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Die Götter hassen mich

von

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Neuer Alltag

Heidrun unterwies die neuen Schüler gnadenlos im Nahkampf, während Mala sich um Hicks kümmerte. Nachdem er ihr erklärt hatte, dass sie von Angriffen auf seine Flügel und Kehle absehen sollte, hatte auch Ohnezahn wieder weniger Probleme damit, Mala an Hicks heranzulassen. Er nahm es ihr zwar immer noch übel, dass sie ihn zu diesem Kampf gezwungen hatte, aber ihm war der Sinn ihrer Übungen durchaus klar.

Malas Art zu Kämpfen unterschied sich stark von seiner eigenen, aber nichtsdestotrotz gab der Erfolg ihr Recht und hier und da erkannte er auch Parallelen zwischen ihren Stilen. Daher beteiligte er sich bereitwillig, als Mala damit begann, Hicks zu zeigen, wie er Flügel und Schwanz im Kampf als Waffen einsetzen konnte, anstatt sie als hinderlich zu erachten.

In diesem Punkt erwies sich Hicks' Gabe – die Schwingen verbergen zu können – als eindeutiger Nachteil. Er war es nicht gewohnt, sie dauerhaft als Teil seines Körpers bewegen und handhaben zu müssen, und stellte sich entsprechen unbeholfen damit an.

„Nun, zu deinen Klauen werden wir wohl ein andermal kommen müssen“, stellte Mala mit einem Blick in den rötlichen Abendhimmel fest und Hicks stieß erleichtert die Luft aus. Den ganzen Nachmittag hatte Mala ihn mit ihrem Training gequält und die ganze Zeit über hatte er dabei das zusätzliche Gewicht seiner Flügel tragen müssen, die er nun endlich unter Aufwendung seiner letzten Kraftreserven zurück in seinen Körper zwang.
 

Nach dem Training liefen alle Rekruten zum Essen in die große Halle und so auch die Berkianer.

„Nimm es Mala bitte nicht übel. Sie ist nicht gut darin, mit Drachen zu sprechen, und hasst es, diese Schwäche anderen gegenüber offenzulegen.

Es ist ihr einziger Makel, aber es ist ein Talent, das jeder Paratei außer ihr zumindest rudimentär beherrscht“, erklärte Heidrun Hicks auf dem Weg. „Es ist ihr schlichtweg unangenehm an etwas so Grundlegendem zu scheitern. Bitte sprich sie nicht weiter darauf an.“

In Hicks' Kopf routinierten unaufhörlich die Zahnrädchen. Selbst Mala hatte also Schwächen und wenn er jetzt genauer darüber nachdachte, dann hatte er sich schon vorher darüber gewundert, dass sie als Paratei den Blickkontakt mit Drachen so vehement mied.

„Meinst du, sie wird es mir übelnehmen, dass ich sie das gefragt hab?“

„Nein, ich denke nicht. Aber erwähne es lieber nicht nochmal und verlass dich nicht darauf, dass sie deinen Nachtschatten ohne deine Hilfe versteht. Sie ist zwar nicht völlig unbegabt darin, aber sie sagt immer, dass die Bilder und Gefühle für sie selten Sinn machen würden.“

Das passte durchaus zu Mala. Sie war elitär, diszipliniert und strikt – kein Wunder also, dass es ihr schwerfiel, sich auf mentaler Ebene mit einem ungestümen, wilden und impulsiven Drachen zu verbinden.

Mala verließ sich auf ihren Verstand, und Drachen auf ihren Instinkt. Das waren schlichtweg zwei völlig unterschiedliche Lebenseinstellungen, und Malas eisernes Denkmuster, machte es ihr unmöglich sich in die emotionale Welt eines Drachens hineinzuversetzen. Dafür mangelte es ihr wohl an der nötigen Empathie und Anpassungsfähigkeit. In diesem Punkt war ihre sonstige Stärke eine Schwäche.

„Eigentlich ganz logisch“, murmelte Hicks unbewusst vor sich hin und fing sich so Heidruns fragenden Blick ein. Kurz fasste er ihr seine Gedanken zusammen und erntete einen verwunderten Blick von ihr.

„Das kann auch nur jemand wissen, der wie ein Drache denken kann. Valka hat mir genau das gleiche gesagt, als ich sie danach gefragt habe.“ Bei der Erwähnung dieses Namens flammte in Hicks eine Frage – oder viel mehr eine Befürchtung – auf, die er unbedingt noch loswerden musste.

