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Mein ist die Dunkelheit

von

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Epilog

 

Vorsichtig, behutsam, um kein verräterisches Geräusch von sich zu geben und seinen tief schlafenden Freund

(Freund, es fühlt sich immer noch ungewohnt an, derart von Ashiya zu denken)

nicht zu stören, rutscht Urushihara noch etwas weiter zurück, bis er mit dem Rücken an den Kühlschrank stößt.

Jedes Geräusch sorgsam vermeidend, stützt er die Ellbogen auf seinen Knien ab, hebt die neue Spiegelreflex-Kamera vor seine Augen und betrachtet durch den Sucher die Szenerie, die sich vor ihm ausgebreitet hat:

Ashiya, auf der Seite liegend, tief schlafend, beschienen vom silbernen Mondlicht, das durch das Fenster ins Apartment hineinscheint.

Vielleicht ist es kein besonders aufregender Anblick, immerhin schläft Ashiya jede Nacht, aber irgend etwas an dieser Szene berührt Urushiharas Herz.

Außerdem – was hat er von seiner Kamera, Maos Geschenk – wenn er sie nicht benutzt? Sie war teuer genug. Ashiya wurde richtig bleich, als er den Preis sah.

Nur eine Stunde später erschien Emi mit Alas-Ramus, murmelte etwas von „der liegt eh nur bei mir unnütz herum“ und drückte ihm einen Laptop in die Hand, bevor sie sich wie üblich bei ihnen selbst zum Abendessen einlud.

Da eine digitale Kamera ohne einen Computer mit der entsprechenden Software ziemlich nutzlos ist, wußte er, dass die beiden sich abgesprochen hatten und das war mal wieder so viel unerwartete Freundlichkeit, dass er sich vor Verlegenheit am Liebsten irgendwo verkrochen hätte. Früher wäre er einfach in seinen Schrank geflüchtet, doch diese Option steht ihm jetzt nicht mehr zur Verfügung, denn schon am ersten Tag nach ihrer Rückkehr aus ihrem Kurzurlaub hatte Mao nicht nur einen Futon gekauft, der für sie beide groß genug war, sondern auch seine übliche Schlafstelle mit irgendwelchem Gerümpel vollgestellt, so dass er gar keine Möglichkeit mehr hatte, sich dort hineinzuquetschen, selbst, wenn er es gewollt hätte.

Zuerst war es irgendwie komisch und sein Rückzugsort fehlte ihm, doch er gewöhnte sich schnell um und wenn er jetzt mal seine Ruhe braucht und ihm alles zu viel wird, schnappt er sich seine Kamera und geht spazieren.

Es gibt so viel zu sehen.

Obwohl es schon achtzehn Tage her ist und alles wieder zur Normalität zurückkehrt, hat er diese Momente. Diese überraschenden Momente am Tag (oder in der Nacht), an denen alles in ihm innehält. Und dann ist er von so viel Staunen und Ehrfurcht erfüllt, dass er glaubt, sein Herz platze gleich, denn die Welt ist voller Schönheit und er kann sie sehen. Aber das genügt nicht. Es reicht nicht, das nur zu sehen. Er muss es festhalten und bewahren. Und so kam er zu seinem neuen Hobby und glücklicherweise ist Mao Hals über Kopf in ihn verliebt und bereit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Wie diese Kamera.

Manchmal fühlt er sich schäbig, weil er bisher nur nimmt und nichts zurückgibt, aber er hofft, dass sich das bald ändern wird, nämlich dann, wenn es ihm gelingt, mehr von diesen selbstgebastelten Kuscheltieren über Jungle zu verkaufen. Erstaunlicherweise gibt es tatsächlich eine gewisse Nachfrage für diese Art von Spielzeug und irgendwann wird er hoffentlich genug Geld damit verdienen, um Mao, Ashiya und allen anderen ihre verdammte Freundlichkeit mit kleinen Geschenken zurück zahlen zu können.

Mao... Urushihara seufzt einmal ganz tief innerlich auf, als er den Auslöser drückt. Hölle, er vermisst ihn.

Der Dämonenkönig hat Nachtschicht bei MgRonald's und Urushihara kann nicht wirklich gut schlafen, wenn Mao nicht neben ihm liegt. Ashiya gibt sich Mühe, aber er … nun ja, er ist nunmal nicht Mao. Er riecht nicht wie Mao und er fühlt sich auch nicht so an wie Mao. Er atmet auch ganz anders als Mao.

Neben ihm zu liegen ist einfach nicht dasselbe, als wenn Mao ihn in seinen Armen hält.

Urushihara hasst diese psychische Abhängigkeit, in die er gerutscht ist, doch auch diese Selbstverachtung läßt von Tag zu Tag nach und mit jedem Stück, den dieses quälende Gefühl verschwindet, schleicht sich etwas anderes heran, von dem er nie gedacht hätte, dass er es irgendwann je wieder fühlen könnte: Sehnsucht. Dieses bitter-süße, kribbelnde Gefühl des sehnsüchtigen Wartens auf die Heimkehr desjenigen, ohne den man sich nicht vollständig fühlt. Dicht darunter lauern natürlich seine üblichen Verlustängste, doch damit kommt er klar, weil Mao immer zu ihm zurückkehrt. Schon wegen Ashiya, denn der regt sich für sie beide auf, wenn Mao sich verspätet und vergißt, ihm Bescheid zu geben. Urushihara kennt das zwar nur aus Erzählungen, weil das einzige Mal, wo das passierte, geschah, bevor er dazustieß, doch seitdem hütet sich Mao sehr, den Ärger seiner Rechten Hand wegen solcher unnötigen Kleinigkeiten auf sich zu ziehen. Früher hätte sich Urushihara darüber lustig gemacht (und das hat er auch), aber jetzt ist er froh über Ashiyas Überfürsorglichkeit.

