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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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Something changes

Heulen. Da war ein Heulen in Kibas Kopf. Sein eigenes, das von Akamaru und das Heulen der Chimären. Diese abgefuckten Affenhybriden hatten etwas Hündisches in sich. Aber sie waren kein Hund. Kein Wolf. Keinen Pfifferling wert. Blutrausch füllte Kiba bis zum Rand und drohte, über die Kanten seiner Kontrolle zu fließen. In seinem Kopf gab es keinen Käfig, nur seidiges Federgras, das rot verfärbt war, rot, rot, rot…

 

„GATENGA!“

 

Chakra riss sich durch ihn, dann durch sie. 
 

Rot.

 

Wunderschönes Rot. 

 

Es flutete sein Sichtfeld, seine Welt; eine Wildnis, wo nur der Kampf zählte. Nur der primitivste Drang zu töten oder getötet werden wogte schreiend durch sein Netzwerk, fraß Chakra und floss in Jutsu für Jutsu, bis er sich im Töten treiben ließ, in dem Chaos. Fangzahn über Fangzahn, wieder und wieder und…

 

Es ist vorbei.

 

Sagte die Stimme in seinem Kopf; der menschliche Teil, nicht der tierische. Der höfliche Passagier räusperte sich, als er doch einfach nur heulen wollte. Ein Zuschauer des Amoklaufs. Der Meister. Nicht das Biest. 

 

Es ist vorbei.

 

Er spürte, wie diese Worte an seiner Kette ruckten und ihn wieder nach innen zerrten. Er war sechs Kills tief und grub immer tiefer, riss, getrieben von Hunger, Fleisch von Knochen…bis er das Salz roch. Nicht die Art, die in Blut vorkam. Das andere Salz. Das Salz, das nicht in seidiges Federgras gehörte…

 

Jemand weinte. 

 

Jemand. Jemand. 

 

Die Kinder. Die Kinder weinten. 

 

Shit. Die Kids.

 

Sofort hörte Kiba auf zu kämpfen. Einfach so. Auf allen Vieren kam er zu einem krachenden Stillstand und löste sich von Akamaru, als das Jutsu nachließ. Sein Ninken schlitterte ein Stück weiter über den blutgetränkten Boden und ein tiefes Knurren gurgelte dabei in seiner Kehle mit gelben Augen, die zehn Arten von wild waren – jenseits von Hund und auch jenseits von Wolf. 

 

Es ist vorbei, sagte die Vernunft. 

 

Nein, ist es nicht, sagte etwas, für das er keinen Namen hatte. 

 

Und Akamaru befand sich auf derselben Wellenlänge wie die letztere Stimme. Während er sich Blut aus dem Fell schüttelte, kam der Ninken nach vorn und hob die Lefzen in einem wölfischen Grollen. 

 

Es gab nichts mehr abzuschlachten. 

 

Nur barfüßige Kinder, die im Dreck kauerten. 

 

Schwer keuchend wirbelte Kiba mit einem warnenden Knurren zu seinem Ninken herum und seine krallenbewährten Finger schnappten in einem behelfsmäßigen ‚Biss‘ nach vorn, der Akamaru an der Flanke traf. Bei dem Zwicken zuckte der Hund ein wenig zusammen und ging von Raubtiermodus in schlagartige Unterwürfigkeit über, als er zurückwich, um sich auf die Hinterläufe niederzulassen und die Gewalttätigkeit in langem Schnaufen aus ihm wich. Seine Zunge hing heraus, der Wolf zog sich zurück und der Hund kam wieder. 

 

Kiba hingegen brauchte länger, um sich wieder einzukriegen und seine Nerven knisterten hitzig. 

 

Verdammt…was für ein Rausch…

 

Verdammt, was für ein Durcheinander. Der Gestank von Tod verstopfte seine Nase und hing in seiner Kehle. Hyänen-Affen Chimären lagen in Stücken zerstreut um ihn herum. Totes Fleisch, in Fetzen gerissen. Sein Chakra hatte sie ziemlich gut durchgekaut, aber sie waren nicht liegen geblieben. Fette, hartnäckige Bastarde. Zum Kämpfen erschaffen. Er hatte sich dabei auch ein paar Andenken eingefangen und der Schmerz machte sich eine Wunde nach der anderen bemerkbar. 

 

Wo ist das Eis von Nejis Hintern, wenn man es braucht?

 

Der Gedanke ließ ihn grinsen, auch wenn er sich ein wenig benommen fühlte. Erschöpfung lag direkt jenseits des Adrenalins und in einem langsamen Kriechen verließ ihn seine Energie und nahm dabei sein Chakra mit sich. Als er sich von den Handflächen abdrückte und auf die Knie sinken ließ, packte er seine Schenkel, keuchte schwer und richtete seine Augen auf die Kinder. Es waren vier; drei Mädchen und ein Junge. Verlorene Welpen ohne Namensmarken, nur blanke, stierende Gesichter – abgesehen von ihren Augen. Ihre Augen sprachen auf eine Weise zu ihm, wie es bei Tieren der Fall war. Sprachen von Misshandlung und Vernachlässigung und dem bitteren Geruch von Zorn, der irgendwo in dem Salz begraben war…

 

Er war überrascht, dass sie sich nicht zerstreut hatten. 

 

Hn. Schätze mal, dass es mir nicht gerade Pluspunkte einbringt, wenn ich Akamaru dazu bringe, auf sie zu pinkeln…

 

Naja, er hatte sie beschützt. Mit Sicherheit musste ihm das zumindest ein bisschen Vertrauen eingebracht haben. Scheiße, sie hatten die Möglichkeit, abzuhauen, aber im Moment ergriffen sie sie nicht. 

 

Gut…

 

Er hatte auch keine Lust auf eine Runde Fangen spielen. Und er hatte bereits genug Zeit verloren, indem er mit Akamaru einen auf einsamen Jäger gemacht hatte. Eigentlich war er auf der Suche nach seinem eigenen Rudel gewesen und hatte nicht vorgehabt, dieses Bündel aus kleinen Streunern zu finden. 

 

Shit. Ich kann keine Spur aufnehmen und die Kids gleichzeitig beschützen.

 

Kiba schluckte schwer und wartete, bis etwas von dem Grollen seine Stimme verließ – und dann berührte er sein beschädigtes Mikrofon, um an den Einstellungen herum zu fummeln. „Yo. Hört mich irgendwer?“

 

Doch bevor der Ohrstöpsel auch nur knacken konnte, erhaschte er den Geruch eines anderen Tieres – etwas, das sich viel zu schnell bewegte, um gehört werden zu können und es näherte sich ihm aus variierenden Richtungen, als würde es Sätze machen, während es sich immer noch fortbewegte. 

