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Broken Birdie

von

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Sweet Sixteen

Sakura wischte sich den rosa Lippenstift aus dem Gesicht, den sie wenige Minuten zuvor noch unwiderstehlich an sich gefunden hatte. Sie wollte hübsch aussehen – weil heute ein wichtiger Tag für Naruto war, nicht weil sie insgeheim darauf hoffte, dass ein bestimmter Jemand auftauchte. Aber der Lippenstift war zu viel des Guten, er sah nach zu viel Mühe aus, die sie sich mit ihrem Aussehen gegeben hatte. Ja, sie wollte hübsch aussehen, aber unauffällig hübsch. Die unaufwendig aussehende aufwendige Flechtfrisur und der himmelblaue Yukata¹, der eigentlich viel zu dünn für die Jahreszeit war, würden schon genug Aufsehen erregen, da Sakura sich selten betont feminin präsentierte. Und mit dem Parfum hatte sie ebenfalls ein bisschen übertrieben. Aber zum Duschen blieb ihr keine Zeit mehr, sie war ohnehin spät dran, begutachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, befand das Ergebnis für gar nicht schlecht und huschte auf leisen Sohlen durch den Flur, damit ihre Mutter sie nicht erwischte und eine Diskussion wegen ihres wetteruntauglichen Outfits entbrannte.

„Ich bin jetzt weg“, rief sie Mebuki zu, die in der Küche hantierte, und war zur Tür raus.
 

Es regnete nicht mehr, doch die Luft war feucht und kalt, und sie kuschelte sich in ihre Winterjacke, während sie sich zügigen Schrittes auf den Weg zu Narutos Appartement machte. Er lebte in einer der ärmlicheren Gegenden, in einem schäbigen Wohnblock und sie verstand nicht, weshalb er sich nicht allmählich etwas Besseres suchte, aber jedes Mal, wenn sie ihn darauf ansprach, meinte er nur grinsend, dass ihm seine kleine Wohnung reichte. Sakura würde nicht mal ihren Kleiderschrank in diese Hutschachtel, die er Zuhause schimpfte, gequetscht kriegen.
 

Bibbernd klopfte sie an seine Wohnungstür. Letztmals war ihr so kalt gewesen, als sie in Yukigakure gewesen war, eine der letzten Missionen, die Team 7 angetreten hatte, doch wer schön sein wollte, musste bekanntermaßen leiden, und Ninja kannten sowieso keinen Schmerz. Naruto öffnete ihr und zog sie direkt in eine feste, herzliche Umarmung, die sehr viel selbstsicherer als der unkoordinierte Tentakelangriff vorm Krankenhaus war. War das jetzt ein Ding zwischen ihnen? Nicht, dass sie ein Problem damit hatte. Sasuke war nicht der einzige, dem ein bisschen Zuwendung guttat, und Naruto war herrlich warm. Sie lehnte sich gegen ihn, genoss das Gefühl der absoluten Geborgenheit, das er ihr gab, und vielleicht ließ sie die Umarmung deswegen länger andauern, als zwischen Freunden üblich war. Naruto war es schließlich, der diese mit einem sanften Klaps auf ihren Rücken beendete.
 

„Ich freue mich, dass du da bist. Komm rein, du bist eiskalt.“

Sie folgte der Aufforderung und Naruto half ihr wie ein echter Gentleman aus der Jacke, hing diese anschließend sogar ordentlich über den Stuhl, den er für die Garderobe bereitgestellt hatte. „Wow, Sakura, du siehst klasse aus, echt jetzt.“
 

„Danke“, sagte sie verlegen und dann, weil ihr peinlich war, wie das Kompliment Hitze in ihren Wangen aufsteigen ließ: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“ Sollte sie ihn noch mal umarmen oder wäre das schräg, nachdem sie sich gerade erst ziemlich lange umarmt hatten?
 

