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Love of an angel

(an Angel Sanctuary Fanfiction)
von

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Part 38 - Sunrise and pain for your heart

04-05-06

Love of an angel

Part 38
 

Sunrise and pain for your heart
 

Die warmen Strahlen der Sonne kitzelten angenehm auf meinem Gesicht. Genüßlich streckte ich mich während die letzten Reste des Schlafs allmählich aus meinen Gliedern vertrieben wurden. Mit einem herzhaften Gähnen öffnete ich blinzelnd die Augen. Die Merkabah bewegte sich nicht mehr, aber ich war mich sicher, daß wir Raquia noch nicht erreicht haben konnten. Remiriel hat unter Garantie dafür gesorgt, daß der Landeanflug solange aufgeschoben wird bis wir beide wach genug waren um uns den Engeln zu stellen.

Lächelnd drehte sah ich mich zu ihm aber dort, wo er bis vor kurzem noch gelegen hatte zeigte sich nur noch undeutlich der Abdruck seines Körpers. Anscheinend bin ich wirklich spät dran, wenn sogar Remiriel, der sonst nie aus den Federn kommt schon unterwegs ist. Die Laken wiesen jedoch noch einen letzten Rest seiner Wärme auf. Allzuviel Vorsprung kann er also nicht haben. Grinsend kuschelte ich mich in die Kuhle, die er hinterlassen hatte und nahm mir fest vor innerhalb der nächsten fünf Minuten aufzustehen und nachzusehen, was er so machte.

Allerdings hätte ich es besser wissen müssen. Immer noch betäubt von den Ereignissen der letzten Tage und der letzten Nacht schlief ich beinahe augenblicklich wieder ein. Erst etliche undeutliche Stimmen, die durch die geschlossene Tür unserer Kabine drangen schafften es mich endgültig aus dieser wohltuenden Schläfrigkeit zu befreien. Langsam schälte ich mich unter der Decke hervor.

Das Licht war noch ausgeschaltet und lediglich durch die Spalten der Jalousien fielen vereinzelte Sonnenstrahlen auf das Bett. Remiriel hatte es geschickt angestellt mich zu wecken. Die Strahlen waren langsam immer höher gewandert bis sie schließlich mein Gesicht erreicht hatten. So hatte er sicher gestellt, das mich kein Wecker oder sonstiges aus meinen Träumen reißen, sondern ich ganz von allein wach werden würde.

Mit geübten Fingern huschte meine Hand über das im Dämmerlicht kaum erkennbare Bedienfeld der Kabine. Augenblicklich erfüllte gedimmtes Licht den Raum. Die Jalousien ließ ich geschlossen. Sollten die Anderen ruhig glauben, daß ich nach wie vor schlafen. Das verschafft mir genügend Zeit um in Ruhe das Badezimmer unsicher zu machen.

Nach einer ausgiebigen Dusche schritt ich lediglich mit einem Handtuch bekleidet entschlossen auf den Kleiderschrank zu. Im letzten Moment überlegte ich es mir jedoch anders. Dieser Tag ist etwas ganz Besonderes also sollte ich auch etwas ganz besonderes tragen. Etwas, mit dem selbst Remiriel nicht rechnet.

Grinsend stellte ich mich vor den leicht beschlagenen Spiegel im Bad und schnippte kurz mit den Fingern. Eine Welle weißen Stoffs hüllte mich ein. Unendlich viel Stoff in einer Mischung aus griechischer und praktischer Kleidung ließen mich noch mehr als einen Engel erscheinen als es das Kleid von Rosiel vermocht hätte. Um meinen Hals spannte sich ein dünnes Stoffband an dem ein kleines Goldkreuz befestigt war. Dasselbe Motiv fand sich auch in den Ohrringen wieder. Meine Haare waren zur Hälfte mit Fliederblüten zusammengefaßt und wirkten offen irgendwie länger als vorher, aber es sah gut aus. Auf eines hatte ich jedoch nicht ganz verzichten können. So sehr dieses ganze Outfit auch an ein Kleid erinnern mochte es war nicht wirklich eins.

Die Stoffbahnen reichten zwar bis zum Boden doch sie teilten sich bereits über meinen Knien und gaben hier und da den Blick auf eine weiße Hose und kniehohe Stiefel frei. In der letzten Zeit hatte ich so dermaßen viele Kleider getragen, daß ich in diesem Moment auf Hosen nicht völlig verzichten wollte. Engel hin oder her. Sie sollten sich besser von Anfang an daran gewöhnen, daß ich nicht in jeder Hinsicht einer von ihnen war. Ich würde auf gar keinen Fall auf Dauer in diesen Wallawalla-Kleidern herumlaufen.

Zufrieden nickte ich meinem Spiegelbild zu. Das hier wird in Raquia genügend Eindruck hinterlassen und Remiriel wird unter Garantie ebenfalls bestimmt begeistert sein. Ich bin wirklich gespannt darauf, was er sagt, wenn er das sieht. Grinsend zupfte ich hier und da kurz noch an einer Stoffbahn und verabschiedete mich mit einem amüsierten Zwinkern von meinem Spiegelbild. In diesem Outfit werde ich heute unter Garantie noch für reiflich Verwirrung sorgen.

Als ich auf den Gang hinaustrat war ich überrascht wie schnell sich diese Vermutung bestätigte. Sämtliche Aktivitäten wurden plötzlich eingestellt und alle starrten mich an als hätten sie mich noch nie zuvor in ihrem Leben wahrgenommen. Grinsend machte ich mich der Blicke, die mir folgten vollkommen bewußt, auf den Weg um Remiriel und die Anderen zu suchen.

Es mochte nicht richtig sein, aber ich genoß es die völlig entgeisterten Gesichter der Besatzung zu sehen. Sie sehen aus, als wären sie so eben einem Geist begegnet. Wie es aussieht befinden sie sich die Anderen bereits auf der Brücke. Etwas seltsam ist das zwar schon, aber ich kann mir bereits denken, daß dieser unverbesserliche Charmeur mal wieder irgendeine Überraschung für mich vorbereitet. Schade nur, daß ich schneller sein werde.

Die Kadetten, die Wache hielten salutierten vollkommen ungläubig bei meinem Anblick und liefen zeitgleich rot an. Kopfschüttelnd bat ich sie bequem zu stehen und machte einen Schritt auf die Tür zu. Erstaunlich, was ein kleiner Kleiderwechsel doch für Reaktionen hervorrufen kann. Aber wer weiß schon was man ihnen über mich erzählt hat? Immerhin bin ich seit Ewigkeiten nicht mehr in den Himmeln gewesen. Um ehrlich zu sein, seit meiner Ausbildung kein einziges Mal. Sicher, hier und da ließ es sich nicht vermeiden kurz in den großen Himmelsstätten vorbeizuschauen, aber ich bin nie lange genug dagewesen, als das mich jemand ernsthaft zur Kenntnis genommen hätte. Die Arbeit dort ist schon immer Remiriels Gebiet gewesen während ich in Assia blieb. Ich kann es immer noch nicht glauben, daß ich von nun an seiner Seite die Himmel regieren soll.

Die Türen der Brücke öffneten sich mit einem leisen Sirren und sobald ich den Raum betreten hatte herrschte um mich herum gespannte Stille. Da ich mich inzwischen mehr oder weniger an die ungewöhnlichen Reaktionen gewöhnt und Remiriel wahrscheinlich gerade seine Überraschung gründlich verdorben hatte störte ich mich nicht daran. Suchend sah ich mich nach meinem Mann um, aber er war weit und breit nicht zu entdecken. Er scheint es dieses Mal doch tatsächlich geschafft zu haben mich auszutricksen. Gar nicht schlecht. Gar nicht schlecht.

Grinsend nahm ich es zur Kenntnis und stellte mich vor einen der riesigen Bildschirme, die immer noch ein endloses Wolkenmeer zeigten. Ich bin anscheinend zu früh dran. Von Raquia fehlt jegliche Spur. Aber es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit bis sich die Wolken teilen und den Blick auf eine Stadt freigeben würden, die in der Welt der Menschen schon seit Jahrhunderten als Mysterium besungen wird.

Ich bin gespannt darauf zu erfahren, was sich in meiner Abwesenheit alles verändert hat. Ungeduldig, wie ich war merkte ich gar nicht, wie ich immer wieder von einem Fuß auf den anderen wippte während mein Blick unverwandt auf dem Monitor lag.

„Man könnte fast meinen, du würdest das alles zum ersten Mal sehen.“

„Stimmt. Es ist schon ewig her, das ich zum letzten Mal eine solche Reise gemacht habe.“ Ich strahlte das mürrische Etwas vor mir lächelnd an. Er ist also doch mitgekommen!

„Sieh nur! Da unten!“ Aufgeregt packte ich ihn am Arm und wies in die Richtung, die ich meinte.

„Michael! Sieh dir das an! Wolkenwale und dann auch noch eine ganze Herde!“ Ich konnte mein Glück kaum fassen. In meiner Erinnerung waren diese einzigartigen Tiere immer lebendig gewesen. Ihre Sprache befand sich nach wie vor in meinem Gedächtnis und ich konnte es kaum erwarten mich erneut unter ihnen zu bewegen. Vielleicht würde es mir sogar gelingen einigen Engeln ihre Sprache zu vermitteln. Ja, das werde ich als erstes tun. Eine Klasse bilden, die die Sprache der Wolkenwale lernt, damit diese sanften Riesen wieder zu einem Teil eines ganzen werden.

