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Die Götter hassen mich

von

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Scherben

„Lange nicht gesehen, alter Freund.“ Ein breites, hämisches Grinsen lag auf Alvins Lippen, während er den geschlagenen Anführer von Berk betrachtete, der nun gefesselt von seinen Leuten gehalten wurde. „Ich dachte erst, die Götter seien mir nicht gut gesonnen, nachdem meine Nachhut aufgehalten wurde, aber dann fiel mir ein Sieg nach dem anderen in die Hände.

Du liegst in Ketten, deine Krieger sind hier in der Arena eingesperrt, die paar Kinder und Invalide, die versuchten zu fliehen, sind meinen Männern geradewegs in die Arme gerannt und obendrauf haben meine Leute noch einen ganz besonderen Fang an Land gezogen.“ Alvin führte Haudrauf zu einem der Käfige in der Arena, der etwas abseits der anderen lag.

In diesem lag ein hilfloses, nasses Etwas, dass sich auf dem Zellenboden zusammengerollt hatte und sich unter schwarzen Drachenflügeln verbarg.

„Der Nachtschatten?“ Haudrauf war sichtlich verwirrt. Natürlich war es eine beeindruckende Leistung einen Vertreter dieser Art zu fangen, aber Alvin hatte soeben eine ganze Insel eingenommen, also warum zeigte er ihm einen Hybriden?

„Nicht so ganz.“ Schwungvoll schlug Alvin mit der Rückseite seiner Axt auf das metallene Gitter und brachte es damit klangvoll zum singen. Das Scheppern klingelte in den Ohren, hallte durch die Arena und ließ jeden in dessen Innerem erschrocken aufblicken – so auch das schwarze Bündel in der Zelle vor Haudrauf.

Die Gestalt richtete sich mühevoll ein Stück weit auf, die schwarzen Flügel rutschten nach unten und gaben somit den Blick auf deren Besitzer frei.

„Hicks?!“ Haudrauf traute seinen Augen nicht. Da war sein vermisster Sohn, mit Flügeln auf dem Rücken, dem Schwanz eines Drachens, Schuppen an den Schläfen und Krallen an den Fingerspitzen.

„Der Junge gehört also wirklich zu dir. Und deinem dämlichen Gesicht entnehme ich, dass du keine Ahnung davon hattest. Der Tag wird ja immer besser.“

„Vater, ich...“ Hicks musste ihm so viel erklären, sich für so viel entschuldigen, doch der niederschmetternde Ausdruck in den Augen seines Vaters ließ jedes Wort in seiner Kehle ersticken.

„Hat sich ziemlich gewehrt, der Bursche. Der arme Sven wird wohl nie wieder sehen können“, erklärte Alvin mit einem schmetternden Lachen und deutete auf Hicks Hände, an denen noch immer etwas Blut klebte.

Hicks hatte es genau gewusst und seinem Vater deshalb nichts gesagt. Er sah in ihm nur ein Monster, eine Laune der Natur und nicht mehr seinen Sohn, eine Strafe der Götter.

In Haudraufs Augen mischten sich Verzweiflung, Enttäuschung, Feindseligkeit und Abscheu.

„Ihr könnt euer Familiendrama später austragen.

Erstmal will ich mit dir, Haudrauf, ein nettes Gespräch unter Freunden führen. Wir haben uns so lange nicht gesehen, da müssen wir doch einiges nachholen.“ Während Hicks wieder in sich zusammensank und sich unter seinen Flügeln versteckte, führte Alvin Haudrauf weiter.
 

„Was war das da im Käfig? Was hast du mit meinem Jungen gemacht?“

„Das war dein Junge. Du musst die Götter wirklich verärgert haben, dass sie dich strafen, indem sie deinen Sohn verfluchen.

Ich hab davon gehört. Wikinger, die sich in Hybride verwandeln und Drachen befehligen können. Erst dachte ich, du wärst mir zuvorgekommen und hättest herausgefunden, wie man diesen Fluch herbeiführen kann, aber wie es aussieht, weißt darüber noch weniger als ich.

Aber um der alten Zeiten Willen werd ich´s dir erklären.

Jenseits des Archipels gibt es eine Insel namens Platon. Die Menschen dort haben herausgefunden, wie man diesen Fluch auslösen kann, und sind mit seiner Macht zu den ungeschlagenen Herrschern in ihrem Teil der Welt geworden.

