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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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The pit

Shikamaru erwachte in pochender Finsternis. Vertraute Finsternis. Finsternis so tief, dass kein Licht existierte abgesehen von dem schwachen Funken von Bewusstsein – seinem Bewusstsein – das gegen das Schwarz kämpfte; eine Flamme in einem kalten Wind, flackerte hinein und hinaus – hinein und hinaus – wie die beiden Stimmen um ihn herum. Eine, an die er sich erinnerte und eine, die er immer noch kannte. 

 

‚Bitte mich nicht darum, das zu tun.‘

 

‚Es ist das, was wir tun, Genma.‘

 

Genma?

 

Ein Nadelstich aus Licht. Peripher und vage. Hinein und hinaus zwinkernd…schwebend wie ein phosphoreszierendes Irrlicht weit draußen auf dem schwarzen Ozean seines Traums…dieser driftenden Finsternis. Shikamaru griff danach, fokussierte sich darauf, folgte dem winzigen weißen Funken, als er horizontal über die Schwärze glitt wie über Stahl, um sie in einem blendenden Aufblitzen an der Spitze einer Nadel zu beenden, ließ die Finsternis zerbersten, bis – 

 

„Yo! Moment ihr zwei! Was macht’n ihr da hin– oh Shit. Fuck, Mann? `S das ne verfickte Nadel in deinem Mund? Warum machst’n sowas?“

 

Shikamaru hielt in der feuchten, schmuddeligen Gasse inne und scannte die Wände zu beiden Seiten, bevor er seitwärts zu Genma spähte. Aufmerksam beobachtete er, wie der Tokujō das träge, langmütige Blinzeln eines Mannes blinzelte, dessen Geduldsfaden kurz und dessen Zeit knapp war. 

 

„Ich bin ein Exhibitionist“, erwiderte Genma ausdruckslos sowohl in Stimme als auch Augen. „Und du bist Yamori.“

 

Der echsengesichtige Mann zog argwöhnisch die Augen zusammen und paffte einen Rauchring hinauf zu dem behelfsmäßigen Dach, wo rostige Wellblechplatten in strammen Streifen über die Gebäude genagelt waren, die zu beiden Seiten standen. „`S richtig“, sagte er letztendlich, kratzte sich an einem welken Arm, der mit den Spuren von Nadelstichen, auffallenden Tattoos und einem üblen Fall von Schuppenflechte übersät war. „Exhibitionist, huh? Haste Tickets?“

 

Genma nickte. „Zwei.“

 

Doch Yamori fragte nicht direkt nach ihnen. Stattdessen lümmelte er sich wie ein abgeranzter Zuhälter gegen die marode Türöffnung. Seine Zungenspitze zuckte über seine Oberlippe, während er seinen eidechsengrünen Blick in einem langsamen Schwung über Genma wandern ließ, bevor seine Aufmerksamkeit über die Schulter des Tokujō hinweg glitt und zu Shikamaru kroch. Seine Augen zogen sich in zwielichtiger Ränke zusammen. „Der’s bisschen jung für Blutsport, huh? Du magst Blut, Junge?“

 

Shikamaru hob eine Braue und widerstand dem Drang, sich von dem animalischen Glühen in diesen lüsternen Augen zu distanzieren – und der unfassbaren Dummheit in diesem Kommentar. Echsengesicht dachte wohl auch mit seinem Echsenhirn. Jeder mit einem Staubkorn von Verstand hätte anhand von Shikamarus Regalien erkannt, dass er ein Konoha Shinobi war; zu jung für Blutsport nach den Gesetzen dieses Landes, aber nicht zu jung, um nach den Gesetzen eines anderenm ein Killer zu sein. 

 

Mann, ist dieser Kerl ein Trottel. 

 

Genma musste dasselbe gedacht haben, wenn sein schlitzäugiger Blick von ‚Es ist viel zu früh am Tag für diese Art von dumm‘ irgendwie ernst zu nehmen war. Doch unglücklicherweise half das vielsagende Schweigen nicht, Intelligenz mit in das Gespräch einzuladen. Tatsächlich sah Yamori nur noch neugieriger aus und auch ein bisschen gerissener; sein Grinsen schnitt sich tiefer. 

 

„Wie alt is der Junge?“ Er schien die Frage mehr mit seinen Augen auszusprechen, während er an dem dünnen Joint sog, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. „Um die fünfzehn?“

 

Geh auf die fünfzig zu, dachte Shikamaru trocken, auch wenn sich sein Kiefer aufgrund des unverhohlenen Beäugens und der Genauigkeit der Vermutung des Mannes verkrampfte. Unbehagen und Verärgerung krochen heiß über seine Haut. Warum zur Hölle sah ihn dieser Kerl an, wie die meisten Typen Ino anstierten?

 

Ihm blieb keine Zeit, zweihundert verschiedene Möglichkeiten zusammen zu sammeln. 

 

Mit einer Bewegung, die so entspannt war, dass sie als völlig unbeabsichtigt durchging, verlagerte Genma das Gewicht, um sich selbst direkt zwischen den Schattenninja und Yamori zu schieben. 

 

Handlung ohne Worte. 

 

Genma sagte überhaupt nichts. Musste er aber auch nicht. Shikamaru bemerkte sein Chakra in einer schrittweisen Veränderung und mit dem Hauch von Tötungsabsicht. Yamori hingegen erschien vollkommen ahnungslos – und für einen Kerl, der in einer Blutsport Anlage arbeitete, war das nicht gerade ermutigend für seine Zukunft in diesem Geschäft…oder für seine Zukunft innerhalb der nächsten zehn Sekunden. 

 

„Na dann so um die sechzehn?“ Missbilligend zog Yamori die Brauen wegen seiner versperrten Sicht zusammen, klang aber beinahe hoffnungsvoll über die Möglichkeit, Shikamarus Alter zwölf Monate hinzufügen zu können. „Weißte, wir haben da nen Ort für-“

 

„Er gehört zu mir“, sagte Genma. 

 

Yamori blinzelte. Ganz offensichtlich war er dem Begreifen der eiskalten Drohung von Genmas Worten immer noch nicht näher, als wenn das Senbon bereits direkt zwischen seinen glotzenden Augen begraben wäre. Irritiert gaffte er Genma an, dann mit Interesse…und dann erschien eine seltsame Art dämmernder Begutachtung. „Ey, Mann. Bin mir ziemlich sicher, dass ich dich von irgendwoher kenn.“

 

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das nicht tust.“

 

„Ne, im Ernst, Mann, bin mir ziemlich sicher…“ Yamori kratzte sich eine Stelle zornig aussehender Haut, die eine Seite seines dürren Halses bedeckte, blinzelte für ein paar Sekunden intensiver Suche, bevor er mit den Fingern schnippte. „Heilige Scheiße! Ja, ja, ja! Ich kenn dich aus Tanzak-“

 

„Ich kenne dich nicht“, schnitt Genma ihm das Wort mit einer Stimme ab, die Härchen aufstellen ließ. „Du kennst mich nicht.“

 

Eine perplexe Pause…und dann flackerte ein Licht hinter Yamoris Augen auf. Er zog eine übertriebene Schau ab, indem er die Hände hob und sich das träge Grinsen eines Speichelleckers über sein Echsengesicht legte. „Is klar, Bruder.“ Verschwörerisch zwinkerte er, als wollte er sagen ‚Hey Mann, ich verrat deine Geheimnisse schon nicht‘, bevor er zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurück sprang und sich offenbar in seiner Vermutung sicher war, dass Genma ihn kannte und er Genma kannte und dass sie einfach nur zwei alte Kumpels waren, die miteinander plauderten. „Also…er gehört zu dir, huh? Ausschließlich? Willst mir echt erzählen, dass n bissl Dukkha deine Meinung nicht ändern kann? 

 

Shikamaru runzelte leicht die Stirn. 

 

Dukkha?

 

Genmas Gesicht war geradezu totengleich in seiner Regungslosigkeit…

 

Ein kalter Wind peitschte die Gasse entlang und klang dabei wie das Heulen eines Tieres. Shikamaru versteifte sich, spürte etwas anderes, das auf diesem Wind mitgetragen wurde, etwas, das außer von Genma von niemandem gesehen werden konnte, etwas ebenso Fröstelndes und Gefährliches wie die eingefrorene Miene auf dem Gesicht des Shiranui. 

 

Was zur Hölle?

