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Dein rettendes Lachen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mal wieder ein etwas längeres Kapitel :)

Lieder, die darin vorkommen:
‚Nuvole Bianche‘ von Ludovico Einaudi.
Zum Lied: https://www.youtube.com/watch?v=4VR-6AS0-l4

‚Mondlichtsonate‘ von Beethoven
Zum Lied: https://www.youtube.com/watch?v=4591dCHe_sE

‚Comptine d'un autre été‘ von Yann Tiersen
Zum Lied: https://www.youtube.com/watch?v=PaXKf0JEzEA Komplett anzeigen

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Gerichtsverhandlung

Wieder im Haus angekommen, zeigte ich Jaden, wie versprochen, einige geheime Durchgänge, die die Angestellten des Hauses nutzten. Die Köchin war nach all den Jahren noch immer dieselbe. Sie begrüßte mich herzlich und ermahnte mich, dieses Mal die Finger vom Nachtisch zu lassen. Ich lächelte verlegen. Damals war ich doch erst acht Jahre alt, und sie hielt es mir heute noch vor. Jaden lachte sich darüber nur schlapp.
 

Wir unterhielten uns noch recht lange mit Herr Kazuki in seinem Wohnzimmer. Oder besser gesagt Saal. Er und Jadens Vater verstanden sich wirklich bestens. Ich hatte für einen Augenblick ganz vergessen, warum wir hier sind. Ich war so abgelenkt von meinen alten Freunden und Jaden, dass ich allen Kummer, alle Sorgen ausblendete. Doch als ich mich in mein Gästezimmer zurückzog, wurde mir schmerzlich bewusst, warum wir in Osaka waren. Bis zur Gerichtsverhandlung waren es keine zwölf Stunden mehr. Ich war so nervös.
 

Ich hatte keine Ahnung, was dieser Tag mit mir anstellen würde. Ich wusste nur eines: Ich war nicht allein. Jaden und sein Vater würden die gesamte Zeit über bei mir sein. Das nahm mir ein wenig von meiner Nervosität, aber ich konnte dennoch kaum einschlafen. Erst spät in der Nacht fand ich endlich Ruhe…
 

Ich lief durch die Straßen von Osaka, ohne ein bestimmtes Ziel.

Ich war zufrieden.

Ein kleines Mädchen, das meiner Mutter ähnelte, stand neben mir.

Ihre brünetten Haare waren schulterlang und klebten an ihrem Kopf.

Sie war blutüberströmt.

„Warum hast du mich nicht beschützt?“ fragte sie traurig, dann verschwand sie.

Da war wieder diese Angst.

Ich telefonierte mit meiner Mutter.

Sie war fröhlich.

Ein Knall.

Ein markerschütternder Schrei.

Blut.

Sie ist tot.

Panik überkam mich.

Ich rief nach ihr, bekam keine Antwort.

Ein Mann mit stechend roten Augen sah mich an und grinste unheilvoll.

Stille.

Ein Polizist stand vor mir, sah mich traurig an.

Sie waren tot.

Ich schrie.

Mein Vater sah mich traurig an und drehte mir den Rücken zu.

Ich rief nach ihm.

Er verschwand.

Es war kalt.

Dunkelheit breitete sich aus, verschluckte mich, zog mich tiefer mit sich.

Ich fühlte mich schwer, lag allein inmitten der Finsternis, konnte mich nicht rühren.

Ein Lichtstrahl durchflutete die schwarze Umgebung, blendete mich.

Mir wurde warm.

Jemand reichte mir seine Hand.

„Ich hab es dir doch schon gesagt. Ich lass dich nicht mehr allein“ sagte eine leise Stimme.

Ich ergriff sie, sie zog mich nach oben zu dem warmen Licht.

Das Lied meiner Mutter drang an mein Ohr.

Ihre beruhigende Stimme hallte in meinem Kopf.

„Dieses Lied gehört nur uns. Wenn ich es spiele, denke ich nur an dich, und wenn du es hörst, soll es dir die Kraft geben weiterzumachen.“

Um mich herum war alles hell und still.

Jaden stand vor mir und grinste. Er hielt meine Hand.

Hinter ihm tauchte mein Vater auf. Er lächelte schief.

Neben ihm erschienen immer mehr meiner Freunde. Jack, Crow, Aki, Alexis, Carly, Kalin, meine neue Mannschaft, Jadens Eltern, all meine Freunde aus Osaka. Sie lächelten mir alle entgegen.

Jaden sah mich entschlossen an. „Ich lass dich nicht mehr allein! Uns wirst du so schnell nicht wieder los!“

Über Allem strahlte dieses helle Licht.
 

Was war das? Ich konnte diesen Traum nicht ganz einordnen. Er war anders, als die Träume zuvor. Warum? Ich öffnete meine Augen. Die wenigen, warmen Strahlen der aufgehenden Sonne warfen ein angenehmes Licht in den Raum. Mein Blick wanderte zu meiner Hand. Überrascht stellte ich fest, dass sie von einer anderen umschlossen wurde. Jaden. Er hielt sie fest und schlief friedlich neben mir. Aber ich war doch allein, als ich eingeschlafen bin. Verdutz betrachtete ich ihn eine kleine Weile. Sein Mund stand ein wenig offen und seine braunen Strähnen standen überall ab. Ich schmunzelte. Er sah so friedlich aus. Vorsichtig stand ich auf, um ihn nicht zu wecken und legte eine Decke über ihn. Dann verschwand ich im Bad und ging anschließend die Treppe nach unten. Es war wirklich noch ziemlich früh am Morgen.
 

