Zum Inhalt der Seite

Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Don't look back

Mir ist so kalt…

 

Doch sie fing Feuer, schwitzte so stark, dass es sich anfühlte, als würde ihre Haut schmelzen. Toxisch; da war etwas Toxisches in ihrem Blut. Mit klappernden Zähnen, die Haut von einem Schüttelfrost ergriffen, versuchte sie angestrengt, aufzuhören zu zittern, während sie ihre Finger in feuchte Laken krallte.

 

So kalt…so kalt…

 

Rauch, die altvertraute Art, der beißende Gestank davon verstopfte ihre Nebenhöhlen und stach in ihrem Rachen. Ino rümpfte die Nase gegen den Geruch und versuchte, den Kopf zu heben, hatte aber nicht die Kraft dazu. Alles tat weh, alles schmerzte. Sie wollte sich einfach nur für eine Weile ausruhen.

 

Nur ein bisschen…

 

Eine große, raue Handfläche umfasste warm, trocken und sanft eine Seite ihres Gesichtes. Kein kuratives Chakra, aber es fühlte sich dennoch beruhigend an. Die Berührung verschwand und wurde von eiskaltem Stoff ersetzt. Es fühlte sich an wie die Hand des Todes. Sie wollte diese Berührung nicht. 

 

Sie versuchte, ihren Kopf wegzudrehen. „Nein.“

 

Ein leises, leicht amüsiertes Grunzen. „Die Fürsorglichen sind die schlimmsten Patienten“, grummelte eine tiefe Stimme. 

 

Beim Klang dieser Stimme kämpfte sie darum, ihre Augen zu öffnen, aber das Licht, das gegen die Rückseite ihrer geschlossenen Lider schlug, war zu stark, zu grell. Der Rand der schwieligen Handfläche eines Mannes legte sich an ihre Stirn und neigte sich, um ihre Augen abzuschirmen, als sie verwirrt aufflackerten…und dann beim Anblick eines Gesichtes erstarrten…eines vertrauten Gesichtes…eines bronzenen Gesichtes mit einem wilden Bart…dunklen, brandyfarbenen Augen…einer ausgeprägten Nase…einem in Beschlag genommenen Mund…aufgesprungene Lippen schlossen sich um eine Zigarette und waren zu einem Lächeln verzogen. 

 

Tränen fluteten ihre Augen. „Asuma-sensei…“

 

Seine Brauen hoben sich ein wenig. „Ihr seid immer so überrascht.“ 

 

Das stach mehr als der Schmerz. Mehr als das Gift.

 

Gift…?

 

Gift. Pflanzen. 

 

Die Mission! Chōji! Shikamaru!

 

Asuma nickte, während sein Daumen sachte über die Mitte ihrer Stirn fuhr. „Ja. Du musst aufwachen.“

 

Warte!

 

Sie versuchte, nach ihm zu greifen, bevor er verschwinden konnte. Er fing ihre Hand auf und seine Finger legten sich um ihr Handgelenk. Sie spürte die kühle Berührung seines Obsidian-Armbandes gegen ihre Haut. Sie hatte ihn nie gefragt, warum er diese Dinger trug. Sie hatte ihm nie genug Fragen gestellt. Sie hatte so viele Fragen. Zu viele Fragen. Alle davon unmittelbar und drängend und viel zu schnell durch ihr Hirn stampfend, um sie zu fassen zu bekommen. 

 

Kopfschüttelnd sagte Asuma leise: „Mit Geduld und Spucke fängt der Affe eine Mucke.“

 

Ino biss sich heftig auf die Lippe. Als sie Genin gewesen waren, hatte Asuma das andauernd gesagt.  Shikamaru hatte gescherzt, dass es irgendein dämliches Wortspiel mit seinem Namen war, Sarutobi. Ino hatte es nicht besonders clever gefunden. Sie hatte es einfach nur zum aus der Haut fahren gefunden, besonders wenn Asuma überall herum gesprungen war, während er diese Worte gesungen hatte; hüpfend, sich rückwärts drehend und tänzelnd, um all ihren Tritten und Schlägen auszuweichen, immer geradeso außerhalb der Reichweite. 

 

‚Mit Geduld und Spucke fängt der Affe eine Mucke.‘

 

Diese Worte damals zu hören hatte sie immer wieder frustriert…aber sie jetzt zu hören? Sie ließen sie mit einem Gefühl zurück, das viel zu entsetzlich war, um es ertragen zu können…zu schrecklich, um es zu benennen…

 

Sie versuchte, ihre andere Hand auszustrecken. „Sensei…“

 

Mit eingezogenem Kinn neigte sich Asuma von ihr fort. „Die greifst in die falsche Richtung.“

 

Schwach schüttelte sie den Kopf, verstand und begriff nicht das Wie oder Wo oder Warum dieses Augenblicks, nur, dass da eine furchtbare Traurigkeit in ihrer Brust war; eine plötzliche Kurzatmigkeit, die weniger mit dem Gift und alles mit dem Schmerz zu tun hatte, der in ihr Herz einbrach. 

 

Asumas Augen wurden weich. „Jetzt nicht, Ino.“

 

Sie versuchte, ihre Tränen fort zu blinzeln und sah das Gesicht ihres Senseis verschwommen und undeutlich durch ein Prisma aus Regenbogenlicht, während es an Fokus verlor. Als er sie losließ drehte sie das Handgelenk und wollte erneut seine Hand greifen – packte aber Farnkraut statt Fingern, spürte glatte Blatthalme statt Haut. 

 

„Sensei, bitte!“

 

Mit einem leisen Schrei erwachte Ino. 

 

Schmerz erfasste sie in einer harten Faust und lähmte ihre Gliedmaßen, bis sie sich losgelöst, körperlos und nur halb bei Bewusstsein fühlte. Schweiß bedeckte ihre Haut, sie konnte ihn in schimmernden kleinen Perlen sehen, die sich sammelten und tropften und in der tiefen Wunde in ihrem Unterarm stachen. Durch die Wimpern starrte sie auf die Verletzung, studierte die Farben mit benommener Faszination und bewunderte die tief lilablauen Venen, die sich in Schattierungen von Indigo und Violett verästelten und sich durch Flecken aus Scharlach zogen, die wie Rosenknospen auf ihrer wächsernen Haut erblühten. 