Es freut mich, daß es gerade Wolkenwale sind, die uns als erste begrüßen. Obwohl es mich ein klein wenig wundert wie nah sie unseren Schiff kommen. Normalerweise sind diese stillen Riesen recht scheu und kamen so gut wie nie in die Nähe einer Merkabah. Doch anscheinend ist dieser Tag auch für sie etwas ganz Besonderes. Sie glitten unter uns hinweg, als wollten sie eine Eskorte bilden. Im Schutz der Wolkenwale Raquia erreichen, das war etwas mit dem selbst Remiriel nicht rechnen würde.

„Bist du sicher, daß es dir gut geht?“ Mißtrauisch sah Michael mich an. Er hatte mich noch nie mit irgendwelchen Titeln oder einer höflichen Anrede bedacht. Von daher hielt ich es mit ihm genauso auch, wenn ich dabei eine Spur höflicher war als er.

„Mir ging es nie besser.“ Trotz dieser Versicherung legte er mir prüfend eine Hand auf die Stirn und führte die andere zu seiner eigenen. Er zog die Stirn kraus und sah nicht so aus, als würde ihn das Ergebnis überzeugen.

„Fieber hast du jedenfalls nicht.“ Er ließ die Hände sinken ohne, das sich sein Gesichtsausdruck großartig verändert hätte.

„Warum sollte ich? Ich bin in meinem ganzen Leben so gut wie nie krank gewesen. Das weißt du doch.“ Er murmelte irgend etwas vollkommen Unverständliches bis er sich dazu entschloß, daß es wohl besser wäre mich erst einmal zu Raphael zu bringen. Seiner Meinung nach hatte mir anscheinend irgend jemand eindeutig zu stark auf den Kopf gehauen. Lachend gab ich es auf ihn davon überzeugen zu wollen, das seine Sorge völlig unbegründet war und folgte ihm.

Michael ist zwar meistens unberechenbar, aber wenn er sich erstmal Sorgen um einen macht gibt er solange keine Ruhe mehr, bis er ganz sicher sein kann, daß es einem auch wirklich gut geht. In diesem Fall war es wohl mein Dauergrinsen, das ihn so sehr aus dem Konzept brachte. Aber ich konnte nicht anders als glücklich zu sein.

Weit mußten wir nicht laufen, da Raphael just in dem Moment die Brücke betrat in dem Michael diese mit mir im Schlepptau verlassen wollte. Der Engel des Windes musterte mich mit demselben merkwürdigen Blick, den Michael kurz zuvor an den Tag gelegt hatte. Eine Mischung aus Erleichterung und Unglauben. Und wie Michael schenkte auch er meinen Worten, das alles in Ordnung sei nicht die geringste Beachtung.

Die Beiden waren schon bald in eine angeregte Diskussion über meinen angeblich merkwürdigen Zustand verwickelt und schienen meine Anwesenheit darüber fast völlig zu vergessen. Ich nutzte die günstige Gelegenheit, um mich erneut vor den großen Bildschirm zu stellen und den regelmäßigen Zug der Wolkenwale zu beobachten. So manches Mal glaubte ich zwischen den silbernen Leibern sogar einen größeren, weißen Körper auszumachen. Eines jener seltenen Exemplare, die bereits tausende von Jahren alt waren und die Geheimnisse der Himmel wahrscheinlich besser kannten als so manche Engel. Vielleicht würde es mir sogar gelingen einmal mit einem solchen Wolkenwal zu sprechen.

Der Anblick der Wale rief Ereignisse wach an die ich gerne zurückdachte. Fast hätte ich vergessen wie schön das Leben in den Himmeln sein konnte. Hier gab es so unendlich viel zu entdecken und erforschen. Und als Herrscher konnten Remiriel und ich so oft wir wollten nach Assia zurückkehren um unsere Familie besuchen.

Genießerisch schloß ich die Augen und überlegte einen kurzen Moment ob es wohl irgend jemanden auffallen würde, wenn ich jetzt die Merkabah verlassen würde, um mich den Wolkenwalen anzuschließen. Es wäre bestimmt herrlich die Wolken mit ihnen gemeinsam zu erkunden...

„Du solltest dich besser noch etwas ausruhen.“ Das angenehme Timbre dieser Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Niemand hatte mir gesagt, daß er uns ebenfalls begleiten würde. Wenn das eine von Remiriels gut versteckten Überraschungen war, dann war sie ihm mehr als nur gelungen. Lächelnd drehte ich mich um.

„Uriel-sama!“ Hatte sein Besuch der Hochzeit schon für Aufsehen gesorgt, so war das hier die Steigerung. Niemals hätte ich damit gerechnet, daß uns alle Elemente in die Himmel begleiten würden. Es war nicht schwer sich auszurechnen, daß sich Jibril ebenfalls an Bord befinden mußte. Remiriel hatte wirklich vor unseren Amtsantritt zu etwas Unvergeßlichem zu machen. Doch statt meine begeisterte Begrüßung zu erwidern verlor sein Gesicht zusehends an Farbe. Sein Blick ruhte aufs Äußerste beunruhigt auf mir.

„Oh bitte, Uriel-sama. Wenn ihr jetzt auch so anfangt wie die Beiden da-“ Ich deutete kurz auf Michael und Raphael

„-seit ihr entweder übervorsichtig oder ich leide an einer Krankheit von der ich nichts weiß. Mir geht es hervorragend. Warum tun hier nur alle so, als wäre das vollkommen unmöglich?“ Er starrte mich entgeistert an. Fast könnte man meinen, daß meine Worte ihm Schmerzen zufügten.

„Ach jetzt kommt schon. Warum sollte es mir ausgerechnet heute schlecht gehen?“ Ich war quietschvergnügt, aber anscheinend reichte das nicht aus, um ihn ebenfalls zu einem Lächeln zu bewegen. Er starrte mich an als hätte er einen Geist vor sich. Dann eben nicht! Resigniert pustete ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wandte mich erneut dem Bildschirm zu.

„Seht euch doch nur die Wolkenwale an. Sie scheinen ebenfalls zu ahnen was für ein besonderer Tag heute ist. Es wird nichts Unvorgesehenes geschehen. Warum macht ihr nur alle so Theater?“ Er seufzte leicht. Fast so als würde er nach und nach unter einen schweren Last immer mehr in sich zusammensacken.

„Vielleicht ist es besser, wenn wir die Anderen holen.“ Schwungvoll löste ich mich von dem Geländer an dem ich lehnte.

„Das mache ich!“ Ich quoll beinahe über vor Tatendrang und konnte es kaum noch erwarten endlich nach Raquia zu gelangen. Außerdem wollte ich Remiriel das Kleid zeigen bevor ihn jemand auf diesen Anblick vorbereiten konnte. Eine Hand legte sich schwer auf meinen Kopf und zog mich zurück noch ehe ich mich überhaupt in Richtung Tür bewegt hatte.

„Nichts da, du bleibst schön hier. Bevor ich dich nicht ausgiebig untersucht habe gehst du nirgendwo hin."

„Ra-pha-el!“ Verärgert schüttelte ich seine Hand ab und musterte ihn vorwurfsvoll. Weder er noch Michael, der hinter ihm einen Blick an Tag legte als würde am Liebsten auf irgend etwas einschlagen machten den Eindruck, als würden sie mich gehen lassen. Sie tun gerade so als könnte ich im nächsten Moment tot umfallen. Selbst Raphaels Blick ähnelte momentan tatsächlich mal dem eines Arztes. Was zum Henker ist nur los mit ihnen? Dieser Tag ist das Beste, was den drei Welten passieren konnte. Alle wollten den Frieden und nun ist er greifbar nah. Warum sollte irgend etwas schiefgehen? Mir droht weit und breit von niemandem Gefahr.

„Was genau ist noch mal der Grund unserer Reise?“ Michael wollte den Engel des Windes schon wütend anfahren, was dieser Quatsch denn sollte, aber Raphael brachte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen.

„Nun?“ Die Frage war direkt an mich adressiert und auch wenn ich mich wie Michael fragte, was das Theater sollte antwortete ich Raphael. Immerhin ist man nicht jeden Tag unterwegs um die drei Reiche zu einen.

„Wir sichern ein Bündnis, das den Frieden in allen drei Welten dauerhaft sichert.“

„Ja, so könnte man es auch nennen.“ Schnaubte Michael verächtlich und so ganz nebenbei bemerkte er mit einer Handbewegung, daß ich nun wohl endgültig einen Schaden hätte. Zutiefst beleidigt drehte ich mich um. Wenn hier irgend jemand nicht ganz bei Trost ist, dann die Drei und nicht ich. Sie tun ja gerade so, als würden sie mich nicht wiedererkennen.

„Was ist geschehen bevor du das Bewußtsein verloren hast? Weißt du wo du warst?“ Empört funkelte ich Uriel an.

