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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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The mission of a dying heart

‚Sticht euch mein Rauch in den Augen, oder seid ihr einfach nur so glücklich darüber, mich zu sehen?‘

 

‚Das ist nicht witzig, Asuma-sensei. Diese Wimperntusche ist nichtmal wasserfest! Oh mein Gott, schaut euch diese Pandaaugen an.‘

 

‚Ha, du siehst fast aus wie Shikamaru. Nichts für ungut, Kumpel.‘

 

‚Na klar. Als würde es mich nicht nerven, mit einem Mädchen verglichen zu werden…‘

 

‚Na, mich nervt es total, mit Shikamaru verglichen zu werden! Vielen Dank auch, Chōji!‘

 

‚Meine Güte. Reg dich ab, Ino. Ich meinte die dunklen Ringe.‘

 

‚Würdet ihr Ruhe geben? Ino, du siehst super aus. Chōji, Öl aufs Feuer hilft überhaupt nichts. Shikamaru…uh…schlaf dich mal aus und benimm dich erwachsener.‘

 

‚Dein Ernst? Ich hab gerade dieses ganze ‚mit Ino verglichen werden‘-Ding einfach so auf sich beruhen lassen.‘

 

‚Pfft! Als würde der Ermunterung zum Faulenzen brauchen. Außerdem, in welcher Welt hättest DU denn bitte so ein Glück, mit MIR verglichen zu werden?‘

 

‚In der Welt, in der ich mit meinen bescheuert langen Wimpern immer dann die bösen Jungs anklimpere, wenn wir in der Klemme stecken.‘

 

‚Oh, du ARSCH! Das mache ich überhaupt NICHT!‘

 

‚Ha! Das solltest du echt mal ausprobieren, ‚Shika‘.‘

 

‚Und du solltest echt mal die Klappe halten, Chōji.‘

 

‚Asuma-sensei! Wo gehst du hin? Lass mich nicht allein mit den zwei Idioten!‘

 

‚Wenn ihr drei Kids mit eurer Schlammschlacht fertig seid, warte ich am Tor auf euch…und rauche mich in einen zugedröhnten Nebel.‘

 

‚Das ist auch nicht witzig!‘

 

Asumas Lachen, tief und warm; es rollte durch ihren Verstand, rumpelte durch ihr Herz und erschütterte ihren Körper wie Donner. Ein stürmischer blauer Regen brannte hinter ihren Augen. 

 

Sensei…

 

Energisch blinzelte Ino die Tränen zurück, während sie das Foto in ihren Händen hielt. Die Handgelenke hatte sie so geneigt, dass das sanfte beige Licht, das durch die lilanen Vorhänge fiel, die Kante des Rahmens traf und nicht die vier Gesichter, die durch das Glas zu ihr hoch lächelten. 

 

Team 10.

 

Team Asuma.

 

‚Wir haben den besten und knallhärtesten Sensei.‘

 

‚Wo ist nur mein selbstbewusstes Großmaul hin?‘

 

‚Wo bist du hin?‘

 

‚Nicht so weit weg, wie du denkst.‘

 

„Lügner“, wisperte sie und presste die Lider gegen die Grausamkeit des Traumes und all der Erinnerungen zusammen, die dahinter lagen. Die Tränen lösten sich; eine versengende Bahn nach der anderen. Wie gut, dass sie endlich diese wasserfeste Wimperntusche gekauft hatte. Sie stieß ein ersticktes leises Lachen aus und hoffte, dass Asuma vielleicht irgendwie irgendwo lächelte und sein tiefes rumpelndes Lachen lachte. 

 

Es ist einfach nicht dasselbe ohne dich.

 

Sie ließ sich zurück gegen das Kopfbrett sinken, verschränkte die Arme vor der Brust und drückte sich das Bild ans Herz, während sie um Kontrolle kämpfte. Sie würde es für diese Mission brauchen. Die erste, auf die sie gehen würden, seit sie diese Akatsuki Bastarde unter die Erde gebracht hatten.

 

Ich habe mich dafür zusammengerissen, oder nicht? Haben wir das nicht alle?

 

Sie wusste, dass sie diese Kontrolle hatte, diese Fähigkeit. Aber in letzter Zeit war es so verdammt kompliziertgewesen. Familie, Freunde, ihre Zukunft. Einfach alles war zu einem verdrehten Durcheinander geworden, das die hübschen wächsernen Vortäuschungen wegschmolz, mit der sie ihr Leben zu überziehen versuchte; zwischen den eskalierenden Auseinandersetzungen ihrer Eltern, ihrer verstörenden Anziehung zu Kiba – im Ernst, Hormone, was zur Hölle? – und ihrer von Schuldgefühlen zerfressenen Träume über Asumas Tod musste sie ihr Gesicht in einem Kissen vergraben und weinen, bis ihre Lungen schmerzten, um nicht in den ungünstigsten Momenten damit anzufangen. 

 

Ich versuche es, Sensei. Ich verspreche, ich versuche es…

 

Doch Shikamarus Sanftheit ihr gegenüber vor einer Woche hatte überhaupt nicht geholfen. Nur dieser winzige Krümel der Zuneigung von diesem unerschütterlichen Idioten und Ino fühlte sich, als wäre sie nur ein kleines Lächeln und eine unbeholfene Umarmung davon entfernt, zu zerbrechen. Und was würde das schon bringen? Auseinander zu fallen würde nur dazu führen, dass Shikamaru nach dem logischsten Weg suchte, um sie wieder zusammen zu setzen, ohne dabei selbst auseinander zu kommen.

 

Er will immer noch nicht über Asuma reden…

 

Und das – mehr als alles andere – schmerzte am meisten. Kami sei Dank war Chōji noch da; solide wie ein Fels aber weich genug, um darauf fallen zu können – doch der arme Kerl musste wieder einmal den Mittelmann spielen. 

