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Orientierte Offenbarung

von

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Nachbesprechung

Auch drei Tage später hatte Shuichi noch ein ungutes Gefühl, wenn er zurück an Jodies Lockvogeleinsatz dachte. Auch wenn sie sicherlich einiges in ihrer Ausbildung gelernt hatte, war sie noch neu und hatte keinerlei Erfahrung. Außerdem hatte sie noch nie mit einem erfahrenen Kollegen zusammen gearbeitet. Sie würde erst noch lernen müssen was es hieß, sich auf ihr Bauchgefühl und auf ihren Partner zu verlassen. Leider brauchte es dafür mehr Erfahrung. Dennoch wollte er sie noch nicht dieser Gefahr aussetzen. Nicht so schnell.

Allerdings wusste Shuichi, dass er Jodie nicht auf Dauer vom aktiven Dienst fernhalten konnte und irgendwann würden auch seine Vorgesetzten Fragen stellen. Selbstverständlich hatte Akai gewusst, dass die anderen Neulinge bereits viel mehr machen durften, doch Jodie hatte bislang noch kein einziges Mal gemeckert. Daher hatte er auch keine andere Wahl, als das FBI vom NYPD für einen Fall angefragt wurde. Trotzdem hatte ihn Jodie überrascht. Zwar war es seine Idee, seine Partnerin als Lockvogel einzusetzen, aber nur weil sie im Büro eine große Klappe hatte, konnte es dennoch heißen, dass sie sich bei ihrem ersten Fall zurück hielt und erst einmal nur zuschauen wollte. Wenigstens war Jodies Einsatz letzten Endes doch sehr kurz gewesen und ihr war nichts passiert.

Dennoch gab es noch sehr viele Ungereimtheiten und zu viele offene Fragen bei diesem Fall. Mit der Art und Weise wie er den Serienmörder traf, wurde er überrascht. Es war beinahe so, als wäre der Mann mit Absicht in ihn reingelaufen. Und dann hatte er noch versucht ihn zu erschießen, aber Akai war ihm zuvor gekommen. Trotzdem konnte der Serienmörder fliehen und ging Shuichi durch die Lappen.

Aber die größte Überraschung kam, als der Serienmörder gefunden wurde – tot. Hatte sich Akai tatsächlich beim Schuss vertan und für den tödlichen Ausgang gesorgt? Oder war doch etwas gänzlich anderes passiert? Irgendwas passte in dem gesamten Konstrukt nicht zusammen. Außerdem hatte sich Akai am Ende auch noch beobachtete gefühlt. Doch bis auf die Agenten und Polizisten war keiner vor Ort gewesen. Shuichi ließ es extra überprüfen. Aber das komische Gefühl war immer noch da.

Akai verschränkte die Arme vor der Brust und schloss seine Augen. Er ließ den gesamten Abend abermals Revue passieren. Wieder hatte er die gleichen Gedanken und Bedenken. Oder gab es vielleicht doch zwei Serienmörder? Arbeiteten diese auch noch zusammen? Und was war mit dem Haar, welches an einem anderen Tatort sichergestellt wurde? Wurde es mit Absicht dort liegen gelassen oder war es wirklich nur ein Zufall aufgrund einer Unachtsamkeit? Normalerweise arbeitete ein Täter mit langen Haaren anders und versuchte keinen Hinweis auf seine Identität zu hinterlassen. Oder fühlte er sich einfach viel zu sicher? Und was war mit dem Zeugen? Hatte er den Serienmörder wirklich gesehen oder steckte etwas Anderes dahinter? Selbst wenn, warum machte der Täter auf einmal derartige Fehler? Oder war es wirklich Absicht? Wollte er geschnappt werden oder verfolgte er einen anderen Plan? Sollte er vielleicht mit Jodie über seine Gedanken sprechen oder würde er sie damit nur verwirren?

