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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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The wars in the inside

Hahn zur Mittstunde

Wo ein Stein Kirin aufsteigt

Des Falken Schatten

 

Neji sah von dem Gedicht auf und scannte das weitläufige Gelände des Shijinjuu-en: Der Garten der Vier Göttlichen Bestien. Aufgeteilt in vier Bereiche, bildeten die Gärten einen riesigen und reich verzierten Komplex mit opulenten Wasserläufen, über die breite Mondbrücken führten und mit großen Koi-Teichen, die mithilfe scharfer Zickzackpfade überquert werden konnten. 

 

Malerische Hügel und Zwergsträucher harmonisierten mit Steingärten, geharkte Kiestäler und von Bäumen eingesäumte Wege führten zu bezaubernden Pavillons und wundervoll bemalten Teehäusern. 

 

Eine meisterhafte Gestaltung, die ungeachtet der Jahreszeit Schönheit sowohl offenbarte, als auch ausstrahlte. 

 

Unter einem rotgoldenen Blätterdach wandte sich Neji nach links und seine Schritte knirschten über den Pfad unbehauener Trittsteine und sorgfältig geharkten Kieses. Der Sonnenuntergang schlüpfte in warmen, ockerfarbenen Schattierungen durch die sanft raschelnden Baumkronen und zeichnete ein weiches, vergoldetes Filigran auf die dunklen, rostroten Äste knorriger Kiefern, karmesinfarbener Ahornbäume und gestreifte Bambushalme. 

 

In einem langsamen, leidenschaftslosen Schwung wanderten Nejis Augen über diese Schönheit. 

 

Er suchte nicht nach einem gestohlenen Frieden; er suchte nach in Stein geschriebenen Zeichen. 

 

Wo ein Stein Kirin aufsteigt…

 

Als er innehielt, zog er eine holzgeschnitzte Tafel zu Rate, die in eine der Kiefern genagelt war. Das Äquivalent eines ‚DU BEFINDEST DICH HIER‘ Schilds zeigte den Grundriss der Gärten. Zumindest befand er sich schon im richtigen Bereich. Er musste nur noch die Statue finden, die sich – laut der Karte – jenseits des nächsten Hains befand. Neji ignorierte die abzweigenden Nebenpfade und folgte dem Weg an uralten Laternen und moosüberwucherten Wasserbecken vorbei, während das sanfte Klimpern und Rasseln von kupfernen Regenketten zwischen dem leisen Wispern des Laubes erscholl. 

 

Es hing ein tief spirituelles Gefühl an diesem Pfad…

 

Und während Neji ihn jetzt entlang lief, hatte er sich noch niemals zuvor in seinem Leben so zwiegespalten gefühlt; oder abscheulicher in seiner eigenen Haut. Blutbefleckt und verdorben, nach Tod stinkend, als sich sein Schatten weit vor ihm ausstreckte. 

 

Shikamaru…

 

Verkrüppelnd; diese Bilder, die sein Verstand nicht aufhörte herauf zu beschwören – entweder plagte sein Geist ihn mit der Erinnerung an ihren letzten Kuss, oder quälte ihn mit Visionen des Tatorts und, schlimmer noch, des bösartigen Glimmens in Shikamarus Augen, als er so auf Ino und Kiba losgegangen war. Darauf aus, dasselbe Maß an Verletzungen zuzufügen, wie er es bei diesen Bestien getan hatte – indem er übermäßige Gewalt nutzte; übermäßige Grausamkeit. 

 

Grausamkeit…

 

Shikamaru war nicht grausam. Das war nicht in seiner Natur. 

 

Außer, das ist es doch, sagte die kalte, abgetrennte Stimme des ANBU Schattens in seinem Verstand. 

 

Nein. Das glaube ich nicht für eine einzige Sekunde. 

 

Aber er konnte auch nicht verleugnen, was er beobachtet hatte – wovon er beauftragt worden war, es zu beobachten; Chakrafluktuationen, die absolut keinen Sinn ergaben. Aber es war nicht Shikamarus Chakra, was ihm am meisten Sorgen bereitete – es waren die Schwankungen, die er im Charakter des Schattenninjas beobachtet hatte. Schwankungen, für die er weder die Zeit noch den Raum gehabt hatte, um daraus einen Sinn zu machen. 

 

Und auch jetzt bist du kein Bisschen klüger…

 

Fürwahr. In geliehener Zeit hatte er sich einen narrensicheren Plan zurecht gelegt und Shikamaru in der Erwartung aufgesucht, diese bösartige Grausamkeit zu verfolgen, die heiß und grell in den Augen des Nara loderte und ihr die nötigen Todesstöße zu versetzen. 

 

Ich werde es finden; selbst wenn ich durch deine Schatten gehen muss, um es zu erreichen…

 

Es war nicht das erste Mal, dass er solche Worte gesagt hatte. Aber es war das erste Mal, dass er dem Spiel vorausdenken musste, um zu versuchen, den Schattenninja auszumanövrieren. 

 

Ja…und schau dir an, wie wunderbar das geklappt hat…

 

Zwei Schritte zurück, ohne auch nur einen einzigen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Er hatte sich Shikamarus Gästezimmer gestählt und auf alles gefasst genähert, war seine einstudierte Attacke in einer Endlosschleife durchgegangen; Shikamaru hatte ihn angelogen; Shikamaru hatte sein Versprechen nicht gehalten, sein Chakra nicht zu benutzen. Diese ‚dämlich simplen‘ Fakten waren die Speerspitze seiner Argumentation gewesen, auch wenn es das absolut Letzte war, was Neji kümmerte. 

 

Es war die Finte, nicht der fatale Schlag. 

 

Der wirkliche Angriff würde danach kommen; Anschuldigungen, Feindseligkeit, ein endloses Vorrücken in der Hoffnung, dass er dadurch in der Lage sein würde, Shikamaru in eine Ecke zu drängen und ihn zu einer Reaktion zu bringen, ihn dazu zu bringen, so die Fassung zu verlieren, wie es bei Ino und Kiba passiert war. Und gemessen daran, wie launisch seine Stimmungen geworden waren, war Neji davon ausgegangen, dass es gar nicht so viel brauchen würde, um die gewünschte Erwiderung zu erhalten. 