„Machst du dir eigentlich keine Sorgen, dass eure Anführerin... also... Es wäre doch für die Jäger einfacher, sie ein für alle mal aus dem Weg zu räumen.“

„Das könnten sie schon, aber sie werden Valka nicht töten. Die Jäger kämpfen nicht um ihre Existenz oder für ihre Überzeugung, sondern für Geld. Sie fangen Drachen und verkaufen sie entweder lebendig an Sammler oder Arenen, oder töten sie und verkaufen ihre Haut, Zähne, Knochen und Flügel als Trophäen oder Rohstoffe.

Ihr menschlichen Paratei gebt nicht viele Rohstoffe her, aber ihr seid selten und habt einen hohen Wert, wenn man euch an Sammler oder eine Kampfarena verkauft. Sie werden Valka also weder verletzen noch töten. Das würde ihren Verkaufswert mindern.

Und bis sie den Höchstbietenden gefunden haben, werden sie Valka in ihrer Basis gefangen halten. Solange haben wir also noch Zeit, bevor sie wer-weiß-wo landet.“ Heidrun sprach zwar rational und überlegt, aber Hicks konnte die Sorge in ihrer Stimme dennoch hören. Sie vertraute ihrer Mentorin, aber Angst um ihre Sicherheit hatte sie trotzdem.

Unwillkürlich überwanden Hicks' Gedanken die tagelange Flugreise über das offene Meer und glitten zurück nach Berk zu seinem Vater und seinem Stamm. Sein schlechtes Gewissen biss ihn erneut und er hoffte inständig, dass alle durchhalten mögen bis ihre kleine Truppe mit den Platoniern zurückkehren würde.

Ein sanfter Stoß gegen seine Schulter ließ Hicks aus seinen Gedanken hochschrecken und direkt in zwei giftgrüne Reptilienaugen blicken, die ihn besorgt musterten.

„Schon gut. Ich war mit den Gedanken nur gerade woanders“, versuchte er ihn mit einem Lächeln zu beruhigen und fuhr mit den Fingern einmal durch die dichten, schwarzen Haare. Ohnezahn lehnte sich genießerisch in seine Hand und krallte sich im Leinen von Hicks' Tunika fest. Unwillkürlich zuckten Hicks' Mundwinkel ein wenig nach oben. Er hatte seinen Paratei heute ein wenig vernachlässigt und das, obwohl er so duldsam die Schmiede, seine endlosen Gespräche und das Training ertragen hatte. Und zu allem Überfluss würde auch ihr Abendflug heute ausfallen müssen, da Ohnezahns Prothese ja noch nicht fertig war.
 

Als Hicks am Abend wieder in seiner Unterkunft ankam, ließ er sich schwer aufs Bett fallen und breitete einladend die Arme aus. Sofort nahm Ohnezahn dieses nonverbale Angebot an, kuschelte sich in Hicks' Schoß und wickelte seinen Schwanz um dessen Taille.

Er hatte Hicks heute viel zu selten für sich gehabt. Er war zwar die ganze Zeit an seiner Seite gewesen, aber dessen Aufmerksamkeit hatte ständig irgendwem oder irgendetwas anderem gegolten, also genoss er die Zuneigung seines Paratei nun umso mehr und schmiegte sich genüsslich an seine Wange.

Hicks entlockte dieses Verhalten nur ein sanftes Schmunzeln. Er kannte das ja nicht anders von seinem Nachtschatten und konnte es inzwischen auch nicht nur nachvollziehen, sondern tatsächlich verstehen. Wenn Malas Ausführungen der Wahrheit entsprachen – und davon ging er aus – dann sollte er Ohnezahn in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken, und besser auf ihn achtgeben sollte er auch. Unwillkürlich klingelte ihm Heidruns Standpauke wieder in den Ohren und er drückte seinen Paratei ein wenig enger an sich.

„Tut mir leid, dass ich dich heute so durch den Tag geschleift hab. Und vor allem die Sache mit der Schmiede. Ich mach morgen Früh gleich deine Prothese fertig und dann kannst du wieder fliegen. Solange kannst du ja bei Astrid und Sturmpfeil bleiben. Ich beeile mich. Versprochen.“ Aufmunternd leckte Ohnezahn ihm über die Wange und brachte Hicks damit erneut zum Kichern. „Ich weiß ganz genau, dass du mir das heute übelgenommen hast, also rede dich jetzt nicht raus.“ Sofort verstärkte sich Ohnezahns Griff um seinen Oberkörper und Hicks verlor in Folge dieser Überschwänglichkeit prompt das Gleichgewicht und kippte lachend hintenüber.

