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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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‚Für die Sicherheit von jedem im Dorf…ist es mein Traum, Hokage zu werden.‘

 

Manchmal, mein Liebster, fühlt sich dieser Traum wie ein Albtraum an, dachte Tsunade, als sie auf die helle Bodhisattva Statue aus Lehm stierte, die auf einer Ecke ihres Schreibtisches stand. „Ich bin ein Feigling“, sagte sie. 

 

Leblos sah die Statue zurück…

 

Sie bot keinen Trost und auch keine widersprechenden Worte. 

 

Zweifel; das war der Teufel auf ihrer Schulter, der in ihr Ohr wisperte. 

 

Du hast Asuma verloren. Du hast den Tempel verloren. Du verlierst diesen Krieg.

 

Sie biss sich auf die Lippe, rollte sie zwischen ihre Zähne, bis die empfindliche Haut aufplatzte. 

 

Sie wollte die Augen schließen und wenn sie sie wieder öffnen würde, dann wollte sie, dass ihr toter Geliebter mit diesem sanften Halblächeln und schief gelegtem Kopf auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, das Haar weich wie Mondseide über eine Schulter fließend, diese weisen, grünen Augen erfüllt von Überzeugung, wenn er mit mehr Herz und Seele und Weisheit sprach, als es irgendeine religiöse Statue oder ein Ratsmitglied der spießigen Ältesten jemals erahnen könnten. 

 

Sie schloss die Augen. Öffnete sie wieder. 

 

Alles, was sie sah, war die Statue. Alles, was sie hörte, war Stille. Der Feuertempel hatte sie ihr gegeben. Handgefertigt und handbemalt. Ein kleines Symbol der Dankbarkeit. 

 

„Dankbarkeit“, wisperte sie verbittert, gepresst, während sich ihre Hände auf dem Tisch zu Fäusten ballten.

 

So schnell dabei, die Gräueltaten zu vergeben, die ihnen angetan worden waren. So viele Mönche waren gestorben, abgeschlachtet von Kakuzus und Hidans Händen…hinein geraten in das Kreuzfeuer des Kampfes zwischen Konoha und Akatsuki. Nicht viel anders, als es auch bei Kusagakure der Fall gewesen war; gefangen im Kreuzfeuer des Dritten Großen Krieges vor all diesen Jahren. 

 

Kusagakure.

 

Sie klammerte sich an diese Ablenkung, als ihre Augen den Bericht auf ihrem Schreibtisch überflogen. Die Mission wäre bald vorüber und das dadurch gewonnene Geld würde in einem Versuch an den Tempel gespendet werden, den Wiederaufbau zu unterstützen. 

 

Schon wieder starrte sie zu der Statue. 

 

Kami, sie hatte Hyūga Neji quasi den Kopf abgerissen, als er ihre Großzügigkeit angesprochen hatte, was sie wiederum nur an ihre Schuld erinnert hatte…dieses ausweidende Empfinden von Scheitern. 

 

Wie könnte Geld Leben aufwiegen?

 

Ganz sicher würde es Asuma nicht wieder zurückbringen; einen ihrer besten Jōnin; den Sohn ihres Senseis; Kurenais Geliebten; den Vater eines ungeborenen Kindes. 

 

Er hätte leben sollen.

 

Aber wenn man es so betrachtete – auch Dan hätte leben sollen. Ebenso wie Nawaki. Ebenso wie Hiruzen-sensei und Minato und all die Leute, die lange vor ihrer Zeit gegangen waren. 

 

Tz. Schau dich an. Du hältst dem Nara-Jungen eine Veteranenansprache über den Verlust von Menschen und jetzt sitzt du hier und schmollst wie ein rotznäsiger Genin. 

 

Leise schnaubend stellte sie sich den Geist ihres Geliebten auf dem leeren Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches vor und setzte ein schwaches, selbstironisches Schmunzeln auf, auch wenn Kummer an ihren Augenwinkeln zupfte. Dan hätte sie mit diesem schwachen Anspannen von Lippen und dem leichtesten Neigen seines Kopfes gescholten…und allein dadurch, sich diesen Ausdruck auf seinem Gesicht vorzustellen, war es nicht mehr schwer, den Geist seiner Worte wiederauferstehen zu lassen, die noch immer in ihr lebten. 

 

‚Es ist, weil wir in der Shinobiwelt leben, wo uns der Tod auf Schritt und Tritt verfolgt, dass ich auch mein Leben riskieren möchte, um diese vom Krieg heimgesuchte Welt überwinden zu können. Ich liebe mein Dorf und meine Kameraden. Und deswegen will ich sie beschützen.‘

 

Tief einatmend legte Tsunade diese Worte zurück in die tiefsten Kammern ihres Herzens und schob sich von dem Schreibtisch fort. Mit verschränkten Armen umrundete sie ihren Stuhl und lief die Reihe der offenen Fenster ihres Büros entlang, um auf das Dorf zu blicken, das darunter lag. 

 

Wie die Aufklappseiten eines Märchenbuches…

 

So viele Geschichten, so viele Charaktere, alle von ihnen darauf hoffend, dass ihr Hokage ihnen ein ‚Glücklich bis ans Lebensende‘ schreiben würde, wo Frieden und Wohlstand nicht einfach nur Metaphern und Vorspielungen waren. Während sie sich gegen die Wand lehnte, sah Tsunade zu, wie sich das Kapitel des frühen Morgens entfaltete und ihre Brust füllte sich mit einer wilden, mütterlichen Zuneigung, als sie beobachtete, wie sich die Knirpse auf den Weg zur Akademie machten. 

 

Iruka stand an der Tür und zählte sie. 

 

Wie viele dieser Kinder würden diese Türen eines Tages als vollwertige Genin verlassen? Wie viele würden lange genug leben, um es bereuen zu können? Oder vielleicht, nur vielleicht, würden manche von ihnen lange genug leben, um neu zu definieren, was es hieß, ein Ninja zu sein. 

 

Naruto…

 

Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. „Dieser Rotzlöffel…“

 

Ein Klopfen an der Tür schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Rasch strich sie sich mit den Händen über ihren grasgrünen Haori und zupfte am Revers, als wollte sie gleichermaßen ihre Stimmung ausbügeln, bevor sie sich wieder hinter ihrem Schreibtisch niederließ und nach ihrem unberührten Tee griff. „Herein.“

 

Die Bürotür öffnete sich und eine Gestalt füllte den Rahmen aus. 

