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Die letzte Ehre

von

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31. Mit letzter Kraft

„Aber nur damit eines klar ist. Ich bin immer noch dagegen!“, sagte Liu entschieden.

Sie zerrte das Gepäck hinter sich her, das Shen sich am Tag zuvor in den Palast hat bringen lassen. Sie befanden in einem riesigen Saal, was wohl als Festsaal gedient hatte.

Auf der linken Seite befanden sich mehrere große Balkonfester, die zu einem großen Balkon nach draußen führten, der genauso lang war wie der Saal selber. Hinten und rechts befanden sich jeweils Türen. Und um den Saal herum ging ein Laufgang mit einer verzierten Balustrade. Es war wie ein langgezogener kleiner schmaler Balkon, der um den Saal herum verlief. Vermutlich wo die Gäste dann dort sich auch oben aufhalten konnten. Am Ende des Saals stand ein großer Thron, der für den Gastgeber des Palastes reserviert war und von dort die Gäste überschauen konnte.

Shen hatte Xiang in der Zwischenzeit mit einem Seil verschnürt und ihn vor dem Thron auf den Boden abgelegt. Hilflos lag der blaue Pfau gefesselt davor und versuchte sich irgendwie aus den Fesseln herauszuwinden.

Shen schaute spöttisch auf ihn herab. „Na, das weckt Erinnerungen, nicht wahr?“

„Binde mich sofort los!“, befahl Xiang.

Doch Shen winkte seine laute Bitte mit einer abwerteten Flügelbewegung ab.

„Schrei ruhig weiter. Auf diese Art und Weise gibst du einen perfekten Lockvogel ab.“

„Aber ihm wird doch nichts passieren, oder?“, fragte Liu besorgt.

„Hör auf zu reden!“, herrschte der weiße Pfau sie an. „Pack einfach die Sachen aus.“

Liu warf einen Blick in die Säcke.

„Schleppen Sie sowas immer im Reisegepäck mit sich herum?“

Shen knurrte genervt. Seufzend lehnte sich die Pfauenhenne gegen das Gepäck.

„Was brauchen Sie denn jetzt?“

„Gib mir das grüne Gefäß raus.“

Liu rümpfte den Schnabel, aber sie tat was er verlangte. Nach einigem Suchen fand sie mehrere Behälter, die wie Flaschen geformt und mit einer Flüssigkeit gefüllt waren. Shen nahm ihr sofort die erste Flasche ab. Diese kippte er zur Lius Verwunderung um Xiang herum auf dem Boden aus.

Liu schnupperte. Die Flüssigkeit hatte so einen eigenartigen Geruch. „Was ist das?“

„Das wirst du noch sehen“, antwortete Shen.

Die Flasche war leer.

„Gib mir die andere“, befahl er.

Liu tat es, wenn auch mit einem unguten Gefühl. Ihre Augen weiteten sich, als Shen damit auf Xiang zuging.

„Schön stillhalten“, sagte Shen und kippte den Inhalt über den blauen Pfau aus.

„Hey! Was soll das?!“

Xiang versuchet noch dem Übergießen auszuweichen, doch er konnte nicht verhindern, dass der weiße Pfau ihn damit völlig eintränkte.

Liu wurde das zu viel. „Jetzt sagen Sie mir endlich was das ist, sonst mache ich nicht mit!“

Shen rümpfte den Schnabel. „Das hier ist eine neue Erfindung von mir. Eine brennbare Flüssigkeit. Schnell entflammbar und sehr leicht entzündlich.“

„Bist du wahnsinnig?!“, schrie Xiang.

Liu entwich die Farbe aus dem Gesicht. „Heißt, dass Sie wollen ihn…?“

Shen hob den Flügel. „Solange du tust was ich dir sage, wird nichts passieren.“

„Aber ist das nicht zu gefährlich?“

Shen zuckte die Achseln. „Nenn es wie du willst. Ich denke, es wird Zeit, dass hier mal wieder ein paar Gäste sich amüsieren können. Ich sorg schon mal für die Festbeleuchtung.“

Er grinste Xiang an, der beim Anblick der entflammbaren Flüssigkeit auf dem Boden und auf ihn selber in Panik geriet.

