Zum Inhalt der Seite

Priester und Mörder

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ungewollte Konfrontation

Cartan war gerannt, ohne ein einziges Mal innezuhalten. Ohne Frage, er lief vor dem Monster davon, aber zum Teil wohl auch vor seinen eigenen verwirrenden Gedanken. Die Kirche als Zuflucht, das war nicht seine Überzeugung, sondern die von Castus, und doch fühlte es sich richtig an.
 

Leicht keuchend kam er vor den steinernen Mauern zum Stehen. Der Kirchturm, die breiten Flügeltüren und die mit bunten Mosaiken verzierten Fenster ließen ein Gefühl von Heimat in ihm aufsteigen. Cartan schüttelte den Kopf, dann ließ er seinen Blick umherschweifen, doch er konnte nichts entdecken. Vielleicht hatte er den Dämon abgeschüttelt.
 

Er drückte die breiten Türen auf und schob sich ins Innere der heiligen Hallen. Es herrschte Stille in dem alten Gemäuer. Des Nachts kamen manchmal einsame Menschen in die Kirche und beteten, doch die Holzreihen waren leer. Kein Priester stand vor dem Pult am Ende der großen Halle, sodass der Blick auf das Bildnis von Jesus, ans Kreuz genagelt, unwillkürlich in den Fokus rückte.
 

Aus irgendeinem Grund schlug Cartan das Herz bis zum Hals, er konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass er eine ganze Weile gerannt war, oder daran, dass er das Gefühl hatte, seine Gedanken würden nicht mehr gänzlich ihm gehören. Castus Wunsch nach Buße, das Gefühl der Verbundenheit zur Kirche, es war, als lauere das alles auch in ihm. War der wahnhafte Priester gar kein Geschwür, sondern wahrhaft ein Teil von ihm? Zwang das Wahrheitsserum ihn dazu, dass zu akzeptieren?
 

Er atmete tief durch und schritt voran. Selbst, wenn das so war, dann konnte er noch immer selbst über sein Leben bestimmen. Castus glaubte, dass seine Seele ohnehin verloren war, verdorben durch all die Sünden, die er begangen hatte. Wenn dem so war, wozu sollte er dann Buße tun? Er könnte ebenso gut sein Leben genießen, solange er es noch konnte.
 

Das Wahrheitsserum war keine Dauerlösung, das wurde ihm schmerzlich bewusst, bereits in diesem Moment, erzielte es nicht mehr gänzlich die erwünschte Wirkung. Relia zu retten könnte seine einzige Hoffnung sein.
 

Wo war Eros eigentlich hingegangen?
 

Vermutlich versuchte er die Dinge zu besorgen, die sie für das Ritual benötigten. Vielleicht auch eine Person, welche die Sünde des Hochmuts in sich trug. Wahrscheinlich wäre es das Klügste, wenn er sich in Castus Kammer zurückzog und bis zum nächsten Morgen wartete. Am Tag waren Dämonen schwächer und schlugen nur selten zu. Das wäre auch die beste Zeit, um das Ritual zu vollführen.
 

Er wandte sich von den hölzernen Bänken ab und bewegte sich zur Treppe, doch das Knatschen der alten Scharniere ließ ihn innehalten. Es war nicht die Eingangstür, sondern der Zugang zum Kellergewölbe, welcher geöffnet wurde. Eine ganze Prozession an Priestern, gewandet in dunkle rote Roben, trat in den Kirchensaal.
 

‚Herz und Blut‘, die Henker… Was taten sie in dieser Anzahl mitten in der Nacht in der Kirche? In den Kellergewölben wurden die Gefangenen aufbewahrt bis über ihr Schicksal entschieden wurde. Manche wurden hingerichtet, andere gefoltert, wenn man sich erhoffte, so an die Hintermänner heranzukommen. Und dass dies teilweise nachts geschah, machte wohl durchaus Sinn, aber warum waren es so viele? Cartan zählte 30 Priester.
 