„Immer noch ein Frühaufsteher, was?“ hörte ich eine bekannte Stimme neben mir. Saki kam gerade aus dem Torbogen zu meiner Linken und begrüßte mich fröhlich.

„Guten Morgen, Saki. Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Ist schon irgendjemand wach?“

„Ja, Herr Kazuki ist im Büro und arbeitet schon. Willst du etwas zum Frühstück?“

Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, Danke. Ich warte auf die anderen. Kann ich dir helfen?“

„Ich glaube kaum, dass Herr Kazuki das gerne sehen würde“ lachte sie. „Ich schaff das schon allein, Danke. Aber weißt du was? Der Flügel ist wieder im Musikzimmer. Würdest du mir den Gefallen tun?“ Ihre großen, grauen Augen sahen mich erwartungsvoll an. Ich seufzte. „Na schön.“
 

Wir waren im Musikzimmer angekommen. Hier standen viele große Vasen mit beeindruckenden Blumenarrangements. Der Raum war in Weiß und Blautönen gehalten und sehr elegant. Das einzige Möbelstück in diesem Raum war ein schwarz glänzender Flügel. Ich weiß nicht wie oft ich schon darauf gespielt habe. Ich sah sie an. „Das Gleiche wie immer?“ Als Antwort bekam ich nur ein fröhliches Nicken und sie setzte sich neben mich. Saki wollte damals immer das gleiche Lied hören. ‚Nuvole Bianche‘ von Ludovico Einaudi. Manches wird sich wohl nie ändern.
 

Der Raum war schallisoliert, daher brauchte ich mir keine Gedanken zu machen, jemanden wecken zu können. Als ich fertig war, lächelte Saki zufrieden neben mir, bedankte sich und ging wieder an ihre Arbeit. Ich saß noch eine Weile in dem großen Raum. Ich hatte noch genug Zeit bis zum Frühstück, also spielte ich zwei weitere Lieder, darunter die ‚Mondlichtsonate‘ von Beethoven. Da erst bemerkte ich die Notenblätter vor mir. Ich sah sie mir durch, doch ich kannte keines der Stücke. Eines davon sah aber sehr schön aus. Ich ließ meinen Blick über die Zeichen und die Tonlage schweifen. Es schien in kurzer Zeit machbar zu sein.
 

Ich beschloss es zu probieren, schließlich hatte ich noch immer jede Menge Zeit, und ich wollte mich etwas von dem, was in ein paar Stunden auf mich zukommen würde, ablenken. Es war kniffliger als gedacht. Ich brauchte einige Anläufe, um es fehlerfrei zu spielen. Die Noten, die ich mit der rechten Hand spielen musste, waren vergleichsweise ziemlich schwierig. Die Melodie, die ich mit der linken Hand spielte, war sehr einfach. Als ich die Melodien zusammenführte, brauchte ich auch zwei Anläufe, ehe es klappte. Kurz vor Ende des Liedes hörte ich ein Geräusch und drehte mich erschrocken um. Dabei warf ich einige Notenblätter aus Versehen auf den Boden. Hinter mir, an der Tür, standen Herr Kazuki und Jaden. Ich hatte sie gar nicht kommen hören.
 

* Die Sicht von Jaden *
 

Ich wachte auf. Es war noch komplett finster draußen. Na toll, ich bin mitten in der Nacht aufgewacht. Jetzt schlafe ich doch wieder ewig nicht ein, und mein Hals bringt mich noch um. Ich muss dringend was trinken! Genervt schlug ich die Decke zur Seite und ging auf den Gang. Na schön. Was hat Yusei gesagt? Ich muss von meinem Zimmer aus nur zwei Türen nach links gehen, und dann komme ich in die Küche. Ganz einfach. Eigentlich. Als er noch bei mir war, und er die Türen am Treppenende unterscheiden konnte. Oh nein, ich habe mich schon wieder verlaufen…
 

Irgendwann fand ich endlich die Küche und holte mir ein Glas Wasser. Auf dem Rückweg kam ich in der Eingangshalle raus. Wie auch immer ich das schon wieder geschafft habe. Aber zumindest kannte ich dieses Mal den Raum. Jetzt musste ich es nur wieder zurückschaffen. Ich ging die Treppe der Eingangshalle nach oben und kam wieder auf dem langen Gang an. Ich musste um irgendeine Ecke. Nur welche? Wieso hat dieses Haus so viele Zimmer?! Nachdem ich drei Mal falsch abgebogen war, öffnete ich eine Tür, die wie mein Gästezimmer aussah. Endlich! Aber ich war nicht allein.
 

Irgendjemand wälzte sich im Bett. Ich wollte schon leise das Zimmer verlassen, da hörte ich eine Stimme. „Nein…“ wisperte sie. Yusei? Ich drehte mich um und versuchte ihn in der Dunkelheit auszumachen. „Geht nicht… Nein…“ hörte ich wieder seine leise, verzweifelte Stimme. Langsam ging ich auf sein Bett zu und musterte ihn aus sorgenvollen Augen. Er hatte wieder diesen Alptraum. Sein Atem ging flach und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Wie kann ich ihm nur helfen? Ob ich ihn wecken sollte? Nein, er würde sich zu Tode erschrecken. Vielleicht würde ihn eine Berührung beruhigen. Zumindest hat das meine Mutter oft gemacht, wenn wir Alpträume hatten. „Lasst mich nicht allein…“ wimmerte er wieder. Es brach mir das Herz.
 