 

Es war ein simpler Angriffsplan gewesen. 

 

Einer, der unmöglich scheitern konnte. 

 

Bewaffnet mit dieser undurchdringlichen Hyūga Rüstung, von der er nur zu gut wusste, dass sie den Schattenninja ohne Ende anpisste, war er auf der Suche nach einem Kampf losgegangen, war auf der Suche nach einem viel zu dunklen Schatten in Shikamarus Augen losgegangen…

 

Nur um zu entdecken, was er als Allerletztes erwartet hatte, vorzufinden…

 

Kein Zorn, keine Aggression…nur diese gleichen qualvoll traurigen Augen, in die er vor einer Woche geblickt hatte…die ausgebrannten Siennafarben verwaschen von Verwirrung, Verletztheit und Weh, die keine noch so brillante Chamäleonhaut verbergen konnte. Es hatte nicht das geringste Anzeichen der vorherigen Grausamkeit gegeben, keinen Hauch dieses vorherigen Zorns…nicht einmal ein Schatten des Ausdrucks, der in der Einrichtung in Shikamarus Augen gestanden hatte. 

 

Und das hatte Neji getroffen…

 

Hatte ihn mehr als heftig getroffen. 

 

Hatte ihn so verdammt hart und abrupt getroffen, dass er jede Balance und auch beinahe seinen Griff verloren hätte – an seinen Motiven, an seinem Verstand, an seiner Mission, Mission, Mission.

 

Aber in diesem Augenblick…hatte die Mission überhaupt keine Rolle mehr gespielt…

 

Und das war, wie immer, die Gefahr, die Falle, der Punkt ohne Wiederkehr…

 

Er hatte diese Gefahr in der Sekunde erkannt, als sich Shikamaru zu ihm gelehnt und verzweifelt nach ihm gegriffen hatte; denn in diesem Augenblick, diesem Sekundenbruchteil, war der Drang, ebenfalls eine Hand nach ihm auszustrecken, so unfassbar stark, so unglaublich schwer zu verleugnen gewesen, dass sich zurückzuziehen Neji weit mehr abverlangt hatte, als der gesamte Kampf gegen die Chimären; und auch weit mehr als der Kampf mit seinem Gewissen. Bei allen Göttern, er war gekommen, um einen Streit zu suchen und er hatte ihn auch gefunden. Nur hatte er nicht geahnt, dass er in seinem Inneren zwischen zwei Teilen seines Selbst ausgefochten werden würde. 

 

Wird dieser Krieg jemals enden?

 

Nein. Niemals. Dieser Kampf hatte sich bereits lange in sein ANBU Training fortgesetzt; Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, bis er Chakrablockaden gegen Wände innerhalb von Wänden und Zahnräder innerhalb von Zahnrädern austauschte. Er war sich nicht sicher, wie er es überhaupt durch das Treffen mit Nogusa geschafft hatte…seinem Verstand drohte eine Spaltung…sein Herz war bereits zerrissen…

 

Und hier bin ich wieder…am Rande einer Spaltung…

 

Kopfschüttelnd riss er seinen Blick von seinem Schatten fort und konzentrierte sich auf den Weg vor ihm. Während er eine niedrige Mondbrücke überquerte, stieß er beinahe zufällig auf die Statue, als sein Blick von einem Paar rot gekrönter Kraniche angezogen wurde, die am Uferrand nach Nahrung suchten. 

 

Dort, jenseits der belaubten Schatten uralter Zedern, sah er sie. 

 

Eine in Stein gehauene Skulptur, phosphoreszierend wie Opal. Der chimärische Kirin bäumte sich auf der Hinterhand auf wie ein Pferd und die drachenähnliche Schnauze hatte er gen Himmel gereckt. Als Kreuzung zwischen Drache und Einhorn, besaß das Wesen ein kurviges Horn, das sich aus seiner Stirn bog. Eine dichte, wellige Mähne zierte den langen Nacken und formte sich zu kunstvollen Wirbeln wogender Wolken. Der Schweif war ähnlich gestaltet, ebenso wie die Behänge wolkengleichen Haares an den Fesseln. 

 

Wo ein Stein Kirin aufsteigt.

 

Langsam näherte sich Neji, umrundete den See und beschritt einen Pfad aus Steinen über einen wirbelnden Fleck aus Sand, in den wolkenähnliche Schnörkel geharkt waren. Der Sonnenuntergang tauchte die Szenerie in Schattierungen, die ebenso reich und warm waren wie Honig und badete den Kirin in einen Patinaglanz. 

 

Hahn zur Mittstunde.

 

Neji sah himmelwärts. Sechs Uhr abends, ein paar Minuten mehr oder weniger. 

 

Er sollte hier sein…

 

Ein Rascheln von Federn zog seinen Blick zurück zu dem See, zurück zu den Kranichen. Die Vögel hatten ihre Nahrungssuche beendet und ihre langen, anmutigen Hälse hatten sich wachsam aufgerichtet. Neji beobachtete sie, während sich sein Atem tief in seiner Kehle hielt. Ihre Regungslosigkeit machte sie so statisch und still wie Figuren auf einem Gemälde, als das sterbende Brennen der Sonne ihre roten Kämme in Feuer verwandelte. 

 

Und dann, in einem aufgeschreckten Schlagen von Schwingen, erhoben sie sich in den Himmel. 

 

Neji sah ihnen nach, wie sie davon segelten und wie weiße Daunen glühten, als sich ihre schwarz umrandeten Flügel weit auffächerten. Die Vision ihrer Freiheit brachte das Gewicht in seiner Brust dazu, schwer gegen seine Rippen zu rollen. Er nahm einen gemessenen Atemzug, senkte seine Augen und beobachtete die Schatten, wie sie über den Boden krochen; ein schwarzer Nebel, der sich zu einer suppigen Obskurität verdickte und sich in einem kleinen Vogelbeobachtungs-Pavillon sammelte, der halb von Bäumen verborgen war. 

 

Es ist Zeit.