Naruto nahm ihr die Entscheidung ab, indem er einen halben Schritt von ihr zurücktrat und die Enden eines langen roten Wollschals umfasste. „Guck mal, den hat mir Hinata geschenkt. Nett von ihr, oder?“
 

Nett war sicherlich nicht die Beurteilung, die sich die Blauhaarige erhofft hatte, deswegen streichelte Sakura über das weiche Material und meinte anerkennend: „Ein tolles Geschenk und mit viel Liebe gemacht, möchte ich wetten.“ Ihr entging, dass Hinata schüchtern in der Wohnzimmertür stand und den vertrauten Umgang der beiden mit verletztem Blick beobachtete. „Da kann ich nicht mithalten“, gestand Sakura und überreichte ihm die Geburtstagskarte, in der sich ein Gutschein für Ichiraku befand. Ihr Präsent zeugte nicht von Kreativität, aber um ihm seinen größten Wunsch zu erfüllen, hätte sie Tsunades Rücktritt als Hokage erzwingen müssen.
 

„Spitze, genau das, was ich mir gewünscht habe, echt jetzt“, freute er sich und nahm sie bei der Hand, um sie ins Wohnzimmer zu führen. „Wo hast du eigentlich deinen geheimnisvollen Freund gelassen?“
 

„Er weiß noch nicht, ob er es schafft“, drückte sie sich vage um eine Antwort. Vielleicht sollte sie ihm einfach sagen, dass es sich bei besagtem Freund um Sasuke handelte, aber wenn er nicht kam, wäre Naruto vermutlich maßlos enttäuscht. Der Uchiha hatte nicht fest zugesagt und ihre Einladung war arg kurzfristig gewesen; eigentlich glaubte sie nicht recht daran, dass er die Lust oder Zeit für eine Party aufbrachte.
 

„Dann ist er ein Idiot, wenn er sich die Chance entgehen lässt.“
 

„Wir sind nur Freunde“, berichtigte sie. Die Hokage der letzten vier Generationen mochten ihr beistehen, wenn Naruto herumposaunte, dass sie angeblich einen mysteriösen Lover hätte und sich besagter vermeintlicher Liebhaber als Sasuke herausstellte. Dann wäre ihre Freundschaft mit Ino endgültig Geschichte – derzeit spekulierte sie darauf, dass die Blonde in einigen Tagen selbst einsah, wie albern sie sich benommen hatte – und Naruto und Sasuke würden auch keinen Beifall klatschen.
 

„Ich meinte, Zeit mit mir verbringen zu dürfen. Jetzt, wo ich bald Hokage bin, sollten die Leute anfangen, sich bei mir einzuschleimen.“ Ihr dummes Gesicht ließ ihn in schallendes Gelächter ausbrechen, was die Aufmerksamkeit der bereits anwesenden Gäste auf sie und rasch auf ihre miteinander verflochtenen Finger lenkte.
 

Sakura entzog ihm die Hand und winkte scheu in die Runde. Das Zimmer war klein und übersichtlich und auch als sie ihre Augen ein zweites Mal durch den Raum schweifen ließ, entdeckte sie Sasuke nicht. Sie war nicht überrascht, hatte nichts anderes erwartet, aber Rationalität hatte enttäuschte Hoffnungen noch nie weniger bitter schmecken lassen.

Sensei Iruka, Neji, eine hübsche Brünette, die sie ohne die strengen Haarknoten im ersten Moment gar nicht als Tenten erkannt hatte, und Lee saßen um Narutos Tisch versammelt und hatten vor ihrem Eintreffen offenbar innbrünstig diskutiert. Hinata stand mit gesenktem Blick neben der Tür, verbeugte sich leicht und piepste leise: „Hallo Sakura-kun.“
 

Sie zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte den Gruß, obgleich sie insgeheim bereits überlegte, wie lange sie bleiben musste, um keine Spielverderberin zu sein. Sie war wegen Naruto gekommen, aber die Feierlaune war ihr gründlich abhandengekommen.
 