 

Was zur Hölle?

 

Kiba wirbelte herum und rutschte zurück, um sich mit gezogenem Kunai zwischen die Kinder und die Bedrohung zu stellen. Auch Akamaru hatte bereits eine defensive Haltung angenommen, die Beine gespreizt und den Kopf niedrig, während er die Lefzen über schimmerndem Zahnfleisch und spitzen Fangzähnen zurück zog. 

 

„Ganz ruhig“, knurrte Kiba, als seine eigene Haltung in eine raubtierhafte Hocke sank. Seine Augen blitzten und seine Ohren spitzten sich über das Rauschen von Blut in seinem Kopf. 

 

Ein blitzartiges Flackern aus dem Augenwinkel; viel zu schnell, um ihm folgen zu können. Er musste es aber auch nicht verfolgen, denn es erschien erneut, flackerte nach links und dann wieder zurück nach rechts. Ein silberweißer Blitz, der im Zickzack ins Sichtfeld auf- und wieder abtauchte, bevor er direkt vor ihm in der Mitte erstarrte. 

 

Ein weißer Fuchs. 

 

Verwirrt blinzelte Kiba und hätte vielleicht sogar ein bisschen gelacht. „Sieh an, na bist du nicht süß?“

 

Der Fuchs legte die Ohren flach gegen den Schädel und sein Fell sträubte sich entlang des Nackens. Doch bevor Kiba die Zurschaustellung von Verärgerung bei dem Tier vollständig registrieren konnte, schossen zwei weitere Füchse aus dem Dickicht, strichen über die kurze Distanz und kollidierten in einem Flackern aus Chakra mit dem anderen Fuchs, das so intensiv war, dass sich die Luft wie in einem Hitzeflimmern verzerrte. 

 

Innerhalb eines Wimpernschlags stand der fuchsgesichtige Nagu Wächter vor ihm. Jetzt lachte Kiba wirklich und sein Körper sackte etwas zusammen. „Tja, Shit.“

 

Fuchsgesicht sah an ihm vorbei zu den Kindern und bernsteinfarbene Augen weiteten sich leicht bei ihrem Anblick. Es war keine Überraschung, die sich auf dem Gesicht des Nagu bemerkbar machte. Eher eine Art Bestätigung – als hätte er die ganze Zeit nach ihnen gesucht. 

 

Stirnrunzelnd richtete sich Kiba auf, schob das Kunai in seinen Ärmel und humpelte hinüber. „Wo sind die anderen?“

 

Fuchsgesicht ruckte mit dem Kopf über die Schulter und deutete damit in die Richtung, aus der er gekommen war. Das war nicht wirklich die Beschwichtigung, die Kiba gewollt hatte. Der Hundeninja zog die Brauen zusammen. „Ist irgendjemand verletzt?“

 

Der Nagu blinzelte ihn nur an und wiederholte dieses ‚über die Schulter‘-Ding, bevor er sich auf die Kinder zubewegte, sich in einer Hocke niederließ und die Handflächen nach außen hielt, um mit Körpersprache in die universellen Zeichen von Frieden überzugehen. Die Kinder schienen zu zögern, aber gemessen an ihren Optionen an Rettern, musste Fuchsgesicht wohl wie die sicherere Wette aussehen. Zum Beispiel war der nämlich nicht von Kopf bis Fuß mit Chimärenblut und Eingeweiden besudelt. 

 

Ugh…

 

Während er sich so das Chaos besah, wurde Kiba von Sorge hart in die Magengegend getreten – etwas verspätet und vollkommen plötzlich. Er hatte eine ganze Menge mehr von diesen Monstern gerochen. Der Nagu Typ hingegen schien nicht sonderlich besorgt zu sein, aber Kiba würde das Schweigen von dem Kerl sicher nicht als Indiz dafür nehmen, dass die anderen auch wirklich okay waren. 

 

„Oi!“, blaffte Kiba den Nagu an – wie zur Hölle hieß er noch gleich? Scheiß drauf. „Ich hab dich was gefragt.“

 

Als er sich aufrichtete, bedachte Fuchsgesicht den Hundeninja mit einem Ausdruck erzwungener Geduld und berührte sachte seinen Mund, während er den Kopf schüttelte. Da er ziemlich genervt war, brauchte Kiba eine Sekunde, um zu begreifen. Überrascht blinzelte er. Ein stummer Wächter, huh? Das wäre ja vielleicht interessant gewesen, wenn es nicht so abartig zum Kotzen gewesen wäre, wenn es um das Sammeln von Informationen ging. 

 

Wird für ihn auch nicht gerade spaßig sein…

 

Obwohl Kiba angesichts der allgemeinen Ernsthaftigkeit der Nagu stark bezweifelte, dass Spaß überhaupt bei irgendetwas eine Rolle spielte. Mit einer Ruhe, die stark darauf hindeutete, dass sie sich außerhalb einer unmittelbaren Gefahr befanden, begann Fuchsgesicht, die Kids behutsam in die Richtung zu treiben, aus der er gekommen war, während er Kiba gleichzeitig mit einem Winken bedeutete, ihm zu folgen. 

 

Nett.

 

Viel zu müde, um sich quer zu stellen, grunzte Kiba einfach nur zustimmend und folgte in geringem Abstand, wobei er seine Verletzungen katalogisierte und einschätzte, wie viele davon wohl als Narben zurückbleiben würden. Er scherte sich nicht wirklich um diese Male. Er hasste einfach nur das Jucken heilender Haut. Vielleicht konnte er sich mit Charme einen Weg zu einer Chakraheilung von Ino manövrieren. 

 

Ino…

 

Während seines Kampfes hatte er nicht zugelassen, an irgendjemand anderen zu denken. Viel zu ablenkend. Zu gefährlich. Aber jetzt…

 

„Akamaru“, krächzte er. „Bleib bei den Kids.“

 

Ein leises Wuff von seinem Ninken und Kiba beschleunigte seine Schritte, wischte den Schmerz beiseite, der in seinem Körper brannte und wurde dabei von einer plötzlichen Dringlichkeit getrieben, die weniger mit Sorge und mehr mit Panik zu tun hatte. Er verfiel in ein Traben, überholte die Kinder und Fuchsgesicht, folgte seiner Nase einen Pfad entlang, der sich ihm nur aufgrund von Geruch offenbarte, bewegte sich schneller, atmete schwerer, rannte inzwischen. 

