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Mein ist die Dunkelheit

von

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XXII. Kapitel

 

Ashiya ist nicht begeistert über die Pläne seines Königs, und das macht er auch deutlich. Wenn auch nicht mit Worten. Aber seine Taten sprechen für sich.

So drängt Ashiya Urushihara zusätzlich einen Rollkragenpullover aus Wolle auf, sowie Thermounterwäsche, dazu Maos Zweitmantel aus Kunstwildleder mit Pelzbesatz (manchmal findet Ashiya im Second-hand-Shop wirklich wahre Schnäppchen) und seine (Ashiyas) Wollmütze.

Ashiya begründet den Mantel zwar damit, dass Urushiharas eigener Parka noch nicht trocken ist, doch der Engel hört die Lüge aus seiner Stimme heraus.

Es ist demütigend, wie sehr Ashiya ihn wie ein Kind behandelt, doch andererseits fühlt es sich gut an, wenn da jemand ist, der sich Sorgen um einen macht.

Aber als Ashiya ihm etwas Klobiges über die Stirn zieht, runzelt er doch erst einmal argwöhnisch die Stirn. Schnell hat er ertastet, um was es sich dabei handelt und schnaubt unwillkürlich. Und hustet dann gleich darauf.

„Eine Skibrille? Ernsthaft jetzt?“

„Natürlich“, entgegnet Ashiya ernst. Er mustert ihn durchdringend. Ihm gefällt Urushharas Husten überhaupt nicht und er beschließt, das sorgsam im Auge zu behalten. „Deine Pupillen reagieren nicht mehr. Die Sonne scheint und der Schnee wirft ihr Licht zurück und wenn man dem länger ausgesetzt ist, kann das zu Netzhautschäden führen.“

„Oh, stimmt“, kommt es zynisch zurück. „wir wollen ja nicht, dass zu meiner Blindheit noch Schneeblindheit dazu kommt.“

Ashiya lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich sehe keine Veranlassung dazu, deine Augen noch mehr zu zerstören“, meint er, während er den Sitz von Urushiharas Wollmütze überprüft und den Schal fester unter den Fellkragen seines Mantels stopft. „Und außerdem schützt dich die Brille auch davor, einen Ast ins Auge zu bekommen. Oder einen Schneeball“, fügt er mit einem scharfen Blick Richtung Tür hinzu, durch die eben Emi nach draußen schlüpft.

„He, Ashiya“, Mao legt Urushihara gut gelaunt einen Arm um die Schultern und drängt ihn so langsam Richtung Tür. „Keine Sorge, ich werde schon gut auf ihn aufpassen.“

Ashiya mustert ihn streng.

„Eine Stunde, Mylord. Und früher, wenn es mit dem Husten schlimmer wird."

Mao nickt gehorsam und beeilt sich, mit Urushihara die Hütte zu verlassen.

Die eisige Luft trifft Urushihara wie ein Vorschlaghammer. Und plötzlich steht er nicht mehr auf der Veranda, sondern ist wieder allein im Schnee irgendwo im Nirgendwo. Er erstarrt - sowohl innerlich wie auch äußerlich. Er kann keinen Muskel mehr rühren.

„Er ist so unheimlich, wenn er die Glucke raushängen lässt. Aber er meint es gut."

Maos Stimme hilft ihm aus seiner Starre und dann spürt er das Gewicht von Maos Arm um seine Schultern und ist wieder zurück. Entschlossen schüttelt er die unangenehme Starre endgültig ab.

„Komm", meint Mao, der nichts von Urushiharas Ungemach bemerkt hat, nimmt seine Hand und führt ihn nach vorne zum Geländer.

„Das ist die Veranda", erklärt er dabei. „Sie nimmt die ganze Frontseite ein. Rechts geht es zur Treppe, vier Stufen führen hinunter in den Garten."

Während sich Urushihara mit konzentrierter Miene am Geländer entlang tastet, bleibt Mao dicht bei ihm.