 

Als er sich auf den Pavillon zubewegte, fing er das plötzliche Aufblitzen einer Maske auf, die in der samtenen Schwärze der tiefer werdenden Schatten hing – das blasse, weiße Gesicht eines Hirsches.

 
 

~❃~
 

 

Sechzehn Gesichter ohne Namen.

 

Neun Jungen. Sieben Mädchen…

 

Überlebende. Opfer. Geistern. Geister ohne Namen. Ino fröstelte bei dem Gedanken, bei dieser Gewissheit. In die Augen dieser Kinder zu sehen war, wie durch leere Fenster zu blicken…zerbrochene Fenster...das Glas vollständig gesprungen, die Räume in ihrem Verstand geplündert und durchwühlt von dem wie auch immer gearteten Trauma, das sie durchlitten hatten. 

 

Sechzehn Überlebende…aber wie viele haben wir wirklich gerettet?

 

Wie viele von diesen Kindern würden sich überhaupt jemals wieder erholen? Wie viele würden in sich selbst verschlossen bleiben…die Fenster vernagelnd und die Türen verbarrikadierend? Wenn sie das traurige Starren dieser Kinder sah, wollte sie so verzweifelt dort hinein gehen, wollte all ihre Wände abwischen und all die Blutflecken auf ihren Erinnerungen fort waschen. 

 

Können sie nicht von vorn beginnen?

 

Eine blanke Tafel, eine neue Seite, keine Horror aus permanenter Tinte oder roten Kritzeleien oder aus was für Schrecken sie hatten ertragen müssen. Oder vielleicht würde auch der Verstand der Kinder dafür sorgen. Würde all die Details ausradieren und all die Monster einpferchen, all die Erinnerungen. 

 

Ist es denn so schlimm, zu vergessen lassen zu wollen?

 

Auf die Weise, auf die sie selbst vergessen wollte. 

 

Den dunkelhaarigen Jungen mit der kupfernen Haut und den blaugrauen Augen vergessen wollte…

 

Kollateralschaden…

 

So hatte Shikamaru das bezeichnet. Und bei diesem Gedanken wurde ihr speiübel. Sie hatte noch immer nicht den Schock seiner Worte abgeschüttelt; den Schock seiner Grausamkeit. 

 

Wie konnte er nur solche Dinge zu mir sagen? 

 

Ino schluckte hart an dem Knoten in ihrer Kehle vorbei, stach ihre lackierten Essstäbchen in ihre Reisschüssel und ließ die beiden dünnen Spieße einfach daraus hervor ragen. Es war eine unheilvolle Geste, etwas, das man bei Beerdigungen machte. Irgendwie schien es zu passen. 

 

Und wie viele mehr werden vielleicht morgen sterben? Schert es ihn überhaupt?

 

Dumme Gedanken, nutzlose Gedanken. Phase Zwei war die Mission von Morgen, das Problem von Morgen – oder sowas in der Art. Ino war sich nicht wirklich sicher, wie Neji das alles verpackt, oder wie er es überhaupt alles ausgelegt hatte. Während des gesamten Treffens war sie einfach nur in einem Zustand des Semischocks und der halben Spekulation dagesessen und hatte nur dann Beiträge geleistet, wenn sie von Neji oder Shino dazu gedrängt worden war. Während der kompletten vier Stunden waren ihre Augen unablässig auf Shikamaru fixiert gewesen. 

 

Der Schattenninja hatte nicht ein einziges Wort gesagt. 

 

Und Ino hatte nicht eine einzige Sache gehört.

 

Sag was…sag was…, war alles gewesen, was sie denken konnte. 

 

Und dann war die Sitzung vorbei gewesen, die Einweisung abgeschlossen. Und sie hatte sich nicht eine einzige mentale Notiz gemacht. Sakura und Tenten hatten für sie die Details von „Phase Zwei“ wiederholen und ihr im Krankenflügel und in den Duschen alles noch einmal erzählen müssen, als sie all ihre dämlichen Fragen beantwortet hatten. Wie peinlich. Normalerweise war Inos Verstand wie ein Schwamm für Details; eine Eigenschaft, die sie von ihrem Vater geerbt hatte – aber nach diesem Vorfall mit dem Kind und Shikamaru, war ihr Hirn ausgefallen…zusammen mit allem anderen auch, ihr Appetit eingeschlossen. 

 

„Du solltest wirklich etwas essen, Ino.“

 

Während sie erneut begann, mit ihren Essstäbchen um die Ränder ihres Mahls herum zu stochern, spähte Ino zu Chōji auf und setzte ein schwaches Lächeln auf. „Ist das ein Befehl?“, fragte sie trocken. „Denn offensichtlich weiß ich nicht, wie man die befolgt.“

 

Langsam senkte Chōji seine eigene Reisschüssel und fixierte sie mit den weichesten, traurigsten Augen. „Er hat das nicht so gemeint, was er gesagt hat.“

 

„Warum hat er es dann gesagt?“

 

Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf und zu beobachten, wie sich Chōjis Gesicht bedauernd verzerrte, sorgte dafür, dass sie sich beschissen fühlte, weil sie das gerade überhaupt gefragt hatte. Erneut versuchte sie sich an einem Lächeln, streckte eine Hand aus und berührte seinen Handrücken, um mit dem Daumen über aufgerissene Knöchel zu streichen. „Immer der Mittelmann, huh? Tut mir leid, Chōji.“

 

Der Akimichi schüttelte den Kopf. „In dieser Sache bin ich nicht der Mittelmann. Was er gesagt hat war falsch, auch wenn er es nicht so gemeint hat.“

 

Noch einmal drückte Ino seine Hand. Nicht so gemeint, huh? Sie war sich nicht sicher, ob das dafür sorgte, dass sich irgendjemand von ihnen irgendwie besser oder sicherer wegen dieser Sache fühlte. Kein Zweifel, Shikamaru hatte eine scharfe und schneidende Zunge, wenn er sauer war – aber er war niemals konfrontativ. Er war übertrieben vermeidend und ging nur dann in die Offensive, wenn er in eine enge und unentrinnbare Ecke getrieben wurde. 

