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Die letzte Ehre

von

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20. Ein Zufluchtsort

Auf dem Schiff, das immer weiter flussabwärts trieb, herrschte eine niedergedrückte und auch extrem angespannte Atmosphäre. Zwar war jeder froh, dass sie heil und sicher sich in Sicherheit bringen konnten und auch Yin-Yu wieder aufgetaucht war, doch es fühlte sich keiner wohl.

Po quälte der Gedanke, dass es bei Shen doch Komplikationen geben könnte. Er selber war zwar kein Arzt und konnte nicht sagen, ob der Militärarzt ihnen nicht doch etwas verschwieg. Er konnte es nur für die Familie hoffen. Und noch ein anderes Dilemma bereitete ihn Sorge und zugleich Kopfzerbrechen. Er konnte sich Chiwas Verhalten einfach nicht erklären. Gut, wenn es der Wahrheit entsprach, dass Xiang ihre Schwester ermordet hatte, dann hatte sie ihren Grund, aber es war kein Grund es nicht auf juristischen Weg abzuklären und vor allem nicht die anderen so derartig zu drangsalieren.

Genau dieseleben oder ähnliche Fragen schienen auch den anderen durch die Köpfe zu gehen, als Po in einer Ecke des Decks angetrottet kam. Yin-Yu war extrem froh wieder freien Himmel über sich zu sehen und scheute sich davor unter Deck zu gehen, selbst wenn Shen dort unten gerade eine Operation hatte, aber sie konnte ihm im Moment eh nicht helfen, nur warten und den Arzt seine Arbeit machen lassen.

Nachdenklich ließ Po seinen Blick über den Teil des Schiffes schweifen. Shenmi hatte sich bei ihrer Mutter in die Flügel gekuschelt, während Liu mit Xiang am Rand hockte. Xiang war immer noch nicht aufnahmefähig. Er saß immer noch da mit offenen Augen und sagte kein einziges Wort. Er starrte nur vor sich hin.

Der alte Stier Huan saß ebenfalls neben ein paar Fässer und keuchte immer noch von dem ganzen Wettlauf.

Zögernd ging Po auf ihn zu. „Sie sind einen solchen Marsch nicht gewohnt? Sowas hält einen fit“, meinte Po scherzend, obwohl ihm irgendwie nicht zum Lachen zumute war. Sie waren zwar aus der Stadt, doch wer garantierte, dass diese Geckos ihnen nicht doch nachspionierten?

Der Stier zwang sich zu einem Lächeln. „Ehrlich gesagt, hab ich sowas vielleicht mal gebraucht“, meinte er. Schließlich sprach er das aus, was er sich schon die ganze Zeit fragte. „Aber ich hab nicht erwartet, dass Chiwa sowas tun würde.“

Po runzelte die Stirn. „Ich glaube, das haben wir alle nicht erwartet.“

„Vielleicht nicht jeder“, mischte Liu sich ein und beide sahen überrascht zu ihr rüber. Die Pfauenhenne erhob sich. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Xiang es die ganze Zeit gewusst hat. Aber er hat nie darüber geredet.“

Po nickte. „Das mag stimmen, aber war die Handlung damals Absicht oder ein Unfall?“

Lius Blick wanderte wieder zu Xiang. „Das war bestimmt kein Unfall“, sagte sie mit fester Stimme, obwohl sie sich selber nicht so sicher war. „Dafür kann man ihn nicht verurteilen!“

Panda und Stier tauschten fragende Blicke aus. Wenn Xiang ihnen wenigstens sagen könnte, was damals passiert war, dann könnte man darüber diskutieren, aber im Moment war es unsinnig darüber schon ein Urteil zu fällen.

Yin-Yu hatte der Unterhaltung schweigend zugehört und erhob nun ebenfalls ihre Stimme. „Vielleicht hat sie gar nicht so unrecht“, meinte sie. „So wie sie sich mir gegenüber verhalten hatte…“

Sie brach ab. Offensichtlich wollte sie nicht darüber reden. Doch Po hätte es gerne gewusst.

„Was war denn passiert, nachdem man dich entführt hat?“

Yin-Yu deutete auf Shenmi. Sie wollte nicht in ihrer Gegenwart darüber sprechen. Po nickte verständnisvoll aber auch ein bisschen enttäuscht.