„Sucht weiter! Die Arche muss hier irgendwo sein!“
 

Cartan verstand kein Wort. Arche? Er kannte die Bezeichnung nur aus Noahs Geschichte. Doch das machte keinerlei Sinn. Die Priester suchten wohl kaum ein riesiges Schiff.
 

Er zuckte zusammen, als er erneut Hitze an seinem Handgelenk fühlte. Aufmerksam ließ er seinen Blick schweifen. Doch alles was er sehen konnte, waren der leere Kirchensaal und die Priester.
 

Die Henker hatten ihn bemerkt, einige deuteten auf ihn und einer der Männer schritt auf Cartan zu. Er hatte so gut wie nie mit den anderen Gruppierungen geredet. Pater Mechalis hatte ihm stets klar gemacht, dass dies auch nicht gewünscht war. Freundschaften, Kameradschaft oder ähnliches waren für den Pfad als Priester von Feuer und Seele eher hinderlich.
 

Am Ende der Gebetsreihen nahe der breiten Eingangstür standen sie sich gegenüber. Der in rote Roben gewandte Henker und Cartan in seinen schwarzen Roben. Der andere Mann nickte ihm zu und zog seine Kapuze zurück. Ein etwas älterer Herr mit grauen Haaren und braunen Augen blickte Cartan aufmerksam entgegen.
 

„Ihr seid ein Priester von Feuer und Seele, richtig?“
 

Auch, wenn es sich in gewisser Weise falsch anfühlte, nickte Cartan. Jahrelang war er dieser Berufung mit absoluter Hingabe gefolgt, nun nicht er, eher Castus, aber dennoch, er war ein Priester.
 

„Es gibt Probleme in der Kirche, es scheint einen Eindringling zu geben, bitte zieht Euch zurück. Es handelt sich um einen Menschen. Dies ist kein Fall für Euch“.
 

„Ihr sagtet Ihr würdet eine Arche suchen?“
 

Cartan konnte die Frage nicht zurückhalten, doch der andere zuckte einfach nur mit den Achseln.
 

„Das ist nur ein Wort, welches wir für Verräter und entflohene Verbrecher verwenden. Jemand hat es offenbar geschafft aus dem Kellergewölbe auszubrechen. Wir sind uns sicher, er ist noch in der Kirche.“
 

„Mein Insigne, es reagiert auf etwas. Vielleicht ist es doch kein Mensch oder zu mindestens nicht nur.“
 

Der Henker wirkte noch immer entspannt, etwas das Cartan irritierte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Eros recht haben könnte. Die Kirche hatte Geheimnisse. Informationen, die sie selbst Castus nicht offenbarten.
 

„Seid unbesorgt, wir haben die Situation im Griff.“
 

Unwillkürlich wanderte Cartans Blick hinter den Priester, da er erneut das Gefühl hatte eine unangenehme Präsenz wahrzunehmen. Die Priester von Herz und Blut standen am Ende der Gebetsreihen, einige tuschelten, andere ließen ihren Blick aufmerksam umherschweifen, doch einer der Priester rührte sich überhaupt nicht. Die Roben umhüllten den Körper vollkommen. Wie bei der Predigt. Die verhüllte Gestalt schien Cartan anzustarren, obwohl der Kopf und die Augen unter dem Stoff verborgen waren. Sein Insigne brannte regelrecht.
 

Cartan hob seine Hand und deutete auf den Priester. Er war sich sicher, dass es der Dämon war, den er in Relias Anwesen gesehen hatte.
 

Der ältere Herr zog die Augenbrauen zusammen und wandte sich um, doch in dem Moment, als alle Augen sich auf den Dämon richteten, schoben sich Arme unter der Robe hervor. Cartan wusste augenblicklich, dass er Recht hatte. Verrottete Hände umfassten jene hölzerne Sense, welche er bereits einmal gesehen und zu spüren bekommen hatte.

Die zweite Hand zog die Kapuze der roten Robe zurück und offenbarte den kahlen Schädel. Die Nase fehlte und eines der Augen war tiefrot, doch Cartan sah das Wesen nicht direkt an. Er erinnerte sich mit erschreckender Klarheit daran, dass er keinen Muskel hatte rühren können.
 