Ich setzte mich neben ihn und nahm seine Hand in meine, strich langsam mit dem Daumen über seinen Handrücken. „Ich hab es dir doch schon gesagt. Ich lass dich nicht mehr allein“ flüsterte ich. Sobald ich diese Worte ausgesprochen hatte, bemerkte ich, wie er meine Hand festhielt und beruhigt ausatmete. Sein Atem normalisierte sich langsam wieder und ging gleichmäßig. Auch seine Gesichtszüge entspannten sich. Ist der Alptraum vorbei? Langsam überkam auch mich wieder die Müdigkeit und ich ließ mich neben ihm ins Kissen sinken. Ich hielt seine Hand noch immer.
 

Ich wachte auf, weil irgendetwas fehlte. Ich wusste aber nicht so recht was. Ich schlug die Decke zur Seite und, immer noch schlaftrunken, ging ich ins Bad, aber meine Sachen sahen anders aus. Einen Augenblick stand ich noch verwirrt vor dem Waschbecken und starrte eine Zahnbürste an, die definitiv nicht meine war. Dann hatte es endlich Klick gemacht. Mit einem Schlag war ich wach. Ich bin in Yuseis Zimmer wach geworden, nicht in Meinem. Er ist wohl schon unterwegs. Hier ist er zumindest nicht. Ich schlich mich aus dem Zimmer und ging in mein Eigenes.
 

Als ich fertig war und auf den Gang lief, hörte ich eine Melodie. Irgendwoher kannte ich sie. Es war ein ziemlich bekanntes Lied, aber ich kam nicht auf den Titel. Ich ging die Treppe runter und in die Richtung, aus der die Töne kamen, aber dann verstummte die Musik. Ich konnte auch nicht wirklich ausmachen, aus welchem Raum sie kam. Ich ging leise einen Gang entlang und entdeckte eine angelehnte Doppeltür. Ob die Musik von hier kam?
 

Dann hörte ich wieder Etwas und spähte in den Raum hinein. Ich konnte Yusei an einem Flügel sehen. Er spielte, aber die Melodie war sehr abgehackt. Langsam öffnete ich die Tür und betrat den großen Saal. Irgendwie seltsam, dass hier nur das Instrument und ein paar vereinzelte, kleine Bänke an den Wänden standen. Neben mir nahm ich eine Bewegung wahr und zuckte kurz zusammen. Herr Kazuki stand nur ein paar Schritte von mir entfernt und hatte sich den Finger auf die Lippen gelegt, um mir zu bedeuten leise zu sein. Wieder verstummte die Musik und Yusei gab ein leises Knurren von sich, ehe er wieder von vorne begann. Ob er da eben etwas Neues lernte?
 

Als er weiterspielte, kam Herr Kazuki auf mich zu und sprach ganz leise mit mir, sodass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Einer meiner Komponisten hat seine Noten beim letzten Mal vergessen. Ich will nur sehen, wie Yusei damit zurechtkommt. Er denkt, er wäre noch immer unbeobachtet.“ Verstehe, er hat sich genauso hier reingeschlichen als er die Musik hörte.
 

Es war eigentlich ziemlich faszinierend, ihn dabei zu beobachten. Immer wieder spielte er nur mit einer Hand und dann mit der Anderen. Die Melodien hörten sich aber unterschiedlich an. Zwischendrin schien er Probleme zu haben und spielte denselben Teil mehrere Male. Es hörte sich zwar ganz hübsch an, aber nicht so, wie es sonst klang, wenn er spielte. Und plötzlich spielte er beide Melodien zusammen und mich überkam eine leichte Gänsehaut. Es klang wunderschön. Er brach kurz ab, um wieder von vorn anzufangen und ich wollte mich ein wenig anlehnen. Dummerweise an einem Beistelltisch. Ich warf fast eine Vase um, konnte sie aber noch abfangen. Nicht ganz geräuschlos. Die Musik verstumme plötzlich und Yusei drehte sich erschrocken um. Einige Blätter schwebten zu Boden. Herr Kazuki lächelte nur amüsiert. Ich versank vor Scham fast im Boden. „Tschuldigung“ sagte ich verlegen.
 

Yusei atmete hörbar aus. „Nicht schlimm. Wie lange steht ihr denn schon hier?“
 

Herr Kazuki lächelte noch immer. „Ich selbst bin im letzten Akt der Mondscheinsonate dazugekommen. Dein kleiner Freund hier…“ damit deutete er auf mich „Ist während des neuen Stückes eingetroffen. Apropos, wie gefiel es dir denn?“ Yusei suchte kurz nach einer Antwort. „Es ist sehr schön. Erinnert mich an ‚Comptine d'un autre été‘, aber es ist etwas komplizierter. Allerdings finde ich das Ende etwas… holprig.“ Herr Kazuki nickte zufrieden.
 

