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Die letzte Ehre

von

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27. Rachegefühle

Es war schon später Mittag, als Po sich endlich dazu aufraffte sich etwas zu bewegen. Seit Stunden wartete er schon auf Wangs Rückkehr und das ganze Rumsitzen machte den Drachenkrieger allmählich nervös. Ständig hatte er das Gefühl von jemanden beobachtet zu werden und schaute hinter jeden Strauch nach.

Schließlich schüttelte er über sich selber den Kopf. „Das ist doch lächerlich“, murmelte er. „Po, du brauchst etwas Ablenkung.“

Er strich sich über seinen Bauch. Aber er hatte schon bereits zu Mittag gegessen. Als der Panda Yin-Yu neben dem Haus mit Shenmi erblickte, die gerade wieder mit ein paar Puppen spielte, gab Po sich einen Ruck und ging zu ihnen rüber.

„Hey!“, begrüßte er die beiden.

Yin-Yu lächelte ihn an. „Oh, hallo.“

„Schon irgendetwas gehört von Wang?“, fragte Po hoffnungsvoll.

Doch Yin-Yu schüttelte den Kopf. „Leider nein.“

Der Panda seufzte enttäuscht. Dann wanderte sein Blick auf Shenmi herunter.

„Und bei dir? Alles okay?“

Er hatte immer noch Gewissensbisse von dem was heute alles vorgefallen war. Doch das Mädchen schien sich wieder gut erholt zu haben und hielt ihm sogar eine Puppe hoch.

„Die hat doch was von ihrem Vater“, dachte Po mit einem Lächeln. Dann sah er sich suchend um.

„Wo ist Shen?“, fragte er.

„Dort drüben“, antwortete Yin-Yu und deutete einen Hügel hoch.

Po legte die Stirn in Falten. Dachte der Pfau schon wieder nach? Allmählich fragte sich der Panda, ob er sich für diese Art der Beschäftigung des weißen Herrschers ein Wort überlegen sollte. Doch Po verwarf diesen Gedanken wieder und krackzelte den Hügel hoch. Shen bemerkte ihn zwar, grüßte ihn aber nicht sofort. Erst als der Panda zu einem Räuspern ansetzte, reagierte er.

„Was ist dein Gesuch, Panda?“, fragte Shen mit ruhiger, bedächtiger Stimme.

„Was sollte den diese Aktion vorhin?“, fragte Po.

„Wovon redest du?“

Po zuckte die Achseln. „Also, ich hab eher gedacht, du würdest ihm an die Gurgel gehen.“

Shen verzog etwas die Schnabelwinkel. „Panda, ich bin nicht so unkontrolliert wie du denkst.“

Po hob verwundert die Augenbrauen. „Wirklich nicht?“

Der weiße Pfau verschränkte beleidigt die Flügel und sah ihn streng an. „Hast du etwas anderes gedacht?“

„Nein, nein, natürlich nicht. Ich dachte nur…“

Po musste wieder an damals denken. Shens Wutanfall auf dem Schiffswrack in Gongmen war ihm immer noch tief in Erinnerung. Oder Shens Zerstörungsdrang. Damals war ihm völlig egal gewesen, wen er in die Luft jagte. Hauptsache der Weg war für seinen Eroberungsfeldzug frei gewesen.

„Was hast du wieder gedacht?“, hakte Shen nach.

Der Panda winkte ab. „Nichts für ungut. Ich wollte mich nur erkundigen, ob ich mir keine Sorgen machen muss, dass zwischen euch beiden wieder ein Krieg ausbricht.“

Er lächelte verschmitzt, was Shen weniger amüsant fand.

