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Orientierte Offenbarung

von

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Leibwächter

„Ich bin fertig!“ Stolz sah Jodie auf die Akte und schloss diese. Die frisch ausgebildete FBI Agentin streckte sich und begann im nächsten Augenblick ihren Hals und den Anfang ihres Nackens zu massieren. Ihr zweiter Fall – auf den sie fast zwei Wochen warten musste – war nicht ohne gewesen, aber sie hatte ihn erfolgreich abschließen können. Dieses Mal durfte sie sogar mehr machen, als nur den Lockvogel zu spielen und abzuwarten. Sie konnte sich aktiv mit einem Täterprofil auseinandersetzen und Erfahrungen sammeln, die ihr später im Umgang mit anderen Kollegen noch nützlich sein werden konnten. Allerdings war sie noch immer auf die Unterstützung ihres Partners angewiesen. Doch mittlerweile fühlte sie sich von ihm akzeptiert und traute sich auch über die Schwierigkeiten bei der Arbeit zu reden. Außerdem unterstützte sie ihn bei seinen offenen Fällen, auch wenn es hieß, dass sie sich um die Nachbereitung seiner Akten kümmerte und mit Kollegen über die Einzelheiten sprach.

Jodie hatte lange gebraucht um damit klar zu kommen, dass ihr Vater von einer Organisation heimtückisch ermordet wurde. Anfänglich hatte sie zwar immer wieder versucht im Internet sowie im Archiv des FBIs an Informationen von damals zu kommen, aber nach den sehr belehrenden Gesprächen mit Shuichi war sie zu dem Schluss gekommen, die Füße erst einmal still zu halten. James schien von ihren Ausflügen ins Archiv zu wissen, doch er hielt sich zurück. Oft hatte sich Jodie vorgestellt, wie sie ihn mit den Fakten konfrontierte, aber auch wenn sie häufig vor seiner Tür stand, hatte sie sich doch nicht getraut. Im Nachhinein war sie darüber froh gewesen, denn es hätte nur zu Problemen während ihrer Arbeit geführt. Aber war diese Unwissenheit wirklich besser? Auch mit ihrer Mutter hatte sie bislang kein Wort gewechselt und die Arbeit als Ausrede für ihre fehlenden Besuche vorgeschoben. Immer wenn sie die Unsicherheit über ihre Entscheidung überkam, redete sie sich selbst ein, dass es zum aktuellen Zeitpunkt am besten war. Wenigstens Akai hatte ihr seine Unterstützung zugesagt, allerdings wusste Jodie nicht was sie tun würde, würde ihr Partner gegen die Organisation ermitteln dürfen und sie nicht. Allerdings handelte es sich dabei um Zukunftsmusik und so konnte sie nichts anderes tun als abzuwarten und eigene Erfahrungen zu sammeln. Dennoch beschäftigte Jodie eine Frage: Wie sollte sie gegen die Organisation ankommen, wenn es nicht einmal ihr Vater geschafft hatte?

„Mhm?“ Shuichi sah zu ihr. „Bis du den nächsten Fall bekommst, kann es noch einige Wochen dauern“, entgegnete er. Es gab Tage und Wochen an denen die Kriminalitätsrate nach oben schoss, aber auch Zeiten an denen nichts passierte. Erfahrene Agenten arbeiteten oftmals an mehreren Fällen parallel, aber den Neulingen halste man noch nicht so viel Arbeit auf. Akai wusste allerdings auch, dass seine Kollegen mit ihren Neulingen anders umgingen, aber schließlich musste er ein Auge auf Jodie haben. Mittlerweile war er mit ihr warm geworden und sie bewies ihm, dass sie sich nicht nur auf ihrem Namen ausruhte. Aber er fühlte sich auch für Jodie verantwortlich und sie hatte sogar seinen Beschützerinstinkt geweckt. Außerdem war er sich weiterhin unsicher, ob sie nicht bereits in Gefahr schwebte. Zwar hatte er seinen Verdacht seinem Vorgesetzten mitgeteilt, aber seitdem war nichts passiert. Er hatte weder das Gefühl, dass sie beobachtet wurden, noch gab es unerklärte Anschläge. Leider ließ ihn auch das FBI weiter im Dunkeln tappen – besonders was die Vergangenheit von Agent Starling anging. Nach außen zeigte er sich davon unbeeindruckt, aber in Wahrheit brodelte es in seinem Inneren. Sobald er zu Hause war, versuchte er auf eigene Faust Informationen zu sammeln. Und wenn er schon seinen Vater nicht finden konnte – wobei er nach all den Jahren nicht mehr daran glaubte, dass dieser noch am Leben war – konnte er Jodie wenigstens dabei helfen die Wahrheit über ihren Vater herauszufinden.

