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Roter Mond

von

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Grün

Feuchtigkeit glitzerte auf den Blättern um ihn herum. Pralle Knospen und Blüten in satten, leuchtenden Farben blitzten auf. Das Sonnenlicht spielte mit dem Dunst, der in den Baumkronen hing, und die Luft war erfüllt vom satten, ursprünglichen Geruch des Waldes. Alles pulsierte vor Leben. Es tropfte aus jeder Pore, rann an den fleischigen Stängeln zu Boden und wurde dort von der warmen, weichen Erde aufgenommen, um an anderer Stelle wieder hervorzubrechen. Der ganze Ort war ein lebender, wachsender Organismus. Ein Organismus, dessen Schönheit atemberaubend war.

 

Vorsichtig ging er weiter. Seine Schritte waren auf dem weichen Untergrund fast nicht zu hören. Er wanderte zwischen den Farnen, Blumen und Bäumen umher. Es war still und gleichzeitig glaubte er, das Leben selbst zu hören, wie es wucherte, wuchs und gedieh. Als er das Zentrum der überbordenden Fülle erreichte, blieb er stehen. Er wusste, dass dies das Ziel seiner Reise war. Der Ort, von dem aus er gerufen worden war. Der Ort, an dem sie auf ihn wartete.

 

Weiße Säulen streckten sich zu beiden Seiten des Ganges empor. Grüne Ranken umschlangen sie und öffneten ihre Blüten ins Licht. Ihr Duft umschmeichelte ihn mit süßer Leichtigkeit. Langsam näherte er sich der Plattform am anderen Ende des Ganges. Er sah die Gestalt, die dort stand. Weiß und wunderschön. Als er sie fast erreicht hatte, drehte sie sich zu ihm herum.

 

„Ich hatte gehofft, dass du kommst.“

 

Für einen Moment kam er sich schäbig vor. Er wusste, dass seine Kleidung zerschlissen war, er selbst voller Staub und Schmutz. Dinge, die er von draußen mitgebracht hatte. Im gleichen Moment wurde ihm jedoch klar, dass es darauf nicht ankam. Wichtig war nur, dass er hier war.
 

„Es ist lange her“, sagte er und machte noch einen Schritt auf sie zu. Sie lächelte.
 

„Ja, viel zu lange.“

 

Sie trat nun zu ihm und er sah ihr Gesicht, als wäre es das erste Mal. Sie hatte sich nicht verändert.
 

„Wie lange?“, wollte er wissen.

 

„Viele, viele Jahre. Die Welt ist nicht mehr so, wie du sie verlassen hast.“

„Wo sind all die Menschen?“

„Sie sind fort.“

 

Er trat an den Rand des Balkons und sah hinab in das Tal. Baumkronen bildeten einen unruhigen Teppich, über dem einzelne Wolken schwebten. Ein schlanker Umriss löste sich aus all dem Grün. Auf weißen Schwingen erhob er sich und flog ein Stück weit über den wogenden Blätterozean, bevor er zur Landung ansetzte und wieder von den Schatten des Waldes verschluckt wurde. Über den Bäumen hörte man ein weites, langgezogenes Rufen.

 

Mit einem fragenden Ausdruck drehte er sich zu ihr herum.
 

„Es gibt wieder Tiere?“

„Ja. Ich habe ihre DNA in den Datenbanken gefunden. Es war schwierig, sie zu rekonstruieren, aber ich hatte ja Zeit. Unendlich viel Zeit.“

 

Wieder sah er nach unten auf den Garten. Es war das Werk von Jahrhunderten. Sein Herz wurde schwer.
 

„Was ist passiert?“
 

Er wusste, dass sie die Frage verstehen würde. Sie seufzte.
 

„Es stellte sich heraus, dass dein Vater recht hatte. Die Menschheit war dem Untergang geweiht. Nach und nach versagten die Systeme. Es war ein langsames, aber unaufhaltsames Sterben. Ich war dabei, als der letzte von ihnen die Welt verließ. Mit ihm ging eine Ära zu Ende.“

 

Er schwieg einen Augenblick, bevor er die Frage stellte, die ihn eigentlich beschäftigte.
 

