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Dein rettendes Lachen

von

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Bunka no Hi

„Jaden! Jetzt komm schon, ich will nicht zu spät kommen!“ Die Stimme von Alexis hallte durchs ganze Haus, während ich mich schnell anzog. Ich kann doch auch nichts dafür, dass ich mich beim Frühstück aus Versehen mit Milch vollgekippt habe! Es dauerte eben etwas, ehe ich mich geduscht hatte. „Ich komm ja gleich!“ rief ich zurück. Schnell zwängte ich mich in meinen schwarzen Rollkragenpullover, während ich schon Richtung Tür lief und dabei über meine Sporttasche fiel. Mit einem lauten ‚Rumms‘ ging ich zu Boden und stöhnte auf. Vielleicht sollte ich mal aufräumen.
 

„Na endlich!“ beschwerte sich Alexis als ich im Flur angekommen war. Sie wippte nervös mit dem Fuß auf und ab und hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Blick war angriffslustig. Oh je, jetzt nur nichts Falsches sagen.

Meine Mutter legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Jetzt lass doch deinen Bruder in Ruhe. Wir kommen trotzdem noch pünktlich zu deiner Aufführung.“

„Ja, aber Mizuki wollte mir noch mit meiner Frisur helfen!“ Ich verstand die Aufregung nicht. Es sind nur Haare! Und so wie sie jetzt aussahen, standen sie ihr sowieso am besten.

„Lass sie doch einfach offen, wen juckts?“

Ein weiterer vernichtender Blick ließ mich zusammenzucken. Vielleicht hätte ich doch lieber den Mund gehalten. Mein Vater schob mich schnell aus der Tür. „Jetzt aber los, sonst finden wir keinen Parkplatz.“ Ausrede. Aber damit hatte er mich gerettet.
 

Alexis‘ Aufführung würde auf einer kleinen Freilichtbühne im Park stattfinden. Yusei wollte sich eigentlich dort mit uns treffen, aber ich konnte ihn nirgends entdecken. Alexis rannte zu ihrer Gruppe und meine Eltern wollten sich an dem kleinen Imbissstand einen Kaffee holen. Kurz nachdem meine Eltern losgegangen sind, hielt ich weiter Ausschau nach Yusei, aber der Park war recht voll, sodass ich ihn einfach nicht entdecken konnte.
 

„Hey, hier bist du.“

Ich würde diese Stimme aus tausenden wiedererkennen. Grinsend wandte ich mich um und gab ihm zur Begrüßung einen flüchtigen Kuss. „Entschuldige, wir sind meinetwegen spät dran. Hast du lange gewartet?“

„Nein, ich habe mich ein wenig umgesehen. Wusstest du, dass es hier heute Abend einen Showkampf mit Schwertern geben wird?“

„Echt? Cool, das müssen wir uns ansehen!“

Er schenkte mir ein warmes Lächeln und nickte. Wie sehr ich dieses Lächeln liebte.

„Crow schwirrt hier auch irgendwo herum. Er will sich ebenfalls die Aufführung ansehen.“

Ein Lachen konnte ich in diesem Moment beim besten Willen nicht unterdrücken. „Das hätte er nie gemacht, bevor er mit meiner Schwester zusammengekommen ist!“

„Das gehört doch dazu. Ich freue mich für die beiden.“

„Ich mich ja auch, aber wehe er kommt mir mal mit Details!“ Ein Schauer lief mir über den Rücken. Nein, ich wollte mir wirklich keine Eroberungsstorys von ihm anhören!
 

Nachdem meine Eltern wieder zu uns gestoßen sind, und wir auch Crow gefunden hatten, suchten wir uns Plätze, von denen aus wir die kleine Bühne gut sehen konnten. Ich interessierte mich wirklich kein Stück für diese Aufführung, aber meine Schwester spielte nun einmal die Hauptrolle, also musste ich mit. Die Gruppe spielte einige Ausschnitte aus Romeo und Julia. Ich verstand wirklich nicht so ganz, warum dieses Buch so großartig war. Wer zur Hölle bringt sich denn für seine erste Liebe um? Okay, ich war wirklich verdammt verliebt, aber so weit würde ich auch nicht gehen, wenn Yusei etwas zustoßen sollte. Und die beiden Hauptfiguren kannten sich wie lange? Ein paar Tage? Bei der Sterbeszene am Ende, in der meine Schwester diesen Romeo küssen sollte, verkrampfte sich Crows Gesicht ziemlich. Ich grinste. „Na, eifersüchtig?“ Mit zusammengebissenen Zähnen sah er mich an und versuchte zu lächeln, was eher einer gruseligen Grimasse ähnelte. „Ach was. Ich doch nicht!“ Innerlich lachte ich mich kaputt, aber ich versuchte wirklich mich zu beherrschen. Yusei schüttelte nur belustigt den Kopf.
 