 

Als sie den Blick hob, erstarrte Tsunades Hand über ihrer Teetasse und vollkommene Regungslosigkeit verriet den scharfen Ruck der Besorgnis, desie durchfuhr. „Mein Gott.“ Schlagartig erhob sie sich aus ihrem Stuhl. 

 

Kakashi hielt eine Hand nach oben, um sie aufzuhalten und lehnte sich schwer gegen den Türrahmen. „Mir geht’s gut.“

 

Auf halbem Weg um ihren Schreibtisch herum hielt Tsunade inne und ihre Tigeraugen flogen weit auf, als sie ihn beunruhigt von Kopf bis Fuß musterte. „Gut? Hast du dich mal im Spiegel angeschaut? Du siehst aus, als hättest du die Nacht bei V&F verbracht.“

 

Aus irgendeinem absurden Grund würgte Kakashi ein Lachen hervor und seine ungleichen Augen bogen sich in einer Miene, die viel zu qualerfüllt war, um überzeugend sein zu können. „Nah dran.“

 

„Wie bitte?“

 

Wimmernd humpelte er in den Raum. „Hokage-sama…dafür willst du dich wahrscheinlich lieber hinsetzen.“

 

„Rät mir das Hatake-Balg, während er auf meinem Boden zusammenbricht“, knurrte Tsunade und marschierte durch den Raum, um ihn am Arm zu packen. Er versteifte sich schmerzerfüllt, wodurch sie rasch ihren Griff lockerte, doch sie stützte ihn trotzdem bis zum Besucherstuhl, zog ihn zurück und befahl ihm, sich hinzusetzen, bevor sie ihre Finger aneinanderlegte, um das Zeichen zu formen, das Katsuyu heraufbeschwor. „Wir werden dich jetzt erstmal heilen und dann wirst du mir erzählen, was zur Hölle-“

 

Rasch fing Kakashi ihre Finger mit seiner linken Hand ein, rutschte vom Stuhl und ging auf ein Knie, bevor er tief den Kopf beugte, die rechte Faust gegen den Boden gepresst. „Vergib mir, Tsunade-sama“, raunte er. 

 

Völlig perplex wich Tsunade einen Schritt zurück, bis ihre Fersen gegen den Schreibtisch stießen. Ganz automatisch knickten ihre Knie ein, als sie sich mit auf der Kante abgestützten Händen auf dem Tisch niederließ und gleichermaßen geschockt und besorgt auf ihn hinunter starrte. „Dir vergeben?“, wisperte sie. „Kami, was denn?“

 

Angestrengt hob er ein Stück den Kopf, als würde ihm ein Mühlstein um den Hals hängen. Aber diese ungleichen Augen blieben nach unten gerichtet, seine Wimpern schwebten tief. „Dass ich mit dem, was ich dir sagen muss, nicht früher zu dir gekommen bis…und mit dem, was du wissen musst.“

 

Da sie inzwischen ernsthaft alarmiert war, krümmte Tsunade ihre Finger gegen die Handflächen, um sich davon abzuhalten, ihn zu berühren. Was sie noch mehr verstörte als die Tatsache, dass der lässige Kopierninja-no-Kakashi auf die Knie gegangen war, war die Tatsache, dass er nicht ihrem Blick begegnen konnte. „Kakashi…was musst du mir sagen? Was muss ich wissen?“

 

Lang und bebend holte Kakashi Luft – und dann hob er seine Augen. „Alles.“

 

~❃~

 

Die Nagu begrüßten sie mit gezogenen Waffen.

 

Nicht gerade der Empfang, den Neji erwartet hatte. 

 

Fassungslos blieb das Konoha Team abrupt in Nogusas palastartigem Innenhof stehen. Hinter ihnen schwangen die gigantischen Tore zu und die verzierten, schweren Riegel wurden sofort zugeschoben. Stirnrunzelnd zuckten Nejis weiße Augen zu den verschiedenen Torhäusern und Wachtürmen. Bogen- und Armbrustschützen standen in Reihen auf den Mauern und Wällen, Pfeile eingenockt und gespannt. Auf dem Boden überschwemmten Nagu-Schwertkämpfer und Speerträger den Hof, um die zurückkehrende Truppe einzukreisen, was die aneinander gefesselten Aikoku, das Konoha Team und Katsus Nagu mit einschloss. 

 

Was um alles in der Welt?

 

Die Konoha Gruppe scharte sich enger zusammen und tauschte dabei verdutzte Blicke aus – abgesehen natürlich von Kiba, der von diesem Kader aus Elitewächtern viel mehr berührt als beleidigt zu sein schien, das sich immer enger um sie schloss. Seine glasigen Augen schwangen hin und her. 

 

„Verdammt. Seht ihr, wie abartig diese Gruppenumarmung wird? Das is ja immens.“

 

„Kiba“, warnte Neji leise.

 

„Was für ein Heldenempfang, Mann. Da bleibt mir glatt die Luft weg.“

 

Ich werde gleich dafür sorgen, dass dir die Luft wegbleibt“, zischte Ino. „Sei still.“

 

Andächtig nickend umklammerte Kiba seine verwundete Schulter wie ein altgedienter Patriot, hob seine andere Faust und fing an, einen langsamen Siegeskreis zu drehen. 

 

Zornig funkelte Neji über seine Schulter. 

 

Weitere Anweisungen waren nicht nötig. Sofort setzten sich Naruto und Shino in Bewegung, um den Inuzuka mundtot zu machen, bevor er ein Ruhmeslied anstimmen, oder in Gelächter ausbrechen konnte. In einer ganz ähnlichen Anstrengung, irgendwelche unpassenden Ausbrüche zu verhindern, legte Sui ihre Hände auf Yakos Schultern, um den hüpfenden, fuchsgesichtigen Nagu davon abzuhalten, Kibas Gehabe nachzuahmen. Voll mit Opiaten oder nicht, jetzt war ganz sicher nicht die Zeit für Heiterkeit oder Emotionalität, oder für die wie auch immer geartete, hemmungslose Dämlichkeit, die Kiba offenbar ausdrücken wollte. 

 

Die Nagu hatten ihre Klingen nicht zum Spaß gezogen. 