 

Chōji. 

 

Ino verzog das Gesicht und spürte die Schuld und die Dankbarkeit, die sich in ihr verwickelten. Zwischen ihrem Wunsch zu reden und Shikamarus Wunsch, wie ein emotional Zurückgebliebener dichtzumachen, hatte Chōji alle Hände voll zu tun, sie beide zufrieden zu stellen. 

 

Du hattest recht, Sensei…Chōji hat das größte Herz…

 

Und je größer das Herz, desto größer der Schaden, wenn es gebrochen war. 

 

Ich sollte doch eigentlich auf die beiden aufpassen.

 

Seufzend senkte Ino den Blick und stierte verdrossen auf ihre trocknenden Fingernägel, wobei ihre Aufmerksamkeit sofort auf die Schwielen und raue Haut gelenkt wurde. 

 

Ew…ich könnte meine Nägel mit Sandpapier feilen…

 

Froh über die Ablenkung, aber irgendwie auch dämlich wackelte sie mit den lila bemalten Gliedern und setzte sich abrupt auf, um ihre Füße über das Bett auf den Boden zu schwingen. Sie knibbelte an dem Schorf an ihrem Schienbein, wo sie sich beim Rasieren geschnitten hatte und strich mit der Hand über ihre Beine, um ein paar weiße Hundehaare von ihrem lilanen Rock zu zupfen. 

 

Ew…ich bin echt überrascht, dass Kiba nicht davon übersät ist…

 

Der streunende und ungewollte Gedanke fand einen Spielkameraden; eine köstliche und bösartige kleine Erinnerung daran, wohin sie gestern gegangen war, nachdem Kibas schneidende Worte bis ins Mark gebissen hatten. 

 

Ich gebe dir was, woran du dir die Zähne ausbeißen kannst, du Trottel.

 

Er mochte ja sehr tief geschnitten haben, aber eine medizinische Ninja zu sein hatte seine Vorteile. Alles, was nötig gewesen war, um den Fluss ihres eigenen Schmerzes zu stoppen, war ein schneller Besuch in der Quarantäne gewesen, eine schnelle Unterschrift auf einem Papierfetzen und eine noch schnellere Überweisung. Geradezu pillepalle und noch dazu etwas Salz in die Wunde, die sie in Kibas Ego gehackt hatte.

 

Perfekt.

 

Sie konnte es gar nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen. Belustigung blubberte in ihrer Kehle auf und zerplatzte in einem leichten Giggeln auf ihren Lippen.

 

Geschieht ihm recht.

 

Sie fühlte sich mehr als nur ein bisschen gerechtfertigt und zwirbelte das gesammelte Hundehaar zwischen den Fingern, um es zu einem Knoten zu formen. Doch zu ihrem Erstaunen verfilzte es nicht. Tatsächlich fühlten sich die langen weißen Strähnen weich, beinahe seidig an. Das hatte sie nicht erwartet – genauso wenig wie das Grinsen, das Kiba ihr im Labor zugeworfen hatte. 

 

Ugh! NEIN!

 

Angewidert von dem Gedanken schnippte sie das Hundehaar beiseite und strich mit den Händen über ihren Rock, als wollte sie alle Spuren des Inuzuka fortwischen. Erschauernd stieß sie ihn aus ihrem Kopf, senkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihre Füße und stierte mit glasigem Enthusiasmus auf ihre trocknenden lilanen Zehennägel.

 

Hmn. Vielleicht bin ich mit dem Heimzahlen etwas weit gegangen…

 

Rasch kam sie ihren abwandernden Gedanken zuvor und erhob sich mit einem festen Klatschen auf die Oberschenkel. „Okay! Auf auf.“ Sie setzte das Team 10 Foto zurück auf ihren Nachttisch und strich mit dem Daumen über den Rahmen. „Ich werde mich um sie kümmern, Sensei“, wisperte sie. „Versprochen.“

 

Den Gang hinunter schlug eine Tür zu. 

 

Ino zuckte zusammen und ihr Herz sprang ihr in die Kehle. Ihr Blick schoss zu der lächelnden, blumengesichtigen Uhr, die über ihrer Kommode hing. Es war sechs Uhr. Vor ihrem Zimmer hörte sie das Wispern der Schritte ihrer Mutter, die es eilig hatte, in der Küche zu sein, noch bevor ihr Vater auch nur einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte. 

 

Natürlich. Sie muss die Szene vorbereiten…

 

Yamanaka Sayuri hatte ihre ach so selbstlose Virtuosität des Dramas bis zu einer feinen Kunst geschliffen. Und nicht einmal Ino konnte diese Krone stehlen.

 

Sei nicht so entsetzlich.

 

Entsetzlich. Nicht ein Wort, das sie gebrauchte. Die Stimme ihrer Mutter, scharf und dünn wie diese kleinen Schneidwerkzeuge, die Sayuri nutzte, um ihren Garten aus Miniatur Bonsais zu stutzen. Nur Schneiden und Kappen, kein Raum für Natur, um ihren Weg zu gehen – Hege, so glaubte Sayuri, war die Wurzel aller fruchtbaren und überdauernden Dinge. Natur hingegen hatte die Tendenz, sich Kontrolle zu widersetzen und das Chaos zu empfangen. 

 

Und Sayuri hasste Chaos in all seinen unermesslichen Formen. 