 

Er ist einfach keine aggressive Person…und auch nicht arrogant…

 

Von all dem wusste sie aus tiefstem Herzen, dass es wahr war. Aber diese Art und Weise, wie er sich vor Stunden verhalten hatte? Die Arroganz, die Bitterkeit, diese scheußliche, herablassende Belustigung in seinen Augen. 

 

Ich habe ihn schon früher zornig erlebt. Ich habe ihn schon früher angepisst erlebt. Aber noch nie habe ich ihn so erlebt…

 

Er hatte auch niemals Asumas Tod als Waffe eingesetzt. Und er war auch niemals so bösartig gewesen, die Leistung seiner Teamkameraden auf solch grausame und erniedrigende Weise zu untergraben. So entsetzt sie auch war, Ino wäre zu dem Zeitpunkt vermutlich zorniger geworden, wenn sie nicht so vollkommen bestürzt von dem Gift gewesen wäre, das aus seinem Mund gespritzt war. 

 

Und das nicht nur gegen mich…sondern auch gegen Kiba…und Naruto…

 

Persönliches und garstiges Zeug, grenzwertig sadistisch in der Art, wie er zielsicher rohe, emotionale Nerven aufgespürt hatte.

 

Das passt überhaupt nicht zu ihm…

 

Gemeinheit lag einfach nicht in seiner Natur. Sicher, er konnte immer wieder richtig grantig sein, ein bisschen mürrisch und launisch und in etwa so enthusiastisch wie ein alter Mann, wenn man seine tief verwurzelte Faulheit und seinen totalen Mangel an Engagement für Drama bedachte. Aber er war noch nie zuvor so herzlos, so gnadenlos gewesen…so schwer für Ino zu lesen oder zu verstehen.

 

Es ist, als hätte es die Zeit, die Team 10 direkt vor der Mission zusammen verbracht hat, niemals gegeben…

 

Und was noch mehr schmerzte war das Wissen, wie nahe sie sich während dieser Zeit gekommen waren. Nah genug, dass Shikamaru sie sogar wirklich gehalten hatte, als sie geweint hatte. Für einen vermeidenden Emotionslegastheniker wie ihn, sagte das eine ganze Menge. Eine unglaubliche ganze Menge. Er hatte diese Barrieren gesenkt, die sich nach Asumas Tod um sein Herz herum aufgerichtet hatten; er hatte seine Vermeidung beiseite gelegt und aktiv seine beiden Teamkameraden aufgesucht. 

 

Das hatte sich wie ein unglaublicher Durchbruch angefühlt; ein Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Genesung von Team 10…

 

Um Himmels willen, er hat sogar Pictionary mit uns gespielt.

 

Er hatte gelacht, er hatte sich entspannt, er hatte sich selbst gestattet, wieder in der ‚dämlich simplen‘ Vertrautheit von einfach ‚miteinander abhängen‘ willkommen geheißen zu werden. Und das mehr als einfach nur als Freunde: als Familie. In dieser kurzen, aber ehrlichen gemeinsamen Zeit, hatten sie den Ino-Shika-Chō Zirkel wieder gefestigt und bestätigt, der seit Asumas Tod so zerbrechlich geworden war. 

 

„Denkst du, es liegt an Asuma?“, wisperte Ino, ihre Stimme weich bei dem Namen, bei dieser Erinnerung. „Denkst, dass Shikamaru einfach…ich weiß auch nicht…verspätet deswegen um sich schlägt oder so?“

 

„Nein.“

 

„Ich meine…wir waren nicht dabei, als es passiert ist, stimmt’s? Er war damit ganz allein.“

 

„Ino…“

 

„Wenn ich nur früher bei Sensei gewesen wäre…“ Ihre Kehle zog sich um die Worte zusammen, um die Möglichkeit, dass es vielleicht irgendeine Chance gegeben hätte…irgendeinen Weg…irgendeine Hoffnung

 

Stirnrunzelnd streckte Chōji einen Arm nach ihr aus und nahm ihre kleinen, schlanken Finger in seine riesige, kraftvolle Hand, wobei er sie in dem sanftesten Griff hielt. Als er sprach, war seine Stimme so stark und fest wie immer. „Wir waren schon vorher an diesem Punkt, weißt du? Was mit Sensei passiert ist, war niemandes Schuld, außer die von diesen Akatsuki Bastarden, die wir erledigt haben.“

 

Seitwärts spähte Ino zu ihm und setzte den erbärmlichen Versuch eines Schmunzelns auf. „Du hast ein böses Wort gesagt.“

 

Chōji kaufte ihr das Schauspiel nicht ab und seine Finger drückten flüchtig die ihren. „Du hast alles getan, was du konntest. Niemand, nicht einmal Shikamaru hätte mehr tun können. Ich glaube nicht, dass es das ist, was ihn in diesen Zustand getrieben hat…in meiner Bauch fühlt sich das einfach nicht richtig an.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Und du weißt, dass man meinem Bauch vertrauen kann.“

 

Erwärmt von der Zuneigung in seinem Lächeln, der Geborgenheit in seiner Berührung, stieß Ino ein leises, zittriges Lachen aus und blinzelte hinauf zur Decke. Ihre langen, dunklen Wimpern zwinkerten die Tränen zurück. 

 

Wein bloß nicht. Das ist wirklich das Letzte, das irgendjemand von euch braucht…

 

Sie holte tief Luft und blies sie in einem langsamen Strom zwischen den Lippen aus, während ihr Blick hoffnungslos durch das Gästezimmer wanderte, bevor er sich auf Chōjis ruhige, beständige Augen richtete. 

 

Gott, wie sehr sie sich wünschte, sie hätte wenigstens einen Bruchteil seiner Stärke, seiner Stabilität. Neid flackerte dumm und kindisch in ihr. „Wir kannst du nur so ruhig sein?“, bewunderte sie kopfschüttelnd. „Bist du gar nicht-“

 

„Du weißt, dass ich das bin“, erwiderte er sanft und Qual zupfte an den Winkeln seiner immer noch lächelnden Augen. 