„Ich nehme an, das Frühstück ist einstweilen angerichtet. Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch gern in den Speisesaal begeben. Ich werde mich nun ebenfalls auf den Weg machen“ sagte er erfreut und ging aus dem Raum. Der Mann war nett, aber wirklich seltsam. Währenddessen sammelte Yusei die Blätter auf dem Boden wieder zusammen, die überall verteilt lagen. „Warte, ich helf dir“ sagte ich und ging auf ihn zu, um einige Blätter aufzusammeln. „Danke“ murmelte er gedankenverloren und sortierte die Noten in der richtigen Reihenfolge. Das war nicht das, worüber er nachdachte. „Keine Angst“ sagte ich und lächelte. Er sah mich verwirrt an. „Du machst dir Gedanken wegen der Verhandlung, oder?“ Seine Augen weiteten sich überrascht, doch dann sah er wieder auf die Blätter in seiner Hand.
 

„Ja, du hast recht. Ich bin nur nervös. Vor allem wegen der Aussage. Und… weil ich in einem Raum mit diesem Kerl sitzen werde.“ Ich nahm seine Hand und zwang ihn so, mir in die Augen zu sehen. Mein Blick war fest entschlossen. „Und das wird für eine lange Zeit das letzte Mal sein, dass der Typ das Tageslicht sieht. Es wird alles gut gehen, das verspreche ich dir!“ Ganz leicht zuckten seine Mundwinkel nach oben und er nickte.
 

Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zum Gerichtsgebäude. Yusei hatte nicht wirklich was gegessen, aber das konnte ich irgendwie verstehen. Er wirkte wahnsinnig nervös. Auf der Fahrt waren wir fast die gesamte Zeit über still. Als mein Vater einen Parkplatz gefunden hatte, stiegen wir aus und gingen auf das große Bauwerk zu, in dem die Verhandlung stattfinden würde. Mein Vater lief vor uns. Yusei verkrampfte sich mit jedem Schritt. Um ihm etwas von seiner Nervosität zu nehmen, nahm ich seine Hand und drückte sie leicht. Er sah mir kurz in die Augen und deutete ein Lächeln an. Dann spürte ich, wie auch er einen leichten Druck auf meine Hand ausübte. Er verstand wohl, was ich ihm sagen wollte. Auch ohne Worte.
 

Kurz vor den Treppen zum Eingang kamen plötzlich ziemlich viele Leute mit Kameras und Mikros auf uns zu und umkreisten uns regelrecht. Yusei ließ meine Hand los, um sich vor dem aufkommenden Blitzlichtgewitter zu schützen. Die Menge redete wild durcheinander. „Sind Sie der Sohn der Pianistin?“ „Wie, glauben Sie, wird die Verhandlung ausgehen?“ „Stimmt es, dass Miako Fudo zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger war?“ Ich sah die Panik in Yuseis Augen. Was wollten die eigentlich alle hier? War seine Mutter wirklich so berühmt in dieser Stadt, dass uns jetzt so viele Reporter belagern mussten? Mein Vater stand plötzlich hinter uns und bugsierte uns zu den Treppen. Dabei wimmelte er alle Fragen höflich ab. „Es tut uns sehr leid, aber wir müssen los, sonst kommen wir noch zu spät. Entschuldigen Sie uns bitte.“
 

* Die Sicht von Yusei *
 

Als wir im Gerichtsgebäude ankamen, schlug mein Herz wie wild in meiner Brust. Die Panik überkam mich erneut. Musste ich mich auf solche Fragen etwa auch während der Verhandlung einstellen? Ich lief durch den Gang, wie ferngesteuert. Herr Yuki versuchte mich anscheinend zu beruhigen, aber ich nahm seine Worte kaum wahr. Erst als Jaden sich vor mich stellte und etwas an meinen Schultern schüttelte, kam ich wieder in der Realität an. Ich versuchte mich auf seine beruhigenden Augen zu konzentrieren, um wieder runterzukommen. Es half. „Geht’s wieder?“ fragte er mich. Meine Antwort darauf war nur eine gemurmelte Zustimmung.
 

Die Verhandlung hatte noch nicht begonnen, und ich war schon das reinste Nervenbündel. Ich ging mit Jaden und seinem Vater den Gang entlang. Links und rechts von uns waren massive Holzbänke. In dem Saal war Platz genug für etwa 50 Zuschauer und bei dem Ansturm da draußen, wäre der sicher ausgefüllt. Es war eine Sache Jaden oder dem Arzt meines Vaters von dem Unfall zu erzählen, aber vor so vielen Menschen? Jede Faser meines Körpers schrie nach Flucht. Mir war wahnsinnig übel. Der Richter, einige Gerichtsschreiber und die Anwälte beider Parteien waren schon im Saal, sowie einige Personen in der ersten Reihe, die sich als die Familie des Angeklagten herausstellten.
 

Ich lief mechanisch hinter Herr Yuki und versuchte die Blicke der Personen auszublenden. Als wir auf den Tisch zugingen, an dem der Staatsanwalt saß, hielt mich Jaden am Ärmel meiner Jacke fest. Überrascht drehte ich mich zu ihm und sah in sein halb zuversichtliches, halb besorgtes Gesicht. „Du schaffst das schon. Ich bin die ganze Zeit hier, und mein Vater sitzt neben dir. Du musst das nicht allein durchstehen, verstanden?“ Mir war nicht danach zumute, aber trotzdem lächelte ich für einen kleinen Moment.
 