Als er Urushihara durch das Erdgeschoß führte, stellte er schnell fest, dass sein blinder General sehr schnell biestig reagiert, wenn er das Gefühl bekommt, bevormundet zu werden. Für ihn ist es extrem wichtig, dass er seinen Weg aus eigener Kraft findet. Von daher hält Mao auch diesmal einen Abstand von mindestens zwanzig Zentimetern zu ihm ein, bleibt aber nahe genug, dass er ihn im Notfall unterhaken kann. Und deshalb überrascht es ihn auch, als Urushihara kurz vor der ersten Stufe stehenbleibt und leise seinen Namen flüstert.

Sofort ist er an seiner Seite und legt ihm die linke Hand auf den Ellbogen.

„Ich bin hier. Alles in Ordnung? Geht es dir gut? Oder sollen wir lieber wieder reingehen?"

Urushihara schüttelt den Kopf. „Nein. Ich habe Alas-chan ein Versprechen gegeben." Er holt einmal tief Luft und räuspert sich dann einmal.

„Aber ich brauche jetzt wirklich deine Hilfe. Nicht nur bei der Treppe", fügt er leise, beinahe schüchtern hinzu.

„Natürlich", Mao mustert ihn besorgt. Unter Urushiharas Pokerface schimmert eindeutig Furcht. Sanft hakt er sich bei ihm unter und führt ihn so die Treppe hinunter.

„Ich kann mir gut vorstellen, wie unangenehm es hier draußen für dich ist. Ich wette, hier draußen kommen die ganzen Erinnerungen wieder hoch?" Er wartet Urushiharas Nicken nicht ab und redet sofort weiter. „Mir ergeht es jedenfalls so. Ich sehe einen Schneehaufen und sofort fühle ich mich zurückversetzt in jenen Moment, wo ich dich fand.“

Das ist ihm gestern Nachmittag aufgefallen, als er mit Alas-Ramus rodeln war und er hat bis jetzt noch mit niemandem darüber geredet. Es war ihm schlichtweg peinlich.

„Dann muss ich mich jedes Mal daran erinnern, dass wir dich rechtzeitig gefunden haben und dass du lebst.“

Ohne sich dessen bewusst zu sein, krallt sich seine Hand fester in Urushiharas Ellbogen, dieser dreht den Kopf in seine Richtung und dann fühlt Mao diese blinden Augen hinter der gespiegelten Skibrille auf sich ruhen.

„Ich … äh...“ plötzlich wird er sich seines Klammergriffs bewusst und läßt wieder locker. „Alles, was ich damit sagen will, ist: du bist damit nicht allein und ich verstehe dich.“

Er bleibt stehen und streichelt sanft über Urushiharas blasse Wange. Durch die Handschuhe kann er ihn nicht fühlen, aber es ist trotzdem merkwürdig beruhigend.

„Ich bin bei dir, Lucifer."

Aus einem Impuls heraus lehnt er sich zu ihm nach vorne und haucht ihm einen Kuss auf die Lippen.

Urushihara gibt einen kleinen Laut von sich und kommt ihm etwas entgegen. Maos offene Worte geben ihm das Gefühl, nicht allein zu sein und wenn er ihn küsst, dann vergißt er all seine Furcht. Mao spürt, wie sich Urushiharas Hände in seinem Mantel verkrallen, während er regelrecht gegen ihn schmilzt.

Und schon wird aus dem Hauch eines Kusses etwas mehr. Sehr viel mehr.

Gierig schlingt Mao seine Arme um Urushiharas schmale Taille und dreht seinen Kopf dann etwas, um ihn noch besser küssen zu können, denn diese blöde Skibrille ist im Weg.

Er beendet den Kuß aber wieder, als er das leichte Rasseln in Urushiharas Atem hört und schließt ihn dann – quasi als Entschädigung - besonders fest in seine Arme.

Urushihara weiß nicht, ob es an Maos Nähe oder diesem Kuss liegt, aber er fühlt sich leicht schwindelig und läßt sich nur allzu dankbar gegen ihn sinken. Es tut unheimlich gut, sich in dieses Gefühl der Wärme fallen zu lassen und so schmiegt er seine Wange fest gegen Maos Schulter und zieht seinen Geruch tief ein, bis auch der letzte Hauch von kalter, frischer Bergluft aus seinen Nüstern verschwunden ist und nur noch Maos warmer Duft nach seinem Vanille-Deo übrigbleibt.

Eine helle, klare Stimme reißt sie beide aus ihrem kleinen Kokon.