 

Oh, Chōji…

 

Es brauchte alles, was sie noch hatte, nicht ihre Arme um ihn zu werfen. „Ich weiß nicht, was wir hier machen sollen, Chōji. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll. Ich weiß nicht, was-“

 

„Ich werde mit ihm reden“, sagte Chōji und bedachte sie mit einem ernsten Blick, als sie versuchte, ihn zu unterbrechen. „Ino. Ich verspreche es dir. Ich werde mit ihm sprechen. Aber zuerst…“, er zog seine Hand zurück und schob eine Schüssel mit unberührtem Reis zu ihr hinüber, „musst du mir versprechen, dass du etwas isst. Okay?“

 

Ihr Magen ließ ein verräterisches Knurren hören. „Ich habe Essen auf meinem Zimmer, weißt du.“

 

„Klar. Netter Versuch. Ich meinte, du sollst etwas essen, wo ich sehen kann, dass du es auch wirklich isst.“

 

„Chōji.“

 

Sein Blick ließ keinerlei Argumentation zu – und Ino hatte auch nicht wirklich die Energie oder das Herz, um ihm gegenüber schnippisch zu werden, auch wenn sie wirklich überhaupt keinen Appetit hatte. Erschöpft seufzend rollte sie mit den Augen und warf die Hände in die Luft. „Na schön.“

 

Zufrieden wackelte Chōji mit den Brauen. „Na, siehst du, was ich da gerade gemacht habe?“

 

Ino schnaubte, doch ein widerwilliges Schmunzeln zupfte an ihren Lippen. „Na schau dich an, total quid pro quo bei den Verhandlungen. Asuma wäre stolz.“

 

Der leichteste Hauch einer Röte ließ die Wirbel auf Chōjis Wangen dunkler werden. „Habe dafür nicht wirklich Anerkennung verdient, obwohl ich sagen kann, dass ich vom Besten gelernt habe.“

 

Inos Lippen bogen sich langsam, als ihr Verstand zurück zu ihren Genin Jahren wanderte und all den kleinen Tricks der ‚elterlichen’ Behandlung durch ihren Sensei. „Er war so hinterhältig.“
 

„Ha. Yup. Immerzu Bestechen und Feilschen; hat sich ständig neue Methoden einfallen lassen, um mich vom Essen abzuhalten und dich dazu zu bringen.“ Chōjis Augen leuchteten bei dieser Erinnerung auf und sein Kopf hob sich ein Stück. „Oh Mann, du hast einmal wirklich einen Anfall bekommen. Ah, weswegen war das nochmal?“ Er schnippte mit den Fingern. „Ah, ja! Diese komischen Studentenfutter Müsliriegel, die du essen musstest, erinnerst du dich?“

 

Erinnern? Oh Gott. Das war eine Erinnerung, die sie definitiv aus ihrem Verstand löschen musste – permanent und wortwörtlich. Peinlich berührt duckte sich Ino hinter ihre Reisschüssel und ächzte. „Ugh. Bitte nicht.“

 

Nur tat es Chōji doch – und zwar mit Genuss. Lachend startete er einen Versuch, Ino nachzuahmen und bot einen verstörend theatralischen Eindruck von seiner Teamkameradin, als er mit den Handgelenken fuchtelte und seine Stimme um mehrere Oktaven hob. „Oh mein Gott, Asuma-sensei! Wie konntest du mir nur so ins Gesicht lügen! In mein GESICHT! Du hast mir ins Gesicht gelogen, was die Kalorienzahl dieser Riegel angeht!“ Er erstickte an einem winselnden Lachen, als Ino ihm einen Schlag verpasste. „Ach komm schon. Das war der beste Part. Als hätte er im Grunde dein Gesicht beleidigt.“

 

Ino schnitt eine Grimasse bei dieser Erinnerung und vergrub besagtes Gesicht in den Händen, kicherte aber trotzdem schnaubend. „Kannst du dich an sein Gesicht erinnern? Er sah aus, als würde er einen Wutanfall bekommen.“

 

„Ha. Das hat er ja auch.“

 

„Er war sooooo sauer auf mich.“

 

„Nicht nur auf dich. Wir wurden alle deswegen bestraft.“ Chōji genehmigte sich einen Mund voll Reis und schaukelte amüsiert seinen Kopf von Seite zu Seite, während er kauend lachte. „Für zwei Wochen hat er uns tagtäglich D-Rang Zivildienste verrichten lassen. Das war lahm und im Übrigen vollkommen deine Schuld; nur für den Fall, dass ich damals zu nett war, um das klarzustellen.“

 

Giggelnd linste Ino durch die Spalten in ihren Fingern zu Chōji und ihre Augen verengten sich in falscher Drohung. „Zu meiner Verteidigung: er hat gelogen.“

 

„Jo“, erwiderte Chōji ernst, aber mit einem Glitzern in den Augen. „Und dir auch noch direkt ins Gesicht.

 

Mit aller Mühe versuchte Ino, eine blanke, empörte Miene aufzusetzen, doch noch mehr Kichern blubberte warm und süß nach oben und löste den Stich von Shikamarus Worten aus ihrem Herzen. Lachend rieb sie sich mit den Händen über ihre schmerzenden Wangen und schob sich das Haar hinter die Ohren, während sie sich mädchenhaft und albern fühlte – aber mit viel leichterer Stimmung. Mit dem Ellbogen stupste sie Chōji an. „Du schaffst es immer, dass ich mich besser fühle. Sogar, wenn du es hinkriegst, Schmutz aus meiner quietschsauberen Vergangenheit zu zerren.“

 

Glucksend zuckte Chōji mit den Achseln und fing an, ein Tablett mit Sushi zu attackieren, bevor er mit rapide klackenden Stäbchen in Inos Richtung stach. „Iss. Du hast es versprochen.“

 

Ein gerissenes Grinsen verzog einen von Inos Mundwinkeln. Sie griff in die Tasche ihres blasslilanen Yukata, den sie aus Sakuras Zimmer stibitzt hatte – auf keinen Fall würde sie Riesenstirn den Vorrang lassen, wenn es um irgendetwas Lilanes ging – und schnippte sich eine Nahrungspille in die Handfläche. 

