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Wolfsherz

In den Augen des Tigers
von

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Der Wolf am Meer

Für einen Moment verharrte ich in dieser Position, spürte seinen Arm um meine Hüfte, damit ich nicht umfiel. In dieser stehengebliebenen Sekunde suchte ich seinen Blick, in seinen Augen sah ich die Überraschung, aber auch einen kleinen Triumpf. Seine Lippen waren weich, ich spürte das Make-Up. Was zum Henker tust du, Caiden Gresson? Um mich aus der Hypnose zu lösen, wandte ich den Blick ab und plötzlich fühlte es sich an, als würde die Zeit weitergehen. Auch mein Herzrasen brachte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Empört von mir selbst, stieß ich ihn von mir. Der Fotograf kommentierte es lachend: »Sehr guter Einsatz, Cai. Aber wir wollen den Zuschauern doch nicht schon auf den Plakaten alles vorwegnehmen.«

Auch der Rest der Crew fiel in das Lachen mit ein, aber mir gefiel das gar nicht. In diesem Moment wäre ich wirklich gerne von Aliens entführt worden. Ich entschuldigte mich auf Thai, verabschiedete mich dann in die Maske. Ich konnte doch nicht einfach weiter machen, als wäre nichts passiert! Ich musste mich erst beruhigen und ging nicht in die Maske, sondern in einen Abstellraum, den ich auf dem Weg gefunden hatte. Vielleicht war es kindisch von mir, aber wenn ich mich nicht beruhigte, würde ich niemandem unter die Augen treten können. Ich schaltete das Licht ein, blinzelte kurz. Meine Gesellschaft waren ein Wischmopp und ein Staubsauger. Während die einfach rumstanden und darauf warteten, dass sie arbeiten mussten, lehnte ich mich an die Tür und legte mein Gesicht in meine Hände. Einerseits konnte ich mir denken, dass die Leute aus dem Team genau so etwas sehen wollten, andererseits war ich überhaupt nicht bereit dafür. Lieferte ihnen aber direkt Steilvorlagen. Aber selbst, wenn sie mich nicht darum gebeten hatten, früher oder später würden sie es. Dass Seua ein Typ ist, war nicht mal mein grundsätzliches Problem, doch es erhöhte die Barriere in meinem Kopf, mich ihm auf eine bestimmte Art und Weise zu nähern. Er war nicht nur ein Typ, sondern prinzipiell auch ein Fremder! Diese Lockerheit mit der mit mir umging, konnte ich einfach nicht nachmachen. Doch damit dieses Projekt ein Erfolg wurde, musste ich genau diese Lockerheit bekommen und vor allem meine Hemmungen ablegen. Ich war mir auch sicher, dass ich das konnte. Irgendwann. Bestimmt. Ich hörte ein leises Klopfen, welches mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»N’Cai, alles okay bei dir?«, Seuas sonore Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Woher wusste er von diesem Raum? Er war relativ weit den Flur runter und auch die Tür war nicht sonderlich auffällig. Ich musste mich der Sache stellen, ewig konnte ich mich nicht verstecken. Seufzend drehte ich mich um, öffnete die Tür, wobei er sich sofort an mir vorbeischob und sie wieder schloss. In dem knapp zwei Meter großen Raum war schon kaum Platz für mich, geschweige denn für zwei Leute. Trotzdem zwang ich mich, mich in seine Richtung zu drehen. Besorgt sah er mich an, wiederholte seine Frage.

»Ja, passt schon. Es war mir nur peinlich«, tat ich es ab und zuckte zusammen, als Seua seine Hand gegen die Tür neben meinem Gesicht schlug.

»Wenn dich nur das gestört hat, können wir doch direkt weiter machen, wo wir aufgehört haben«, flüsterte er und seine Augen sahen auf meinen Mund. Auf gar keinen Fall! Als er mir noch näherkam, drückte ich ihn von mir weg.