 

Lila passt gut zu Rot…sieht hübsch aus…

 

Völlig im Delirium brauchte sie einen langen, schwindelnden Augenblick um zu registrieren, dass die klebrigen gelben Blasen, die sich um die Wunde herum aufblähten, gar nicht so hübsch waren…genauso wenig wie das Blut…oder die Venen…oder die hässlichen kleinen Ameisen, die über ihre Fingerspitzen krabbelten…sie hatte ihre Arme vor sich ausgestreckt und beide Hände in einem steifen Griff um einen Farn geklammert. 

 

Hatte sie sich einen Hügel hinauf gezerrt? 

 

Die Welt schien schief zu sein.

 

Sie versuchte, ihren Griff zu lösen und schaffte es gerademal, mit den Daumen zu zucken. 

 

Oh mein Gott…

 

Ihr Hirn schnappte zurück aus seinem Stupor und blaue Augen flogen in schlagartigem Begreifen auf. Entsetzen traf sie wie ein Stiefeltritt in die Magengegend und sie hustete einen Mund voll schaumigen Speichel aus. 

 

Gift…Gift…

 

Ihr Herz begann mit einem schwachen Pochen, als die Panik durch sie peitschte. 

 

Beruhig dich…beruhig dich…

 

Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, auf das Blinzeln und ihre blauen Augen rollten wild in ihren Höhlen. Sie lag auf einem Abhang, ihr Körper in einem seltsamen Winkel verdreht. Ihre Brust lag schwer auf dem Boden, die Hüften verbogen. Nichts fühlte sich gebrochen, aber alles verletzt, wund und viel zu steif an, um sich zu bewegen. 

 

Gift.

 

Sie brauchte die Spritze aus ihrem Ninjabeutel. Musste dem Gift entgegenwirken, bevor es in einen toxischen Schock überging…ihre Lippen kribbelten bereits…ihr Puls wurde träge…

 

Ich darf hier nicht sterben…

 

Nicht so. Das war lächerlich. Lachhaft. Sie hustete einen weiteren Klumpen Schaum herauf und blinzelte die automatischen Tränen fort, die in ihre Augen traten. Ein unfruchtbarer Zorn brannte unter der Furcht. Auf gar keinen Fall würde sie so untergehen. Sie atmete stoßweise und sog schwächlich an der schweren, feuchten Luft, während sie sich der eigentümlichen Stille davon bewusst wurde, dieser vollkommenen Regungslosigkeit. 

 

Chōji!

 

Verzweifelt versuchte sie, nach ihm zu rufen und mühte ihren Verstand ab, nach Chakra zu suchen. Doch ihr sensorisches System fuhr eine schwerfällige Sekunde nach der anderen runter. Es war nicht abzusehen, wie weit die anderen entfernt waren. Sie brauchte etwas, das näher war. Energisch presste sie die Lider aufeinander und suchte nach einem Bewusstsein innerhalb ihrer Reichweite, überprüfte den Boden, die Bäume, das Blätterdach…

 

Ein Rascheln im Farn. 

 

Inos Augen flogen auf und ihr Puls geriet heftig ins Taumeln. 

 

Sie sah, wie die Wedel und das niedrige Gras von Seite zu Seite schwangen, gestört von etwas, das auf Bodenlevel dort hindurch kroch. Es war nicht zu sagen, was diese Kuppeln sonst noch alles beherbergten. Pflanzen und Prädatoren arbeiteten zusammen; ein Ökosystem, das auf Töten und Verzehren ausgelegt war. 

 

Ich will so nicht sterben…

 

Nur würde sie das vielleicht. An einem Schnitt. An einem oberflächlichen Kratzer, von dem wie auch immer gearteten Monster toxisch gemacht, das sich entschieden hatte, diese Chimären Bestien wären nicht genug. Nein. Warum hier aufhören? Das Königreich der Pflanzen war reich und reif, der ideale Ort, um alle Arten von sadistischen Samen zu säen. Spaßige Zeiten mit der Wissenschaft. Wenn sie daran dachte, dass sie sogar in Betracht gezogen hatte, ihr Leben einem Laboratorium zu widmen. 

 

Nein, du hast es dem gewidmet, ein Ninja zu sein…und jetzt wirst du sterben…

 

Die Farne direkt vor ihr begannen zu zittern, neigten sich zur Seite und die Halme bogen sich, als der Tod kam und rief. Ino spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog und ihr Verstand vor Horror blank wurde. 

 

Und dann hüpfte ein Affe aus dem Busch. 

 

Nicht größer als eine Katze. 

 

Nicht bedrohlicher als ein Kitten.

 

Erstaunt stierte Ino das Tier an und ihre Atmung wurde in ihrer Kehle zu einem Raspeln. Für eine weitere, angsterfüllte Sekunde fragte sie sich, ob sie vielleicht halluzinierte. Aber nein, dieses kleine Kerlchen schien ziemlich real zu sein. Ihr Schock war so groß, dass überhaupt kein Platz für Erleichterung blieb. 

 

Ein Affe…

 

Keine monströsen Mutationen, keine blutrünstigen Anomalien. Nur ein durchschnittliches nullachtfünfzehn Äffchen. Ein willkommener Anblick. Ein wunderbarer Anblick. Ein Anblick, den sie bereits früher an der Akademie auf einer Lehrbuchseite gesehen hatte. Stirnrunzelnd suche sie nach visuellen Hinweisen, um die Spezies zu identifizieren. 

 

Totenkopfäffchen…

 

Der Affe krümmte seine kleinen, gelblichen Hände um ihr schlaffes Handgelenk und richtete seine schimmernden, intelligenten Augen in einem Ablauf aus raschem, neugierigem Blinzeln auf sie. Olivfarben, mit hellgelben Beinen und einem flachen weißen Gesicht, hatte diese kleine, kühne Tierchen eine tiefe Falte dunklen Fells zwischen den Augen; wie die Illusion eines Stirnrunzelns, das gleichzeitig witzig und süß war. Kleine Fellbüschel ragten aus zart zulaufenden Ohren und die dunkelbraune Schnauze zuckte interessiert, als es an ihren Händen schnupperte und sich der lange, dünne Schwanz um die Hüften bog. 