 

Viel zu spät, um sie aufzuhalten, hob Chōji den Blick. „Hey!“

 

Mit spielerischer Unschuld klatschte sie sich mit einer ‚Ups‘ Geste die Finger gegen die Lippen, warf dabei die Pille in ihren Mund und schluckte. Mit einem Schluck aus kaltem, grünem Tee spülte sie das Ding hinunter und lächelte zuckersüß zu Chōji hinauf. „Da. Ich habe gegessen. Du kannst nicht behaupten, dass ich das nicht gemacht habe.“

 

In übertriebener Fassungslosigkeit glotzte Chōji sie an, sein Gesichtsausdruck entsetzt, als er wisperte: „In mein Gesicht!“

 

Grinsend schaukelte Ino auf den Knien zu ihm hinüber und gab ihm einen kurzen Schmatzer auf die Wange, was sein verletztes Schauspiel in ein unbeholfenes Erröten verwandelte. Es war so liebenswert, so unschuldig süß, dass sie dem Drang widerstehen musste, ihn in einer Umarmung fest zu knuddeln. 

 

Er gab die besten verdammten Umarmungen auf der ganzen Welt. 

 

Doch unglücklicherweise neigten diese besten verdammten Umarmungen dazu, ihre Widerstandskraft zu zerschmettern, ebenso wie ihre Fassung. Und jetzt im Moment konnte sie es sich nicht leisten, auch nur eins von beidem zu verlieren. 

 

Reuig begnügte sie sich damit, mit den Fingern durch seine stacheligen, kastanienbraunen Strähnen zu wuscheln und drehte die Enden spielerisch, während sie sich auf die Füße rappelte. „Deswegen liebe ich dich, Chōji. Du hältst mir nicht halb so viel Mist vor wie Shikamaru, wenn es darum geht, was ich esse oder eben nicht esse.“

 

„Jo, wie wäre es, wenn du den Gefallen dann mal von Zeit zu Zeit erwidern würdest?“, grummelte der Akimichi halbherzig, während er sein Haar wieder halbwegs glatt strich. „Aber ich meine es ernst, Ino, diese Nahrungspille zählt nicht. Genauso wenig wie die Chakrapille, die du vorhin genommen hast.“

 

„Nag, nag, naaaaag.“ Als sie den niedrigen Kotatsu Tisch umrundete, wühlte Ino noch einmal sein Haar auf und machte sich auf den Weg zur Tür. „Ich verspreche dir, dass ich nicht mit leerem Magen aufbrechen werde, okay? Vielleicht gönne ich mir einen Mitternachtsimbiss, während du das gesamte Gasthaus zusammenschnarchst.“

 

Mit den Essstäbchen stach Chōji in ihre Richtung. „Ich schnarche nicht.“

 

„Nein, du schniefst lieblich während du schläfst“, schnaubte Ino in einem Singsang, bewegte sich träumerisch auf die Veranda zu und zwinkerte angesichts Chōjis perplexem Blick. 

 

Dieses lässige Schauspiel täuschte ihn nicht. Seine Miene ernüchterte. „Ino…du musst nicht-“

 

„Ich weiß“, unterbrach sie ihn und ein trauriges Lächeln formte sich, während sie sprach. „Aber irgendwie brauche ich es."

 

Chōji presste die Lippen aufeinander, nickte mit sanftem Verständnis, das es nur noch schwerer machte, zu gehen und noch viel schrecklicher, zu bleiben. Es wäre viel zu einfach, sich an ihn zu lehnen. Zu leicht, daran zu denken, dass diese breiten Schultern ihre Probleme ebenso tragen konnten wie seine eigenen. 

 

Hör auf.

 

Als sie nach draußen schlüpfte, schob sie das Fusama Paneel hinter sich zu und lehnte sich gegen den Rahmen, während sie gleichzeitig tief durch die Nase Luft holte. Langsam zählte sie bis sechs, atmete geräuschlos aus und rieb sich mit einer Hand über die Lippen, bis sie stachen. 

 

Reiß dich zusammen…

 

Unmöglich, das zu schaffen, wenn sie bei Chōji war; seine Freundlichkeit löste Verletzlichkeit aus. Es war so sanft, so innig, so sicher, in seiner Nähe zu sein, dass die Anstrengung, stark zu sein, in seiner Gesellschaft vollkommen erschöpfend wurde. In einer Situation wie dieser gab es nur zwei Optionen; Schutz suchend zu ihm rennen und es alles nach unten stürzen lassen, oder verflucht nochmal wegrennen, um nicht auseinander zu fallen. 

 

Shikamaru machte immerzu Letzteres. 

 

Und Ino machte immerzu Ersteres. 

 

Oder zumindest war das so gewesen…bevor sie Asuma versprochen hatte, dass sie sich um die beiden kümmern würde. Sie wusste, dass sich selbst abzuriegeln nicht das war, was ihr Sensei gewollt hatte – aber jetzt im Moment war es das Beste, was sie tun konnte. Es war das, was fair war.

 

Mein Rumgejammer kann Chōji jetzt wirklich überhaupt nicht brauchen.

 

Er verbarg es gut, aber Ino wusste, dass er genauso verletzt war, genauso verstört und genauso entsetzt über Shikamarus Verhalten – wenn nicht sogar mehr als sie. Er liebte Shikamaru mit einer Tiefe, Innigkeit und Stärke, von der Ino mit aller Ernsthaftigkeit glaubte, dass sie sogar Narutos Hingabe in Bezug auf Sasuke übertraf. Und trotz all seiner Heiterkeit, mit der er sie behandelte, wusste Ino, dass Chōjis Herz sank wie ein Stein. Er war stark für sie, aber sie ging davon aus, dass er Wegen Shikamarus Stimmungs- und Chakraschwankungen eine entsetzliche Angst hatte. 

 

Und ich muss für ihn da sein…ich muss in dieser Sache stark sein…

 

Sie hatten immer noch eine Mission abzuschließen. Ihre Köpfe mussten am richtigen Platz bleiben. Doch unglücklicherweise war Shikamaru nicht in ihren Köpfen; er war in ihren Herzen…und ihre Herzen befanden sich unter der kalten, unbarmherzigen Klinge der Pflicht. Neji hatte keinerlei Probleme damit, sie an diese Tatsache zu erinnern; an diese Notwendigkeit. 

 

Reiß dich einfach noch ein bisschen länger zusammen…

 

Ein bisschen länger und ein bisschen stärker. Das musste sie sein. Beständig. Stark. Stark genug, um neben Chōji zu stehen und nicht hinter ihm, wenn sie Shikamaru gemeinsam konfrontierten. Als eine Einheit. Als eine Familie. 

 

Was mehr ist, als diese Kinder jemals haben werden…

 

Das Bild des toten Kindes kehrte zu ihr zurück, wusch sich rot und schwarz – und dann kehrten Shikamarus Worte zu ihr zurück. Eine mentale Ohrfeige, die ein Stich in ihrem Hirn war und ihr Herz zu einem heftigen Stottern trat. 

 

‚Glaubst du ernsthaft, dass es dir irgendwelche Karmapunkte bei Asuma einbringen wird, wenn du den König von jemand anderem beschützt? Ist ein bisschen verfickt spät, um ihm zu beweisen, was du wert bist, denkst du nicht auch?‘

 

Keuchend umklammerte sie ihren Unterleib und spürte das ausweidende Gefühl von Versagen, das sich wie ein eiskalter Dorn durch sie grub und aufwärts durch ihr Herz trieb. Sie war nicht in der Lage gewesen, Asuma zu retten. Aber dieses Kind…dieses Leben…es war innerhalb ihrer Reichweite gewesen, es zu retten…und dann war es weggeschnappt worden. 

 

Und was noch viel schlimmer war? 

 

Es war keine Chimäre gewesen, die dieses Kind getötet hatte. 

 

Es war eine Person gewesen, ein menschliches Wesen. 

 

Was denjenigen zu einem Monster macht, das viel schlimmer ist als die Chimären…

 

So krank diese Hybridenbestien auch sein mochten, der Gedanke daran, dass eine Person diesen kleinen Flintdolch in die Kehle eines hilflosen und verängstigten Kindes getrieben hatte, traf Ino doppelt so hart, ließ sie bis ins Mark frösteln und widerte sie zutiefst an. Hatte sich der Junge hilfesuchend an diese Person gewandt? Hatte diese Person ihm Sicherheit und Geborgenheit versprochen, bevor sie ihm das Leben genommen hatte? Oder war es einfach passiert? Schnell? Langsam? Gott, sie hoffte, dass es schnell gegangen war. 

 

Es tut mir leid…es tut mir so leid…

 

Ruckartig schüttelte sie den Kopf und wischte die Tränen fort, die sich an ihren Wimpern sammelten. Weinen würde das Kind nicht wieder zurück bringen. Den Bastard von Kusa-nin zu finden, der diese Tat begangen hatte, war das Beste, worauf sie hoffen konnte. Ein Akt der Vergeltung, genau wie bei Asuma. Vielleicht würde die Seele des Jungen dann leichter Frieden finden, wenn sie wusste, dass es jemanden kümmerte. Ino hatte es nicht gewagt, Neji noch weiter nach den anderen Kindern zu fragen und wusste nur, dass Nogusa sichergestellt hatte, dass sie für sofortige medizinische Versorgung und Pflege in einen weiteren Gästeflügel gebracht worden waren. 

 

Das Schlimmste haben sie überstanden…

 

Gemessen an der Hölle, die sie durch gemacht hatten, würde eine neue Chance auf ein Leben hoffentlich ihr Segen sein. 

 

Sobald wir morgen zurück sind, werde ich nach ihnen sehen.

 

Ino verschränkte die Arme und zwang sich über die Veranda zurück zu ihrem eigenen Zimmer, wobei ihre nackten Füße leise über das kühle, polierte Holz tapsten. Ein Strahl aus orangenem, rotem und gelbem Licht streifte den dunkler werdenden Himmel und vermittelte eine Wärme und Geborgenheit, die der Wind nicht mit sich trug. 

 

Außerhalb ihres Raumes blieb Ino stehen, während ihr Blick an der Markise vorbei nach oben schwang. 

 

Ein Paar rot gekrönter Kraniche segelte über sie hinweg und rief leise. Isolation und ein vages Gefühl von Melancholie senkten sich über sie und lösten erneut eine Gänsehaut auf ihren Armen aus. 

 

Ich sollte meditieren…den Kopf frei bekommen…vielleicht sollte ich auch versuchen, etwas zu essen…

 

Ihr Magen drehte sich bei dem Gedanken an Essen; zu voll mit Knoten, zu voll mit Anspannung. Sie spähte hinaus auf die Gärten und entschloss sich, dass ein kleiner Abstecher vielleicht eher dazu beitragen würde, ihren Kopf frei zu bekommen, als irgendwelche meditativen Rituale. Langsam schlüpfte sie in ein Paar Geta Sandalen, das am Rand der Terrasse stand, trat hinaus in die feuchten, duftenden Wassergärten und begann einen gemächlichen Spaziergang über das Gelände. 

 

Exotische Blüten fingen ihren Blick ein und sie ließ ihre Gedanken durch die vertraute Aufgabe wandern, die verschiedenen Spezies zu klassifizieren und zu katalogisieren. 

 

Papageien-Inkalilien, Tränendes Herz, Wasserjasmin, Frangipani, Malabar-Lackbaum…

 

Unglaublich. Das Land der Verschlungenen Wurzeln mochte mit seinen Dschungeln ja vielleicht ein verrücktes, unbewohnbares Chaos besitzen, aber Ino konnte die Schönheit dieser kultivierten Gärten einfach nicht verleugnen. 

 

Exquisit.

 

Neben einem seltsam aussehenden Busch blieb sie stehen und sah zu, wie sich die blühenden Blumen langsam öffneten. Die Blütenblätter zogen sich zurück wie Luftschlangen und verliehen der Pflanze ein weiches, flaumiges Aussehen; spielerisch und zart. Es war eine bezaubernde kleine Pflanze und würde sich hervorragend in einem Ikebana Arrangement machen. Während ihre Finger über die federnden Blütenblätter strichen, machte sie sich eine mentale Notiz, ein paar Proben zu sammeln.