Po sah ihn neugierig an. „Äh, was soll eigentlich jetzt mit ihm passieren?“

Shen wich seinem Blick aus. „Das ist ein Punkt, über dem wir uns nicht unterhalten müssen.“

Der Panda verzog die Mundwinkel. „Mit anderen Worten, du weißt es nicht. Oder du willst nicht darüber nachdenken.“

Der Pfau drehte ihm den Rücken zu. „Wenn du nur deswegen hierhergekommen bist, dann wäre es das beste für dich, wenn du das Gespräch beendest.“

Po schnaubte, doch er gab nach. „Na schön. Aber etwas möchte ich noch wissen.“

Shen hob eine Augenbraue. „Und das wäre?“

Der Panda trat näher an ihn heran. „Hast du Yin-Yu schon was erzählt?“

„Was meinst du?“

„Von deinen Schwächeanfällen. Hast du mit ihr darüber geredet?“

Shen seufzte genervt. „Nein.“

Po war nicht unbedingt eingeschnappt über diese kurze Antwort, wollte aber nicht jetzt schon aufhören darüber zu sprechen.

„Na schön, wenn du schon nicht mit ihr darüber reden willst, dann sag mir, wenn du dich nicht gut fühlst. Hast du heute schon was geha…?“

„Panda!“, schnitt Shen ihm das Wort ab. „Ich schätze es zwar, dass du offensichtlich denkst, meinen Leibarzt zu spielen, aber ich kann immer noch gut auf mich selber achtgeben. Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest. Ich hab Kämpfe geführt, da warst du noch nicht auf der Welt gewesen!“

Pos Gesicht verfinsterte sich für einen kurzen Moment.

„Die Kämpfe hab ich in meinem ersten Lebensjahr noch mitbekommen“, dachte er, sprach es aber nicht aus. Er wollte keinen alten Streit aufkommen lassen. Stattdessen senkte er reuevoll den Blick. „Na gut, aber sag mir falls was ist. Ich will nicht die Verantwortung tragen, wenn deine Frau um dich trauern muss.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und suchte sich einen Platz auf der Wiese in der Sonne.

Shen sah ihn mit verkrampfter Haltung nach. Es ärgerte ihn maßlos, dass dieser Panda sich jetzt auch noch so ähnlich aufführte wie seine Familie, die ihn ständig eingesperrt hatten. Nie durfte er wie andere Kinder sein, aus Angst, dass er wieder krank werden könnte.

Seine Federfinger krallten sich in seine Robe. Dann schaute er an sich herunter. Wieso ließ sein Körper ihn ausgerechnet jetzt im Stich?

Er kniff die Augen zusammen. In Augenblicken wie diesen würde er am liebsten schreien, doch da es jeder hätte hören können, zog er es vor seinen Platz zu verlassen und seinen Frust in einem Spaziergang abzureagieren.
 

Nachdenklich beobachtete Yin-Yu wie Shen sich entfernte. Po lag mehrere Meter weiter weg im Gras und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Sie seufzte. Sie war froh, dass es zwischen den beiden einigermaßen entspannt zuging und sie hoffte, dass es für die Zukunft auch so bleiben würde.

„Entschuldigung.“

Sie drehte sich verwundert um, als sie Lius Stimme hinter sich hörte. Die junge Pfauenhenne sah sie verlegen an und rieb sich nervös die Flügel.

„Was dagegen, wenn ich Ihnen etwas Gesellschaft leiste?“, fragte sie.

Yin-Yu nickte. „Natürlich nicht.“

Lius Blick wanderte zu Shenmi. „Ich wollte mich nochmal für die ganzen Unannehmlichkeiten entschuldigen“, begann sie. „Ich weiß nicht, ob es anderes gekommen wäre, wenn ich mich anders verhalten hätte.“

Yin-Yu lächelte ihr aufmunternd zu. „Das ist schon in Ordnung. Ich weiß wie schwer es mit ihm sein kann.“

Liu senkte den Blick. „Nun, ich kenne ihn noch nicht lange…“ Sie schaute schüchtern zu der Lady hoch. „Wie lange waren Sie miteinander verheiratet gewesen?“

Yin-Yu seufzte schwer. Sie sprach nur ungern darüber.

