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Mein ist die Dunkelheit

von

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XXXIV. Kapitel

 

 

Sie haben wirklich Glück mit dem Wetter, der Himmel ist wieder strahlendblau und die Temperaturen liegen jetzt, zur Mittagszeit, knapp über dem Gefrierpunkt.

Arm in Arm schlendern Mao und Urushihara durch den verharschten Schnee. Sie entfernen sich nicht weit von der Hütte und laufen nur einmal im Kreis um sie herum an der Waldgrenze entlang.

Es war Ashiyas Idee. Er meinte, frische Luft und Bewegung täte ihnen gut.

„Aber nicht länger als eine Stunde, Mylord. Zwingt mich nicht, euch an den Ohren wieder hereinzuschleifen!“ warnte er sie eindringlich und sie beide versprachen, brav zu sein.

Wahrscheinlich wollte er sie aber nur für eine Stunde aus der Hütte haben, um seiner Putzleidenschaft zu frönen.

Letztendlich sind seine Beweggründe völlig unerheblich, solange sie ihnen nur die nötige Zweisamkeit ermöglichen.

Zuerst war er ja skeptisch, weil er nicht glaubte, viel davon zu haben – er ist blind, er kann die Landschaft nicht genießen, außerdem nagte an ihm die Angst, wieder von seinen schlechten Erinnerungen übermannt zu werden, aber … irgend etwas ist diesmal anders. Vielleicht liegt es daran, dass die Luft ein klein wenig anders riecht als in den letzten Tagen oder daran, dass kaum Wind weht und wenn doch, dann ist es eher eine streichelnde Brise.

Oder auch ganz einfach nur … unwillkürlich rückt Urushihara ein paar Zentimeter näher an Mao heran. Seine Präsenz hat plötzlich etwas überraschend Tröstendes an sich.

Und die Sonne scheint so warm...

genüsslich hebt Urushihara sein Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen und wird sich auf einmal des Gewichts der Sonnenbrille auf seiner Nase voll bewusst, die Ashiya diesmal anstatt der lächerlichen Skibrille von irgend woher hervorgekramt hatte.

Maos erste Handlung war, dass er sofort sein Smartphone zückte und ein Foto schoß, weil Urushihara damit einfach nur „zu cool“ aussähe.

Urushihara lächelt in Gedanken daran wehmütig. Er würde dieses Foto wirklich gerne sehen. Das und alle anderen, die von diesem Urlaub bisher gemacht wurden.

Er würde Mao jetzt gerne sehen. Was er wohl für ein Gesicht macht? Ist er entspannt? Glücklich oder etwa einfach nur … gelangweilt?

Fuck. Und da schleichen sie sich wieder auf leisen Sohlen heran – seine Zweifel und sie haben all diese schlechten Erinnerungen und Gefühle im Gepäck.

Mao, der für Urushiharas Stimmungen immer sensibler wird, bleibt dies natürlich nicht verborgen.

„Was ist los, cor meum?“ Er benutzt den Kosenamen schon ohne genauer darüber nachzudenken und Urushihara kann nicht verhehlen, dass es ihm dabei jedesmal richtig warm ums Herz wird.

Und trotzdem antwortet er ihm nur bedingt ehrlich.

„Ich musste nur eben daran denken, wie gerne ich die Fotos auf deinem Handy sehen würde. Ich weiß gar nicht, wie Alas in ihrem pinken Schneeanzug aussieht.“

„Wie ein Sahnebonbon“, erwidert Mao prompt, stockt dann aber, als ihm ein sowohl genialer wie auch schlichter Gedanke kommt. Ja. Wieso ist ihm das nicht früher eingefallen.

Er bleibt stehen, wodurch auch Urushihara anhalten muss.

„Lucifer... ich habe eine Idee. Lass uns etwas versuchen.“

„Hm?“

Mao entzieht ihm seinen Arm und greift stattdessen nach seinen Händen.