„Das habe ich mir schon gedacht“, begann Jodie ruhig. „Und es ist in Ordnung für mich.“

Shuichi schaute sie irritiert an.

„Die Menschheit entwickelt sich mit jedem Augenblick weiter. Oftmals handelt es sich dabei leider um eine Veränderung die uns nicht gefällt, aber es ist auch unsere Aufgabe den Menschen zu helfen. Als ich hier anfing, war die Aufklärung des Mordes an meinem Vater mein primäres Ziel. Selbstverständlich wollte ich auch anderen Opfern helfen und ich habe tatsächlich für einen kurzen Moment gedacht, dass das FBI nur auf jemanden wie mich gewartet hat. Mittlerweile weiß ich aber, dass jeder seinen Anteil leistet und dass Zeit ein wichtiger Faktor bei unserer Arbeit ist. Wir dürfen uns weder zu viel noch zu wenig Zeit lassen. Jede Handlung kann zu einem Fehler führen. Daher werde ich meine freie Zeit dafür nutzen, um meine Fähigkeiten weiter auszubauen und mich zu verbessern.“

Akai nickte verstehend. Vermutlich hatte Jodie bereits mit vielen Kollegen gesprochen und ebenso viele Erfahrungsberichte gehört. Er freute sich, dass sie sich nicht nur auf ihren Vater fixierte, doch seinem Äußeren konnte man keine Gefühlsregung entlocken. „Ich fahr heute Nachmittag zum Schießstand. Wenn du möchtest, kannst du mitkommen und mir zeigen, ob du dich verbessert hast.“

Jodie zögerte einen Moment. Ihre Schießfähigkeiten waren zwar nicht schlecht und sie traf ihr Ziel auch, allerdings auch nur dann, wenn es sich nicht bewegte. Als ihr Partner die Parameter der Zielscheiben veränderte und sich die Ziele bewegten, versagte sie auf ganzer Linie. Einige Schüsse – er nannte sie Zufälle – trafen ihr Ziel, doch die Mehrheit war nicht einmal annähernd in der Nähe gewesen. Bei ihrem ersten Versuch argumentierte Jodie mit ihrer Nervosität, doch schon bald musste sie sich der Wahrheit stellen. Und in der Realität blieb ein Verdächtiger oder Täter auch nicht einfach stehen. Jodie hatte zwar damit gerechnet, dass Shuichi ihr eine Predigt hielt, doch stattdessen gab er ihr gutgemeinte Ratschläge und Hinweise. Sie nahm sich jeden davon zu Herzen und trainierte auch noch nach Feierabend. „Ich bin dabei“, antwortete sie in der Hoffnung, dass es nicht in einer Katastrophe enden würde.

Als es einige Minuten später an der Tür klopfte, blickte das Agentenpaar gleichzeitig dorthin. „Herein“, kam es schließlich von Akai.

Ein älterer Agent betrat den Raum. „Agent Akai, Agent Starling, schön Sie beide hier zu sehen“, grüßte er.