 

Muss an Menschen gewöhnt sein…

 

Wenn sie nur ihre Finger bewegen könnte. Nur um ein Zeichen zu formen. Das Äffchen zog an ihrem Daumen und versuchte, ihre Handfläche zu untersuchen. 

 

Ich hab nichts zu essen…

 

Aber sie musste das Interesse des Tieres aufrecht erhalten. 

 

Ino schürzte die Lippen und stieß ein hohes, quietschendes Geräusch, das wie irgendetwas zwischen einem Zwitschern und einem Kuss klang. Sofort ruckte der Kopf des Affen zu ihr herum und legte sich interessiert schief. Mit aller Macht zwang sie ihren Körper dazu, sich zu bewegen und presste jede Unze an Willenskraft und Stärke in die tauben Klumpen, zu denen ihre Hände geworden waren. 

 

Ich kann das…ich kann das…

 

Ein winziges Stückchen nach dem anderen begannen sich ihre Finger zu bewegen, fingen an, sich zu beugen…steif, unbeholfen, aber langsam…langsam…

 

‚Mit Gedult und Spucke fängt der Affe eine Mucke.‘

 

Langsam, langsam, formte sie das Zeichen, verschloss ihren Blick mit dem des Affen und warf ihr Chakra in die Mitte ihrer Stirn. 

 

Shintenshin no Jutsu!

 

Das Letzte, was sie sah, bevor ihre Augen in den Schädel rollten, war die angstverzerrte Grimasse des Äffchens. Und dann sah sie sich selbst; ein schlaffer Körper im Dreck, die Finger in einem Zeichen verschlossen und die steife Starre davon so furchteinflößend wie der Tod selbst.

 

Ein erschrecktes Kreischen erscholl animalisch und verängstigt von ihren Lippen. 

 

Sie hoppelte einen Schritt nach hinten, schwankte leicht und war etwas wackelig auf diesen langen, fremden Gliedmaßen und auch mehr als nur ein bisschen zittrig im Kopf. Ihr eigenes Bewusstsein rang mit dem wilden animalischen Entsetzen des Verstandes des Affens; es war die eine Sache, das Hirn eines Menschen zu invadieren und eine ganz andere, gegen das eines Tieres zu kämpfen. 

 

Ganz ruhig, kleines Kerlchen…

 

Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich an ihren Wirt zu gewöhnen; und ein paar weitere Sekunden, um die geschickten Daumen und Finger zu bewegen und sich mit den flinken, feinknochigen, kleinen Händen vertraut zu machen. Sofort machte sie sich an die Arbeit, hüpfte hinüber zu ihrer Ninjatasche und wühlte darin herum, bis sie die Spritze heraus zerrte. 

 

Bitte funktionier, bitte funktionier…

 

Während sie das kleine, zusammendrückbare Röhrchen zwischen winzigen Fingern hielt, nutzte sie die Kiefer des Affen, um das Plastik aufzubrechen, das die Nadel umgab. In einem einzigen raschen Stoß rammte sie die Spitze der Spritze in den Hals ihres bewusstlosen Körpers und drückte das Antidot in ihre Blutbahn. 

 

Danke…

 

Sie gab ihr Jutsu auf und kam mit einem Zucken zurück in ihren eigenen Körper – fühlte sich heiß, kalt, nass, trocken, alles zur selben Zeit. Ächzend brachte sie genug Kraft auf, um sich auf den Rücken zu rollen und nahm so den Druck von ihren Lungen, als sie sich um ein wässriges Husten herum krampfartig ausdehnten. Das Totenkopfäffchen brach aus seiner Trance, sprang von ihr fort und rannte den Weg zurück, den es gekommen war, bevor es eilig einen Baumstamm hinauf kletterte.

 

Langsam…langsam…

 

Ino ließ das Wort wieder und wieder ablaufen; ein Mantra, an dem sie ihre Atmung ausrichten konnte, während sie hinauf zu den schwachen Lichtstrahlen blinzelte, die durch das Blätterdach stachen. Nach und nach begannen der Schmerz und die Paralyse nachzulassen, motorische Funktionen kehrten zurück, Muskeln lockerten sich. Ihre Beine würden als Letztes wieder in den Normalzustand übergehen. 

 

Okay…komm schon…komm schon…

 

Sie fummelte an ihrem Allzweckgürtel nach etwas zu trinken und schaffte es, die Feldflasche mit Wasser an ihre Lippen zu bringen. Kurz gurgelte sie das kühle Nass in ihrem Mund herum, um den Geschmack von Galle auszuwaschen, bevor sie ihr Gesicht benetzte und ein paar zögerliche Schlucke nahm, obwohl ihr Magen protestierte. Geradezu lächerlich, wie viel Kraft es sie kostete, einfach nur zu schlucken. Sie gestattete sich noch ein paar weitere Sekunden, um sich auszuruhen und spürte, wie sich die Nachwehen des Schmerzes steif und schwer in ihren Knochen niederließen und ihr Herzschlag in ihren Ohren brüllte. 

 

Schwach hob sie eine Hand und berührte damit ihr Mikrofon, bevor sie in die Statik krächzte: „Chōji…Chōji…“

 

Nichts. Ihre Hand fiel wie ein bleiernes Gewicht an ihre Seite. 

 

Chōji…

 

Sie musste ihn finden, musste Tenten und Shino und Kiba finden. 

 

Kiba…

 

Ino schloss die Augen, bis das Brüllen in ihrem Kopf nachließ und sich ihre Ohren mit einem leisen Summen füllten. Zuerst dachte sie, es wäre die Statik ihres Ohrstöpsels. Doch sehr schnell wurde sie sich bewusst, dass sie es in beiden Ohren hörte. Ein entferntes Dröhnen, dem Summen von Bienen nicht unähnlich und noch leiser kam der liebliche Klang von Wind, der das hohe Gras rascheln ließ. 

 

Wind?