Und genau das will ich auch. Eigentlich wollte ich Berk nur überfallen um alte Rechnungen zu begleichen und Arbeiter zu erbeuten, aber nun ist mir genau hier der Schlüssel zur Macht von ganz allein in die Hände gefallen.

Und dann ist dieser Schlüssel auch noch ausgerechnet dein Sohn, Haudrauf. Die Götter müssen mich wirklich zu ihrem Lieblingskind gemacht haben. Alles was ich anfasse, gelingt mir.

Ich hab zwar auch von einigen unangenehmen Nebenwirkungen gehört, aber wenn meine Leute anfangen den Verstand zu verlieren und sich nach und nach in echte Drachen zu verwandeln, dann wird mir schon etwas einfallen, um sie loszuwerden oder selbst dann noch gewinnbringend einzusetzen.“ Schon wieder erfüllte das unerträgliche Lachen Alvins die Luft und ließ Haudraufs Blut in den Adern gefrieren.

Sollte sein Sohn wirklich dieses Schicksal erleiden? Würde er zu einer dieser Bestien werden? Sein Hicks? Anderseits hatte die Gestalt in dem Käfig mit dem Blut an den Klauen und den schwarzen Schwingen auf dem Rücken nicht mehr all zu viel Ähnlichkeit mit seinem zierlichen, unfähigen Jungen.

„Dein Bursche wird mir das Geheimnis früher oder später verraten. Dafür sorge ich schon.

Aber keine Angst – dir und deinen Leuten wird nicht langweilig werden. Sobald die Schiffe wieder startklar und dein Dorf geplündert ist, legen wir ab.

Krieg ist teuer und verschlingt Unmengen an Rohstoffen. Ich kann also immer fleißige Hände in meinen Mienen, Schmieden und beim Bau der Schiffe gebrauchen.“ Alvin ließ erneut sein kratziges Lachen erschallen, und lähmte Haudraufs Gedanken.

Sein Kopf und Herz waren so sehr mit den neusten Entwicklungen der Situation überfordert, dass er kein einziges Wort hervorbrachte, aber Alvin schien das nicht weiter zu stören. Er redete und redete einfach immer weiter ohne auf eine Reaktion seitens Haudraufs zu warten.

„Aber nun haben wir lange genug miteinander in alten Zeiten geschwelgt. So langsam sollte ich mich deinem Junior und seinem kleinen Geheimnis zuwenden.

Solange kannst du es dir ja in einem der Käfige gemütlich machen, alter Freund.“ Mit diesen Worten ließ Alvin Haudrauf von einem seiner Männer abführen und machte sich auf den Weg zu Hicks.
 

Als er dort ankam, saß Hicks noch immer auf dem Boden, die Beine an die Brust gezogen, die Stirn auf die Knie gelegt und die Flügel um den Körper gefaltet.

Ihm war zum Heulen zumute – sein Vater verachtete ihn, er hatte keine Ahnung wo seine Freunde steckten und ob es ihnen gut ging, und sein Paratei war seit ihrem Absturz verschwunden. Hicks war von Alvins Leuten aus dem Wasser gezogen und eingesperrt worden, aber Ohnezahn war wie vom Erdboden verschluckt.

Erneut sah Hicks vor seinem geistigen Auge, wie sein Paratei neben ihm aus der Luft gerissen wurde und in die unerbittlichen Tiefen des Meeres stürzte. Wenn er dem fesselnden Seilgeschoss, das ihn getroffen hatte, nicht rechtzeitig entkommen konnte, dann war Ohnezahn vermutlich im Meer ertrunken.

Energisch schüttelte Hicks den Kopf. Nein, daran durfte er nicht mal denken.

Es ging ihm bestimmt gut und wenn er es nur irgendwie schaffte zu entkommen, würde sein Paratei bereits auf ihn warten. Ganz sicher.

Erneut riss ihn Alvins Schlagen auf die Gitterstäbe hochfahren und seinen Peiniger aus glasigen Augen entschlossen anfunkeln. Er würde nicht aufgeben – ganz egal wie elend ihm momentan zumute war, und wie sehr sein Körper schmerzte und vor nasser Kälte zitterte. Er war ein Wikinger Berks und er würde Alvin ihre berühmte Sturheit spüren lassen.