„Fast 20 Jahre.“ Sie hielt kurz inne. „Genauer gesagt, 19 Jahre und 6 Monate bis ich mich von ihm getrennt habe.“

Liu legte leicht den Kopf schief. „Und Ihre Ehe… war nicht so gut gelaufen, oder?“

„Hat er dir was davon erzählt?“

Liu schüttelte den Kopf. „Darüber hatte er nie gesprochen. Das Einzige was er gut konnte, war sich über mich zu beschweren.“

Yin-Yu musste etwas schmunzeln. „Ja, das kann er gut.“

Liu legte kurz eine Pause ein, bevor sie weitere Fragen stellte. „Warum ist es zwischen Ihnen und ihm nie besser geworden?“

Da musste Yin-Yu selber kurz nachdenken. „Nun, er hat nie etwas an sich herankommen lassen. Wir lebten in der Ehe so distanziert wie Feuer das Wasser meidet.“

Liu hob die Augenbrauen. „Haben Sie gewusst, dass er nachts Albträume hat?“

Die Pfauenlady schien sich darüber zu wundern, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, wir haben nie zusammen in einem Zimmer geschlafen. Ich durfte nachts nicht mal mit meinen Kindern zusammen sein. Jede Nacht musste jeder in seinem eigenen Zimmer bleiben. Er selber schloss die Türen immer ab. Ab und zu ist er sogar nachts herumgeschlichen und hat geprüft, ob die Türen auch wirklich verschlossen waren.“

Lius Flügel spannten sich ein wenig an. „Warum hat es dennoch nie mit ihm funktioniert?“

Yin-Yu schaute auf die Landschaft hinaus. „Auch wenn er nett zu mir gewesen wäre, so hab ich Shen zuerst geliebt und das hat sich auch nie geändert. Selbst wenn Shen gestorben wäre, so hätte nie einer sein Platz in meinem Herzen ersetzen können.“

Sie schaute wieder zu Liu, die wiederum ziemlich nachdenklich aussah. „Also lag es hauptsächlich daran, dass er nicht der Mann war, für den Sie jede Bemühung geopfert hätten.“

Yin-Yu sah sie verwundert an. „Wie steht es denn bei dir?“

Liu errötete leicht unter den Federn. „Äh, nun… was soll ich sagen? Ich bin eigentlich nur seine Pflegerin.“

Yin-Yu war nicht so überzeugt, dass die jüngere Pfauenhenne wirklich so dachte. „Aber du wünschtest dir, es wäre mehr, oder?“

Liu wich ihrem Blick aus. Wieder erinnerte sie an die erste Begegnung mit Xiang. War es doch nur Mitleid mit ihm gewesen, oder… oder redete sie sich das andere nur ein?

„Hey, da kommt Wang!“, schrie Po und rannte an ihnen vorbei den Hügel runter.

„Wurde aber auch Zeit“, murmelte der weiße Pfau, der noch ihn Hörweite stand und sich ebenfalls runter ans Dorf begab.

An den ersten Häusern war Wang schon vorbei und schaute die Herankommenden verlegen an.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, entschuldigte er sich. „Aber die meisten meiner Leute waren außer Dienst gewesen.“

„Macht doch nichts“, nahm Po seine Entschuldigung an.

„Es wäre jedoch schon von Nöten zu wissen was Sache ist“, mischte Shen sich ein.

Wang nickte und kam auch gleich zur Sache. „Also soweit ich das beurteilen kann, wäre das Stürmen des Palastes kein Problem. Ich kann so viele Soldaten einsetzen, dass wir die ganze Stadt auf den Kopf stellen können.“

„Und was bringt uns das am Ende?“, fragte Shen misstrauisch. „Damit erreichen wir höchstens, dass sie sich aus dem Staub macht. Ich nehme doch an, dass sie jeden toten Winkel in der Stadt kennt, oder?“

Der Hunnenkönig zuckte die Achseln. „Tja, oder ihr kommt ihrem Willen nach und gebt ihr was sie will.“

„Das werden Sie doch nicht tun, oder?“, fragte Liu erschrocken, die ebenfalls angelaufen kam.