 

Ino entsann sich, wie sie an ihrem dreizehnten Geburtstag im Türrahmen gestanden hatte und an einem hausgemachten Akimichi Castella Kuchen gekaut hatte, während sie ihrer Mutter dabei zugesehen hatte, wie sie eine harsche Schönheits-OP an einer Mischung bezaubernder rosa Azaleen, exquisiter blauer Mohnblumen und atemberaubender weißer Irisblumen durchgeführt hatte. Meisterwerke der Natur und dennoch waren sie einige Schnitte davon entfernt, Sayuris unersättlicher Perfektion und ihrem scharfen erbarmungslosen Auge zu genügen. Und dann hatte sich dieses scharfe erbarmungslose Auge Ino zugewandt; hatte sie von ihrer wilden Bettfrisur bis zu den schwieligen Zehnen gemustert und begonnen, eine Unvollkommenheit nach der anderen abzuschneiden. 

 

‚Du musst anfangen, mehr auf dich zu achten, Ino. Mit diesen trockenen Füßen könntest du unseren Boden abschleifen. Mach wenigstens etwas Farbe auf diese Zehen. Mein Gott, du hast die Füße deines Vaters, was? Und seinen Appetit. Wenn du als der Junge geboren wärst, den dein Vater wollte, dann würde ich dich dazu ermuntern, aber im Ernst Mädchen, bei der Geschwindigkeit, mit der du dich durch diesen Kuchen frisst, wirst du bald Akimichi-sans Schenkel haben! Das geht gar nicht. Leg dieses scheußliche Ding weg. Heute Morgen habe ich etwas frisches Sashimi mitgebracht. Du wirst es lieben.‘

 

Ino hatte es gehasst. 

 

Aber sie hatte es gegessen. 

 

Dann hatte sie sich die Zehen lackiert und Schuhe getragen, die sie bedeckten. Sie hatte Shikamaru und Chōji zum regenbogenfarbenen NIJI gezerrt, um einen Becher Zitronenwasser zu trinken, statt ihrer üblichen heißen Schokolade. Sie hatte Asuma beschwatzt, ihnen ein Geburtstagsessen zu spendieren. Sie hatte sich vom Tisch entschuldigt, zwei Finger in den Rachen geschoben und ein wässriges Durcheinander aus Kalmar, Sepia und Thunfisch in Yakiniku Qs Toilette gespuckt. Manchmal fragte sie sich während ihrer bittersten Momente, ob ihre Mutter sie für ihre Weitsicht gelobt hätte, Mundwasser und ein weiches pinkes Tuch mitzunehmen, mit dem sie sich den Mund abtupfen konnte. 

 

Asuma hatte draußen vor der Toilette gestanden; eine breite Schulter gegen die Wand gelehnt. 

 

Geschockt hatte Ino nach ihrem Temperament gegriffen, war auf ihren viel zu hohen Hacken herum gewirbelt und hatte mit einem Finger auf ihn gezeigt, während ihr Gesicht fleckig und ihre Augen viel zu schimmernd gewesen waren. „Ew! Du pinkelst bei den Frauen, Sensei!“

 

Doch statt seiner üblichen Zurschaustellung von Verlegenheit, hatte Asuma sie einfach nur ruhig angesehen und mit einem Daumen auf die Hintertür gedeutet. „Ich geh hinten raus, um eine zu rauchen. Hast du ein Auge auf die zwei für mich?“

 

Ino hatte viel zu breit gegrinst und der Geschmack von Listerine hatte hinter ihren Zähnen gebrannt. „Klar.“

 

Asuma hatte genickt, aber keinerlei Anstalten gemacht, die Toilette vor ihr zu verlassen. 

 

Irgendwie abgelenkt von der Rückflusssäure, die in ihrem Rachen stach, hatte Ino die Intensität in seinem Blick einfach abgewiesen und war auf ihren Platz zurückgekehrt, um ihr Wasser hinunter zu würgen und dem Zischen und Spucken der fettigen Schweinebauchstreifen zuzusehen. 

 

Wie sie da so Blasen gebildet hatten, hatte sie das an ihre eigene Zunge erinnert.

 

Sie hatte nichts davon gegessen – hatte sich wirklich gewünscht, Chōji würde endlich aufhören, davon zu reden, wie gut es schmeckte; hatte sich noch viel mehr gewünscht, Shikamaru würde endlich aufhören, sie mit diesem seltsamen Halbmast Blick zu beobachten, der so leer erschien, aber alles andere als das war. Und sie hatte fast einen Anfall bekommen, als ihr Zigaretten liebender Sensei entschied, ihre Sitzplätze zu wechseln und sich neben sie in die Nische schob – bis sie mit sehr großer Überraschung und noch größerem Argwohn bemerkt hatte, dass er nicht nach Rauch roch. 

 

Vollkommen verdattert deswegen hatte Ino nicht die Bedeutsamkeit registriert, als Asuma einen Arm hinter ihr ausgestreckt hatte. Es war eine träge Bewegung gewesen, der Shikamarus Augen mit einem neugierigen Zusammenziehen gefolgt waren. Erst Jahre später hatte Ino die beschützende und umarmende Geste verstanden. 

 

Im Erdgeschoss schloss sich knallend die Haustür. 

 

Rapide blinzelnd kehrte Ino aus ihren Erinnerungen zurück und ihre nassen Augen fokussierten sich wieder auf die Uhr. 

 

06:03

 

Sie stellte sich vor, wie ihre Mutter am Küchentresen stand und mit einem leichten Drehen des Handgelenks ihren Tee schwenkte. Ihr Kimono – für welchen auch immer sie sich entschieden hatte – wäre perfekt gebunden und die Falten des bestickten Gewebes folgten all den glatten Linien und scharfen Kanten ihres Körpers. So feste und straff eingewickelt wie ein Furoshiki-Tuch um die Neigungen eines kalten, harten, toten Kristallstabes. 

 

Hör auf!, tadelte diese kleine Stimme. Sie ist deine Mutter.