 

Mit aufflatternden Wimpern versteifte sie sich bei der Erkenntnis, dass es innerhalb der Kuppel keinen Wind gab. Die Ventilatoren waren kaputt, das Licht aus. 

 

Es gab keine Brise, die sich dort draußen im Gras bewegte. 

 

Oh Gott…

 

Irgendwo aus dem Unterholz ertönte ein lautes Gackern, ein animalisches Giggeln, das Blut gerinnen ließ und es schien, als würde es aus mehreren Richtungen auf einmal kommen. Die Stimmgebung wurde von einer weiteren aufgenommen, dann von noch einer; groteske, keuchende Laute, die sich wie Splitter aus Eis durch Inos Eingeweide schnitten. 

 

Adrenalin hämmerte sich in ihren Kreislauf wie ein instinktiver Rückhandschlag.

 

LAUF!

 

Nach Luft schnappend rollte sich Ino auf den Bauch und schaffte es nicht, ihre Beine dazu zu bringen, zu funktionieren, weswegen sie sich Arm über Arm hinauf über den Abhang zerrte. Ein scharfer, heißer Schmerz biss sich durch ihr Knie, aber sie hielt nicht inne, war sogar dankbar für den Schmerz, für das Kribbeln wie von hunderten Nadeln, das ihre Beine hinauf und hinunter jagte. 

 

Wenn sie sich nur auf die Füße rappeln könnte. 

 

Das Rascheln erscholl erneut; lauter, schwerer, das hörbare Schnaufen von Atem, ein Krachen und Knacken von Unterholz, das dumpfe Ba-dum-Ba-dum-Ba-dum einer schwerfälligen Bestie, die nicht allzu weit von ihr entfernt näher und näher kam. Ino biss die Zähne zusammen und zerrte ihre Knie unter sich, kroch inzwischen und ihre Fußballen gruben sich Halt suchend in den Hang. 

 

Wenn sie es nur bis zur Spitze auf ebenen Boden schaffen würde. 

 

Das Summen, dass sie vorhin gehört hatte, erklang jetzt näher, irgendwie über ihr und vage erkennbar. Auf eine Weise vertraut, die keinen Sinn ergab, bis sie eine tiefe Stimme hörte, die rief: „Mushi Kame no Jutsu!“

 

Ino stieß einen erstickten Atem aus. „Shino!“ Es war kaum mehr als ein leises Krächzen auf ihren Lippen. Keuchend packte sie Wurzeln und Ranken, zog sich höher und schob mit ihren Füßen. Gott, es fühlte sich an, als würde sie sich durch hüfthohes Wasser bewegen, ihre Schenkel brannten und ihre Nerven zerfranst von Frustration, während sich zornige Tränen in ihre Augen drängten. „Shino!“

 

Ein Jaulen erscholl hinter ihr. 

 

Sie wirbelte herum und Entsetzen hämmerte ihr Herz in ihre Kehle. 

 

Die Chimäre kam in Sicht, tauchte in donnernder Raserei aus den Büschen auf. Ein flüchtiger Eindruck eines gigantischen, affengleichen Körpers und hundeähnlichem Kopf, bevor ein gleich aussehendes Vieh in dessen Seite krachte und es fort stieß. Die Bestien stürzten und rollten wieder den Abhang hinab, bevor Ino überhaupt klar werden konnte, was zur Hölle sie da gerade gesehen hatte. 

 

Doch sie hatte auch keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. 

 

Eine weitere Kreatur stürmte den Hügel hinauf auf sie zu und folgte dabei dem Pfad aus platt gewalztem Gras, den die vorherigen Bestien zurückgelassen hatten. Ino stützte sich zurück auf ihre Ellbogen; viel zu fassungslos, um sich zu bewegen.

 

Gott, es war grotesk. Eine Kreuzung aus Hund und Menschenaffe. Von der doppelten Größe eines Silberrücken Gorillas lief es auf den Knöcheln wie ein Primat, doch statt Fingern besaß es riesige Klauen wie Fleischerhaken, die sich kurvig gegen die Handflächen krümmten. Ein langer Haarkamm zog sich über die Länge der gebogenen Wirbelsäule und der Rücken fiel zum Rumpf hin nach unten ab. Die Vorderläufe waren hoch und gespreizt und rahmten einen monströsen, breiten Torso ein, während die Hinterbeine seltsam verkümmert wirkten; zu kurz und stumpf in Wachstum und Proportion. Und als wäre der Körper nicht schon schrecklich genug, gewann das Gesicht auf voller Länge an der Hässlichkeitsfront; ein hundeähnlicher Kopf, viel zu gedrungen, um wolfsähnlich sein zu können, die Konturen weit und flach mit den stumpfen Gesichtspartien einer Hyäne, die Ohren rund und die Lippen in einem zähnefletschenden Grinsen verzerrt. 

 

Ino fühlte, wie ihr Magen absackte.

 

Das Biest beugte sich über sie, legte seinen riesigen, grässlichen Kopf schief und brach in ein lautes, gackerndes Gelächter aus. Verfaulter Atem wusch wie ein heißer Wind über sie hinweg und blies puren Terror durch ihren Verstand. 

 

Doch der Klang dieses Lachens, dieser hässliche, grauenhafte, unmenschliche Klang…

 

Hidans Gesicht blitzte vor ihren Augen auf; spöttisch, finster, lachend…lachend…

 

Asuma…

 

Ino schrie; das Brüllen riss sich mit solcher Wucht und solchem Zorn aus ihrer Brust, dass die Chimäre auf den Knöcheln vor ihr zurück taumelte und ein überraschtes Jaulen ausstieß. Ino dachte nicht nach. Sie trat aus, erwischte die Bestie mit der Ferse ihrer Sandale an der Schnauze und schloss damit diese ekligen Kiefer. 

 

Sie hatte genug von dieser Scheiße. 

 

Sie riss eine weitere Spritze aus ihrer Tasche, zerrte die Kappe mit ihren Zähnen herunter und rammte sich die Nadel in den Schenkel, um einen Cocktail aus Morphin und Adrenalin direkt in ihre Blutbahn zu injizieren. 