 

Mit kühlen Augen musterte Neji diese Zurschaustellung von Feindseligkeit und ein instinktiver Funke wurde in seiner Magengegend geschlagen, der aber nicht wirklich Feuer fing. Energisch ignorierte er ihn und fragte gefasst: „Was soll das, Katsu?“

 

An der Spitze der ganzen Truppe stehend, blieb Katsus Miene vollkommen unverändert, als sein gelbgrünes Auge die Situation einschätzte. Mit Yukis Körper an sich gedrückt, machte er einen einzigen Schritt nach vorn und sprach eine Frau mit Speer in der Hand an. „Erklär mir diesen Aufzug, Chizuru.“

 

Die Nagu Frau, Chizuru, trat nach vorn und ihre Augen erstarrten, als sie sich auf Yuki richteten. Ein schmerzerfülltes Blinzeln und dann sah sie wieder nach oben zu Katsu, ihre Miene wurde regungslos. „Anweisungen von Nogusa-sama. Die Aikoku-Gefangenen werden in unsere Kerker überführt, um dort auf ihre Verhandlung zu warten und die Shinobi aus Konoha sollen wegen einer bevorstehenden Untersuchung durch die Nagu im Gästebereich festgesetzt werden.“ 

 

„WAS?“, platzte es aus Naruto heraus und er stürzte nach vorn. 

 

Rasch ließ Neji eine Hand nach hinten schnellen, um ihn aufzuhalten, während er ein Stück das Kinn hob. „Auf welcher Grundlage?“, fragte er, hielt seine Stimme ebenso ruhig wie sein Gesicht. Er war ein Epitom der Gefasstheit und das trotz des Schocks, der durch ihn schoss – zusammen mit diesen Funken in seiner Magengegend. 

 

Vermute niemals.

 

Chizuru sah kurz zu ihm und antwortete, richtete ihre Worte aber an Katsu. „Verletzung unseres Bündnisses, einschließlich Sabotageakten und Infiltration. Wir haben den Täter bereits in Gewahrsam.“

 

Nejis Atem stockte und die Funken in seiner Magengegend fingen Feuer. Klarheit flammte trotz des viel zu ruhigen Frostes auf seinem Gesicht grell und drängend hinter seinen Augen auf.

 

Er wusste es. 

 

Er wusste es, bevor Katsu verwirrt den Kopf zurückzog und fragte: „Was für ein Täter?“

 

„Shikamaru“, hauchte Neji.

 

~❃~

 

Die Kids. Die Kids. Die Kids.

 

Dieser Gedanke kehrte immer wieder in seinen Kopf zurück wie eine fehlerhafte Schallplatte, die zwischen Vor- und Rücklauf hin und her sprang. Shikamaru wusste, dass er vorwärts rannte, aber sein Verstand fiel zurück, sein Herz peitschte zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. 

 

Die Kids. Die Kids. Die Kids. 

 

Rannte er, um sie zu finden, oder rannte er, um sie zu vergessen?

 

Finde sie. Finde sie.

 

Lass mich vergessen“, flehte der Kleine. „Lass mich vergessen.“

 

Er konnte nicht vergessen. Er musste sich erinnern. Musste sich an den zerbrochenen Teilen in seinem Kopf festhalten, bevor sie zerbröckeln konnten…wie es der Boden unter seinen Füßen zu tun schien, als seine Beine einzuknicken drohten. 

 

Renn. Renn. Renn. 

 

Nicht schnell genug. Nicht weit genug. Denn Müdigkeit und Fieber holten auf, fingen Feuer. Aber das waren nicht die einzigen Dinge, die ihm nachjagten. Als er so durch das tropfende, smaragdgrüne Chaos von Kusagakures Dschungel hetzte, konnte Shikamaru spüren, wie die Finsternis wie ein Schatten an seiner Seite nach seinen Hacken schnappte. 

 

„Du kannst sie nicht retten. Du konntest ja nicht einmal dich selbst retten. Ich habe das gemacht.“

 

„Fick dich!“, knurrte Shikamaru, krachte durch schimmernde Sträuße von Farn und Laub, seine Haut in Flammen stehend und sein Blut wie Eis. Die Welt um ihn herum war in hunderte Grüntöne gehüllt, während er rannte, rannte, rannte. 

 

„Renn so viel du willst. Du bist zu spät.“

 

Das konnte er nicht akzeptieren. Würde es nicht akzeptieren. 

 

Er schüttelte heftig den Kopf und ließ funkelnde Schweißperlen fliegen. 

 

Er hatte bereits dieses kleine Mädchen in der Einrichtung verloren. Hatte gesehen, wie sie nach hinten in die Flammen gestürzt war…nur um gleich darauf zu vergessen, dass das jemals geschehen war. Gott, was für eine Art Monster war er, dass er sie vergessen hatte? Sie im Stich gelassen hatte. Er konnte das nicht auch noch den anderen antun. 

 

„Diese Kids zu retten wird die anderen nicht wieder zurückbringen. Besonders nicht die, die du-“

 

„SEI STILL!“, brüllte er, taumelte in einem Gewirr aus Lianen zu einem betrunkenen, schwindelnden Halt, schlug nach Ranken und Schlingpflanzen, als wären sie die Stimmbänder der Stimme, die in seinem Kopf wirbelte; sein Körper drehte einen wilden, blinden Kreis, als er um sich hieb und hackte und schrie wie ein Tier, das in einer Schlinge festsaß. „SEI STILL! SEI STILL! SEI STILL!“

 

Schmerz explodierte in seinem Schädel und der Druck ließ ihn beinahe die Besinnung verlieren.

 

Er ließ das Kunai fallen. 

 

Seine Beine knickten ein und mit dem Kopf in den Händen krümmte er sich über seine Knie. 

 

Gesichter füllten seinen Verstand, Stroboskopblitze aus Schnappschüssen in alten, zerbrochenen Rahmen. So viel zerbrochenes Glas rasselte in seinem Kopf, reflektierte die Gesichter dieser Kinder, die er im Tekisha Seizon dahinsiechend gefunden hatte und auch die Kinder, die er gezwungen war, zu – 

 

„NICHT!“, schrie der Kleine. „Bring mich nicht dazu, zurückzukehren.“

 

Er versuchte gar nicht, zurückzukehren. Er versuchte, vorwärts zu gehen, versuchte, die Schwärze zu bekämpfen, die sich immer weiter in seine Sicht kroch, versuchte, die Schatten zurück zu schubsen, die alles Licht stahlen. Er versuchte, es wieder gut zu machen, wusste aber nicht, wie zur Hölle er dafür sorgen konnte, dass der Kleine verstand…und jedes Mal, wenn versuchte, zu diesem Teil seiner Psyche zu sprechen, triggerte das die Panik, den Schmerz und einen Wirbelwind aus Phantomen, die in seinem Kopf heulten. 