„Das war heute alles ein bisschen viel für mich. Danke, dass du so geduldig warst.“ Liebevoll kraulte er seinen Nachtschatten hinterm Ohr. „Morgen können wir auch wieder unseren Abendflug machen. Versprochen.“

Freudig zuckten Ohnezahns Flügelspitzen. Er hatte einen zwanglosen Flug in der frischen Abendluft wirklich nötig und dass es Hicks genauso ging, konnte der nicht vor ihm verbergen.

Aber vorerst würden er auf dem Boden bleiben müssen, bis Hicks seine Prothese wieder zusammensetzte, also nutzte er die Zeit anderweitig und leckte behutsam über den alten Schnitt auf der Wange seines Paratei.

Er war inzwischen fast verheilt, aber Ohnezahn wollte kein Risiko eingehen und zu früh mit seiner Fürsorge aufhören. Außerdem schien Hicks dieses Spiel zu genießen, also würde er es ihm nicht nehmen, sondern ließ seine gespaltene Zunge gewissenhaft über jede noch so kleine Blessur im Gesicht seines Paratei gleiten.

„Du bist heute aber besonders gründlich.“ Belustigt sah Hicks zu seinem Nachtschatten hoch, der ihn prüfend musterte, und kraulte dessen Hinterkopf. Müde ließ Ohnezahn sich auf seine Brust sinken und genoss die sanften Berührungen, bis ihm schließlich die Augen zufielen.

Hicks hingegen hing noch eine kleine Weile lang seinen Gedanken nach. Der heutige Tag hatte ihm viel zum Nachdenken und Zweifeln gegeben. Es gab noch so viel, was er nicht wusste und was er nicht konnte. Wie sollte er das alles nur rechtzeitig lernen, um erst die Herrin von Platon und dann endlich seinen Stamm zu befreien?

Gedankenverloren ließ er die schwarzen Haarsträhnen durch seine Finger gleiten und starrte im Halbdunkeln die Zimmerdecke an, bis auch er irgendwann in einen tiefen Schlaf sank.
 

Am nächsten Morgen machte Hicks sein Versprechen wahr und machte sich gleich nach dem Aufstehen auf den Weg in die Schmiede. Ohnezahn missfiel es zwar, brav bei Astrid warten zu müssen während Hicks an der Prothese arbeitete, aber er hatte nicht unbedingt eine andere Wahl, wenn er wieder fliegen wollte ohne in der Schmiede sein Gehör zu verlieren.

„Du bist gut mit so Pfriemelkram, oder Bursche?“, sprach der bullige Schmied Hicks irgendwann unvermittelt an und warf dabei betont beiläufig einen anerkennenden Blick auf dessen Arbeit.

„Bin ich“, bestätigte Hicks und überprüfte stolz die Funktionalität seines Werkes.

„Dann kannst'e hiermit vielleicht mehr anfangen als ich. Ich bin ein hervorragender Waffenschmied, aber dieser Kleinkram is mir über. Damit kann ich nich.“ Aus der Ecke seiner Schmiede holte er eine abgenutzte, beschlagene Truhe ohne Deckel und stellte sie geräuschvoll vor Hicks ab. „Ich schmelze das Zeug der Jäger ein, mit dem wir nix anfangen können – Fallen, Fesseln, Geschosse und so – aber dieser Kram is so klein, dass das bisschen Metall die Mühe nich wert is, die ich bräuchte um es von Verunreinigungen zu befrei´n.

Keine Ahnung, ob das was für dich is, aber ich brauch´s nich.“ Interessiert kramte Hicks in der Truhe herum und fand etliches an filigranen Einzelteilen, Federn und Scharnieren aus dem grünlichen Metall der Drachenjäger. Und tatsächlich kam ihm bei diesem Anblick sofort die ein oder andere Idee.

Hicks war im Flug inzwischen zwar recht wendig, aber er war auch schutzlos und auf die Distanz nicht zu einem Angriff in der Lage. Einen Schild, Bogen oder eine Armbrust mit in die Luft zu nehmen kam allerdings nicht in Frage. Sie waren zu groß und unhandlich und würden ihn im Flug behindern, aber vielleicht konnte er ja eine Lösung für dieses Problem finden, wenn er die nötigen Kleinteile nicht alle erst in einem zeitaufwendigen Prozess selbst herstellen musste.
 