»P’Seua! Was..?«

Lachend trat er einen Schritt zurück: »Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern, keine Sorge.«

Schmollend verschränkte ich die Arme: »Als wenn ich nicht schon verärgert genug bin. Ist das etwa deine Art, meine Grenzen zu testen?«

»Schon cool, wie manchmal doch der Wolf in dir durchkommt. Und ja, vielleicht gehört das dazu. Aber du bist nicht sauer, oder?«

Statt zu antworten, ließ ich ihn ein bisschen hängen. Ich war nicht sauer, ich wusste doch mittlerweile, dass es seine Art war. Trotzdem mochte ich es nicht, ständig von ihm eiskalt erwischt zu werden. Für einen kleinen Moment sah ich tatsächlich die Panik in seinen Augen. Enttäuscht ließ Seua die Schultern sinken und nahm mich in den Arm. Darauf war ich auch nicht vorbereitet! Ich spürte, wie er mich fest an ihn drückte, sein Gesicht ganz nah an meinem. Was auch immer ich gerade fühlte, Verärgerung war es jedenfalls nicht. »Es tut mir Leid«, flüsterte auf Thai in mein Ohr. Für einen Moment schloss ich die Augen, ließ dieses Gefühl auf mich wirken. Neben dem ganzen Chaos in meinem Kopf, erfasste mich eine Art Beruhigung. Ich fühlte mich sicher. Lange genug ließ ich es zu, dann meldete sich die Realität in meinem Kopf und ich drückte ihn von mir.

»Ich bin nicht sauer. Ganz ruhig. Woher wusstest du eigentlich, wo ich bin?« Seua stand immer noch relativ nah vor mir, sah sich um.

»In meiner Anfangszeit beim Sender hab‘ ich mich hier öfter versteckt, wenn es zu viel wurde. Es ist der einzige Raum auf dieser Etage, wo man seine Ruhe hat.«

Nur vor dir scheinbar nicht. Bei ihm konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er es nötig hatte, sich zu verstecken.

»Du musstest dich verstecken?«, ungläubig schüttelte ich den Kopf. Nachdenklich nickte er:

»Klar. Natürlich musste auch ich an mir arbeiten, um zu werden, wie ich bin. Am Anfang ging es mir ähnlich wie dir, N’Cai. Das ist uns nicht angeboren.«

Es war schön zu wissen, dass er dazu stehen konnte, nicht von Anfang an, perfekt gewesen zu sein. Doch langsam wurde mir die Luft in diesem winzigen Raum zu dünn und wer weiß, was er noch anstellen würde. Unauffällig ließ ich meinen Ellenbogen an der Tür heruntergleiten und sie schwang nach außen auf. Plötzlich standen wir wieder auf dem Flur.

»Lass‘ uns weiter machen, ich will die anderen nicht länger warten lassen.«
 

Zusammen gingen wir ins Studio zurück, dort lief Ray schon nervös auf und ab. Erst als er mich sah, zeichnete sich die Erleichterung auf seinem Gesicht ab.

»Cai, da bist du ja endlich!«, doch auch diesmal ging ich nicht darauf ein, weil wir das vorgeschriebene Zeitfenster schon längst überschritten hatten. Ich hoffe, Ray würde es verkraften, ihm war ich mittlerweile mehr schuldig als nur eine Entschuldigung. Seua und ich wurden noch einmal vom Make-Up-Team hergerichtet, dann nahmen wir die letzte Pose ein. Diesmal konnten wir das ohne Zwischenfälle beenden und kehrten zunächst zum Hotel für eine Pause zurück. Am Abend standen schließlich noch die Kennlernparty und das Campen am Strand an. Ray ging mit auf mein Zimmer, Seua in sein eigenes. Erschöpft ließ ich mich auf die Couch fallen, streifte die Tasche ab.

»Cai, ist alles okay?«

Ich sah ihn an, versuchte herauszufinden, was er dachte. Doch in seinem Blick spiegelte sich nur die Sorge.

»Ja, alles okay. Ich brauche nur ein bisschen Zeit.«

»Das ist auch alles kein Problem. Es wäre nur schön, wenn du in Zukunft nicht einfach so verschwinden würdest. Du weißt schon, dass ich als dein Manager ein gewisses Recht darauf habe, zu wissen, was du treibst?«, den Vorwurf konnte man deutlich raushören. Allerdings hatte er Recht. Ich war zwar nicht berühmt, schon gar nicht hier, aber wenn irgendetwas passieren würde, wäre er dafür verantwortlich.