 

Der Stoß war unmittelbar, die Kraft kam in einer Flut. 

 

Und sie ritt diese Welle, kam ruckartig und mit aufflammendem Tantō auf die Füße. Die Kreatur stürzte sich auf sie, schwang einen massiven Vorderlauf wie eine Keule und streckte die Klauen aus. Ino duckte sich unter dem Schlag hindurch und ließ ihre Klinge nach vorn schnellen. Von der Schulter bis zur Hüfte schlitzte sie das Vieh an der Flanke auf. Ein solider Schnitt. 

 

Blut spritzte in einem roten Regen hervor. 

 

Die Chimäre brüllte, wollte sich umdrehen. 

 

Zu spät. 

 

Ino wirbelte herum, näherte sich tief und riss ihre Klinge über die Kniebeugen der Kreatur, um sie mit einem einzigen Streich bewegungsunfähig zu machen. Mit einen grässlichen Heulen ging das Biest zu Boden. Und Ino wartete nicht darauf, ob es sich vielleicht auf den Vorderläufen aufrappelte; sie sprang auf den gestürzten Körper und rammte ihre Klinge durch Schädel und Hirn – wieder und wieder. 

 

Stirb, stirb, stirb!

 

Ein Krachen hinter ihr. 

 

Inos Kopf zuckte nach oben und sie vollführte einen Rückwärtssprung vom Rücken der Chimäre, segelte über die Köpfe der beiden Bestien, die versucht hatten, sich auf sie zu stürzen und sandte einen Regen aus Shuriken tief in deren Wirbelsäulen. Sie knickten ein, fielen jedoch nicht. Stattdessen schnellten sie zu ihr herum, als Ino auf dem Boden aufkam und ihre gezackten, gelben Zähne bleckten sich zu einem Feixen. 

 

„Okay, Buschfleisch“, zischte Ino, steckte ihr Tantō weg und zog stattdessen mehrere Kunai zwischen den Knöcheln hervor. Die Klingen funkelten wie Krallen. „Wer kommt als nächstes?“

 

Und dann trat ein Kind aus dem Unterholz. 

 
 

~❃~
 

 

„Hakke Hasangeki!“

 

Die Explosion von Chakra machte fünf Chimären und einen guten Teil der Einrichtung nieder, riss ein blutbespritztes Loch durch vier Wände und erhellte die Laboratorien in einem blauweißen Aufflammen, das zu einem Flackern von Glühbirnen und dem Feuerwerk hängender Kabel nachließ.

 

Neji senkte seine Handfläche und holte Luft. 

 

Hinter ihm hörte er das erleichterte Schluchzen der Labortechnikerin. „Sind sie tot? Sind sie tot?“

 

Nejis Brauen zuckten trocken. Wenn das diese Dinger nicht getötet hatte, dann wäre er mehr als nur ein bisschen genervt gewesen – und auch ein bisschen beleidigt. Während er zu den Frauen und den beiden Kindern zurücksah, die er gerade gerettet hatte, bat er sie, zu warten und bewegte sich zum Zentrum der gesprengten Wand. Byakugan Augen suchten den langen, abgeflachten Tunnel der Zerstörung ab, den sein Chakra durch die Labore von D bis A geebnet hatte. Nichts zuckte – jedenfalls nichts Lebendiges. Die Wände waren rot und das meiste von dem Fleisch und den Knochen war von der Wucht des Bergzerstörer Jutsus pulverisiert worden. 

 

Fünf erledigt…

 

Der Rest war Shikamaru hinterher gejagt.

 

Als er sich umwandte, schritt Neji zurück in die Mitte des großen Konferenzraumes, bevor er stehen blieb, um den äußeren Korridor entlang zu starren. Sein Blick wanderte zurück zu den halb zerstörten Schwungtüren, wo er den Schattenninja das letzte Mal gesehen hatte, als sich ihre Wege getrennt hatten. 

 

Komm schon, Nara.

 

Shikamaru hätte eigentlich zu ihm zurückkommen sollen. Neji hatte vorhin die Vibrationen einer heftigen Explosion gespürt und sich während seines eigenen Kampfes gerade genug Zeit gestohlen, um eine monochrome Sicht auf die Kantine zu erhaschen, die in Flammen aufging. Shikamaru hatte er nicht gesehen. Nur tote Chimären. Und dann, später, die Hülle eines kleinen Körpers, der vielleicht zu einem Kind gehört hatte. 

 

Gott…

 

Er berührte sein Mikrofon. „Nara, hörst du mich?“ 

 

Nichts…nur das das Hämmern seines eigenen Herzschlages. 

 

Fluchend beschrieb Neji einen verstörten Kreis, bevor er sich zurück zu den Frauen begab, die hinter dem großen Konferenztisch kauerten. Die Schatten waren tief und dicht und verschleierten ihre Gesichter. Die Frauen versuchten beide zur selben Zeit zu sprechen, während die beiden Kinder, das Mädchen nicht älter als acht und der Junge vielleicht so um die zwölf, überhaupt nichts sagten.

 

„Wer bist du?“, fragte die Technikerin leicht hysterisch. „Wer bist du!“

 

Die ältere Frau fragte etwas ruhiger: „Hast du den Rest meines Teams gesehen?“

 

Seufzend umrundete Neji den Tisch und hob eine Handfläche, als die beiden Frauen rückwärts strampelten, die Arme ausgebreitet, um die Kinder zu schützen. „Ganz ruhig“, sagte Neji mit leisem und beruhigendem Tonfall. Er blieb stehen und ging auf ihr Level in die Hocke, während seine Byakugan Augen zu dem Namensschild wanderten, das auf die Brusttasche des Laborkittels der älteren Frau genäht war. „Mika-san“, sagte er. „Du bist eine Wissenschaftlerin.“

 

Wachsam, aber mit mehr Ruhe und Klarheit blitzten die Augen der Frau auf. „Ich bin Genetikerin“, korrigierte sie und ihr Kinn hob sich ein Stück. „Anii ist eine meiner Labortechnikerinnen.“

 

Über die Kinder sagte sie gar nichts. 