 

Fauchend probierte er noch einmal sein Mikrofon aus. „Verfickt nochmal, redet endlich mal jemand mit mir?!“

 

„Kiba.“

 

Ruckartig kam er zum Stehen, stolperte dabei über eine Wurzel und wirbelte, geschockt von seinem Ausrutscher, herum. Hätte sie ihn nicht gerufen, dann wäre er direkt an ihr vorbei gerannt. „Scheiße. Tenten.“

 

Geduckt in einem Versteck aus den Wurzeln eines massiven Würgebaums, grinste die Kunoichi düster zu ihm hoch und ein kleines Blutrinnsal lief aus dem Schnitt in ihrer Stirn, um die Seite ihres Gesichtes wie eine Träne einzurahmen. „Du kommst spät zur Party.“

 

Kiba stieß ein atemloses Lachen aus und schlich zu ihr hinüber, wobei er diesmal auf Knöchel brechende Fallen und von Wurzeln geformte Schlaglöcher achtete. „So toll kann es ja nicht sein, wenn du es nur aussitzt.“

 

Noch einmal versuchte sich Tenten an einem Schmunzeln, verzog aber auf halbem Weg das Gesicht. „Die Tanzfläche wurde ein bisschen chaotisch. Gott, du siehst furchtbar aus, Kiba.“

 

Schnaubend ergriff Kiba ihre ausgestreckte Hand und zog sie sachte zu sich heran, während er ihren Arm um seine Schultern legte und dabei den zehn Zentimeter langen Dorn ignorierte, der noch immer in seinem Rücken steckte. „Hast du irgendwen von den anderen gesehen? Weißt du, ob sie okay sind?“

 

„Jo, uns geht’s allen soweit gut. Das Team hat sich weiter hinten beim See wieder gesammelt“, bestätigte sie und lehnte sich an ihn, um ihr rechtes Bein ein wenig zu entlasten. „Ich habe versucht, diesen Nagu Typen zu finden, aber er hat sich einfach viel zu schnell bewegt. Ino hat irgendwas gesagt, sie hätte Kinder oder einen Jungen gesehen. Bin mir nicht sicher, ob da irgendein komischer Pflanzensaft seinen Schabernack mit ihrem Verstand treibt. Ich glaube, Yako ist los, um das zu überprüfen.“

 

Yako! Das war’s.

 

„Kein Pflanzensaft; dahinten habe ich vier Kinder gefunden“, sagte Kiba, als Erleichterung über die Kanten seiner Panik hinweg wusch und die Anspannung in seinem Gesicht etwas weicher machte. Ino und die anderen waren sicher. Scheiße. Sein Verstand hatte sich schon auf das Schlimmste gefasst gemacht. 

 

Jetzt müssen wir uns nur noch um Team Hyūga Sorgen machen…

 

„Was zur Hölle machen Kinder in einer Einrichtung wie dieser?“, fragte Tenten leicht taumelnd. „Das ist kein Ort für Kids, nichtmal an einem guten Tag.“

 

„Sollte man meinen, gell? Pass auf, wo du hinläufst.“ Kiba bog seinen Arm um Tentens Taille und lief vorsichtig weiter, um sie in die Richtung zu führen, in die er gegangen war. „Yako bringt sie mit. Bist du schwer verletzt?“

 

„Ich glaube, der verstauchte Knöchel tut mehr weh als alles, was blutet.“

 

Kiba warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Verstauchter Knöchel. Ernste Sache. Denkst du, du kommst durch?“

 

„Ha, ha“, grummelte sie und hoppelte neben ihm her. „Ich kann dir immer noch mit dem anderen Fuß in den Arsch treten, Inuzuka.“

 

Sie stapften ein Stück weiter und fanden einen überwucherten Versorgungsweg, der hinunter zum See führte. Unter dem dumpfen, roten Glühen der Notfalllichter sahen die Kadaver der Chimären doppelt so blutig aus, die in Haufen und Fetzen herum lagen; zerstörte Spielzeuge der Wissenschaft, ein düsterer Spielplatz des Todes. Kiba rümpfte die Nase gegen den Gestank und neigte den Körper, um Tentens Gewicht abzufangen, als sie seitwärts einen Abhang hinab rutschten. Und in der Sekunde, als sie ebenen Boden berührten, wurde Kiba beinahe von den Füßen gerissen. Die Erde war frostig und rutschig vor Eis. 

 

Sein Griff um Tenten verstärkte sich. „Albinomädchen war wohl beschäftigt.“

 

„So wie du“, sagte eine Stimme hinter ihm. 

 

Shino.

 

Kiba stieß ein Seufzen aus, das mehr erleichtert statt verärgert war, drehte den Kopf und sah zu, wie sein Teamkamerad auf sie zu getrottet kam. Shino sah ziemlich fertig aus, aber nicht halb so blutig wie Kiba. 

 

Na schön.

 

„Verdammt“, lachte der Hundeninja und ließ Tenten vorsichtig zu Boden gleiten. „Bin ich der Einzige, der sich mit diesen Biestern im Dreck rumgewälzt hat?“

 

„Das wäre auf jeden Fall dein Stil“, erwiderte Shino. „Schlampig…aber zufriedenstellend. Immerhin hast du es ja lebend raus geschafft.“

 

Kiba hob die Brauen und ein trockenes Grinsen bog seine Lippen. „Pf. Ich hab mir auch Sorgen um dich gemacht, Kumpel. Wo sind die anderen?“

 

„Chōji und Yuki überprüfen die Umgebung. Ino ist -“ Als sich seine Aufmerksamkeit auf den Pfad richtete, brach Shino ab. Kiba spähte über die Schulter und sah, wie Yako die Kinder wie ein Schäfer den Hang hinunter dirigierte. Sie blieben dicht aneinander gedrängt und die Mädchen hielten sich an den Händen. Der Junge klammerte sich an Akamaru. 

 

„Also“, raunte Shino, „hatte Ino recht.“

 

Ein aufgeschrecktes Keuchen ließ ihre Köpfe herum schnellen. 

 

Ino stand ein paar Schritte entfernt; alle Arten von blutig und alle Arten von verletzt. Das Gesicht übersät mit zornigen Kratzern, ihr Haar ein schlaffes, verfilztes Band, das ihr über die Schulter hing und Verbände und Kompressen rosa verfärbt von Blut. Der Arm, den sie fest gegen die Brust gedrückt hielt, wies eine straffe Reihe an Wundnahtstreifen auf. 