„Willst du etwa alles in Brand stecken?! Das ist immer noch mein Haus!“

„Wolltest du nicht auch meine Stadt in die Luft jagen? Ich denk mal, damit wären wir quitt.“

Liu fühlte sich genötigt etwas zu sagen. „Aber das können Sie doch nicht so riskieren!“

Shen stieß sie weg. „Entweder du spielst mit, oder du kannst nicht nur seinen Tod, sondern auch noch den Tod von einem kleinen Mädchen verschulden! Kannst du so viel auf deinen Schultern tragen?!“

Liu senkte den Blick. „Versprechen sie mir bitte nur, dass ihm nichts passiert.“

Shen sah sie ernst an. Dann schielte er zu Xiang rüber.

„Tu einfach was ich dir sage.“ Er winkte mit dem Flügel. „Jetzt gib mir die rote Flasche rüber.“

Mit einem schweren Seufzer tat Liu was er forderte. Shen kippte auch diese Flasche aus, diesmal allerdings in der Mitte des Saals und an den Wänden entlang. Anschließend füllte er eine Schale mit dem Brennöl.

Nach getaner Arbeit wandte er sich an Xiang. „So, du wirst jetzt deine Tante rufen.“

Xiang schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das werde ich nicht!“

Shen verengte die Augen. „Wie du willst, dann locke ich sie auch auf eine andere Art hierher.“

Er nahm ein paar Knaller aus dem Gepäck und zündete sie an.
 

Tigress, Meister Ochse und Sheng zuckte zusammen, als laute Knallgeräusche durch den Palast jagten. Sie waren immer noch damit beschäftigt den Arzt ausfindig zu machen.

„Wo kam das her?“, fragte sich Tigress.

„Besser wir schauen nach“, entschied Meister Ochse, doch Sheng hielt ihn zurück.

„Nein, das sind die Zünder von Vater. Lasst ihn. Er wird es alleine tun wollen.“
 

Liu verharrte hinter dem Thron im Saal. Seit den gezündeten Feuerwerkskörpern war schon fast eine Minute vergangen.

„Vielleicht hat sie ja nichts gehört“, wisperte sie.

Shen, der auf dem Laufgang-Balkon über dem Thron geduckt verharrte, zischte ihr zu. „Sie wird kommen.“

Wie aufs Stichwort waren auf einmal Schritte zu hören, die aus dem Gang bis in den Saal hallten. Xiang hielt den Atem an. Doch Weglaufen war sinnlos für ihn. Dann erschien ein Schatten im Eingang. Die violette Pfauenhenne sah sich um. Das Mädchen zappelte in Chiwa Griff. Chiwa hielt ihr den Schnabel zu, sodass sie nur dumpfe Laute von sich geben konnte, aber man sah in ihren Augen wie verängstigt sie war.

Die Pfauenhenne richtete ihr funkelndes Augenmerk auf Xiang.

„Sieh mal einer an“, sagte sie. „Wer hat dich denn hierher verfrachtet?“

Sie näherte sich ihm, wobei sie immer wieder sich umsah. Sie merkte, dass hier was faul war.

„Also, wer versteckt sich hier?!“, schrie sie in den Saal.

Als sie keine Antwort erhielt, ging sie weiter auf Xiang zu, jedoch immer das Messer auf Shenmis Hals gepresst.

„Ich warne dich!“, fauchte sie. „Wenn das hier ein Spie ist, dann kann das tödlich enden…“

Sie hielt inne, als sie etwas Nasses unter ihren Füßen fühlte. Verwundert schaute sie an sich runter. Der ganze Boden unter ihr war nass.

„Besser du bleibst stehen!“

Chiwa sah nach oben, wo der weiße Pfau auf dem Laufgang auf der Balustrade stand.

„Wie bist du aus dem Zimmer rausgekommen?“, fuhr sie ihn an.

Shen hob eine brennende Fackel hoch. „Wenn du sie oder mich tötest, dann lasse ich das hier fallen.“

Chiwa lachte. „Wie nett. Willst du mit dem Feuer spielen?“

„Wunderst du dich nicht auf was du stehst? Dann schau her.“

Shen steckte die Fackel in die Schale. Das Öl schoss in einer Stichflamme fast bis an die Decke.

„Diese Flüssigkeit auf der du stehst ist brennbar. Wenn du mich tötest, dann fällt diese Fackel runter und es geht alles in Flammen auf!“

Chiwa blieb für einen Moment der Mund offen, doch dann zog sie die Augen zusammen.

