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"Natürlicher" Süßstoff

Autor:  Major

Welchen Süßstoff meine ich? Ja, jetzt rufen alle Stevia. Damit ist die richtige Antwort auch schon gefunden.

Ich habe letztens eine Sendung gesehen, in dem ein ausgelobter Experte auftrat, der meinte, dass Steviasüßstoff (dieses weiße Pulver aus dem Supermarkt) gar nicht natürlich sei, sondern rein künstlich. Laut Definition ist künstlich gleich zu setzen mit synthetisch, dass heißt, so ein blöder Chemiker wie ich spielt mal wieder Gott und kocht in einem verranzten Labor alchemistische Meisterwerke, die zu allem Überfluss kalorienarm und süß sind. Aus Vorstufen der Petrochemie versteht sich. 

Aber so einfach ist das nicht, Herr Experte, denn Stevia ist tatsächlich bisher natürlich. In der Steviapflanze befinden sich zwei von der Pflanze hergestellte Moleküle, die durch Naturstoffextraktion aufgereinigt werden. Die Moleküle werden nicht umgebaut, sie werden nur vom restlichen Kram befreit. Dass manch einer dafür Aluminiumsalze verwendet ist eklig, ja. Aber es ist trotzdem ein Naturstoff. Wenn man aus Rohrzucker weißen Zucker herstellt, muss man ihn auch mit Kohlenstoff reinigen. Als Vegetarier ist das auch eklig, der Kohlenstoff ist nämlich ein Abfallprodukt der Knochenentsorgung. Trotzdem ist der Zucker natürlich. 

Das gilt für das Molekül. Über den Weg der Reinung darf man sich streiten und diesen Streit finde ich auch gut. Warum muss man risikoreiche Aluminiumsalze verwenden, warum muss man Stoffe verwenden, die viele Menschen ablehnen? Wir Alchemisten reinigen unsere Stoffe mit hochreinem Sand, das ist sowieso viel cooler. Oder mit Glaswolle. Die Unternehmen, die Fischgelatine, Schweinegelatine und Hühnereiklar eklig finden, um ihre Säfte, Essige und Weine zu reinigen, kriegen das auch wunderbar mit Kieselgur hin. 

Wenn man sich mit dem Weg der Aufreinigung von Stevia aber zufrieden gibt, ist der Süßstoff ziemlich cool. Weil eben kein Alchemist in seinem schmodderigen Labor etwas gerührt hat, es war die Pflanze, die friedlich Sauerstoff ausgeatmet hat. 

Dieses Jahr haben sich eine Gruppe von Amerikanern (Cargill) und Schweizern (Evolva) zusammen getan, denen der Weg über die Pflanze zu teuer ist. Man braucht dafür Ackerland, Dünger, einen Gärtner, Erntemaschinen und die ganzen Aufreinigungssachen. Ist es nicht viel einfacher, wenn man einen Bioreaktor irgendwo hin stellt und ein genmanipuliertes Vieh hat, das einem das Zeug einfach herstellt? So wie Zitronensäure? Das wäre doch extrem praktisch! Und tatsächlich lassen sich Hefen dazu bringen, die beiden Steviaglucoside her zu stellen. Wahrscheinlich auch noch in einem besseren Verhältnis, denn in der Pflanze ist das eine mehr da, als das andere. Das andere ist aber nicht bitter, so wie das eine. 

Laut Deklarationsrecht ändert sich dadurch nichts. Eine genmanipulierte Hefe ist vor der Deklaration genau so natürlich wie die Pflanze. Für uns Verbraucher ist das aber nicht gleich, denn Verbraucher finden Genmanipulation im Allgemeinen unsympathisch und Ummünzungen auf andere Viecher auch. Aufgereinigt werden müssen die Hefeextrakte zudem auch noch. Nur, wenn Geiz so geil ist, dass es den Unterschied egal macht, gibt es deutlich bessere Süßstoffe, die noch weniger Kalorien haben und eine noch höhere Süßkraft. Stevia verkauft sich gut eben wegen diesem Natürlichkeitsprinzip. Ist es von genmanipulierten Hefen hergestellt, verfällt der Kaufanreiz doch total. 

Es wächst eine neue Art von Kunden heran. Die dies natürlich haben wollen, regional, bio und nicht synthetisch. Die keine Plastikverpackung wollen, keine Spritzmittel und keine Hochglanzäpfel. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass dieser Kunde noch nicht all zu ernst genommen wird. Der muss sich doch bescheißen lassen! Endgeil, dass Bioreaktoren die gleiche Deklaration haben wie Extrakte des wirklichen Ursprungs. Auf dem Produkt sieht mans nahher nicht mehr. 

Muss ich wohl doch beim Rübenzucker bleiben und ab und an vollsynthetischen Süßstoff nutzen. Da weiß ich wenigens, was ich habe. Ehrliche Chemie. So wie bei Azofarbstoffen. HMMM :)

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Datum: 22.05.2014 15:53
Wenn man bedenkt, das es zwischem "natürlichem" Süssstoff und dem "chemischen" Pfuibah-zeug am Ende im Tee keinen Unterschied macht, da beides einfach einen bitteren Nachgeschmack gibt, hau ich mir lieber keines von beidem rein
Solitude doesn’t equal Loneliness.
Das eine wählst du, das andere wählt dich.
I choose the former over the later.
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Datum: 22.05.2014 16:04
Lyrael_White:
> Wenn man bedenkt, das es zwischem "natürlichem" Süssstoff und dem "chemischen" Pfuibah-zeug am Ende im Tee keinen Unterschied macht, da beides einfach einen bitteren Nachgeschmack gibt, hau ich mir lieber keines von beidem rein

Zweifelsfrei die konsequenteste Methode. Außer bei Diabetikern bleibt immer die Frage nach der Menge. Muss man sich so viel Süßkram reinstopfen? Reicht nicht auch 1/5, bei dem der Zucker dann nicht so schlimm ist, weils weniger ist? Mein Opa hat Gewichts-altersdiabetes und nimmt diesen Weg des weniger aber dafür gut trotzdem.