 

Für einen Herzschlag dachte Neji darüber nach und hielt ihren Blick. „Ich verstehe, dass ihr Fragen habt. Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit für Fragen. Alles, was ihr wissen müsst, ist, dass ich nicht euer Feind bin. Wenn ich das wäre, dann hätte ich euch zum Sterben zurückgelassen. Versteht ihr das?“

 

Mika runzelte die Stirn und griff mit den Händen nach hinten, um das Mädchen hinter sich zu halten. Das gewann ihr ein paar Punkte. Noch einmal nickte sie, auch wenn sie nicht wirklich erleichtert aussah. „Ja.“

 

Plötzlich erwachten einige der Deckenlampen in den Winkeln des Raumes flackernd zum Leben. Ihr Licht war schwach, rotstichig, aber immerhin genug, um etwas sehen zu können. Notfalllichter. 

 

Katsu muss es geschafft haben, das System neu zu starten…

 

Was bedeutete, dass die Gehege wieder elektrisiert waren. 

 

Gut zu wissen.

 

Er konnte nur hoffen, dass die weniger intelligenten Spezies der Chimären hinter der Umzäunung geblieben waren. Es würde ihre Ausrottung um einiges leichter machen, als sie jagen zu müssen. 

 

Und es wird Leben verschonen…

 

Obwohl die Frage, ob es die Wissenschaftler, die diese Dämonen erschaffen hatten, überhaupt verdient hatten, zu leben, eine ganz andere Angelegenheit war. 

 

Überdeutlich sah Neji zu den Kindern. „Was im Moment am wichtigsten ist, ist, euch alle irgendwohin zu bringen, wo es sicher ist. Gibt es in dieser Einrichtung eine Art Bollwerk oder einen Sicherheitsraum, zu dem ich euch bringen kann?“

 

„Du willst uns allein lassen?“, fragte die andere Frau – Anii – entsetzt über diese Vorstellung. In dem rotstichigen Licht erschien ihr Gesicht geradezu gespenstisch. „Lass uns nicht allein.“

 

„Es gibt vielleicht andere Überlebende“, begann Neji. „Ich-“

 

„Du kannst es dir nicht leisten, uns herum zu karren“, schloss Mika unverblümt, da sie seine Logik erkannte. „Wir werden dich nur ausbremsen, richtig? Ich weiß, wie ihr Ninja arbeitet. Obwohl du einen weit besseren Job als die Kus-nin gemacht hast, uns zu beschützen.“

 

Neji widerstand dem Drang, sie näher danach zu fragen und sah von Mika zu den dünnen, rehäugigen Kindern, die ihn musterten. Er suchte nach einem besseren Weg, um es auszudrücken. „Ich kann eure Sicherheit nicht garantieren, wenn ich euch mit mir nehme. Und ich habe Befehl, dafür zu sorgen, dass ihr sicher seid. Das ist meine Priorität.“ Mit erhobenen Brauen blickte er zu Mika. „Helft mir, euch zu helfen.“

 

Stirnrunzelnd grübelte Mika für einen Moment nach. Während sie die Kinder musterte, verengten sich ihre Augen entschlossen und sie sprach, als würde sie direkt von irgendwelchen Schemata ablesen. „Es gibt viel Notfallbunker in der Nähe der Chimärengehege“, berichtete sie ihm. „Zwei davon haben einen unterirdischen Zugang. Alle Bunker sind unabhängig von den Gebäuden; stabil, mit durch Chakra verstärkten Türen und einem Riegelsystem. Separat von allen abzweigenden Einrichtungen.“

 

Perfekt. Das einzige Problem war, dorthin zu kommen. Neji rappelte sich auf die Füße. „Wie weit?“

 

„Kommt drauf an, welchen Weg man geht“, erwiderte Mika und zog das Mädchen in ihre Arme, als sie sich erhob. Ohne irgendein Sträuben oder auch nur den leisesten Ton ließ es das Kind geschehen. Vermutlich stand es unter Schock. Mika streichelte die weichen blonden Locken, bevor sie sich mit einer Hand selbst durch ihr kurzes, silbernes Haar fuhr. „Wir können unterirdisch oder über der Oberfläche gehen. Es ist eine viertel Meile bis zum nahegelegensten Bunker, wenn wir über den Campus gehen.“

 

Keine Option. Nur Kami wusste, wie viele Bestien dort draußen rumliefen. Kopfschüttelnd beobachtete Neji, wie sich der Junge gehorsam an Aniis Hand klammerte, als sich auch die Labortechnikerin auf die Füße schob; ihre Knie waren wackelig und sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Auf offenem Feld würde sie keine Minute durchhalten. 

 

Neji leitete den Gedanken um. „Der Untergrundzugang?“

 

Mika legte den Kopf von Seite zu Seite, als sie die Entfernung abschätzte. „Eine halbe Meile. Mehr Wendungen und Abzweigungen, aber sicherer, schätze ich?“

 

Viel sicherer, auch wenn es hieß, langsamer zu sein. Neji bedeutete ihnen, ihm zu folgen, als er den Tisch umrundete und nach seinem Mikrofon griff. „Naruto, hörst du mich?“

 

Ein Summen und Knistern, laut und entmutigend, bis eine Stimme antwortete. „Hier ist Sai.“

 

Überrascht blinzelte Neji. „Sai. Lagebericht.“

 

„Rechter Flügel gesäubert. Alle Chimären auf dieser Seite der Einrichtung sind tot.“

 

„Irgendwelche Wissenschaftler?“

 

„Negativ. Nur zwei Jungen.“

 

Stirnrunzelnd zuckten Nejis Augen schlagartig zurück zu Mika. Sie reagierte überhaupt nicht, außer dass sie mit den Lippen die Stirn des Mädchens berührte und das Kind wie ein Baby auf ihrer Hüfte wiegte. Vollkommen ausdruckslos stierte das Mädchen Neji an. Wie eine Puppe. 