„Sakura!“, schrie Lee, sprang auf und wedelte wild mit der Hand durch die Luft. Sie versteckte sich halb hinter Naruto, nur für den Fall, dass Lee ihr wieder mal Küsschen zuwerfen wollte. „Ich, Sensei Iruka und Neji…“
 

„Das heißt: Sensei Iruka, Neji und ich, Lee. Es ist unhöflich, sich zuerst zu nennen“, tadelte Neji, ungeachtet der Tatsache, dass es nicht minder unhöflich war, jemanden zu unterbrechen.
 

„Du hast recht, ich bitte um Verzeihung“, entschuldigte sich Lee mit einer tiefen Verbeugung gen Neji.
 

„Und ich bin nicht mehr euer Sensei“, sagte Iruka, obwohl ihm die Anrede sichtlich schmeichelte. „Neji ist inzwischen sogar ranghöher als ich, also sollte er zuerst genannt werden.“
 

„Aber Sie sind schon alt.“
 

„Lee“, stöhnten Tenten und Neji synchron auf und kniffen sich wie in einer perfekt abgestimmten Choreografie simultan in die Nasenwurzeln.
 

„Ich bin erst sechsundzwanzig.“ Iruka ließ niedergeschlagen den Kopf auf die Tischplatte sinken. „Das ist jung.“ Tenten tätschelte ihm tröstend die Schulter.
 

„Okay, also Neji, Sensei Iruka und ich haben Tenten zu erklären versucht, wie wichtig sie für unser Team ist. Sie ist deprimiert, weil sie doch die Ausbildung zur Iryōnin nicht geschafft hat, und ich dachte, dass du vielleicht mal mit ihr reden kannst.“
 

„Abgebrochen“, korrigierte Tenten errötend. „Ich habe die Ausbildung abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass meine Stärke in der Offensive liegt.“
 

„Aber gerade hast du noch gesagt…“
 

„Ich weiß, was ich gesagt habe“, zischte die Brünette und wandte sich widerwillig an Sakura: „Lady Tsunade ist mein Vorbild, deswegen wollte ich Medizin-Ninja werden, allerdings reicht meine Chakrakontrolle nicht für medizinische Jutsu aus.“
 

„Du musst keine Iryōnin werden, um eine starke Kunoichi zu sein. Erinnerst du dich noch, wie du an unserem ersten Tag sagtest, dass Frauen ebenso stark wie Männer sein können, und ich dich auslachte? Du hast bewiesen, dass ich falsch lag, und dein Fūinjutsu ist unübertroffen“, meinte Neji sanft und legte seine Hand auf ihrem Unterarm ab.
 

„Das stimmt“, pflichtete Sakura bei, obzwar Nejis Worte alles an Bestätigung zu sein schien, die Tenten brauchte. „Wir alle haben individuelle Stärken und Schwächen. Ich kann nicht gut mit Waffen umgehen, Lee kann keine Ninjutsu anwenden.“
 

„Genjutsu auch nicht“, warf er stolz ein.
 

„Und Naruto ist kein Stratege.“
 

„Deswegen ist er noch immer ein Genin“, stichelte Neji.
 

„Nur, weil ich mit dem kauzigen Berg-Eremiten trainiert habe und der alte Sack vergessen hat, mich für die Prüfung anzumelden, echt jetzt“, schmollte der Blonde.
 

„Jungs.“ Sensei Iruka hob beschwichtigend die Hände.
 