„Ich habe nicht –das-Bewußtsein-verloren. Remiriel und ich haben geschlafen. Und ja, ich weiß sehr gut wo wir vorher waren. Auf der Hochzeit unserer Tochter!“

„Tochter?!“ Seine Stimme kam einem entsetzten Wispern gleich. Seine Züge waren leicht verzerrt fast so, als hätte ich ihm soeben ein Messer tief in die Brust gestoßen.

„Du glaubst du hast eine Tochter?“ Ich merkte, wie ich langsam ungeduldig wurde. Was soll diese Fragerei?

„Uriel-sama, bei allem nötigen Respekt, aber wieviel Wein habt ihr in den letzten Tagen getrunken, daß ihr euch nicht mehr an Sylphis Hochzeit erinnern könnt? Habt ihr etwa auch vergessen, welches Amt Remiriel und ich heute antreten werden?“

„Remiriel?“ In seinen Augen spiegelte sich nacktes Entsetzen.

„Remiriel soll hier sein?“ Ärgerlich stieß ich einen leisen Fluch zwischen den Zähnen hindurch. Das hier ist doch lächerlich! Warum gebe ich mich überhaupt mit ihnen ab? Ich sollte Remiriel suchen und ihm von diesem schlechten Scherz berichten. Oder hat er das etwa eingefädelt um Zeit zu gewinnen? Zuzutrauen wäre es ihm ja…

„Hast du Ahnung wovon du sprichst? Bist du dir sicher, was deine Worte angeht?“ Mein Geduldsfaden stand kurz davor endgültig zu reißen. Ich straffte meine Schultern und starrte demonstrativ auf den Bildschirm vor mir.

„Suru?“ Ich bebte vor stillem Zorn. Was fällt ihm ein mich so zu demütigen? In den Himmeln sollten sie meinen wirklichen Namen benutzen und nicht den, den ich auf der Erde getragen habe. Was fällt ihm ein? Mühsam zügelte ich meinen Zorn.

„Ihr seid selbst dabeigewesen. Ihr wart unsere Gäste. Ihr habt alle drei gesehen wie meine Tochter ihrem Bräutigam das Ja-Wort gab. Ihr habt mit uns gefeiert und gelacht. Warum tut ihr jetzt so als wäre euch das alles neu?“ Meine Stimme war gefährlich leise und ich kämpfte mühsam um meine Beherrschung.

„Ihr habt sie mit Glückwünschen und Geschenken überhäuft und spielt ihr es dieses Spiel mit mir?“ Ich drehte mich um und musterte sie vorwurfsvoll. Ihre Gesichter waren leichenblaß.

„Richtet Remiriel aus, das ich diesen Scherz ganz und gar nicht amüsant finde. Bis wir Raquia erreichen werde ich in unsere Kabine zurückkehren. Ich hoffe, das ihr bis zur Ankunft wieder Vernunft angenommen habt.“ Aufgebracht wollte ich aus dem Raum stürzen als sich plötzlich die Türen öffneten und ein junger Engel eintrat, der mir wage bekannt vorkam. Erschrocken wich er zurück um nicht von mir über den Haufen gerannt zu werden. Doch es gelang mir rechtzeitig genug stehenzubleiben. Seine Uniform war ungewöhnlich und fesselte meinen Blick für einen Moment.

Ein leicht an eine Haube erinnernder dunkelblauer Hut dazu passend eine Art ärmellose Weste mit silbernen Säumen und Schnallen. Die dünnen Arme verschwanden unter weißem Stoff, der am Ende in demselben Blau gesäumt war wie die Weste. Dennoch schien der Hauptteil des Pullovers schwarz zu sein. Wenigstens, wenn ich nach dem Teil ging, der unter der Weste hervorlugte und dem jungen Engel bis über die Hüfte reichte. Die Hose seiner Uniform war ebenfalls weiß. Sie wurde jedoch zum Großteil von überkniehohen blauen Stiefeln verdeckt. Aus demselben dünnen Leder wie die Stiefel waren auch seine Handschuhe gefertigt worden. Alles in allem war es eine ziemlich merkwürdige Uniform. Wahrscheinlich einer der Entwürfe der neuen Rekruten. Wir würden uns bald entscheiden müssen, welche davon wir den Kadetten zumuten würden. Dieses Exemplar schied jedenfalls von Anfang an aus. Man kann doch wohl niemanden zumuten so etwas freiwillig zu tragen

„Shao-san?“ Seine aquamarinblauen Augen strahlten mich in einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und verborgenen Schmerz an.

„Es tut mir leid, aber ich kenne niemanden mit diesem Namen. Entschuldigt mich bitte.“ Mit einem leichten Nicken verabschiedete ich mich von den drei Elementen. Allerdings hatte ich nicht mit Raphael gerechnet. Er umklammerte mein Handgelenk mit einer Entschlossenheit, die seinen Griff zur Stahlklammer werden ließ.

„Willst du etwa behaupten, das du ihn nicht erkennst?!“ Er deutete auf den jungen Engel dessen Augen mich anstarrten als hätte ich soeben sein Todesurteil verlesen.

„Laß mich auf der Stelle los!“ Jeder andere hätte sofort seinen Griff gelockert und mich gehen lassen. Denn ich sprach Warnungen in dieser Stimmlage nur äußerst selten und immer nur ein einziges Mal aus. Den Engel des Windes interessierte das jedoch herzlich wenig.

„Hast du auch vergessen wer er ist?“ Seine Stimme war scharf und kalt wie eine Rasierklinge.

„Ist es für dich wirklich so einfach?“ Der Druck seiner Hand wurde immer stärker.

„Raphael, ich habe euch bisher immer respektiert, aber wenn ihr mich nicht sofort loslaßt vergesse ich tatsächlich etwas – nämlich, daß ihr eines der Elemente seid und ich euch Respekt schulde!“ Es fiel mir unglaublich schwer seinem eisigem Blick zu begegnen ohne dabei die Beherrschung zu verlieren.

„Raphael-sama, was ist mit ihr geschehen? Warum erkennt sie mich nicht?“ Der junge Engel sah abwechselnd hilflos von ihm zu mir. Er sah bei diesen Worten aus, als würde gerade die gesamte Welt um ihn herum einstürzen. Raphael ignorierte ihn und maß sich statt dessen stumm mit meinem Blick.

„Du meinst es tatsächlich ernst…“ Ich nickte leicht.

„Uriel?“ Fragend sah Raphael hinter sich. Er hatte seinen Griff immer noch nicht gelockert.

„Laß sie los.“ Uriels Stimme war tonlos und obwohl Raphael mich endlich freiließ war es genau das, was mich an Ort und Stelle verharren ließ. Irgend etwas stimmt hier nicht… Warum sehen sie alle so aus als würde ihnen eine schreckliche Aufgabe zuteil werden? Sie sollten jubeln statt sich so seltsam zu verhalten.

„Was ist nur los mit euch? Heute ist ein Tag zum Feiern und ihr macht den Eindruck als würde der Weltuntergang bevorstehen.“ Ein unterdrücktes Keuchen ließ mich den jungen Engel genauer mustern. Er war jung, sehr jung. Aber in seinen Augen spiegelte sich eine erwachsene Seele wieder. Was auch immer er bereits gesehen haben mochte, es hatte sein Innerstes lange vor der Zeit altern lassen.

„Steckst du etwa mit ihnen unter einer Decke? Hat Remiriel die ganze Crew in diesen schlechten Scherz miteingespannt?“ Hilfesuchend glitt sein Blick an mir vorbei und heftete sich auf Uriel. In den klaren, blauen Augen standen Tränen.

„Ich weiß es nicht Raziel. Keiner von uns kann sich erklären was mit ihr geschehen ist.“ Raziel? Das hier soll hier Zaphikels Junge sein? Aber der ist doch noch ein Dreikäsehoch und kein Halbwüchsiger… Außerdem würde Zaphikel seinen Sproß bestimmt nicht in dieser geschmacklosen Uniform herumlaufen lassen.

„Raziel? Dein Name ist Raziel?“ Merkwürdiger Zufall, das er genau denselben Namen trägt wie Anaels und Zaphikels Sohn… Außerdem sieht er ihm ziemlich ähnlich…

„Shao-san? Erkennst du mich wirklich nicht?“ Sein Blick lag drängend auf mir. Kopfschüttelnd sah ich ihn an. Irgend jemand hat einen Schutzbann über ihn gelegt. Komisch, das mir das erst jetzt auffällt. Es ist hervorragende Arbeit. Besser hätte selbst ich dieses Werk nicht vollbringen können. Dieser Bann wird ihn Zeit seines Lebens vor Schaden bewahren und das meistens sogar ohne, das er es merkt. Ein außergewöhnlich starker Bann, der mit Sicherheit seine Gründe hat. Vielleicht stammt daher dieser so erwachsen wirkende Blick…

„Hast du mich wirklich vergessen?“

„Shao? Schon wieder dieser merkwürdige Name… Warum nennst du mich so? Diesen Namen höre ich zum ersten Mal. Du mußt mich mit irgend jemandem verwechseln Kleiner.“ Michael sog bei meinen Worten scharf die Luft ein. Vorsichtig linste ich in seine Richtung. Es ist schon immer ein schlechtes Zeichen gewesen, wenn sich der Feuerengel solange ruhig verhielt. Und ich sollte recht behalten. Er hatte mich so schnell gepackt und in den andere Ecke des Raums gedrängt, daß ich nicht die geringste Gelegenheit hatte zu reagieren.