Aber er hörte den markerschütternden Schrei der ertönte. Nicht menschlich, sondern voller Wahn. Durchdringend und einschüchternd. Er wich zurück, sah, dass das Monster von den Priestern attackiert wurde. Doch sie machten den Fehler, es direkt anzusehen. Einer der Männer erstarrte. Die anderen griffen den Dämon an, doch er wehrte jeden der Schläge mit seiner Sense ab.
 

Direkt vor dem Priester kam das Wesen zum Stehen. Es packte den Mann, zog ihn am Roben-Kragen nach oben und hob die Sense an. Nur um sie dann hinabsausen zu lassen, direkt in eines der Augen des Mannes. Nicht mal Schreien konnte das Opfer. Die Sense versenkte sich im Schädel und ließ den Priester zerfallen, in einer grotesken Schau verschrumpelte die Haut, es bildeten sich Falten, bis schließlich nur ein eingefallener Schädel zurückblieb.
 

Doch Cartan bemerkte etwas. Zuvor hatte der Dämon jeden Schlag mit seiner Sense abgewehrt, doch nun, konnten die anderen Priester ihn treffen. Sie schlugen mit Stöcken und Schwertern auf das Monster ein und die Hiebe erzielten Wirkung.
 

Der Dämon kreischte und ließ sein Opfer fallen.
 

„Seht ihn nicht direkt an!“, rief Cartan und fand Gehör. Die Priester senkten ihre Blicke und begannen blind nach dem Wesen zu schlagen. Doch nun wehrte es wieder alle Angriffe ab. Einige Hiebe der Sense trafen den Stoff der Roben oder die Priester selber. Einer taumelte zurück, seine Hand hing alt und vertrocknet herab.
 

Der ältere Priester, welcher Cartan entgegengekommen war schien wie erstarrt, doch nun rührte er sich.
 

„Es ist zu stark, mehr Verluste dürfen wir nicht riskieren! Wir müssen den Träger suchen, er ist das wahre Ziel! Zieht euch zurück!“, rief er und stürmte zur Eingangstür.
 

Das versetzte die Prozession aus Priestern in Bewegung. Ein wildes durcheinander aus roten Roben entstand, in dem Cartan den Dämon nicht mehr ausmachen konnte. Wahrscheinlich hatte er sich erneut unter den Roben versteckt.
 

Cartan drängte sich rasch zwischen die hölzernen Bänke, um nicht überrannt zu werden. Die Priester stürmten vorbei, drückten die breiten Türen auf und stürmten hinaus. Die roten Roben verschwanden in der Dunkelheit der Nacht, und mit ihnen offenbar der Dämon, denn die Hallen blieben erneut leer zurück.
 

Unbewusst hatte er die Luft angehalten, welche er nun ausstieß. Sein Blick wanderte umher. Nichts zu sehen. Warum war der Dämon mit den Priestern verschwunden? Weil sie ihn gesehen hatten? Wollte er nun jeden von ihnen auslöschen? Und warum suchten Priester von Herz und Blut, nach dem Wirt des Dämons? Das wäre eigentlich eine Aufgabe für einen Priester von Feuer und Seele. Es machte keinen Sinn.
 

Vermutlich sollte er ihnen folgen, doch er hatte keine Magie. Weder das echte Feuer, noch Castus heilige Flammen konnte er heraufbeschwören. Das silberne Schwert, welches an seinem Gürtel in dem Schaft hing, war seine einzige Waffe. Vielleicht, wenn er den Dämon damit erwischte, während er gerade ein anderes Opfer aussaugte, könnte er ihn töten. Doch die anhaltende Hitze an seinem Handgelenk hielt ihn zurück.
 

Entweder hatte der Dämon den Aufruhr genutzt, um nach draußen zu verschwinden, oder er hatte sich irgendwo in diesen Hallen verborgen. Eine weitere Möglichkeit war natürlich Relia, auch sie könnte an diesem Ort sein.
 