Als Hicks vorerst in der Schmiede Schluss machte und zu den anderen in die Arena stieß, erwartete Ohnezahn ihn schon sehnsüchtig. Sofort ließ der Astrid einfach stehen, die ihn erneut zu ihrem Trainingspartner auserkoren hatte, um seinen Paratei zu begrüßen und sich endlich wieder die künstliche Membran anlegen zu lassen, mit der er eine solche Hassliebe verband.

Hicks verlor beinahe das Gleichgewicht, als Ohnezahn ihn so überschwänglich umarmte und sich an seine Wange schmiegte, doch sehr zügig wand er seine Aufmerksamkeit der Konstruktion unter dessen Arm zu und zupfte ungeduldig an der Prothese.

„Das war ja klar. Ich wusste, dass das deine Priorität ist“, lachte Hicks wissend auf und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden am Rand der Arena. Ohnezahn verstand sofort, gesellte sich zu ihm und legte seinem Paratei auffordernd seine Schwanzflosse in den Schoß. Routiniert zog Hicks die Riemen der Prothese fest und überprüfte gewissenhaft deren Halt. „Ich hab ein bisschen dran gefeilt, also lass es ruhig angehen und gewöhn´ dich erst mal an das neue Modell, verstanden?“

Testweise ließ Ohnezahn die künstliche Flosse sich ein paar mal öffnen und schließen, schien zufrieden damit und leckte Hicks zum Dank einmal über die Wange. „Schon gut, mein Freund.“

„Woher stammt diese Verletzung?“, fragte Heidrun schließlich mit einer Mischung aus Sorge und Mitleid, und machte Hicks damit erst darauf aufmerksam, dass er und Ohnezahn von der gesamten Arena beobachtet wurden.

„Tja das... also...“ Nervös kratzte er sich am Hinterkopf und wich den Blicken der anderen Rekruten, Drachen und vor allem Mala und Heidrun aus. „Das war meine Schuld. Ich hab ihn runter geschossen und dabei Ohnezahns Membran verletzt.“ Die Gesichtszüge der anderen entgleisten und selbst Heidrun blieb ihre Standpauke im Halse stecken.

„Auf Berk kämpfen Drachen und Wikinger noch miteinander, wir wussten es nicht besser“, schaltete sich Astrid zu seiner Rettung ein. Auch sie und die anderen Berkianer hatten sich die frühere Feindschaft mit den Drachen vorzuwerfen, auch wenn sie im Gegensatz zu Hicks noch keiner fertiggebracht hatte, tatsächlich einen Drachen zu verletzen.

„Das glaub ich ja nicht. Den eigenen Paratei... sowas unverantwortliches.“ Schuldbewusst sah Hicks zu Boden, doch Ohnezahn rieb aufmunternd den Kopf an seiner Wange. Hicks hatte ihm diese Geschichte schon längst gestanden, sich etliche Male dafür entschuldigt und Ohnezahn hatte ihm das Ganze nach und nach verziehen. Auch das war einer der Gründe für seine Hassliebe zu der Prothese.

Dankbar gab sich Hicks der tröstlichen Berührung hin und auch Heidrun und Mala schienen den Vorfall so langsam zu relativieren. Ihre Neuankömmlinge waren eben nicht mit dem Wissen aufgewachsen, das sie hier auf Platon lehrten, und die Drachen schienen ihren Partnern diesen Umstand nicht übel zu nehmen, also sollten sie nicht all zu streng mit ihnen sein.

„Die Pause ist vorüber“, wies Mala ihre Schüler subtil darauf hin, dass sie ihr Training fortsetzen sollten, und die gehorchten sofort und nahmen ihre Übungen wieder auf. Da sich die Situation nicht weiter anzuspannen schien, gab sich Ohnezahn wieder seinem Instinkt hin und zog auffordernd an Hicks' Tunika.

„Hm? Achso. Mala? Nimm es mir bitte nicht übel, aber können wir nachher trainieren? Ich soll Ohnezahn ja nicht allein lassen und der wird keine Ruhe geben, bis er endlich mal wieder fliegen konnte.“ Etwas überrascht zog Mala die Augenbrauen hoch.

Es war ihr unverständlich, dass Hicks den Instinkten seines Nachtschattens nachgab, anstatt sich mit Logik durchzusetzen, doch sie hatte inzwischen längst akzeptiert, dass dieses Paratei-Paar eher Valka und Wolkenspringer ähnelte und Malas disziplinierte Herangehensweise bei Hicks und Ohnezahn wohl die falsche wäre. Also gab sie nach.



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