„Ich kann nur eines sagen“, fügte Yin-Yu leise hinzu. „Sie ist verrückt.“

„Das hab ich gemerkt“, grummelte Po und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. „Wer ist schon so plemplem und wirft mit seinen langen Ärmeln um sich?“

Yin-Yu senkte den Blick. „Es ist noch viel mehr als das. Und ich befürchte, dass sie uns töten wird.“

Po hob die Augenbrauen. „Tja, dann stellt sich nur die Frage: Was machen wir jetzt? Auf dem Schiff werden wir leicht zu finden sein. Wo sollen wir hin, oder wohin sollen wir uns verstecken?“

Eine Weile saßen alle auf ihren Plätzen und schwiegen. Jeder machte sich seine eigenen Gedanken. Sie hoben erst wieder die Köpfe, als der Arzt mit dem König wieder an Deck kam.

„Wie geht es ihm?“, fragten Po und Yin-Yu gleichzeitig.

Der Affe rieb sich die noch feuchten Hände vom Händewaschen. „Die Blutung war zum Glück nicht in einem lebenswichtigen Organ gewesen, dennoch sollte er vorerst kein Sport treiben…“

„Kann ich zu Papa?“, fragte Shenmi.

„Er wird noch eine ganze Weile schlafen“, meinte der Arzt.

„Keine Sorge“, meldete sich Po zu Wort. „Ich geh schon mit ihr“, und nahm die Kleine an die Hand. Doch bevor er mit ihr das Deck verließ, wollte er noch eines wissen.

„Aber was machen wir jetzt? Wir müssen uns vor ihr verstecken.“

Der Hunnenkönig wiegte den Kopf. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wir können vielleicht auch über die Grenze gehen. Da wird sie uns nicht folgen können.“

„Die Geckos hatten aber eine Genehmigung für einen Übergang“, gab Liu zu Bedenken. „Sie können sich bestimmt mit einer neuen List über die Grenze schleusen. Auf diese Art und Weise haben sie auch Xiang entführt… Nebenbei bemerkt, Doktor, könnten Sie ihn sich nicht vielleicht mal ansehen?“

Der Affe beugte sich über den teilnahmslosen blauen Pfau und wedelte mit der Hand vor dessen ausdruckslosen Augen. „Schock. Eindeutig“, lautete seine Prognose. „Der Zwischenfall hat ihn völlig aus der Bahn geworfen.“

„Wie lange kann so ein Zustand dauern?“, wollte Liu wissen.

Doch der Arzt zuckte die Achseln. „Das ist extrem unterschiedlich. Man kann nur auf die kürzeste Zeit hoffen.“

Po rieb sich die Stirn, aber nicht wegen Xiangs Zustand, sondern wie sie sich vor Chiwas Geckos verbergen konnten.

„Hey!“, rief er. „Wie wäre es mit dem Schafdorf?“, schlug er vor.

Die Anderen sahen ihn verwundert an.

„Das Dorf in den bewaldeten Bergen?“, hakte Wang nach.

Po nickte. „Da haben wir uns schon mal versteckt.“

„Das ist aber nicht zu weit von der Stadt entfernt“, gab Wang zu bedenken.

Der Panda hob den Kopf. „Vielleicht wird sie gar nicht damit rechnen, dass wir uns dort aufhalten und wird uns weiter entfernt vermuten.“

„Das könnte riskant werden“, wandte Huan ein.

„Nicht wenn wir sofort aussteigen und das Schiff einfach weiterfahren lassen“, meinte Po. „Ich bin sicher, dass wir auf die Verschwiegenheit der Mannschaft zählen können und vielleicht haben wir bis dahin schon einen Plan ausgeheckt wie wir ihr das Handwerk legen können.“

„Du willst gegen sie antreten?“ Yin-Yu hatte da ihre Bedenken. „Du hast sie doch heute gesehen. Mit ihr ist nicht zu Spaßen.“

„Eben deshalb werden wir uns einen Plan überlegen müssen“, entgegnete der Drachenkrieger.

„Kann ich jetzt zu Papa?“, drängte Shenmi.

Mit einem Lächeln nahm der Panda sie auf den Arm. „Na klar. Wir werden eh bald von Bord gehen. Das Schafdorf ist nicht mehr weit von hier entfernt.“
 

Während die anderen über Pos Plan nachgrübelten, begab sich der Panda mit dem weißen Pfauenmädchen nach unten in die große Schiffskabine.

Shen lag immer noch auf dem großen Tisch und war mit einer Decke zugedeckt. Auf leisen Sohlen näherte sie sich. Po ließ Shenmi ganz dicht an Shens Kopf. Das Mädchen schlang ihre Flügel um seinen Hals. Der weiße Pfau wachte zwar nicht auf, doch er schien ihre Gegenwart zu spüren. Für einen Moment beschleunigte sich seine Atmung, dann flachte sie wieder ab.