Bei Cola bevorzuge ich ja die light, eben wegen dem bitteren Süßstoff. Die mit Zucker ist mir zu süß und identitätslos. Aber in tee stell ich mir das auch hinderlich vor.
Ich sehe keine Signaturen. Deine auch nicht. Aber du siehst meine, Pech gehabt.
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Datum: 22.05.2014 16:13
Super. Und was nehme ich dann, was nicht krebserregend ist? Zucker fördert Tumorwachstum, Acesulfam-K verursacht Krebs, Gentechnik ist sicher auch nicht so pralle und Stevia, das mit Aluminiumsalzen gereinigt wird, verliert auch irgendwie seinen Reiz und seine "Gesundheit". Ah, können wir nicht einfach so hoch entwickelt sein wie die Asgard und unser Bewusstsein immer in einen neuen Körper transferieren, sobald der alte total verkrebst und kaputt ist?

Du findest immer Sachen, die einem zum Nachdenken bringen...
"Ich bin lieber ein ehrliches Arschloch als verlogen und nett!"

"Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten."
(Oscar Wilde)
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Datum: 22.05.2014 16:37
Atsusa:

> Du findest immer Sachen, die einem zum Nachdenken bringen...
Ich dachte, dass ich nur locker flockig eine populistisch aufgemachte gute Chemiezeitschrift lese und dann kamen diese Genhefen auf mich zu wie eine Lavine. Da muss man seinem Frust doch irgendwie Luft machen.

Irgendwann wird die Bioinformatik so weit sein, dass wir alle nur noch Frühstück für Champs (siehe Matrix) essen und nur den gewünschten geschmack in unser Neurointerface eingeben müssen. Dann ist die Pampe so süß wie wir wollen, ganz ohne Süßstoff oder Zucker. Nur leider haben dann sowohl Steak, als auch Knäckebrot, Cremetorte, Salat usw. die Konsistenz von Müller Milchreis.

Acesulfam-K sehe ich übrigend nicht kritisch. Ich finds genau so unkritisch wie das Essen von Steinfrüchten. Der Körper ist dafür ausgelegt, geringe Mengen von Methanol zu verarbeiten, genau so wie geringe Mengen von Cyaniden. Diese Stoffe entstehen einfach bei der Verwertung unserer natürlicher Nahrung. Z.b. sind in Birnen sehr charakteristische Birnenester, welche Methylesther sind. Im basischen Millieu unseres Darms kann das schonmal zur Verseifung führen und dann schwimmt da Methanol rum, mit dem wir fertig werden müssen. Ob du nun ne Flasche Cola light trinkst oder ne Birne isst, dürfte für deine Leber gleich sein. Vielleicht findet sie die Colaflasche auch besser, die Konzentrationen von Acesulfam K zu Birnenester weiß ich natürlich nicht ;)
Ich sehe keine Signaturen. Deine auch nicht. Aber du siehst meine, Pech gehabt.
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Datum: 22.05.2014 16:52
Natürlich wird es irgendwann soweit kommen, dass wir nur noch Pampe essen. Die Weltbevölkerung nimmt weiter zu und die Ressourcen werden knapp. Irgendwann isst man dann nur noch an Weihnachten nen Braten, weil es einfach viel zu teuer sein wird, was anderes als Fraß zu essen.
*notier*
Kommt definitiv in meinem Buch vor. Auch vorher schon so geplant. Aber dass man sowas zum Beispiel durch genmanipulierte Hefen erreichen könnte, wusste ich noch nicht.
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(Oscar Wilde)
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Datum: 23.05.2014 09:12
Major:


>
> Bei Cola bevorzuge ich ja die light, eben wegen dem bitteren Süßstoff. Die mit Zucker ist mir zu süß und identitätslos. Aber in tee stell ich mir das auch hinderlich vor.

Ich mag keine light Produkte, eben wegen dem bitteren Geschmack, Cola trinke ich nur in der Variante Cherry und da finde ich geht es mit der Süsse noch.
Und für Tee gibt es keine Variante, also entweder Zucker/Honig oder auf die Süsse verzichten. Wobei das bei den meisten Sorten ganz gut klappt
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I choose the former over the later.
Datum: 23.05.2014 12:50
Ich bleib bei Zucker und Honig und fress dafür nicht so viel...
Jeder Süßstoff verleitet zu dem Denken, dass man ja viel mehr essen kann, egal wie der Stoff gewonnen wird.

PS:

> Die Weltbevölkerung nimmt weiter zu und die Ressourcen werden knapp.

Das ist eine weit verbreitete Lüge. Die Welt verfügt über genug Ressourcen um das doppelte der jetzigen Weltbevölkerung problemlos satt zu bekommen. Das Problem ist die Verteilung der Ressourcen.
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Datum: 23.05.2014 12:57
So stelle ich mir den Bioladen der Zukunft vor: Ich gebe meine Bestellung am Empfang ab, und dann gehe ich stöbern, bis mein bestelltes Bio-Putenfleisch im Keller des Ladens auf dem 3D-Printer fertiggedruckt ist.
Neben dem Drucker ist sicher noch Platz für ein paar Hefekessel für die Steviaglucosidproduktion.

Be smart - buy local!
Wer sich die Zeit erspart hat, sich eingehend mit einer Sachlage zu beschäftigen, der sollte sich auch die Zeit ersparen, ein Urteil darüber abzugeben. (Duke te Nebris)


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