„Cor meum, lass es uns mit einem Idea Link versuchen.“

„Was?“ Unwillig verzieht Urushihara das Gesicht. Er hat eine große Aversion gegen diese telepathischen Verbindungen. Die meisten mögen es als praktisch empfinden, aber er hat seinen Kopf lieber für sich allein. „Wozu? Wenn du mir etwas sagen willst, benutze deine Stimmbänder, dazu sind sie da.“

„Ich meine die bessere Variante. Keine Angst, ich halte dich ganz fest.“ Aufgeregt und absolut begeistert von seinem Einfall, zieht er ihn an sich. Wie versprochen, legt er beide Arme um seinen General und bevor dieser protestieren kann, lehnt er seine Stirn an Urushiharas und öffnet mit der Berührung einen mentalen Kanal.

Da er seine Kräfte schon vor drei Tagen bei ihm angewandt hat, ist es diesmal ganz leicht.

Urushihara reißt erschrocken die Augen auf, als er plötzlich durch Maos Augen sehen kann. Unwillkürlich schnappt er nach Luft und klammert sich haltesuchend an ihm fest. Mao ist größer als er und durch die ungewohnte Perspektive wird ihm schwindlig.

Und doch, trotz allem, saugt er das Bild, das ihm Maos Augen melden, gierig in sich auf. Weißer Schnee, der in der Sonne glitzert. Knorrige, schneebedeckte Bäume. Ein blauer Himmel und in etwa hundert Metern Entfernung sieht er eine ganze Armee von Schneemännern verschiedenster Größe vor einer großen Blockhütte. Er sieht sogar die Eiszapfen am Dachrand und die beiden Krähen, die gerade auf dem Dachfirst landen.

Fuck. Er spürt, wie er am ganzen Körper zu zittern beginnt.

Langsam senkt er den Blick und sieht auf sich selbst hinab und er spürt und sieht, wie sich seine Lippen zu einem belustigten Lächeln kurven. Maos Fellimitat-Jacke steht ihm richtig gut. Über die Bommelmütze und die Sonnenbrille kann man allerdings streiten.

„Urgh“, hört er plötzlich Maos Stimme über sich und er spürt, wie sich dessen Umarmung auf einmal verstärkt und von der plötzlich Dissonanz zwischen sehen und dem Rest wird ihm regelrecht übel.

Ein Augenblinzeln später ist die Verbindung unterbrochen und er sieht wieder nichts als Dunkelheit.

„Das ist gruselig, Jacobu. Das machst du bitte nie wieder.“

„Scheiße“, ächzt dieser zurück. „Du siehst ja wirklich nur pechschwarz.“

Urushihara nickt nur und lehnt sich haltsuchend an ihn. Es dauert eine Weile, bis das Schwindelgefühl endlich vergangen ist.

Mao presst ihn einfach nur an sich und krallt seine Hände ganz fest in Urushiharas Jacke, um das Zittern seiner Finger zu unterdrücken. Diese allumfassende, tiefe Dunkelheit hat ihm richtig Angst eingejagt. Und so fühlt sich sein General jeden Tag seit fünf Wochen? Das ist einfach nur grauenhaft!

Kein Wunder, dass er so mißtrauisch und vorsichtig ist.

Das muss verdammt nochmal enden! Entschlossen presst Mao die Kiefer zusammen, dass es nur so knirscht. Er muss sich etwas einfallen lassen und zwar möglichst bald!

„Eh? Jacobu? Alles in Ordnung?“ Urushihara bemerkt seine Anspannung sofort und hebt nun besorgt den Kopf.

„Alles okay“, beruhigt Mao ihn hastig. „Komm her“, meint er dann nur, legt ihm die Finger unters Kinn und senkt dann den Kopf um ihn zu küssen.

Sobald sich ihre Lippen berühren, schließt er ganz bewußt die Augen, um sich nur auf seine anderen Sinne konzentrieren zu können. Er will nachempfinden, was Urushihara spürt. Es dauert eine Weile, vor allem, weil er in dem Moment, wo Urushihara einladend seine Lippen öffnet und seiner Zunge Einlaß gewährt, beinahe doch aus Gewohnheit fast geblinzelt hätte.

Aber dann hat er den Dreh heraus und ist überwältigt, wie intensiv sich plötzlich alles anfühlt.

Er ist völlig atemlos und das Herz klopft ihm bis zum Halse, als sie diesen Kuss nach einer für seinen Geschmack viel zu kurzer Zeit wieder lösen müssen, weil Urushihara von einem seiner selten gewordenen Hustenanfälle überrascht wird.