Der Saal füllte sich langsam. Ich saß auf dem Platz zwischen Herr Yuki und dem Staatsanwalt, und allmählich waren auch die Plätze auf den Bänken gefüllt. Viele Stimmen redeten durcheinander. Jaden saß in der ersten Reihe, ganz in meiner Nähe. Der Tisch an dem ich saß, und der des Angeklagten, standen schräg zur Raummitte hin, sodass ich Jaden sehen konnte, wenn ich den Kopf neigte. Das beruhigte mich ein wenig.
 

Die Türen zum Gerichtssaal gingen erneut auf und es wurde still. Die letzten Personen, die den Raum betraten waren zwei Polizisten. In ihrer Mitte lief ein junger Mann mit kurzen, blonden Haaren. Er sah aus als wäre er nur ein wenig älter als ich. Sein Blick war stur auf den Weg vor ihm gerichtet. Das war er also. Der Mann, der meine Familie auf dem Gewissen hatte. Schnell wandte ich den Blick ab. Ich hatte das Gefühl, ich würde es nicht ertragen ihn länger anzusehen. Der Raum war erfüllt von leisem Gemurmel und dem Ton auslösender Kameras. Einige Journalisten machten Fotos. Er nahm neben dem ihm gestellten Pflichtverteidiger Platz und der Richter ergriff das Wort.
 

„Zum Aufruf kommt die Sache Kyo Tanaba. Wie ich sehe sind der Angeklagte, sowie der Verteidiger anwesend. Ebenso der Staatsanwalt. Stellvertretend für den Nebenkläger ist heute sein Sohn, sowie ein Mitarbeiter des Jugendamtes anwesend.“ Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als er plötzlich meinen Namen aufrief und ich die Blicke der Anwesenden im Saal spürte, die mich musterten. Ich starrte nur stur auf den Tisch. Dann rief er noch einige Zeugen auf, die im Saal waren und ihre Anwesenheit bestätigten.
 

Meine Nervosität nahm langsam immer weiter zu, auch wenn ich dachte, das wäre unmöglich. Ich schielte kurz zu Jaden. Er musterte mich und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Mir ging es etwas besser. Der Richter wies die Zeugen an, den Raum zu verlassen und widmete sich dann dem blonden Mann. Sein Name war also Kyo Tanaba und er war tatsächlich nur knapp vier Jahre älter als ich. Er ging noch auf die Universität.
 

Dann richtete der Richter das Wort an den Staatsanwalt neben mir. Er sollte die Anklageschrift vorlesen. Er gab den Anwesenden im Raum einen groben Überblick über den Unfall und meine Hände krallten sich an meinen Oberschenkeln fest. Ich zitterte. Dann spürte ich eine sanfte Berührung und sah neben mich. Herr Yuki hatte seine Hand auf meine Schulter gelegt und sah mich mitfühlend an. Der Anwalt war fertig und die Anklage lautete fahrlässige Tötung und fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs.
 

Zur Überraschung aller im Saal wollte der Mann nicht aussagen. Ich hatte es bis eben vermieden ihn genauer zu betrachten, aber meine Neugier siegte. Er saß nur da wie ein Häufchen Elend, und starrte auf den Tisch vor ihm. Seine Augen waren von dunklen Ringen gezeichnet und er sah vollkommen verzweifelt aus. Fast schon den Tränen nahe. Hatte ich etwa Mitleid? Mitleid für den Mann, der dafür verantwortlich war, dass meine Mutter und meine Schwester nicht mehr am Leben waren? Dass mein Vater im Krankenhaus langsam verrückt wurde? Das kann nicht sein!
 

Dann folgte der Teil, vor dem ich am meisten Angst hatte. Die Beweisaufnahme. Es wurden nacheinander drei Zeugen hereingebeten, die den Unfall beobachtet hatten. Sie nahmen alle an einem kleinen Tisch neben dem Richter Platz, machten ihre Aussage und setzten sich anschließend auf die Bänke im Saal. Die letzte Zeugin hatte sogar einen Videobeweis, der auf einer Leinwand hinter ihr abgespielt wurde. Ich kniff krampfhaft meine Augen zusammen und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Das Video war nur kurz, aber dieser Knall. Diesen Knall konnte ich nicht ausblenden. Er verfolgte mich wieder. Wieder spürte ich einen sanften Händedruck auf meiner Schulter. Ich traute mich nicht aufzublicken. Ich war sicher, ich könnte die Tränen nicht aufhalten.
 

Plötzlich wurde ich aufgerufen. Geschockt sah ich den Richter an, dann Herr Yuki, der mir bestätigend zunickte. Ich schluckte und stand zögerlich auf. Ging mit wackeligen Beinen in Richtung des kleinen Tisches neben dem Richter. Ich wollte in diesem Moment überall sein, nur nicht hier. Hinter mir hörte ich wieder die Töne der auslösenden Kameras. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Mir war übel. Als ich mich setzte, belehrte mich der Richter, dass ich nur die Wahrheit sagen durfte. Ich nickte und sah zu Jaden. Er war bei mir, ich konnte das schaffen. Dieser kleine Moment der Zuversicht verschwand als ich gebeten wurde, den Unfallhergang aus meiner Sicht zu erklären. Mein Herz drohte zu zerspringen und ich war mir sicher, ich würde an dem Kloß in meinem Hals ersticken.
 