Po rieb sich übers Kinn. „Oder, ich meine, wenn wir sie nicht einfangen können, dann müssten wir sie eben herauslocken.“

Lius Augen weiteren sich. „Sie wollen Xiang als Köder auslegen? Das wird er nicht akzeptieren!“

„Aber wenn er weiß, dass ihm dabei nichts passieren kann…“

„Er traut niemanden“, beharrte Liu auf ihre Aussage. „Er wird nein sagen.“

Shen verengte die Augen. „Und wie sollen wir sonst vorgehen, wenn ich mir die Frage erlauben dürfte?“

Darauf wusste Liu erst mal nichts zu antworten. Schließlich konnte sie nur noch eines sagen: „Man kann ihn nicht dazu zwingen. Ich halte das für keine gute Idee.“

In diesem Moment kam einer der Ochsen-Soldaten angelaufen, der die ganze Zeit am Fuße des Hügels zum Dorf gestanden hatte. Wang sah ihn überrascht an.

„Was gibt es denn?“

„Das ist eine Dame“, erklärte der Ochse. „Sie sagt, ihre Eltern wären hier.“

Alle sahen überrascht auf, doch ihre Verblüffung wurde übertroffen, als auf einmal ein bekanntes Gesicht hinter dem Soldaten auftauchte.

„Xia?“

Die Pfauenhenne winkte schüchtern mit dem Flügel. „Hallo.“

Po fiel die Kinnlade runter. „Was machst du denn hier?“

„Ich vermute, sowas ähnliches wie Shenmi.“

„Xia!“

Im nächsten Moment kam Shenmi angelaufen und rannte auf ihre große Schwester zu, die sie in die Flügel nahm. Mittlerweile hatte sich auch Yin-Yu nach unten ans Dorf begeben und war völlig von der Rolle ihre große Tochter zu sehen.

„Kind, wie kommst du denn hierher?“, fragte sie.

Po konnte in ihrer Fragerei nur miteinstimmen. „Ja, und überhaupt, woher wusstest du, dass wir hier sind?“

Xia setzte ihre kleine Schwester ab und rannte auf ihre Mutter zu, ohne die Fragen zu beantworten.

„Ich bin ja so froh, dass es dir gut geht“, sagte sie erleichtert und umarmte sie.

Dabei fiel ihr Blick auch auf ihren Vater, der hingegen aber weniger über ihr Auftauchen erfreut zu sein schien. Man sah ihm zwar an, dass er überrascht war, doch dann wandelte sich seine Verwunderung in verärgerte Besorgnis.

„Warum bist du hierhergekommen?“, begann er ernst. „Du solltest doch mit den anderen in Gongmen bleiben.“

Po sah sich aufgeregt um. „Oh, sind die anderen etwa auch hier?“

Xia biss die Schnabellippen zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. „Tut mir leid, aber ich musste kommen. Ich hab mir Sorgen um euch gemacht.“

Shen verengte die Augen. „Außer uns wusste niemand, dass wir hier sind und nicht mehr in Mendong. Wie hast du uns gefunden?“

Xia rieb sich nervös den Nacken. „Man hat mir auf dem Hinweg berichtet, dass man euch hier gesehen hatte.“

Das rief in Po einen Schock hervor. „Oh weiha! Wenn schon andere uns gesehen haben, dann wird sich das wohl rumgesprochen haben. Wir müssen jetzt sofort handeln, bevor sie uns noch auflauert. Vielleicht ist sie sogar schon hier!“

„Was ist denn eigentlich genau passiert?“, wollte Xia wissen.

Po hielt mitten in seinem nervösen Gerede inne. „Das ist eine verworrene, lange Geschichte.“
 

Po berichteten in kürze was sich ereignet hatte. Xia kannte zwar schon die halbe Geschichte, als die dann auch noch die andere Version hörte, wurde ihr klar, was alles dahintersteckte. Nachdem der Panda seine Erzählung beendet hatte, konnte Shen es nicht unterlassen einen Tadel auszusprechen.