 

Es gab nichts, was Ino zu dieser Stimme sagen könnte, nichts, das sie anbieten konnte außer einer Art elender Anteilnahme. Scham peitschte in einem fleckigen Erröten über ihre Wangen – eins der wenigen Dinge, die sie von Sayuri geerbt hatte. Bereits vollständig angezogen rutschte sie vom Bett – sie war bereits seit fünf Uhr auf – und lief hinüber zu ihrer Kommode, um die Bürste aufzunehmen und sich die Knoten aus dem Haar zu kämmen. 

 

Weiter unten pfiff der Kessel schrill und laut. 

 

Die Treppen knarzten. Ein gedämpftes whump – der Mantel ihres Vaters, als er das schwere Leder über das Geländer legte. Zu schade, dass er vergaß, auch seine Arbeit an der Türschwelle abzulegen. Nicht, dass Sayuri ihn gelassen hätte, selbst wenn er es versucht hätte. Sie würde es abklopfen und herein bringen, um all die schwarzen Flecken auf seiner Laune zu examinieren und zu identifizieren und dann würde sie ihn wegen jeder verärgerten Erklärung oder gereizter Widerlegung einen Lügner heißen. 

 

Vielleicht ist das der Grund, warum er zurzeit so lange arbeitet. Er will einfach nicht nach Hause kommen. 

 

Zu dieser Ehe, zu ihrer Mutter…

 

Zu mir.

 

Ein scharfer Stich in ihrer Brust und ihr Herz stockte heftig. Diese kleine kindliche Stimme in ihr ballte die Fäuste und schrie. Ino biss zu, schmeckte Blut in ihrem Mund und nagte an der Wunde in ihrer Wange. Mit aller Kraft zerrte sie die Bürste durch ihr Haar und riss dabei Strähnen an der Wurzel heraus. 

 

Das ominöse Kratzen von Stuhlbeinen erklang. 

 

Eine Requisite in der Szene ihrer Eltern; ihr Vater zog immer diesen Stuhl vor einem Kampf heraus. Er zog ihn heraus, aber er setzte sich nie darauf. Er hielt ihn aufgestellt zwischen sich und seiner Frau, als wäre er auf das Kommende vorbereitet. Sayuris Augen würden lodern wie Fackeln und ihre eisige Höflichkeit und schmallippiges Lächeln wären gefährlich wie eine überladene Rikscha, die nur ein Schwanken davon entfernt war, in den Straßengraben des nahenden Streits zu krachen. 

 

06:06

 

Furcht verdrehte sich in Inos Magengegend; ein Übelkeit erregendes Kribbeln, das sich zu winden begann wie lebende Aale, während sie zusah, wie auf der Uhr weitere sechzig Sekunden verstrichen. 

 

Und wie erwartet, begann das Schreien. 

 

Seid still…

 

Angeekelt zog Ino ihren Haargummi fest. Für etwa zwanzig Sekunden versuchte sie, den blonden Filz aus ihrer Haarbürste zu kratzen. Doch irgendwann gab sie mit einem Schrei auf und schleuderte sie durch ihr Zimmer, wo sie ein Plüschtier-Flusspferd direkt zwischen die Augen traf. Chōji hatte es während des Obon Festes für sie gewonnen. 

 

Unten zerbarst etwas. 

 

Seid still…

 

Sayuri stieß das Kreischen einer Todesfee aus, das sich wie zersplitterte Nägel durch Inos Verstand grub. Wenn sie wachsamer und weniger zornig gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht die kummervolle Qual hinter diesem Schrei bemerkt. 

 

SEID STILL!

 

Ino zupfte an dem Fischnetzstoff an Ellbogen und Knie, zog den Reißverschluss ihrer lilanen Bluse zu und schnappte sich den Knappsack vom Fuß ihres Bettes, bevor sie die Tür aufriss. Herzschlag pochte in ihren Ohren und machte sie taub für die Schreie und Schluchzer. Sie flog die Stufen hinab, umrundete die Ecke und blieb ruckartig stehen, als die Stimme ihres Vaters aus der Küche explodierte; so aggressiv in ihrer Rage, dass es sie einen Schritt zurück taumeln ließ. 

 

„- ihn geliebt wie meinen eigenen Sohn! Und zu wissen, dass er dafür GESTORBEN ist! Er ist dafür GESTORBEN! Und ich brauche es ganz bestimmt nicht, dass DU mich fragst, wie ich VERFICKT nochmal damit LEBEN kann! SCHON WIEDER!“

 

Fassungslose Stille. 

 

Vollkommen erschüttert von diesem Ausbruch stand Ino benommen am Fuß der Treppe und ihre Finger lösten sich um den Riemen ihres Knappsacks. Schlaff fiel er aus ihren Fingern und schlug hörbar auf dem Boden auf. 

 

Ein aufgeschrecktes Luftschnappen aus der Küche. 

 

Ino wartete nicht darauf, dass ihre Mutter einschritt. Als würde sie gezogen, bewegte sie sich auf die Küche zu. Die Sehnen ihres Herzens waren so straff, dass sie kaum atmen konnte. Vielleicht als ein Kind kam sie halb im Türrahmen zum Stehen und stützte eine Hand gegen den Pfosten, während sie die andere an ihrer Seite zur Faust ballte – und dann kroch es hinauf zu ihren Lippen; viel zu spät, um das Keuchen hinter einer Hand abzufangen. 