Aber ich musste mich zusammenreißen. Wieder wanderte mein Blick zu Jaden. Ich versuchte alle anderen Anwesenden auszublenden und stellte mir vor, ich würde es nur ihm erzählen. Das hatte ich schon einmal geschafft. Ich könnte es auch wieder. Ein letztes Mal noch atmete ich tief durch und fand meine Stimme wieder. Sie war leise, aber hörbar. „An dem Tag habe ich meine Mutter angerufen.“
 

„Mit Mutter meinen Sie Frau Miako Fudo, richtig?“ unterbrach mich eine Stimme. Ich war kurz irritiert und wusste nicht woher sie kam. „J-Ja“ sagte ich zögerlich und sah wieder zu Jaden, der sich ebenfalls überrascht umsah. Anscheinend hat er auch nicht mitbekommen, wer mich unterbrochen hatte. „Jedenfalls habe ich mit ihr geredet und dann habe ich… einen Knall gehört.“ „Wie hat er sich angehört?“ fragte wieder diese Stimme und brachte mich aus dem Konzept. Mein Blick schweifte zu Herr Yuki, der etwas genervt aussah, dann stand der Staatsanwalt auf. „Herr Ajabe, würden Sie bitte aufhören meinen Mandanten aus dem Konzept zu bringen? Stellen Sie ihre Fragen gefälligst nach der Aussage!“
 

Ich sah zu dem Verteidiger. Er hatte mir anscheinend die Fragen gestellt. Zumindest sah der Staatsanwalt ihn wütend an. „Er hat recht, Herr Ajabe“ sagte der Richter, ehe er wieder zu mir sah und mitfühlend lächelte. „Fahre fort.“ Ich sah ihn irritiert an und versuchte mich wieder zu sammeln, aber ich konnte es nicht. Wo war ich stehen geblieben? Ich sah aus irgendeinem Grund zu dem blonden Mann, der mich traurig musterte. Dann bemerkte ich wieder die Menschenmenge vor mir. Ich kniff die Augen zusammen und senkte den Kopf. Ich kann das nicht!
 

„Du schaffst das“ hörte ich Jadens Stimme sagen. Ich öffnete meine Augen und sah ihn überrascht an. Auch sein Vater drehte sich zu ihm und musterte ihn irritiert. Der Richter räusperte sich leicht und Jaden sah ihn verlegen an. Einen sehr kurzen Augenblick musste ich schmunzeln. Ein wenig von der Anspannung fiel von mir ab.
 

Wieder atmete ich tief durch und sah ihn an. „Ich habe einen Knall gehört. Und dann hörte ich ihren Schrei. Ich habe sie gerufen.“ Ich musste schlucken und meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser. „Wieder und wieder, aber sie hat nicht geantwortet… Etwa zwei Stunden später kam ein Polizist zu uns und hat uns von dem Unfall erzählt… Sie sind gestorben.“ Die letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, aber der Richter zwang mich nicht es noch einmal zu wiederholen. Ich konnte die aufkommenden Tränen unterdrücken.
 

„Vielen Dank. Der Verteidiger hat das Wort“ sagte der Richter in die aufgekommene Stille. Dieser Herr Ajabe erhob sich und sah mich mit einem stechenden Blick an. „Also, Herr Fudo, kommen wir zurück zu meiner letzten Frage. Wie hat sich das Geräusch für Sie angehört?“ Ich verstand wirklich nicht, was er mit dieser Frage bezwecken wollte. „Naja, es war ein metallener Knall“ sagte ich verwirrt. „Und der Schrei?“ fragte er weiter. Mein Herz schlug wieder schneller. Der Schrei hallte in meinem Kopf. Warum will er das wissen? Auch der Anwalt schien die Geduld zu verlieren. „Herr Ajabe, kommen Sie heute noch auf den Punkt, oder ist Ihr einziges Ziel, diesen Jungen den Augenblick immer wieder durchleben zu lassen?“ „Ich muss ihm recht geben. Diese Frage ist unzulässig, wenn Sie damit nichts bezwecken wollen“ sagte der Richter.
 

„Ich formuliere die Frage anders“ sagte Herr Ajabe. „Sie sind sich also ganz sicher, dass Sie Frau Miako Fudo zum Zeitpunkt des Unfalls angerufen haben?“ Ich nickte, aber ich wusste noch immer nicht, worauf er hinauswollte. „Gehe ich also recht in der Annahme, dass Sie Ihre Mutter zum Zeitpunkt des Unfalls mit diesem Anruf von ihrer Tätigkeit, also dem Fahren eines Kraftfahrzeugs, abgelenkt haben?“ Ich riss meine Augen auf und starrte ihn geschockt an. Mein Körper und mein Verstand waren wie gelähmt. Ich zitterte. Meine Sicht verschwamm allmählich. Wollte er ernsthaft mir die Schuld an dem Unfall geben? Hatte ich wirklich etwas damit zu tun? War ich ebenfalls schuld, dass sie tot sind?
 