„Du siehst, du hättest wirklich nicht hierherkommen sollen.“

Xia senkte ihren Blick. „Tut mir leid. Aber ich musste kommen.“

„Wir sollten uns jetzt besser einen Plan überlegen“, drängte Po.

Damit war Shen ausnahmsweise einverstanden. „Gut. Aber am besten drinnen, nicht draußen.“

Wang hatte nichts dagegen. „Meinetwegen.“

Während die anderen zu den oberen Häusern hochmarschierten, wandte sich Yin-Yu an Xia. „Kind, du musst doch bestimmt müde sein.“

Xia lächelte leicht. „Es geht schon. Sag mir eines, Mutter. Wo ist Xiang jetzt genau?“

Ihre Mutter sah sie überrascht an. „Nun, dort drüben.“ Sie deutete auf die kleine Hütte weiter oben. „Aber reden wir besser nicht mehr darüber. Komm, ich bring dir was zu essen.“

Sie führte Xia ins Haus. Doch noch ehe sie über die Türschwelle trat, tauchte Shen auf einmal neben ihr auf. Xia sah ihn etwas ängstlich an. Der Blick ihres Vaters war sehr ernst.

„Bist du mit einem Schiff hierhergekommen?“, erkundigte sich Shen.

Xia schluckte. „Ja.“

Das Lügen bereitete ihr Bauchschmerzen. Zu ihrer Erleichterung nickte Shen nur und begab sich zu einem anderen Haus, wo Po und Wang sich schon drinnen versammelt hatten. Auch Liu war mitgekommen, nur um sicher zu gehen, dass man nichts hinter Xiangs Rücken beschloss.

Xia sah ihrem Vater noch eine Weile nach, dann wanderte ihr Blick zur Hütte rüber.

Zwei Wachen standen davor. Xia verengte die Augen. Das erschwerte die ganze Sache. Da musste sie sich etwas einfallen lassen.

„Mutter!“, rief sie in den Essraum.

Yin-Yu hob den Kopf. „Ja?“

„Ich vertrete mir noch kurz die Beine. Bin gleich wieder da.“

Sie wollte schnell weg, doch Shenmi hielt sich noch an ihrem Hemdzipfel fest. „Darf ich mitkommen?“

Doch Xia lehnte ab. „Nein, du wartest hier. Ich komme gleich wieder.“

Mit diesen Worten hechtete die Pfauenhenne ums Haus herum, ging kurz hinter dem Hügel und kam anschließend in einem gehenden aber schnellen Tempo in die Nähe der Hütte heran.

„Entschuldigung“, rief sie den Wachen zu. „Ich glaube, ich hab jemanden herumschleichen sehen.“

Die beiden Wachposten warfen sich verwunderte Blicke zu.

„Jemanden herumschleichen sehen?“ wiederholte einer von ihnen ungläubig.

Xia nickte. „Ja, es war klein und schuppig. Ich glaube, es war ein Gecko.“

Bei diesem letzten Wort läutete bei beiden die Alarmglocken. „Wo hast du ihn gesehen?!“

Xia zeigte den Hügel runter in den Wald am Ende des Dorfes. „Dort unten. Er ist dort verschwunden. Schaut doch mal nach. Vielleicht holt ihr ihn noch ein.“

Sofort rannten die beiden Ochsen-Wächter los. Kaum waren sie außer Sichtweite griff Xia schnell unter ihr Hemd und zog einen Dolch hervor. Mit zittrigen Federfingern strich sie darüber. Mit einem Schlag verspürte sie Angst. Doch dann gab sie sich einen Ruck. Sie versteckte den Dolch unter dem Flügel und öffnete die Tür von der Hütte.
 