 

„Mom…“

 

Beinahe lasch hob sich Sayuri den Kopf. Sie saß zusammengesackt auf dem kalten Fließen Boden, die Knie unelegant in entgegengesetzte Richtungen gebeugt, als hätten ihre Beine einfach entschieden, unter ihr nachzugeben. Ihre weichen Zimtaugen waren weit und stierend und das Weiß von einem Rot durchzogen durch die Tränen, die ihre Wangen und Kehle hinab rannen. Ihre Nase lief. Ihr Haar fiel nach unten und bauschte sich an den Seiten, als hätte sie ihre Finger hindurch gekrallt. 

 

Das rohe Bild hämmerte beinahe ein schrilles, verängstigtes Lachen aus Ino. Sie hatte sich immer vorgestellt, ihre Mutter würde anmutig welken, die Knie zusammengezogen und zu einer Seite geneigt; genau wie eine Dame. Sich immer an Anstand klammernd, selbst wenn sie vernichtet war. 

 

Aber diesmal nicht. 

 

Wortlos starrte Ino vor sich hin, bis das Blut, das in ihrem Kopf pulsierte, aus ihrem Gesicht wich. Ihr Griff um den Türrahmen verkrampfte sich. Zeit musste sich einen der Stühle heran gezogen haben, um sich für eine Weile darauf niederzulassen, denn Ino war sich nicht sicher, wie lange sie dort stand und starrte…kaum atmend…und dann, als würde sie seine Anwesenheit zum ersten Mal bemerken, wandte sie ihren getroffenen Blick zu ihrem Vater…und fühlte, wie sie ihr Atem vollständig verließ.

 

„Dad?“

 

Inoichi stand über den Küchentisch gebeugt da, einen Fuß auf dem Stuhl abgestellt und so heftig vor aufgestauten Emotionen zitternd, dass sich Ino schon vorstellte, wie er diesen Stuhl durch den ganzen Raum trat, um ihn entzwei zu brechen. Doch das tat er nicht. Er lehnte sich in seine Stütze, als wäre er das einzige Ding, das ihn noch davon abhielt, es seiner Frau auf dem Boden gleichzutun. Scharf sog er die Luft durch die Nase und drückte sich eine Hand über den Mund, während sich seine Lider aufeinander pressten. Seine Wimpern funkelten nass. 

 

Ino hatte ihn niemals weinen sehen. 

 

„Ino…“, krächzte er mit angespannter Stimme und blinzelte hinauf zur Decke. „Ich dachte, du-“

 

„Wen geliebt?“, wollte Ino wissen, als sie in den Raum trat. Ihre Stimme bebte und Anschuldigung fraß sich wie Säure in ihre Worte. „Wen wie einen Sohn geliebt?“

 

Sayuri erschauerte und schien aus ihrem Dämmerzustand zu erwachen. „Nein. Nein. Nein. Bitte. Bitte geh“, wisperte sie mit einer so dünnen Stimme, dass Ino sie fast nicht hörte und einfach so tat, als hätte sie das auch nicht – außerdem waren die Worte an ihren Vater gerichtet. 

 

Ino näherte sich ihm, wobei eine ihrer Schultern führte und ihr Körper gedreht war, als wollte die Hälfte von ihr – das kleine und verängstigte Kind – zur Tür hinaus stürzen, während der Rest von ihr – die überschäumende und verängstigte Jugendliche – mit zusammengebissenen Zähnen und sich füllenden Augen nach vorn drängte. „Wengeliebt?“

 

Inoichi wollte sie nicht ansehen, schien sie genauso wenig zu hören, wie Ino das wiederholt gemurmelte ‚Geh‘ ihrer Mutter hörte. 

 

„Wen?“, forderte Ino noch einmal und Kindheitsängste der Ablehnung und Enttäuschung stiegen in ihr auf. „Wen hast du wie den Sohn geliebt, den du dir gewünscht hättest!“

 

Doch bevor Ino auch nur einen weiteren Schritt machen konnte, ging Sayuri auf sie los. Sie drehte sich auf dem Boden und erhob sich mit einem wilden Fauchen. „Wie kannst du es WAGEN!“, schrie ihre Mutter sie an, während sich eine ihrer Hände in die zarte Spitze ihrer Robe krallte und die andere nach ihrer Tochter schlug. 

 

Ruckartig schoss Inoichi nach vorn und fing Sayuris Handgelenk ab. 

 

Die Ohrfeige traf nicht, doch Ino taumelte, als hätte sie das. Ihre Ellbogen schlugen gegen den Tresen und warfen Kessel und Tassen krachend um. Schmerz explodierte über ihre Arme und ihren unteren Rücken hinunter. Sie schrie mit einem gebrochenen Klang auf, der ihre Mutter aus der Hysterie riss. Ein schwerer stockender Atem und Sayuri wurde in Inoichis Armen regungslos, als sie einen erschütterten Blick auf ihre Tochter richtete. 

 

Ihr Gesicht wurde kreidebleich. „Ino…“ Entsetzt berührte sie ihre Lippen und streckte eine zitternde Hand aus. „Oh Liebling…“

 

Ohnmächtig vor Schock und brennend vor Schmerz, schlug Ino die Berührung beiseite, duckte sich unter dem schwingenden Arm ihres Vaters hindurch und rannte vor beiden davon. 

 

„INO!“

 

Geblended von Tränen und kochender Wut schoss sie den Gang hinunter, schnappte sich ihren Knappsack und fiel geradezu hinaus auf die Straße – und sie wäre flach auf dem Gesicht gelandet, wenn sie nicht von der Hand ihres Vaters am Ellbogen abgefangen worden wäre, die sie zurück zog. 

 

Er versuchte, seine Arme um sie zu legen. 

 

Schreiend schob Ino ihn mit solcher Brutalität von sich, dass Inoich rückwärts gegen die Tür stolperte und sein Herz dabei in seinen Augen zersplitterte. „Ino…“

 

Sein Leid traf sie, streifte ihren Verstand. 