„Raus mit der Sprache! Was hat er mit dir angestellt? Warum verhältst du dich plötzlich so merkwürdig?!“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung wovon du sprichst!“ Aufgebracht stemmte er seine Armen neben meinen Körper und keilte mich ein. Obwohl ich großer war zwang er mich ihn anzusehen. In seinen Augen brannte kalter Zorn.

„Du warst die ganze Zeit über hier! Du hast an unserer Seite gekämpft, dir nie etwas sagen lassen und jetzt behauptest du allen ernstes, du hättest es vergessen?! Du kannst dich nicht an das Geringste erinnern! Das ist doch lächerlich!“

„Was in aller Welt wollt ihr eigentlich von mir?! Wenn es so wichtig für euch ist, dann sagt es mir doch einfach!“ Ärgerlich versuchte ich von ihm wegzukommen, der ließ mir keine Chance. Wenn ich an ihm vorbei wollte, dann würde ich gegen ihn kämpfen müssen. Das sagte mir sein Blick.

„Ich glaube kaum, daß du das hören willst.“ Raphaels Stimme klang seltsam belegt.

„Soll das heißen du weißt, was mit ihr passiert ist?!“ Fuhr Michael den Engel des Windes an.

„Es schmerzhaft werden…“ Er ignorierte Michaels Ausbruch und sah mich mitleidig an.

„…vielleicht wäre es besser wir würden es nicht tun…“

„Hör endlich auf in Rätseln zu sprechen und mach hin! Dieser Anblick macht mich fertig!“ Michael deutet kurz auf mich und verzog kurz das Gesicht.

„Sie ist überhaupt nicht sie selbst.“ Soll das jetzt etwa die ganze Zeit so weitergehen? Andeutungen, wage Vermutungen statt einer Antwort? Wenn sie sich so sicher sind, das mir etwas fehlt, warum können sie es mir dann nicht einfach sagen?

„Was meinst du Uriel?“ Die Miene des Engels der Erde kam einer Maske gleich.

„Es wäre grausam sie in diesem Zustand zu lassen. Irgendwann wird sie die Wahrheit erfahren. Es ist besser, wenn sie sie von uns hört.“ Nicht die geringste Gefühlsregung war in seiner Stimme.

„Tu es Raphael, auch wenn sie uns später dafür hassen wird…“ Zufrieden nickte Michael dem Engel der Erde zu und rückte dann ein kleines Stück zur Seite. Raphael trat mit einem Blick in den Augen auf mich zu, den ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.

„Es tut mir Leid…“ Er schloß kurz die Augen und holte tief Luft. Ich merkte, wie er die Winde rief um mich an Ort und Stelle verharren zu lassen.

„Was soll das?“ Ich zerrte an meinen unsichtbaren Fesseln.

„Hör zu, du hattest nie ein Tochter. Das Kind, das deine Tochter hätte werden sollen ist gestorben noch ehe es das Licht der Welt erblicken konnte.“ Eine glühende Klinge bohrte sich durch meinen Unterleib und beinah sämtliche Kraft wich aus meinem Körper.

„Du lügst!“ Meiner Stimme fehlte die Kraft überzeugen zu wirken. Der Schock saß zu tief. Sylphi tot? Dieses fröhliche Wesen? Meine Tochter? Sie soll nie geboren worden sein? Wie kann das sein? Gestern war sie doch noch da… Wir haben zusammen gelacht… ihre Hochzeit gefeiert… Sie kann nicht tot sein!

„Es geschah vor langer Zeit…“ In seinem Blick lag nicht die geringste Absicht mich zu täuschen. Doch ich konnte und wollte ihm nicht glauben.

„Du lügst! Du lügst…“ Michael wich einen Schritt zurück um mir die Gelegenheit zu geben mich abzustützen. Meine Beine drohten unter mir nachzugeben aber Raphaels Winde hielten mich aufrecht. Dieser Scherz geht eindeutig zu weit. Sie dringen in meine Gedanken ein… Stöhnend fuhr ich mir über die Stirn als sich dort ein pochender Schmerz bemerkbar machte.

„Es ist wahr Suru… auch dein Sohn… Ariel… er starb ebenfalls an jenem Tag.“ Fassungslos starrte ich Uriel an. Wie können sie so etwas auch nur behaupten? Erst gestern abend war es Uriel selbst der gegen Ariel eine Partie Schach gewonnen hatte. Er hatte mit Sylphi getanzt! Wie kann er behaupten, das meine Kinder tot sind?

„Nein! Nein, das nicht wahr! Ihr lügt! Ihr lügt…“ Zitternd machte ich einen Schritt nach vorn. Pures Entsetzen fraß sich durch meinen Körper und die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Mit einem verächtlichen Zischen versuchte ich den Schmerz zu verbannen und meine Gedanken zu schützen. Doch es war zwecklos. Dunkle Schatten drangen in mein Bewußtsein ein und drohten die Freude, die ich bis vor kurzem noch empfunden hatte zu ersticken.

„Wenn ihr meinen Worten nicht glaubt, dann vielleicht euren Augen.“ Ohne, das sie mich daran hätten hindern können projizierte ich ein Bild in Luft. Es war der Abend von Slyphis Trauung. Sie mußten doch erkennen wie sehr sie sich irrten.

„Das… das ist es, was du gesehen hast?“ Uriels Gesicht hatte beinahe sämtliche Farbe verloren. Die Bilder huschten über die dünne Luftschicht wie in einem stummen Tanz. Immer wieder blitzten die Gesichter der Feiernden deutlich hervor. Seht hin! Seht genau hin! Und dann sagt ihr mir noch einmal, daß ich mich nicht erinnern kann. Jedes dieser Bilder hat sich tief in mein Herz gebrannt.

„Zaphikel… -sama?“ Der junge Engel war nach vorn getreten und streckte seine Hand behutsam nach der Lichtspiegelung des großen Throns aus. Sie verblaßte jedoch ebenso schnell wie alle vorherigen Bilder.

„Glaubt ihr mir jetzt?“ Der Bilderfluß erstarrte. Es zeigte sich nur noch eine einzige Szene. Remiriel neckte unseren Sohn, der Sylphis Brautstrauß gefangen hatte und diesen nun vollkommen ratlos anstarrte während seine Schwester lachend von einem Holzpodest herabstieg. Niemand konnte übersehen oder leugnen wessen Blut in den Adern der Beiden floß. Die Ähnlichkeit zu Remiriel und mir war zu groß. Selbst ein Blinder hätte das erkannt.

„Großer Gott!“ Leichblaß schlug Raphael ein Kreuzzeichen. Eine Geste, die ich auch bei Michael und Uriel beobachtete.

„Es ist noch viel schlimmer, als ich befürchtet hatte. Ich hätte niemals gedacht, das er soweit gehen würde…“ Die Blicke der Drei ruhten von tiefstem Mitleid gezeichnet auf mir. Ihre Gesichter waren fast vollkommen farblos.

„Er hat sie sehen lassen, was sie sich am Meisten wünschte…“ Raphael sprach nicht weiter sondern trat auf den jungen Engel zu.

„Raziel, es tut mir leid. Aber ich kann sie nicht zurückholen. Nicht nachdem, ich das gesehen habe.“

„Aber ihr sagtet doch, es würde euch gelingen.“ Seine Stimme war pure Verzweiflung.

„Soll ich ihr das wirklich nehmen? Die Erinnerung an etwas, was sie sich immer gewünscht hat?“ Tränen schossen in die Augen des jungen Engels.

„Raphael, was soll dieser Mist. Hol sie zurück und fertig!“ Michael sah das Bild, das nach wie vor in der Luft schwebte mit einer Mischung aus Entsetzen und tiefster Faszination an. Ärgerlich schnippte ich mit den Fingern und die Vision verpuffte.

„Warum glaubt ihr mir nicht?“ Die Beharrlichkeit mit der die sie jedes meiner Argumente als Einbildung abtaten jagte mir Angst ein. Es war Uriel, der die Entscheidung herbeiführte.

„Wenn wir ihr das nehmen wird sie uns das nie verzeihen… aber ich bin immer noch dafür. Raphael, bring sie zurück. Egal wie.“ Geschockt sah der Engel des Windes ihn an.

„Bist du dir sicher?“

„Sie haben sie in einen Traum gesperrt um sie aus dem Weg zu räumen. Wir sind es ihr schuldig sie zurückzuholen.“ Seine gesamte Mimik verriet deutlich, wie sehr ihn diese Worte schmerzten.

„Es war vorher schon nicht einfach doch jetzt ist es beinahe unmöglich. Der Traum ist zu nah an ihrem Herzen.“ Die Kopfschmerzen verschlimmerten sich wieder. Das Wort Traum hatte irgendwo eine Reaktion hervorgerufen, die ich mir nicht erklären konnte. Eine Welle großer Trauer drohte mich zu erfassen und mit sich zu ziehen. Unter einer milchigen Oberfläche schlummerten Bilder, die ich nur verschwommen erkennen konnte. Ich wagte nicht danach zu greifen aus Angst mich darin zu verlieren.