Genervt erhob sich der blaue Pfau, als sich die Tür heute zum x-ten Mal öffnete. „Meine Güte! Könnt ihr mich nicht einmal in Ruhe lassen?!“

Er erstarrte, als er in der Tür nicht wie angenommen Liu, sondern seine ehemalige Tochter stehen sah.

„Was willst du denn hier?“, knurrte er sie an. „Willst du dich jetzt auch noch an mir auslassen? Das wird nicht funktionieren.“

Xia verengte die Augen. „Ich hab keine Zeit für eine Plauderstunde mit dir, weshalb ich es kurz machen möchte.“

Sie zog den Dolch hervor. Xiang riss die Augen auf. „Was willst du damit?“

„Wir werden jetzt an einen Ort gehen, wo wir ungestört reden können.“

Xiang wurde zwar etwas Bange bei dem Anblick, hatte aber bei weitem nicht so eine große Angst wie vor Liu, Yin-Yu oder Chiwa.

Der blaue Pfau atmete einmal tief durch. „Na, na, wo ist denn mein kleines Mädchen, das versprochen hatte brav zu sein?“

Er versuchte seine aufkommende Panik zu unterdrücken, auch wenn seine Flügel leicht zitterten. Xia war immer noch das verschüchterte kleine Küken, was er zum Gehorsam gezwungen hatte. Er war sich sicher, dass sie diesen Gehorsam nicht so leicht brechen würde.

Erst als Xia ihn wütend anstierte, war er sich doch nicht mehr so sicher.

„Was bist du denn?“, spottete er. „Denkst du wirklich du kannst mich damit erstechen? Hast du schon mal jemanden erstochen? Komm schon. Das bringst du doch nicht fertig.“

Er lachte heiser, wenn auch mit etwas zittriger Stimme.

Xia stieß ein Schnauben aus. „Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, dass du von damals kennst, und herumkommandieren konntest wie es dir passte.“

Xiang verengte die Augen, behielt aber seinen gehässigen Gesichtsausdruck wie eine Maske. „Wie nett. Dann bin ich gespannt, wie du mich hier herausholen willst.“

Er deutete auf sein lahmes Bein. „Lach ruhig darüber. Weglaufen kann ich eh nicht, aber auch nicht weggehen.“ Er lächelte kalt, als er Xias zögernde Haltung bemerkte. „Sieh einer an. Meine Erziehung bei dir scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.“

Die darauffolgende Ohrfeige von Xias Flügel ließ ihn zu Boden fallen. Das ernüchterte den blauen Pfau fürs erste. Keuchend erhob er sich und sah zu Xia hoch. Das Mädchen hatte feuchte Augen, hielt die Tränen der Wut aber noch zurück. Stattdessen packte sie ihren ehemaligen Vater am Flügel und zerrte ihn hoch.

„Nur einen Laut und ich kann noch härter zuschlagen!“, fauchte sie ihn an.

Mit einem verärgerten Gesichtsausdruck rieb sich Xiang über seine Wange. „Dein Vater ist wirklich ein unverfrorener Straßenvogel.“
 

Shenmi reckte den Hals. Sie fand es sehr merkwürdigt, dass Xia einfach so in die Hütte dürfte. Dem kleinen Mädchen stockte der Atem, als sie Xia mit Xiang herauskommen sah, wobei Xia ihn mehr hinter sich her schleifte. Shenmi wusste nicht was sie machen sollte und verharrte in ihrem Versteck in einem Gebüsch.

Xia sah sich nochmal um, dann zerrte sie den blauen Pfau in den Wald.
 

„Jetzt hör endlich auf dem Unsinn!“, befahl Xiang, allerdings stieß er bei seiner ehemaligen Tochter auf taube Ohren. Es wäre für ihn vielleicht kein Problem gewesen, Xia mit ein paar Schlägen außer Gefecht zu setzen, allerdings hielt sie immer noch den Dolch im Flügel, was ihn von diesem Vorhaben abhielt.