Gleichzeitig intervenierte Sakura: „Ränge sagen letztlich sowieso nicht viel über das Können eines Shinobi aus.“

Sie fühlte sich verpflichtet, ihn in dieser Hinsicht zu verteidigen. Nachdem Sasuke damals quasi über Nacht aus dem Dorf verschwunden war, hatte Jiraiya Naruto angeboten, Konoha mit ihm gemeinsam zu verlassen, um zu trainieren. Naruto hatte sie um ihre Meinung gebeten, aber sie hatten beide gewusst, dass die eigentliche Frage war, ob sie allein zurechtkäme. Sakura hatte nicht verlangt, dass er blieb – so egoistisch war sie nicht –, doch wirklich ermutigt hatte sie ihn auch nicht. Er war nicht gegangen, wegen ihr, und es stand in den Sternen, wie stark er sein könnte, wenn sie nicht so schwach gewesen wäre. Sie hatte viele Dinge getan, auf die sie nicht stolz war, war in der Vergangenheit oft gemein, sogar grausam zu Naruto gewesen, aber wie sehr sie sich seinem Fortschritt und somit seinem Ziel, Hokage zu werden, in den Weg gestellt hatte, war vielleicht das Schlimmste.
 

Neji schnaubte empört, Iruka, Tenten und Lee sahen sie an, als hätte sie etwas Ketzerisches gesagt, nur Naruto nickte energisch zustimmend.
 

„Was reine Stärke angeht, magst du recht haben, aber bei der Ernennung zum Chūnin oder sogar Jōnin geht es um mehr als das. Es ist der Beweis, dass man über Führungsqualitäten verfügt, dass man Missionen planen und durchführen kann, in schwierigen Situationen Ruhe bewahren und Teams leiten kann, dass man die richtigen Prioritären setzen kann“, erklärte Iruka, der gänzlich in seiner Rolle als Lehrer aufging.
 

„Und Naruto ist ein subordinationswidriger Hitzkopf“, sagte Tenten mit einem impertinenten Kichern, das Sakura mit der Faust aus ihrem Gesicht putzen wollte.
 

„Jemand, der nicht mal anständig sein Chakra kontrollieren kann, sollte sich nicht über die Unzulänglichkeiten anderer lustig machen“, schnappte sie gereizt.
 

„Hey“, blökte Tenten und sprang von ihrem Stuhl hoch. Neji und Lee hielten sie mit vereinter Anstrengung zurück – hätte Sakura weniger Lust, ihr die Augen auszukratzen, fände sie die Kraft der Brünetten, die im Gegensatz zu ihrer auf physischer Fitness basierte, vermutlich bemerkenswert –, Iruka hatte die Arme wie eine Schranke zwischen den beiden Kunoichi ausgebreitet und Naruto hatte die Hände auf Sakuras bebende Schultern gelegt.
 

„Mädchen, wir sind nicht hier, um zu streiten“, erinnerte Sensei Iruka sie streng. Sakura wollte ihr trotzdem an die Gurgel springen, obwohl sie keine Ahnung hatte, woher diese brennende Wut kam. Tenten hatte einen unüberlegt fiesen Kommentar abgegeben, nicht schlimmer als die, mit denen sie Naruto vor einigen Jahren selbst wieder und immer wieder verspottet hatte, und möglicherweise war das der Grund, weil sie wusste, dass er das nicht verdient hatte.
 

Es klopfte an der Tür und da Naruto offensichtlich nicht sicher war, ob er Sakura loslassen konnte, bat er Hinata, an seiner Stelle zu öffnen. Der Geräuschpegel explodierte, als Kiba kurz darauf den Raum betrat. Shino schob sich, dicht gefolgt von Akamaru und der Blauhaarigen, hinter ihm ins Zimmer.

„Alter“, setzte Kiba feierlich an, sah dann jedoch fragend von einem Gesicht zum nächsten. „Was ist denn hier los?“
 

„Die Mädels zanken sich um mich“, grinste Naruto und verschränkte seine Finger mit Sakuras, um sie von Tenten wegzuziehen. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, musste aber trotzdem lächeln. Neji gab einen verächtlichen Laut von sich.
 

„In deinen Träumen“, lachte Kiba, klatschte Naruto wie einen glorreichen Helden ab und ließ die Augenbrauen hüpfen.
 

„Pass auf, wie du mit deinem künftigen Hokage redest“, entgegnete der Blonde mit erhobenem Zeigefinger.
 