~*~
 

„Das war Klasse!“ sagte Crow begeistert und lief auf Alexis zu, um sie in den Arm zu nehmen. Sie wurde etwas rot, bedankte sich und gab ihm einen Kuss. Wie gern würde ich Yusei einfach küssen, wann ich es wollte. Ob jetzt ein guter Zeitpunkt ist, es den anderen zu sagen? Ich schielte zu ihm herüber, aber er unterhielt sich gerade mit meiner Mutter. Nein, der Zeitpunkt war schlecht. Ich wollte den restlichen Tag mit ihm zusammen auf dem Stadtfest verbringen, und meiner Mutter nicht Rede und Antwort stehen müssen. „Das war sehr schön, mein Schatz!“ Ich drehte mich wieder um. Mein Vater sprach gerade mit Alexis. „Eure Mutter und ich wollen heute noch in die altägyptische Ausstellung gehen. Versprecht mir bitte, nicht zu spät nach Hause zu kommen.“ „Klar!“ sagte ich grinsend. Alexis nickte. Mein Vater bedachte Crow noch mit einem ernsten Blick und man konnte förmlich sehen, wie Alexis‘ neuer Freund darunter schrumpfte. Meine Schwester kicherte amüsiert und meine Eltern verabschiedeten sich von uns.
 

Crow beugte sich leicht zu mir, während Alexis den anderen noch beim Aufräumen half. „Alter, ich kenne euren Vater schon ewig, aber so hat er mich noch nie angesehen!“

Ich lachte. „Kannst du es ihm verübeln? Ich meine, nach Zane?“

Yusei sah mich fragend an.

„Alexis hatte vorher schon eine Beziehung, aber der Kerl war furchtbar! Arrogant, überheblich, unfreundlich, aber das zeigte er auf dem ersten Blick nicht.“

„Ja, und Alexis hat es ewig nicht geschnallt! Der Typ hat ihr verdammt weh getan. Zum Glück ist der nicht mehr an unserer Schule. Hat letztes Schuljahr seinen Abschluss gemacht und ist auf die Uni.“
 

Ich sah an Crow vorbei, während er redete. Auf Alexis kam ein ziemlich großer Typ mit langen, dunklen Haaren zu. Irgendwoher kannte ich ihn. Oh nein, das ist doch… „Apropos Zane“ zog ich die Aufmerksamkeit wieder auf mich und zeigte in die Richtung des Typen. „Ist er das nicht?“ „WAS?!“ rief Crow erschrocken und drehte sich um. Knurrend stapfte er schnellen Schrittes in seine Richtung. Oh je, das kann ja heiter werden.
 

„Sollten wir nicht hinterher?“ fragte Yusei. „Nicht, dass sich Crow jetzt mit ihm anlegt.“

Ich lachte auf. „Bei dem Temperament meiner Schwester mach ich mir eher Sorgen um Zane! Aber ja, du hast recht.“ Crow hatte schon etwas Vorsprung und war bei den beiden angekommen. Alexis registrierte erst in diesem Moment die Anwesenheit von Zane. Crow blaffte den Typen an, aber ich verstand nicht was er sagte. Alexis ging dazwischen, ehe wir angekommen waren.
 

„Was willst du?“ fragte sie Zane genervt.

Er hob abwehrend seine Hände und hatte wieder dieses schleimige Lächeln aufgesetzt. „Hey, ich komme in Frieden. Ich habe mir deine Aufführung angesehen. Du warst wirklich wundervoll.“

„Und warum sollte sie deine Meinung interessieren?!“

„Crow!“ Alexis warf ihm einen ernsten Blick zu. „Danke, aber ich kann das selbst regeln!“

Zane lachte. „Warum verteidigt dich der Zwerg so? Hast du etwa was mit ihm?“

Alexis sah ihn erhobenen Hauptes und mit verschränkten Armen an. „Warum sollte dich das was angehen?“