 

„Na, was sagste, Mann?“ Yamori zwinkerte schon wieder und seine Augen funkelten mit einer geteilten, geheimen Erwartung. „Jo? Hast mich? Das gute Zeug. Lässt dich fliegen. Wie wär’s?“

 

Gerade, als Shikamaru ernsthaft anfing zu befürchten, dass Genma unter dem Bann irgendeines durchgeknallten Genjutsus stand, zerbrach die Miene des Shiranui. Beinahe träge blinzelnd bleckte Genma seine Zähne um die Nadel, um das Senbon mit einem kaltäugigen Schmunzeln so auszurichten, dass das rasiermesserscharfe Ende auf Yamoris Stirn zielte. „Wie wär’s, wenn du deinen verfickten Job machst?“, riet der Shiranui ihm, während er ein Paar rote Tickets zwischen zwei steifen Fingern nach oben hielt. „Hast mich?“

 

Mit zusammengzogenen Brauen verfinsterte sich Yamoris Gesichtsausdruck, als hätte er gerade eine schwerwiegende Kränkung von seinem lange verlorenen Bruder einer anderen Mutter einstecken müssen. Und dann wurde seine Miene blank und kalt – jegliche vorherige Andeutung von Vertrautheit war schlagartig fort. Er saugte an dem wie auch immer dröhnenden Rauch, den er paffte und schaukelte mit erhobenen Händen auf den Fersen nach hinten. „Mein Fehler, Kumpel.“ Er pflückte Genma die Tickets aus der Hand. „Wir werden alle ein bisschen wirr, wenn wir fliegen, weißte?“

 

Wenn Genma das wusste, dann sagte er es nicht. 

 

Schweigend folgte Shikamaru dieser Interaktion und hielt sich bedacht in Genmas Schatten, als sich Yamori Zeit nahm, Torwächter zu spielen. Er hielt die Tickets hinauf gegen das Licht, als erwartete er, dass sich irgendeine Art unsichtbarer Tinte zeigte, die durch das mickrige Rinnsal an Sonnlicht erschien, das sich seinen Weg durch die Löcher in dem rostigen Überhang suchte. 

 

„Huh.“ Yamori rümpfte die Nase und musterte Genma von Kopf bis Fuß. „Werde das mal mit dem Boss abchecken.“

 

Achselzuckend schob Genma die Hände in die Taschen. „Mach das.“

 

Und tatsächlich tat er das, dieser schmierige Freak. Er stopfte die Tickets in die Rückseite seiner Hose – nicht in die Gesäßtaschen, sondern wirklich in die Hose – und verschwand in dem Gebäude. Shikamaru schnitt eine Grimasse und kam aus seinem Versteck, um sich neben Genma zu stellen. Sein Blick wanderte über das krude Schild, das über die Tür genagelt war – eine schlampige Arbeit des nur marginal professionelleren Emblem, das den Haupteingang zierte. 

 

TEKISHA SEIZON

 

„Überleben des Stärksten?“, übersetzte Shikamaru. 

 

Genma erwiderte nichts. 

 

Unauffällig spähte Shikamaru zu ihm und stellte fest, dass Genma ohne irgendeinen Fokus auf die Tür stierte, während sein Senbon von Seite zu Seite zuckte und der leichteste Hauch eines Stirnrunzelns an seinen Brauen zupfte. Es war nicht der distanzierte Ausdruck, den er normalerweise trug. Das hier war etwas anderes und weitaus Verstörenderes – umso mehr wegen der Tatsache, dass Shikamaru nicht genau sagen konnte, was es war. 

 

Dieses erschreckte Gefühl wand sich seinen Weg zurück in Shikamarus Eingeweide. 

 

Irgendwas liegt in der Luft…

 

Auch wenn der Schattenninja überhaupt kein Problem mit Vermeidung oder Stille hatte, beunruhigte ihn etwas an Genmas stillem, weit entferntem Blick zutiefst. Von dem wenigen, was er bei dem Tokujō beobachtet hatte, schien Genma ein ziemlich gelassenes, unparteiisches und alles in allem vorhersehbares Temperament zu haben. Er verlor nie seine kühle Fassung, wenn die Hitze aufgedreht wurde und blieb unzensiert und lässig, wenn er mit Chūnin arbeitete, ohne jedoch die Ränge durcheinander zu bringen. Er sprach direkt, ohne herrschsüchtig zu sein und trotz seiner gelegentlichen Reserviertheit, die ihn überfiel, wenn er in eine senbonkauende Stille versank – so wie jetzt – der Tokujō wurde vor Abgehobenheit und Unnahbarkeit bewahrt und zwar von seiner witzelnden Ader. 

 

Eher ein morbider Sinn für Humor…

 

Aber nicht weniger trocken oder schlagfertig. Und Shikamaru hatte Genmas eigenwilligen Sarkasmus über die letzten Tage zu schätzen gelernt. Es hatte dieser gesamten, extrem nervigen Angelegenheit den Biss genommen, die diese Chūnin Prüfungen und jede lästige, damit verbundene Pflicht waren – was Shikamarus Hirn dazu brachte, direkt wieder zu ihrer derzeitigen misslichen Lage zurück zu kehren. 

 

Warum sind wir überhaupt hier?

 

Hier im Speziellen. Noch einmal schielte er zu dem Schild hoch und fühle eine unerklärliche Wachsamkeit und Furcht, die sich in seinem Inneren verdrehten. Dämlich. Unlogisch. Er runzelte die Stirn über seine eigene Schreckhaftigkeit und verlagerte unbehaglich das Gewicht auf den Füßen. „Bekommen die Daimyōs nicht schon genug Blutsport, wenn sie sich einfach nur die Chūnin Prüfungen anschauen? Diese Art von Zeug erscheint mir ein bisschen-“

 

„Abgefuckt?“

 

Shikamaru blinzelte. „Ich wollte sagen lahm und irgendwie proletenhaft, aber okay.“

 

Achselzuckend schüttelte Genma den Kopf. „Lässt sich nicht darüber streiten, was das Biest von einem füttert. Schätze mal, dass der Feudalherr bei Tierquälerei nen Harten bekommt.“ Bei Shikamarus langem Schweigen spähte er zu ihm hinüber und zog eine finstere Miene über den säuerlichen Gesichtsausdruck des Schattenninjas. „Du bist alt genug, um zu wissen, was ein Harter ist.“

 

Das war nicht der Grund, warum Shikamaru die Stirn runzelte. Kurz zögerte er, bevor er fragte: „Was meinst du mit ‚Biest füttern‘?“ 

 

Das schwache Glimmen von Humor erstarb wie ein ausgetretener Funke in Genmas Augen. Sein Gesicht wurde vollkommen blank und kehrte abrupt zu vollständiger Regungslosigkeit zurück. Kopfschüttelnd wandte er den Blick ab. „Gar nichts.“

 

Zumindest nichts, worüber er reden wollte. Neugierig musterte Shikamaru ihn und ließ den kurzen Austausch mit Yamori Revue passieren. Und wider besseres Wissen bewegte sich sein Mund vollkommen unabhängig von seinem Hirn. „Kennst du diesen Kerl?“

 

„Ich kenne Typen wie ihn“, antwortete Genma. „Sie sind Müll.“

 

Zweifelsohne, aber diese zweideutige Antwort kratzte nicht gerade das Jucken unter Shikamarus Haut, soweit es Genmas seltsames Verhalten anging. Neugierig zu sein war lästig, daran gab es nichts zu rütteln, aber was ihn mehr beschäftigte als das, war die Tatsache, dass sich Genma überhaupt nicht mehr vorhersehbar verhielt. Und gerade jetzt, wenn er hinein geworfen wurde in diese kranke Umgebung politischen Schwachsinns, wo jeder nur danach geiferte, den Schattenninja abzuwerben und Feudalherren faszinierter davon zu sein schienen, ihn zu beobachten statt die Chūnin Prüfungen, da brauchte Shikamaru einfach etwas zuverlässige Vorhersehbarkeit, um seinen heiß begehrten Kopf feste auf den Schultern zu behalten – und Asuma war nicht hier, um menschlichen Schild zu spielen. 

 

Hör endlich auf, dich wie ein Kind aufzuführen…

 

Innerlich schnitt er eine Grimasse. Wirklich dämlich, wie er als Ninja Leib und Leben riskierte und dabei nicht in Schweiß ausbrach, doch wenn er einem Schwarm politischer Würdenträger gegenüberstand, fühlte er sich, als wäre er den Wölfen zum Fraß vorgeworfen worden. Und Wölfe waren sie. Jeder einzelne. Alle im Schafspelz, versteckt und doch sichtbar für jedermann. Viel beunruhigender für Shikamaru als jeder Feind, dem er jemals auf dem Schlachtfeld begegnet war. Feinde wollten sein Blut, nicht sein Hirn, was sie vorhersehbar, bezwingbar und leicht zu manipulieren machte. Aber was diese Machtspieler anging? Was für eine Art Agenda trieb sie an, wenn sie ihn ansahen? Was lag in ihren Augen? In ihrem Verstand? Was zur Hölle wollten sie von ihm?

 

Denk nicht dran.