»Es tut mir leid, wirklich. Aber du kennst mich doch«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. Es war nicht das erste Mal, dass ich ohne sein Wissen verschwand, manchmal fiel es mir eben schwer, Impulse zu kontrollieren. Mit einer Mappe in seiner Hand wedelnd, sagte er: »Allerdings. Nur Zuhause kenne ich deine Verstecke. Wir sind aber in Thailand, da kennen wir uns beide nicht aus. Du kannst froh sein, dass wenigstens Seua mir sagt, wo du bist.«

Seua eben. Er dachte an alles, wie ein echter Profi.

»Okay, ja. Ich versuche mich zu bessern. Bitte sei nicht so streng mit mir, Ray. Ich versuche doch auch nur klarzukommen.«

Versöhnlich lächelte er: »Ich weiß. Aber ich muss meine Position doch auch mal ausnutzen.«

Es stand außer Frage, dass Ray wusste, wie erschöpft ich war. Er war aber auch jemand, dem es keine Ruhe ließ, wenn nicht alles gesagt war.

»Krasser Stunt auf jeden Fall, Cai. Die Crew hat nicht schlecht gestaunt, dass du gleich so mutig bist«, sagte er grinsend. Nicht du auch noch! Ich verdrehte die Augen:

»Meine Güte, egal wie bescheuert es sich anhört, es war ein Unfall, okay?«

Demonstrativ drehte ich mich weg, hatte diese Peinlichkeit eigentlich schon längst wieder vergessen.

»Aber ein verdammt witziger Unfall. Hast du mit Seua darüber gesprochen? War er sauer?«

Wohl eher das Gegenteil.

»Ach, der doch nicht. Ich will gar nicht wissen, wie viele Typen der schon geküsst hat. Das ist doch völlig normal für ihn.«

»Na dann.«

Ich hörte, wie Ray seine Tasche öffnete: »Der Fotograf hat mir das gegeben und meinte, das ist für dich. Als Andenken.«

Ohne hinzusehen, streckte ich meine Hand aus und Ray legte etwas darauf, was sich wie Papier anfühlte. Ich nahm es an mich. Es war ein großer, weißer Umschlag, der verschlossen war. Ich öffnete ihn und zog zwei Fotos heraus. Auf dem einen konnte man sehen, wie Seua mir ins Ohr flüsterte und ich dementsprechend geschockt aussah. Das andere zeigte den Unfall. Witzigerweise hatte der Fotograf genau den Moment erwischt, in dem wir beide die Augen geschlossen hatten. Ray beugte sich über mich: »Die sind echt gut geworden. Kann man direkt als Autogrammkarten verkaufen.«

Genervt stieß ich ihn weg: »Bist du mein Manager oder ein Groupie?«

»Dein Manager.«

»Dann tu‘ mir den Gefallen und manage dich in dein Zimmer. Ich will noch ein bisschen schlafen. Du kannst mich kurz vor der Party wecken.«

Ray tat mir den Gefallen, da er genau wusste, wenn ich meinen Schlaf nicht bekam, würde ich unerträglich werden. Ich ließ die Fotos auf dem Tisch liegen und ging ins Bett.
 

Als ich ein paar Stunden später mit Ray am Strand ankam, begann es schon zu dämmern. Cast und Crew saßen schon an verschiedenen Camping-Tischen verteilt, die sie am Strand aufgestellt hatten. Um die Tische herum hatten sie Pfosten aufgestellt und diese mit Lichterketten geschmückt. Neben einem kleinen Häuschen, welches wie eine Imbissbude aussah, stand ein Schild, wo unser Cover aufgedruckt war. Ich fand, dass das Bild echt schön war. Sun, Moon und Dice konnte ich schnell in der Menge ausmachen. Da es trotz der Uhrzeit noch sehr warm war, waren alle in Shorts und T-Shirts unterwegs.