Hölle.

Mao vergräbt seine Nase an Urushiharas Hals, an der warmen Stelle zwischen Schal und linkem Ohrläppchen und atmet dessen süß-pudrigen, leicht holzigen Duft tief ein. Die Augen hält er dabei immer noch geschlossen und verdammt, ihm werden glatt die Knie weich.

Urushihara erschauert, als ihn Maos Atem streift und räuspert sich dann verlegen. Er hat keine Ahnung, woher diese exzessive Anschmiegsamkeit seines Königs plötzlich kommt, aber es fühlt sich erstaunlich gut an.

Und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit einmal nicht zu gut, um wahr zu sein.

Und plötzlich erwacht in ihm das brennende Verlangen, auch danach noch etwas davon zu haben.

„Jacobu?“

„Hm?“

„Glaubst du, Alciel gestattet mir, deine Jacke zu behalten?“

„Pff“, macht Mao nur und stützt seinen Kopf träge auf Urushiharas Schulter ab. „Es ist meine Jacke. Ashiya hat da gar nichts zu melden. Ich schenke sie dir.“ Er hält die Augen immer noch geschlossen und schwelgt weiter in diesem süchtig machenden Geruch.

„Darf ich auch deine Fleecehoodies behalten?“

„Natürlich. Sie stehen dir sowieso viel besser als mir.“

Urushihara zögert, wägt seine Optionen gegeneinander ab und wagt es.

„Wenn wir wieder in unserer kleinen Bruchbude sind, kann ich dann deinen Futon bekommen?“ Er hat nur eine Decke und ein Kissen in seinem Wandschrank und das wird allmählich wirklich unbequem.

Diese Frage holt Mao zurück ins hier und jetzt. Schlagartig öffnet er die Augen. Er hebt den Kopf von Urushiharas Schulter und mustert ihn lächelnd.

„Nein“, erklärt er dann. „Du bekommst deinen eigenen. Oder ich kaufe uns einen, auf den wir beide passen.“

Urushihara blinzelt verblüfft. Hinter der verspiegelten Brille kann Mao das nicht sehen, aber verdammt nochmal, er fühlt es.

„Ernsthaft jetzt?“

„Ja, ernsthaft. Jetzt sag nicht, du hast etwas anderes erwartet, cor meum?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich soweit noch gar nicht gedacht.“

„Tja“, grinsend haucht Mao ihm einen Kuss auf die Wange, „dann gewöhn dich mal ganz schnell an den Gedanken, dass ich dich so schnell nicht mehr gehen lasse, jetzt, wo ich dich endlich habe.“

Urushihara schenkt ihm ein Lächeln, bei dem ihm ganz warm ums Herz wird. Und dann schlagen die Schmetterlinge in seinem Bauch Salto, als er ihn sagen hört:

„Derbyniaf yr her, annwyl.“ Die Herausforderung nehme ich an, mein Lieber.

 

 

 

Es ist früher Nachmittag, als Emi, Chiho und Alas-Ramus zurückkehren. Und Alas-Ramus ist kaum durch die Tür, da schüttelt sie sich die Stiefel von den Füßen und stürmt mit einem lauten „Papa! Alciel! Luuuucifer!“, hinüber zur Couch, wo Mao Urushihara dabei hilft, das neue Stofftier für Alas-Ramus mit Füllmaterial zu stopfen, während Ashiya daneben sitzt und liest. Bei ihrem Eintreten jedoch legt der Iron-Scorpion allerdings das Buch beiseite und erhebt sich, um Emi und Chiho dabei zu helfen, die Einkäufe in der Küche zu verstauen.

Auf dem Weg dorthin wird er fast von Alas-Ramus umgerannt.

„Alciel!“ sie umarmt kurz zur Begrüßung seine Knie und wartet es gar nicht ab, bis er ihr den Kopf getätschelt hat und rennt schon weiter.

„Papa! Luuuucifer!“ Aufgeregt springt sie zu ihnen auf die Couch und gibt jedem von ihnen eine Umarmung. „Wir sind... Schlitten … Pferdchen...“

„Pferdeschlitten“, souffliert Mao amüsiert, fängt den kleinen Wirbelwind ein und hilft ihr, sich aus ihrem pinken Schneeanzug zu befreien.