„Bevor du Hokage wirst, ernennen die eher Akamaru.“

Besagter himmelte Shino an, der einen Kuchenkarton in den Händen hielt und ein buntes Partyhütchen auf dem Kopf hatte.
 

„Dorayaki²“, sagte er und hielt Naruto die Pappschachtel hin. „Hat meine Mum gemacht.“
 

„Ich hasse Adzukibohnen³“, maulte Kiba naserümpfend.
 

„Die sind ja auch für mich“, feixte Naruto. „Danke, Mann, echt jetzt.“
 

Nach und nach trafen die Gäste so zahlreich ein, dass Narutos kleines Appartement gar nicht alle fassen konnte. Er musste halb Konoha eingeladen haben oder aber, was wahrscheinlicher war, die Party hatte sich verselbstständigt, was vielleicht ganz gut war, denn wenn – falls – Sasuke doch kam, fiel es nicht direkt auf sie zurück. Es war auffallend, wie unverhältnismäßig hoch die Frauenquote war, sogar ehemalige Akademiemitschülerinnen, die während ihrer Schulzeit nie auch nur einen zweiten Blick für ihn übriggehabt hatten, waren unter den Feiernden; sie alle machten Naruto schöne Augen, flirteten ihn schamlos an und luchsten sich gegenseitig seine Aufmerksamkeit ab, sobald er mit einer von ihnen ins Gespräch kam. Nicht mal Neji wurde derart umgarnt, was jedoch vermutlich an Tenten lag, die eifersüchtig wie ein Drache über ihn wachte.
 

Sakura beobachtete das Theater um ihren besten Freund mit einer Mischung aus Belustigung und Sorge. Naruto war ein liebenswürdiger, gutgläubiger Trottel, der, wie sie ihn kannte, gar nicht auf die Idee kam, dass diese aufgetakelten Weiber ihn mehrheitlich auszunutzen versuchten. Sie selbst tingelte von einer oberflächlichen Unterhaltung zur nächsten. Hallo. Lange nicht gesehen. Wie geht’s? Und dir? Was macht das Leben? Wir müssen uns bald mal treffen. Ja, ganz bestimmt. Und tschüss. Die weniger Diskreten fragten offen heraus, ob Naruto und sie mittlerweile ein Pärchen waren. Manchmal bejahte sie, nur um ihnen in die dummen Gesichter zu lachen.
 

Sie verließ die überfüllte Wohnung, um frische Luft zu schnappen und einen Moment für sich zu haben, doch selbst auf der Außentreppe davor drängten sich zu viele Menschen, rauchten, schwatzten und ließen jene Spirituosen kreisen, die Sensei Iruka nicht hatte konfiszieren können. Hinata saß abseits, mit dem Rücken an das Metallgeländer gelehnt, und streichelte über Akamarus Kopf, den er auf ihrem Schoß abgelegt hatte. Sie waren lediglich lose befreundet, definitiv nicht eng genug, um sich über ihre Gefühle auszutauschen, doch obgleich sie nie darüber gesprochen hatten, wusste Sakura natürlich, dass Hinata in Naruto verliebt war. Jeder wusste das. Jeder, außer Naruto. Sie bemitleidete das Mädchen. Sasuke hatte ihre Gefühle zwar nie erwidert, sich aber wenigstens für keine seiner anderen Verehrerinnen interessiert, wohingegen es bei Naruto wohl nur eine Frage der Zeit war, bis er sich von einem dieser albernen Hühner den Kopf verdrehen ließ. Da sah sie ihn lieber mit Hinata, die meinte es immerhin ehrlich mit ihm.
 

„Darf ich mich zu dir setzen?“, sprach Sakura sie freundlich an.
 

Hinata sah auf, senkte ihren Blick jedoch sofort wieder und wurde rot. „Ja“, flüsterte sie so leise, dass Sakura sie kaum verstand. Sie konnte sich nicht helfen, sie fand Hinatas übersteigerte Schüchternheit absurd, hatte einst sogar den Verdacht gehabt, dass es nur eine Masche war, um süß und unschuldig zu wirken. So scheu konnte kein Mensch sein. Nun ja, scheinbar doch.
 