»P’Cai!«, winkte Sun oder Moon mich zu deren Tisch. Ray ließ ich stehen, wusste das das Team gerne möglichst immer den Cast zusammensetzte, damit man sich eben kennenlernte. Neben uns hatte sich die Kameracrew zusammengefunden. Ray setzte sich bei denen dazu, bei ihm war es nicht wichtig, wo er hingehörte. Auch Seua begrüßte mich, der wie selbstverständlich neben mir saß. Ich würde wohl nicht drumherum kommen, als Duo mit ihm hier die Zeit zu verbringen. #SeuaCai #NokWolf

Bevor wir aßen, trat P’Star vor uns mit einem Mikrofon: »Guten Abend an Cast, Crew und Team von »Wolfsherz«. Ich bin froh, dass ihr alle gekommen seid und hoffe, dass ihr den Abend für das Kennenlernen und natürlich auch für ein bisschen Entspannung nutzen könnt. Wir haben euch erst mal in eure Gruppen gesetzt, das heißt aber natürlich nicht, dass ihr nicht auch im Laufe des Abends mit anderen Leuten sprechen könnt. Je mehr ihr untereinander redet, desto besser. Wir haben extra für euch am Strand Hütten aufbauen lassen, damit sich niemand über den Rückweg Gedanken machen muss. Auf uns und dass »Wolfsherz« ein Erfolg wird!«

Er verkündete noch die Einteilung der Hütten, die mich keineswegs überraschte. Ich sag‘ ja, wir werden nur noch als Duo gehandelt. Wir applaudierten und es gab Essen. Es gab ein bisschen von allem, vor allem aber Reis, Gemüse und gebratenes Hühnchen. An unserem Tisch erzählte jeder ein bisschen von seinen Projekten, diesmal äußerte sich sogar Dice dazu. Ich glaube, ich habe ihn noch nie vorher so lange reden hören. Auf seinem Handy zeigte er uns sein vorheriges Drama, was wohl sehr bekannt war. Mit ihm in der Hauptrolle. Mir stellte sich dabei allerdings eine Frage: »Ich kenne die Serie nicht, aber werde sie mir auf jeden Fall ansehen. Darf ich fragen, warum du nach so einem Erfolg eine Nebenrolle angenommen hast?« Es war nicht unüblich, aber die wenigsten Schauspieler ließen sich gerne downgraden. Sein Blick fiel kurz auf Seua, dann sah er mich an: »Naja, ich denke man sollte sich allem widmen, was man bekommen kann. Es ist gut fürs Portfolio.«

Gut, das machte Sinn. Wir stießen auf gute Zusammenarbeit an und aßen endlich, ich war schon kurz vorm Verhungern.
 

Ein bisschen später spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter, hinter mir stand ein Typ mit braunen, lockigen Haaren und umgedrehter Basecap. Seine blauen Augen strahlten mich an.

»Ich wollte die Gelegenheit mal nutzen, mit dir zu quatschen, Cai. Ich bin übrigens Noah, einer der Leute, die beim Dreh für den Ton verantwortlich sein werden«, stellte er sich vor. Anhand seines Aussehens, seines Namen und seines Akzentes vermutete ich, dass er ebenfalls aus den USA kam.

»Freut mich, Noah. Du bist Amerikaner, oder?«

Er salutierte: »Jawohl! Deswegen dachte ich, ich quatsch‘ dich einfach mal an, weil es cool ist, jemanden aus der Heimat zu treffen.«

Noah setzte sich zu uns, ich erfuhr noch von ihm, dass er ursprünglich aus Florida stammte.

»Wie kommt man von Florida aus dazu, in Bangkok als Tonmann zu arbeiten?«, wollte ich wissen.

»Mein Vater ist Diplomat, daher kam ich früher viel rum und bin dann irgendwann hier hängengeblieben. Ich hab‘ hier auch die Uni abgeschlossen«, erzählte er und an dem Leuchten in seinen Augen konnte ich sehen, dass seine Faszination echt war.