 

Sie sah völlig erledigt und totmüde aus – aber sie lebte. 

 

Kiba fing an zu lächeln, aber dann sah er den wilden Ausdruck in ihren Augen. 

 

„Das ist er nicht“, wisperte Ino. 

 

Stirnrunzelnd folgte Kiba der Richtung ihres Starrens bis zu der Gruppe aus Kindern. Der Junge unter ihnen, ein verwahrlostes Kind mit sandfarbenem Haar und verängstigt zuckenden Augen, wich hinter Akamaru zurück. 

 

Mit zusammengezogenen Brauen neigte Shino den Kopf in Inos Richtung. „Was meinst du?“

 

„Das ist er nicht“, wiederholte Ino und stolperte vorwärts, während ihr der Atem in der Kehle stockte. „Da war noch ein Junge. Da war noch ein Kind.“ Sie pinnte Yako mit einem mörderischen Blick fest. „Wo ist das andere Kind!“

 

Kiba packte ihren Ellbogen und zog sie einen Schritt zurück. „Du machst ihnen Angst. Und da waren nur vier.“

 

Ino befreite sich aus seinem Griff und schubste ihn von sich, wobei sie Panik und Schuldzuweisungen mit diesen riesigen, verzweifelten Augen auf ihn übertrug. „Da war noch ein Junge. Ein anderer Junge! Ich habe ihn gesehen. Ich bin ihm nach. Ich…“ Sie brach ab und ihr Blick wanderte wieder den Hang hinauf. 

 

Bei dem Ausdruck in ihren Augen versteifte sich Kiba. „Ino.“

 

Genau wie er es vermutet hatte, stürzte sie los. Fluchend nahm er sofort die Verfolgung auf und überließ Shino und die anderen ihrer Bestürzung. Keine Zeit für Erklärungen und auch keine Zeit, um um Erlaubnis zu fragen. 

 

„Ino!“

 

Sie wurde nichtmal langsamer, hielt ihren Arm weiterhin gegen ihren Körper gedrückt, die Beine schwer ausgreifend, als sie den Abhang erklomm und in einem trunkenen Stolpern durch das Dickicht rannte – ungeschickt, müde, panisch. Die perfekte Beute. 

 

Scheiße!

 

Als er den Kamm des Buckels erreicht hatte, schaffte es Kiba, Boden wett zu machen, holte rasch auf und bahnte sich im Zickzack einen Pfad durch die Farne, um Ino den Weg abzuschneiden. Beim nächsten Hang kam er ihr zuvor und überrumpelte sie mit einem Satz, der sie beide krachend seitwärts durch ein blutverschmiertes Meer aus Pampasgras sandte. 

 

„Du Hurensohn!“, kreischte sie und kratzte nach ihm. 

 

Er zerrte sie unter sich und versuchte, sie mit seinem Gewicht festzunageln. 

 

Ganz blöde Idee. 

 

Ino rammte ihr Knie in einem raschen Rucken nach oben, das prekär kurz davor war, seine Eier bis hoch in seinen Hals zu donnern. Da sich Kiba rasch drehte, erwischte ihn der Schlag an der Hüfte und warf ihn von ihr. Blitzartig rollte sie fort, strampelte haltsuchend und kämpfte sich auf die Füße, während sie sich zum Rand des Grases tastete. 

 

Oh Scheiße nein, das machst du nicht.

 

In einem flinken Armeekriechen bewegte sich Kiba durch die hohen Halme und packte ihren Knöchel, um hart daran zu ziehen. 

 

Ino jaulte und ihre Arme wirbelten kurz herum, bevor stürzte und sich Büschel aus weichem Pampas um sie herum zusammenfalteten. Sie ging zu Boden und blieb unten. 

 

Schwer keuchend krabbelte Kiba zu ihr hinüber und fühlte sich dabei, als hätte man ihm gerade sein Becken zertrümmert. „Bist du eigentlich völlig bekloppt?“, fauchte der Hundeninja, als er sich durch das platte Gras schob und seine Arme zu beiden Seiten ihrer ausgestreckten Gestalt abstützte. „Du wirst ganz bestimmt niemanden retten, indem du…“ Die Worte verkeilten sich in seiner Kehle und sein Körper versteifte sich. 

 

Ino lag auf einen Ellbogen gestützt auf dem Bauch, als wollte sie sich aufrichten; nur war sie dann auf halbem Weg erstarrt, ihr Körper in demselben Schock versteinert wie ihre Miene.

 

Was zum?

 

Blinzelnd blickte Kiba nach vorn durch das Gras und sah, was sie anstarrte. Alles in seinem Inneren verwandelte sich zu Eis. Der Kampf verließ ihn so schlagartig, dass er spüren konnte, wie die Wärme aus seinem Gesicht wich und kalter Schweiß benetzte seine Stirn. 

 

Dort, im Dreck liegend. Ein Kind. Ein Junge. Kupferfarbene Haut, dunkelhaarig, seine blaugrauen Augen vakant in eine andere Welt stierend; aus dieser war er schon lange fort. 

 

Kiba war übel und dann fühlte er ein Schaudern, das in einem feinen Beben durch ihn wogte. Es war Ino. Ihr gesamter Körper zitterte unter ihm. Sie streckte einen Arm zu dem toten Kind aus und Kibas Herz hämmerte hart gegen seine Rippen. 

 

„Ino…“

 

Sie schüttelte den Kopf; zuerst langsam in einem benommenen Schwung von Seite zu Seite, der sich schnell zu einem wilden Schütteln beschleunigte. „Nein“, wisperte sie, ließ ihre Stirn gegen ihre Armbeuge singen und krallte ihre Finger in das Gras. „Nein. Nein. Nein.“

 

Bis ins Mark erschüttert schwebte Kiba weiterhin über ihr, sein Gesichtsausdruck zerrissen zwischen Schock und Verwirrung, als er die Leiche musterte. Keine Bissspuren. Keine Anzeichen eines Kampfes. Kaum Blut. 

 

Und dann sah Kiba es. 

 

Es waren nicht die Chimären gewesen, die den Jungen getötet hatten. Es war der kleine Flintdolch, der in seinem Hals begraben war. 

 
 

~❃~
 

 
 

Er wusste nicht wie, aber die Welt war fort.

 

Er selbst war ebenfalls fort.

 

Fort gegangen an einen Ort, an dem es nur die Finsternis gab. Doch es war keine leere Finsternis. Da war etwas, das in ihr wuchs; der Same eines Gedankens, eine kaum vorhandene Empfindung, ein Pulsieren so weich wie der Herzschlag eines Kindes. 