Sein Lächeln wurde höhnisch. „Wirklich? Der abgebrochene Meter? Eine Frau wie du hat doch was Besseres verdient. Ich bin eine wesentlich bessere Partie als er. Ich würde dich sogar wieder zurücknehmen, oder hast du unsere Zeit schon vergessen?“
 

Ich wollte mich schon einmischen, aber Yusei hielt mich mit seinem ausgestreckten Arm zurück. Ich sah ihn verwirrt an und er schüttelte nur leicht mit dem Kopf. Warum soll ich mich da raushalten? Der Kerl hat gerade meinen Freund beleidigt! Aber eigentlich hatte Yusei Recht. Das war nicht meine Sache und Alexis hat Crow schon klar gemacht, dass sie das allein regeln wollte. Etwas widerwillig entspannte ich mich wieder ein wenig und beobachtete die Situation weiter.
 

Alexis lächelte. „Nein, und ich bin dir wirklich dankbar dafür.“ Bitte was?! Crow und ich sahen sowohl überrascht, als auch schockiert zu meiner Schwester. Sie ging seelenruhig ein paar Schritte auf einen siegessicher grinsenden Zane zu, während sie weitersprach. „Dank dir weiß ich wirklich, was ich in meinem Leben nicht gebrauchen kann. Viel Spaß noch auf dem Stadtfest!“ Mit diesen Worten warf sie ihre Haare zurück, nahm Crow an der Hand und ging einfach weg. Das war schon eher meine Schwester! Ich grinste, streckte ihm einen kurzen Moment die Zunge raus, schnappte mir Yuseis Hand und folgte Alexis und Crow. Geschieht dem Typen Recht!
 

~*~
 

Wir standen am Rande des Getümmels auf der Straße zwischen einem Okonomiyaki*-Stand und einem kleinen Onigiri*-Wagen und warteten auf den Rest. Wegen Alexis‘ Abgang waren wir ziemlich früh am vereinbarten Treffpunkt. Ich hoffe sie beeilen sich, mein Magen beschwert sich jetzt schon, und dass wir hier zwischen den Imbissständen stehen, macht es nicht besser. Was würde ich jetzt nicht alles für ein paar frittierte Shrimps geben!
 

„Da kommen Jack und Carly“ sagte Crow plötzlich und ich folgte seinem Blick. Ich sah Jacks blonden Haarschopf einen halben Kopf aus der Masse herausragen. Dass Carly dabei war, hatte Crow sicher nur angenommen. Ich winkte ihm fröhlich zu und er entdeckte uns schnell. Als er aus der Masse herausgetreten war, sah ich auch Carly. „Ihr seid aber früh dran“ bemerkte sie lächelnd. Ich grinste breit. „Ja, Alexis hat uns alle ziemlich überrascht nach dem Auftritt!“ Ich könnte mich immer noch über Zanes dummes Gesicht lustig machen, spürte aber plötzlich Alexis‘ Ellbogen in meiner Seite. „Au!“ Gut, okay, erzähle ich es eben nicht!
 

„Dann fehlt eigentlich nur noch Aki“ meinte meine Schwester und sah sich um.

Carly schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat mir geschrieben, dass sie später dazukommt.“

Na, wenn das so ist! „Könnten wir uns erst was zu essen holen? Ich sterbe vor Hunger!“

„Oh ja!“ sagte Carly mit strahlenden Augen. „Ich hätte total Lust auf ein paar Onigiri mit süßer Bohnenfüllung!“

„Schau dir mal die Schlange an dem Stand an, da warten wir sicher eine halbe Stunde.“

Carly strahlte Jack immer noch an. „Aber es lohnt sich!“

Er seufzte leise und gab nach.

Alexis überlegte. „Also ich wäre ja eher für Okonomiyaki mit Früchten.“ Sie wandte sich an Crow. „Was willst du denn?“

„Ich hab da hinten einen Yakitori* Stand gesehen.“

Hm, klingt eigentlich auch nicht schlecht. Yusei sah ihn interessiert an. „Da wäre ich auch dabei.“
 