»Krass. Also sprichst du auch Thai?«

Er hielt sich einen Finger vor den Mund: »Psst. Die meisten hier wissen das nicht. Ich kann gerne für dich übersetzen, falls die Leute hier wieder heimlich Thai reden.«

Ich behielt das im Hinterkopf, im Moment war es jedoch nicht nötig: »Okay, aber sie werden mir alles Wichtige schon auf Englisch sagen.«

Noah zuckte mit den Schultern: »Wie du meinst, P’Cai. Aber falls doch, weißt du an wen du dich wenden kannst.«
 

Im Laufe des Abends wurde mir immer wieder Alkohol angeboten, was ich jedoch freundlich ablehnte. Selbst wenn es eine Beleidigung sein sollte, ich hatte noch nie getrunken und würde es auch nie. Dass das oft auf Unverständnis stieß, war ich schon gewohnt. Zum Glück ließen sie ihre Angebote irgendwann sein. Dann wandte sich Pravat an mich. Er fragte, ob er kurz allein mit mir reden konnte. Schulterzuckend folgte ich ihm, konnte mir nicht vorstellen, was ausgerechnet er mir sagen wollte. Wir liefen am Strand entlang, wo das schwarz aussehende Wasser an unsere Füße schwappte. Dieses Setting war eigentlich viel zu romantisch, als mit P’Pravat rumzulaufen. Von ihm hatte ich heute Abend noch nicht viel gehört, dachte er wollte die Gelegenheit nutzen, mit mir zu reden. Wir waren schon recht weit weg von der Gruppe und die Umgebung wurde immer verschwommener. Zum Glück blieb er dann aber stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Ich will dich warnen, Cai.«

Die rauschenden Wellen und der sonst stille Strand ließen mich schaudern, vor allem mit dieser Aussage.

»Warnen? Wovor?«

Ich war ehrlich überrascht, konnte mir nichts vorstellen, was mir gefährlich werden könnte.

»Vor Seua. Du denkst vielleicht, dass er total nett ist und dir helfen wird. Das wird er auch, aber ich kenne ihn schon ein bisschen länger. Deswegen tätest du gut daran, ihm nicht einfach zu vertrauen.«

»Wieso nicht?«

Erst in diesem Moment drehte er sich um, doch da ich ohnehin kaum etwas sah, spielte sein Gesichtsausdruck für mich keine Rolle.

»Weil er nicht immer so nett ist. Er hat eine dunkle Seite und wenn man die einmal erlebt hat, denkt man, dass es nicht derselbe Mensch ist. Er wird nicht immer der nette, harmlose sein. Sein Name bedeutet nicht umsonst Tiger.«

Als ob ich das nicht schon selbst wüsste. Seua war nicht zimperlich, aber dass man mich deswegen warnen sollte, fand ich übertrieben.

»Danke für die Warnung, P’Pravat. Aber ich mache mir lieber mein eigenes Bild«, sagte ich und wollte umdrehen.

»Gut, du musst mich nicht ernst nehmen. Aber du wirst schon noch sehen, was ich meine. Das was er jetzt macht, ist nur der Anfang.«

Ich winkte ab, ließ Pravat in den schwarzen Wellen zurück. Es war schwer genug für mich, in der Dunkelheit allein zurückzulaufen, ich musste mich sehr auf die Lichter konzentrieren. Als ich endlich wieder da war, wechselte Seua sofort auf Englisch. Sie unterhielten sich über die Charaktere in der Serie. Ursprünglich hoffte ich, auch mit Seua reden zu können, doch da ständig andere Leute mit mir reden wollten, kam das nicht zustande.
 

Später ging ich schon mal vor zur Hütte. Sie war ein bisschen luxuriöser als ein Zelt, aber im Grunde nur eine einfache Holzhütte mit zwei Schlafsäcken und einer kleinen Lampe. Direkt am Meer zu schlafen, stellte ich mir ziemlich aufregend vor, es war auch das erste Mal für mich. Ich legte meine Sachen in der Hütte ab, dann schnappte ich mir das Drehbuch und mein Handy, ging mit eingeschalteter Taschenlampe runter zum Meer. Es war zwar schon spät, aber ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, bei dieser Atmosphäre ein paar Zeilen zu üben. Einen selbstbewussten Charakter wie Wolf zu spielen, musste ich erst einmal hinbekommen.
 