 

Wohl kaum. Er hatte bereits Unmengen an Vermutungen zu all diesen Fragen, die aus seinem Hirn sprudelten wie Blut aus einer Arterie. Leicht panisch sah er zu Genma, um den Strom einzudämmen; verzweifelt nach irgendetwas, um sich abzulenken. So verzweifelt, dass er ohne Bedacht herausplatzte: „Du hast gesagt, du würdest Typen wie Yamori kennen. Woher?“

 

Für einen Herzschlag schwieg Genma und die Muskeln in seinem Kiefer pulsierten. „Davon, den Müll rauszutragen“, erwiderte er letztendlich, bevor er wieder still wurde. 

 

Klasse. Das lief richtig gut…

 

Shikamaru fühlte, wie sein Hirn wieder zurück in diesen bammeligen Zustand rutschte und nahm das Schweigen einfach als eine eingebildete Einladung, weiter zu fragen: „Was ist Dukkha?“

 

„Woher zur Hölle soll ich das wissen?“

 

„Der Typ schien zu denken, dass du es kennst.“

 

Jetzt wandte sich Genma um; die Bewegung so plötzlich, dass Shikamaru ein wenig zusammenschreckte. „Er schien auch zu denken, mich zu kennen. Er schien auch zu denken, du wüsstest was verfickt nochmal er vorgeschlagen hat, als er gefragt hat, wie alt du bist.“ Genma hob die Brauen und eine völlig untypische Kante biss sich in seine Stimme, schnitt sich in seine Augen. „Na, wusstest du es? Ja? Nein? Willst du, dass ich dir die mentale Beinarbeit erspare? Dass ich es für dich buchstabiere? Dir vielleicht auch noch eine kurze Lehrstunde über die kranken Fetische und verdrehten Phantasien von Unterwelt Abschaum halte? Ist es das, was du willst?“

 

Daraufhin hielt Shikamaru mit weiten Augen und zusammengepressten Lippen den Mund; sprachlos gemacht von der Geschwindigkeit, mit der Genma ihn zum Schweigen gebracht hatte – aber mehr als das, war er seltsam fasziniert von der explosiven und unerwarteten Reaktion des Shiranui. Er öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen. 

 

„Halt die Klappe“, schnappte Genma, wandte den Blick ab und dunkle Augen schlossen sich für einen Moment krampfhaft, bevor er ein Seufzen ausstieß. „Nur weil ich hier deine Anstandsdame spiele, heißt das nicht, dass ich irgendwas von Wert habe, das ich dir beibringen könnte, außer nicht zu sterben. Ich bin nicht dein Sensei.“ Und dann, sehr leise: „Ich sollte nichtmal hier sein.“

 

Augenrollend klammerte sich Shikamaru an diesen dürftigen Faden der Konversation, um sich nicht selbst zu lynchen. „Ich hab auch nicht nach dem Mist hier gefragt, weißt du? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hierher geschickt wurde, um zuzusehen, wie sich Genin-Gören gegenseitig verprügeln. Nicht Tiere.“

 

„Jo, naja, es kann dir gefallen oder nicht, aber du hast eine formelle Einladung erhalten und Plätze in der ersten Reihe.“

 

„Um mir anzuschauen, wie sich Tiere gegenseitig in Fetzen reißen? Ich dachte, Daimyōs würden auf diesen ganzen Teepzeremonie Mist und kulturelles Sumo Zeug stehen.“

 

Genma warf ihm einen Seitenblick zu und hob eine Braue. „Du würdest also lieber sehen, wie sich fette Kerle in Unterwäsche aneinander drücken, huh? Sollte ich mir Sorgen machen?“

 

Heftig errötend funkelte Shikamaru ihn finster an. „Ich meins Ernst, Senpai. Warum hier? Ist nicht gerade die Art von Ort, um irgendwelchen politischen Mist zu debattieren, den sie mit mir diskutieren wollen. Und warum betreten wir das Ding durch die Hintertür? Ist nicht so, als hätten sie aufrechte Bürger, die durch den Haupteingang marschieren. Und dann ist da auch noch dieser Yamori Kerl, der was spielt? Sicherheitsmann? Der hat in etwa so viel Muskeln wie Hirn, es sei denn, das ist alles nur eine Art List, um…“ Bei Genmas Gesichtsausdruck brach Shikamaru ab. „Was?“

 

Den Kopf schiefgelegt bogen sich Genmas Lippen, als hätte Shikamaru ihn auf eine leise, liebenswürdige Weise amüsiert. „Und du frägst dich, wieso sie dein Hirn wollen.“

 

„Tu nicht so, als hättest du da nicht selber schon drüber nachgedacht.“

 

„Du hast recht. Obwohl ich die fetten Kerle in Unterwäsche nicht mit einkalkuliert habe.“

 

Schon wieder schnitt Shikamaru eine Grimasse. So sehr er die Rückkehr des nicht-angepissten Genmas zu schätzen wusste; die visuellen Darstellungen, die der Shiranui heraufbeschwor, wusste er überhaupt nicht zu schätzen. „Senpai.“

 

Genma winkte ab. „Der Daimyō von Kusa will nicht, dass irgendjemand sonst seine Klauen in dein fettes Hirn treiben kann, bevor er es macht. Niemand wird darauf kommen, an einem Ort wie diesem nach einem von euch beiden zu suchen. Und außerdem, selbst wenn der Daimyō hier gesehen wird, wird niemand vermuten, dass du irgendwas besonderes bist. Nur irgendein dummes Kind in der Menge, das versucht zu beweisen, dass ihm ein paar Eier gewachsen sind.“

 

„Klar.“ Shikamaru verkniff sich ein Schmunzeln. „Ich fange an zu begreifen, warum Asuma-sensei gesagt hat, du würdest einen schlechten Einfluss auf mich haben.“

 

„Du hast ja keine Ahnung“, murrte Genma und wandte sich wieder der Tür zu. „Was soll das überhaupt mit diesem Smalltalk? Du bist nie so gesprächig. Merkst wohl schon den Druck, hmn?“

 

Klasse, bin ich SO offensichtlich?

 

Shikamaru runzelte irritiert über seine Durchschaubarkeit die Stirn. Normalerweise hatte er keinerlei Probleme damit, seine Agenden oder seine Unsicherheiten zu verbergen. Da er sich bloßgelegt vorkam, bemühte er sich mit seinen nächsten Worten um Deckung. „Bin nur aufmerksam. Ist das nicht der ganze Sinn davon, dass ich hier bin? Um dich zu beschatten?“

 

Genma schnaubte und Shikamaru hätte bei diesem unbeabsichtigen Wortspiel peinlich berührt das Gesicht verziehen können. „Von dir zu lernen“, verbesserte er sich und griff nach einem solideren Schatten, um sich dahinter zu verstecken. Sein Sensei. „Es ist nervig, aber Asuma meinte, ich solle in deinem Hirn stochern und dir Fragen stellen.“

 

„Nein, das hat er nicht.“

 

Nein. Das hatte er nicht. Aber Shikamaru würde das auf keinen Fall zugeben, nur um so früh im Spiel niedergeschossen zu werden. Oder eher der zweiten Runde des Spiels. Denn beim ersten Mal hatte Genma ihn mit seiner Schnellfeuer Zunge umgehauen. 

 

DAS habe ich auf jeden Fall nicht kommen sehen…

 

Und während Shikamaru auf Vorhersehbarkeit und Versicherung vonseiten des anderen Ninja gesetzt hatte, war es dennoch sehr interessant, gegen jemanden anzutreten, der mit demselben silberzüngigen Niveau ausgestattet war wie er. Das hätte ihn eigentlich wirklich nicht überraschen sollen, gemessen daran, dass seine Gegner immer älter als er waren. Wenn es darum ging, eine intellektuelle Übereinstimmung mit irgendjemandem in seinem ungefähren Alter zu finden, kam höchstwahrscheinlich nur der Überflieger Hyūga Neji infrage - obwohl sie nicht unbedingt viel miteinander zu tun hatten und vermutlich würde sich das in naher Zukunft auch nicht ändern.

 

Außer ich werde schon wieder befördert…

 

Nicht, dass er überhaupt jemals darum gebeten hatte, zum Chūnin ernannt zu werden. Er hatte es ja nichtmal versucht. Hatte nur nicht gewollt, von einem Mädchen geschlagen zu werden. Aber das hatte Tsunade-sama nicht davon abgehalten, noch mehr Rang und Verantwortung auf ihm abzuladen. 

 

Die Leute lieben es einfach, mich auf ihren politischen Shogi Brettern rumzuschieben…

 

Jo. War das nicht auch der Grund, aus dem er hier war? 

 

Er holte sein Hirn von diesem deprimierenden Gebiet zurück und stellte fest, dass Genma ihn schon wieder aus den Augenwinkeln ansah. Als würde der Ältere vielleicht auf irgendeine Art altklugen Konters warten. Worüber hatten sie noch gleich gesprochen? 

 

Asuma. 