Da wir uns nicht auf eine Sache einigen konnten, teilten wir uns auf und wollten uns dann anschließend wieder am Ausgangspunkt treffen. Die Schlange vor den frittierten Shrimps war nicht sehr lang, also hatte ich mein Essen recht schnell. Als ich auf dem Weg zu Yusei und Crow war, stiefelte plötzlich Tanaka wütend an mir vorbei und warf mir noch einen Blick zu, als wolle er mir jeden Moment an die Gurgel. Was ist dem denn für eine Laus über die Leber gelaufen? Ich kam recht gut zum Yakitori Stand durch und sah Yusei und Crow noch in der Schlange stehen. Crow lachte laut auf, ehe er mich entdeckte. „Hey, Jaden! Rate mal, wen wir gerade gesehen haben!“
 

Ja, das kann ich mir denken. „Lass mich raten: Tanaka.“

„Nicht schlecht. Woher weißt du das?“

Ich lachte. „Der Kerl ist gerade wutentbrannt an mir vorbeigelaufen. Was habt ihr denn gesagt?“

„Naja, ich hab ihn etwas aufgezogen. Hab gehört, dass die Bei Tan die Qualifikation für die Regionals verpatzt hat. Yusei hat ihm dann den Todesstoß versetzt.“

Überrascht sah ich zu Yusei. Er ließ sich doch sonst nicht aus der Ruhe bringen, oder war irgendwie gemein zu anderen. Er verdrehte nur die Augen und sah zu Crow. „Wie oft denn noch? Das war kein Todesstoß, nur konstruktive Kritik. Das ist etwas völlig anderes.“

Jetzt war meine Neugier geweckt. „Was hast du denn gesagt?“

„Nur, dass sie das Spiel vermutlich gewonnen hätten, wenn er seinem Team etwas mehr vertrauen würde. Seine Schüsse haben seit seiner Verletzung anscheinend nicht mehr genügend Kraft und ich hab ihm den Rat gegeben, dass er einen Gang zurückschalten soll, sonst kann er vielleicht gar nicht mehr spielen.“

Crow lachte auf. „Ja, und das hat er anscheinend in den falschen Hals bekommen. Er hat Yusei schon fast angeschrien und ihm vorgeworfen, er würde ihn nur manipulieren wollen, damit er aufhört zu spielen. Dann ist der Trottel einfach abgezogen und hat irgendwas von ‚Euch werd ich’s zeigen‘ gemurmelt.“

Ich schüttelte nur den Kopf. Tanaka war einfach unbelehrbar. Und er war schon ein Hitzkopf gewesen als wir damals zusammen in der Grundschule waren.
 

~*~
 

Später sahen wir uns die Parade mit ihren liebevoll gestalteten Wagen an. Aki hatte uns einen Platz in der ersten Reihe freigehalten. Zwischen den Wagen zeigten uns auch einige Tanzgruppen ihr Können. Ich erkannte ein paar Schüler unserer Schule, darunter auch Alexis‘ beste Freundin Mizuki. Fröhlich winkte ich ihr zu und brachte sie damit anscheinend kurzzeitig aus dem Konzept. Upps. Carly machte die ganze Zeit über Fotos mit ihrer neuen Kamera, die sie vor allem Aki stolz präsentierte. Vor einigen Gruppenfotos konnten wir uns einfach nicht retten.
 

Nach der Parade liefen wir durch die Straßen Neo Dominos. Hier und da waren Stände der Vereine unserer Stadt und meine Freunde wollten unbedingt zur Losbude des Kinos. Mit den Einnahmen wollten sie anscheinend einen kleinen Indie-Film produzieren, aber ich stand zum einen nicht auf solche Filme und zum anderen zog ich bei solchen Buden immer nur Nieten. Yusei meinte auch, dass er an solchen Glücksspielen nicht sonderlich interessiert ist, also standen wir etwas abseits von den anderen und ich sah mich etwas um. Zwei Stände weiter gab es einen Bogenschießstand. Ich drehte mich begeistert zu Yusei. „Hey, schau mal da drüben! Wollen wir das mal ausprobieren?“ Er folgte meinem Blick. „Bogenschießen?“ Ich nickte eifrig. Das wollte ich schon immer mal ausprobieren, aber der Bogenschießklub hat sich immer mit Fußball überschnitten.
 

„Hallo, wollt ihr es mal ausprobieren? Drei Pfeile für 500 Yen*. Es gibt auch kleine Preise zu gewinnen“ sagte eine Frau an dem Stand. Yusei drückte ihr die Münze in die Hand und nahm den Bogen und die Pfeile an sich. „Hast du das schon mal gemacht?“ fragte die Frau, und zu meiner Verwunderung nickte Yusei zur Antwort.