„Du vergisst, dass ich dein Krümmel im Flügel habe.“

Sie drückte das Messer auf Shenmis Brust. In Shens Gesicht zuckte es, doch er schaffte es, die Ruhe zu bewahren. Stattdessen zwang er ein Grinsen auf seinen Schnabel.

„Dafür wirst du dann in Flammen stehen und deine Schönheit ruinieren.“ Er drehte die brennende Fackel in seinem Flügel „Vielleicht wirst du sogar als Leiche verschandelt begraben. Nicht gerade ein schöner Tod.“

Dies ließ die Pfauenhenne in ihrem Tötungsvorhaben zögern.

„Also, wir können es uns so schwer machen, oder einfacher.“

„Und das wäre?“

„Ein Tausch. Meine Tochter gegen ihn.“

Chiwa verengte die Augen. „Erst haut ihr mit ihm ab und jetzt lieferst du ihn mir freiwillig aus? Für wie dumm hältst du mich eigentlich?“

Shen holte tief Luft und stieß ein abfälliges Schnauben auf, wobei sein hassgefüllter Blick auf Xiang ruhte.

„Für die anderen vielleicht. Aber für mich hat er keine Bedeutung. Er hat mehr als einmal meine Familie bedroht. Dafür kann er kein gutes Zeugnis erwarten. Mit ihm kannst du meinetwegen machen was du willst. Ich will nur meine Tochter. Und du nur deinen Neffen. Also. Tauschen wir und du bekommst ihn, unbeschadet. Es sei denn, du willst doch lieber unter Feuer stehen.“

Für einen Moment stand Chiwa völlig versteinert da. Dann huschte ein böses Lächeln über ihren Schnabel. „Du bist ein ganz schön fieser Vogel.“

„Ist ein Talent.“

„Na schön. Hier hast du sie.“

Sie warf das Mädchen nach oben, wo Shen sie auffing. Doch im nächsten Moment warf Chiwa ein Messer hinterher. Doch Shen war diesmal schneller. Er packte die Fackel mit dem Fuß und mit dem freien Flügel wehrte er das Geschoss ab. Das Messer landete irgendwo in einer Ecke.

„Diesmal nicht.“ Er grinste Chiwa an.

Er nahm die Fackel wieder in den Flügel und ließ Chiwa nicht aus den Augen.

„Schön da stehen bleiben.“

Shen ging den Laufgang des Zimmerbalkons entlang, während Chiwa ihn wütend von unten nachstierte. Plötzlich warf Shen eine Pulvergranate. In Sekundenschnelle war alles voller Rauch. Selbst Xiang, der immer noch am Boden lag, konnte nichts sehen. Doch dann fühlte er Flügel um sich. Er kannte Lius Griff und er wehrte sich nicht dagegen. Die junge Pfauenhenne riss Xiang mit sich mit und rannte wie blind durch den Saal Richtung Ausgang des Saals, wo sie auf Shen traf. Mittlerweile hatte sich der Rauch wieder verzogen.

Chiwa hatte sich inzwischen wieder erholt und rannte ihnen hinterher. Shen zögerte nicht lange und warf die Fackel auf das Öl, dass er zuvor rund um den Saal ausgeschüttet hatte. In nur einer Sekunde erhob sich eine Flammenwand, die den hinteren Teil des Saals umhüllte, in der Chiwa drin verschwand.

Liu schrie erschrocken auf und klammerte sich an Xiang. „Wie konnten Sie das tun?! Er wird noch verbrennen!“

Shen zuckte die Achseln. „Unsinn. Die Flüssigkeit in der grünen Flasche, die ich auf ihn geschüttet habe, ist nur behandeltes Wasser. Absolut unbrennbar. Nur das in der roten Flasche war das Brennbare gewesen.“

Liu sah ihn mit offenem Schnabel an. „Warum haben Sie das nicht gesagt?“

Shen grinste. „Es sollte doch echt wirken.“

In der Zwischenzeit hatte Shen seine kleine Tochter aus den Fesseln befreit. Die Kleine war noch ein bisschen verstört. Erst als Shen sanft seine Flügel um sie legte, beruhigte sie sich wieder.

„Daddy, ich will nach Hause“, wimmerte das Mädchen.

„Ja, ja“, redete Shen auf sie ein. „Wir gehen ja jetzt Heim.“

Mittlerweile hatte auch Liu um Xiang die Fesseln gelöst. Wütend richtete sich der blaue Pfau auf.