Nach einer Weile kamen sie an einer Lichtung an, wo Xia den Pfau absetzte. Dort richtete Xiang sich etwas auf seinem gesunden Bein auf und stierte Xia an. Diese wiederum hielt den Dolch weiterhin schützend vor sich.

Xiang kicherte spöttisch. „Ach, komm schon. Das wirst du nicht wagen. Man wird nicht darüber erfreut sein, dass du einen Wehrlosen niederschlägst.“

Xia verengte die Augen. „Wer sagt denn, dass ich dich töten werde?“

Noch ehe Xiang über ihre Worte nachdenken konnte, raschelte es auf einmal in einem der Büsche. Xiang entwich die Farbe unter seinen Federn, als er die Geckos hinter ein paar Sträuchern auftauchen sah, dicht gefolgt von Laishi und ein paar anderen Geiern.

„Das wurde aber auch Zeit“, knurrte Tongfu. „Der Job fing langsam an langweilig zu werden.“

Xiangs entsetzter Blick wanderte zu Xia. Sie wiederum sah ihn nur emotionslos an.

„D-das hast du nicht getan!“, schrie er sie an. „Sag mir, dass du das nicht getan hast!“

Xia schaute weg.

Tongfu hingegen konnte über seine Verzweiflung nur lachen. „Und ich hoffentlich auch, dass es das letzte Mal sein wird, dass wir dich einfangen müssen. – Packt ihn!“

Xiang sprang soweit er konnte und wich noch ihren Griffen aus, doch das genügte nicht. Hätte er fliegen oder weglaufen können, hätte er vielleicht eine Chance gehabt, doch es war ein leichtes für die Geckos ihn am Ende zu fassen und zu fixieren.

„Lasst mich los!“, schrie er sie an. „Ich gehe nicht wieder zurück!“

Einer hielt ihm den Schnabel zu, während der Rest damit begann ihn zu fesseln.

„Da hast du schon recht“, meinte Tongfu belanglos. „Du wirst nicht gehen, aber wir fliegen dich zurück.“

Laishi kicherte und setzte noch einen drauf. „Nett gesagt. Nicht der letzte Gang, aber der letzte Flug.“

Xiang wehrte sich wie verrückt. Seine letzte Hoffnung wäre eventuell noch Xia, doch von ihr konnte er am aller wenigsten Hilfe erwarten. Sie schaute ihn noch nicht einmal an. In seiner Not wollte er schreien, doch als man ihm den Schnabel verschnürte, war auch diese Mühe umsonst.

„Na los, rein mit dir!“ Mit aller Gewalt packten sie den Pfau in einen großen Sack und banden die oberen Enden zu.

„Und wo sind jetzt meine Brüder?“, wollte Xia wissen.

Tongfu grinste. „Natürlich kannst du sie haben.“

Er schnippte mit den Fingern, woraufhin ein anderer Geier mit einem kleinen Sack auftauchte.

„Hier, bitte sehr.“

Der Sack fiel Xia vor die Füße. Verwundert starrte sie darauf. Der Beutel schien zwar mit etwas gefüllt zu sein, doch er wirkte viel zu leicht. Hastig öffnete sie ihn. Doch alles was sie da herausholte waren lauter kleine herausgerissene Pfauenfedern.

Entsetzt ließ die den Beutel fallen. „Was habt ihr mit ihnen gemacht?! Das ist gegen die Vereinbarung!“

Tongfu zuckte die Achseln. „Sorry, Kleine. Mit diesen Resten musst du dich begnügen. Aber Miss Chiwa hat andere Pläne mit den Jungs. Je weniger Pfaue es auf der Welt gibt, desto besser für ihr Image.“

Xia ballte die Fäuste vor Zorn. „DU ELENDER…!“

Im nächsten Augenblick traf sie ein harter Schlag auf den Hinterkopf. Bewusstlos sank sie zu Boden.