„Echt? Wann hast du denn Bogenschießen gelernt?“

„Ich war in der Oberstufe zwei Jahre in einem Verein.“

„Cool! Zeigst du mir wie das geht?“

Er schenkte mir ein warmes Lächeln und nickte.
 

Wir gingen zu den Zielscheiben und Yusei erklärte mir die wichtigsten Punkte zum richtigen Stand und den richtigen Umgang mit dem Bogen. Ich hätte nicht gedacht, dass man dabei so viel beachten musste. Als er den Pfeil von der Sehne schnellen ließ, traf dieser direkt in die Mitte. „Wow, das war Klasse!“ rief ich begeistert.

Yusei hielt mir den Bogen hin. „Hier, versuch du es mal.“

Begeistert nahm ich den Holzbogen an mich. Er war leichter als ich dachte. Na schön, was hat Yusei gesagt? Im 90 Grad Winkel zum Ziel stellen, und dann den Pfeil einlegen und schießen.

„Warte!“ sagte Yusei plötzlich und kam näher.

Ich sah ihn fragend an. „Was ist denn?“
 

Er nahm mich an den Schultern und drehte meinen Oberkörper zu ihm, sodass ich gerade dastand. „Mit der Haltung triffst du nicht“ sagte er lächelnd. Dann ging er um mich herum, sodass er hinter mir stand. „Dreh‘ nur deinen Kopf Richtung Ziel und den Rücken gerade halten.“ Er legte eine Hand an meinen Rücken und mein Herz begann schneller zu schlagen. So nah kam er mir noch nie, wenn wir nicht allein waren, aber ich genoss es. Seine andere Hand wanderte zu meinem Arm, mit dem ich den Bogen hielt, und hob ihn etwas an. „Sehr gut, und jetzt den Arm durchstrecken.“ Sein Gesicht war ganz nah an meinem. „Den Pfeil einlegen und mit drei Fingern spannen. Den Ellbogen nicht vergessen hochzuhalten.“ Ich folgte seiner Anweisung und zielte auf den kleinen Kreis in der Mitte der Zielscheibe. Die Berührung, die ich eben noch an meinem Rücken gespürt habe, verschwand. Stattdessen fühlte ich Yuseis Hand an meiner eigenen, mit der ich den Pfeil spannte. Sanft drückte er meinen Handballen gegen meine Wange und mir wurde ganz warm, als ich seinen Atem an meinem Gesicht, und die Wärme seines Körpers an meinem Rücken spürte. „Genau so. Jetzt einfach zielen und loslassen.“
 

Ich atmete noch einmal tief durch und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Er bohrte sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in den zweiten Kreis von innen. Yusei ließ von mir ab und lächelte. Augenblicklich vermisste ich seine Nähe. „Das waren zehn Punkte. Für den ersten Versuch war das großartig.“

Ich stutzte. „Warum zehn? Ich hab doch nicht ganz die Mitte getroffen.“

„Der innerste Kreis bringt 20 Punkte. Die angrenzenden Kreise bringen in absteigender Reihenfolge zehn bis null Punkte.“

„Ah, okay. Cool!“

„Jetzt probier es allein.“

Ich grinste und probierte es ein zweites Mal. Mal sehen, ob ich auch ohne Yuseis Hilfe in die Mitte treffe.

„Ach, hier seid ihr!“

Ich zuckte kurz zusammen und ließ dabei die Sehne los. Der Pfeil traf auf den Kreis, der zwei Punkte brachte. Mist! Ich drehte mich zu meinen Freunden und sah gespielt beleidigt zu Crow, der mich gerufen hatte. „Ach man, jetzt hab ich mich verschossen.“

Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf „Sorry, Alter.“

Aki betrachtete die Zielscheibe. „Wow, Jaden, ich wusste gar nicht, dass du sowas kannst.“

„Nee, der Pfeil in der Mitte ist von Yusei. Aber es macht echt Spaß, probiert es auch mal!“
 

Das ließen sie sich nicht zwei Mal sagen und so kaufte jeder von ihnen nacheinander drei Pfeile. Alexis war ziemlich gut, dafür, dass sie es auch zum ersten Mal probierte. Sie schaffte immerhin 21 Punkte. Aki und Crow waren etwa gleich gut, auch wenn Crow einen Pfeil ziemlich verrissen hatte, schafften beide 17 Punkte. Jack hätte mit seinem ersten Pfeil beinahe die Frau am Stand getroffen und bekam ziemlich ärger, weil er einfach nicht auf das gehört hatte, was sie ihm erklärt hatte. Letztendlich hatte nur einer seiner Pfeile überhaupt getroffen. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte sein Ego ziemlich darunter gelitten und er schob die Schuld auf den Bogen. Als letzte in unserer kleinen Runde versuchte es Carly. Nachdem ihre ersten beiden Pfeile den zehn Punkte Kreis getroffen hatten, bohrte sich ihr letzter Pfeil direkt in die Mitte.
 