 

„Was soll ich mit ihnen machen?“, fragte Sai. „Sie sind eine Belastung für mich.“

 

Neji räusperte sich, um nicht die Leitung entlang zu knurren und lief ein paar Schritte voraus, während er den Frauen erneut signalisierte, ihm zu folgen. „Es gibt vier Bunker, alle in der Nähe der Gehege. Zwei davon haben einen unterirdischen Zugang. Triff dich mit Naruto und Sakura und stellt sicher, dass alle Überlebenden, die Kinder eingeschlossen, zu einem dieser Sicherheitsplätze gebracht werden. Mach es jetzt!“

 

„Verstanden.“

 

Neji zögerte und fragte dann rasch: „Sai. Hast du Shikamaru gesehen?“

 

„Nein“, war alles, was Sai antwortete. 

 

Mit den Fingerspitzen immer noch an seinem Mikrofon warf Neji einen flüchtigen Blick zurück durch den Korridor; zwiegespalten, debattierend. Er konnte es sich nicht leisten, noch länger zu warten. Und genauso wenig konnte er es sich leisten, mit Zivilisten im Schlepptau nach dem Schattenninja zu suchen. 

 

„Willst du, dass ich ihn finde?“, fragte Sai mit einer Stimme, die plötzlich und scharf in Nejis Ohr rang. 

 

Mit mahlenden Zähnen biss der Hyūga fest zu. Doch bevor er antworten konnte, zerrte ein lauter Knall seine Aufmerksamkeit ruckartig durch den Raum. Da die Notfalllichter jetzt funktionierten, offenbarte sich das, was wie eine Wand aus Schatten gewirkt hatte, als eine Wand aus verstärktem Glas. 

 

Und dort, auf der anderen Seite und mit Augen glühend wie rote Funken, war ein Rudel Chimären. 

 

Nejis Hand fiel von seinem Mikrofon und seine Augen weiteten sich. 

 

Bei allen Göttern…

 

Sie waren den Kreaturen ähnlich, die er gerade ausgeschaltet hatte, aber größer, kompakter und weit weniger vogelähnlich; ihre Statur kräftiger, die Läufe stärker und Schnauzen kürzer – mehr Alligator als Krokodil – mit hervorstehenden Hörnern. Eher prähistorische Echse statt Vogel. Ein hoher Kamm aus Dornfortsätzen zog sich über den Rücken wie ein offenes Segel und endete an der Wurzel eines dicken Eidechsenschwanzes. Zu beiden Seiten des steifen Fächers aus Knochen und Haut wies jede Kreatur zwei große Stümpfe auf, wo Blut und Eiter aus offenen Wunden in dem schuppigen Fleisch quollen. 

 

„Meine armen Kreaturen“, murmelte Mika. „Sie konnten nicht fliegen. Ich habe es so sehr versucht.“

 

Mit aufflammenden Augen wirbelte Neji zu ihr herum. „Du hast diesen Monstern Flügel verpasst?“

 

Mika registrierte seinen Tonfall überhaupt nicht, sondern zog das Mädchen noch näher an sich, während sie einen Schritt nach vorn trat, die Augen auf das Glas fixiert. „Sie haben sie sich abgebissen. Sie hätten Drachen sein können. Sie hätten so wunderschön sein können.“

 

Wunderschön?

 

In offenem Ekel und zornfunkelnd stierte Neji sie an. Er hatte keine Worte, die stark genug wären, um den Abscheu auszudrücken, den er im Moment verspürte – einem Moment, in dem eins der Biester das Glas attackierte und gegen die verstärkte Barriere donnerte. 

 

Anii schrie. 

 

Die gesamte Mauer erbebte, doch das Glas hielt. 

 

Mikas Gesicht verzerrte sich mit etwas, das Mitgefühl sehr nahe kam. „Sie können nicht hinaus.“

 

Neji hatte nicht vor, ihre Leben darauf zu setzen. Seine Augen wanderten zu dem Schriftzug auf der Glaswand: KÄLTERAUM 02.

 

„Kälteraum“, sagte er laut und stirnrunzelnd. 

 

Anii kam etwas näher an seine Seite, den Jungen unter ihren Arm geschoben. „Es geht u-um experimentelle Forschung…h-hat niedrige U…Um…Umgebungstemperaturen“, stotterte sie und presste den Jungen wie eine Rettungsleine gegen ihre Seite. Sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne klapperten. „I-ich habe keine Ahnung, w-wie sie da überhaupt rein gekommen sind, Mika.“

 

Doch Mika hörte nicht zu. Und Neji hörte an diesem Punkt auch nicht mehr zu. Stattdessen versuchte er, zu verarbeiten, was gar nicht hätte sein dürfen – nicht in der Theorie, nicht in Gestalt. Als er sie so sah, durch dieses Observationsglas, stellte er sich eine anatomische Bühnenschau vor; etwas, das reiner Phantasie entsprang. 

 

Drachen…

 

Kränze aus kalter Luft wirbelten wie urzeitlicher Nebel um die Kreaturen. Eine der Bestien berührte mit der Schnauze das Glas und zischte einen heißen Atem heraus, der einen Schwall aus Kondensation über die Oberfläche sandte. Kein Feuer, keine Flamme, nur ein frustriertes Fauchen. 

 

Ein weiteres begann, mit der flachen Seite des Kopfes und hämmernden Hörnern gegen das Glas zu schlagen. 

 

Die Augen starr auf das Glas gerichtet, breitete Neji schützend die Arme aus und die Enden seiner Ärmel fächerten sich auf wie Schwingen, als er die Frauen und Kinder ein paar Schritte nach hinten dirigierte. „Die Grundrisse haben einen Wartungsweg in die Keller gezeigt. Ist das der schnellste Weg zu der unterirdischen Passage?“

 

Doch Mika stierte nur über seine Schulter auf die Chimären und Tränen sammelten sich an ihren Augenwinkeln. „Sie waren mein Lebenswerk…“

 

Knurrend drehte sich Neji zu ihr um und packte sie am Oberarm, um sie heftig zu schütteln. „Dein Lebenswerk ist drauf und dran, dich und das Kind in deinen Armen umzubringen. Nehmen wir die Wartungsroute oder gibt es einen anderen Weg?“

 

Verdutzt blinzelte Mika ihn an. „Du verstehst nicht. Diese hier sind nicht wie die anderen. Sie sind besonders, sie sind-“

 

Eine Explosion aus Licht detonierte hinter Neji und erhellte Mikas Gesicht mit warmen, glühenden Tönen. Neji schnellte herum; und erstarrte, als er sah, dass die Biester Feuer spuckten. Ströme aus karmesinroten, orangenen und gelben Flammen schossen über das überfrostete Glas; so konzentriert und intensiv, dass die Hitzewellen zu flirren begannen und das Rudel aus Bestien in eine Fata Morgana aus dunklen Schuppen und glühenden Augen verwandelten. 