„Wie´s aussieht hast du immer noch Kampfesmut. Sehr gut. Es wäre bedauerlich, wenn du es mir zu leicht machen würdest.

Trotzdem hoffe ich, dass unser Gespräch nicht so einseitig abläuft, wie das mit deinem Vater. Haudrauf ist ja so viel schweigsamer als ich ihn in Erinnerung habe.“ Alvin erwartete wohl eine Reaktion, aber Hicks schluckte nur stumm seine Verzweiflung runter und starrte ihn weiterhin wütend an.

„Schade. Wie der Vater, so der Sohn. Aber ich finde schon einen Weg dich zum Reden zu bringen.

Ich habe einige Theorien gehört, wie es möglich sein soll den Fluch auszulösen, aber keine davon würde ich einer halben Portion wie dir zutrauen. Also sag mir, was hast du gemacht?

Welche Geschichte ist wahr?

Muss man das Blut eines Drachens an Vollmond trinken?

Die Eier eines Drachens essen?

Sich eine vollständige Kluft aus der Haut eines einzigen Drachens gerben?“ Hicks lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Das waren Alvins Theorien? Das würde er seine Leute tun lassen, um eine Armee von menschlichen Drachen auf die Beine zu stellen?

Hicks verbarg sein Entsetzen und schwieg. Natürlich hätte er Alvin die Wahrheit sagen können – dass sein Plan zum Scheitern verurteilt war, dass man keine Paratei erschaffen konnte, dass es keinen Fluch gab und er niemals über das Inselreich herrschen würde. Aber was hätte er davon?

Alvin würde ihm nicht glauben oder ihn als nutzlos ansehen und töten. Also würde Hicks das Spiel mitspielen und eisernes Schweigen bewahren.

Eine ganze Weile redete Alvin noch auf ihn ein, bis er es schließlich fürs erste aufgab.

„Ich hab nicht viel Geduld, Bursche. Überleg` dir, ob du nicht doch lieber freiwillig mit mir reden willst, sonst wirst du es spätestens morgen bereuen“, waren seine letzten Worte gewesen, bevor er Hicks wieder sich selbst und seinen quälenden Gedanken überlassen hatte.
 

„Verflucht! Wie konnte das Ganze nur so schief laufen?“ Kochend vor Zorn und Hilflosigkeit warf Astrid zielsicher ihre Axt in einen der nahen Baumstämme.

Sie, Rotzbakke und Fischbein waren mit ihren Drachen in die Bucht geflohen als Berk fiel. Die Zwillinge waren nur wenig später auf ihrem Zipper zu ihnen gestoßen und berichteten in ihrer wirren Art, dass eine Handvoll von Alvins Leuten den Trupp der Evakuierten abgefangen und problemlos übermannt hatte.

Wären die Rekruten, wie von Haudrauf angeordnet, vor Ort gewesen, hätten sie die feindlichen Angreifer zurückschlagen und zumindest einen Teil von Berks Bewohnern retten können, aber allein hatten die Zwillinge keine Chance gehabt.

Hätten Kotz und Würg sie nicht im letzten Moment vom Boden aufgelesen und in Sicherheit gebracht, säßen auch Raffnuss und Taffnuss nun in den Käfigen der Arena fest.

Von Hicks hatte weiterhin niemand etwas gehört oder gesehen und auch Ohnezahn war wie vom Erdboden verschluckt. Bis jetzt.

Urplötzlich verließ Sturmpfeil Astrids Seile und schnellte am Strand entlang zur Engstelle, die die Bucht vom Meer trennte. Zielsicher hüpfte die Hybridin über die Felsen im abflachenden Wasser und zog mühevoll ein schwarzes Bündel aus den Wellen.

„Hicks?“ Hoffnung und Angst kämpften in Astrids Stimme miteinander. Hakenzahn überwand mit nur einem einzigen Flügelschlag die Distanz zu Sturmpfeil, half ihr den Körper an Land zu ziehen und brachte ihn sicher an den Strand.

Der Riesenhafte Albtraum überragte Astrid selbst in seiner Gestalt als Hybrid um mehr als zwei Köpfe, was ihm kombiniert mit seiner beeindruckenden Spannweite erlaubte, Ohnezahn mühelos zu tragen.