„Wahnsinn!“ brach es aus mir heraus. „Wo hast du das denn gelernt?“

Auch Aki lief begeistert auf sie zu. „Jaden hat recht! Das war fantastisch!“

Schamesröte legte sich auf ihr Gesicht und sie wurde plötzlich ganz verlegen. „Keine Ahnung, das war mein erster Versuch.“

Crow sah sie erstaunt an. „Ernsthaft?“

„Du bist ein Naturtalent!“ lobte sie Alexis.

Yusei lächelte. „Sie hat recht. Du hast eine gute Hand-Augen-Koordination.“

„Das brauch man dafür?“

Er wandte sich zu mir und nickte.

Carly steckte sich verlegen eine Strähne hinters Ohr. „Dann macht sich das Handballtraining ja doch bezahlt.“ Sie sah zu Jack und legte ihm aufmunternd eine Hand auf die Schulter. Er erwiderte ihren Blick und wenn man ganz genau hinsah, konnte man ein kleines Lächeln auf seinen Lippen sehen. Irgendwas flüsterte er ihr zu und augenblicklich fing Carly an zu strahlen. Mich würde wirklich interessieren was er ihr gesagt hat.
 

„Ihr könnt euch noch etwas aussuchen“ sagte die Frau vom Stand plötzlich und winkte uns zu sich. Carly durfte sich einen Hauptpreis aussuchen und entschied sich für einen kostenlosen Probemonat im Verein, zu dem der Stand gehörte. Ich musste grinsen. Sie hatte wohl Blut geleckt. Die anderen konnten sich einen Schlüsselanhänger aussuchen. Die Frau war sich allerdings nicht ganz sicher, was sie mit Yusei und mir machen sollte, da wir gemeinsam geschossen hatten. Den Hauptpreis gab es wohl schon ab 30 Punkten, und die hatten wir mit den ersten beiden Pfeilen schon drin. Yusei ließ mir zwar den Vortritt, aber das kam mir unfair vor. Schließlich hatte er mehr Punkte gemacht als ich. „Wir nehmen einfach beide einen Anhänger“ schlug ich ihm vor und wandte mich zu der Frau. „Geht das?“ Sie sah mich etwas überrascht an und reichte uns das kleine Kästchen, in dem die Preise durcheinander lagen.
 

Ich wühlte mich etwas durch, bis ich einen Anhänger mit einem kleinen Igel sah. Statt Stacheln hatte dieser aber an den meisten Stellen auf dem Rücken kleine Plastikschrauben. Auf eine schräge Art war er echt süß. Ich konnte es mir nicht erklären, aber irgendwie erinnerte er mich an Yusei. Mein Freund brauchte gar nicht so lange zu suchen. Ihm schien gleich etwas ins Auge zu fallen und er entschied sich für einen Anhänger, der irgendwie aussah wie eine kleine, braune Fellkugel mit grünen Augen und zwei weißen Flügeln. Ich beobachtete ihn, wie er den Anhänger in seiner Hand drehte und plötzlich lächelte. „Was ist denn?“ fragte ich neugierig. Noch immer lächelnd sah er mich an. „Irgendwie erinnert er mich an dich.“ Ich lachte auf und wir gingen wieder zu den anderen. Er hatte sich seinen Anhänger aus demselben Grund ausgesucht, wie ich mir meinen. Mir wurde ganz warm ums Herz.
 