Das Insigne glühte nicht mehr ganz so heiß wie zuvor. Die Wärme war erträglich, fast angenehm. Was bedeutete, dass der Dämon nicht mehr so nah war. Cartan kehrte zurück zum Gang zwischen den hölzernen Gebetsreihen. Die Eingangstür war wieder zugefallen. Langsam ging er auf den Keller zu. Nur ein wenig, kaum merklich, nahm die Hitze zu.
 

Irgendetwas verbarg sich in den Kellergewölben der Kirche. Relia, der Dämon und zusätzlich vielleicht auch der entflohene Gefangene von dem die Priester gesprochen hatten. Cartan hatte einen inneren Kampf auszufechten. Er wollte fliehen, er wollte sein Leben nicht riskieren, nur, um, ja, was eigentlich? Wofür sollte er kämpfen? Cartan erkannte keinen Sinn darin sich einem Dämon zu stellen, der ihn definitiv töten würde. Er teilte Castus wahnhafte Überzeugung nicht. Luisa, die verheiratete Frau, welche er verführt hatte, sie hatte mitgemacht. Sie hatte sich auf ihn eingelassen und ihren Mann betrogen. Gut, natürlich, wäre es besser gewesen, er hätte sie nie in Versuchung geführt, aber über die Konsequenzen hatte er sich keine Gedanken gemacht. Er hätte nie gedacht, dass der gehörnte Ehemann sie töten würde. Und war das tatsächlich seine Schuld? Wenn es eine Hölle gab, sollte dann nicht Luisas Ehemann in ihr schmoren, dafür das er sie getötet hatte?
 

Cartan verstand die Moral von der so viele sprachen nicht. War es gerecht zu morden, wenn jemand einen Fehler begangen hatte? Warum wurde er verdammt, nur, weil er sein Leben genoss? Wo doch so viele andere für ihre eigenen Ziele sogar über Leichen gingen. Diese Welt war korrupt und falsch und wurde von Egoismus regiert. Er hatte keinen Grund anders zu sein. Für wen oder was? Castus versuchte ein Held zu sein, selbstlos und gerecht, doch was sollte das bringen? Was hatte es ihm bisher gebracht?
 

Er ging ein paar Schritte rückwärts. So langsam, warum stürmte er nicht zur Tür? Was hielt ihn zurück?
 

Du weißt was das Richtige ist. Du kannst nicht zulassen, dass die Kirche von Dämonen korrumpiert wird.
 

Cartan schüttelte den Kopf. „Das kann ich sehr wohl, es ist nicht meine Verantwortung.“
 

Tatsächlich drehte er sich um, aber seine rechte Hand umklammerte den linken Unterarm. Drückte und kratzte. Das war nicht er, dass wollte er nicht.
 

„Hör auf!“, rief er und schaffte es tatsächlich den Griff zu lösen. Keine Kontrolle, zwei Willen in einem Körper. Er bebte.
 

Es ist unsere Berufung. Wir müssen Unschuldige schützen. In diesem Moment mordet der Dämon. Nicht nur Bürger dieser Stadt, sondern auch die Priester. Er verbirgt sich unter unseren Roben und geht vielleicht schon seit Tagen in der Kirche ein und aus.
 

Cartan schüttelte den Kopf. „Wenn ich weitergehe, hältst du dann endlich den Mund?“
 

Stille. Cartan seufzte. Würde er jemals wieder gänzlich frei sein?
 

Er schritt auf das Kellergewölbe zu, die Hitze an seinem Handgelenk war allgegenwärtig. Sie nahm mit jedem Schritt weiter zu. Nur eines verstand er nicht. Die Henker waren aus dem Keller gekommen. Wenn sich Relia dort verbarg, wieso hatten sie sie nicht gefunden? Nun ja, sie hatten kein Insigne, wenn die Magierin sich gut genug verbarg, könnte das bereits die Erklärung sein.
 

