Frau, in deren Armen ich gerne liegen würde.
Gerade mal ein Tag ist es her, als ich es noch gedacht habe. Aber stimmt das überhaupt? Sie hüllt mich mit ihrer Wärme und ihrem Vertrauen ein ... spendet mir Kraft und Trost ... gibt mir Zärtlichkeit und Geborgenheit ... schenkt mir Vergessenheit und Sicherheit. Ich bin ihr näher ... körperlich als auch seelisch ... als ich es jemals bei Nami war. Sie hat mich nie so nah an sich herangelassen. Hat mich nie an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben lassen.
Sanfte Finger streichen mir durchs Haar, die mich langsam aufblicken lassen. Blaue Augen, in denen ich deutlich die Sorge um mich erkenne, sehen mich fragend an. Obwohl meine quälenden Gefühle und Fragen noch immer meine Gedanken beherrschen, entgeht mir weder die Röte um ihre Augen herum noch die feuchte Tränenspur auf ihren Wangen.
"Du denkst wieder zu viel nach", sagt sie leise und mit rauer Stimme, während ihre Hand langsam zu meiner Wange hinabwandert. Ich kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen, habe ich die Worte gestern selbst zu ihr gesagt.
"Das scheinst du aber auch getan zu haben."
Ich gehe näher zu ihr heran und wische mit meinem Daumen eine Träne aus ihrem Augenwinkel weg. Ein leiser Seufzer dringt aus ihrer Kehle, während sie mir ein trauriges Lächeln schenkt.
"Ich möchte dir etwas zeigen."
Sanft verschränkt sie ihre Finger mit meinen und führt mich hinab ins Unterdeck. Erst jetzt bemerke ich das kleine Buch in ihrer anderen Hand und auch den Mantel, den sie anhat. Mit einem kleinen Stich im Herzen erkenne ich, dass dieser Zorro gehört. Währenddessen frage ich mich aber, was hinter ihren geheimnisvollen Worten steckt. Irritiert blicke ich sie an, als sie schließlich die Tür zum Stauraum öffnet, in dem sich einige Kisten stapeln, die noch zusätzlich mit Seilen befestigt sind.
"Hier sind wir ungestört."
Mit diesen Worten reicht sie mir das Buch, das ich ein wenig verwirrt entgegennehme. Ratlos darüber, was ich jetzt tun soll und was Robin von mir erwartet, schaue ich ihr dabei zu, wie sie eine kleine Laterne anzündet. Dunkles, gelbes Licht breitet sich in dem kleinen Raum aus, das die finsteren Schatten in den einzelnen Winkeln jedoch nicht vertreiben kann.
"Ich bin gleich wieder da", verspricht sie mir und tritt hinaus auf den Gang, wobei sie die Tür leise hinter sich zuzieht, dabei blicke ich langsam auf das Buch hinab. Und wieder regt sich die Neugier in mir, so dass ich die erste Seite aufschlage. Doch was ich dann lese, raubt mir schier den Atem. Mit vielem habe ich gerechnet, aber nicht damit! Erst nach und nach wird mir bewusst, dass ich in meinen Händen einen Teil von Zorros Herzen halte. Gleichzeitig jedoch wirbeln so viele Gedanken durch meinen Kopf, während die Worte mein eigenes Herz Stück für Stück aus meiner Brust reißen. So viel stürmt auf mich ein, dass ich das Gefühl habe keine Luft mehr zu bekommen. So viel offenbart sich meinen Augen, dass mein Verstand es nicht bewältigen kann.
Was für ein schönes Paar ihr beiden abgeben würdet
Mit leerem Blick starre ich auf das Buch in meinen Händen.
Habe ich Sanji aus tiefstem Herzen gehasst
Mein Körper wird taub und selbst den Wind spüre ich nicht mehr.
Es tut mir so unendlich Leid, was passiert ist
Mein Inneres wird kalt und ein unkontrollierbares Zittern erfasst mich.
Die Liebe zwischen Nami und Sanji
Kleine, weiße Punkte erscheinen vor meinen Augen.
Aber als dann Nami an Deck gelaufen kam
Wie ein Ertrinkender atme ich die eisige Luft in schnellen Zügen ein.
Ich dich liebe
Heiße Tränen steigen mir in die Augen und meine klare Sicht schwindet.
Meine Black Lady
Kraftlos sacke ich in die Knie, wobei ich den Schmerz bei dem harten Aufprall gar nicht spüre. Alles ist außer Kontrolle geraten! Von einer Sekunde auf die andere lebe ich mein Leben, ohne dass ich es noch lenken kann. Ich kann nicht sagen, was mich mehr trifft ... mich mehr schockiert! Dafür habe ich in den letzten Minuten zu viel erfahren. Nur eines wird mir im Moment bewusst ... deutlicher als jemals zuvor ... wie groß unser Verlust wirklich ist!
Lange, schlanke Arme legen sich um meinen Hals, während der warme Körper Robins sich an meinen presst. Eine tiefe Geborgenheit hüllt mich ein ...vertreibt die Kälte in meinem Inneren ... beruhigt meine Seele.
"Es tut mir Leid", flüstert sie mir leise zu und schmiegt ihr Gesicht an meine Wange. "Es tut mir so Leid. Das wollte ich nicht."
"Es ist schon gut."
Mein Versuch es beruhigend klingen zu lassen, scheitert kläglich an meiner rauen, gebrochenen Stimme, so dass ich ihr einen hauchzarten Kuss aufs Ohr gebe, während ich meine Arme fest um ihren Körper lege. In Wirklichkeit ist jedoch nichts gut. Mein Leben ist nur noch ein Scherbenhaufen!