»Dein Name bedeutet »Vogel«, oder? Wenn du wirklich fliegen könntest, was würdest du dann tun?«

»Dann würde ich mich freuen, weil ich nicht mehr mit Menschen reden müsste.«
 

Moment mal..also mit einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. Seua war da, trug seine Tasche über der Schulter. Ich hörte, wie die Tasche in den Sand fiel und versuchte, in der Rolle zu bleiben.
 

»Nok! Andere würden sagen, sie wollen weit wegfliegen, um alles zu erkunden«, erwiderte ich lachend. Er schüttelte den Kopf.

»Ich aber nicht. Das heute war schon viel zu viel. Ich bin froh, wenn ich auf meinem Zimmer bin und meine Ruhe habe«, sagte er, wobei seine Stimme immer leiser wurde. Ich grinste ihn an: »Dafür ist es zu spät. Dann hättest du mich nicht treffen dürfen.«

Freundschaftlich legte ich ihm einen Arm um die Schulter, deutete auf das Meer: »Schau‘ dich um! Da draußen ist noch so viel, was wir machen können! Ich werde schon dafür sorgen, dass du irgendwann fliegen kannst.« Vorsichtig sah er mich an: »Ich hoffe es.«
 

Für einen Moment verharrten wir in dieser Position, dann löste ich mich und ließ das Drehbuch sinken. Wir starrten für eine Weile einfach aufs Meer. Es war mittlerweile stockfinster, ich sah gar nichts mehr, wenn ich die Taschenlampe nicht hätte. Seua nahm mir das Handy und das Drehbuch aus der Hand, steckte die Sachen in seine Tasche und brachte diese zur Hütte. Als er wiederkam, zog er sich sein Shirt aus und ging ins Wasser.

»Traust du dich?«, rief er.

Ohne das Licht von meinem Handy fiel es mir schwer, mich zu orientieren. Ich konnte gerade noch so den Unterschied zwischen Strand und Wasser ausmachen. Es war sehr warm, aber ich musste ehrlich sein.

»Ich würde gerne, aber ich sehe nichts, P’Seua!«, rief ich zurück. Seua kam zurück, stand wieder vor mir. Jeder andere würde sich vermutlich in dieser Situation nichts dabei denken, weil es normal war, in der Dunkelheit nichts zu sehen. Doch Seua legte mir eine Hand auf die Schulter: »Hat das damit zu tun, dass du das Blitzlicht heute nicht vertragen hast?«

»Ja. Ich bin nachtblind. Das heißt nicht nur, dass ich im Dunkeln wenig, bis nichts sehe, sondern auch, dass ich mit allem, was flackert und blitzt nicht gut klarkomme. Alles eben, wo sich die Lichtverhältnisse schnell ändern«, erklärte ich. Grundsätzlich war das bisher nicht wirklich ein Problem gewesen und es machte mir auch nichts aus, darüber zu reden. Nur für einen Wolf war das leider keine Glanzleistung.

»Dann lass‘ mich für diesen Moment deine Augen sein, N’Cai.«

Er nahm meine Hand: »Vertraust du mir?« Ich ließ mich darauf ein, hatte keine andere Wahl. Selbst die Lichter vom Strand waren zu weit weg für mich. An seiner Hand lief ich mit ihm ins Meer. Das Wasser war lauwarm, trotzdem kühlte es mich ab. Seua ließ sich fallen, zog mich mit. Wir saßen dort im Wasser wo es seicht genug war, aber schon so hoch, dass es uns fast bis zum Hals stand. Es war angenehm, vom Wasser umgeben zu sein. Seua hatte meine Hand nicht für eine Sekunde losgelassen. Wirklich sehen konnte ich ihn nicht, aber es war gut zu wissen, dass er da war. Er räusperte sich.

»Pravat hat dir aber keine Scheiße über mich erzählt, oder?«, wollte er wissen. Diese Begegnung war schon fast wieder aus meinem Kopf verschwunden. Vermutlich sollte Seua das besser nicht wissen. Ihn nicht sehen zu können, half mir ein bisschen nicht nervös zu sein.