~*~
 

„Irgendwie hatte ich mir dabei mehr erhofft“ meinte Crow und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf, während wir den Park wieder verließen. Wir waren gerade auf dem Rückweg von diesem Showkampf, von dem mir Yusei am Mittag erzählt hatte. Ich sah ihn überrascht an. „Echt? Ich fand es gar nicht schlecht. Was hast du dir denn darunter vorgestellt?“ Der Schwertkampf sah aus wie in einem dieser Filme, die im Mittelalter spielten. Crow zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Was anderes eben.“
 

Hm, ich konnte ihn nicht wirklich verstehen. Was sollte man sich denn sonst darunter vorstellen? Während wir zum Ausgang des Parks liefen, sah ich mich noch etwas um. Wir liefen an ein paar Infoständen vorbei, die gerade abbauten. Es wunderte mich nicht, schließlich war es schon Abend und die meisten Museen, die diese Infostände bewarben, würden bald schließen. Plötzlich zog ein kräftiger Wind auf und das Banner, sowie das Gestell eines Infostandes, wurden ein paar Meter weggeweht. Überall flogen Flyer für die altägyptische Ausstellung durch die Luft. An dem Stand war nur eine Person. Oh je, der arme Kerl. Das würde sicher ewig dauern, alles allein einzusammeln. Ohne groß darüber nachzudenken, lief ich zu ihm und half beim Aufräumen.
 

„Danke!“ sagte der Mann etwas verzweifelt, als ich mich hinkniete um einige Flyer aufzuheben. „Kein Problem, wirklich“ versicherte ich ihm und bemerkte auch Crow und Aki neben mir, die uns halfen. Ich sah mich um. Hinter mir hoben auch Alexis und Carly einige Flyer auf, während Jack sich um das Gestell kümmerte und Yusei das Banner vor dem nächsten Windstoß rettete. Ich musste unweigerlich lächeln. Bei der Unterstützung dauert das ganze nur ein paar Minuten. Ich lief zu Yusei, um ihm bei dem Banner zu helfen und sah ihn am Boden knien.
 

„Hey, brauchst du Hilfe?“ fragte ich, als ich bei ihm angekommen war. Er hatte das Banner etwas angehoben und sah mich unschlüssig an. „Ich nicht, aber der Kleine hier vermutlich schon.“ „Welcher Kleine?“ fragte ich verwirrt. Plötzlich bewegte sich das Banner komisch und Yusei hob es etwas an. Darunter war eine kleine Katze, die etwas orientierungslos aussah. Ich kniete mich neben Yusei und betrachtete das kleine Ding. Sie war anscheinend noch nicht sehr alt und ziemlich dünn. Irgendwie tat sie mir leid. Ich nahm sie hoch und sah mir das Fell überall an. „Verletzt ist sie anscheinend nicht“ murmelte ich. Zumindest sah ich kein blutverkrustetes Fell. Die Katze ließ sich erstaunlich viel gefallen.
 

„Vielleicht hat sie sich nur erschrocken, als sie plötzlich unter diesem riesigen Tuch vergraben wurde“ mutmaßte Yusei und stand auf, um das Banner einzurollen. Vielleicht hatte er recht, aber wo kommt sie überhaupt her?

„Jaden, warum kniest du da auf dem Boden?“ hörte ich plötzlich Akis Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihr und ihr Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an. „Wo hast du die denn plötzlich her?“

„Yusei hat sie gefunden. Das Banner hat sie wohl erwischt.“

Carly kam auf mich zu und nahm mir die Katze ab. „Oh, das arme Ding!“ Carly tastete sie ab und die Katze fing plötzlich an zu schnurren.

Ich lachte. „Das gefällt ihr anscheinend!“

Auch Carly lächelte. „Ja, stimmt wohl. Aber verletzt ist sie nicht. Sie scheint keine Schmerzen zu haben und sie kann alles bewegen.“

Seit wann weiß sie denn so viel darüber? „Woher kannst du das eigentlich?“

„Mein Vater arbeitet doch im Tierheim. Ich helfe ihm dort an den Wochenenden ab und zu. Er hat mir beigebracht Tiere auf Verletzungen zu untersuchen.“

„Hm, das wusste ich noch gar nicht.“
 

Crow, der mit Alexis neben uns stand, betrachtete das kleine Tier. „Und was machen wir jetzt mit ihr? Die sieht so aus, als würde sie niemandem gehören. Sie hat zumindest kein Halsband oder so.“ Auch ich sah wieder zu dem Kätzchen. Ihr beigefarbenes Fell war verstrubbelt und die dunkelbraune Zeichnung auf ihrem Rücken und ihrem Schwanz hob sich kaum vom Schmutz des übrigen Fells ab. Aber trotzdem war sie echt niedlich mit ihren großen, goldfarbenen Augen.
 

„Oh nein!“ hörte ich plötzlich Alexis rufen und sah sie überrascht an.