„Und was ist mit Scott? Und Trix?“

„Trix starb kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes. Eine unentdeckte Infektion, die zu einer Sepsis führte. Ihre Tochter hat nach ihrem Tod ihr Bild immer bei sich getragen.“

„Und Scott?“

 

Sie antwortete nicht, sodass er schließlich in ihre Richtung blickte. Auf ihrem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck.
 

„Scott wurde erschossen“, wisperte sie. „Nur wenige Wochen, nachdem du gegangen warst. Er geriet in eine Schießerei und wurde tödlich getroffen. Ich konnte die Blutung nicht stoppen.“

 

Er senkte den Kopf. Natürlich hatte er gewusst, dass die beiden nicht mehr da waren, aber …
 

„Was hast du dann gemacht?“

 

Sie lächelte schmal.
 

„Ich kehrte hierher zurück. Ich wollte herausfinden, was dein Vater noch alles vor mir verborgen hatte. So verbrachte ich lange Zeit damit, all die Daten zu sichten, die er zusammengetragen hatte. Als ich feststellte, dass der größte Teil des Saatguts, das er eingelagert hatte, die Explosion unbeschadet überstanden hatte, fasste ich den Plan, wenigstens einen Teil des Projekts in die Tat umzusetzen. Ich fing an, ein Biotop zu bauen. Und dann noch eines und noch eines. Bis sie schließlich die Grenzen sprengten und hinaus in die Welt gelangten. Was dann passierte, siehst du hier.“

 

Sie wies auf die grüne Oase, die nur einen einzigen Zweck zu kennen schien: Wachsen. Es war ein majestätischer Anblick.

 

„Warum?“, fragte er, nachdem die Sonne eine ganze Handbreit weiter gewandert war. „Warum hast du all dies erschaffen?“

 

Wieder erhielt er keine Antwort. Er wusste plötzlich, dass da etwas war, dass sie ihm verschwieg. Als er sie danach fragte, senkte sie den Blick.

 

„Ich weiß nicht“, gab sie leise zu. „Vielleicht, weil ich etwas getan habe, das ich nicht hätte tun sollen. Weil ich gehofft hatte, dass …“

 

Sie sprach nicht weiter. Er atmete tief ein.
 

„Was hast du getan?“

 

Sie schluckte. Eine menschliche Geste, die sie trotz ihrer derzeitigen Form nicht benötigte.

 

„Als er starb, konnte ich … ich konnte ihn nicht gehen lassen. Also tat ich etwas Unverzeihliches. Ich wollte ihn nicht verlieren.“

 

„Was hast du getan?“

 

Er ahnte die Antwort auf diese Frage bereits, aber er wollte es von ihr hören.
 

„Ich habe seine Persönlichkeit gespeichert. All seine Erinnerungen, sie sind … hier drin.“

 

Sie legte die Hand auf ihre Brust, ein scheues Lächeln auf den Lippen.
 

„Denkst du, dass das falsch war?“

 

Wieder schaute er in das Tal, das vor ihm lag. Er verstand, dass dies der Krater war, indem sich eins das Labor befunden hatte. Dort, wo alles angefangen hatte. Die Wiege des Lebens. Eines Lebens, das anders war als alles, was diesen Planeten vorher bewohnt hatte. Und er wusste auch, warum sie ihn zurückgeholt hatte. Weil er der Erste gewesen war.

 

„Ich denke, dass es einen Versuch wert ist. Was du hier geschaffen hast ist … wundervoll. Es wäre schade, wenn es niemand zu Gesicht bekäme.“

 

Er schenkte ihr ein Lächeln. Er wusste, dass sie es brauchte.

 

„Komm, lass es uns versuchen. Lass ihn uns wieder zurückholen.“

„Und die anderen?“

„Welche anderen?“
 

Sie schwieg, aber er wusste, dass da noch mehr waren. Noch viel mehr. Wieder lächelte er.
 

„Lass uns mit einem anfangen und dann sehen wir, wie weit wir kommen.“

 

Er erwartete keine Antwort, aber das Glitzern in ihren Augen, verriet ihm genug. Sie würden die Welt neu erschaffen und mit viel Glück würde es dieses Mal funktionieren.

 



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