„Ich bräuchte ein Medium…“ Nachdenklich fiel sein Blick auf den jungen Engel.

„Nein Raphael! Nein, das kannst du nicht von ihm verlangen!“ Uriels kämpfte sichtlich um seine Beherrschung.

„Du kannst ihn nicht auch noch mit hinein ziehen.“

„Shao-san war immer für mich da, wenn ich sie brauchte. Ich werde sie jetzt nicht im Stich lassen. Sagt mir was ich tun muß Raphael-sama.“ Mit unerschrockenem Blick sah der junge Engel mich an während Uriel meinem Blick auswich.

„Es dürfte dir nicht sonderlich schwer fallen Raziel. Paß dich einfach nur ihrer Astralkraft an. Den Rest übernehmen Uriel und ich. Du mußt uns nur einen Weg in ihren Geist öffnen. Michael wird sie festhalten.“

„Seid ihr jetzt vollkommen wahnsinnig?!“ Ich stemmte mich gegen die Magie, die mich fesselte, doch es gelang mir nicht, mich zu befreien. Zögernd legte der junge Engel eine Hand auf meinen Arm.

„Es tut mir leid Shao-san…“ Beinahe im selben Moment verschmolz ein Teil seines Geistes mit meinem. Vergeblich versuchte ich ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben. Erinnerungen an ein Leben, das nicht meines war drangen zu mir. Der Schmerz seines Herzens, der Verluste die er erlitten hatten und der Zeit in der wir uns begegnet waren verwischten die Erinnerungen an meine Kinder und meine Familie immer mehr.

Ich versuchte mich so gut es ging dagegen zu wehren. Aber irgendetwas verlieh ihm die nötige Kraft sich in meinem Geist zu halten. Auf dem Pfad, den er geschaffen hatte spürte ich Raphaels und Uriels Präsenz, die weit bis in mein Unterbewußtsein drang. An einen Ort, der tief in der Dunkelheit verborgen lag und den niemand mehr betreten sollte. Ich wehrte mich verzweifelt als sie dort etwas bewegten. Nur ein kleines Stück, aber es reichte vollkommen aus. Es entstand ein dünner Riß, der sich immer weiter durch mein Beuwßsein fraß und sich nie mehr schließen würde.

„Es ist getan… laß los Raziel. Den Rest muß sie allein bewältigen.“ Keuchend sank ich auf dem Boden zusammen als sich die unsichtbaren Fesseln lösten. Die Bilder meines Alptraums, die ich beinahe vollkommen verdrängt hatte kehrten mit unglaublicher Brutalität zurück.

„Was habt ihr getan? Was bei allen Göttern habt ihr mir angetan?!“ Eine eisige Kälte erfaßte meinen Körper. Was ist das? Woher stammt all diese Trauer? Was sind das für dunkle Schatten, die durch mein Bewußtsein huschen?

„Suru?“ Weder hatte ich bemerkt, daß Raphael zur Seite gewichen war noch, das Uriel vor mir kniete. Das bin nicht ich… So einsam und verzweifelt! Das kann nicht ich sein!

„Was habt ihr mir angetan?“ Behutsam legte Uriel seine Hände auf meine Schultern.

„Kämpf nicht dagegen an. Laß es einfach geschehen.“ Ich stieß ein heiseres Lachen aus. Die Elemente haben mich überwältigt! Ich bin solch ein Narr! Wie konnte ich sie nur jemals an mich heran lassen? Hatte ich mir nicht geschworen nie wieder einem Engel zu vertrauen?

„Sieh mich an Suru. Sieh genau hin.“ Erschrocken über meine eigenen Gedanken hatte ich nicht gesehen wie er den Kragen seines Hemdes geöffnet hatte. Der Anblick seines bloßgelegten Halses traf mich wie ein Hammer. Eine lange, häßliche Narbe umspannte seine Kehle. Erschrocken wich ich zurück. Wo kommt diese Wunde her? Das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte war sein Hals doch noch unversehrt! Wie kann er innerhalb weniger Stunden nur solch eine Narbe davontragen?

„Es ist ein Teil von mir. Das Stigma meiner Sünde. Schon seit Jahrhunderten.“ Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Nein! Nein! Das stimmt nicht! Uriel, dein Hals war unversehrt! Ganz sicher! Du hattest nie eine solche Wunde!

„Du weißt es! Suru, du weißt genau, was Wahrheit und was Traum ist.“ Seine Stimme war ruhig und sanft dennoch ängstigte sie mich zu Tode. Mein gesamter Körper zitterte vor Furcht. Bilder von Engeln, die wahllos töteten; Menschen, die Kriege führten um etwas zu schützen flammten durch mein Bewutßsein.

„Die Freude und all der Schmerz, die dein Herz verkraften mußte. Du erinnerst dich an das alles.“ Ich versuchte der Hand auf meiner Schulter zu entrinnen. Alles in mir sträubte sich dagegen von ihm berührt zu werden, diese Worte zu hören.

„Es war ein Traum… ein langer Traum… aber nun ist es an der Zeit aufzuwachen.“ Die grünen Augen schienen sich bis tief hinein in meine Seele zu bohren. Ja, es war ein Traum! Ein verdammter Alptraum, den ich endlich hinter mir glaubte! Warum? Warum holt ihr diese Bilder zurück? Warum wollt ihr, das ich mich daran erinnere! Es war doch nur ein Traum… ein schrecklicher Traum… nichts weiter…

„Suru, komm zurück zu mir!“ Der unerbittliche Blick suchte etwas, doch er durfte es nicht finden! Wenn er es fand, dann würde der Schmerz wieder da sein…. dann würde ich nie wieder von diesem Alptraum loskommen.

„Nein!“ Ich riß mich los und flüchtete an die gegenüberliegende Wand. Mein Kopf drohte zu zerspringen. Glühendes Eisen bohrte sich in meine Gedanken und durchbrach die Oberfläche unter der all die schrecklichen Bilder verborgen waren. Ich wollte sie nicht! Nicht eines davon! Wimmernd sank ich in mich zusammen und umklammerte meinen Kopf. Hört auf! Bitte hört doch auf! Ich will das nicht! Ich will mich nicht daran erinnern!

„Du kennst die Wahrheit. Du weißt, was geschehen ist…“ Die Worte drangen wie durch einen Nebelschleier in meine Gedanken und wiederholten sich immer wieder und wieder. Sie ebneten den grausamen Bildern den Weg. Sie überrollten mich. Zogen mich mit sich fort bis die Erinnerungen an die fröhlichen Gesichter meiner Tochter und meines Sohn fast vollkommen zu verblaßen drohten.

„Suru?“ Es war Uriels Gesicht, das sich direkt vor mir befand, aber diese Augen… sie gehören nicht ihm, das sind Remiriels Augen… sein Gesicht war blutüberströmt und seine Flügel nur noch ein Stückchen Knochen, das abgetrennt aus seinem Rücken ragte.

„NEIN!“ Mit einem Akt purer Willensanstrengung befreite ich mich von meinem Peiniger.

„Nein! Das ist nicht wahr! Es war ein Alptraum! Nur ein Traum!“ Die Bilderflut verebbte etwas, aber sie verschwand nicht ganz. Nichts würde sie je wieder vertreiben können. Sie zeigte kurze Freude und danach nur noch Schmerz, Tod und Trauer. Trauer um all das, was ich verloren hatte. Das kann nicht sein! Eine grausame Erkenntnis drohte mich zu übermannen. Das kann einfach nicht sein!

„Du mußt dich erinnern.“ Uriels Stimme klang seltsam gepreßt.

„So schmerzhaft es auch sein mag, du mußt dich erinnern.“ Die Bilder meiner erwachsenen Kinder zerfielen in tausende von Scherben. Meine Familie wurde verzerrt von einem Flammenmeer in dem geflügelten Bestien herrschten. Entsetzt schlug ich die Hände über dem Mund zusammen um nicht zu schreien.

„Erinnere dich.“ Hör auf! Bitte hör auf! Ich will dieses Leben nicht! Ich will diesen Schmerz nicht in meinem Herzen tragen müssen! Warum versteht ihr das denn nicht? Flehend sah ich ihn an. Bitte hör auf!

„Bei allen Göttern!“ Entsetzt starrte ich auf Uriels Brust. Dort prangte eine riesige Brandwunde und ich wußte, daß dies mein Werk war. Ich hatte meinen alten Lehrmeister angegriffen obwohl er mich nicht einmal bedroht hatte.

„Was habe ich getan?“ Entsetzt sah ich meine Hände an. Sie waren bis zum Ellebogen in Blut getränkt. Blut, das ich vergossen habe? Ich wich zurück als sich Uriels Hand mir flehend entgegenstreckte.

„Was habe ich getan?“ Woher stammt all dieses Blut? Dieser dunkle Zorn auf Engel? Diese unheilvolle Kraft, die nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheidet? Zitternd kämpfte ich mich auf die Beine, als mir die stummen Bilder eine Antwort gaben. Es war als wollten sie mich verspotten.