„Aber du wirst auch nichts mehr sagen“, kommentierte Tongfu trocken. „Niemand wird es erfahren.“

Laishi rieb sich die Flügel. „Ich sehe, heute wird ein arbeitsreicher Tag für mich.“

So langsam begann Xia sich wieder zu regen und der Gecko wollte es schnell beenden. Er gab dem anderen Gecko, der ihr so hart auf den Kopf geschlagen hatte, ein Zeichen.

Dieser verstand und griff nach dem Dolch, den Xia hat fallen lassen. Anschließend packte er das Mädchen an den Kammfedern und drückte die Klinge an ihre Kehle.

Plötzlich trat jemand den Gecko so heftig, dass dieser durch die Luft geschleudert wurde. In der nächsten Sekunde stellte sich ein weißer Vogel der Bande in den Weg, direkt vor Xia.

Tongfu knirschte mit den Zähnen. „Wie zur Hölle kommt der denn hierher?!“

Shen positionierte sich in Angriffsstellung und fauchte sie wütend an. „Wehe ihr rührt sie noch einmal an!“

Der Gecko stieß einen Schrei aus. „Tranchiert ihn!“

Shen hatte sich in aller Eile einen Stock im Wald besorgt und schlug damit blitzschnell um sich. Die herangesprungenen Geckos konnte er locker abwehren. Doch als auch noch Laishi und seine Geierbande anrückte, ging das dem Pfau an seine Leistungsgrenze. Dennoch kämpfte er verbissen weiter.

Laishi erhob sich hoch in die Luft und ging in Sturzflug über. „Aus dem mache ich einen weißen Vogelengel und häng ihn über meine Tür.“

Shen zeigte keine Angst vor seinem Angriff. Er nahm Anlauf und sprang den herannahenden Geier entgegen. Doch plötzlich geriet er ins Taumeln. Er versuchte wieder die Kontrolle über sich zu bekommen, doch sein Körper wollte ihm nicht mehr gehorchen. In seinem halben Blackout sah er noch den Schatten auf sich zurasen. Doch dann verschwand dieser urplötzlich aus einem Blickfeld als, ein gewaltiger Schlag den Geier zur Seite katapultierte.

Zitternd stand Shen auf seinen Beinen und starrte auf Po, der ganz plötzlich neben ihm aufgetaucht war, mit erhobenen Fäusten.

„Hey, wollt ihr wieder eins auf die Finger haben?!“

Tongfu rief zum Rückzug auf. „Los wir hauen ab!“

In Sekunden schnelle hatten sich Geckos und Geier wieder gesammelt. Die Reptilien schwangen sich auf die Vögel und flogen mit ihnen davon. Po sprang vor und erwischte einem der Geier noch an den Schwanzfedern, doch der Flugstart war zu schnell, sodass der Panda am Ende nur ein paar Federn in den Pfoten hielt. Entrüstet beobachtete er wie die Bande sich durch die Luft davonmachte.

„Verdammt!“, schimpfte er.

Er drehte sich zum keuchenden Pfau um. „Alles okay?“

Shen atmete ein paar Male tief ein und aus. „Kümmer dich nicht darum“, stieß er hervor und sein Blick wanderte zur am Boden liegenden Pfauenhenne.
 

„Und was willst du der feinen Lady jetzt erzählen?“, fragte einer der Geckos Tongfu.

Der Gecko knurrte ihn gereizt an. „Wir müssen es ihr ja nicht sofort auf die Nase binden. Hauptsache wir haben erst mal ihn.“

Er deutete auf den Stoffbeutel, den einer der Geier in den Krallen hielt. Allerdings bemerkte dieser nicht, dass er ein paar kleine Gramm mehr wog. Ohne, dass es jemand bemerkte, hatte sich Shenmi an den Stoffsack festgekrallt. Ängstlich schaute das weiße Mädchen nach unten und hielt sich noch fester an den Stoff fest. Sie spürte, wie Xiang trotz seiner Gefangenschaft im Beutel heftig zappelte. Sie kniff die Augen zusammen und wünschte sich ihr Vater wäre wenigstens bei ihr.



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