„Mach das ja nicht nochmal mit mir!“, fauchte er Shen an.

Die Flammen im Saal züngelten und leckten sich an den Wänden hoch.

„Verschwinden wir von hier“, sagte Shen entschieden und machte kehrt.

Liu blieb nichts anderes übrig als Xiang wieder abzustützen und gemeinsam eilten sie in den Flur. Doch im nächsten Moment kamen ihnen im Korridor Stimmen entgegen, die Tongfu gehörte.

„Der Knall kam von hier! Beeilt euch! Ich will noch mein Geld kriegen! Nicht, dass die Pute in die Luft geflogen ist…“

Wie angewurzelt blieben die Geckos stehen und starrten die Pfauenvögel verdutzt an.

„Hey, wo ist denn die alte Schachtel?“, fragte Tongfu verwundert, als er Shenmi in Shens Flügeln sah.

Schnell setzte Shen seine Tochter auf dem Boden ab.

„Ich mach das schon.“

Mit diesen Worten warf Sehn sich nach vorne und schlug die ersten Geckos beiseite.

„Hey!“, rief Tongfu empört. „Los auf ihn!“

Liu wartete, in der Hoffnung eine Lücke in dem Tumult zu finden. Doch die Geckos wollten dem Pfau keine Möglichkeit lassen sich einen Weg zu bahnen. Tongfu war der Einzige, der am Rand stand und alles beobachtete. Dann kam ihm ein Gedanke. Er wartete noch einen kurzen Moment, dann sprang er vor und zielte mit dem Fuß direkt in Shens Bauch.

Der weiße Pfau schrie auf und krampfte auf den Boden zusammen. Dabei hielt er sich die Operationswunde, auf die Tongfu zu brutal getreten hatte.

Tongfu grinste. „Da hab ich wohl den wunden Punkt getroffen, was?“

Doch Tongfu ließ es nicht dabei und zielte jetzt auf seinen verwundeten Flügel. Und immer wieder, wenn Shen einen erneuten Gegenangriff startete, traten die Geckos ihn auf die Schnittwunde am Bauch. Liu sah ein, dass der Pfau nicht mehr in der Lage war zu kämpfen. Sie selber hatte keine Kampferfahrungen und Xiang konnte wegen seinem lahmen Bein erst recht nicht.

„Weg hier!“ Sie schubst alle zurück in die Halle. Dort schmiss sie die Türe zu und verriegelte sie, sodass die Geckos wütend hinter der Türe zurückblieben. Doch in Sicherheit waren sie noch lange nicht. Schon im Rücken spürten sie die Feuerbrunst im Saal.

„Das war ja eine tolle Idee von dir gewesen!“, schimpfte Xiang sarkastisch. „Noch so ein blendender Einfall?“

Shens Blick wanderte zu den Balkonfenster. „Zum Balkon!“

Plötzlich löste sich einer der Bodenplatten vor ihnen. Kurz darauf sprang eine dunkle Gestalt aus dem Boden. Allen blieben die Schnäbel offen, als Chiwa wie ein wutschnaubendes Raubtier vor ihnen stand.

„Mein Neffe kennt wirklich nicht jeden Winkel von diesem Haus. Weshalb es auch mit Recht mein Haus ist. Und das meiner Schwester.“ Sie grinste. „Man kann die Bodenplatten locker mit einem Messer anheben.“ Sie drehte ein Messer in ihren Flügelspitzen. „Wo wir wieder beim Thema wären.“

Liu drückte Xiang an sich. Shen verengte die Augen. Chiwa war nicht nur auf Xiang aus. Diese Teufelin würde auch keinen Halt vor seiner kleinen Tochter machen. Er schielte zu Liu rüber. Diese fing seinen Blick auf.

Plötzlich warf der Pfau Chiwa ein Pulver ins Gesicht. Die dunkle Pfauenhenne wich kurzfristig geblendet zurück.

„Schnell, auf den Balkon!“, schrie Shen die anderen an und stürzte zu dem Gepäck, dass er in die Ecke des Saals verstaut hatte. Dort holte er sich einen Wushu Podao hervor, ein kurzes Schwert mit einem langen Griff, wie eine Lanze. Liu wagte ihn nicht zu fragen, ob er sowas immer mit sich herumschleppte. Stattdessen zerrte sie Xiang mühsam mit sich mit, während Shenmi ihnen zögernd hinterherlief.