 

„Weil der Kleine schwach ist. Voller Panik. Voller Angst. Genau wie du. Nicht wie ich. Ich fürchte das Monster im Dunkeln nicht.“

 

„Du BIST das Monster im Dunkeln“, krächzte Shikamaru gegen die lehmige Erde und ein tränenerstickter Schluckauf stockte in seiner Kehle. „Ich bin es…ich habe zugelassen, dass ich…ich habe zugelassen, dass du…

 

„Ja. Das Klügste, was du jemals getan hast. Dank mir hast du überlebt. Nenn mich, was verfickt nochmal du willst. Macht keinen Unterschied. Ohne mich kannst du dieses Endspiel nicht gewinnen.“

 

Endspiel…

 

Der Kleine brüllte. „ES IST VORBEI!“

 

Nur war es das nicht…oder doch?

 

Abscheu und Angst kamen wie eine Welle. Krampfhaft presste Shikamaru die Lider aufeinander und hob seine schmerzenden Arme, um die Ranken zu packen, die ihm ins Gesicht hingen und sie wie Seile um seine Handgelenke zu schlingen, als er darum kämpfte, sich irgendwie aufrecht zu halten…darum kämpfte, sich irgendwie zusammenzuhalten…

 

Steh auf…steh auf…

 

Das Fieber ließ ihn nicht. Sein Chakra stand in Flammen. Völlig außer Kontrolle. Er konnte spüren, wie er abrutschte…hinein rutschte in diese Risse, die sich endlich in seinem Kopf geöffnet hatten…aller Klebstoff war fort…denn Tenka war nicht länger da, um die Teile wieder zurück an Ort und Stelle zu zementieren…

 

„Buh-fucking-huhu. Tenka ist weg. Asuma ist weg. Ich hab’s dir gesagt. Ich bin alles, was du hast. Alles, was du jemals wirklich hattest. Wer verflucht nochmal sonst sollte schon deinen erbärmlichen Arsch retten? Wer verflucht nochmal sonst sollte dir nachjagen?“

 

Neji…

 

Benommen öffneten sich Shikamarus Augen und seine Fäuste verkrampften sich um die Ranken. 

 

Neji.

 

Ein Gedanke, der ihm Sicherheit gab. Ein geistig gesunder Gedanke. Er musste Neji finden. Musste ihm sagen, dass die Kinder, die sie in diesen Bestiengehegen gefunden hatten, wichtiger waren als die Chimären. Musste ihm sagen, dass die Shinjūmon Portale wichtiger waren als dieses oberflächliche Spiel wahnsinniger Wissenschaftler und verrückter Patrioten…

 

Musste ihm sagen, dass die Aikoku und die Chimären nichts weiter waren als Masken…

 

Masken, die das wahre Gesicht dieser Mission verbargen…

 

Das wahre Gesicht des Monsters…

 

In einem Knurren biss Shikamaru die Zähne zusammen und versuchte mit aller Kraft, sich auf die Füße zu rappeln. Er musste verfickt nochmal aufstehen. Musste verfickt nochmal aufstehen und – die Ranken um seine Handgelenke zogen sich straffer. 

 

Was zum...?

 

An dem Schmerz vorbei blinzelnd, der in seinem Kopf pulsierte, wurden Shikamarus Augen vor Schock rund, als er zusah, wie sich seine eigenen Schatten wie Fesseln um seine Arme legten. Sie bewegten sich mit einem Bewusstsein, dass sich jenseits seiner Kontrolle befand; jenseits seiner Befehlsgewalt. 

 

Sein Verstand war fassungslos, sein Körper bewegungsunfähig. 

 

Wenn er wegen des Fiebers, das sein Hirn zerfraß, halluzinierte, dann war das eine verdammt luzide Wahnvorstellung. 

 

„Die einzige Wahnvorstellung, die du hast, ist, dass du wirklich denkst, du hättest die Kontrolle. Die Regeln haben sich geändert, Freundchen. Ich habe dich bereits gewarnt, mir nicht in die Quere zu kommen. Das Endspiel ist nicht vorbei, bis ich sage, dass es vorbei ist.“

 

Blut brüllte in seinen Ohren und der rapide Schlag seines Herzens wurde von dem Schreien in seinem Kopf übertönt. Dem Schreien des Kleinen. Panik. Terror. Die Art, die die Luft in seiner Kehle und seinen Lungen zu tausenden Nadeln zerfetzte…

 

Er konnte nicht atmen…

 

Er war von seinem eigenen Jutsu paralysiert…

 

Besessen von seiner eigenen…was? 

 

Finsternis…?

 

Lachen; dunkel und tief in seinem Ohr; Schattenlippen an seiner Haut. „Die Hölle ist ein Paradies, wenn man selbst der Teufel ist, richtig? War das nicht das, was Temari gesagt hat? Nur dass sie nicht einmal einen Hauch von Ahnung von der Hölle hat, die wir durchlitten haben…die Hölle, aus der ich dich rausgeholt habe…ich denke, es ist höchste Zeit, dass du dich an diese Hölle und all ihre Dämonen erinnerst…“

 

„Nein…“, flehte der Kleine. „Nein…nein…NEIN!“

 

Doch…“, zischte die Finsternis, legte eine Schattenhand um Shikamarus Kehle, quetschte, quetschte, bis die Welt in Dunkelheit fiel. „Nur wirst du dich diesmal nicht einfach nur erinnern. Du wirst es noch einmal durchleben. Denn ob es dir gefällt oder nicht, damals WOLLETST du mich. Du hast mich gebraucht. Scheiße, du hast mich damals gebraucht und du brauchst mich auch JETZT.“

 

Jetzt begann zu entschwinden…begann, rückwärts zu fließen…Zeit und Realität wirbelten den Abfluss seines Unterbewusstseins hinab…

 

Der Kleine schrie weiter…wollte nicht dorthin gehen…

 

Aber Shikamaru konnte es nicht bekämpfen…konnte es nicht aufhalten…

 

Nicht das chakrainduzierte Fieber, das seine Kraft niedermachte…

 

Nicht die Verstand betäubende Furcht, die seinen Geist in die Vergangenheit zerrte…

 

Nicht die eiskalten, schwarzen Schattenfinger, die sich um seine Kehle schlossen…quetschten…quetschten…

 

~※~

 

Er konnte kaum atmen.