„Agent Gibson“, murmelte Shuichi und schaute auf das Schriftstück in dessen Hand. „Was führt Sie zu uns?“

Agent Gibson hatte sich bereits vor einigen Jahren aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und war innerhalb der Niederlassung für die Verteilung der eingehenden Fälle verantwortlich. Er schmunzelte. „Agent Akai wie er leibt und lebt. Sie kommen immer direkt zum Punkt“, entgegnete der Ältere. „Agent Starling wurde für einen Auftrag angefordert.“

Jodie blickte ihren Kollegen erstaunt an. „Ich wurde…für einen Auftrag angefordert?“

Auch Shuichi wurde hellhörig. „Warum ausgerechnet Starling?“, wollte er wissen.

Agent Gibson zuckte mit den Schultern. „Wir wissen, dass Agent Starling bisher nur zwei Fälle hatte und Sie bei einigen Aufgaben unterstützt hat. Dennoch wurde sie für diesen Auftrag angefragt.“

Akai runzelte die Stirn. „Auftrag…“, murmelte er. „Das heißt, es gibt keinen Toten und Starling soll was tun? Leibwächter sein? Undercover ermitteln? Interviews geben? Sie sollten nicht vergessen, dass Starling noch nicht genügend Erfahrung mit anderen Aufträgen gesammelt hat.“

„Sie wird das schon schaffen, Agent Akai“, gab Gibson von sich. „Ich kann Ihre Sorgen verstehen, aber irgendwann muss sie auch auf eigenen Beinen stehen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Sie Agent Starling von hier aus unterstützen werden.“

Shuichi verengte die Augen. Es gefiel ihm nicht, wenn er im Büro bleiben musste, während sich Jodie möglicherweise in Gefahr brachte. „Gut, worum geht es?“

„Agent Starling soll als Leibwächter auf eine Schauspielerin aufpassen“, entgegnete Gibson.

„Ich verstehe“, sagte Shuichi und sah zu seiner Partnerin. „Traust du dir das zu?“ Zwar kannte er die Antwort bereits, hoffte aber, dass sie doch anders ausfiel.

Jodie nickte. „Natürlich“, antwortete sie. „Agent Gibson, wann startet der Auftrag?“

„Sofort.“ Gibson räusperte sich. „Ehrlich gesagt, können Sie diesen Auftrag nicht ablehnen, daher haben wir Ihnen die Daten bereits per E-Mail geschickt. Sie fahren in der nächsten Stunde zum Set und melden sich dort bei Mister Jefferson. Vor Ort werden Sie vermutlich einen Geheimhaltungsvertrag unterschreiben müssen. Lassen Sie uns diesen so schnell wie möglich zukommen. Danach werden Sie für etwa zwei Wochen die Arbeit des Leibwächters übernehmen.“

„Nur für zwei Wochen?“, wollte Jodie irritiert wissen. „Ein Filmdreh dauert doch normalerweise länger als zwei Wochen.“

„Das ist richtig“, nickte Gibson. „Der eigentliche Leibwächter wurde verletzt und muss daher ersetzt werden.“

„Ich verstehe“, gab Jodie von sich. „Ich mach mich gleich auf den Weg.“

„Danke, wenn Sie noch Fragen haben, kommen Sie ruhig zu mir“, sagte der Ältere und verließ das Büro.

Jodie nickte und sah dem Agenten nach. Anschließend blickte sie zu Shuichi. „Du siehst nicht begeistert aus.“

Selbstverständlich hatte Shuichi den Zusammenhang zwischen Jodies Auftrag und dem Auftrag ihres Vaters gesehen. War das nur Zufall oder nicht sogar Absicht? Sofort malte er sich die verschiedensten Szenarien aus und wollte Jodie gar nicht gehen lassen. „Mhm…pass einfach auf dich auf. Du denkst zwar, dass die Arbeit als Leibwächter einfach ist, aber es gibt immer bestimmte Schwierigkeiten. Wir wissen nicht, was deinem Vorgänger passiert ist, daher kann es gefährlich werden. Ich erwarte, dass du dich heute Abend bei mir meldest und wir deine Erkenntnisse durchsprechen. Danach treffen wir uns zu einem regelmäßigen Austausch.“