„Was machst du ganz allein hier draußen?“
 

„Ich bin nicht allein, Akamaru ist bei mir.“

Der große Hund kläffte kurz auf und Sakura rückte ein Stückchen von ihm ab. Sie war ja eher ein Katzenmensch.
 

Die Rosahaarige verdrehte die Augen unbemerkt. „Ich meinte damit, warum du nicht bei Naruto bist.“
 

„Ich verstehe nicht…“ Ihre Wangen nahmen einen noch dunkleren Ton an.
 

„Ach, komm schon, ein Blinder sieht, dass du in ihn verliebt bist.“
 

„Was?“, hauchte sie und verkrallte ihre Finger in Akamarus Fell, dass dieser aufjaulte und seinen gewaltigen Kopf schüttelte. Seine Schlappohren klangen wie alte Lederlappen. „I-ich bin nicht…“
 

„Keine Panik, Naruto ist nicht blind, sondern schwer von Begriff. Du hättest schon eine Liebeserklärung auf deinen Schal sticken müssen, damit er es kapiert.“

Hinata atmete erleichtert auf, was Sakura gewaltig wütend machte. Was ging bloß im Kopf dieses Mädchens vor sich? Wollte sie sich Naruto wirklich kampflos unter der Nase wegschnappen lassen? Sie selbst hatte Sasuke so oft ihr Herz und ihre Gefühle offen dargelegt und ja, seine Abfuhren hatten jedes verdammte Mal wehgetan, aber immerhin hatte sie es versucht.

„Es geht mich ja eigentlich nichts an“, sagte sie im brüsken Ton von jemandem, der sich dennoch einzumischen beabsichtigte, „aber da drinnen prügeln sie sich bald um ihn.“
 

„Ich weiß.“

Sie schaffte es, noch trauriger und kläglicher auszusehen, während sie zu Zwecken der Selbstberuhigung mit Akamarus Ohren spielte. „Es ist nur…“ Sie schluckte hart und ihre Stimme wurde noch leiser, sodass Sakura ihr die Worte von den Lippen ablesen musste. „Ich habe doch sowieso keine Chance.“
 

„So ein Unsinn“, widersprach sie energisch. „Deine Chancen stehen nicht schlechter als die der anderen Mädchen, vermutlich sogar besser, weil er dich kennt, aber wenn du abwarten willst, dass er eines Morgens aufwacht und plötzlich begriffen hat, wie sehr du ihn magst, solltest du dich schon mal mit dem Gedanken anfreunden, dass er demnächst mit einer anderen anbandelt.“

Das war starker Tobak, den sie ihr servierte, und Hinata reagierte entsprechend, indem sich ihre großen blassen Augen mit Tränen füllten. Klasse, sie hatte Hinata Hyūga zum Weinen gebracht. Wenn das mal keinen Ärger mit Neji gab.

„Ich sage das doch nicht, um dich unglücklich zu machen. Naruto hat eine große Klappe, aber ohne ein bisschen mehr Initiative deinerseits, versteht er nie, wie du fühlst. Wenn du willst, spreche ich mal mit ihm.“
 

„Nein“, quietschte sie spitz. Akamaru stieg mit einem langgezogenen Heulen ein, was ihnen ein paar befremdete Blicke eintrug. „Naruto wäre bestimmt furchtbar enttäuscht, wenn ich nicht selbst den Mut aufbringe, ihm zu sagen, dass… dass…“ Ihr Gesicht nahm einen Farbton an, der Sakura fürchten ließ, dass die Blauhaarige jede Sekunde ohnmächtig werden oder einen Herzanfall erleiden könnte. Wahrscheinlich hatte sie mit dieser Einschätzung Narutos sogar recht, doch das Problem war, dass die bloße Erkenntnis nichts nützte, wenn sie sich trotzdem nicht traute. Hinata konnte nicht mal vor ihr aussprechen, dass sie verliebt war, ohne vorher halb zu kollabieren.
 