 

Und es lag nicht einfach nur an der Furcht, die sich in seiner Kehle verkeilte. 

 

Das dicke Eisenhalsband, das um seinen Nacken lag, machte es schwer, zu schlucken, zu sprechen und unmöglich, zu schreien. Gott, aber er wollte schreien, er wollte die tiefe und ominöse Stille zerschmettern, die sich gegen seinen Schädel presste und seine Ohren klingeln ließ. 

 

Oder vielleicht kommt das auch davon, eine über den Schädel gezogen bekommen zu haben, Idiot…

 

Auf der Seite zusammengerollt, war sein Gesicht teilweise von seinem offenen Haar bedeckt und Shikamaru klammerte sich an diesen auf sich selbst gerichteten Zorn, während er winzige Schlucke der Luft durch die Nase nahm und sich abmühte, trotz des pochenden Schmerzes in seinem Kopf zu denken. Blut war aus der Platzwunde gelaufen und hatte einen verkrusteten Pfad auf seinem Wangenknochen und unter seinem Auge zurück gelassen. 

 

Echsengesicht hatte ihn direkt an der Schläfe getroffen. 

 

Oder zumindest stellte er sich vor, dass es dieser schuppige Freak gewesen war. War sich ziemlich sicher. Aber nicht vollkommen gewiss. Seine Gedanken waren um die blutbefleckten Kanten herum noch immer verschwommen. 

 

Schock, dachte er sich. 

 

Sobald sein Hirn zurück aus dem Unterbewusstsein in ein seltsam dunkles und schmerzhaftes Erwachen gekrochen war, war die erste Erinnerung, die ihm sein Hirn zu Füßen geworfen hatte, die gequälten Gesichter gewesen, die ihn hinter rostigen, blutbesudelten Gitterstäben angestiert hatten. 

 

Tekisha Seizon…

 

Der Kerker hinter den Kulissen…die Hölle hinter den Kulissen…

 

Diese Kids…

 

Und dann kam die Erinnerung an ihr Schreien, ihr Rufen, ihr seelenzerschmetterndes Schluchzen…gefolgt von der Erinnerung an eine Stimme, die ihm einen schrecklicheren Schauder eingejagt hatte, als all diese Geräusche zusammengenommen. 

 

‚Ah, Shika. Das enttäuscht mich wirklich.‘

 

Shuken…

 

Dämlicher Weise und völlig unter Schock stehend lachte er auf…ein Klang, das die gnadenlose Metallmanschette dazu brachte, sich enger um seine Kehle zu legen. Oder vielleicht kam diese Enge auch von den Emotionen, die sich Bahn zu brechen drohten. 

 

Vielleicht war es gar nicht Shuken…

 

Vielleicht lag Shikamaru total falsch. Außerdem war er im Tekisha Seizon halb von dem grellen Scheinwerferlicht geblendet gewesen. Er hatte nur eine vage Silhouette vor einem blutroten Heiligenschein gesehen. Hätte jeder sein können. 

 

Wem zur Hölle willst du eigentlich was vormachen?

 

Niemand sonst nannte ihn Shika. Und selbst wenn das kein todsicheres Indiz gewesen wäre, war diese Klinge aus Eis einfach nicht zu leugnen, die sich in ihm verdrehte, ihn aufschlitzte, weil er einem kranken und verdrehten Sinn von Verlangen gestattet hatte, seine Fähigkeit, Gefahren wahrzunehmen, zu verzerren und zu kompromittieren. 

 

Und verdammt, wenn er diese Gefahr jetzt nicht spürte. 

 

Sie war in seinen Knochen. 

 

Atavistische Angst.

 

Sein Herz schlug mit einem plötzlichen BOOM…

 

Panik.

 

Er spürte das erste, durchdringende Stechen wie einen blutigen Terror, der in seiner Brust aufstieg. Der Druck in seiner Kehle schwoll an und sein Kehlkopf pochte, als würde er jeden Moment bersten. Ein eskalierendes Gefühl schieren Horrors packte sein Herz und kalter Schweiß brach auf seiner kribbelnden Haut aus. Er konnte spüren, wie sein Mund auffiel und sich sein Körper verkrampfte, als er versuchte, nach Luft zu schnappen. 

 

STOP. BERUHIG DICH. DENK NACH.

 

Da er die Augen fest geschlossen hielt, war er sich nicht sicher, wie lange er dort lag, zitternd und keuchend und darum kämpfend, sein Hirn in einen Zustand der Ruhe zu versetzen. Allen Ninja wurden diese psychologischen Spielereien auf Geninniveau beigebracht. Aber noch nie hatte ihn etwas so heftig mitgenommen. Nicht einmal, als er in dem Genjutsu dieser gestörten Tayuya von den Vier Oto-nins festgehangen war und gedacht hatte, seine Arme würden schmelzen. 

 

Reiß dich verdammt nochmal zusammen.

 

Er atmete kontrolliert und versuchte, sich zu bewegen. Keine besonders kluge Idee. Eine Welle der Übelkeit überschwemmte seinen Rachen. Eine weitere, lange Minute verbrachte er damit, sie wieder hinunter zu schlucken, wobei er dank des engen Metallreifs beinahe würgen musste. 

 

Wo zur Hölle bin ich?

 

Staub und Kalk umrandeten seinen Mund und ein feuchter Kalksteingeruch verstopfte seine Nase. Die Luft war kalt genug, um eine Gänsehaut auszulösen, fühlte sich stickig und klaustrophobisch schwer an. 

 

Eine unterirdische Höhle?

 

Harte Erde kratzte an seiner Wange und abgeknickte Strohhalme stachen sich jedes Mal durch sein feuchtes Oberteil, wenn er versuchte, sich zu bewegen oder zu drehen. Seine Hände waren hinter seinem Rücken mit einer Spreizstange gefesselt, um zu verhindern, dass sich seine Handgelenke und Finger berühren konnten. 

 

Wie lästig.

 

Aber nicht allzu knifflig. Ein rasches Rollen brachte ihn auf seine Knie und er stemmte seine Schulter gegen die kurvige Felswand. Kalt und kalkig. Es zog seinen Blick nach oben. Eine vergitterte Öffnung über seinem Kopf, ein Fenster in die nächste Zelle, dessen altes Gitter mit Kalkablagerungen verkrustet war. Er legte den Kopf noch etwas weiter in den Nacken und sein Blick wanderte noch höher bis zur Decke der Höhle. Nur suppige Finsternis. Eine Masse aus Schatten, nur durchbrochen von den riesigen, hervorstehenden Stacheln stumpfer Stalaktiten, von denen winzige, kristallene Tränen topften. 