 

Kaltes Glas…starke Hitze…

 

Nejis Augen flogen weit auf. Er wirbelte herum, schubste Anii und den Jungen dem Ausgang auf der anderen Seite des Raumes entgegen und brüllte: „Lauft! LAUFT JETZT!“

 

Der Junge brach aus seiner Trance und stürzte zur Tür, wobei er Anii am Handgelenk mit sich zerrte. Neji wandte sich zu Mika um und wollte sie packen, doch mit einem Kreischen befreite sie sich aus seinem Griff. Als wäre es eine Stoffpuppe schleuderte sie ihm das Mädchen entgegen. Fassungslos und mit vor Entsetzen weiten Augen, fing Neji das Kind auf, fühlte, wie sich ihre Arme und Beine so fest um ihn legten, dass es ihm beinahe die Luft abschnitt. Er schlang einen Arm um ihre Taille, stolperte einen Schritt nach hinten und neigte den Körper in Richtung Ausgang. 

 

Er streckte den Hals und schrie so laut er konnte: „Verdammt! Mika!“

 

Doch Mika driftete fort zu der glühenden Wand aus Glas, die Hände ausgebreitet in einer umarmenden Geste. „Meine süßen Drachen, meine süßen Drachen…“

 

Neji warf einen verzweifelten Blick auf den Rücken der Frau, dann auf die Tür, die zurück in den Korridor führte. Keine Schatten. Kein Shikamaru. Keine Chance, auf diesem Weg zurück zu kommen, um ihn zu finden. Er würde diesen Ausgang versiegeln müssen. 

 

Verdammt. Verdammt. VERDAMMT!

 

Während er zurückwich, versuchte er, das Mädchen abzusetzen und ihr zu sagen, sie solle losrennen, aber sie wollte ihn nicht loslassen. „Nein. Nein. Nein.“, wimmerte sie. 

 

Zerrissen verharrte Neji im Türrahmen, ein explosives Papiersiegel in der einen und ein völlig verängstigtes Mädchen in der anderen Hand. Als er sah, wie das Glass Risse bekam, klatschte er das Siegel auf die Tür und rief ein letztes Mal mit einer Stimme, die nur noch ein heiseres Brüllen war. „MIKA!“

 

„Lieblinge“, hauchte sie und Ehrfurcht erhellte ihr Gesicht stärker als die Flammen; alle Logik und Vernunft fort gebrannt. „Seht euch an. Seht euch an.“

 

Sie waren das Letzte, was sie jemals sah. 

 

Als das Glas in tausende, rasiermesserscharfe Splitter zerbarst und sich Mikas Schreie zu einem schrillen und blutgerinnenden Heulen verzerrten, spurtete Neji bereits den Ausgang entlang, klatschte Explosionssiegel auf die Wände und versuchte sein Äußerstes, nicht zurück zu sehen, sich nicht umzuwenden…nicht zurück zu gehen.

 

Shikamaru…

 

Bei allen Göttern, diese Frau war gerade gestorben. 

 

Mission. Mission. Mission.

 

Er umrundete eine scharfe Kurve in dem Korridor, sah Anii und den Jungen, wie sie voraus rannten, während das dämmrige rote Glühen der Notfalllichter ihre Silhouetten in blutige Schattierungen tauchte. 

 

„Links!“, schrie Neji und seine Stimme hallte den engen Gang entlang. „Nach LINKS!“

 

Anii und der Jungen hörten auf zu rennen und sahen zu ihm zurück. Ohne seine Schritte zu unterbrechen bellte Neji ihnen entgegen, weiter zu laufen, während seine langen Beine die Distanz schlossen. Er spürte die Explosion, bevor er sie hörte; ein brutales Beben entlang der Wände, gefolgt von dem tiefkehligen Rumpeln der Korridore, die hinter ihm nachgaben. 

 

Staub regnete herab und stach in seinen Augen. Während er rasch blinzelte, hielt er seine Byakugan Augen stur nach vorn gerichtet. 

 

Sieh nicht zurück…sieh nicht zurück…

 

Das unheilvolle Ächzen der kollabierenden Gänge endete donnernd; ein ersterbendes Brüllen, bei dem sich seine Eingeweide zusammenzogen. Keine Ausgänge. Kein Entkommen. Shikamaru würde einen anderen Weg finden müssen. 

 

„Haben wir gewonnen?“, wisperte das Mädchen in sein Ohr. 

 

Doch er hörte die Worte kaum. Mit hämmerndem Herzen umfasste Neji den Kopf des Mädchens, drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter und rannte, rannte…rannte…

 

 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ladypegglin
2022-04-18T15:17:31+00:00 18.04.2022 17:17
Tolle fanfiction Reihe, ich würde mich freuen über Gespräch zwischen shika und neji. Ich hoffe es kommt bald ein neues Kapitel raus 🙂👍🏽
Antwort von:  _Scatach_
19.04.2022 14:39
Huhu :) Freut mich sehr, dass dir die Reihe gefällt :)
Es wird auf jeden Fall noch mehr Gespräche zwischen Shikamaru und Neji geben :D
Ich hoffe, dass dir das neue Kapitel auch gefällt :)
Von:  Scorbion1984
2022-04-16T18:50:23+00:00 16.04.2022 20:50
Die fallen alle von ein Extrem ins andere .
Typisch Wissenschaftler, Dinge erfinden und dann auf die Menschheit loslassen, ohne auf die Folgen zu achten .
Antwort von:  _Scatach_
19.04.2022 14:38
Ja, das stimmt ^^
Naja, ich denke, dass nicht alle Wissenschaftler so rücksichtslos sind, aber diese hier auf jeden Fall :D


Zurück