 

Rasch erholte sich Shikamaru mit einem Achselzucken. „Asuma sagt mir ständig, dass ich die Initiative ergreifen soll. Das ist dasselbe wie die richtigen Fragen zu stellen.“ Angesichts Genmas ungläubigen Schnaubens brachte Shikamaru seinen besten Ausdruck von Kränkung zustande. „Ich versuche hier gerade was von dir zu lernen. Bringt mir das nicht zumindest ein paar Proktorenpunkte ein?“ 

 

„Nein.“

 

„Dann bring mir was bei, das das schafft.“

 

Seufzend rollte Genma mit den Schultern und drehte sich, um seinen Rücken gegen eine der Mauern zu lehnen, während er ein Bein mit der vollkommenen Gelassenheit einer Streunerkatze vor sich ausstreckte und sich dann mit abgeschirmten Augen gegen die Wand lümmelte. „Pass auf. Tu dir selbst einen Gefallen, Junge. Wenn es irgendwas gibt, dass du von mir lernen musst, dann, dass ich ein schillerndes Beispiel für das bin, was du nicht tun sollst.“

 

Perplex blinzelte Shikamaru ihn an. „Ist das umgekehrte Psychologie?“

 

Belustigung funkelte flüchtig in diesen dunklen Augen, aber es schien eine zu kalte Flamme zu sein, um ehrlich sein zu können. Genma schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts zu sagen. Soweit es mich betrifft, gibt es keine Worte, sondern nur Taten. Abgesehen davon, wenn wir uns an diesem Ort bewegen, wirst du exakt das tun, was ich dir sage, nicht was ich tue. Verstanden?“

 

Nein. Nicht wirklich. Die Nachricht segelte irgendwo über Shikamarus Kopf, während sie von seiner dämlich simplen Logik gejagt wurde wie von einem fußlahmen Hund. Er war sich ziemlich sicher, dass absolut nichts von dem, was Genma gerade gesagt hatte, auch nur den leisesten Sinn ergab. 

 

Vielleicht ist das ja auch der Punkt, du Genie. 

 

Oder war es das? Warf Genma verzweifelt einen unlogischen Kurvball, dem Shikamarus Hirn hinterher springen sollte? Oder ging da etwas ganz anderes hinter all diesen widersprüchlichen Worten vor sich? Etwas wie eine gewisse Art von Chamäleonakt, mit dem Shikamaru nur allzu vertraut war. Ein Spiel, das er zu spielen wusste. 

 

Lästig.

 

Aber auch verlockend, jetzt da er wusste, dass Genma mehr als nur in der Lage war, eine Herausforderung für ihn darzustellen. 

 

Dumme Idee.

 

Aber sie blieb hängen. Nagte noch immer. 

 

Sich gegen die gegenüberliegende Wand lümmelnd musterte Shikamaru den Tokujō, wie er wahrscheinlich einen Shogi Gegner taxieren würde, während er einzuschätzen versuchte, ob es es wert wäre, einen Spielplan auszuarbeiten oder er die Teile einfach liegen lassen sollte. Zumindest wäre es eine Ablenkung. 

 

Nach der Attitüde von Echsengesicht zu urteilen, würde er vermutlich noch weitere zwanzig Minuten rumtrödeln, nur um Genma anzupissen, was Shikamarus Hirn einen ungewollten Brocken Zeit ließ, um noch mehr deprimierende Theorien über dieses ganze nervige Kusa Daimyō Ding auszuspucken. 

 

Scheiß drauf.

 

Er würde sich lieber für Genma entscheiden und wenn nur, um Zeit totzuschlagen. Und vielleicht, nur vielleicht, war er von dem älteren Mann auch ein bisschen fasziniert. Nicht vieles schaffte es, Shikamarus Interesse zu wecken oder sein Hirn zum Grübeln zu bringen, aber wenn es der Fall war? Dann war er mit von der Partie.

 

Wirf ihm einfach ein paar Fragen zu…wird wie ein Trainingskampf sein…

 

Übung für das Organ, das am wichtigsten war: sein heiß begehrtes Hirn. 

 

Während er seinen unwilligen Partner beäugte, sammelte Shikamaru rasch alle Informationen, die er über diesen schwer fassbaren Tokujō aus einer Überraschungstüte von Asuma, Hörensagen und seiner eigenen Beobachtungen zusammengetragen hatte. Und dann machte er seinen Zug. „Was hat es mit dem ganzen Vermeiden von Ratschlägen auf sich?“

 

Genma stieß ein abgelenktes Grunzen aus. „Was?“

 

Langsam hob Shikamaru eine Braue, er fiel nicht auf diese Verzögerungstaktik herein. Genma hatte ihn ganz wunderbar verstanden. „Ebisu und Gai waren mit dir in einem Genin Team während der Chūnin Prüfungen, stimmt’s?“ Keine Antwort, aber auch kein Abweisen. Genma sah mit gekrümmten Brauen zu ihm auf, als wartete er auf den Punkt. Und Shikamaru gehorchte ihm, führte seine Frage weiter aus. „Beide deiner Teamkameraden wurden zu geachteten Jōnin. Das ist bei so ziemlich allen Ninja deiner Klasse der Fall. Also warum du nicht?“

 

„Hatte vielleicht was mit der Tatsache zu tun, dass ich kein Görenpack wollte, das mit ziellosen Fragen die Scheiße aus mir rausbohrt.“ Er warf Shikamaru einen vielsagenden Blick zu. „Danke, dass du mich daran erinnerst, warum ich das überhaupt nicht bereue.“

 

Punkt für Shiranui.

 

Innerlich schmunzelte Shikamaru, doch er hielt sein Pokerface aufrecht und zuckte mit den Achseln. „Scheint nur eine ziemliche Verschwendung zu sein. Wenn du ein Sensei wärst, dann könntest etwas weitergeben, eine Art von-“

 

„Asuma hat dich bezahlt, mich zu verarschen, hn?“

 

„Was? Nein.“

 

„Uh huh. Klar.“ Genma ließ den Kopf nach hinten kippen und sein Senbon klickte in einem kalkulierten Ticken zwischen seinen Zähnen. „Das unmotivierteste Kind von ganz Konoha belehrt mich über die Erkundung meines verschwendeten Potentials aus was? Langeweile?“

 

„Neugier“, konterte Shikamaru, was sein ursprüngliches Motiv rasch überholte. „Ich meine, du bist ein ziemlich angesehener Jōnin.“

 

„Kakashi ist ein angesehener Jōnin. Ich bin ein ausersehener Jōnin. Großer Unterschied.“

 

„Inwiefern ist das anders?“

 

„Weil manche Ninja ihre Titel verdienen und andere nur delegiert wurden. Du solltest alles darüber wissen, wenn man bedenkt, wie spektakulär du deine Chūnin Prüfung hast platzen lassen und es dennoch zu dem Rang geschafft hast. Es war ein Witz und du weißt das.“

 

Das hätte vielleicht weh getan, wenn Shikamaru nicht ohnehin schon vollkommen ehrlich zu sich gewesen wäre, was seine weniger als beeindruckende Leistung an diesem Tag anging. Ganz ehrlich, er hatte diese Beförderung nicht verdient, doch es fiel ihm mehr als schwer, dasselbe auch bei Genma zu glauben. 

 

Er ist kein Drückeberger wie ich…also was ist seine Entschuldigung dafür, so vermeidend zu sein?

 

Energisch grübelte Shikamaru darüber nach, wie er die Antwort darauf bekommen könnte und hielt die Augen beständig auf den älteren Mann gerichtet. „Es ist kein Geheimnis oder eine Beleidigung, dass ich es nicht zum Chūnin schaffen wollte. Nicht, dass ich bei dir jemals hätte so tun müssen. Du warst dabei. Du hast gesehen, was da mit Temari den abgegangen ist. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich es einfach nicht wollte. Habe es einfach ausgehändigt bekommen. Ich bezweifle aber, dass das auch deine Geschichte ist, oder? Dass es dir einfach so ausgehändigt wurde?“

 

Das Senbon hörte auf zu ticken. Genmas Augen schnitten zu ihm und zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Ich habe dich nicht für einen Arschkriecher gehalten, Shikamaru. Was willst du?“

 

Unschuldig blinzelnd war Shikamaru viel zu interessiert an Genmas evasivem Verhalten, um darüber nachzudenken, dass es vielleicht weise wäre, sich jetzt zurückzuziehen. Er hatte den anderen Ninja dazu gebracht, sich um diese Sache im Kreis zu drehen und er wollte wissen, warum. „Ich meine es ernst. Du bist einer der stärksten Tokujō in ganz Konoha. Du hast all diese Ränge und Beförderungen auf dem Konto und-“

 

„Und was? Denkst du, dass dazu qualifiziert zu sein, eine Generation zu beschützen und ihr zu dienen, einen automatisch mit dem ausstattet, was man braucht, um dieser Generation irgendetwas von Wert beizubringen?“ Genma bellte ein kurzes, finsteres Lachen. „Du hast noch sehr viel zu beobachten, Junge. Das kann ich dir sagen.“

 

Jo und jetzt gerade beobachte ich etwas wirklich Komisches.