Sakura runzelte die Stirn, dann schlich sich ein beinahe schurkenhaftes Lächeln auf ihre Züge. Sie stand auf und streckte Hinata auffordernd die Hand entgegen. „Na, dann komm. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Sie klang wie ihre Mutter, aber darüber konnte sie sich später noch ärgern.
 

„Was?!“ In der Nachbarschaft jaulte ein Hund. „Ich… ich kann nicht.“
 

„Wenn nicht jetzt, wann denn dann?“, fragte Sakura streng.
 

„W-wie würdest du es machen?“
 

„Du meinst, allgemein jemandem meine Gefühle zu gestehen oder speziell Naruto meine Gefühle zu gestehen?“
 

„Na-naruto.“
 

Sakura legte grüblerisch den Finger ans Kinn. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Er hatte sie so oft um Dates gebeten, dass sie mehr Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie ihn abweisen konnte. Und was konnte Hinata nützen, wie sie sich Naruto gegenüber verhalten würde? Sakura verschluckte nicht ihre eigene Zunge, wenn sie ihn sah, sie standen sich bereits nah, kannten sich, mochten sich, wohingegen Hinata in Narutos Gegenwart keinen Ton herausbrachte und Sakura überdies wusste, dass er Hinatas Art seltsam fand. Andererseits, wenn sie plötzlich bemerken würde, dass sie Gefühle für Naruto hätte, würde sie vermutlich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollen, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Aber Hinata und Naruto waren nicht befreundet, dementsprechend riskierte die Blauhaarige in dieser Hinsicht nichts; wenn sie dem blonden Ninja ihre Liebe offenbarte und er sie abweisen sollte, würde es zwar ihre Hoffnungen zerstören, aber schlussendlich nichts zwischen ihnen verändern. Schließlich setzte sie zögerlich zum Sprechen an: „Ich würde aufgrund unserer Vorgeschichte wohl erst einmal herauszufinden versuchen, wie er gefühlsmäßig zu mir steht. Ich an deiner Stelle würde ihn um ein Treffen bitten, weil ich nichts zu verlieren hätte.“
 

„Was, wenn er nein sagt?“, flüsterte Hinata so deprimiert, als stünde für sie gar nicht wirklich zur Debatte, dass er eventuell tatsächlich ja sagen könnte.
 

„Dann weißt du wenigstens, woran du bist.“ Das schien Hinata nicht sonderlich zu motivieren und Sakura seufzte frustriert. Was maßte ausgerechnet sie sich eigentlich an, Beziehungstipps geben zu wollen, wo sie ihr eigenes Liebesleben nicht auf die Reihe bekam. So, wie es den Anschein hatte, war Tenten die geeignetere Ansprechpartnerin, denn offenbar hatte sie es irgendwie geschafft – oder war zumindest kurz davor –, sich Neji zu krallen, und damit auf wundersame Weise das Talentgefälle von Ingenium zu Durchschnittskunoichi zu überspringen. Wahrscheinlich täte Sakura gut daran, sich selbst einige Ratschläge bei der brünetten Waffenexpertin abzuholen.

„Ich verstehe, dass du Angst vor Narutos Zurückweisung hast, aber sieh es mal so: Früher oder später wird er eine Beziehung haben und wenn du dich nicht endlich als potenzielle Freundin in seinen Fokus rückst, wird er die garantiert nicht mit dir eingehen. Ja, du wirst unglücklich sein, falls er deine Gefühle nicht erwidern sollte, und ja, natürlich könnte das passieren, aber jetzt bist du doch ebenso unglücklich, weil du nicht mit ihm zusammen sein kannst, und du wirst noch viel unglücklicher sein, wenn er sich auf eine von diesen dummen Schnepfen einlässt, die ihn nur ausnutzen wollen. Du wünschst dir doch nicht für ihn, dass er sein Leben lang allein bleibt, damit du ihn ungestört aus der Ferne anhimmeln kannst, oder?“
 

Darüber schien Hinata wenigstens nachzudenken. Sie kraulte Akamaru geistesabwesend hinter den Ohren, blickte dann mit vertrauensvollen Kinderaugen zu Sakura auf und ließ sich aufhelfen.
 