Im Augenwinkel konnte ich sehen, dass der blonde Mann ihn ebenfalls mit offenem Mund anstarrte. Ehe der Staatsanwalt reagieren konnte, erhob sich Herr Yuki und sah den Verteidiger mit einem vernichtenden Blick an. „Wollen sie ernsthaft andeuten, er hätte Mitschuld an dem Unfall?“ sagte er wütend. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Mein Blick wanderte ganz langsam zu Jaden. Er sah mich an und schüttelte entschieden den Kopf. „Hattet ihr eine Freisprechanlage im Auto?“ fragte mich Herr Yuki. Ich nickte. Der Verteidiger sah mich böse an. „Sehen Sie?“ sagte Jadens Vater gereizt. „Sie hat sich also ganz darauf konzentrieren können, über diese Kreuzung zu fahren!“
 

„Na schön, keine weiteren Fragen“ grummelte der Verteidiger und setzte sich wieder. War das seine einzige Strategie? Mir einen Teil der Schuld zuzuschieben? Ich wurde aufgefordert, mich wieder an meinen Platz zu setzen. Aber mein Körper verweigerte mir den Dienst. Ich konnte mich Partout nicht bewegen. Mein Blick schweifte über die Menschen auf den Zuschauerbänken, den vielen Reportern, und blieb an meinem brünetten Freund hängen.
 

„Brauchst du eine kurze Pause?“ fragte mich der Richter leise. Das riss mich aus meiner Starre. Ich werde den Reportern nicht noch mehr Material für einen ihrer dämlichen, reißerischen Artikel geben. Zögerlich stand ich auf und konzentrierte mich, geradewegs auf den Platz zuzugehen. Als ich mich setzte, legte mir Herr Yuki wieder seine Hand auf die Schulter. „Lass dir das nicht einreden, hast du verstanden?“ sagte er leise, aber bestimmt. Ich wich seinem Blick aus und nickte stumm. Vielleicht hatte er recht, aber ich wollte nur noch die Verhandlung hinter mich bringen und hier raus.
 

Dummerweise war die Beweislage noch nicht beendet. Als nächstes folgten Bilder vom Autowrack und ein Experte zählte die Blechschäden auf. Ich versuchte ihn auszublenden. Das gelang mir zumindest besser als bei dem darauffolgenden Teil. Die Arztberichte. Ich stützte meine Arme auf dem Tisch ab, senkte den Kopf und hielt mir die Ohren zu. Leider konnte ich trotzdem das Meiste verstehen. Ich versuchte an etwas anderes zu denken.
 

Meine Arbeit an meinem Motorrad, bei dem mir Kalin geholfen hatte. „…schwere Gehirnerschütterung…“ Das Siegtor, das ich geschossen hatte, als wir die Regionalmeisterschaft gewonnen hatten. „…Glassplitterverletzungen der rechten Gesichtshälfte, Wirbelverletzungen im Bereich der…“ Meine Hände zitterten. Die Siegesfeier nach dem Spiel. Ich hatte Ärger bekommen, weil ich erst so spät zu Hause war. „…einseitige Brustkorbprellung mit Rippenbrüchen, sowie eine einseitige Schlüsselbeinfraktur…“ Eine Berührung zwischen meinen Schulterblättern. Herr Yuki versuchte mich zu beruhigen. Denk an etwas anderes! „…Wundtaschen an der Außenseite des rechten Beines mit Prellmarken und Schürfungen…“ Der Tag an dem ich mit Saki und Takashi verstecken spielte und in meinem Versteck eingeschlafen bin. „…Ober- und Unterschenkelfrakturen…“ Die beiden suchten fast zwei Stunden lang nach mir, aber meine Mutter fand mich schnell. Ich war in der Wäscherei. Das war mein Lieblingsversteck. „…einseitige Beckenringsprengung mit Schambein- Sitzbein- und Darmbeinfraktur…“ Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Tränen rannen stumm über meine Wangen und tropften auf die Tischplatte. Der Moment… Der Moment in dem ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand. „…schwere innere Blutungen durch eine Ruptur der Beckenarterie…“ Ich hatte das Lied meiner Mutter gespielt. Mit ihr zusammen. Ich versuchte die Melodie in meinem Kopf ablaufen zu lassen. „…der Fötus starb nur kurz nach dem Opfer…“
 

Ich kann nicht mehr! Lasst den Typen doch endlich fertig werden mit seiner Aussage! Ich versuchte krampfhaft keinen Ton von mir zu geben. Das ist schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte! Ich will nur noch hier raus… Bitte… Bitte lass es bald vorbei sein… Bitte! Ich kann nicht mehr…
 

* Die Sicht von Jaden *
 

Yusei saß schon eine ganze Weile lang einfach nur reglos da. Er schien gar nicht auf meinen Vater zu reagieren. Er hatte seinen Kopf auf dem Tisch abgestützt und hielt sich die Ohren zu. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich konnte genau erkennen, dass er zitterte wie Espenlaub. Ihm ging es einfach nur dreckig. Nachvollziehbar. Der Arzt war endlich fertig mit dem Gequatsche über die Verletzungen von Yuseis Mutter. Auch ich musste ziemlich schlucken. Das war hart.
 

Wie gerne hätte ich ihn während seiner Aussage, und auch jetzt, einfach nur umarmt. Und wie gerne hätte ich dem Verteidiger mit Anlauf ins Gesicht geschlagen! Wegen dieses Arschs denkt Yusei jetzt vielleicht wirklich, er hätte genauso Schuld an dem Unfall, wie der Fahrer. Aber das ist unsinnig!
 

Die Beweisaufnahme war endlich vorbei. Der Verteidiger dieses Typen schlug eine Bewährungsstrafe von einem Jahr vor. Lächerlich. Immerhin hat er eine schwangere Frau getötet und dabei um die 2 Promille im Blut gehabt. Er ist selbst schuld, wenn er damit noch fährt! Der Staatsanwalt schlug die Höchststrafe vor. Fünf Jahre ohne Bewährung. Von einer Frau in der Nähe dieses blonden Typen kam ein Wimmern.
 