 

„Ein Kind?“, spottete die Finsternis. „Keine Kids hier unten außer du. Muss ich jetzt auch noch deine Hand halten?“

 

Aufgeschreckt von der Stimme öffnete Shikamaru die Augen und sah Farbe in der Finsternis; das Glühen einer einzelnen Flamme. Zusammengerollt zu einem Ball lag er auf harter Erde, die nach feuchtem Putz und verfaultem Stoff roch. Ein kalkhaltiger Rückstand bedeckte seinen Mund; vermischte sich mit dem abgestandenen Geschmack von Stroh und dem kupferartigen Hauch von Blut. Er lag in der Mitte einer Gefängniszelle, sah dünne Streifen aus Licht und Schatten; ein Überkreuzen von kaltem Stahl, der durch die Flamme golden schimmerte. 

 

Kein Gefängnis…ein Käfig

 

Er spürte feuchten Fels an seinem Rücken, seine Muskeln waren taub und steif. Ächzend drehte er den Kopf und blinzelte hinauf in die Dunkelheit. Eine blasse Steinwand bog sich hoch über ihn, stumpfe Stalaktiten tropften, tropften, tropften…

 

Kalkstein…

 

Das erklärte den kalkigen Geschmack und Geruch. Er versuchte, zu schlucken, fühlte einen seltsamen Druck an seinem Hals; als hätte sich eine kalte Hand um seine Kehle gelegt. Mühsam zerrte er einen Unterarm unter sich, hob langsam seinen Kopf und zog eine finstere Miene, als ihm sein Haar in die Augen fiel. 

 

Was zur Hölle macht mein Haar offen?

 

Als er sich etwas mehr aufsetzte, hörte er ein plötzliches Kratzen von Metall und das laute, schleifende Zischen davon zerriss die Stille. Stirnrunzelnd hob er eine Hand, berührte seinen Hals; und erstarrte. Kalter Stahl unter seinen Fingerspitzen – eine Fessel, die um seine Kehle gelegt war. 

 

Das darf nicht wahr sein.

 

Während er seine Finger gegen das sperrige Halsband krallte, folgte er ihm herum, suchte nach einem Riegel, einem Schloss – irgendwas! – fand aber nur eine dicke Schlaufe und eine Kette, deren raue, rostige Glieder nach unten auf den Boden schlängelten. Shikamaru klammerte sich daran, als wäre es eine Rettungsleine, kroch auf den Knien vorwärts und folgte der Kette zu ihrem Anfang – einer eisernen Schlaufe, die in steinharte Erde getrieben war. Er riss daran, kratzte an den Rändern herum, suchte nach Schwächen, bis Blut unter seinen Fingernägeln verkrustete. 

 

„Hn. Viel Glück dabei.“

 

Knurrend rammte Shikamaru die Ferse seines nackten Fußes gegen die Öse und verstauchte sich dabei den Knöchel. Keine Schuhe, kein Shirt, nur schwarze Hosen und eine Netzweste. Er drehte seine Hände hierhin und dorthin, die Augen weit und eine Übelkeit erregende Panik zog sich durch ihn. 

 

Was zur Hölle ist das?

 

Sein Kopf schnellte nach oben und seine Augen suchten das düstere Innere seiner Zelle ab. Sie war in den Fels geschnitten. Eine Höhle, die zu einem provisorischen Gefängnis umgewandelt worden war. Mehr wie ein Kerker. 

 

Kerker? Wo ist der Keller?

 

Das Höllenloch. Der Köderraum. Die tollwütigen Tiere. Der Ort seiner Albträume. Auf der Suche nach irgendeiner Vertrautheit musterte er seine Umgebung. Wie immer gab es niemals ein davor oder danach. Nur das. Nur, dass dasnicht länger das Das war, an das er sich erinnerte. 

 

„Du würdest lieber wieder in diesem ‚Höllenloch‘ feststecken?“, fragte die Finsternis. „Wie lästig.“

 

„Fick dich“, knurrte Shikamaru und seine Augen flammten scharf wie Klingen auf, als die gebrannten Sienna-Iriden im Kerzenlicht bernsteinfarben leuchteten. 

 

Nein. Kein Kerzenlicht…

 

Ein Feuerzeug. Asumas Feuerzeug. Dort. Direkt im Zentrum des Käfigs liegend. Das leicht eingedellte und angelaufene Metall glühte silbern-bronze unter seiner tanzenden Flamme. 

 

„Ja, das ist das einzige Ding, das an dieser Erinnerung nicht real ist. Aber statt dich im Dunkeln rumkriechen zu lassen, dachte ich mir, du könntest etwas brauchen, das diesem Ort die Schärfe nimmt. Dieser Ort, von dem du dachtest, ich würde ihn dich vergessen lassen.“

 

Shikamaru stierte auf die Flamme, spürte, wie die Rückseiten seiner Augen nass wurden. Er blinzelte wild, knurrte die Schatten an, die um ihn herum schrumpften und anschwollen. Hatte er das Bewusstsein verloren? Er hatte doch Chimären bekämpft, oder nicht?

 

„Wo zur Hölle bin ich?“

 

„Ah, das ist eine Fangfrage. Auf jeden Fall bist du sicher. Dank mir. So wie immer.“

 

Shikamaru zog angesichts der Worte die Brauen zusammen, doch seine Stimme verlor etwas an Hitzigkeit. „Sicher? Wenn ich in einer Zelle eingeschlossen bin?“

 

„Was denn? Gefällt es dir nicht?“, schnaubte die Finsternis; es war ein seltsam menschlicher Klang. „Ich muss ja sagen, dass mir dieser Ort weitaus besser gefällt als dieses ‚verlockende Kellerloch‘, in dem du und der ANBU-Mann MICH eingesperrt habt.“

 

ANBU-Mann? Das klang vertraut. Unbehaglich. Ein phantomhafter Schmerz.

 

Die Finsternis sträubte sich um ihn herum, fühlte sich auf einen Schlag heiß an. „Du musst nicht an ihn denken.“

 

Nur war es gerade alles, an was Shikamaru denken konnte. Er hätte schwören können, dass er das letzte Mal ein maskiertes Gesicht gesehen hatte, oder nicht? Warte. War das letzte Mal das erste Mal gewesen, dass er es gesehen hatte? Wie viele Male war er schon hier gewesen? Eine Vision von Augen, nicht grau, nicht blau, eine andere Farbe…eine Mischung…violett?