Jodie betrat das Büro. Langsam fühlte sie sich beim FBI immer wohler. Es konnte aber auch daran liegen, dass sie endlich aktiv mitarbeiten konnte. Sie fühlte sich willkommen und freute sich auf den Arbeitstag. „Der Bericht ist da“, fing sie an. „Ich habe kurz reingeschaut und die Vollständigkeit überprüft. Das NYPD hat uns alles hinzugefügt, was sie hatten. Außerdem sind auch der Obduktionsbericht und der Bericht der Spurensicherung dabei.“

„Auch der Ort, wo ich den Serienmörder getroffen hab?“, wollte der Agent wissen und öffnete seine Augen.

„Ja, auch von dort“, entgegnete Jodie ruhig. „Ich hab mir auch die Freiheit rausgenommen und eine Kopie gemacht, dann kann ich sie parallel zu dir lesen.“

„Mhm…“, murmelte Shuichi und nahm die Akte entgegen. Er blätterte sie durch und runzelte die Stirn.

„Stimmt was nicht?“, fragte Jodie und setzte sich auf ihren Platz. Bisher hatten sie noch nicht über ihren gemeinsamen Fall gesprochen. Hauptsächlich lag es an ihrem Partner, der andauernd schwieg, egal was sie sagte. Jodie schlug die erste Seite ihrer Kopie auf.

„Wie fandest du deinen ersten Einsatz?“, fragte der Agent.

Hätte Jodie gerade einen Schluck Wasser genommen, hätte sie dieses schockiert ausgespuckt. Wollte ihr Partner tatsächlich über den Fall sprechen und ihre Meinung wissen? Hatte er die ganze Zeit über gewartet, damit sie sich die Akte gemeinsam ansehen konnten? Jodie lächelte leicht. Sie freute sich, dass er sich endlich auch nach ihrem Befinden erkundigte. „Ehrlich gesagt hatte ich am Anfang tatsächlich ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache. Natürlich wusste ich, dass ich vom FBI nicht aus den Augen gelassen werde, aber es kann immer etwas Unerwartetes passieren. Du weißt ja, ich bin noch nicht so lange dabei und mir fehlt noch die Erfahrung im Außeneinsatz. Aber ich geb mein Bestes und irgendwie war ich doch froh gewesen, als ich nicht auf den Serienmörder getroffen bin.“ Jodie stockte. „Äh…also so…meinte ich das nicht. Ich will nicht sagen, dass ich Angst oder so hätte…aber…ich…also…“

Akai nickte verstehend. „Ich weiß, was du meinst. Jeder Agent ist nervös, wenn er das erste Mal in den Außeneinsatz geschickt wird. Trotzdem brauchst du die Erfahrung und die wirst du ab jetzt bekommen.“

Jodie traute ihren Ohren nicht. „Danke“, murmelte sie leise.

Shuichi blätterte auf die nächste Seite der Akte. „Mhm…es gibt keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen den bisherigen Opfern. Das heißt, wir müssen tiefer graben.“

Jodie sah ihn erstaunt an. „Aber der Serienmörder ist doch tot“, warf sie ein. „Wollen wir die Familien der Opfer wirklich noch weiter quälen? Sie wollen doch bestimmt mit allem abschließen.“

„Das weiß ich auch. Aber es gibt noch zu viele Fragen“, entgegnete Akai und blätterte erneut weiter. „Die Obduktion des Mannes ergab, dass die Schusswunde tödlich war. Ich bin mir immer noch sicher, dass ich auf eine ganz andere Stelle gezielt habe.“ Er blätterte auf die nächste Seite.

„Wir konnten die Identität des Mannes klären. Er hatte keine Geschwister, Zwillinge sind damit ausgeschlossen.“

„Die Kugel die in der Leiche gefunden wurde, könnte aus einer Waffe des FBIs stammen“, murmelte er. „Leider wurde am Fundort der Leiche keine auffällige Person ausfindig gemacht. Ich bin am nächsten Morgen nochmal dorthin gefahren“, gestand er schließlich.