Cartan hatte die breite Zugangstür geöffnet und das Gewölbe betreten. Dunkelheit breitete sich vor ihm aus. In diesen Raum fiel kaum Mondlicht, da es nur in den Zellen einzelne vergitterte Fenster gab. Genau deshalb gab es Halterungen mit Fackeln. Cartan griff nach einer, auch, wenn ihm bewusst war, dass er sie vermutlich nicht entzünden könnte.
 

Er konzentrierte sich, suchte nach der Magie, doch nichts. „Verdammt!“
 

Castus zerstörte alles, nahm ihm sein Leben, seine Freude und nun auch seine Fähigkeiten. Er stand in dem dunklen Gewölbe und auch, wenn seine Augen sich langsam an das spärliche Licht gewöhnten, konnte er dennoch fast gar nichts erkennen. Nur Schemen. Das Insigne brannte noch immer an seinem Handgelenk, fast als wolle es ihn verspotten. Mit der Magie, die eigentlich zu Castus gehörte. Cartan war kein Priester, er wollte einfach nur frei sein, sein Leben genießen und die Dunkelheit der Menschen vergessen. Es war nicht seine Verantwortung die Welt zu retten.
 

Wieso befand er sich in so einer Situation? Geplagt von einer ungewollten Stimme, nur ein magisches Elixier erlaubte ihm überhaupt Herr seiner Sinne zu sein. Und doch war er nur ein Schatten seiner selbst. Er fühlte Wut, unbändige Wut. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er wollte sein Leben zurück, er wollte endlich wieder frei sein.
 

Die Wut pulsierte regelrecht in ihm. Und plötzlich fühlte er es, wie früher, die Magie wurde greifbar. Die Flammen umspielten seine Hände. Cartan hob seine Arme, lachte laut auf und betrachtete das Feuer. Diese Macht war doch noch ein Teil von ihm. Breit grinsend entzündete er die Fackel. Gerade noch rechtzeitig, denn die Flammen erloschen. „Wieso? Verdammt…“ Nichts. Wieder konnte er seine Fähigkeiten nicht greifen, als würde die Quelle oder der Auslöser fehlen.
 

Wir haben jetzt Licht. Du musst weiter gehen. Rette die Kirche.
 

„Ich dachte wir hatten eine Vereinbarung. Du lässt mich in Ruhe, dann gehe ich weiter.“
 

Aber mit einer Sache hatte Castus recht. Er hatte nun eine Lichtquelle und stand somit besser da als zuvor. Das Feuer beleuchtete die hohen Decken des Gewölbes. Ein langer und breiter steinerner Gang. An den Seiten befanden sich mehrere Zellen, aneinandergereiht, die meisten unverschlossen. Cartan hatte in diesem Kerker tatsächlich selten Gefangene gesehen. Es gab Gerüchte, dass die meisten Gesetzlosen in einem anderen Abschnitt der Kirche, von Herz und Blut, gefoltert wurden. Aber er hatte diesen Ort nie gesehen.
 

Sein Insigne war noch immer warm. Er folgte dessen Pulsieren, versuchte verschiedene Richtungen einzuschlagen, um zu prüfen, wo die Hitze zunahm. Nach ein paar Metern hielt er inne. Das Insigne glühte, als er sich nach links zu einer der Zellen wandt. Doch augenscheinlich war diese leer.
 

Vorsichtig näherte er sich und betrat den vergitterten Raum. Sein Handgelenk brannte regelrecht. Irritiert ging er auf die steinerne Wand zu, tastete sie ab und leuchtete mit der Fackel durch die Eisenstäbe, um die anliegenden Zellen zu betrachten. Nichts.

Ein geheimer Raum würde natürlich erklären, warum Relia nicht entdeckt worden war.
 

Cartan ließ die Fackel an der Wand entlangwandern und tatsächlich bemerkte er einen Stein, der ein ganz klein wenig hervorstand. Mit der rechten Hand übte er Druck an genau dieser Stelle aus und wich ein Stück zurück, als ein Grollen ertönte. Die steinerne Wand öffnete sich und offenbarte den Zugang zu einer kleinen Kammer.