„Ja. Ja, genau!“ Sie zappelt ungeduldig, denn es geht ihr nicht schnell genug. Und kaum ist sie ihren Schneeanzug los, quetscht sie sich zwischen ihren Ziehvater und Urushihara und sprudelt aufgekratzt hervor:

„Pferdeschlitten gefahren! Und es ging … hui … und dann so … und das Pferdchen hat kacka gemacht und Mama so iiiek und das Pferdchen trug ein rotes Deckchen mit Glöckchen dran. Oh, und der Mann hatte eine Peitsche. Aber er hat das Pferdchen nicht gehauen. Das hab ich ihm verboten.“

„Gut, gemacht, Alas-chan“, lobt Urushihara sie.

„Lucifer, Lucifer, kommst du morgen mit? Du magst doch Pferdchen so sehr.“

„Alas-chan“, ruft Emi aus der offenen Küche hinüber, „das habe ich dir doch schon im Auto erklärt: das war heute der letzte Tag, ab morgen haben die Pferdchen Ferien.“

Enttäuscht verzieht Alas-Ramus das Gesicht.

„Das ist doch nicht schlimm, Alas-chan“, tröstet Urushihara sie sofort. „Schau mal lieber hier – ich habe dein Hundchen fast fertig. Du musst nur noch die Augen aussuchen.“

Vielsagend schiebt Mao ihr die kleine Plastikdose zu, in der ordentlich sortiert verschiedene Knopfaugen zum Annähen liegen. Alas-Ramus betrachtet die Auswahl stirnrunzelnd und entscheidet sich dann für ein blaues und ein gelbes Auge.

Bei dieser ungleichen Auswahl hebt Mao kurz die Augenbrauen, doch es ist Alas-Ramus' Stofftier, nicht wahr?

„Hm“, macht Urushihara plötzlich und tastet, geleitet von seinem Gehör, nach Alas-Ramus' Handgelenk. Die Kleine hält ganz still, als er seine Finger über ihr Bettelarmband gleiten lässt. Auf ihrem Gesicht breitet sich ein fröhliches Grinsen aus.

„Was bimmelt denn da so? Ist das ein neuer Anhänger, Alas-chan?“

„Ja. Den hat Chi-chan mir geschenkt. Es ist dasselbe Glöckchen wie das Pferdchen hatte. Hör mal.“ Vielsagend hebt sie den Arm dicht an sein Ohr und schüttelt ihr Handgelenk. Zu dem üblichen Geklingel hat sich nun ein volltönendes, aber dennoch feines Glöckchengebimmel gesellt.

„Das klingt wirklich sehr schön, Alas-chan“, loben Urushihara und Mao beinahe synchron.

In der Küche verbeißt sich Emi ein Grinsen, als sie das hört und wechselt einen amüsierten Blick mit Chiho, bevor sie sich wieder zum Kühlschrank umdreht. Sie packt das Fleisch hinein und holt die Milch heraus, denn eine gute Tasse Kakao kann ihnen allen jetzt bestimmt nicht schaden.

„Und hier?“ erkundigt sie sich dann, mit einem verstohlenen Blick hinüber zur Couch, leise bei Ashiya. „Ist alles im Lot?“

„Ja. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, Heldin Emilia.“

Heldin. Oha. Emi hebt die Augenbrauen. Wenn er sie so nennt, will er damit sagen, dass sie dieses Thema nichts angeht. Normalerweise würde sie das nicht auf sich sitzen lassen, aber diesmal ist sie bereit, eine Ausnahme zu machen.

„Verstehe“, nickt sie daher nur.

Chiho, die am Herd steht und die Milch in einen Topf gießt, schüttelt, über die beiden wirklich amüsiert, den Kopf. Ehrlich gesagt hätte sie gerne genauere Informationen von Ashiya erhalten, denn sie würde sich gerne aktiv einbringen und Urushihara helfen, aber sie akzeptiert es auch, wenn die Dämonen das lieber unter sich klären wollen.

Sie ist zuversichtlich, dass sich alles zum Guten wenden wird. Liebe ist schließlich das beste Heilmittel.

Und natürlich ein heißer Kakao.

 

 

 



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