„Was habe ich nur getan?“ Meine Stimme schwankte vor wachsendem Entsetzen. Kann das sein? Ich habe gegen Engel gekämpft? Sie getötet? Eine Heilerin, die zur Kriegerin, Rächerin wird? Kann das wirklich ich sein?

„Reiß dich zusammen! Er stirbt schon nicht daran!“ Michaels harsche Worte lösten einen erneuten Bildersturm aus. Brennende Häuser, panikerfüllte Menschen, Blut… soviel Blut…

„Es ist nur ein Kratzer.“ Ein Wing cutting… Remiriel… ein Hügel voller Kinderleichen… Ariel… und dann nur noch Blut… alles versinkt in Feuer und Blut. Mit einem Aufschrei höchster Verzweiflung zerrte ich an meinen Haaren.

„Aufhören! Es soll aufhören! Nehmt diese Bilder aus meinem Kopf! Macht das es aufhört!“ Meine Stimme erstarb als Töne Einzug in mein Bewußtsein hielten. Plötzlich konnte ich die Schreie und die Verzweiflung der Opfer hören. Das Knirschen des brennenden Holzes, die Schritte schwerer Stiefel auf dunklem Sand. Die Stimmen meiner Verfolger grausam und kalt.

Nein! Nein! Das kann nicht wahr sein! Soviel Leid! Wie kann ein einzelner das ertragen! Verzweifelt klammerte ich mich an die Gesichter meiner Familie doch sie verblaßten immer mehr. Sylphis Gesicht war kaum noch zu erkennen. Sie verblaßte von Minute zu Minute mehr…

„Du mußt dich erinnern.“ Ich wußte nicht wem diese Stimme gehörte. Mein Geist versuchte bereits vor seinen Peinigern zu fliehen. Remiriel war nicht hier. Ich war allein mit drei mächtigen Engel und niemand würde mir helfen. Eine Welle kalter Panik erfaßte mich. Ich muß hier weg! Wenn ich nicht alle Erinnerungen an meine Tochter verlieren will muß ich hier so schnell wie möglich weg!

„Shao-san NICHT!“ Doch ich stürmte bereits durch die Tür. Tränenblind hastete ich die schier endlosen Gänge der Merkabah entlang. Es war der einzige Weg, der mir noch eingefallen war. Sie hatten es zu spät bemerkt. Doch wohin sollte ich mich wenden. Mein Kopf drohte zu zerspringen und ich wußte nicht, wem ich noch trauen konnte. Die Bilder eines Lebens, das ich kaum kannte drohten mich zu übermannen.

„Ist alles in Ordnung mit euch? Kann ich euch irgendwie helfen?“ Ein Kadett mit eisgrauen Haaren kam besorgt auf mich zu.

„Nein danke, es geht schon wieder.“ Ich zwang mich dazu aufrecht zu stehen und zu lächeln. Laß dir nichts anmerken! Laß dir nichts anmerken und such nach einem Ausweg. Sie dürfen dich nicht finden! Egal, was du tust, sie dürfen dich nicht finden!

„Shao? Bist das wirklich du?“ Freudestrahlend sah er mich an. Ich stöhnte leise auf. Warum nennen mich bloß alle so? Wer ist diese Person, mit der sie mich verwechseln? Bevor er mir weitere Fragen stellen konnte rannte ich weiter.

„Warte! Shao warte doch!“ Ich blieb erst stehen als mich meine Beine nicht mehr weitertragen wollten. Ein stechender Schmerz in meiner Brust ließ mich Zuflucht in einer Abstellkammer suchen. So würde ich nicht weiter kommen. Sie werden mich finden noch ehe ich die Merkabah verlassen kann. Gehetzt sah ich mich um. Ich muß hier weg… doch wie? Und wohin? Etwas in meinem Bewußtsein flammte kurz auf.

*…solltest du jemals einen Freund brauchen… ich werde immer für dich da sein…* Von wem stammen diese Worte noch gleich? Remiriel? Nein, jemand anders… Ein undeutliches Gesicht schob sich durch die die blutgetränkten Bilder. Rosiel!

Ja! Rosiel! Er wird diesen Wahnsinn beenden! Er wird wissen, wie man die Elemente in ihre Schranken weist. Unter der Last einer Vergangenheit, die ich mich weigerte zu akzeptieren schleppte ich mich weiter. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich Rosiel aufhielt, aber irgend etwas sagte mir, daß ich einfach nur weitergehen mußte um mein Ziel zu erreichen.

Beinahe ohne es selbst zu merken schuf ich einen Dimensionstunnel. Seine Wände waren gesäumt von jenen schrecklichen Bildern, die mein Bewußtsein überschwemmten. Heiße Tränen rannen über meine Wangen als der Zerstörung unseres Dorfes beiwohnte. Warum? Warum tun sie mir das an? Warum müssen sie mich diese Bilder sehen lassen? Sie sind nicht tot! Sie sind nicht tot! Gestern waren sie noch alle da! Sie können nicht tot sein!

Ich stolperte als sich der Tunnel plötzlich öffnete. Um mich herum herrschte Dunkelheit. Doch ich spürte festen Boden unter meinen Füßen. Es roch leicht nach Gras und frischem Tau. Behutsam tastete ich mich langsam vorwärts bis ich endlich in einiger Entfernung winzige Lichtquellen ausmachen konnte.

„Rosiel? Rosiel seid ihr hier?“ Meine Stimme hallte als undeutliches Flüstern von unsichtbaren Wänden wieder. Ich wagte es nicht selbst ein Licht zu erschaffen. Zu groß war meine Angst in diesem Augenblick von jemand anderem als Rosiel entdeckt zu werden.

„Wer ist da?“ Seine Stimme kam einem dunklen Eishauch gleich. Ich war hier nicht erwünscht, das spürte ich bis in die kleinste Faser meines Körpers. Aber ich mußte die Antwort kennen. Die Antwort darauf, welche der Bilder in meinem Kopf der Wahrheit entsprachen. Welches der beiden Leben ist meines? Was davon ist Wirklichkeit und was Traum?

„Rosiel?“ Ich erreichte eine kleine Lichtinsel. Er saß mit dem Rücken zu mir über eine himmelblaue Kugel gebeugt. Seine Haare verbargen seinen Körper.

„Rosiel?“ Plötzlich glaubte ich ihn nicht mehr erkennen zu können. Das Bild vor mir verschwamm wurde aber gleich darauf wieder fest. Etwas hatte sich verändert… Er hatte sich verändert…

„Du solltest nicht hier sein.“ Seine Stimme war kalt. Viel kälter als ich sie in Erinnerung hatte.

„Bitte Rosiel, ihr habt gesagt, wann immer ich einen Freund brauchen würde, ihr würdet für mich da sein.“ Er zuckte bei meinen Worten leicht zusammen, aber er sah mich nicht an. Ich trat einen Schritt näher.

„Bleib wo du bist!“ Seine Stimme war voll von Panik und Zorn. Zögern blieb ich stehen. Ich hatte nicht damit gerechnet abgewiesen zu werden.

„Ich brauche eure Hilfe.“ Irgend etwas an dem Tonfall meiner Stimme verriet ihm, daß ich nicht ohne Grund hier war. Er wandte sein Gesicht leicht zu mir. Die Linke Seite beinahe vollkommen verborgen unter weißem Haar.

„Ich weiß nicht mehr, was wirklich ist und was nicht.“ Damit war es heraus. Alles, was ich ihm sagen konnte und noch viel mehr. In diesen Worten lagen all meine Verzweiflung und der unstillbare Wunsch, daß er mir sagte, daß all diese dunklen, schmerzvollen Bilder zu einem Traum gehörten. Das es ein Alptraum war, der nie das Licht meines Lebens erreichen würde…

„Du solltest nicht hier sein…“ Er drehte sich leicht zur mir um und gab damit den Blick auf die Kugel frei. Es war ein Abbild der Welt der Menschen. Hellblauer Himmel durchzogen von weißen Wolken; grünbraune, fruchtbare Länder eingefaßt vom dunklen Blau der Ozeane.

Etwas ähnliches hatte ich vor langer Zeit einmal gesehen… in Remiriels Quartier in Yetzirah… während unserer Ausbildung… doch es ist nur ein Hologramm gewesen während dieses hier… es sieht aus, als hätte es eine feste Form…

„Du solltest in Sicherheit sein. An einem anderen Ort…“ Er sah mich mitleidig an.

„Ich verstehe nicht, was ihr meint.“ Er sprach in Rätseln.

„Er hat recht. Du solltest nicht hier sein.“ Eine dunkle Hand schob sich über meine Augen.

„Du solltest an einem hellen Ort sein und nicht hier bei uns in der Dunkelheit.“ Die Bilder meiner Kinder und meiner Familie zerfielen unter diesen Worten zu Staub, der von einem Windhauch davongetragen wurde. Das Leben von dem ich immer geträumt hatte ran wie Sand durch meine Finger. Heiße Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.

Die Stimme meines Vaters sorgte dafür, das sich Traum und Wahrheit trennten. Ich begriff auf grausame Art und Weise, was geschehen war. Er hatte mich so sehr geschwächt, das mein Bewußtsein schutzlos gewesen war… und dann… und dann… hatten sie meinen Geist in einem Traum gefangen…

„Warum? Warum habt ihr mir das angetan?“ Ich sank in mich zusammen und die Hand vor meinen Augen verschwand.