In Astrid kämpften etliche gegensätzliche Gefühle miteinander – Enttäuschung, dass es doch nicht Hicks war, Angst, was mit ihrem Freund wohl geschehen war, aber auch Erleichterung darüber, dass es zumindest Ohnezahn einigermaßen gut zu gehen schien. Er war zwar erschöpft, zerschrammt, klitschnass und eiskalt, aber er atmete und trug augenscheinlich keine schwereren Verletzungen am Körper.
 

Als Ohnezahn wieder zu sich kam, lag er unter Hakenzahns wärmenden Flügel. Sofort fuhr er hoch und sah sich suchend um. Alle waren in der Bucht versammelt. Der ganze Trupp. Nur Hicks fehlte. Panisch sah er zu Sturmpfeil, doch auch sie konnte ihm nicht sagen, was mit seinem Paratei passiert war.

„Ohnezahn, ganz ruhig.“ Vorsichtig kniete Astrid sich neben den aufgewühlten Nachtschatten und streckte ihre Hand nach ihm aus.

Noch immer ziemlich aufgelöst und desorientiert ließ er sich von Astrid den Kopf streicheln und etwas beruhigen. „Schon okay. Hicks geht es bestimmt gut.

Du kennst ihn doch, er lässt sich nicht so leicht unterkriegen.“ Astrid konnte keine Verbindung zu ihm aufbauen, aber Ohnezahn war inzwischen recht gut darin, die gesprochenen Worte der Menschen zu deuten. Dadurch dass Hicks zumeist auch aussprach was er seinem Paratei mitteilen wollte, hatte Ohnezahn inzwischen ein recht akzeptables Repertoire an Begriffen und Phrasen, die er zuverlässig verstand, und auch menschliche Mimik und Gestik waren ihm inzwischen nicht mehr fremd.

Daher verstand er Astrid in groben Zügen, als sie ihm erzählte, was passiert war. Und er verstand auch Rotzbakkes zynischen Kommentar darüber, dass Astrid nun schon anfing wie Hicks mit Drachen zu sprechen.
 

„Falls Hicks Alvin in die Hände gefallen ist, wird er ihn vermutlich mit den anderen zusammen eingesperrt haben, oder?“, dachte Fischbein laut nach.

„Nicht wenn er ihn als Hybrid gesehen hat. Hicks kann sich alleine nicht ohne weiteres zurückverwandeln, schon gar nicht unter Stress. Aber Sturmpfeil und ich haben die Küste abgesucht und Hicks nirgends gefunden.

Er kann also nur bei Alvin sein“, spekulierte Astrid. Das war alles, was Ohnezahn wissen musste. Vor seinem geistigen Auge tauchte wieder das Bild des wettergegerbten Wikingers mit dem zerzausten, schwarzen Bart und der unangenehmen Ausstrahlung auf. Er würde seinen Paratei nicht in der Gewalt dieses Menschen lassen. Er würde ihn finden und beschützen.

Doch leider war Ohnezahns Wille das einzige, was noch stark an ihm war. Kaum versuchte er aufzustehen, befiel ihn ein unerträglicher Schwindel und beförderte ihn ohne Umschweife zurück auf den Boden.

„Ohnezahn, was hast du denn vor? Du bist völlig am Ende und musst dich erstmal ausruhen. Außerdem kannst du auch nicht einfach so zu Alvin fliegen. Die würden dich auch fangen.“ Astrid versuchte erneut nach Ohnezahn zu greifen, doch dieses mal ließ er es nicht zu.

Ein kurzes Fauchen reichte aus um die junge Wikingerin zusammenzucken und auf Abstand gehen zu lassen. Sturmpfeil nahm ihm dieses Verhalten ganz offensichtlich übel, aber Astrid beschwichtigte sie, bevor die beiden Drachen sich in die Haare kriegen konnten.

Seinen Plan verwarf Ohnezahn trotzdem – vorerst. Er war einfach zu erschöpft und fliegen konnte er momentan eh nicht.

Seine Prothese war zwar noch da und sah auf den ersten Blick auch nicht zu schlimm aus, aber das Salzwasser hatte den Gelenken zugesetzt und nun ließ sie sich nicht mehr schließen.

So würde Ohnezahn keine Kurven nehmen können und auch ansonsten kaum manövrierfähig sein.

Also zog er sich widerwillig in die kleine Höhle in den Klippen der Bucht zurück, rollte sich zusammen und fiel in einen unruhigen Schlaf.



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