„Was denn?“

„Ich kenne den Gesichtsausdruck! Denselben hast du bei dem Straßenhund, dem verletzten Vogel und dem blinden Hamster im Zoogeschäft gehabt! Wenn es nach dir ginge, hätten wir wahrscheinlich einen ganzen Zoo zu Hause. Außerdem weißt du ganz genau, dass Papa allergisch gegen Katzen ist!“
 

Gut, okay, ich hatte wirklich daran gedacht, sie mit nach Hause zu nehmen. Aber Papas Allergie hatte ich komplett vergessen. Aber hier im Park zurücklassen wollte ich sie auch nicht. Sie war viel zu klein und zu dünn. Da fiel mir ein, was Carly eben sagte. „Sag mal, dein Vater arbeitet doch im Tierheim“ deutete ich an und sah ihr erwartungsvoll entgegen. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. „Tut mir leid, aber das ist seit Ende Oktober komplett überfüllt.“ Verdammt! Ich sah Crow an und er hob sofort abwehrend die Hände. „Oh nein, vergiss es! Die Kleine übersteht bei mir keine zehn Minuten. Meine kleinen Schwestern spielen mit allem, was sich irgendwie bewegt!“ Mein Blick wanderte zu Aki, aber auch sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich würde ja gern helfen, aber wir haben doch einen Hund. Ich bezweifle, dass die beiden sich verstehen würden.“
 

„Hey, was ist denn hier los?“ fragte Jack, der mit Yusei wieder zu uns stieß. Die Beiden hatten eben dem Mann vom Stand beim Verstauen des Gestells geholfen.

„Kannst du dich um eine Katze kümmern?“ fragte ich hoffnungsvoll.

Carly fing plötzlich an zu Lachen, dabei hüpfte die Katze von ihrem Arm. Was ist denn jetzt los? Sie hatte sich schnell wieder beruhigt und sah mich an. „Auf Jack liegt ein Fluch, was Katzen angeht.“

„Hä?“ Ich sah zu Jack, der mit den Augen rollte.

„Die Viecher können mich nicht leiden und das beruht auf Gegenseitigkeit!“
 

Auch Crow und Aki begannen zu lachen. Ja, Jack war kein Tiermensch, das hatte ich beinahe vergessen. Aber was wird dann aus dem Tier? Heute war der vorerst letzte schöne Tag und in der Nacht soll es ziemlich stürmen. Ich kann sie doch nicht einfach hier draußen lassen. „Yusei scheint sie zumindest zu mögen“ riss mich Alexis aus meinen Gedanken und ich sah zu meinem Freund. Das Kätzchen schmiegte sich an seine Beine und begann zu schnurren. Ich grinste ihm entgegen und er sah mich etwas zerknirscht an. „Ich bin nicht unbedingt der größte Katzenfan.“ „Aber sie mag dich!“ sagte ich begeistert. Vielleicht kann ich ihn ja doch überreden. Er betrachtete die kleine Katze, die ihren Kopf noch immer an seinen Beinen entlangstreifte und glücklich schnurrte, dann sah er wieder zu mir und ich konnte meine Begeisterung nicht zurückhalten. Ich fand, das war eine großartige Idee!
 

Er seufzte, nahm die Katze hoch und betrachtete sie kurz. Wieder zog ein frischer Wind auf und das Kätzchen nieste. Er verzog das Gesicht etwas und ich wusste wirklich nicht recht, was er jetzt gerade dachte, aber bisher war das kein ‚Nein‘. „Na schön, aber nur ein paar Tage, bis wir einen neuen Besitzer gefunden haben. Vielleicht ist sie ja auch weggelaufen und irgendjemand sucht sie.“ Ich umarmte Yusei freudig und sah wieder zu der Katze. „Hast du das gehört? Du musst doch nicht in der Kälte schlafen!“ Wie zur Antwort mauzte sie und Aki, Alexis und ich konnten nicht anders als zu lachen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
*Okonomiyaki = Sowas wie eine Mischung aus Waffeln und Crêpes
*Onigiri = handtellergroße, gefüllte Reisbällchen
*Yakitori = gebratene Hähnchenspieße mit spezieller Soße und Sesam
*500 Yen sind ca. 4€


Also wem das mit den Anhängern nicht aufgefallen ist: Es waren Stachelschraubenigel und der geflügelte Kuriboh :D Komplett anzeigen

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