 

„Mein Schatz, bitte…“

 

Am Boden zerstört von solch einem schmutzigen, verzweifelten Zug, krallte Ino ihre Hände über den Kopf und krümmte sich nach vorn, während sie einen wilden animalischen Schrei ausstieß, der ihn aus ihrem Geist katapultierte. 

 

Inoichi gab ein ersticktes Geräusch von sich. 

 

Es riss sich durch Inos Herz. Sie taumelte von ihm fort und ihre tränenüberfluteten Augen wanderten in einem weggetretenen Suchen nach etwas Festem, an dem sie sich festhalten könnte, über das Haus. Erneut trat Inoichi nach vorn und sie schwang von ihm fort, packte ihre Schenkel, ließ den Kopf hängen und fühlte sich, als wäre sie krank. 

 

Der Schatten ihres Vaters fiel über sie. 

 

Er versuchte nicht nochmal, sie anzufassen, weder körperlich, noch mental. Er stand einfach nur da und seine Präsenz war ebenso groß und verzerrt wie das Haus, das in ihrer Sicht schwamm; ein Haus, das sich nicht mehr wie ein Zuhause anfühlte, genauso wie die Arme ihres Vaters – sie hingen schlaff an seinen Seiten, als wären die Angeln gebrochen. Sie hätte diese Tür zugeschlagen, aber sie stierte dennoch mit den Händen auf den Knien zu ihm auf und schluckte schwere bebende Atemzüge. 

 

„War es Naoki?“, krächzte Ino mit zitternder Stimme. „Dieser Geist in unserem Haus…dieser Junge aus meiner Kindheit…dieses distanzierte Blutsband, über das du niemals sprichst…“

 

Er antwortete ihr nicht. 

 

So traurig, dass sie in ihrem törichten kleinen, sechs Jahre alten Herzen ehrlich erwartet hatte, er würde das tun. Doch genau wie bei ihrer Mutter, gab es bei diesem Namen keine Tür, die geöffnet werden könnte; nur eine Steinmauer. Und Ino war sich nicht sicher, was sie mehr verängstigte; der Gedanke, niemals zu wissen, wer zur Hölle Naoki für ihre Familie war oder der Gedanke, es mit Sicherheit herauszufinden. Seit sie den Fehler begangen hatte, nach ihm zu fragen, war er zu einem Geist in ihrem Zuhause geworden. Daran zu denken, dass sie ihn mit solcher Liebe und Unschuld in ihren Erinnerungen begraben hatte, nur um ihn nun mit solchem Hass und Argwohn wieder herauf zu beschwören. 

 

Gott, warum kann ich mich nicht an sein Gesicht erinnern?

 

Und noch viel wichtiger; warum hatte sie es nicht vollständig vergessen? Dieser vage Eindruck, dieses unklare Gefühl von Zuneigung und Wärme. Er war ihr wichtig gewesen. Er musste ihr wichtig gewesen sein, wenn sie ihn in ihren Erinnerungen hatte. 

 

Ich muss auch ihm wichtig gewesen sein…

 

Sich auf diese Kindheitshoffnung berufend, die noch immer in ihr blühte, suchte Ino ein letztes Mal die Augen ihres Vaters und sandte ein mentales Wispern aus, das so leise und traurig war, das es taumelte. 

 

„Bitte sag es mir.“

 

Inoichi sah mit abgespanntem Gesicht und besiegter Haltung zu ihr hinab…und dennoch waren seine Augen – trotz der Tränen – so entsetzlich entschlossen. 

 

Er schüttelte den Kopf. 

 

Die Hoffnung verwelkte in Inos Herz. Doch statt sie an der Wurzel heraus zu reißen, packte sie die verdorrte Ranke und rannte. Sie rannte weg von ihrem Vater, rannte weg von dem Haus, rannte weg von dem Zuhause und dem Weh, das dort lebte; sie rannte und rannte und sah nicht zurück. 

 
 

~❃~
 

 

Sie hatten Jagd auf ihn gemacht. 

 

Kämpfen, fliehen oder erstarren. Die Instinkte schossen in einer einzigen Schleife durch Neji und erschöpften sich selbst mit einem einzigen Atem – dann kam die Regungslosigkeit. Adrenalin lief aus und das dumpfe Brüllen davon milderte sich zu einem sanften Pulsieren an seiner Kehle – dann kam die Stille. 

 

Und in der Regungslosigkeit und in der Stille, fand ihn das ANBU Team. 

 

Langsam waren sie näher gekommen; ihr Zirkel aus tiermaskierten Gesichtern erschien von allen Seiten. Neji hatte nicht gekämpft, als sie ihm den Knappsack von der Schulter gerissen und den Inhalt durchwühlt hatten. Sie hatten seine Maske gefunden, hatten den Eindruck gemacht als wären sie zufrieden. Man hatte ihm die Augen verbunden und von diesem Punkt an geführt; ein Agent über, einer unter ihm, je zwei an beiden Seiten und weitere vier deckten Vorder- und Rückseite. 

 

ANBU ging in etwa so oft Risiken ein, wie sie Gelegenheiten verteilten. 

 

Neji fühlte sich nicht beleidigt. Er fühlte sich geehrt, dass sie sein Können so weit respektierten, dass sie Vorkehrungen trafen. Anzunehmen, dass er vielleicht eine Bedrohung darstellen konnte – nicht einmal unbedingt für sie, aber für welche Mission auch immer, mit der er beauftragt wurde. Doch was er nicht mochte, war ihre Annahme, er würde überhaupt in Betracht ziehen, sich dem wie auch immer gearteten Befehl verweigern, den Ibiki oder Shikaku in Teufels Küche für ihn zusammengebraut hatte. 