In der nächsten Sekunde hatte Chiwa das Pulver aus ihrem Gesicht gewischt und schaute sich nach ihren Opfern um.

„Ewig werdet ihr mir gar nicht entkommen!“

Noch ehe sie die Verfolgung aufnehmen konnte, stellte sich Shen ihr in den Weg.

„Nur einen Schritt näher an meine Tochter und ich schlitze dich auf!“

Er hielt die Lanze vor sich, doch Chiwa quittierte das nur mit einem breiten Grinsen, das im Schein des Feuers noch dämonischer wirkte, als es schon war.

Mit einem Wutschrei stürzte sie sich auf den weißen Pfau. Shen wich ihr aus und versuchte sie mit dem spitzen Ende zu treffen, doch auch die dunkle Pfauenhenne besaß gute Reflexe und die beiden lieferten sich ein ständiges Katz- und Mausspiel.
 

Draußen auf dem Balkon schaute Liu über die Brüstung, wo es sehr tief runter ging.

„Auch nicht gerade ein guter Fluchtweg“, bemerkte Xiang.

„Dann müssen wir versuchen zu fliegen.“

Xiang wich zurück. „Fliegen? Niemals!“

„Aber wenn es doch die einzige Möglichkeit ist die wir haben?“ Liu Blick fiel auf Shenmi. „Ich könnte sie tragen. Sie können doch selber fliegen.“

„Ich kann nicht fliegen!“, schrie Xiang sie an. „Weil dein feiner Freund mir die Schultern verletzt hat!“

Liu verdrehte die Augen. „Woher wollen Sie das wissen? Sie haben es doch noch nie versucht! Sie versuchen nie etwas! Sie geben sich nur selber auf und vergraben sich nur in Selbstmitleid! Sie wollen es ja noch nicht mal versuchen!“

Plötzlich tauchte ein großer Schatten über ihnen auf. Laishi packte sich Xiang und schwang sich mit ihm in die Luft. Liu reagierte sofort und packte den Geier an den Krallen.

„Hey, lassen Sie ihn los!“

„Kommt nicht in Frage!“ Der Geier lachte. „Ich werde ihn ausstopfen. Wie seinen Vater.“
 

„Seht mal! Dort oben!“

Zedong deutete nach oben, wo man nur halb den Balkon sehen konnte.

Er stand mit den anderen immer noch vor dem Haupteingang und warteten auf die Ankunft von Wangs Soldaten.

„Dort liegt der Festsaal“, meinte Yin-Yu.

Erst jetzt bemerkten sie den leichten Rauch, der in den Himmel von dieser Etage aufstieg.

Über dem Balkon flatterte etwas in der Luft.

„Ist das nicht…“

Tigress verengte die Augen und sah wie Laishi nicht nur Xiang, sondern auch Liu mit sich hochriss, allerdings hatte der Geier mühe zwei große Vögel zu schleppen, sodass er kaum hochkam.

„Crane, hilf ihnen!“, rief die Tigerin ihrem Freund zu.

Sofort schoss der Kranich zum Balkon.

Inzwischen waren auch die Soldaten oben im Palast angekommen. Wang winkte sie zu sich rüber. Es war Zeit den Palast zu stürmen. „Los, nach oben!“

Damit verschwanden sie im Gebäude. Auch Yin-Yu rannte ihnen hinterher. Sie hatte große Angst um Shen und Shenmi. Warum waren sie noch nicht draußen?
 

Liu klammerte sich an den Geier. „Lassen Sie ihn endlich los!“

Doch der Geier dachte nicht daran loszulassen und versuchte die Pfauenhenne abzuschütteln.

In diesem Moment knallte Crane gegen den Geier. Laishi ließ Xiang fallen. Auch Liu landete unsanft auf Boden. Die beiden Vögel flatterten wüst in den Himmel und bekämpften sich dort weiter. Mit angehaltenem Atem sah Liu zu, wie die zwei Vögel im Gebirge verschwanden.
 

Shen gab sein Bestes Chiwa nicht nach draußen auf den Balkon zu lassen. Und für eine Moment sah es sogar aus, als ob er kurz davor war, der Pfauenhenne an die Grenzen zu treiben. Doch plötzlich…

Dem Pfau schwand die Sicht vor Augen. Für einen Moment sah er alles schwarz. Er schüttelte heftig den Kopf, konnte aber den aufkommenden Anfall nicht verhindern.