 

Und eine ernste Selbstironie hinter der Abfuhr und dem Sarkasmus des Älteren. Offensichtlich mochte Genma weder Lob noch Anerkennung. Shikamaru registrierte das deutliche Unbehagen und fragte sich, ob auch Genma der Gnade irgendwelcher verrückten Politiker ausgesetzt gewesen war und ohne Verlangen oder abgestimmte Anstrengung auf dem Spielbrett umher geschoben worden war; nicht deswegen ausgewählt, weil er die Ambitionen, sondern die Fähigkeit dazu hatte. 

 

Das verstehe ich…

 

Und das machte sie einander ähnlicher, als Shikamaru vermutet hatte, was ihn nach Antworten hungern ließ, wie zur Hölle er mit all dem fertig werden sollte. Wenn ihm irgendjemand diese Art von Vorwarnung geben konnte, dann war es dieser Kerl. Scheiße, Genma war der Elitewächter des Yondaime, Sandaime und der Godaime. Schon allein der Druck dieser Rolle – ob nun gewollt oder nicht – musste einfach mit einigen sehr guten Bewältigungsstrategien einhergehen. 

 

Jetzt im Moment könnte ich das gut gebrauchen…

 

Rasch arbeitete er dieses Motiv in seine Strategie ein und änderte sein Vorgehen. „Willst du denn nicht eine Art Vermächtnis zurücklassen?“

 

„Würde ich das wollen, dann hätte ich Kinder. Und wie wir bereits festgestellt haben, bin ich nicht gerade scharf auf die Idee. Ich habe der nächsten Generation nichts beizusteuern, als sie zu beschützen.“ Hier machte Genma eine Pause und ließ das Gewicht dieser Worte hängen, während er eine Schulter gegen die Ziegel rollte und einen belästigten Atem ausstieß. „Sind wir jetzt fertig? Oder gibt es noch irgendwas anderes Interessantes an meinem Mangel an Enthusiasmus für dieses Thema, das du gerne besprechen würdest?“

 

Einiges, obwohl es vermutlich leichter sein würde, dieses Senbon aus Genmas Mund zu nehmen, als Antworten zu bekommen. Shikamaru zog leicht die Brauen zusammen. „Du bist mehr als einfach nur ein Tokujō und Aufseher. Du bist Goei Shōtai. Braucht nichtmal ein halbes Hirn um zu wissen, dass dir dieser Titel nicht einfach ausgehändigt wurde.“ 

 

Genma hielt den Blick auf die Tür gerichtet, doch sein Kiefer verkrampfte sich. 

 

Und Shikamaru drängte auf seinen Vorteil. „Wolltest du diese Rolle?“

 

Langsam spähte Genma zu ihm hinüber. „Worauf willst du hinaus?“ 

 

Shit.

 

„Gar nichts. Nur, dass ich nicht glaube, dass das ein Rang ist, zu dem du ausersehen wurdest, ohne ihn zu verdienen. Ich meine, du bist an der Spitze des Spiels, oder nicht? Die wichtigste und stressigste Rolle, die es gibt. Den König zu beschützen.“

 

Blinzelnd wurden Genmas Augen glasig, als er zur Seite wegsah. „Jetzt klingst du wie Asuma…oder zumindest damals, als er dachte, das wäre es, was es bedeutet.“

 

Shikamaru runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“ 

 

„Gar nichts. Nichts, was ich dich lehren werde.“

 

„Vielleicht könnte ich eine Lektion gebrauchen.“

 

Erneut hob Genma den Blick und diesmal war er frei von Erinnerungen und scharf vor Argwohn. „Versuchst du zu behaupten, du würdest dir deinen Weg bis zum Hokage-Bodyguard erarbeiten wollen, Shikamaru?“

 

Der Nara verzog leicht das Gesicht bei diesem beißenden Sarkasmus und schüttelte den Kopf. „Offensichtlich spielt es nicht wirklich eine Rolle, was ich als Ninja will. Sie werfen Ränge auf mich, ob ich sie nun will oder nicht. Tut aber nicht weh, einen Ratschlag von einem Elite Wächter zu bekommen, wie man damit umgeht.“

 

„Du stehst bereits unter der Führung eines Elite Wächters. Denkst du wirklich, Asuma hätte seine jüngeren Jahre damit verbracht, Müll rauszutragen und sein Leben zu verschwenden?“

 

„Nein. Aber so wie du meinen Fragen ausweichst fange ich an, mich zu fragen, ob es das ist, was du getan hast.“ In der Sekunde, als er die Worte ausgesprochen hatte, wünschte er sie sofort wieder zurück. Kaum hatten sie seine Lippen verlassen, sah er, wie das Spielbrett in seinem Verstand umkippte, alle Teile auseinander stoben und sich verteilten. 

 

Und dann sah er Genmas Gesicht. 

 

Die Miene des Tokujō war straffgezogen und kalt wie eine Maske, doch seine Augen schimmerten scharf wie Dolche und schnitten durch die Mauer schwerer Stille, um Shikamaru so sicher wie jede Klinge festzupinnen. 

 

Shikamaru zuckte zusammen und seine gesamte Haltung schrumpfte gegen die Wand zusammen. Er spürte die Leere seines Sieges ebenso sicher, wie er das Loch aus Furcht und Scham spürte, das sich in seinem Inneren öffnete. „Es tut mir leid“, murmelte er, senkte sofort den Kopf und neigte sich körperlich in die Entschuldigung. „Es tut mir leid, Senpai. Ich bin zu weit gegangen.“

 

Keine Erwiderung. 

 

Shikamaru befürchtete schon ein Senbon zwischen den Augen und sah langsam auf, nur um festzustellen, dass Genmas Blick ein Stück zur Seite geglitten war. Seine Brauen waren zu einem seltsamen Knoten über Augen zusammengezogen, die nicht länger gefährlich waren…nur distanziert…dunkel…

 

„Ja“, sagte Genma leise und mit flacher, unlesbarer Stimme. „Das bist du.“

 

Diese sanften Worte schnitten tiefer als jeder scharfzüngige Tadel. Beschämt öffnete Shikamaru den Mund, um sich noch einmal zu entschuldigen, doch da tauchte Yamori wieder in der Tür auf. Er schien geradezu wie ein Gecko aus dem Holz zu schlüpfen. 

 

„Sieht alles korrekt aus“, näselte Yamori, als er noch einmal die Eintrittskarten beäugte; entweder zweifelnd oder einfach nur, um lästig zu sein. Er machte eine kleine Schau daraus, ein Ende der Tickets abzureißen, bevor er sie Genma reichte und die Kanten des fadenscheinigen Papiers festhielt, als der Tokujō sie entgegennehmen wollte. 

 

Genmas Augen zuckten zusammen mit seiner Braue nach oben. „Problem?“

 

Für einen Herzschlag hielt Yamori seinen Blick und Lippen schälten sich über schiefen Zähnen zurück. „Kein Problem im Paradies, Bruder, überhaupt kein Problem.“

 

Genma versteifte sich marginal. Er riss die Tickets aus den schmuddeligen Fingern des Mannes und drehte leicht den Kopf, ohne auch nur eine einzige Sekunde seine Augen von dem feixenden Echsengesicht abzuwenden. „Shikamaru. Ich bin direkt hinter dir.“

 

Zögernd stierte Shikamaru in das tiefe dunkle Maul der Tür, dann setzte er sich wie befohlen in Bewegung, während er sich mental schalt, sich nicht wie ein aufgeschrecktes Kind zu benehmen. Er hatte Genma schon mit seiner Unverschämtheit angepisst und trotz seiner Nervosität würde er dem Tokujō keinen weiteren Grund geben, angepisst oder angewidert von ihm zu sein. Er mochte Genma. Respektierte ihn. Fühlte sich übel allein wegen des Gedankens, dass er einen der wenigen coolen Erwachsenen, zu denen er wirklich aufsah, enttäuscht und respektlos behandelt hatte.

 

Er würde das wieder ins Lot bringen. 

 

Würde es wieder gut machen. 

 

Er musste nur durch die Schatten dieses Türrahmens schreiten und hinaus in die –

 

„Shikamaru!“

 

Angesichts der Stimme wandte er sich um und die Welt drehte sich mit ihm, verschwamm zu einem Wirbeln von Farbe und verzerrter Konturen, ein Schmieren von Schwarz über seiner Erinnerung, wusch Sicht und Klang aus und…

 

„Shikamaru. Wach auf.“

 

Ino?

 

Verwirrung durchfuhr ihn, ein schwindelerregender Ansturm, der ihn von der Vergangenheit wegführte und ihn zurück in zeitloses Schwarz stürzte…zurück in diese pulsierende Finsternis. Diese vertraute Finsternis. Nur gab es diesmal keine Nadelstiche des Lichts, denen er hätte folgen können…keine Fäden kohärenter Erinnerung…nur eine Reihe von Gaslampen, die über ihm hingen. Ihr schwacher Schein kämpfte einen verlorenen Kampf gegen die gähnende Schwärze der Grube. 