„Wieso?“ Vorwurfsvoll sah ich Rosiel an und erschrak bei seinem Anblick beinahe zu Tode. Er hatte sich so sehr verändert. Sein Körper ist jünger als ich ihn jemals zuvor gesehen habe. Der knapp verhüllte Körper gibt mehr preis als es Worte jemals gekonnt hätten. Dieser Körper gehört einem Teenager und er ist übersäht von einem merkwürdigen Narbengeflecht, das sich mit jeder Minute mehr auszubreiten scheint.

„Dieser Anblick hätte dir erspart bleiben sollen…“ Rosiel sank vor mir in die Knie und sprach mit belegter Stimme weiter.

„..wenigstens dich und Catan wollte ich retten…Ihr beide solltet in einer Welt leben in der euch keine Gefahr mehr droht…“ Er strich zärtlich über meine Wange.

„…ich wollte euch den Schmerz ersparen…“ Das warme Gold seiner Augen legte sich auf meine verwundete Seele.

„… warum nur bist du aufgewacht? …Du hättest friedlich schlafen sollen bis…“ Seine Stimme versagte.

„Bis ich wieder allein gewesen wäre? Ohne Freunde? Ohne eine Welt in der sich zu leben lohnt? Ohne dich?“ Behutsam striff ich eine lästige Haarsträhne aus seineem Gesicht. Auch dort war sein Körper bereits gezeichnet.

„Glaubst du das hätte ich gewollt?“ Flehend hob er den Blick. Er sah an mir vorbei auf die dunkle Gestalt meines Vaters, die wie ein drohender Schatten über uns thronte.

„Sie wäre niemals alleine aufgewacht. Irgend jemand muß sie geweckt haben.“ Sein Blick verfinsterte sich während Rosiels Augen die meinen suchten. Dort spiegelte sich dieselbe Verzweiflung wie in meinem Herzen.

„Das heißt es gibt kein Zurück?“ Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich, wie viele Tränen ich auf einmal vergießen konnte. Ich wußte, er wollte nur mein Bestes. Es war seine verquere Art mir zu zeigen wie groß seine Liebe war, wieviel ich ihm bedeutete… und nun hatte diese Liebe eine Graben zwischen uns geschaffen, den niemand mehr überbrücken konnte.

„Rosiel-chan…“ Seltsam wie vertraut mir der Klang dieses Namens geworden ist…

„… es wird für uns nie wieder ein Zurück geben…“ Ich löste das Band um meinen Hals und legte das kleine Goldkreuz in seine zitternde Hand. Ich verstehe dich Rosiel-chan. Besser als irgendjemand sonst. Bitte, verzeih mir die nächsten Worte. Verzeih mir, was ich von dir verlangen werde.

„Wenn du mich wirklich in Sicherheit wissen willst, dann gibt es nur noch einen einzigen Weg.“ Hoffnungsvoll sah er mich an.

„Töte mich.“

„NEIN!“ Er packte mich wild an den Schultern. Das Goldkreuz fiel mit leisem Klirren zu Boden.

„Wie kannst du nur so etwas sagen?! Ich könnte dich niemals…“ Er verstummte als er den Schmerz in meinen Augen bemerkte. Wenn ich dein Leben retten will, dann mußt du mich töten. Versteh das doch! Nur mein Tod kann dich jetzt noch schützen!

„Bitte Rosiel-chan… laß mich sterben.“ Es zerriß mir das Herz diese Worte auszusprechen. Kraftlos sanken seine Hände zu Boden. Es tut mir leid! Es tut mir so leid! Ich wünschte, du hättest es niemals erfahren müßen! Die Wahrheit in der entweder du mich oder ich dich töten muß, damit wir unseren Zielen nicht mehr länger im Weg stehen. Bitte verzeih mir Rosiel-chan!

„Wünscht du dir so sehr den Tod?“ Die Stimme meines Vaters zeigte nicht die geringste Regung.

„Gibt es keinen Ort an den du zurückkehren möchtest?“

„Dieser Ort würde vor langer, langer Zeit zerstört. Ich gehöre nirgendwo mehr hin…“ Außer an Rosiels Seite, doch dann werde ich meine Freunde und meine Welt verraten… Langsam stand ich auf und erwiderte den eisigen Blick seiner Augen.

„Damals gabst du mir das Versprechen mich zu töten, wenn wir uns erneut begegnen und ich diesen Wunsch immer noch im Herzen tragen würde… es ist viel Zeit vergangen… doch mein Wunsch hat sich nicht geändert…“ Sein Gesicht wurde zu einer starren Maske.

„Egal wie viele Leben ich auch geführt habe… wie tief meine Erinnerungen auch begraben worden waren… es hat sich nie etwas geändert…“ Ich drückte mich gegen seine Brust.

„Bitte laß mich sterben.“ Bitte Vater! Bitte erfüll mir diesen einen Wunsch. Erlöse mich von einem Leben in dem mein Herz nur noch weiter brechen kann. Er stieß einen leichten Seufzer aus.

„NEIN! Luzifer ich verbiete es dir!“ Rosiels Stimme war getränkt von Zorn und Hilflosigkeit.

„Ich verbiete dir ihr auch nur ein einziges Haar zu krümmen!“ Warum? Warum nur? Rosiel-chan, warum kannst du mich nicht einfach gehen lassen? Wenn du mich leben läßt werde ich dich irgendwann töten…

„Wie ihr befehlt Rosiel-sama.“ Sanft schob mich mein Vater in Rosiels Arme, die sich besitzergreifend um mich schlossen.

„Doch es war unnötig diesen Befehl zu wiederholen. Ich hatte euch bereits beim ersten Mal verstanden.“ Mit unendlichem Bedauern in den Augen sah er mich an.

„Ich werde sie notfalls mit meinem Leben schützen.“ Blankes Entsetzen packte mich, als mein Vater vor uns in die Knie sank.

„Rosiel, was in Gottes Namen hast du getan?!“ Mein Vater beugte vor nichts und niemanden das Haupt. Am allerwenigsten vor Gott oder einem Engel!

„Ich halte seine Seele gefangen. Ich lasse nicht zu, das euch ein Leid geschieht.“ Wilder Zorn mischte sich mit dem Schmerz meines Herzens und ich riß mich von ihm los.

„Und du glaubst, das würde ich wollen?! Befrei ihn von diesem Bann! Es ist unerträglich ihn so zu sehen!“ Wie kann er nur?! Wie kann er meinem Vater das antun?

„Unerträglich? Shao warum bist du so sehr an ihm interessiert? Er ist doch nur ein Dämon.“ Vollkommen verwirrt sah Rosiel zu wie ich versuchte meinen Vater zum Aufstehen zu bewegen. Doch er beharrte darauf auf den Knien zu bleiben.

„Nur ein Dämon?“ Der Zorn raste durch meine Adern und verbrannte jegliche Vernunft.

„NUR ein Dämon?! Du wagst es so von ihm zu sprechen?!“ Hast du den nicht die geringste Ahnung, wer er ist?!

*Sei still kein weiteres Wort mehr! Du verstehst es nicht!* Doch es war zu spät. Ich war den Gedanken meines Vaters nicht mehr zugänglich. Allerdings wußte er das ebenso gut wie ich und fuhr andere Geschütze auf. Noch ehe ich etwas tun oder sagen konnte, was ich später bitterlich bereut hättte war mein Körper gelähmt und ich fiel unsanft zu Boden. Meine Zunge schien plötzlich nur noch aus einem unförmigen Klumpen Fleisch zu bestehen. Außer einem Röcheln drang kein einziger Laut mehr aus meiner Kehle.

„Luzifer! Ich verlange ein Erklärung von dir.“ Zornerfüllt sah Rosiel auf uns beide herab.

„Warum ist sie so sehr an deinem Wohlergehen interessiert?“

„Sakuya Kira.“ Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen meines Vaters.

„Er war ihr bester Freund und ich trage nach wie vor sein Gesicht. Vielleicht glaubt sie immer noch ihn wiedererwecken zu können.“ Langsam stand er auf.

„Sie hatte ihn gebeten sie mit dem Schwert Nanatsusaya zu töten. Ein sinnloses Unterfangen, sich deswegen Hoffnungen zu machen. Denn ich bin wieder ganz sich selbst und werde mich nicht gegen den Befehl meines Herrn stellen.“ Der Blick seiner Augen strafte seine Worte lügen. Der Schmerz darain war echt und beinahe mehr als ich ertragen konnte.

„Lös ihre Fesseln.“ Kurz bevor er Rosiels Befehl gehorchte verbat mir mein Vater mich auch nur noch ein einziges Mal dazu hinreißen zulassen die Wahrheit meiner Herkunft zu offenbaren. Dafür benutzte er das einzige Argument, das in diesem Moment noch Wirkung zeigte. Nämlich, das Rosiel diese Wahrheit niemals verkraften würde. Sie würde lediglich noch schneller zu seinem Untergang führen.

„Dies wird das letzte Mal sein, das wir uns so gegenüberstehen.“ Rosiel wartete nicht bis ich aufgestanden war sondern kniete bereits neben mir.