Diese Sekunde der Unaufmerksamkeit wurde ihm zum Verhängnis. Chiwa nutzte seinen Schwächeanfall und schleuderte ihn mit den schwingenden Ärmelstreifen gegen die Wand.

Stöhnend blieb Shen am Boden liegen. Sein Kreislauf musste sich erst wieder erholen. Chiwa hätte ihn vielleicht aufgespießt, wenn sie nicht auf was anderes aus gewesen wäre. Mordlüsten sah sie sich um, wie ein Vampir. Dann fiel ihr Blick nach draußen auf den Balkon.
 

„Komm schon!“, forderte Liu den blauen Pfau auf. „Wir müssen fliegen! Versuchen Sie es doch wenigstens!“

Doch Xiang sträubte sich entschieden dagegen. „Nein, nicht in einem Millionen Jahren!“

„Umso besser.“

Beide Pfauenvögel erstarrten, als Chiwa urplötzlich am anderen Ende des Balkons stand.

Die dunkle Pfauenhenne grinste sie hämisch an und machte einen Schritt auf sie zu. Sofort rannte Liu ihr entgegen und stellte sich ihr in den Weg.

„Lassen Sie ihn endlich in Ruhe! Sie sollten sich besser an ihre eigene Nase fassen! Sie hatten kein Recht gehabt ihn so zu misshandeln!“

„Geht mir aus dem Weg, du hässliche Schlampe!“

Chiwa stieß sie zur Seite und schleuderte sie weg. Liu rollte über den Boden und stieß gegen das gegenüberliegende Balkongelände. Chiwas Blick wanderte zu ihrem Neffen, der wie erstarrt auf einem Bein auf dem Balkon stand. Die dunkle Pfauenhenne rieb sich die Flügel.

„Und jetzt kommen wir endlich zu dir. Anscheinend will niemand, dass ich dir einen langsamen Tod beschere. Nun denn, dann machen wir es eben kurz und schmerzlos. So wie du es immer haben wolltest.“

Sie zog ein Messer aus dem Flügel raus. Xiang starrte sie mit Horror an.

„Du bist wirklich wie deine Schwester!“, schrie er sie an, was Chiwa nur ein Lachen entlockte.

„Dann werde ich dir auch das sagen, was sie dir auch als höfliche Dame gesagt hätte, mein feiner schöner Neffe. Wir werden dir die letzte Ehre erweisen.“

Der dunklen Pfauenhenne überzog ein fieses Grinsen. Sie hob das Messer mit dem Flügel und zielte damit auf Xiang. Xiangs Blick wanderte nach hinten zum Balkonrand. Entweder er sprang, oder seine Tante erwischte ihn. Schließlich wandte er sich ab und kroch schnell zur Brüstung vor.

„Oh, nein, so nicht mehr!“, schrie Chiwa und warf das Messer auf ihn.

Doch noch ehe das Messer den blauen Pfau treffen konnte, warf sich ein Schatten vor ihm. Xiang hörte einen erstickten Schrei hinter sich. Flügel klammerten sich von hinten um ihn.

Er schaute hinter sich und sah in das Gesicht von Liu. Beide fielen zu Boden. Entsetzt starrte Xiang auf ihren Rücken. Das Messer hatte Liu knapp zwischen die Schultern getroffen und steckte nun drin fest.

Zuerst stand Chiwa wie erstarrt, doch dann ging sie wütend auf die beiden zu.

„Du verdammtes Miststück!“, schrie sie „Du verdammtes Federvieh! Hau gefälligst ab!“

Sie packte Liu an den Schultern und versuchte sie von Xiang wegzuzerren, doch Liu wollte ihn nicht loslassen und klammerte sie eisern an den blauen Pfau fest, trotz des Messers in ihrem Rücken.

Im nächsten Moment rannte etwas Weißes auf Chiwa zu.

„Hey, lass ihn in Ruhe!“, schrie Shenmi sie an.

Chiwa bebte vor Wut.

„Du! Dich werde ich auch noch ausstopfen!“

Sie stürzte sich auf sie. Shenmi schrie auf und raste über den Balkon.