 

Solche Blumen habe ich noch nie gesehen…

 

Das drängte ihr die Frage auf, wie viele von ihnen wohl natürlich und wie viele Hybriden waren. Bei diesem Gedanken erstarrten ihre Finger und sie zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Gefährliche Gedanken. Sie drohten, ihren Verstand wieder zurück zu den Pflanzenkuppeln in der Einrichtung zu lenken. 

 

Rasch änderte sie den Kurs und überquerte eine sanft geschwungene Brücke, die sich über einen Lilienteich streckte. 

 

Direkt vor ihr stand ein riesiger, düsterer Findling eingefasst in einen Ring aus seidigem Federgras und erweckte die Illusion eines gigantischen Eis in einem Nest. Eingraviert in diesen Findling standen die Worte: TATSU-EN.

 

Der Drachengarten.

 

Neugierig gemacht bewegte sich Ino von den Wassergärten fort und stieg einen gewundenen Pfad aus breiten Trittsteinen hinab, um auf niedrigere Ebenen zu sinken, die von satten Farnen und von Herzstücken erfüllt war, die von leuchtend grünem Moss eingefasst waren. 

 

Ino pflückte eine Blume und legte sie auf einen Miniaturaltar. 

 

Inzwischen brannte der Sonnenuntergang wie eine Kerze hinter ihr und ließ ihr Haar in orangegoldenen Strähnen schimmern, als sie ihre Handflächen aneinanderlegte und ein leises Gebet sprach; für die Kinder, für ihre Teamkameraden…für Shikamaru. 

 

„Sensei…“, wisperte sie. „Bitte sag mir, was ich tun soll.“

 

Stille…abgesehen von dem frühabendlichen Chor der Natur, die erwachte und sich gleichzeitig niederließ. Leises Zirpen und entfernte Rufe, das lange, zitternde Quaken eines Frosches, der zwischen den moosbewachsenen Steinen umher hüpfte. 

 

Ino ließ den Schrein und ihre Gebete hinter sich und setzte ihren Pfad fort. 

 

Weitere Felsen kamen wie eine Reihe rauer, asketischer Klippen in den Blick, die von Moos und winzigen, knospenden Blüten eingefasst waren. Überlappend ausgerichtet, grenzten diese Klippen den nächsten Teil des Gartens wie eine natürliche Trennwand ab und über ihre übereinanderliegenden Oberflächen, meisterhaft in den Stein gemeißelt, erstreckte sich eine lange, überbordende Skulptur eines Drachen. Sie war entworfen wie ein Wandgemälde und so gestaltet, dass der Drache über mehrere Steinleinwände floss, wobei die rauen und unterschiedlichen Beschaffenheiten des Fels den Effekt sich kräuselnder Bewegungen erzeugten. Bänder aus Dampf schlängelten sich durch Fissuren im Stein und erschufen eine Illusion aus Nebel – wie der Atem eines lebenden Tieres. 

 

Während sich Ino näherte, wurde sie sich bewusst, dass sich die Luft feucht und wärmer anfühlte.

 

Das leise Blubbern von Wasser drang an ihre Ohren. 

 

Eine heiße Quelle?

 

Das erklärte auf jeden Fall den Dunst. Sie sah zu, wie er über schimmernden Farnen und hohem, seidigem Federgras schwebte und sich in rauchenden Ranken über einen Pfad mit rosa Kieselsteinen ergoss, der sich zwischen den Felsen und bis zur anderen Seite entlang zog. Jenseits davon konnte sie das schwache Glühen von Laternenlicht sehen. Eine vorzügliche Einladung…das Versprechen warmer Wasser…ein kleiner Luxus am Ende eines langen und beschissenen Tages…

 

Was kann es schon schaden?

 

Ein kleines Lächeln zupfte an ihren Lippen und Ino spähte debattierend über ihre Schulter. Im Moment wurde sie von niemandem gebraucht und auch wenn sie die Dinge mit Shikamaru lösen wollte, war sie immer noch zu verletzt, um ihm jetzt schon mit einem klaren Kopf begegnen zu können. 

 

Was ist denn überhaupt besser dazu geeignet, den Kopf frei zu bekommen, als ein schönes, reinigendes Bad?

 

Eine exzellente Frage ohne Gegenargument; all ihre innerlichen Kritiker blieben stumm und schliefen, wartend auf ihren Weckruf am nächsten Morgen. 

 

Mission von Morgen. Anforderungen von Morgen.

 

Scheiß auf Morgen. Sie hatte noch immer das Ende von Heute. Und sie wollte verdammt sein, wenn sie diesen Tag enden lassen würde, ohne etwas zu haben, über das sie lächeln konnte; etwas, das den Biss aus dem Stich nahm, der Verletztheit, der Sorge. 

 

Also wasch es fort…nur für eine kurze Weile…

 

Angezogen von dem Komfort des heilenden Wassers und reinigender Salze, trat Ino auf den nebligen Pfad, während sie ihre Finge über den bearbeiteten Stein und warmen Fels streichen ließ. Als sie so hinüber zur anderen Seite schlenderte, war sie viel zu versunken im Wandbild des Drachen und den schwebenden Papierlaternen, dass sie nicht die schwarze Lederjacke bemerkte, die über einen der Steine geworfen war…oder den großen weißen Hund, der in dem seidigen Federgras schlummerte.

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  swetty-mausi
2022-05-05T20:09:44+00:00 05.05.2022 22:09
Guten Abend,

mal wieder ein tolles Kapitel von dir.

Antwort von:  _Scatach_
19.06.2022 23:36
Huhu :)

Sorry für mein unglaublich späte Antwort :/
Es freut mich sehr, dass dir das Kapitel gefallen hat :)
Von:  Scorbion1984
2022-05-05T17:59:25+00:00 05.05.2022 19:59
Oha ,trifft sie nun auf Kiba ,das wäre für die Beiden eine Überraschung.
Neji ,kämpft mit seinen Gefühlen und dem Pflichtbewusstsein ,mal sehen was gewinnt.
Antwort von:  _Scatach_
19.06.2022 23:35
Hey, sorry mal wieder für meine unfassbar späte Antwort :(

Haha, ja, das wäre wirklich spannend für Ino, wenn sie auf Kiba trifft.
Dieser Zwiespalt wird Neji auf jeden Fall noch länger beschäftigen ^^


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