Wenn einem eine solche Glucke wie Ashiya den Rücken stärkt, dann ist das wirklich eine gewisse Erleichterung. Und seitdem Ashiya angefangen hat, seine Gluckenflügel auch über ihm auszubreiten, fühlt er sich zunehmend entspannter. Es tut einfach unheimlich gut. Und zum ersten Mal seit Tausenden von Jahren fühlt es sich an, als habe er endlich seinen Platz gefunden.

Es wird nicht ewig halten, flüstert die kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Sie klingt immer noch wie Gabriels, doch sie ist leiser geworden und meldet sich nur noch sporadisch.

Nichts hält ewig, entgegnet ihr Urushihara im Gedanken, denn niemand weiß das besser als er. Aber -

ich werde darum kämpfen, dass es so lange anhält wie möglich.

Denn wenn er eines kann, dann das: kämpfen.

Plötzlich vernehmen seine hypersensiblen Ohren das Geräusch leiser Schritte, wie sie erst die Treppe heraufkommen, dann das Schaben der verzogenen Korridortür, gefolgt von weiteren Schritten und dann dreht sich verstohlen ein Schlüssel im Schloß. Sein Herz, das schon beim ersten Geräusch schneller zu schlagen begann, macht nun einen regelrechten Sprung, als sich die Tür öffnet, dann wieder schließt und jemand auf Zehenspitzen zu ihm schleicht.

Vanilleduft, fast erstickt von Bratenfett, umhüllt ihn, als Mao einen Arm um seine Schultern schlingt und ihm einen kleinen Kuß auf die Wange drückt.

„Kannst du wieder nicht schlafen? Alpträume? Paralyse? Schlafwandeln?“ flüstert er besorgt, denn auch wenn Urushiharas Schlafstörungen allmählich nachlassen, sind sie noch nicht gänzlich verschwunden und Mao hasst nichts mehr als diese Nachtschichten, in denen er nicht hier sein kann, um auf seinen Engel aufzupassen. Er muss sich zwar keine Sorgen machen, weil Ashiya in dieser Hinsicht übervorsichtig ist und jede Nacht, bevor er sich hinlegt, mindestens dreimal überprüft, ob ja auch alles gut abgeschlossen und gesichert ist, aber es ist immer noch etwas völlig anderes, wenn er hier ist und Urushihara beschützend in seinen Armen halten kann.

Urushihara schenkt ihm ein beruhigendes Lächeln.

„Nichts dergleichen. Ich bin einfach früh aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen.“ Dann reicht er ihm seine Kamera und lehnt sich zufrieden an Maos Seite, wahrend sich dieser die Bilder auf dem Display ansieht.

„Wirklich süß“, wispert er dann, während er einen sichernden Blick zu dem immer noch schlafenden Ashiya hinüberwirft. Er schlummert tatsächlich tief und fest. Das ist erfreulich, denn früher war er, wenn Mao Nachtschicht hatte, schon beim geringsten Klicken des Türschlosses hellwach. Ganz allgemein scheint er jetzt viel entspannter geworden zu sein. Mao hegt den leisen Verdacht, dass das viel damit zu tun hat, dass Urushihara ihm jetzt ab und an im Haushalt hilft und sie ganz einfach freundlicher miteinander umgehen als in den letzten dreihundert Jahren.

„Aber lass ihn das nicht sehen. Du weißt, er hasst es, wenn du ihn im Schlaf fotografierst.“

Urushihara versteckt sein Gesicht schnell an Maos Brust, um sein Kichern zu ersticken.

„Mit ein Grund, wieso ich das mache“, gibt er verschmitzt zu.

„Du bist echt unmöglich.“

„Aber du liebst mich trotzdem, oder?“ Mao hört die leichte Unsicherheit aus diesen scherzhaft klingenden Worten heraus, legt die Kamera aus der Hand und umarmt ihn ganz fest.

„Oh ja. Sehr sogar.“

So sehr, dass es schmerzt, von ihm getrennt zu sein, aber das ist etwas, was er ihm irgendwann später einmal sagen wird. Jetzt steht ihm der Sinn nach etwas ganz anderem.

„Ich muss duschen, ich stinke nach Bratfett. Kommst du mit?“

„Ich dachte schon, du fragst nie.“

Mit einem breiten, vorfreudigen Grinsen zieht Mao ihn mit sich auf die Füße und dann in das kleine Bad. Als die Schiebetür hinter ihnen leise ins Schloß klickt, ist es für einen Atemzug noch still im Raum, dann dringt aus Ashiyas Richtung ein verstohlenes Kichern, als er sich auf die andere Seite dreht und sich zufrieden in seine Decke kuschelt. Sein Instinkt weckte ihn, als er hörte, wie sein König die Treppe hinaufkam, doch er stellte sich weiter schlafend. Es ist zu warm und gemütlich und in der nächsten halben Stunde werden die beiden bestimmt nicht aus dem Bad kommen, es schadet also nicht, wenn er noch ein paar Minuten vor sich hindöst, bevor er aufsteht und das Frühstück zubereitet.

Wo sie dann alle drei an einem Tisch sitzen werden.

Gemeinsam.

Friedlich.

So, wie er es sich, seit Urushihara bei ihnen hier eingezogen ist, immer gewünscht hat.

 

 

- ENDE -

 



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