 

Hn. Wenn man das Feuer nicht erträgt…

 

Dann war die Küche seine geringste Sorge. Kami, das hier war die letzte Stufe. Er hatte sich auf diesen Augenblick vorbereitet – diese Mission – seit Monaten…vielleicht sogar Jahren. Und er hatte die Narben, sowohl im Inneren als auch außen, um es zu beweisen. 

 

Sie ließen ihn in einem Raum zurück, der nur von einer einzigen Glühbirne erhellt wurde. 

 

Sie verriegelten die Tür. 

 

Mit zuckenden Byakugan Venen sah sich Neji um. Kraterübersäte Mauern aus Betonziegeln, deren Mörtel um die Steine herum bröckelte. Ein großer Einwegspiegel mit einer alten Gardinenstange. Mehrere behelfsmäßige Regale, die nur eine schäbige Nagel- und Hammerarbeit waren. Die Regale waren leer. Dick mit Sägemehl bedeckte Kisten säumten die schmutzigen Wände. Im Zentrum des Raumes und illuminiert von dieser einzigen Glühbirne und ihrem sorgsam ausgerichteten Lichtstrahl standen ein rechteckiger Tisch und zwei Stühle; sie waren an gegenüberliegenden Seiten aufgestellt. Ein Aschenbecher saß direkt in der Mitte des Tisches und seine blasse leere Schale schimmerte in einem grellen Weißgelb. 

 

Es sah aus wie ein Keller. 

 

Neji wusste, dass es einer der vielen Verhörräume war. 

 

Bedacht näherte er sich dem Stuhl mit dem Gesicht zur Tür. Setzte sich, wartete. Er konnte nichts außer dem unaufhörlichen Summen der Glühbirne hören. Doch rein strukturell wusste er, den vier Wänden seiner Zelle nicht zu trauen. Wie bei allem bei ANBU ging es um das, was unter dem Darunterliegenden lag; und was auch immer unter oder jenseits dieser Betonwand lag, garantierte absoluten Schallschutz. 

 

Seine Byakugan Augen scannten alles jenseits der Mauern. 

 

Absolute Dunkelheit. 

 

Ein Barrieresiegel…

 

Es maskierte die wie auch immer gearteten Bereiche und Komplexe, die jenseits dieser Streichholzschachtel von einem Raum lagen. Auch wenn ihm die Augen verbunden gewesen waren, hatte Neji doch das Echo von Schritten gehört, während er über Gras und dann auf kalten Beton geführt worden war. Sie hatten ihm die Binde abgenommen, doch die Dunkelheit blieb. 

 

Neji deaktivierte sein Byakugan und schloss die Augen. 

 

Nach etwa einer halben Stunde hoben sich seine Lider wieder. Vollkommen passiv sah er auf die Tür, als sie sich öffnete. Das grelle Licht, das von der Tischoberfläche abprallte, machte es unmöglich zu sehen, wer eingetreten war. Die Beleuchtung warf einen kleinen Schein um die Mitte des Raumes und genau wie bei dem Einwegspiegel zu seiner Rechten, konnten sie ihn sehen, er sie jedoch nicht. Er wusste es besser, als noch einmal sein Byakugan zu aktivieren. 

 

Um die Wahrheit zu sagen, hätte er gedacht, dass sie ihn viel länger in der Dunkelheit warten lassen würden. 

 

Jemand näherte sich dem Tisch. Ein Schatten, der sich von der Dunkelheit löste, die den Raum jenseits des Lampenlichtes abschirmte. Neji wusste instinktiv, dass es nicht Shikaku war – auch wenn er sich das für einen Moment fragte. 

 

Für eine Sekunde verharrte die Gestalt jenseits der Reichweite des Lichtes.

 

Und dann streckte sich ein körperloser Arm aus – schlank und lang, das Handgelenk knochig – und ließ mit einem lauten whack, das Staubwolken aushustete, eine Akte auf die Mitte des Tisches fallen. Der Staub funkelte in der Luft; winzige Funken der Intrige. 

 

„Name und Rang“, sagte die Gestalt mit hölzerner Stimme, die bar jedes Tonfalls war; durch und durch ANBU. 

 

„Shirataka, Anwärter“, antwortete Neji. 

 

Der Arm zog sich zurück, bis nur noch die Hand blieb und sich auf den gegenüberliegenden Stuhl legte. Eine behandschuhte Hand, eine vernarbte Hand. Der Ringfinger fehlte. Aufmerksam driftete Nejis Fokus zwischen der Akte und dem fehlenden Finger, dann hinauf zu einem Gesicht, das er nicht sehen konnte, von dem er aber wusste, dass es da war. 

 

Er wartete. 

 

Dann sprach der Mann erneut: „Wir haben vier Anwärter, die für diese Mission bereit stehen. Alle vier von ihnen haben mehr taktische und kämpferische Erfahrung als du. Alle vier sind besser geeignet als du. Trotzdem bist du hier und sie nicht. Verstehst du die Bedeutung davon?“

 

Neji neigte den Kopf. „Das tue ich.“

 

„Wiederhole, was ich dir gerade gesagt habe.“

 

„Ihr habt vier andere Anwärter, die für diese Mission bereit stehen. Alle vier haben mehr taktische und kämpferische Erfahrung als ich und alle vier sind besser für diese Mission geeignet. Trotzdem bin ich hier und sie sind es nicht.“

 

„Du hörst gut zu. Aber hörst du auch?“ Die verkrüppelte Hand zog den Stuhl zurück und der Agent setzte sich. Ein harter, drahtiger Körper, der nur aus Sehnen und schlanken Muskeln bestand. Er trug eine ANBU Maske; das lange Gesicht eines Hirsches. Er trug die charakteristische Frisur der Nara. 