 

Grube…

 

Shikamarus Augen weiteten sich angesichts des Wortes. Er kannte diesen Ort. Dieses Gefängnis. Diesen vergifteten Albtraum. Die Erkenntnis ließ ihn erstarren und er wappnete sich für den untoten Tierangriff; das Knirschen von Knochen und das Schlingern von Maden; der volle Ansturm einer Panikattacke. In Stille und Finsternis wartete er, sah nichts außer Schatten und schummriges Licht…und fing an zu denken, dass er vielleicht in einen komplett anderen Ort abgerutscht war. 

 

„Keine schlechte Vermutung. Das hier ist kein Ort, von dem du denken würdest, du kennst ihn. Das war es nie.“

 

Die Stimme kam von irgendwo hinter ihm. Heiser krächzend wandte er sich um. „Genma?“

 

Nein. Nicht Genma. Das wusste er instinktiv, schon während er sprach und er hörte, wie seine eigene Stimme zurück aus der Finsternis hallte; einer Antwort leer.

 

‚Ich bin direkt hinter dir.‘

 

Nur war Genma nicht direkt hinter ihm. Was bedeutete…

 

Das hier ist keine Erinnerung…oder nicht?...Ich träume…

 

Verwirrung pulsierte dicht wie die Schatten um ihn, schluckte alle Sinne, brachte Erinnerung und Einbildung durcheinander.

 

„Ja. Er hat auf jeden Fall eine ziemliche Nummer mit deinem Hirn abgezogen. Hat dir deine Erinnerungen an TEKISHA SEIZON genommen und dich dazu gebracht, diesen Ort zu fürchten, sodass du nicht das fürchtest, was jenseits davon liegt. Klug, aber so lästig.“

 

Stirnrunzelnd wandte sich Shikamaru noch einmal in dem Versuch um, den Sprecher zu Gesicht zu bekommen, doch stattdessen fing er den plötzlichen säuerlichen Stich von Urin auf, scharf wie Katzenpisse und dazu mischte sich auch noch ein anderer übler Ammoniak Gestank. Erbrochenes? Eine Spur von etwas Chemischen hing in seinem Rachen und durchdrang den durchweichten Geruch von nassem Fell und Tierpelz, zusammen mit dem Gestank verfaulten Strohs und Sägespänen – Stallgeruch, der von einem abgestandenen Hauch von Vogelfutter verstärkt wurde. Tiergehege. Daran erinnerte er sich…doch andere Gerüche fehlten…was zur Hölle war es nochmal?

 

„Witzig. Dein Hirn hat früher all diese Schwachsinnsdetails genau so ausgefüllt, wie es dazu programmiert war. Zwei Jahre im Autopilot rennend…oder vielleicht auch einfach nur rennend. Darin bist du gut. Aber in letzter Zeit nicht mehr so sehr, huh? Wirst du müde? Das solltest du. Ich weiß, dass ich es bin.“

 

Shikamaru hob eine Braue, machte diesmal aber keine Anstalten mehr, sich umzuwenden und seine Augen zogen sich auf die Finsternis zusammen, die um ihn herum bebte. „Ach ja? Wie wäre es denn dann, wenn du mit diesen laufenden Kommentaren aufhörst und aus den Schatten kommst?“

 

„Das ist schon ziemlich ironisch, dass das ausgerechnet von dir kommt. Du befindest dich mehr im Dunkeln über diesen Ort als ich.“

 

„Und wer zur Hölle bist du eigentlich?“

 

Keine Antwort. Vorhersehbar mehrdeutig. 

 

„Das ist Bullshit“, knurrte Shikamaru und seine Worte verklumpten ein wenig in seiner Kehle. Der Gestank an diesem Ort wurde immer schlimmer. Verrückt, wie detailliert diese Gerüche waren. Und noch viel verrückter, dass er sich trotz dieser vollkommenen nasalen Überreizung sehr sicher war, dass etwas anderes fehlte; war da das letzte Mal nicht noch der Geruch von Alkohol und Rauch gewesen? Und Gesichter? Lärm? Das Brüllen der Menge, als die Spiele begannen?

 

„Das ist falsch.“

 

Alles falsch. Nicht, wie er es normalerweise träumte. Oder hatte er sich das eingebildet? Er hatte noch nie zuvor von Genma geträumt. Machte das also das hier richtig oder falsch? Diese Grube…dieser Ort…war es derselbe Ort, der ihn erwartet hatte, als er diesen Korridor entlang gelaufen war? War Genma mit ihm gegangen? Er hatte gesagt, er wäre direkt hinter ihm. Aber Genma hätte nicht einmal dort sein sollen – oder hier. War er das? Das war nicht, wie der Albtraum ablief. Normalerweise wachte Shikamaru einfach in diesem Höllenloch auf. Es gab niemals ein davor oder danach. Nur das hier. Nur den Horror…und dann war er – 

 

„Wach auf“, wisperte Shikamaru kopfschüttelnd. „Ich muss aufwachen.“

 

„Du wachst bereits auf. Nach zwei langen Jahren. Es ist okay, dabei auszuflippen. Du hättest dich nicht an irgendetwas jenseits dieser Grube erinnern sollen. Dieses Ortes. Aber jetzt erinnerst du dich, wie du hierher gekommen bist. Du erinnerst dich an Genma. Ein weiteres Puzzlestück, das ich dir gebe, um damit zu spielen.“

 

„Wenn du alle Teile hast, warum ersparst du mir nicht das Ränkespiel und teilst die Informationen einfach mit mir?“, schoss Shikamaru zurück, doch offensichtlich war der Finsternis nicht danach, zu teilen. 

 

„Hn. Du bist derjenige, der nicht teilt. Weißt du eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, in deinem Kopf Halt zu finden? Aber du bekommst einen besseren Griff an diesem Ort. Oder vielleicht bekommt er auch einfach nur einen besseren Griff an dir.“

 

Shikamaru ignorierte die Widerrede und das Übelkeit erregende Gefühl, das sie in seinem Magen auszulösen begann. Stattdessen konzentrierte er sich auf das wenige, aus dem er Sinn machen konnte – wie zum Beispiel den stärker werdenden Gestank dieses Ortes. Er rümpfte die Nase, versuchte, durch den Mund zu atmen und schmeckte etwas Salziges und Beißendes. Schweiß und Galle. Vielleicht Blut. 

 

„Definitiv Blut.“

 

Eine Grimasse schneidend spuckte er aus, um seinen Mund zu reinigen, hörte das nasse Plop, als sein Speichel den Boden traf. Stirnrunzelnd sah er nach unten – wurde regungslos und kalt wie Eis. Blut. Es kräuselte sich um seine Knöchel, ein roter See, der sich glatt wie Glas hinaus in die Stille erstreckte und im Laternenlicht beinahe schwarz schimmerte…beinahe nicht von den Schatten zu unterscheiden. 

 

„Beinahe. Sieh nochmal hin.“

 

Das tat er. Und dort, in der Regungslosigkeit widergespiegelt und wie von weit unter der Oberfläche auftauchend, schwebten die verstümmelten Leichen und zersplitterten Knochen von toten und sterbenden Tieren; Ratten, Hunde, Katzen, Hähne, Stiere. Er erinnerte sich nicht daran, dass die letzten beiden Tiere jemals in seinen Albträumen präsent gewesen waren, doch seine Augen weiteten sich im Wiedererkennen der anderen drei. Aber wo waren die aufgetürmten Knochen? Die Maden? Die aufgeblähten Innereien zu seinen Füßen? Und wenn er so darüber nachdachte; wo war seine Furcht? Seine Panik? Und jede andere Magen verdrehende Reaktion, die seinen Traum normalerweise begleitete?

 

Traum.

 

Das Wort schlitterte wie ein geworfener Stein über das Wasser, die Illusion. „Was auch immer das hier ist…es ist nicht real.“

 

„Du hast recht. Das hier ist nichts weiter als eine Erinnerung, die von innen nach außen gekehrt wurde. Eine Lüge, die du abgekauft hast. Eine Geschichte, von der dir gesagt wurde, sie dir selbst zu erzählen. Etwas, um deinen Verstand von dem abzulenken, was WIRKLICH in dieser Nacht vor zwei Jahren passiert ist. Du nennst es einen Albtraum, genau wie es dir der ANBU Mann gesagt hat. Aber das ist nicht, was es ist.“

 

„Also was zur Hölle ist es dann? Und was für ein ANBU Mann?“, raunte Shiakmaru irgendwie zerstreut, während seine Aufmerksamkeit auf dem Blut-Glas-Boden gerichtet blieb – eine Fata Morgana, ein Spiegel, ein behelfsmäßiger Schleier. 

 

Wenn er ihn berührte, würde er zerbrechen?