„Hilfe! PAPA!“
 

Shen richtete sich stöhnend auf. Er schüttelte mehrere Male heftig den Kopf, doch die Anstrengung von vorhin hatte seinem Zustand ziemlich zugesetzt. Mühsam hievte er sich an die Wand hoch und schaffte es sich auf den Beinen zu halten. In diesem Moment sah er Shenmi auf sich zu rennen, dicht gefolgt von einer wütenden Pfauenhenne. Der weiße Pfau fand keine Kraft mehr zu kämpfen. Stattdessen warf er sich nach vorne und schlang seine Flügel um das Mädchen. Chiwa hielt an und stierte wütend auf die zwei weißen Vögel herab.

„Das reicht mir jetzt!“ Sie nahm ihre beiden Ärmelstreifen und schwang sie kurz in die Luft. „Euch hässliches Gesindel leg ich zuerst um! Dann kann ich endlich meinen Neffen für seine Missetaten büßen lassen!“

Chiwa schwang ihre Ärmel und schlug den weißen Pfau wie mit Peitschen von beiden Seiten.

Shen fiel zur Seite, hielt Shenmi aber weiterhin geschützt in den Flügeln. Chiwa steigerte sich immer weiter in Rage. Sie wickelte ihre langen Ärmelstreifen um den weißen Pfau und schleuderte ihn mit voller Wucht durch eines der Balkonfenster. In einem Scherbenregen krachte der Pfau nach draußen, rollte über den Balkon und kam am Geländer zum Stehen. Verängstigt lugte Shenmi aus seinen Flügeln raus. Sie zog den Kopf ein, als Chiwa über den Balkon auf sie zu kam. Ihre Ärmelstreifen immer noch feste umklammert, die sie immer noch wie Peitschen um sich schwang.

„Daddy, wach auf!“ Panisch rüttelte ihren Vater. Shen krampfte zusammen. Er konnte Shenmi zwar hören, aber er hatte immer noch einen leeren Kopf.

Chiwa kicherte böse. „Du bist wirklich ein erbärmlicher Schwächling.“

Shenmi schrie auf, als Chiwa sie am Hals packte. „Tja, mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen.“

„Dad!“
 

„Hier ist der Festsaal!“, rief Yin-Yu und deutete zur Tür.

Doch dann blieben Wang und die Soldaten verwundert stehen.

„Was zum…?“

Tongfu, der immer noch mit seinen Geckos vor der Tür stand, sah die Truppe verwundert an.

Wang winkte seine Soldaten nach vorne. „Verhaftet sie!“
 

In diesem Moment sprang Shen auf. Er entriss Chiwa Shenmi aus den Flügeln und steckte sie unter seinen Mantel, den er anschließend wieder schützend über sie legte. Dann lehnte er stöhnend am dem Balkongelände. Diese Aktion machte Chiwa nur noch wütender. Sie bündelte erneut ihre Ärmelstreifen von ihrem rechten Ärmel und schleuderte sie gegen den Pfau. Die Stoffe knallten laut gegen den weißen Körper. Doch Shen blieb, wenn auch ein kleinwenig schwankend, stehen. Sein Flügel hatte wieder zu bluten angefangen, ebenso auch seine Bauchwunde. Doch er blieb standhaft.

Chiwa bebte vor Wut. War dieser hässliche Vogel durch nichts zu Fall zu bringen?

Schließlich konnte Shen sich nicht mehr auf den Beinen halten. Er sackte zusammen.

„Du bist ein ganz schön zäher Vogel“, bemerkte Chiwa anerkennend und beugte sich über den weißen Pfau. „Der Vater opfert sich für sein Töchterchen, wie niedlich.“

Sie packte Shen, riss ihn hoch und drückte ihn über die Brüstung des Balkons.

Xiang, der immer noch wie betäubt etwas weiter weg in Lius Flügeln lag, fand endlich wieder die Kraft seine Flügel zu bewegen und strich über Lius Rücken, wo er das Messer fühlen konnte. Seine Fingerfedern umklammerten das Mordinstrument und zog kräftig daran.

Unterdessen wurde Shen schwindelig, während Chiwa ihn weiter über den Rand schob und drohte ihn vom Balkon zu stürzen.

„Laishi erwartet dich schon unten“, höhnte sie.

Plötzlich vernahm die violette Pfauenhenne ein Geräusch hinter sich. Sie drehte sich um, doch im nächsten Moment sprang sie etwas an und etwas stach zu.

Ein greller Schrei zerriss die Luft.
 