 

„Tu das nicht!“, warnte die Finsternis. „Nicht einmal ANBU-Mann würde wollen, dass du dich dorthin begibst.“

 

Wohin?

 

Ein rohes, kehliges Keuchen zerbrach die Stille und Shikamaru machte einen Satz, als wäre er geschlagen worden. In einer niedrigen Hocke wirbelte er herum und verzog das Gesicht, da sein Haar offen herum schwang; abgehackte schwarze Strähnen schlugen gegen seine Schulterblätter. 

 

Der erstickte Klang ertönte erneut. 

 

„Wer zur Hölle ist noch hier drin?“, wollte er von der Finsternis wissen. 

 

„Nichts und niemand, den du sehen willst, glaub mir.“

 

„Dir glauben?“ Shikamaru spie die Worte aus und versuchte einzuschätzen, woher das Geräusch gekommen war. „Du redest eine Menge über Lügen und Geheimnisse, aber ganz offensichtlich behältst du sie gerne für dich, oder?“ Er presste sich gegen die Kalksteinwand und seine Hände glitten über den kalten bröckelnden Fels. War da eine weitere Zelle an seine eigene angeschlossen?

 

„Das willst du wirklich nicht tun.“

 

Wahrscheinlich nicht, doch die Warnung gab ihm den Ansporn, weiter zu machen. Scheiß auf Vorsicht. Wenn er schon in irgendeiner unterbewussten Kammer seines Verstandes festsaß, dann hatte er verfickt nochmal auch das Recht zu versuchen, einen Sinn aus dem wie auch immer gearteten Bild zu machen, das sich in der dunkelsten Ecke dieses Raumes abspielte.

 

„Ja, das Recht hast du, aber nicht das Verständnis. Du wirst nicht in der Lage sein, einen Sinn daraus zu machen. Du hast nicht genug Informationen.“

 

Shikamaru richtete sich aus seiner Hocke auf und legte ein Ohr an die Wand. Finster starrte er auf die Schatten, die um seine Füße waberten. „Warum gibst du mir diese Informationen dann nicht einfach?“

 

„Du bist noch nicht bereit.“

 

„Wer zur Hölle hat dir eigentlich das Recht gegeben, darüber zu entscheiden?“

 

„Du warst das. Ich habe immer die Entscheidungen getroffen, wenn es um diese Angelegenheit geht. Du bist viel zu schwach dafür.“

 

„Fick dich!“, schnappte Shikamaru und schluckte alles hinunter, was er dem noch hinzufügen wollte – oder was er fragen wollte. Er wollte verdammt sein, wenn er es zugeben würde, aber diese ominösen Worte – ‚Du warst das‘ – spielten auf seinen Nerven wie auf Saiten, erzeugten schrille Noten, die in seinem Kopf klingelten; Alarmglocken, die ihn warnten, sich fernzuhalten. 

 

„Ja…du solltest auf sie hören. Geh nicht weiter.“

 

„Bring mich doch dazu.“

 

„So funktioniert das nicht. Ich diene. Ich kontrolliere nicht. Ich bin nicht Hyūga Neji.“

 

Shikamaru versteifte sich und hielt mitten in seiner Suche an der Wand inne. „Wage es nicht, über Neji zu sprechen.“

 

Ein dunkles Kichern wie schwarzer Rauch über Shikamarus Verstand. „Warum zur Hölle nicht? Er nimmt eine MengePlatz hier unten ein. All diese Gedanken, all diese Sehnsüchte…die, von denen du nicht einmal zugeben willst, dass du sie hast.“ Hier veränderte sich die Stimme und nahm eine leise, verführerische Kadenz an; raunend und heiß. „Denkst du, dass er dich es tun lassen würde? Er steht nicht besonders darauf, unten gehalten zu werden. Aber andererseits, du ja auch nicht.“

 

Das fror den Moment ein – bis Zorn ihn zersplitterte. Shikamaru riss sich von der Wand los, fühlte, wie das Halsband um seine Kehle heftig zerrte und die Kette rasselte. Er stierte in die Finsternis und wusste, dass sie zurück starrte. „Ich weiß, was du hier zu tun versuchst.“

 

„Du weißt einen Scheiß“, lachte die Finsternis. „Du bist so ahnungslos. Genau wie du es Naruto immer vorgeworfen hast. Aber zumindest hat der Kerl genug Eier, um sich seinen Dämonen zu stellen. Er ist stark genug, ein Monster in sich zu halten, ohne eines zu werden. Bist du das auch?“

 

Die Frage traf Shikamaru so heftig, dass er zurück taumelte, als hätte er einen Schlag einstecken müssen und sein Atem bebte in seiner Kehle. „Sei still.“

 

Es schmerzte, zu denken, zu versuchen zu denken, zu versuchen, all die Fragmente aus Furcht zu packen, die in seinem Kopf herum flogen und sie zu etwas zusammenzusetzen, das einen Sinn machte.

 

Wahnsinnig. Das war es, was das hier war. 

 

„Ich sollte nicht hier sein…“, krächzte er plötzlich und kopfschüttelnd. „Ich sollte nicht hier sein.“ Hätte nicht zurückkommen sollen. War sich nicht sicher, wie oder warum er das wusste, aber er fühlte es mit einem unerschütterlichen Empfinden von Klarheit. Eine Warnung, die sich ebenso grell durch ihn brannte wie die Flamme von Asumas Feuerzeug; die Verwirrung zurückkämpfend, die Schatten, die Lügen.

 

„LÜGEN?“ Die Finsternis explodierte und das Geräusch war so ohrenbetäubend in seiner Lautstärke, dass es zu einer Einheit wurde, ein grundlegendes Schaudern, das Shikamaru wie eine Schockwelle erschütterte. „Ich habe dich NIEMALS belogen. Nicht wie Genma! Nicht wie dieser ANBU Bastard!“

 

Ruckartig hob sich Shikamarus Kopf. „Genma?“

 

Etwas in seinem Verstand machte Klick…oder vielleicht brach auch etwas…

 

Schmerz detonierte wie Feuerwerk in seinem Schädel und die Zelle flammte mit Weiß auf; ließ Erinnerungen in einer blutigen Eruption aus Bildern gegen die Wände seines Geistes branden; Genma. Die Chūnin Prüfungen. Dieser gruselige, echsenartig aussehende Typ. Yamori. TEKISHA SEIZON. Die hirschgesichtige ANBU Maske. Violette Augen. Die Explosion. Die zerfetzten Worte, die Empfindung, getragen zu werden, die Explosion, die Hitze…die Finsternis…die Schatten…seine Schatten…ihre Schatten…