Cartan konnte sich das nur durch Magie erklären. Es war nicht einfach, aber man konnte Gegenstände verzaubern, manche Magier spezialisierten sich darauf, oder hatten Fähigkeiten, die genau für solche Zwecke geeignet waren. Der Raum hinter der Wand war klein, und offenbar als eine Art Zimmer eingerichtet worden. Vielleicht hatte ein Priester oder Mönch sich schon vor Jahren oder Jahrhunderten eine geheime Zuflucht geschaffen. Bei all den Regeln der Kirche könnte Cartan das gut verstehen.
 

Er duckte sich und trat durch den kleinen Zugang. Von der Zelle aus hatte er nur einen kleinen Tisch und eine Art hölzerne Ablage gesehen. Doch, in der Ecke lagen mehrere gestapelte Leinendecken und Kissen. Darauf saß Relia, aber sie war kaum wiederzuerkennen.
 

Ihre Augen waren tiefschwarz, die Haut weiß und die Wangen eingefallen, als hätte sie tagelang nichts gegessen. Die Blässe ließ die dunklen Höhlen noch viel bedrohlicher wirken. Fast als wäre sie nicht länger menschlich. Die Haare waren nicht mehr zu einem Zopf gebunden, sondern hingen wirr in ihr Gesicht.
 

In einer Hand hielt sie ein Messer und fuhr damit immer wieder über ihre bereits blutverschmierte linke Hand und den Arm. Der Edelstein lag auf den Leinentüchern und wurde bedeckt von ihrem Blut. Sie nahm Cartan offenbar überhaupt nicht wahr. Stattdessen murmelte sie wie in Trance vor sich hin.
 

„Gehorche, ich bin die Herrin über Leben und Tod. Diese Tölpel von Herz und Blut sind nur Insekten. Töte Eros, töte den Priester von Feuer und Seele. Beuge dich mir!“
 

Wie im Wahn wiederholte sie immer wieder das gleiche und fügte sich weitere Wunden zu. Wenn sie so weiter machte, würde Relia sterben. Elendig verbluten oder verhungern.
 

„So viel Energie, so viele kleine Käfer. Rote Insekten. Mein, ich zeige ihnen wer ihr Herr ist. Meine Macht übersteigt alles.“
 

Relia sah völlig wahnsinnig aus. Ihr Kopf war erhoben und sie grinste. Doch ihr Mund war zu weit geöffnet, es wirkte irreal. Bis sie plötzlich in sich zusammensackte, die Waffe entglitt ihren Händen und fiel zu Boden. Cartan fühlte sich wie erstarrt. Der Dämon schien sich Relias Befehlen zu verweigern. Wahrscheinlich, weil sie zu schwach war. Körperlich und geistig. Sie war der Sünde des Hochmuts beinahe vollends verfallen. Wenn Eros und er sie noch retten wollten, müssten sie schnell sein.
 

Cartan näherte sich Relia vorsichtig, bis er direkt vor ihr stand. Er trat das Messer zur Seite, damit sie nicht wieder danach greifen könnte. Dann strich er ihr die Haare mit einer Hand aus der Stirn und mit der anderen richtete er vorsichtig ihren Kopf wieder auf. Sie war fürchterlich kalt. Vorsichtig brachte er sie in eine liegende Position, nur um dann ein paar Leinendecken zu zerreißen und diese provisorisch um Relias Wunden zu wickeln.
 

Er war kein Heiler, ausreichend war diese Behandlung sicher nicht, aber vielleicht würde sie zu mindestens nicht verbluten. Plötzlich wurde sein Handgelenk gepackt und schwarze Augen fixierten ihn.
 