Der Richter sagte, dass sie sich jetzt zur Beratung zurückziehen würden und der Angeklagte könnte noch ein Wort an Yusei richten. Er stand einfach nur auf, sah traurig und völlig verzweifelt zu meinem Freund rüber und sagte nur: „Es tut mir so leid.“ Der Richter nickte. In zwei Stunden würden sie das Urteil verkünden. Die Leute verließen allmählich den Gerichtssaal und der Staatsanwalt sprach noch kurz mit dem Richter. Mein Vater redete weiter auf Yusei ein. Ich lief auf die beiden zu.
 

„Hey“ sagte ich vorsichtig. „Du hast es geschafft. Es ist vorbei.“ Er bewegte sich immer noch nicht. Ich setzte mich neben ihn auf den Stuhl, wo vorher der Anwalt gesessen hatte und strich ihm vorsichtig über den Rücken. „Yusei es ist vorbei. Wir können gehen.“ Einen kurzen Blick konnte ich auf sein Gesicht erhaschen, als er seine Hände runternahm und mich ansah. Auf seinen Wangen waren Spuren von getrockneten Tränen und seine Augen hatten jeden Glanz verloren. Mein Vater sah mich mitfühlend an. „Ich glaube er hat einen psychischen Schock. Das war wohl doch zu viel für ihn. Was er jetzt braucht, ist Ruhe.“ Erschrocken sah ich erst meinen Vater, dann Yusei an.
 

Der Anwalt kam wieder an unserem Tisch an. „Ich habe mit dem Richter gesprochen. Bei der Urteilsverkündung muss er nicht dabei sein. Ich würde vorschlagen, ihr bringt ihn nach Hause. Das war ein langer Tag für ihn.“ Mein Vater seufzte. „Danke, Sie haben recht. Ich bring ihn zurück und werde zur Urteilsverkündung wieder da sein.“ An mich gerichtet, redete er weiter. „Na komm, Jaden. Du bleibst besser bei ihm.“ Ich nickte und wandte mich wieder Yusei zu. „Na komm, wir gehen. Du hast es geschafft. Ich bin echt stolz auf dich“ sagte ich mit einem kleinen Lächeln.
 

Langsam und wie mechanisch stand er auf und ging mit mir aus dem Raum raus. Sein Blick war nach unten gerichtet. Ich machte mir wirklich Sorgen. Ich hoffe, ihm geht es nach einer Mütze Schlaf wieder besser. Auf dem Gang und vor dem Gerichtsgebäude wurden wir wieder von diesen Paparazzis und Journalisten belagert. Ich hatte echt keine Ahnung, warum das für die so ein Riesen Ding ist. Mein Vater und einer der Sicherheitsbeamten wimmelten sie ab, sodass wir relativ gut bis zum Parkplatz durchkamen.
 

Im Anwesen von Herrn Kazuki angekommen, brachten wir Yusei in sein Zimmer. Er hatte noch immer kein Wort gesagt und starrte nur vor sich hin. Mein Vater sagte, das wäre nicht unüblich oder potenziell gefährlich, und dauert in den meisten Fällen nur wenige Stunden an. Ich hoffe er hat recht. „Ich fahre wieder los“ sagte mein Vater schließlich als wir auf dem Gang standen. „Bleib besser bei ihm. Ein häufiges Symptom ist Desorientierung. Nicht, dass er später noch im Haus umherirrt und sich verletzt.“ Ich nickte und ging wieder in das Zimmer.
 

Yusei saß einfach nur auf dem Bett und starrte mit gesenktem Kopf ins Leere. Genauso, wie wir ihn vor einigen Minuten verlassen hatten. Ich hockte mich vor ihm hin und sah in sein Gesicht. Es war, als würde er durch mich hindurchsehen. „Ich glaube, es ist besser du legst dich etwas hin. Du hast den ganzen Tag schon nichts gegessen. Nicht, dass du noch umkippst.“ Keine Reaktion. Ein leises Seufzen kam über mich. Was soll ich denn jetzt machen? Er zog sich schon wieder zurück, nur dieses Mal schlimmer als vorher.
 

Ich stand auf, drückte ihn sanft in sein Kissen und deckte ihn zu. Dann legte ich mich neben ihn. Stille durchzog den Raum. Das Einzige, was zu hören war, war unser Atem. Ich hatte auch nicht vor etwas zu sagen. Er brauchte jetzt Ruhe, hat mein Vater gesagt. Und Gesellschaft. Ich zog ihn an mich und strich ihm durchs Haar. Das hatte auch auf mich eine beruhigende Wirkung. Nähe hat doch beim letzten Mal auch gut funktioniert, oder?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yumi_Kira_Ichimaru
2021-06-26T20:02:28+00:00 26.06.2021 22:02
Nicht nur du Jaden willst dem Anwalt an die Gurgel -.-
Komm, wir beide lauern ihm das nächste mal auf!!

Das war wieder ein super spannendes und nervenaufreibendes Kapitel *-*
Kann gar nicht aufhören zu lesen und es ist schon 22:02 ^^'
Antwort von:  stardustrose
27.06.2021 23:26
Auf das Kapitel hab ich auch schon ewig mit dem Schreiben gewartet! Dachte zwischendurch es wäre vielleicht etwas drüber, gerade mit yuseis Problemen, die daraus resultierten ^^°


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