Nachdenklich beobachtete der Panda die Tochter und ihren Vater. Manchmal fragte er sich, wie Shen ihr beibringen wollte, dass er mal ein ganzes Dorf ausgelöscht hatte. Doch Po verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Irgendwann würde es zwar Zeit sein, dass sie es erfuhr, aber nicht heute.
 

Wie abgesprochen legte das Schiff an der Stelle an, an der sie schon zuvor angelegt hatten. Eilig verließen die Passagiere das Schiff, sodass es schnell wieder weiterfahren konnte. Einen längeren Zwischenstopp konnten sie sich nicht erlauben.

Shen wurde auf einer Trage getragen, um nicht seinen frischen Wunden zu schaden. Liu ging mit Shenmi neben ihm her. Am liebsten wäre das Mädchen bei ihrem Vater auf der Trage, doch Yin-Yu nahm sie mahnend beiseite.

„Lass deinen Vater schlafen“, flüsterte sie ihr zu. „Er braucht Ruhe.“

Po, der ebenfalls neben der Trage herging, die von Wang und Huan getragen wurde, schaute sich immer wieder suchend um.

Egal wer auch immer vor hatte sie anzugreifen, er würde auf jeden Fall nicht zulassen, dass der Familie etwas passierte.

Die zwei Soldaten, die ebenfalls mit ihnen von Bord gegangen waren, schleppten den blauen Pfau mit sich mit. Liu folgte ihnen mit besorgtem Blick, ständig im Auge behaltend, dass Xiang während des Marsches wieder zu sich kommen würde.
 

Die Bergschafe hatten zum Glück nichts gegen eine erneute Beherbergung alter Gäste, nur bei Xiangs Anwesenheit waren sie etwas überrascht. Während man Shen in eines der Wohnhäuser unterbrachte, war Wang der Meinung, Xiang besser von den anderen zu isolieren.

Eines der Schafe bot eine kleine Hütte an, die meist für die Lagerung von Gartengeräten verwendet wurde. Wang hielt es für eine gute Idee und die Soldaten verfrachteten ihn dorthin sobald ein Teil der Gerätschaften rausgeräumt wurde, sodass man für den Pfau zumindest eine Ecke fand, wo er sich auf einem improvisierten Bett niederlassen konnte. Anschließend schlossen sie die Hütte ab und die zwei Soldaten postierten sich davor.

Nachdem das erledigt war, konnte Liu nicht anders und sprach Wang direkt an.

„Was werden Sie mit ihm machen, falls er wieder bei Bewusstsein ist?“, wollte sie von dem Hunnenkönig wissen.

Wang schien selber nicht zu wissen, was er von der ganzen Situation halten sollte, weshalb er eine neutrale Antwort gab.

„Wir warten erst mal ab“, sagte er schließlich und begab sich zu den Wohnhäusern.

Liu sah ihn besorgt nach.
 

Tongfu war nicht gerade guter Laune als er den Berg hochkraxelte auf dem Pfad, den Chiwa ihm genannt hatte.

„Ich hoffe, der ganze Aufwand lohnt sich“, knurrte er.

Seine Gefolgsleute folgten ihm mit der gleichen Stimmung.

Plötzlich sprang dem Anführer eine schwarze Gestalt auf einen Felsen.

„Wer will sich hier Zugang ins Reich der Toten verschaffen?“, schnarrte eine düstere Stimme.

Tongfu schnaubte. „Lassen Sie den Humbug. Lady Chiwa hat den Befehl erteilt, dass du und dein Pack uns fliegst. Und zwar umgehend!“

Die Gestalt entfaltete ihre großen Schwingen. „Aha, Lady Chiwa, eine nette Dame. Dass Sie und ihre Schwester damals uns ihren toten Mann überlassen hat war schon eine nette Geste gewesen. Obwohl sein Fleisch nicht gerade sehr schmackhaft gewesen war.“

Dieser schwarze Humor langeweilte Tongfu nur noch mehr.

„Nun mach schon“, drängte der Gecko. „Ich hab hier nicht den ganzen Abend Zeit, sonst machst sie uns noch Feuer unterm Hintern.“

Die schwarze Gestalt trat ins Mondlicht und enthüllte die Form eines Geiers.

„Ich gehe dann mal davon aus, dass für uns dabei etwas rauspringt, oder?“, erkundigte sich der Geier amüsiert.

Der Gecko verdrehte die Augen. „Wenn das den Reisestart verkürzt, sie wird euch eventuell ein kleines Opfer reichen. Wir werden eh ein paar Passagiere mitnehmen, da wird es nicht auffallen, wenn mal einer fehlt.“

Der Geier klapperte mit dem Schnabel. „Und wohin soll die Reise gehen?“

„Nach Gongmen.“



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