„Verstanden“, murmelte Jodie und rief die E-Mail ihres Kollegen auf. Sie schrieb sich die Adresse des Filmstudios auf und fuhr ihren Computer runter. „Also dann…“ Die Agentin stand auf, zog ihre Jacke an und nahm die Tasche. „Wünsch mir Glück. Vielleicht bring ich dir sogar ein Autogramm mit.“

„Viel Glück.“

Überrascht schaute sie zu ihm, musste dann aber lächeln. Jodie verließ das Büro, ging zum Fahrstuhl und fuhr mit diesem nach unten in die Tiefgarage. Sie ging zu ihrem Wagen, öffnete die Tür und stieg ein. Ihre Tasche legte sie auf den Beifahrersitz, ehe sie sich anschnallte und den Motor startete. Schnell tippte Jodie die Adresse in das Navigationsgerät und fuhr los.

Nachdem sie etwa 20 Minuten später am Studio ankam, wurde sie von einem Sicherheitsmann zu ihrem Auftraggeber gebracht. Jodie musterte diesen. „Guten Tag, ich bin Agent Starling“, stellte sie sich vor. „Ich wurde für einen Auftrag angefordert und soll mich bei Mister Jefferson melden.“

Dave Jefferson war ein Mann Mitte 30 und Manager verschiedener Schauspieler. „Ich bin Mister Jefferson“, antwortete er und beobachtete Jodie akribisch. „Entschuldigung, ich hab nicht damit gerechnet, dass Sie so…jung sind.“

Jodie lächelte. „Mein Alter steht in keinem Verhältnis zu meinen beruflichen Fähigkeiten. Sie können sich auf jeden Fall auf mich verlassen.“

Er schmunzelte. „Das ist gut zu hören. Darf ich fragen, woher Sie Miss Vineyard kennen?“

„Ich kenne sie nicht“, antwortete Jodie ehrlich.

„Oh“, murmelte Jefferson. „Ich dachte, Sie wären mit ihr befreundet oder würden Sie von anderen Ermittlungen kennen, schließlich hat Miss Vineyard darauf bestanden, dass Sie die Aufgabe hier übernehmen.“

Überrascht starrte Jodie ihn an. „Tut mir leid, aber ich wüsste nicht, wann ich Sharon Vineyard je getroffen hätte. Soweit ich weiß, war sie auch nie in einen Fall bei uns involviert.“

Jefferson kicherte. „Wir drehen hier mit Chris Vineyard und wollen sie genau so groß raus bringen, wie ihre Mutter.“ Er sah sich um. „Ah, da ist sie ja. Chris? Kommst du bitte zu uns?“

Die Schauspielerin kam zu den Beiden. „Was gibt es denn, Dave?“, wollte sie wissen. Sie schaute zu Jodie und lächelte.

„Ich wollte dir deinen neuen Leibwächter vorstellen“, fing er an.

„Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Miss Vineyard. Ich bin Agent Starling. Sie können sich auf mich verlassen. Wenn es irgendwas gibt, was ich für Sie tun kann, zögern Sie bitte nicht.“

Chris runzelte die Stirn und musterte Jodie irritiert. „Sie sind…Agent Starling?“

Jodie nickte. „Das bin ich.“

Die Schauspielerin brauchte einen Moment um sich zu fangen. „Bitte entschuldigen Sie, Agent Starling, ich bin einfach nur überrascht, dass man Sie geschickt hat. Ich hatte mit einem älteren Mann gerechnet.“

Jodie schluckte. „Sie haben vermutlich mit meinem Vater gerechnet, Miss Vineyard“, gab Jodie von sich. „Er ist leider vor vielen Jahren verstorben und ich bin in seine Fußstapfen getreten. Wenn Sie allerdings lieber einen anderen Agenten haben wollen, kann ich das mit meinem Vorgesetzten klären.“

„Nein nein, nicht nötig“, entgegnete Chris. „Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen. Agent Starling, es tut mir leid, aber ich muss zurück zum Dreh. Ich würde mich gern danach noch mit Ihnen unterhalten. Natürlich kriegen Sie die Zeit auch bezahlt.“

Jodie lächelte. „Das ist kein Problem.“



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