 

„Unsere Schatten. Immer. Wir sind die Schatten.“

 

„Nein.“ Shikamaru stolperte zurück gegen die Höhlenwand und Steine bissen sich in seine Haut. Schweiß rann sein Gesicht hinab, tropfte aus seinem Haar und stach in seinen Augen. Er versuchte, seinen Kopf zu packen, musste aber feststellen, dass sich Schattenhände um seine Handgelenke schlossen und sie fort zogen. „Das ist nicht…ich bin nicht…“

 

„Doch. Doch, das bist du“, schnurrte die Finsternis sanft und beruhigend wie Eltern. Lippen legten sich an sein Ohr.„Ja. Ja. Ja.“

 

Shikamaru drehte sein Gesicht fort und seine Augen suchten wild nach Asumas Feuerzeug – diese einzelne Flamme in der Dunkelheit; die Hoffnung in diesem Chaos.

 

„Hoffnung? Die ist dir gerade ausgegangen. Und ich bin endlich raus.“

 

Die Schatten schlossen sich um ihn wie schwarze Wellen an einem gebrochenen Ufer – ein Ufer, an dem Erinnerungen immer wieder angespült wurden – wieder und wieder, nur um fortgespült zu werden, bevor er die Schrift im Sand lesen konnte. „Stop…“

 

„Du willst es lesen, nicht wahr?“, sagte die Finsternis und hob eine schattenhafte Hand, um sein Haar aus seinem Gesicht zu schieben – eine träge, vertraute Geste. „Du willst Sinn daraus machen können. Du willst, dass alle Teile zusammenpassen. Dass sie aufhören, in deinem Kopf herum zu fliegen…dich zu verletzen, andere zu verletzen…“

 

Shikamaru schluckte schwer. „Ja.“

 

„Ja“, stimmte die Finsternis zu und diese Schattenhand schob sich an seinen Nacken; klopfte leicht. „Du hast mit den Teilen eines Spielbrettes gespielt, das jemand anderem gehört. ANBU-Manns Spielbrett. Genmas Spielbrett. Das Spielbrett von Lügnern und Betrügern. Ich werde dich niemals belügen. Ich werde dich niemals betrügen. Das glaubst du doch, oder?“

 

Mit einer Sicherheit, die ihm panische Angst machte – ja. Er wagte es nicht, es laut auszusprechen, fühlte sich verräterisch, auch nur so zu denken. Seine Augen lagen auf Asumas Feuerzeug, suchten nach dem Willen des Feuers, der ihm hinterlassen worden war, fand aber nichts als Asche und Glut statt einer immerbrennenden Flamme. 

 

Die Schattenhand packte ihn am Kiefer und drehte sein Gesicht zurück. „Dein Wille des Feuers brennt in den Schatten. Kapierst du das nicht? Du hast schon immer etwas gebraucht, das stärker ist als du, um dich zu retten. Scheiße, du brauchst, was du schon immer gebraucht hast.“ Noch einmal das Streicheln von Lippen gegen sein Ohr, die sich zu einem langsamen Lächeln bogen. „Mich.“

 

 Shikamaru versteifte sich gegen das instinktive Pulsieren von Hitze in seinem Inneren. „Nein.“

 

„Doch, du fühlst es. Ich bin, was du brauchst. Also mach und nutze mich. Ich bin gut darin, all die Dinge zu übernehmen, mit denen du nicht fertig wirst. Scheiße, ich werde sogar deinem kostbaren Hyūga Neji geben, was du niemals konntest.“

 

Seine Augen flogen weit auf und Shikamaru donnerte den Schatten zurück und er spürte – zum ersten Mal – die Stabilität eines Körpers, eine menschliche Form ohne Konturen, eine schwarze Schattenfigur, die mit einem kehligen und heiseren Lachen ein paar Schritte zurück stolperte. „Mann, sieh sich das einer an. Du brauchst ihn ebenso so sehr wie du mich brauchst.“ Der Schatten wackelte warnend mit einem Finger und trat mit gesenktem Kopf wieder nach vorn. „Ist nicht wirklich eine Überraschung. Du denkst, dass es reine Tugend deines feigen Herzens war, dass du versucht hast, Neji vor sich selbst zu retten? Du denkst, dass du ihm all die Male nachgejagt bist, weil du ihn finden und zurück bringen wolltest? Bullshit. Du hast nicht versucht, Neji zu finden; du hast versucht, mich zu finden.“

 

„Nein.“ Shikamaru stieß das Wort bebend hervor und seine Augen brannten nass, als er in die Flamme starrte und sich ein grauenhafter Schmerz um seine Kehle schloss. „Das ist nicht wahr.“

 

„Bist du dir sicher?“, spottete der Schatten und kam näher. „Denk scharf nach, bevor du antwortest.“

 

Ein Schütteln; sowohl innerlich als auch äußerlich. Die Kette begann in seinen Händen zu zittern. Shikamaru sog die Luft ein und seine Augen fixierten sich auf das Feuerzeug, die Flamme. Sie begann zu schrumpfen, die Düsternis in der Zelle wurde noch dunkler und dunkler, bis sich Shikamarus Sicht mit Schwarz zu füllen begann; Schatten krochen an den Rändern näher. „Ich muss aufwachen.“

 

Ein spöttisches Kichern. „Das ist keine Antwort.“

 

„Fahr zur Hölle.“

 

„Du hast mich bereits dorthin geschickt.“ Shikamarus Herz verkrampfte sich schmerzhaft bei diesen Worten. Nejis Worte. Ausgesprochen in derselben tiefen Kadenz und einem vernichtenden Wispern in der Dunkelheit. „Jemand, dem du ebenso sehr vertraut hast, wie ich dir.“

 

Brüllend drehte Shikamaru den Schatten seinen Rücken zu, der Finsternis, der Hölle in seinem Kopf und rammte seine Fäuste gegen die Höhlenwand, riss sich die Haut auf und schmierte Blut über den bleichen, nassen Fels. „INO! WECK MICH AUF!“

 

„Ino?“ Der Schatten brach in Gelächter aus, doch es war vollkommen frei von Belustigung – ein kalter, spottender Klang; viel zu hässlich, um ihn ein Lachen nennen zu können. „Glaubst du wirklich, dass diese selbstsüchtige kleine Schlampe dein rettender Held sein wird? Glaubst du wirklich, dass Chōji in der Lage sein wird, DAS zu verdauen?“Noch mehr Gelächter, nur tiefer, grausamer, mehr Bedrohung als Spott. „Nicht einmal Asuma hat es geschafft, dir zu helfen. Er hat es sich ja aber auch sehr leicht gemacht, einfach so unter deinen Händen zu krepieren.“