„Papa! Lucifer!" ruft Alas-Ramus laut zu ihnen hinüber. „Kommt endlich!"

Beim Klang ihrer Stimme zuckt Mao schuldbewußt zusammen.

Chiho!

Hastig dreht er sich um und wird sich noch im gleichen Moment bewußt, dass er ihr den Rücken zuwendet, sie also den Kuß (hoffentlich) gar nicht gesehen hat.

Die Art, wie sie ihm genauso übermütig wie Alas-Ramus zuwinkt, bestätigt das.

Mao kann ein erleichtertes Aufatmen nicht unterdrücken.

Ich muss wirklich dringend mit ihr reden, bevor sie uns in flagranti ertappt.

Automatisch hebt er die Hand und winkt zurück.

„Papa!“ drängelt Alas. Sie sitzt schon startbereit auf ihrem Schlitten und neben ihr stehen Chiho und Emi. Emis finstere Miene verrät Mao, dass sie vielleicht nicht gesehen hat, wie er Urushihara küsste, aber durchaus entsprechende Schlüsse zog.

„Wir sind gleich bei dir, Alas-chan!" ruft Urushihara zurück.

„Jakobu", auffordernd ergreift er Maos Oberarm. „Na los doch, bring mich zu unserem kleinen Sonnenschein."

Diese Bitte erfüllt ihm Mao nur allzu gern.

 

 

„Huuui!“

Mao jauchzt mit Alas-Ramus um die Wette, als sie auf dem Holzschlitten den Hügel hinuntersausen.

„Das macht total Spaß, nicht wahr, Lucifer?“ fragt er seinen General, als sie unten angekommen sind.

Er läßt ihn los, steigt ab und läßt sich von Alas-Ramus dann das Seil geben, um sie und Urushihara auf dem Schlitten dann wieder den Hügel hinaufzuziehen, so, wie er es die letzten zehn Mal getan hat. Er wartet Urushiharas Antwort gar nicht ab, ist er doch davon überzeugt, dass dieser mindestens genauso viel Spaß hat wie Alas-Ramus und er.

Er irrt sich gewaltig. Urushihara steht Todesängste aus, auch, wenn er sich das nicht anmerken lässt.

Auch jetzt nickt er nur stumm und hält sich dann mit einer Hand krampfhaft am Schlitten fest, während er seinen anderen Arm um Alas-Ramus vor sich schlingt, um nicht nach hinten zu kippen, als der Schlitten einen Ruck nach vorne macht. Den Hügel hinauf.

Diesen Teil hasst er ganz besonders: durch die Schräglage hat er immer das Gefühl, nach hinten zu kippen. Er würde gerne absteigen, aber Mao lässt ihn nicht dabei helfen, den Schlitten zu ziehen. Das sei zu anstrengend. Und Alas will auch, dass er bei ihr sitzen bleibt, damit sie ihren Ziehvater gemeinsam mit „Hüh, Pferdchen, hüh“ anfeuern können.

Er will ihr nicht den Spaß verderben, also spielt er mit. Doch in seinem inneren ist er ein nervöses Wrack.

Er sitzt auf einem Holzschlitten, den er nicht steuern kann, von dem er nicht einmal sieht, wohin er fährt. Jedes Mal, wenn das Holz unter ihm ein Knacken von sich gibt, überspringt sein Herz einen Schlag, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzurasen.

Er ist auf Gedeih und Verderb Mao ausgeliefert und das macht ihm furchtbare Angst. Es liegt nicht an Mao, wenn es irgend ein anderer wäre, ginge es ihm genauso – gut, bei Emi wäre es noch schlimmer, da würde ein Herzinfarkt den nächsten jagen. Wahrscheinlich wäre er nur bei Chiho weniger ängstlich, aber ganz bestimmt nicht ruhiger.

Anderen zu vertrauen fiel ihm niemals leicht, aber anderen in einer völlig fremden Umgebung, in einer völlig unbekannten Situation zu vertrauen ohne dabei ihre Gesichter und ihr Mienenspiel sehen zu können ist für ihn eine Herausforderung, die er noch nicht meistern kann.

Auch wenn Mao ihm von hinten die Arme um die Taille legt und er seinen soliden Körper im Rücken spürt, verschwindet diese Unsicherheit nicht. Vor ihm sitzt Alas-Ramus und es ist seine Aufgabe, sie festzuhalten, damit sie nicht vom Schlitten fällt und Urushihara versucht, sie nicht allzu fest zu drücken, denn nur weil er hier vor Angst vergeht, muss er ihr nicht die Stimmung verderben, auch, wenn ihm der Angstschweiß schon m Strömen über den Rücken rinnt.

Am Schlimmsten ist die Abfahrt, wenn sie den Hang hinunter sausen, wenn der Schlitten über eine Unebenheit springt oder die Kufen an einer vereisten Stelle ausrutschen, wenn Alas dann laut schreit und er im ersten Moment nicht weiß: ist das Freude oder Furcht? (Es ist immer Freude). Dann vergeht er jedes Mal vor Angst. Einer Angst, die er sich nicht anmerken lassen darf. Deshalb lacht er mit und spielt allen etwas vor.

Bei der nächsten wilden Abfahrt gibt es einen Stoß, weil Emi und Chiho mit ihrem Schlitten in sie hineinkrachen, und diesmal passiert es: sie kippen um.

Plötzlich liegt er im Schnee. Er hört sie alle lachen, und am lautesten lacht Alas-Ramus und ein Teil von ihm ist beruhigt: der Kleinen geht es gut.

Sein Instinkt schreit ihm zu, dass es gefährlich ist, liegenzubleiben, also rappelt er sich schnell wieder auf, aber irgend etwas ist seltsam. Er fühlt sich merkwürdig abgetrennt von seinem Körper. Er spürt, wie er wieder aufrecht steht, er spürt den Schnee, in dem er steht und auch wie etwas von dem Schnee in seinen Kragen rutscht, aber der größte Teil von ihm ist wieder zurück in diesen hoffnungslosen, einsamen Stunden im Schneetreiben.

Ihm stockt der Atem. Zischend zieht er die Luft durch die Zähne und beginnt gleichzeitig am ganzen Körper zu zittern. Sein Herzschlag dröhnt ihm plötzlich wieder so laut in den Ohren, dass er gar nichts anderes mehr wahrnimmt. Er spürt ihn sogar bis in seine Fingerspitzen hinein.

„Mylord!“ wie durch dicke Watte dringt Ashiyas aufgebrachte Stimme an sein Ohr.

Da sind Hände, die ihn an den Schultern packen und helfen, aufrecht stehen zu bleiben, den Schnee von seiner Kleidung klopfen und dann die Nässe aus seinem Gesicht wischen.

„Ihr solltet euch wirklich schämen! Ihr alle drei!“

„Oh, Ashiya“, lacht Mao vergnügt, „nun mach nicht so ein Drama daraus. Es ist doch nichts passiert. Wir haben einfach nur Spaß!“

„Ich habe alles ganz genau gesehen. Emilia und Chiho, wie könnt ihr nur so verantwortungslos sein? Bei so einem Zusammenstoß hätte sonst etwas passieren können! Auch Alas-chan hätte sich verletzen können!“

„Ashiya, du Spaßbremse“, Emi klingt alles andere als schuldbewusst. „So etwas gehört zu einer Rodelpartie dazu. Alas-chan und Mao sind gestern fast ständig vom Schlitten gefallen.“

Ashiya sagt einen Herzschlag lang nichts und mustert Urushiharas Gesicht nur eindringlich.

„Ich bin gekommen, um Urushihara zu holen. Eine Stunde, hatte ich gesagt. Die Stunde ist um. Komm mit.“ Er nimmt den immer noch wie betäubt dastehenden Erzengel an die Hand. „Es wird Zeit, dass du ins Warme kommst. Außerdem brauche ich Hilfe bei der Zubereitung des Mittagessens.“

Widerspruchslos läßt sich Urushihara mitziehen. Hinter ihm verklingen die enttäuschten Stimmen von Mao und Alas-Ramus, untermalt von Chihos und Emis freundlichen Abschiedsgrüßen, aber für ihn ist Ashiyas fester Griff nur wie eine Rettungsleine in seine bevorzugte Realität, an der er sich erleichtert festklammert.

 

 



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