 

Langsam ging er in der Hocke, berührte mit den Fingerspitzen das blutige Wasser. Es schlug Wellen, aber die Tiere blieben unter der Oberfläche gefangen, kratzten und krallten wie unter Eis. 

 

„Gern geschehen, übrigens. Sie können dich nicht mehr kriegen. Nicht solange ich hier bin.“

 

„Was?“ Shikamaru schüttelte den Kopf von Seite zu Seite und staunte sowohl über seinen vollkommenen Mangel an Panik, als auch über seinen vollkommenen Mangel an Begreifen. „Aber ich…dieser Albtraum macht mich wahnsinnig…das erste Mal, als ich ihn geträumt habe, bin ich-“

 

„Total ausgetickt. Du bist in diesem Ryokan aufgewacht und hattest fast einen nervösen Zusammenbruch und das auch noch vor Ino und Chōji. Wirklich clever. Das war ziemlich peinlich.“

 

„Halt’s Maul. Was zur Hölle weißt du denn schon?“ Offensichtlich eine ganze Menge mehr als er selbst, aber das war nicht der Punkt. Dieser ganze Dialog luziden Träumens begann ihn mehr zu beunruhigen als die Tierleichen, die nach seinem Fleisch gierten.

 

„Nach deinem Fleisch gieren, huh? Komm mal wieder runter. Der ganze Scheiß, den du als Ninja durchgemacht hast? Wärst du da ernsthaft wegen ein paar tollwütiger und verstümmelter Tiere ausgerastet? Auf keinen Fall. Diese ganze fehlplatzierte Angst, die du hast? Es sind nicht die Tiere, die du im Tekisha Seizon hast kämpfen sehen; vor denen du dich fürchtest. Auch wenn es dir damit in letzter Zeit nicht so gut geht, nicht wahr?“

 

Shikamarus Atem geriet ins Stocken. In Wellen brandeten die Erinnerungen über ihn; ein Kräuseln auf rotem Wasser. Eine Vision eines monströsen Akamarus, der sich mit rotem Fell und tropfenden Fangzähnen auf ihn stürzte. Und noch eine weit entsetzlichere Vision davon, wie gelähmt er gewesen war. Wie nutzlos. Wie er – während all dieser essentiellen Sekunden des synaptischen Shutdowns – einfach nur dagelegen hatte wie ein gottverdammtes Gemüse, während Neji ihm dämlich simple Anweisungen zugebrüllt hatte und Kiba gezwungen war, seinen eigenen Ninken niederzukämpfen, wobei er ernsthafte Verletzungen riskiert und sich währenddessen sogar die Schulter ausgekugelt hatte.

 

„Ja. Du hast einen richtigen Lauf, was das angeht. Hat Kiba nicht schon wieder einen fürs Team einstecken müssen, weil du da draußen wieder total hirntot geworden bist?“

 

Weitäugig blinzelte Shikamaru und sein Kopf ruckte nach oben. Der Sumpf. Die Alligatoren. Kiba! Was zur Hölle war passiert? Wie eine Faust schwang der Durchblick auf ihn zu und traf ihn heftig. Er musste hier raus. Er musste aufwachen. Er musste – 

 

„Weißt du, ich bin überrascht, dass du es geschafft hast, gegen diese Chimären anzutreten, ohne dir dabei in die Hosen zu pissen. Aber auf der anderen Seite ist das ja auch die Illusion, nicht wahr? Die Lüge.“

 

Shikamaru schoss auf die Füße und schnellte herum. „Wovon zur Hölle redest du? Ist das irgendeine Art Genjutsu?“

 

„Dachte ich mir, dass du diesen Satz machen würdest. Nein. Das hier ist kein Genjutsu. Aber ich wette, dass du dir wünschst, es wäre eins.“

 

„Mann, du fängst wirklich an mich anzupissen“, knurrte Shikamaru und scannte die Finsternis um ihn herum, während er nach seinem Zorn griff, um das unerklärliche Entsetzen zurück drängen zu können, das diese Worte auslösten. Was auch immer für eine Art von Nachtmahr, oder Traum, oder Hirnversagen gerade in seinem Kopf abging, es musste eine logische Erklärung dafür geben…die vielleicht gigantische Kusa Sumpfpflanzen und ihre gruseligen Opiate beinhaltete. 

 

„Und schon wieder die Lügen. Wie lästig. Vielleicht muss ANB Mann ja gar nicht hier sein. Du machst ja schließlich die ganze Arbeit für ihn.“

 

„Halt’s Maul. Das ist ein Traum. Ich muss nur aufwachen.“

 

Es musste einen Weg hier raus geben. Er musste etwas finden, um diesen hypnischen Spasmus auszulösen, der sein Hirn dazu zwingen würde, aus der Traumzone aufzuschrecken. Er war sich sicher gewesen, dass er an irgendeinem Punkt Ino gehört hatte, die seinen Namen rief. Stocherte sie in seinem Hirn herum? 

 

Er schrie nach ihr: „INO!“

 

Die Finsternis kräuselte sich um ihn herum, verdichtete sich, wurde schwärzer. „Tu das nicht.“

 

„INO!“

 

„Sie kann dir nicht helfen. Niemand von ihnen kann das. Nicht einmal Asuma konnte es.“

 

Bei diesem Namen erstarrte Shikamaru und sein Herz hielt an. „Nicht.“

 

„Tut weh, nicht wahr? Er hat gesagt, er würde dir helfen.“

 

„Das hat er.“

 

„Schwachsinn. Er hat gesagt, er wäre an deiner Seite-“

 

„Es war nicht seine Schul-“

 

„Nein. Es war deine Schuld. Mal ganz ehrlich. Du hast es mal so richtig abgefuckt. Auf alle Fälle hat er dich verlassen. Aber ich werde das nicht tun. Scheiße, das habe ich nie. Aber du hast mich verlassen. Die Nacht, in der du diese Spritze in den Nacken von diesem Monster gerammt hast und -“

 

„SEI STILL!“, explodierte Shikamaru mit einem Heulen aus roher Kehle, als er sich mit den Händen über den Kopf gekrallt vornüber beugte, sein Mund auffiel und sein Kiefer verkrampfte. Galle drohte, doch sein Magen hielt sie zurück. Weitäugig stierte er in die roten Wasser, die sich zu seinen Füßen kräuselten…sah dunkle, lusterfüllte Augen, die daraus zu ihm aufsahen, nach oben geschwemmt und feixend. „Das ist vorbei…es ist vorbei…“

 

„Achja? Also warum verfickt nochmal bin ich dann immer noch hier, du Genie? Warum träumst du immer noch von diesem Drecksloch? Dieser fetten schwarzen Grube, in die du mich gezerrt hast. Du hast mich hier mit ihm zurückgelassen, weißt du. Ist DAS der Dank dafür, dass ich deinen erbärmlichen Arsch gerettet habe?“

 

Krampfhaft die Lider aufeinander pressend, kratzte er seinen verstreuten Verstand zusammen und warf sein ganzes Gewicht nach vorn, während er seine Arme durch die Finsternis stieß, nach etwas Solidem suchte, bis seine Hände gegen Bretterwände klatschten. Hektisch versuchte er, nach einem Ausgang zu suchen, tastete die Dielen nach Rillen oder Trittlöchern ab. Er konnte klettern. Vielleicht irgendwie einen gewaltigen Satz machen. Das sollte reichen. Allein die Simulation eines Falls würde sein Hirn zum Aufwachen zwingen. 

 

„Du meinst wohl eher, wieder schlafen zu gehen. Wieder so zu tun, als ob. Du verfickter Feigling. Du bist schwach. Hilflos. Verängstigt. Das warst du schon immer. Aber das musst du nicht sein.“

 

„Wach auf…wach auf…“, wisperte Shikamaru wieder und wieder, wich von dem Holz zurück, der Wand, der Seite der Grube, die er kannte. Wenn er nicht darüber kam, könnte er sie durchbrechen? Er wählte eine Planke aus, stützte sich auf seinen linken Fuß und stampfte mit seinem rechten gegen das Holz. 

 

Es gab nicht nach. 

 

Furcht krallte sich seine Wirbelsäule hinauf und riss den Zorn fort. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er seinen Fuß immer wieder gegen das Holz krachen, härter und härter. Sein Herz raste immer schneller und sein Puls hämmerte zu dem Mantra von schwach, hilflos, verängstigt…

 

„Das musst du nicht sein.“

 

„INO!“ Er schnellte herum, rammte sich mit der Schulter gegen die Wand, dann mit den Fäusten, tat alles, um das Zittern irgendwie in Schach zu halten und sich von dem kalten Schweiß abzulenken, der sich in seine Haut stach. Schmerz. Schmerz würde funktionieren. Seine Knöchel kratzten über das Holz, rissen auf, bluteten, verheilten innerhalb eines Wimpernschlags. 