 

Kalkstein…

 

Jo. Wo auch immer er festgehalten wurde, es war nicht das Tekisha Seizon. 

 

Als seine Augen wieder nach unten wanderten, erhaschte er ein Funkeln von Metall. Eine Kette. Sie schlängelte sich über das Stroh und den Stein und verband sein ‚Halsband‘ mit einer Eisenschlaufe, die in den Boden eingefasst war. 

 

Wie ein Tierkäfig. 

 

Mit finsterer Miene zuckten seine Augen scharf nach oben, um den Rest seiner Zelle zu mustern. Sie war in den Fels getrieben. Grob, aber sicher gearbeitet. Dünne Streifen aus Laternenlicht ergossen sich durch die Kerkertür und die dazugehörigen Eisenstäbe ins Innere. 

 

Das Eisen schien oxidiert zu sein…oder vielleicht war das auch Blut. 

 

Ein brutales KLANG ließ ihn zusammenzucken. 

 

Dann kam das Lachen. Die Art, die er schon zuvor gehört hatte; schrilles Hyänen-Gegacker und ein Jaulen wie von Affen. Schatten bewegten sich wie groteske Karikaturen auf den Wänden außerhalb der Zelle. Er hörte das spöttische Essensglocke-Läuten von Metall, das gegen Metall schlug. 

 

Ein Rundumruf an die Gefangenen. 

 

Nur schrie niemand.

 

Mit hämmerndem Herzen wich Shikamaru zurück und seine Augen zuckten rastlos auf der Suche nach einem Ausweg. Seine Beine waren nicht gefesselt, aber er hatte nicht wirklich viel Freiraum, um sich zu bewegen. 

 

Die Chancen stehen gerade richtig beschissen für mich.

 

Wenn er irgendeine Hoffnung darauf haben wollte, die Verhältnisse dieser Situation zu ändern, dann mussten seine Hände frei sein. Finsternis war seine Waffe, sein Werkzeug. Das hatten sie gewusst. Daher auch die Spreizstange zwischen seinen Händen. Er konnte nicht ein einziges Handzeichen formen. 

 

Also Taijutsu…

 

Das Lachen verstummte zu Schnauben und Glucksen – dem Rasseln von Schlüsseln. Eine Gestalt erschien auf der anderen Seite der Gefängnisstäbe. Ein großer Umriss in der Dunkelheit, gebaut wie ein verdammter Gorilla; mit breiter Brust und leicht vornüber gebeugt, eine ungeschlachte Masse, fester Muskeln. Für einen Moment stand er einfach nur da und starrte hinein. Im schwachen Schwefellicht erschien sein Gesicht mehr Affe als Mensch zu sein und besaß irgendwie den dusseligen Primatenausdruck eines Neandertalers. 

 

Mit bis zum Zerreißen gespannten Muskeln stierte Shikamaru zurück. 

 

Sein Schweigen schien den großen Kerl zu amüsieren und der Gorilla grinste ein weites Hasenzahnfeixen. „Tz. Du bist der kleine Pisser, von dem sie so schwärmen? Du bist ja winzig. Wirst keine Minute durchhalten. Natur ist nicht gerade auf deiner Seite, Kleiner.“

 

Shikamaru hob eine Braue und nahm sich ein Beispiel an Genmas Klugscheißerei, während er sich zu einem Schmunzeln zwang. „Sieht auch nicht so aus, als wäre sie auf deiner. Hast du in letzter Zeit mal in einen Spiegel geguckt?“

 

Der Gorilla hörte auf zu feixen. 

 

Irgendjemand anderes brach in schallendes Gelächter aus. Tief und nasal. 

 

Echsengesicht.

 

Und tatsächlich schlurfte Yamori zu den Eisenstäben, einen dünnen, rauchenden Dübel zwischen seinen aufgeplatzten Lippen. Er schnaubte leicht und ruckte mit seinem schuppigen Kinn in Shikamarus Richtung. „Hast `ne ganz schön große Klappe, ne? Haste das vom guten alten Bruder Kaika gelernt? Der Bastard hat mich meinen Jungen, Kozaru und eins meiner Mädels gekostet. Ist in `ner verfickten Rauchwolke verschwunden, die stärker ballert als der Scheiß, den ich rauch.“ Yamori schniefte und zeigte dabei seine gelben Zähne. „Muss schon sagen, dich direkt unter seiner Nase weg zu stehl‘n ist schon `ne richtig süße Rache.“

 

Shikamarus Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, er gab aber keinen Kommentar dazu ab. Er hatte keine Ahnung, was zur Hölle dieser Typ eigentlich rauchte, aber scheinbar war es magisch genug, um ihn glauben zu lassen, Shikamaru würde wissen, wovon verfickt nochmal er redete. 

 

Bei seinem Schweigen feixte der Gorilla schon wieder höhnisch und die dicke Kante seiner Affenstirn senkte sich über seinen Schweinsäuglein. „Kaikas kleine Schlampe, huh? Der strategische Überflieger. Du besserwisserisches, kleines Stück Scheiße. Du denkst, du bist überlegen? Ich sollte dich wohl ein bisschen aufmischen.“

 

Sofort zuckte Yamoris Kopf herum und er stieß einen knochigen Ellbogen in Gorillas Seite. „Lass die Scheiße, Mann. Der Junge ist tabu. Außerdem will ich sehen, ob seine Eier so fett sind wie sein Hirn und so.“ Grinsend presste Yamori seine verkrusteten Lippen zwischen die Stäbe der Zelle und blies einen Rauchring in die Luft, während er seine lange Echsenzunge lüstern durch das Loch räkeln ließ. „Der Souverän will dich spielen sehen.“

 

Spielen…?

 

Shikamarus Magen stürzte in eiskaltes Wasser und sein Körper versteifte sich. Er wusste, was das bedeutete. Hatte die Bilder, die in seine Augäpfel eingebrannt waren. Die Kinder in ihren Zellen…das Blut…das Abschlachten…der Selbstmord…und das Schreien…

 

‚Ich will nicht spielen.‘

 

‚Ich habe gewonnen.‘

 

‚Habe ich gewonnen?‘

 

‚Es tut mir nicht leid.‘

 

‚Verlierer!‘

 

‚Ich bring dich um!‘

 

‚Bring mich um.‘

 

‚Bitte.‘

 

Gorilla sperrte die Tür zu der Zelle auf, quetschte seine Masse durch die Öffnung und polterte mit diesem zahnigen, anzüglichen Feixen herein, bis er sich in Reichweite befand. „Wette, dass dir noch nichtmal irgendwelche Eier gewachsen sind. Winziger Knirps, der de bist. Dir wird sowas von der Arsch aufgeris-“

 

Shikamaru warf sich in einen Scherentritt. 