„Beim nächsten Mal wirst du mich wahrscheinlich töten.“ Mit einem traurigen Lachen drückte er mir das kleine Goldkreuz, das er mir einst zu meinem Schutz gegeben hatte, in die Hand.

„Vielleicht schaffst du ja, wozu ich nicht fähig bin.“ Meine Finger schlossen sich um das kühle Metall.

„Wie kannst du nur so grausam sein? Rosiel-chan-“ Meine Worte erstarben unter einem verzweifelten Kuß.

„Du hättest niemals aufwachen sollen. Auch, wenn es nur ein Traum war. Ich wollte, das du glücklich bist.“ Sein Gesicht verschwamm unter einem Tränenschleier als ich nach seiner Hand griff.

„Du wirst jeden Schutz brauchen, den du kriegen kannst. Denn beim nächsten Mal werde ich nicht zögern.“ Ich drückte das Kreuz in seine Hand.

„Ich weiß und ich werde dir auf ewig dankbar sein, das du die Kraft hast, die mir fehlt.“ Er zog mich dicht an sich und schloß die Arme um meinen Rücken. Sein warmer Atem striff durch mein Haar.

„Ich wünschte ich könnte dich ewig festhalten…“ Mein Vater zog sich beinahe lautlos zurück, als Rosiel sich einen tiefen Kuß von mir stahl. Dies ist das letzte Mal, daß wir beide unseren Gefühlen erlauben Besitz von uns zu ergreifen. Und obwohl es den Abschied nur noch schwerer macht… wozu sich wehren? Ich gab seinem Drängen beinahe sofort nach und klammerte mich ebenso verzweifelt an ihn, wie er sich an mich.

„Gewährst du mir einen letzten Wunsch?“ Ich schmiegte mich an seinen warmen Körper.

„Ist es dafür nicht etwas früh?“ Ein trockenes Lachen scholl mir entgegen. Wir wußten beide, daß unsere Zeit ablief. Schon bald würden sich unsere Wege für immer trennen…

„Sing für mich. Ein letztes Mal. Mit dieser Stimme, die selbst bis in die dunkelsten Tiefen der Erde dringen kann.“ Er setzte sich auf und spielte behutsam mit einer meiner Haarsträhnen. Der Sand der Zeit lief unaufhörlich weiter. Wir konnten ihn nicht stoppen…

„Ein letztes Mal…“ Sehnsuchtsvoll glitt sein Blick über meinen Körper während ich mich unter dem Laken regte. Wie lange bleibt uns noch? Gewiss nur noch Minuten… Warum? Warum müßen wir uns trennen? Warum können wir nicht glücklich sein?

„Hast du einen besonderen Wunsch?“ Ich schaffte es nicht meiner Stimme die Nötige Begeisterung zu verleihen. Unsere Wege werden sich hier trennen. Bei unserer nächsten Begegnung wären wir Feinde in einem Kampf, den nur einer von uns Beiden gewinnen konnte. Ein unfairer Kampf, denn ich kann nicht sterben… nicht solange ein Engel und ein Dämon ihre Kräfte vereinen und ein Bündnis eingehen…

„Nein, nichts besonderes. Es ist mir egal was du singst. Ich möchte nur noch ein einziges Mal deine Stimme hören.“ Abwesend zog ich mich an und sann darüber nach wie ich den Schmerz in meinen Herzen betäuben sollte, um überhaupt in der Lage sein zu können zu singen.

„Shao?“ Besorgt schloß er mich erneut in die Arme.

„Es ist so schwer… so unendlich schwer…“ Vergeblich versuchte ich die Tränen in meinen Augen und die Schluchzer in meiner Kehle zurückzuhalten. Rosiel-chan, du verlangst von mir dich zu töten… Statt dich selbst zu retten läßt du mich gehen und gefährdest dich damit selbst.

„Ich weiß und es tut mir leid. Doch ich kann nicht anders. Ich kann dich nicht töten.“ Traurig sah ich ihn im Halbdunkel an. Nein, das kannst du nicht. Ich weiß. Du kannst niemanden töten, der deinem Herzen so nah ist wie Catan und ich. Selbst wenn die gesamte Welt vernichtet werden würde, du würdest du einen Weg finden uns zu beschützen. Egal, ob wir dich dafür hassen oder nicht. Solange wir leben wirst du alles in deiner Macht stehende tun um uns am Leben zu erhalten. Du würdest unseren Tod niemals verkraften…

„Du bist und bleibst ein dummer Engel.“ Zur Strafe für meine Worte saugten sich seine Lippen an meinem Hals fest und hinterließen dort deutliche Spuren.

„Luzifer wird dich zurückbringen.“ Ein dunkler Schatten trat auf uns zu und verneigte sich kurz. Das ist es also. Unser Abschied….

Ein Abschied für immer…

Kein ‚wir sehen uns bald wieder’ oder ‚machs gut’ sondern nur stille Sehnsucht in unseren Blicken, die nichts und niemand mehr stillen kann. Das Band zwischen uns wurde quälend langsam zerschnitten und es wird erst dann ganz reißen, wenn eines der beiden Leben, die es verbindet für immer erloschen ist.

Ein letztes Mal drehte ich mich zu Rosiel um und drückte ihn fest an mich. Es tut so weh! Es tut so weh ihn allein zu lassen… doch wir beide hatten uns bereits schon für lange Zeit für unseren Weg entschieden. Es war nur eine Frage der Zeit bis sich unsere Pfade wieder trennen würden. Trotzdem… es zerreißt mir das Herz…

„Du mußt dich beeilen. Du bist hier nicht mehr lange in Sicherheit. Bald wird man dich bemerken.“ Ein letztes Mal versank ich in dem warmen Gold seiner Augen und ergab mich in seinen Kuß. Langsam, fast so als hätte er Angst ich würde sonst zerbrechen löste er sich von mir. Unsere Zeit war um. Ich mußte gehen. Ich durfte nicht mehr länger zögern. Es bleibt keine Zeit mehr für Worte des Abschieds. Ich kann ihm nur noch seinen letzten Wunsch erfüllen. Das ist alles. Langsam stand ich auf und ergriff den Arm meines Vaters während sich meine Stimme langsam erhob.
 

Es ist aus, wir beide dürfen uns nie wieder sehn.

Das zu sagen bin ich hier und dann, dann muß ich gehen.

Wir stellen tausend Fragen, doch das Herz wird nie verstehn.

Und denkst du an mich irgendwann nach langer, langer Zeit…

Dann ist selbst dieser Schmerz ein Stück Vergangenheit.
 

Dieses Lied war eigentlich ein Duett, doch dieses Mal würde ich es allein singen. Einzig und allein für ihn… ein letztes Mal… zum Abschied… ein letztes Mal sollte er meine wahre Stimme hören…
 

Was ich für dich fühle, bleibt, was immer ich auch tu.

Ich werd weiterleben, weiß ich auch nicht wozu.

Ich werd bis zum letzten Tag mich fragen wo bist du?

Wollten wir nicht glücklich sein ein ganzes Leben lang?

Welches Schicksal hat uns zwei verdammt zum Untergang?
 

Sind die Sterne gegen uns?

Läßt der Himmel uns allein?

Zahlen wir für ein Verbrechen,

das die Götter nicht verzeihn?
 

Oder ist das nur das Spiel

von einer Bösen Macht?

Wir sahn das Paradies vor uns

und stürzten in die Nacht.
 

Die Tränen, die über seine und meine Wangen rannen zeigten deutlich, daß ich die richtige Wahl getroffen hatte. Egal, wieviel wir auch füreinander empfinden, wir müssen uns trennen… es war uns nicht vergönnt auf Dauer glücklich zu sein… wir haben es beide von Anfang an gewußt… warum also blutet mein Herz so sehr?
 

Sinnlos sich zu wehren, was geschehn muß, muß geschehn.

Jeder Weg ist uns versperrt, wohin wir uns auch drehn.
 

Alles was ich will bist du - doch dich darf ich nicht sehn.

Manchmal wünsch ich mir beinah ich hätte nie gespürt,

wie tief Liebe gehen kann
 

aus der kein Ausweg führt!
 

Sind die Sterne gegen uns?

Läßt der Himmel uns allein?

Zahlen wir für ein Verbrechen,

das die Götter nicht verzeihn?
 

Oder ist das nur das Spiel

von einer Bösen Macht?

Wir sahn das Paradies vor uns

und stürzten in die Nacht…
 

Luzifers dunkler Mantel hüllte mich ein und die Dunkelheit verschlang uns.
 


 

06-04-22

Next: Part 39 – Desert Soul

Sea9040@yahoo.de
 

Ähm, nur für den Fall, das irgendjemand meine Warnung im letzten Kapitel nicht ernstgenommen haben sollte…

Wer weitergelesen hat ist selber schuld!
 

Und nun die große Preisfrage:
 

Wer von euch weiß, in welchen „Angel Sanctuary“ Band sich die Story von „Love of an angel“ mittlerweile befindet?
 

* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *
 

Erläuterungen:
 

Der verwendete Songtext stammt aus dem Musical „AIDA“ das während der Sommermonate in Bremen und im Herbst in Berlin zu sehen. Wer die Chance hat sollte es sich auf jeden Fall ansehen!



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