„Du bist…und warum?“

„Es bringt nichts, wenn man sich den Ort des Geschehens nur aus einer Perspektive ansieht. Wenn doch könnte es passieren, dass einem wichtige Hinweise entgehen. Selbst die Spurensicherung kann Indizien übersehen. Oder sie stufen diese nicht als Indizien ein. Und mit einem neuen Blickwinkel gibt es auch neue Ideen. Manchmal hilft es auch, wenn man sich in den Täter hineinversetzt und das Geschehene noch einmal Revue passieren lässt, während man dort ist. Am Anfang lernt ein Agent, dass er am besten nach Lehrbuch agieren sollte. Das belassen wir auch weiter so, denn du musst erst die Routine lernen. Aber es ist auch wichtig, dass du eigenständige Entscheidungen triffst, lernst dich auf dein Bauchgefühl zu verlassen und weißt wie man überlebt.“

Jodie schwieg.

„Du bist ja so still“, stellte der Agent fest.

„Äh…naja…du hast mir am ersten Tag gesagt, dass ich dich nicht in Frage stellen soll. Daran halte ich mich nur.“

Akai lachte.

„Was ist denn so witzig daran?“

„Schon gut“, entgegnete Shuichi. Mit einer solchen Antwort hatte er wahrlich nicht gerechnet. „Wie ich bereits sagte, ich war am nächsten Morgen am Ort des Geschehens und habe mir alles angesehen. Der Ort wo ich den Serienmörder angeschossen habe, war zu sauber für eine Gasse. Dennoch konnten wir ein wenig getrocknetes Blut sicherstellen. Selbstverständlich besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass es nicht das Blut des Serienmörders ist, aber ich wollte trotzdem sicher gehen. Es gibt zwei interessante Tatsachen dabei.“

„Die da wären?“, wollte Jodie wissen.

„Es gibt keine Blutspur. Aber wie kann das sein? Und wie kann der Ort so sauber sein, wenn unsere Leute die ganze Zeit in der Nähe waren? Wenn wir Pech haben, werden wir das nie herausfinden.“ Shuichi sah zu ihr. „Das untersuchte Blut weist keine Ähnlichkeiten zum Blut unseres Toten auf. Ich hab auch eine Abfrage gestartet, ob wir die DNA im System haben. Fehlanzeige.“

„Mhm…“, gab Jodie nachdenklich von sich. „Vielleicht gehört es einer anderen Person, die an einem anderen Tag dort war…oder denkst du, dass einer unserer Leute mit dem Serienmörder unter einer Decke steckt und die Beweise manipuliert hat?“

„Das wäre eine Option“, stimmte der Agent zu. „Ich habe am nächsten Tag in der Zeitung gelesen, dass Yukiko Kudo und Sharon Vineyard am Abend Gäste im Musical gewesen sind. Beide Frauen sind Schauspielerinnen und sehr gut darin, in andere Rollen zu schlüpfen. Allerdings hat Sharon Vineyard diese Fähigkeit perfektioniert. Gib ihr eine Maske und sie kann jede Person nachmachen. Sie hat diese Gabe an ihre Tochter Chris weitergegeben. Weil das Musical in der Nähe war, habe ich es kurz für möglich gehalten, dass Sharon Vineyard in die Rolle unseres Täters geschlüpft ist.“

„Aber schafft man das auch in der Kürze der Zeit?“, wollte Jodie wissen.