 

„Shikamaru.“ Inos Stimme. Irgendwo jenseits, irgendwo darüber, unzusammenhängend und wellenförmig. „Bist bei Neji…musst dich beruhigen…träumst…dich finden…dein Chakra ist…nur…deine Augen. Es ist okay, nur-“

 

„INO!“

 

Die Gaslampen, die über ihm hingen, verloschen in einem Rauschen und stürzten die Gesamtheit der Grube in Finsternis. Shikamarus Schrei brach ab und sein Mund wurde trocken wie Asche. Sein Magen fiel so schnell, dass er beinahe in die Knie ging. 

 

„Das ist es, was du fürchtest, nicht wahr? Dieses schwarze Loch in deinen Erinnerungen…der Ort, an dem du mich zurückgelassen hast, sodass du hier raus konntest.“

 

Mit weiten Augen stierte Shikamaru blind vor sich hin, als phantomhafte Farben um ihn herum als Antwort auf das abrupte Auslöschen von Licht und Stimuli zu erblühen begannen. Für eine unermessliche Zeit war da nur das erschütternde BOOM seines Herzschlages, das von innen und außen erscholl…was es schwer machte, in der allumfassenden Schwärze seine eigene Gestalt und Form zu erfassen. 

 

„Aber du musst dich nicht vor dieser Finsternis fürchten. Ich kenne sie. Ich weiß, was hier ist. Du musst sie nicht fürchten, wie sie es dir gesagt haben…und du weißt auch warum, oder nicht?“

 

Shikamarus Puls verlangsamte sich und das ohrenbetäubende boom-boom-boom beruhigte sich zu einem weichen, empfindungsfähigen Pochen, das um ihn herum mit dem Trost eines Herzschlages pulsierte, der von seinem untrennbar war. Er schwebte bewegungslos, schwerelos, unfähig, irgendetwas – sich selbst eingeschlossen – von der Schwärze zu unterscheiden. Doch statt des Entsetzens seiner früheren Träume, glitt ein seltsames Empfinden von Geborgenheit über ihn, ein Empfinden, von der Finsternis ausgelöscht und dennoch gleichzeitig davon definiert zu werden…im Ganzen geschluckt…nicht länger in Teilen, in Bruchstücken…nicht länger getrennt…nicht länger…

 

„Verängstigt. Ganz genau. Und jetzt sag uns, warum.“

 

Shikamarus Herz taumelte und seine Stimme stockte. „Uns?“

 

Ein tiefes Schnurren aus der Finsternis. Ihre Freude über das Wort ‚uns‘ vibrierte mit der galvanisierenden Kraft von Chakra durch ihn, füllte seine Nicht-Form mit einem fremden – und dennoch vertrauten – Nadelstichkribbeln. Eine ungenutzte Kraft, die sich umfassend anfühlte, ermächtigend…unbesiegbar…

 

„Sag uns, warum…“

 

Eine männliche Stimme explodierte aus der Schwärze. „KIOKU FŪIN-NO-JUTSU!“

 

Die Finsternis schrie auf; ein ersticktes Jaulen, als die Schatten zurückschrumpften, auseinander gerissen wurden von dem ausgezehrten und explosiven Brüllen. Vor Schock taumelte Shikamaru, fühlte, wie sich die amniotische Geborgenheit der Schwärze vor Schmerzen wand und vor Qual zuckte. 

 

Und dann noch einmal; von irgendwo sehr weit entfernt – Inos Stimme: „Shikamaru!“

 

Ino…

 

Die Schatten rasten auf ihn zu, ihre tröstenden Arme ausgestreckt, schützend, rettend…bis ein brutaler Lichtstrahl schlank wie eine Klinge durch die Schwärze schnitt, der Schattenhände und Ranken durchtrennte; so gewalttätig in seinem Eingreifen, dass Shikamaru spüren konnte, wie sich Streifen weißen Lichtes durch seinen eigenen Körper stachen, sein eigenes schlagendes Herz…

 

Nein…NEIN…

 

Er wirbelte zu den Lichtbögen herum, die die Schatten zurückkämpften und brüllte: „STOP! Sie sind ICH! Ich bin -“

 

Eine Haaresbreite von Shikamarus Gesicht entfernt hielt das Licht inne; und dort – wie eine glühende Sphäre vor seinen Augen hängend, eine blasse ovale Maske. Die blutbespritzte Keramik wies das ANBU-Gesicht eines Hirsches auf. Violette Augen schimmerten glasig vor Schmerz durch die Löcher. „Nein Shikamaru“, ergriff der Mann wieder zerfetzt und keuchend das Wort. „Das bist du nicht. Erinnere dich daran…erinnere dich daran und an sonst nichts. Es ist vorbei. Du kannst nicht wieder hierher zurück kommen. Genauso wenig wie ich…“

 

„Ja, diesmal bist du nicht so flink“, raunte die Finsternis. „Du stirbst, nicht wahr, ANBU Mann? Ist die einzig logische Erklärung für das alles. Du stirbst…und die Siegel, die du auf diesen Erinnerungen angebracht hast, sterben mit dir. Schätze, dass die Wahrheit uns alle befreien wird, huh?“

 

Die Augen des ANBU Mannes wurden auf Shikamaru gerichtet hinter der Maske sanfter. „Niemals in meinem Leben, Junge…und auch nicht in meinem Tod.“

 

Doch bevor Shikamaru etwas sagen konnte, schloss sich eine behandschuhte Hand über seinen Kopf. Die Finger krallten sich hart um seinen Schädel. „Komm und finde ihn, Tsubomi…“, wisperte der Mann weich mit etwas, das vielleicht Zuneigung war, bevor er ein einziges, blutersticktes Wort hustete: „Metsu!“

 

Blendendes Licht. 

 

Eine Supernova, die Erinnerung und Zeit zerstreute. Rückblicke flogen auf ihn zu wie Kometen, bevor er in einer Sternenexplosion von Farben aus der Finsternis geschleudert…zurückgelassen, um schwere- und körperlos zu schweben, bis ein dünner Strang blauweißen Chakras wie eine Rettungsleine von irgendwo oben zu ihm kam…oder von unten…er konnte es nicht sagen…konnte nichts fühlen…bis ihn ein heftiger Schmerz in seinem Kopf daran erinnerte, dass er ein Hirn hatte…und ein Krampf in seinem Bauch erinnerte ihn, dass er einen Körper hatte. 

 

Und dann zogen ihn eine unverwechselbare Berührung und Stimme direkt wieder in ihn hinein. „Shikamaru.“

 

Neji.

 

____________________

Glossar:

Tekisha Seizon: 'Survival of the Fittest' - 'Überleben des Stärksten' nach der darwinistischen Evolutionstheorie

Kioku Fūin-No-Jutsu: Jutsu zum Versiegeln von Erinnerungen

Metsu: Japanisch für 'auslöschen' oder 'tilgen'

Hypnischer Spasmus: Das Gefühl, im Schlaf zu fallen, durch das man letztendlich aufwacht
 

Hallo meine lieben Leser/innen :)  

Das hier ist ein sehr wichtiges Kapitel und fast schon irgendwie der Beginn einer zweiten Reise innerhalb von UtS. Denn hier erleben wir zum ersten Mal Shikamarus Erinnerungen an Kusagakure vor zwei Jahren ;) Es werden noch viele solcher Szenen kommen, in denen geklärt wird, was genau damals passiert ist. 

Und ja, daran schließt sich ja dann auch direkt eine weitere wichtige Szene an, denn hier betritt zum ersten Mal auch Shikamarus 'Mitbewohner', wie ihr ihn teilweise nennt, wirklich die Bühne ;) 

Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass euch das neue Kapitel gefallen hat und selbstverständlich werden auch noch Antworten zu den Reviews des letzten Kapitels kommen, nur wahrscheinlich nicht heute, weil ich schon ziemlich müde bin :D 

Vielen vielen Dank wie immer, an alle meine wunderbaren Reviewer/innen und Leser/innen <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Scorbion1984
2021-12-31T20:33:20+00:00 31.12.2021 21:33
Oh man ,hartes Kapitel.
Wenn Shikamaru das alles erlebt hat ,wundert es mich nicht das er ab und zu durchdreht.
Da ist Neji wohl sein einziger Anker ,der ihn aus dem Sumpf ziehen kann .
Wünsche Dir noch alles ok Gute fürs neue Jahr. 💥🧨🎆
Antwort von:  _Scatach_
08.01.2022 13:12
Und nochmal hey :)
So, jetzt bin ich endlich mal wieder auf aktuellem Stand :D
Das war ja hier erst der erste Teil von mehreren Erinnerungssequenzen, die wir noch erleben werden ;) Ich bin schon gespannt, was du zu den anderen sagen wirst :)

Vielen vielen Dank für deine Wünsche *-* Ich wünsche dir auch ein wunderbares Neues Jahr und hoffe, dass du einen guten Start hattest! :)
Scatach


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