»Nein, ach. Er wollte nur reden«, sagte ich hastig, wollte das Thema schnell beenden. Es war natürlich auffällig, wenn dich jemand zur Seite nahm, dass hieß schließlich, dass die Person etwas mit dir besprechen musste, was sie vor den anderen nicht sagen konnte. Und Seua war nicht blöd genug, um mein Geschwafel zu glauben.

»Verarsch‘ mich nicht, Cai. Pravat ist niemand, der Leute einfach beiseite nimmt, um locker mit ihnen zu quatschen«, ich konnte die Verärgerung aus seiner Stimme raushören.

»Gut, er hat irgendwas davon gefaselt, dass du eine dunkle Seite hast oder so«, je schneller ich das hinter mich brachte, desto besser. Seua seufzte: »Sowas in die Richtung habe ich mir gedacht. Und was machst du jetzt damit?«

»Was ich damit mache? Gar nichts, P’Seua. Ich halte nichts davon, wenn mir Leute, was über andere Leute erzählen. Erstens kenne ich eure Vorgeschichte nicht, also weiß ich auch nicht, warum er das macht oder ob es stimmt. Zweitens hat jeder eine andere Wahrnehmung, ich verlasse mich lieber darauf, was ich selbst höre und sehe.«

»Danke, Cai. Das rechne ich dir wirklich hoch an.«

Eine Weile saßen wir noch im Wasser, doch langsam wurde es ein bisschen frisch. Seua schien das auch so zu gehen, denn er zog mich an meiner Hand hoch. Sanft, aber bestimmend zog er mich in Richtung Strand. Wir holten unsere Sachen, ich zog mich draußen um und ging dann zu ihm in die Hütte.
 

Seua lag schon in seinem Schlafsack, er schaute irgendetwas auf seinem Handy mit Kopfhören. Da er auf der Seite lag, bemerkte er mich nicht einmal und ich musste zugeben, dass ich ein bisschen enttäuscht war, weil ich gerne mehr mit ihm geredet hätte. Andererseits war er, nicht so wie ich, ziemlich bekannt und vermutlich einfach froh, wenn er mal ein paar Minuten seine Ruhe hatte. Ich kletterte ebenfalls ich meinen Schlafsack, versuchte einen Blick auf sein Handy zu erhaschen. Was er sich wohl ansah? Neugier war ein Laster von mir, welches ich nur schwer ablegen konnte. Ich robbte näher zu ihm, konnte aber nur seinen Nacken und die schwarzen Haare sehen. Ich war schon immer neidisch auf dieses schwarz gewesen, das war nichts, was man künstlich herstellen könnte. Plötzlich drehte er sich in meine Richtung. Unsere Gesichter waren so nah beieinander, dass ich seinen Atem spüren konnte. Grinsend biss er sich auf die Lippe, ich musste schlucken.

»Wenn du mich überfallen willst, solltest du das schon etwas geschickter anstellen«, er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Als seine Finger meine Haut berührten, kribbelte es in meinem ganzen Körper.

»D-das will ich doch gar nicht! Ich wollte nur wissen, was du dir ansiehst«, gab ich kleinlaut zu, doch er rückte keinen Zentimeter von mir weg. Verdammt, Seua brauchte nicht mal ein Drehbuch dafür, um Boys Love zu erschaffen. Ich rückte weg, da hielt er mir einen Kopfhörer hin. Das Handy lehnte er gegen eine Holzstufe, sodass wir beide es sehen konnten, wenn wir auf dem Bauch lagen. Das, was er schaute, war eine thailändische Serie, Boys Love, natürlich.

»Guckst du das als Referenz, oder weil du es magst?«, fragte ich.

»Beides. Ich mag es aber auch, Leute bei der Arbeit zu sehen, die man vielleicht privat kennt, oder mit denen man zusammengearbeitet hat.«

Ich konnte mir vorstellen, dass es interessant ist, diese Leute dann vor der Kamera zu sehen. Während wir still die Folge sahen, in der – Gott sei Dank – nicht viel passierte, sah ich zu ihm rüber. Ich meine Seua flirtete offensichtlich ziemlich krass mit mir, aber das machte er nur, damit ich lockerer wurde. Weil ich das ohnehin im Drama umsetzen musste. Und ich war sicherlich nicht der Einzige, bei dem er das machte, oder…?



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