 

Es war chaotisch, aber es war schnell und mit dem markerschütternden Überraschungsmoment ausgeführt. 

 

Das rechte Bein um Gorillas Taille geschlungen, ließ er das andere tief herum wirbeln, um die Beine des großen Mannes direkt unter ihm wegzureißen. Wenn es gegen jemanden ging, der so riesig war, dann ging es nicht um Kraft, es ging darum, das Gleichgewicht zu nehmen. 

 

Und es funktionierte. 

 

Wie ein Sack Kartoffeln ging Gorilla zu Boden. 

 

Da er weder Hände, noch Arme frei hatte, landete Shikamaru auf den Schultern, spürte, wie die Gelenkpfanne glühend heiß brannte, weil sie beinahe ausgekugelt wurde. Adrenalin betäubte den Schmerz. Rasch drehte er die Hüften, hob sein rechtes Bein und rammte seine Ferse wieder und wieder in Gorillas Eingeweide, als könnte er den Solarplexus zu Staub zermahlen, als er all seine Angst und all seinen Zorn in die Tritte legte.

 

Eine erfreuliche Attacke, aber sie rettete ihn nicht. 

 

Eine weitere Gestalt trampelte in die Zelle, riss einen um sich tretenden und knurrenden Shikamaru auf die Füße und zerrte ihn von Gorilla fort, der brüllte wie ein Silberrücken. Shikamaru lieferte noch einen letzten Abschiedstritt, als er seine Ferse in Gorillas Mund krachen und seine Zähne zersplittern ließ. 

 

Zahnschmelz flog in einem Sprühregen aus Blut. 

 

Draußen lachte Yamori; lachte, lachte.

 

Jenseits des Rauschens von Blut in seinen Ohren, hörte Shikamaru, wie dieses Lachen von anderen aufgenommen wurde; andere Formen und Gestalten sammelten sich in der Gefängnistür und besahen sich das Schauspiel. Erschütterte versuchte Shikamaru, sich irgendwie zu befreien, aber die Kette, die an seinem Halsring angebracht war, zog sich straff. Würgend blieb ihm keine andere Wahl als sich durch die Gegend zerren zu lassen wie ein Hund an einer Leine. 

 

Die Wucht des nächsten Rucks zwang ihn in die Knie. 

 

Die Stimme eine Frau schnurrte in sein Ohr. „Böser Junge. Ich mag böse Jungs.“

 

Er spürte, wie sich krallenbewährte Finger in sein Haar krümmten und seinen Kopf nach hinten zu einem schmerzhaften, erstickenden Winkel riss. Er sah grellgelbe Augen und ein Aufblitzen rasiermesserscharfer Zähne. Ein weit grinsendes Maul, Fäden aus Speichel hingen von spitzen Fängen. Eine flache Nase zog sich in einem katzenartigen Fauchen kraus. Tigergleich und zischend. Katzenlady strich mit einem Krallendaumen über die scharfe Neigung von Shikamarus Kiefer bis hinauf über seine Wange zu seinem Auge. 

 

„Aber ein böser Junge namens Kaika hat mir meine Schwester genommen“, schnurrte sie. „Ich denke, man schuldet mir ein Auge um Au-“

 

Eine Klinge schob sich geräuschlos unter ihr Kinn und schnitt ihr das Wort ab. „Tu das und du wirst deiner Schwester Gesellschaft leisten.“

 

Shikamarus Herzschlag taumelte. Er erkannte diese Stimme, die glatten, tiefen Töne zu einem gehauchten, akustischen Murmeln gedämpft. 

 

Tenka.

 

Nach Luft schnappend zuckten Shikamarus Augen verzweifelt auf der Suche nach der rot lackierten Noh-Maske herum. Da war sie. Sie hing wie ein Ghul über Katzenladys Schulter. Die Tantō-Klinge, die an ihrer Kehle lag, vergoss ein dünnes Rinnsal aus Blut. 

 

„Entscheide dich rasch“, wisperte Tenka. 

 

Katzenladys Augen verengten sich zu Schlitzen, bevor sie ein enttäuschtes Miauen ausstieß und Shikamaru mit einem Fauchen losließ. Mit der Anmut einer Luchsin schmiegte sie sich um Tenka und erst da bemerkte Shikamaru den langen, schlanken Schweif aus Fell, der sich von der Wurzel ihrer Wirbelsäule erstreckte. Ein gestreifter Katzenschwanz. Spielerisch wickelte sie diesen Fortsatz um Tenkas Bein und schnurrte dabei in sein Ohr: „Immer so ein guter Junge, Tenka. Du verstehst überhaupt keinen Spaß.“

 

Dieses maskierte Gesicht zuckte kurz in ihre Richtung. Nicht ein einziges gesprochenes Wort, doch Katzenlady wich mit einem Zischen zurück und ihr Schweif zuckte verärgert, weil sie so brüskiert worden war. 

 

Tenkas Aufmerksamkeit wanderte zu Gorilla, der sich auf dem Boden wand. „Schlüssel.“

 

Gorillas Lippen zogen sich in einem lückenhaften Zähneblecken zurück, seine hasserfüllten Augen auf Shikamaru fixiert, als könnte er den Nara mit Tötungsabsicht allein zerschmettern. Doch so mörderisch er auch erschien, er beugte sich diesem Befehl, als er den Schlüsselbund durch den Raum warf. Einhändig fing ihn Tenka auf und das maskierte Gesicht wandte sich dem Rest der tierischen Freakshow zu, die jenseits der Zelle stand. 

 

Die schräg zusammengewürfelte Truppe löste sich angesichts von Tenkas Blick auf und schlich davon wie ein geprügeltes Rudel. 

 

Nur Yamori blieb, lehnte sich mit abgeschirmten Augen träge gegen die Gitterstäbe. Er klatschte sehr langsam und verzog die Lippen zu einem Grinsen. „Musst sie immer wieder so bloßstellen, Alphmännchen. Also, warum bist du eigentlich hier? Bringst du den Hund zum Spielplatz?“

 

Tenka erwiderte gar nichts, funkelte ihn nur an. 