„Du! Elendes Insekt, schleichst noch immer herum, gibst nicht auf. Dabei stehe ich über euch, über euch allen. Am Ende werde ich die Herrscherin über alles sein. Diese Welt wird nur mein sein, frei von all den lästigen Insekten.“
 

Cartan löste sich von ihr und griff instinktiv nach dem blutroten Edelstein. Relias Augen weiteten sich, trotz ihrer Schwäche bäumte sie sich auf. „Gib ihn mir zurück! Gib ihn mir. Das ist mein Eigentum, meine Macht. Du kannst ihn nicht kontrollieren!“
 

„Das muss ich nicht“, sagte er, bevor er sich erhob. Relia wandt sich und versuchte sich mit den Händen vorwärts zu ziehen. Sie hatte offenbar keine Kraft mehr aufzustehen.
 

„Nur Insekten“, murmelte sie immer und immer wieder. Obwohl sie sich die Ellbogen am steinernen Boden aufschürfte. Cartan wusste nicht recht, ob er Mitleid oder Angst empfinden sollte. Würde der Dämon zurückkommen, so wäre das mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit sein Ende. Doch eine bessere Gelegenheit Relia zu fangen würde sich nicht bieten.
 

Sie war schwach und der Dämon höchstwahrscheinlich damit beschäftigt die Priester von Herz und Blut zu jagen. Einen kurzen Moment könnte er sie wohl allein lassen. Cartan verließ die kleine Kammer, Relias lautes Gekeife ignorierte er.
 

Sein Herz schlug ihm die ganze Zeit bis zum Hals. War das wirklich das richtige? Ein Ritual, um den Dämon zu übertragen? Nicht, dass er Gewissensbisse bekam, aber ihm schien, dass Eros recht hatte. Die Kirche verbarg Geheimnisse, selbst vor Castus. Warum sonst, hätten sie Herz und Blut auf einen Besessenen ansetzen sollen. Die Priester von Feuer und Seele erhielten vielleicht nur die Informationen, die es für die Kirche leichter machte, sie zu kontrollieren.
 

Wer besessen ist, ist verloren. Man kann nicht einfach jemand anderen verdammen. Und selbst, wenn, das ist nicht die Erlösung nach der ich suche. Die Kirche nahm uns auf, gab uns einen Sinn, wage es nicht sie in den Dreck zu ziehen.
 

„Du würdest so etwas nie tun, nein, aber ich schon. Ich will dich loswerden. Nicht mehr und nicht weniger. Und diese Frau wird mir vielleicht dabei helfen.“
 

Cartan sah sich um und fand in einer der Zellen eine Schubkarre. Ein wenig rostig und dreckig, aber das war egal. Er schob sie zu Relia, welche sich mittlerweile aus dem Geheimraum herausgezogen hatte.
 

„Gib mir den Edelstein zurück! Ich stehe über dir! Ich befehle es dir!“
 

Er ging gar nicht auf ihre haltlosen Forderungen ein. In diesem Moment stand ganz eindeutig er über ihr. Sie war ihm ausgeliefert. Cartan ging auf die Frau am Boden zu, griff unter ihre Arme und zog sie hoch. Relia hatte keine Kraft um sich zu wehren.
 

„Lass mich los!“, verlangte sie, doch Cartan ließ nicht von ihr ab. Er bugsierte sie in die Schubkarre und holte einige der Leinendecken aus dem Zimmer. Ihr Gemeckere könnte ein Problem werden. Also riss er erneut ein Stück von den Leinen ab und stopfte es ihr in den Mund, mit einem anderen Fetzen band er den Knebel fest. Sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen hasserfüllt an, aber später würde sie ihm vielleicht dafür danken. Nun, falls sie das alle überleben würden.
 

Anschließend warf er mehrere der anderen Leinendecken über sie, um sie zu verdecken. Es wäre riskant sie so durch die Stadt zu schieben, doch es war Nacht und auch er kannte ein paar Seitengassen Lorrings, die nicht allzu oft genutzt wurden.
 

Er musste Eros finden, so schnell wie möglich. Sie hatten nicht viel Zeit. Blieb nur zu hoffen, dass Eros aufgebrochen war, um die Person zu entführen, welche aus seiner Sicht den Hochmut verkörperte. Cartan war sich sicher, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, um das Ritual auszuführen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück