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Mein ist die Dunkelheit

von

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IV. Kapitel

 

 

Alas-Ramus sitzt vor der geschlossenen Haustür, umklammert fest ihr Lieblingskuscheltier – Okto, einen selbstgestrickten Oktopus - und wartet. Sie läßt den Türknauf keine Sekunde aus den Augen und blinzelt kaum. Sie will den Augenblick, in dem er sich dreht und sich die Tür öffnet auf keinen Fall verpassen.

Sie würde gerne hinaus gehen und ihm entgegengehen, aber es ist dunkel draußen und Ashiya, der kluge Ashiya, auf den sie laut Lucifer immer hören sollte, sagte, dass Lucifer es bestimmt nicht gerne sähe, wenn sie wegen ihm hinaus in die Dunkelheit geht, weil kleine Kinder draußen nichts zu suchen haben, wenn es Nacht wird.

Und Alas-Ramus will nicht, dass Lucifer von ihr enttäuscht ist, also gehorcht sie.

„Alas“, hört sie Emis Stimme hinter sich. „Komm jetzt. Es ist Schlafenszeit.“

Alas-Ramus dreht nicht einmal den Kopf.

Alas-Ramus!

Wütend stemmt Emi die Fäuste in die Hüften, während ihr allmählich die Röte ins Gesicht steigt. In Gedanken verflucht sie diesen Nichtsnutz Urushihara ins dunkelste, schwärzeste Loch, das es gibt. Sie kann sich weiß Gott nicht vorstellen, wieso ihre Ziehtochter solch einen Narren an dieser kleinen Pest gefressen hat und sie hat wahrlich versucht, die Kleine von ihm fernzuhalten, aber selbst, wenn er nicht da ist, ruiniert er alles.

Mao erkennt die verräterischen Anzeichen von Emis aufbrausendem Temperament, erhebt sich von der gemütlichen Couch, auf der er mit Chiho und Ashiya gesessen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben hat und geht langsam zu Alas-Ramus hinüber. Ehrlich gesagt, findet er es rührend, wie sie dort auf seinen General wartet und verspürt so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht so viele Sorgen macht wie sie und einfach nur die Ruhe genießt.

Ohne Urushihara gibt es in ihrer kleinen Gruppe viel weniger Streit. Natürlich ist er sich dessen bewusst, dass der meiste Ärger von Emi ausgeht, weil sie Urushihara ganz einfach nur hasst für all das, was er auf Ente Isla getan hat. Aber wegen Alas-Ramus weist er lieber seinen General in die Schranken als die Heldin.

Außerdem ist er selbst aus der Schusslinie, wenn Emi Urushihara als Blitzableiter benutzt.

„Alas.-chan.“ Mao geht neben ihr in die Hocke und streichelt ihr über das silberne, lange Haar. „Komm, es wird Zeit, dir die Zähne zu putzen. Und morgen früh, wenn du aufwachst, ist Lucifer da.“

„Papa?“

„Ja, Alas-chan?“

„Warum seid ihr immer so gemein zu Lucifer?“

Diese Frage versetzt ihm einen regelrechten Stich. „Aber Alas-chan, wir sind doch nicht gemein zu ihm. Er stellt nur immer etwas an, verstehst du? Und wenn man etwas anstellt, muss man die Konsequenzen dafür tragen. Lucifer ist groß, er versteht das.“

Nervös leckt er sich über die Lippen. Er flunkert seine Ziehtochter nicht gerne an.

Alas-Ramus nickt einmal und legt dann fragend den Kopf schief.

„Wirfst du mich auch aus dem Auto, so wie Mama Lucifer?“

Entsetzt schnappt er nach Luft.

„Was? Nein, natürlich nicht. Niemals!

„Warum nicht?“

„Nun, weil ich dich lieb habe.“

„Auch, wenn ich etwas Schlimmes angestellt habe? Hast du mich dann auch noch lieb?“

„Ja, natürlich, Alas-chan.“

Sie schweigt einen Moment.

„Wär ich da draußen ganz alleine, würdest du dir Sorgen machen?“

„Ja, natürlich, Alas-chan. Aber Lucifer ist erwachsen. Du bist noch ein Kind. Das ist etwas anderes, verstehst du das?“

Sie verzieht das Gesicht zu ihrer – wie Chiho es immer nennt - niedlichen Denk-Schnute und starrt einen Moment lang einfach nur vor sich hin. Dann nickt sie einmal und steht auf.

Erleichtert, dass sie endlich Vernunft annimmt, erhebt sich Mao und greift nach ihrer Hand, um sie ins Badezimmer zu bringen. Doch zu seiner großen Überraschung schlägt sie seine Hand beiseite und weicht von ihm zurück.

„Ich verstehe, dass Lucifer uns braucht und ihr ihn nicht lieb habt“, erklärt sie in einem unerwartet erwachsenem Tonfall. Ihre nächsten Worte versetzen ihm einen Stich mitten ins Herz:

„Niemand von euch hat Lucifer lieb. Nur ich.“

Entschlossen ballt sie die kleinen Händchen zu Fäusten und geht hinüber zur Garderobe.

„Ich geh ihn jetzt suchen.“

Sie hat sich schon den ersten Stiefel angezogen und greift gerade nach dem zweiten, bis sich die anderen von ihrer Überraschung erholen. Mao ist der erste, der aus seiner Erstarrung erwacht. Außerdem ist er ihr am nächsten. Mit einem einzigen großen Schritt ist er bei ihr. Er widersteht seinem ersten Impuls, sie einfach auf seine Arme zu nehmen und sinkt stattdessen wieder neben ihr in die Hocke.

Er versucht, sich seinen inneren Tumult nicht anmerken zu lassen und spricht daher betont ruhig und sanft.

„Hör zu, Alas-chan; ich verspreche dir hoch und heilig, wenn er morgen nicht da ist, gehen wir ihn suchen.“

„Du lügst.“

Er zuckt kurz zusammen. Nie hätte er gedacht, dass Worte derart schmerzen können.

„Wann habe ich dich je belogen?“

„Du hast gesagt, er kommt, wenn ich meine Kuscheltiere auspacke.“

„Ja, das stimmt.“, gibt er betreten zu. „Aber weißt du, das kann man nicht lügen nennen, denn als ich das gesagt habe, war ich fest davon überzeugt, dass es die Wahrheit ist.“

„Alas, es schneit.“ Plötzlich steht Emi neben ihnen. Sie versucht, ruhig und sachlich zu klingen, doch es gelingt ihr nicht ganz, ihrer Stimme die Schärfe zu nehmen. „Und es ist dunkel draußen. Wenn wir ihn jetzt suchen, verirren wir uns nur selbst. Und du willst doch bestimmt nicht, dass einer von deinen Freunden verloren geht, oder?“

Alas-Ramus wirft ihr einen hitzigen Blick zu.

„Lucifer ist auch mein Freund! Ich hab ihn lieb!“

„Ja, natürlich hast du das, Alas-chan“, besänftigt Mao sie rasch. „Und weißt du was? Ich habe eine tolle Idee: wir stellen eine Kerze auf dein Fensterbrett, die leuchtet ganz weit und so findet uns Lucifer ganz bestimmt.“

Alas-Ramus starrt ihn an, als habe er den Verstand verloren.

„Papa, das ist Quatsch. Er wird die Kerze nicht sehen.“

„Doch, Alas-chan, ganz bestimmt.“

„Nein, Papa. Keine Kerze.“ Sie zieht wieder ihre Denk-Schnute und nach einer Sekunde des Grübelns hat sie die rettende Idee. Sie streift sich ihr Bettelarmband vom Handgelenk und reicht es Mao. „Papa, kannst du das bitte draußen aufhängen? Es klimpert. Lucifer sagt, er hört es immer und weiß daran, dass ich vor der Tür stehe. So findet er den Weg.“

Er findet seine Idee mit der Kerze zwar viel besser, doch er hütet sich, ihr zu widersprechen. Er ist nur froh, dass sie sich den Stiefel wieder auszieht und freiwillig mit ihm und Emi Zähneputzen geht.

 

 

„Hiiiiillllfeeee!“

Urushihara schreit so laut er kann, aber seine Stimme ist schwach und bricht bei der letzten Silbe immer wieder weg und dann muss er husten und das schmerzt in seiner Kehle. Der Wind ist kalt und schneidend und jeder Atemzug fühlt sich an, als würde er eisige Nägel einatmen. Anhand der Kälte schätzt er, dass die Sonne endgültig untergegangen ist und es war dieser Gedanke, nein, das Wissen, allein, blind und völlig hilflos im nächtlichen Wald herumzustolpern, das ihn jeden Rest von Stolz von Bord werfen ließ. Er fing an, um Hilfe zu rufen.

So lange, bis seine Stimmbänder versagten.

Es ist ein letzter, verzweifelter Akt.

Irgend jemand muss ihn doch hören, oder?

Er ist hier schließlich immer noch in der Zivilisation und nicht irgendwo auf dem Mount Everest. Auch wenn es sich so anfühlt.

Vermissen sie mich denn nicht?

„Mao! Ashiya!“ Er würde ihre Namen gerne rufen, aber mehr als ein heiseres Krächzen bringt er jetzt nicht mehr zustande. „Wo seid ihr? Bitte...“

Plötzlich, von einem Moment zum anderen, geben seine Knie unter ihm nach und er sinkt in den Schnee wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hat.

„Bitte“, seine Stimme ist nur noch ein ersticktes Schluchzen, und ohne daß er es bemerkt, fällt er in die Mundart der Dämonen zurück. „Rettet mich.“

„Wieso sollten sie?“ ertönt plötzlich Emis schneidende Stimme direkt vor ihm in derselben Sprache.

Ruckartig hebt Urushihara den Kopf und versucht instinktiv, die Dunkelheit vor sich mit seinen Augen zu durchdringen, bis ihm wieder einfällt, dass er das ja gar nicht mehr kann.

„Du bist ihnen egal“, fährt die Heldin unbarmherzig fort. „Niemanden interessiert es, wie es dir geht. Ganz im Gegenteil: Sie sind froh, dich endlich los zu sein.“

„Menti te … mihi“, - du lügst - stößt er stockend in seiner Muttersprache hervor.

„Non sun vultus tu“, - Sie suchen dich nicht - „Niemand sucht dich.“ Ihre leise, kalte Stimme ist ganz nah, er kann ihren Atem spüren, wie er ihm eisig ins Gesicht weht.

Panisch kriecht er nach hinten, fort von ihr. Doch sie folgt ihm. Schon eine Sekunde später hört er ihr leises, gemeines Kichern direkt an seinem linken Ohr.

„Armer Lucifer. Armes kleines gefallenes Engelchen.“

Abil rem!“ -Hau ab!- Verzweifelt tritt er nach ihr, doch diesmal kommt ihr spöttisches Kichern von der anderen Seite.

Hastig weicht er zurück und prallt mit seinem Rücken an etwas Hartes. Über ihm ächzt und knarrt es und dann spürt er, wie etwas neben ihm zu Boden fällt. Es streift seine Schulter. Erschrocken japst er auf, doch dann ertasten seine wild umherfliegenden Hände nassen Schnee und rauhe Rinde und er atmet erleichtert auf. Nein, kein Angreifer. Kein Feind. Das hier ist nur ein Baum, dessen stabile Sicherheit in seinem Rücken, ihm wieder etwas Mut macht. Und aus dessen Geäst eben eine riesige Portion Schnee gefallen ist.

„Emi?“ flüstert er, doch ihm antwortet nur Stille. Er lauscht angestrengt, doch da ist nichts. Als wäre sie nie dagewesen.

Oh, nur eine Halluzination.

Erleichtert zieht er die Knie an die Brust, umschlingt sie mit seinen Armen und macht sich so klein wie möglich.

 

 



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