 

Rasch hob Yamori die Hände und pfiff durch die Zähne. „Was auch immer, Bruder. Is alles cool.“

 

Shikamaru sah zwischen den beiden hin und her, während die Nachbeben seines Adrenalins durch seine Muskeln zitterten. Er versuchte, die Teile irgendwie zusammenzusetzen – Wer ist dieser Kerl? Woher kennt er meinen Namen? Warum hat er versucht, mir zu helfen? – aber sein Hirn war viel zu erschüttert, um zu funktionieren. Die Luft raspelte kalt und roh durch seine Nase und seine Lungen arbeiteten wie ein Blasebalg. Tenka kniete sich hin und löste die Kette von Shikamarus Halsring. „Steh auf.“

 

Verwirrt gehorchte Shikamaru und rappelte sich taumelnd auf die Füße, als sich Tenkas Hand um seinen Bizeps schloss und ihn stützte. Er wurde aus der Zelle und wie ein Gefangener den dunklen, in den Fels gehauenen Korridor hinab geführt. 

 

Yamori folgte ihnen nicht. 

 

So gut es ging reckte Shikamaru den Hals und versuchte, an dem Schmerz in seiner Kehle vorbei zu röcheln. „Wer bist du?“

 

Tenka wartete, bis sie zwei Korridore außer Hörweite waren, bevor er mit einer leise gemurmelten Stimme sprach. Und dann erst realisierte Shikamaru, dass die Stimme dieses Kerls in seinem Kopf war. „Hör zu. Sag nichts. Reagiere nicht auf meine Stimme. Uns bleiben nur Sekunden. Was dir bevorsteht, ist ein Kampf auf Leben und Tod. Strategisiere deine Kills einzig und allein anhand von Taijutsu. Sie haben dein Ninjutsu unterbunden. Es wird keine Schatten geben.“

 

Diese Information traf ihn wie ein heftiger Tritt in die Magengegend. Shikamarus Schritte taumelten und sein Atem bebte in seinem Rachen. „W-was?“

 

Die Finger um seinen Oberarm spannten sich an. „Lauf weiter“, biss Tenka hervor und die Drohung in seinem Tonfall stand in hartem Kontrast mit der leisen, ruhigen Stimme, die über Shikamarus Verstand strich. „Wenn du reagierst, dann wird er Verdacht schöpfen. Er darf auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Er beobachtet immer. Zeig Furcht und du stirbst. Zeig Gnade und du stirbst. Ignorier meine Worte und du bist bereits tot. Du darfst hier nicht sterben. Du musst überleben.“

 

„Warte…“

 

Es gab kein Warten. Tenka marschierte ihn unbeirrt weiter durch ein unterirdisches Labyrinth, wurde nicht langsamer, hielt nicht in seinen Schritten inne, obwohl jedes Wort in Shikamarus Gedanken niederfiel wie Makibishi-Stacheln auf dem beschatteten Weg, der sich vor ihnen erstreckte. „Lass dich nicht von dem täuschen, was du siehst, Shikamaru. Diese Kinder sind Killer. Sie werden nicht zögern. Das ist ein Todesspiel. Du darfst nicht zögern!“

 

„Wer bist du?“, fragte Shikamaru in seinem Verstand und hoffte, dass die Telepathie in beide Richtungen funktionierte. „Woher kennst du meinen Namen?  Warum hilfst du mir?“

 

Tenkas Berührung an seinem Arm wurde sanfter, oder vielleicht bildete sich Shikamaru das auch nur ein. „Ich kann nicht antworten. Und ich kann dich nicht vor diesem Kampf bewahren. Aber ich werde dich hier rausholen. Bis dahin, musst du überleben!“

 

„Aber ich -“

 

„Überlebe!“

 

Sie waren nur noch wenige Schritte von einem aufragenden Tor entfernt, die massiven Türen mit ausgeschmücktem Eisenbelag versehen und riesige Bronzestümpfe waren zu bestienhaften Köpfen geformt. Für eine verzweifelte Sekunde wagte Shikamaru zu hoffen, dass er vielleicht träumte. Dass er aufwachen würde. 

 

Wach auf…Gott, bitte…wach auf…

 

Direkt vor der Tür ließ Tenka ihn anhalten. Shikamaru hörte das Rasseln von Schlüsseln in seinem Rücken, spürte, wie die Handschellen von seinen pochenden Gelenken fielen. Der Eisenring blieb weiterhin um seinen Hals. Noch bevor er daran denken konnte, herum zu wirbeln und loszurennen, öffneten sich die Türen nach innen, aufgezogen von der anderen Seite. 

 

Benommen stand Shikamaru in völligem Schock da, sein Körper steif, sein Herz in seiner Kehle. Tenkas Hand berührte seinen Nacken und drückte ihn zaghaft. „Überlebe.“

 

Und dann schob ihn diese Hand nach vorn, warf ihn Kopf voran in die Finsternis, bevor die Welt in Licht explodierte. Sechs Arenalampen flammten von weit oben auf, spülten alle Schatten in der riesigen, höhlenartigen Grube fort. Kreisrund, unentrinnbar, ein Gladiatorenring. Mit Türen gesäumte Kalksteinwände erhoben sich zu allen Seiten, schimmerten so grell unter den Scheinwerferlichtern, dass sie zu leuchten, zu funkeln, zu vibrieren schienen. 

 

Halb geblendet, blinzelte Shikamaru rapide, um seine Sicht zu klären….

 

Erhaschte einen flüchtigen Blick auf sechs weitere Gestalten, die im Ring standen…

 

Kinder…

 

Alle von ihnen jünger. Alle von ihnen bewaffnet. Alle von ihnen mit toten Augen und stierend. Ihn direkt anstierend. Ein Kind, ein kleines Mädchen mit zerzaustem Haar und einer Machete in Händen, lächelte ihn an. Es war ein zähnebleckendes Grinsen; so tot und hohl wie der Ausdruck in ihren Augen. „Dürfen wir jetzt spielen, Shuken?“

 

Eine fröstelnde Pause…

 

Und dann gefror Shikamarus Herz in seiner Brust, als hoch, hoch oben, verloren hinter dem Funkeln der brennenden Lichter, eine tiefe und wohlklingende Stimme weich und glatt in die vollkommene Stille erscholl, sich über Shikamarus angstberauschten Verstand stahl wie eine Flut vergifteten Weins. 

 

„Spielt.“



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