„Es ist vorbei!“

Wang schaute auf die Geckos herab, die jetzt alle von seinen Soldaten festgehalten wurden.

Tongfu schnaubte. „100 gegen 11 das ist unfair!“

Wang ließ dieses Argument völlig kalt. „Los, Tür einrennen!“

Sofort warfen sich mehrere Soldaten gegen die Tür. Diese gab nach und der Weg war endlich frei. Wang versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Das Feuer hatte schon weit im Saal um sich gegriffen.

„Löscht sofort das Feuer!“, rief er seinen Soldaten zu.

Dann sah er sich um. Wo waren die anderen?

Sein Blick wanderte rüber zu den zertrümmerten Balkonfensterscheiben. „Dort hin!“

Yin-Yu, die auch gerade in den Saal kam, blieb beim Anblick des Feuers erstarrt stehen.

„Grund gütiger Himmel, wo ist Shen?“

Ihr Blick wanderte zum Balkon, wo sie eine weiße Figur erblickte.

„Shen!“

Sie rannte nach draußen. Wang folgte ihr dicht auf den Fersen. Auf dem Balkon angekommen, blieben sie verwundert stehen und starrten auf das Bild, das sich ihnen bot.

Shen lag keuchend und erschöpft gegen das Balkongeländer gelehnt, Shenmi hatte sich unter seiner Robe wieder hervorgewagt und rüttelte ängstlich an ihm herum. Als sie ihre Mutter erblickte rannte sie auf sie zu. „Mama!“

Schnell fing Yin-Yu das aufgeregte Mädchen auf. Dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden, von dem was sie sah. Vor ihnen lag ein dunkler Körper auf dem Boden. Davor saß Xiang, halb aufgerichtet am Boden und starrte wie betäubt auf den Körper.

Der blaue Pfau drehte sich zu ihnen um. Seine Augen waren weit offen. „Sie… sie liegt da wie meine Mutter.“

Im nächsten Moment stieß er ein keuchendes Stöhnen aus und brach weinend zusammen.

Wang trat näher heran und starrte auf den Körper, der einst Chiwa gewesen war. Sie lag auf den Rücken, ihre Flügel von sich gestreckt, die Augen weit aufgerissen. Das Messer steckte genau in ihrem Herz.

Wang rümpfte die Nase. „Schätze, die kann uns nicht mehr gefährlich werden.“

Yin-Yu rauschte an ihm vorbei und rannte zu Shen. „Shen!“

In diesem Moment tauchten auch Xia, Zedong, Fantao und Jian auf und sahen gerade noch wie ihre Mutter ihren Vater aufhob.

„Vater!“

Alle eilten zu ihm rüber und umringten den weißen Pfau.

Shen blinzelte. „Was… was ist mit Shenmi?“, murmelte er.

„Es geht ihr gut“, redete Yin-Yu beruhigend auf ihn ein und streichelte seinen Kopf. „Es geht ihr gut.“

„Es geht ihr gut…“, murmelte Shen fast ungläubig. Erleichterung machte sich in ihm breit. „Es geht ihr gut…“ Ein Lächeln huschte über seinen Schnabel. Tränen stiegen ihm in die Augen. „Das ist schön zu hören.“

Er schloss die Augen, immer noch mit einem leichten Lächeln im Gesicht.

Alle sahen ihn erschrocken an.

„Shen!“ Hastig sah sich Yin-Yu um. „Ist der Arzt hier?!“

„Ich werde ihn sofort holen lassen“, versicherte Wang. „Der wird heute keine Ruhe mehr haben.“

Sein Blick wanderte zu einer anderen Figur am Balkongelände, die er zuvor nicht sofort bemerkt hatte. Der Ochse ging auf sie zu und schaute auf Liu herab, deren Rücken blutrot gefärbt war.

„Ich glaube, hier brauchen wir auch einen Arzt!“

Wangs Blick wanderte wieder zu Xiang und seiner toten Tante mit dem Messer in der Brust. Ohne dass der Hunnenkönig es wusste, es war dasselbe Messer, was Xiang Liu aus dem Rücken gezogen und womit er anschließend seine eigene Tante erstochen hatte.

Xiang bekam von allem was um ihn herum passierte nichts mit. Auch nicht als Wang neben ihm stand und ihn auf die Schulter tippte. Er saß einfach nur da und weinte.



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