 

Nejis Nerven verkrampften sich. Ein Muskel in seinem Schenkel zuckte. Doch seine Miene blieb ebenso blank und kalt wie diese blasse weiße Maske. Er hätte genauso gut blind sein können gemessen an all der Reaktion, die er zeigte, als er sah, wie sich eine Karikatur seiner größten Schwäche so spöttisch – so höhnisch – vor ihm offenbarte. 

 

Der Mann legte den Kopf schief; eine Bewegung, die von der Maske noch verstärkt und dramatisiert wurde. „Eine einzige Mission. Eine einzige Gelegenheit. Du wirst bestehen oder du wirst scheitern. Fehler werden nicht toleriert. Wie wirst du antworten?“

 

„Wie ich muss.“

 

„Wem wirst du antworten?“

 

„Niemandem außer meinem ANBU Führer oder meinem Hokage.“

 

Der maskierte Mann beugte sich ein wenig nach vorn und die Schatten schienen sich dabei mit ihm zu bewegen, um sich wie eine Schlinge um den Tisch zusammen zu ziehen. „Ich bin dein ANBU Führer und bis du als würdig erachtet wirst, der Godaime zu dienen, bin ich der einzige Kage, dem du antworten wirst. Weil ich dein Schatten bin. Ich werde beobachten, aber du wirst mich nicht sehen. Ich werde zuhören, auch wenn du mich nicht hörst. Verstanden?“

 

Neji nickte. „Verstanden.“

 

„Wiederhole, was ich dir gerade gesagt habe.“

 

Neji tat wie ihm geheißen – und dann befahl man ihm, es noch einmal zu tun. 

 

Zufrieden lehnte sich die maskierte Gestalt auf dem Stuhl zurück und die Schatten um ihn herum lockerten sich. „Du wirst mich Tsuno nennen, sollten wir miteinander kommunizieren müssen. Ich allein werde entscheiden, wann und wo und ob überhaupt. Verstanden?“

 

Neji war bereits darauf vorbereitet, alles Wort für Wort zu wiederholen, doch diesmal beließ es Tsuno bei einem Nicken. Er legte seine entstellte Hand auf den Tisch, krallte die Hände über die Akte und schob sie Neji zu. „Diese ANBU Mission fällt mit deiner aktuellen Mission in Kusagakure zusammen. Während dir deine Stellung als Teamführer zwar Freiraum und eine Machtposition gewährt, führt es auch zu doppeltem Druck, was deine neuen Anweisungen angeht.“

 

Und ohne Zweifel war genau das der Punkt. Shikaku und Ibiki mussten hoch erfreut über die Gelegenheit gewesen sein, ihn zwischen Hammer und Amboss einzuklemmen. Aber auf der anderen Seite; wurden nicht einige der stärksten Elemente unter dem größten Druck geschmiedet?

 

Nejis Augen verhärteten sich zu der polierten Reinheit eines Diamanten. 

 

Er sah von der Akte auf, stierte zurück in diese zwei seelenlosen Augenlöcher von Tsunos Maske und spürte, dass der Ältere auf etwas wartete. „Ich verstehe, dass ich zwei Missionen parallel ausführen werde“, sagte Neji, um zu signalisieren, dass er zugehört hatte – und gehört.

 

„Und welche Mission hat Vorrang?“, fragte Tsuno. 

 

Eine Fangfrage – doch das hatte Neji erwartet. „Beide“, antwortete er. 

 

Tsuno nickte. „Sehr gut. Im Fall deiner ANBU Anweisungen bestehen sie aus zwei Teilen. Du wirst eine Überwachung durchführen, aber möglicherweise auch zum Handeln aufgefordert werden. Das bedeutet, ein Eingreifen durchzuführen, oder aber sich um eine Extraktion zu kümmern. Für den Fall, dass du handeln musst statt zu beobachten, werde ich mich bei dir melden.“ Tsuno zog seine Hand zurück. „Jetzt wirst du diese Akte lesen. Dann wirst du für mich jedes einzelne Wort daraus wiederholen.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ruckte mit dem Kopf in Richtung der Mappe. „Wir fangen mit dem Namen des Subjekts an, das du observieren wirst. Öffne die Akte. Lies den Namen.“

 

Einfach genug.

 

Sich nach vorn beugend streckte Neji eine Hand über den Tisch aus, öffnete die Akte, las den Namen – und fühlte, wie sein Herz in seiner Brust stehen blieb…fühlte, wie sich seine Kehle ruckartig zusammenzog…fühlte, wie sein Blut eiskalt wurde und gefror…fühlte Tsunos Augen heiß und dunkel wie glühende Kohlen. 

 

Und dann sprach er; als würde er überhaupt nichts fühlen. 

 

„Nara Shikamaru.“

 

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Glossar:

Tsuno: Bedeutet Horn oder Geweih

Shirataka: Bedeutet 'Weißer Falke'



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Scorbion1984
2021-11-24T20:13:13+00:00 24.11.2021 21:13
Ino kann einen wirklich leid tun.
Eine Mutter die ,ich weiss nicht in welcher Welt lebt und einen Vater dem die Hände gebunden sind ,was Infos angeht.
Wie gesagt irgendwie sind die ganzen Konahas durchgeknallt ,bzw kaputt gespielt.
Antwort von:  _Scatach_
01.12.2021 22:41
Ino hat es echt auch überhaupt nicht leicht, wohl wahr...
Mit ihrer Mutter hat sie es schon ziemlich schwer, auch wenn Sayuri das im Grunde gar nicht so meint. Und Inoichi geht es selber wirklich übel genug :/

Ha, stimmt, in Konoha wirkt liegt wirklich einiges im Argen, da hast du recht


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