 

Shikamaru hörte auf, mit seinen Fäusten gegen die Wand zu schlagen…hörte auf…hörte einfach auf. Er legte seine Stirn gegen den Fels, jeder Muskel straff, als wäre er vollkommen lahmgelegt. „Wach auf…wach auf…“

 

„Aufwachen, huh? Ja, das würde ich auch sagen.“ Die Finsternis kam hinter ihn und presste sich gegen seinen Rücken; warm und pulsierend, ein Laken aus Asche auf seiner Haut. „Es ist wirklich Zeit, dass du aufwachst und erkennst, was ich für dich getan habe. Und weißt du was noch? Du wirst mir den Hintern küssen und mir auf Knien DANKEN, wenn du das nächste Mal hier herunter kommst. Es ist höchste Zeit, dass du verfickt nochmal ZU SCHÄTZEN weißt, was ich für dich tue…“ Schattenhände strichen über seine erhobenen Arme, packten seine Handgelenke und zogen sie nach unten, um ihre Finger ineinander zu verschränken. 

 

Shikamaru zuckte zusammen und seine Augen flogen auf. 

 

Es war eine Nachahmung – nein, eine Verspottung – dessen, was Neji mit ihm in der Nacht seines Geburtstags gemacht hatte, als er ihre Finger ineinander verschränkt hatte und ihre gemeinsamen Handflächen über das kühle Glas gezogen hatte. 

 

„Neji“, schnurrte die Finsternis. „Immer und immer nur Neji. Du denkst wirklich, dass er dir nachjagen wird, wie es Asuma getan hat? Du denkst wirklich, dass er dich retten wird statt sich selbst? Freiheit. Das ist alles, was er will. Aber du hast trotzdem versucht, ihn einzusperren. Weil du schwach bist. Du bist seine größte Schwäche. Das hat er selbst gesagt, oder nicht? Du hast ihn schwach gemacht. Ganz genau so, wie du auch Asuma schwach gemacht hast.“

 

Shikamaru schloss krampfhaft die Augen. „Hör auf.“ Seine Stimme zerbrach beinahe an diesen Worten. 

 

„Wenn ich an diesem Tag die Kontrolle gehabt hätte, glaubst du wirklich, dass die Dinge so abgelaufen wären? Asuma war so schwächlich gegen Hidan, weil er viel zu beschäftigt damit war, zu versuchen, dich zu beschützen.“ Die Schattenfinger verstärkten ihren Griff und ein weiteres Paar schwarzer Hände schlich sich heran, um sich um Shikamarus Handgelenke zu schlingen. „Was willst du wetten, dass der Rest deines Teams jetzt im Moment da draußen ist? Schwach und gespalten. Weil du nicht stark genug bist. Sag mir, wie zur Hölle willst du sie beschützen, wenn du nichtmal dich selbst beschützen kannst?“

 

Bei diesen Worten hörte Shikamaru auf zu zittern und alle seine Muskeln verkrampften sich auf einen Schlag. 

 

Etwas veränderte sich. In seinem Kopf. In seinem Herzen. 

 

Seine Augen öffneten sich wie feuergefangene Funken in der Dunkelheit. „Geh weg von mir“, raunte er. 

 

Die Finsternis kräuselte sich – zögernd, überrascht. „Hn. Schon besser.“

 

Die Schattenhände lockerten sich an Shikamarus Handgelenken und Fingern, schmolzen hinunter über seinen Rücken, dann um seinen Torso, streckten sich schlangengleich und eine lange, dünne Ranke legte sich um seine Kehle, folgte dem Halsband, schlang sich um die Kette und riss seinen Kopf zur Seite. 

 

Er wehrte sich nicht dagegen. 

 

Er ließ es einfach geschehen. 

 

„Ja…“, wisperte der Schatten seidigweich in die Stille. „Du lässt es nur zu gut geschehen. Es muss dir nicht leidtun, sobald du es siehst.“

 

Shikamaru neigte den Kiefer, um seitwärts in das zobeldunkle Gesicht zu sehen; eine Maske so schwarz und matt wie die Schatten selbst. Da waren keine Konturen auf diesem Gesicht – und dennoch hätte Shikamaru schwören können, dass er sah, wie es lächelte. 

 

Asumas Feuerzeug erlosch zuckend zu Dunkelheit…

 

Einer Finsternis so vollkommen, dass sein Bewusstsein als ein Schatten statt als ein Licht zurückkehrte…

 

Shikamaru öffnete die Augen…stierte durch einen Nebel des Schocks auf das, was er getan hatte…nur um festzustellen, dass der Teil von ihm, der sich wünschte, er hätte es nicht getan…nicht stark genug war, um ihn dazu zu bringen, dass es ihm leidtat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  swetty-mausi
2022-04-24T18:45:06+00:00 24.04.2022 20:45
Guten Abend,

ich mag die kleine Rangelei zwischen Kiba und Ino. In der Geschichte würden die beiden ein gutes Paar abgeben. Leider musste Ino das Tote Kind entdecken. Ich decke Shika wird es getötet haben. In seinen wahn. Die Gespaltene Persönlichkeit, nenne ihm mal den Schatten kommt jetzt immer öfters zum Vorschein.
Ich freue mich auf das nächste Kapitel.
Antwort von:  _Scatach_
27.04.2022 13:45
Hey :)

schön, dass die Rangelei mit Kiba und Ino gefallen hat :) Du wirst noch sehen, wie sich die Beziehung der beiden in dieser Geschichte noch entwickeln wird :)
Interessant, dass du denkst, Shikamaru hätte das Kind umgebracht, ich werde dir aber nicht verraten, ob das auch stimmt ;)
Schatten passt sehr gut als Bezeichnung zu Shikamarus Alter Ego :)

Vielen vielen Dank für deine Worte :)
Von:  Scorbion1984
2022-04-24T10:47:00+00:00 24.04.2022 12:47
Es wird Immer spannender aber auch verwirrender.
Gruselig diese ganzen Kreaturen.
Antwort von:  _Scatach_
27.04.2022 13:43
Hey :)

Freut mich, dass du es weiterhin so spannend findest :)
Haha, ja, die Viecher sind echt nicht besonders toll :D


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