„Die Zeit hätte gereicht. Der Darsteller wurde auf der Bühne ermordet“, erzählte Akai. Der Täter wurde am gleichen Abend verhaftet und das Musical beendet. Zeitlich würde es passen.“

„Aber sie ist doch Schauspielerin. Welches Motiv hätte sie?“

Akai zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Es war auch nur eine Möglichkeit, die ich in Betracht gezogen habe. Ich möchte am Anfang lieber viele verschiedene Aspekte in Erwägung ziehen und nicht stur nur einen Weg für möglich halten.“ Shuichi blätterte auf die letzte Seite. „Nachdem was hier drin steht, wird der Fall geschlossen.“

Jodie nickte verstehend. „Das heißt, es ist vorbei?“

„Ja“, antwortete der Agent. „Aber auch wenn ein Fall abgeschlossen ist, wenn du denkst, dass irgendwas nicht stimmt, solltest du weiter recherchieren. Und du solltest deinen ersten Fall nie vergessen, auch wenn er sehr schnell beendet war.“

„Das tu ich nicht“, murmelte Jodie. Sie hatte sich eigentlich mehr von ihrem ersten Fall erhofft, aber Jodie wusste, dass sie nicht alles haben konnte.

„Ich habe dir an deinem ersten Tag gesagt, dass ich erst sehen will was du kannst, ehe ich dich aktiv mitarbeiten lasse. Jetzt ist es doch anders gekommen und du wirst immer mehr mitarbeiten können. Allerdings werde ich mir vorher ansehen, was du kannst und wo deine Stärken liegen. In der nächsten Woche werden wir uns morgens immer im Park treffen und zusammen laufen gehen. Danach fahren wir zum Schießplatz und du zeigst mir wie Zielsicher du bist. Anschließend werden wir daran arbeiten deine Sinne zu schärfen. Hast du damit ein Problem?“

„Nein, hab ich nicht“, antwortete die Agentin. „Ich bin ehrlich gesagt sogar froh, denn ich möchte nicht nur im Büro sitzen und nichts tun.“

„Gut“, nickte Akai. „Wenn du dich dabei gut anstellst, kannst du es weit bringen und ich übergebe dir deinen ersten eigenen Fall.“

„Das würde mich wirklich sehr freuen.“

Shuichi schlug die Akte zu. „Abgeschlossen“, murmelte er nicht überzeugt. Trotzdem würde er den Fall nicht ruhen lassen. „Lass mir deinen Bericht zu dem Fall so schnell wie möglich zukommen.“

„Ja“, gab Jodie von sich.

Akai hasste Berichte. Sie waren zwar wichtig, damit andere Agenten alle notwendigen Informationen bekamen, aber wenn er sie selbst schreiben musste, waren sie einfach nur Zeitfresser. Shuichi öffnete das Textprogramm und begann zu Tippen.

Dieser Blick, sagte er sich. Es wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Als er aus dem Augenwinkel zu Jodie sah, schein es, als hätte er einen Geistesblitz. Galt der Blick vielleicht gar nicht ihm? War Jodie möglicherweise das wahre Opfer? Aber warum? Sie war neu beim FBI und hatte sich noch keinen Namen gemacht.

Shuichi stockte. Sie nicht, aber ihr Vater. Akai runzelte nachdenklich die Stirn. Oder hat jemand mit ihrem Vater noch ein Hühnchen zu rupfen?, fragte er sich. Doch wie wahrscheinlich war es? Der Agent war bereits seit Jahren tot. Shuichi verengte die Augen und stand auf. Wurde sie vor Beginn ihrer Tätigkeit beim FBI noch von einer anderen Person beobachtet?

Jodie sah irritiert zu ihm. „Willst du doch heute schon anfangen?“, wollte sie wissen.

„Nein“, antwortete Akai. „Wenn jemand fragt, bin ich unten im Archiv.“ Viele Akten waren mittlerweile zwar digitalisiert worden, aber die Älteren lagen noch in der Papierform vor.

Jodie nickte verstehend. „Soll ich dir beim Suchen helfen?“

„Nicht nötig“, gab der Agent von sich und ging aus dem Büro. Mit dem Fahrstuhl fuhr Shuichi in den Keller. Als er vor der Tür zum Archiv stand, zog er seine Karte durch und betrat den großen Raum. Unverzüglich ging er an einen der Computer und tippte den Namen von Jodies Vater ein.



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