Gemeinsam gingen sie in Narutos Appartement zurück. Die Wohnungstür stand offen und ließ die kalte Oktoberluft hinein, aber die vielen Körper erzeugten dennoch eine drückende Wärme. Irgendjemand hatte für Musik gesorgt, wummernde Bässe brachten das Fundament des baufälligen Hauses zum Erzittern. Ein paar Mädchen hatten mitten in dem kleinen Wohnzimmer eine Tanzfläche eröffnet, rempelten die anderen Gäste aufgrund der Enge lachend an und rieben sich in konvulsivisch-verführerischen Posen, oder was sie dafür hielten, aneinander. Sakura fühlte sich automatisch unwohl, ihrem Ninja-Instinkt gefielen weder das unübersichtliche Gedränge noch die laute Musik.
 

Sie sah sich nach Naruto um, indes Hinata an ihrem Arm klammerte und den Blick auf die Schuhspitzen gesenkt hielt. Akamaru war winselnd an der Eingangstür zurückgeblieben und sie könnte schwören, dass die Blauhaarige am liebsten die Körper mit ihm tauschen wollte.
 

„Du musst das nicht machen, wenn du nicht möchtest. Ich dachte nur, dass du nicht aufgeben willst, bevor du es wenigstens versucht hast“, sagte Sakura mit leisem Vorwurf.
 

Hinatas Lippen zitterten, doch sie entgegnete nichts, was wohl ihre Form der Zustimmung war. In diesem Moment entdeckte Naruto sie und kam breit grinsend auf die beiden zu. Die Hyūga quetschte ihr die Blutzufuhr zu den Fingern ab und gab einen Laut von sich, der ebenso zu einer verängstigten Maus gehören konnte. Leidlich genervt zischte Sakura ihr aus dem Mundwinkel zu, dass sie sich gefälligst zusammenreißen solle.
 

„Sakura, wo warst du, ich hab dich schon gesucht. Oh! Hi Hinata, na, amüsierst du dich?“ Hinatas Antwort bestand in der charakteristischen Rotfärbung ihres Gesichtes. „Komisches Mädchen“, flüsterte der Blonde Sakura ins Ohr, wofür sie ihm den Ellbogen in die Rippen rammte. Der Plan, falls man bei dieser Spontanaktion überhaupt von einem Plan sprechen mochte, hatte vorgesehen, dass sie ihm Hinata aufs Auge drückte und sich anschließend wohlwollend aus dem Staub machte, doch die andere hielt sie mit derart eisernem Griff umklammert, dass sie das vergessen oder sich von ihrem Arm verabschieden konnte.
 

„Hinata wollte mit dir reden, unter vier Augen. Ist doch so, oder, Hinata?“
 

Hinata dachte gar nicht daran.

Sakura sah sie an. Naruto sah sie an. Hinata sah den Boden an.

„I-ich…“, stotterte sie und schluckte angestrengt. „W-w-wollte fragen, ob du… ob du…“ Ihre Stimme nahm die schrille Tonlage eines pfeifenden Teekessels an.
 

Naruto kniff unwillkürlich die Augen zusammen, riss sie jedoch sogleich freudestrahlend wieder auf. Sakura dachte schon, dass Hinata ihm irgendwie mittels Telepathie ihr Anliegen vermittelt hatte – zumindest wäre das wahrscheinlicher, als dass er selbstständig eins und eins zusammengezählt hatte –, doch da rief er: „Sensei Kakashi, was machen Sie denn hier?“
 

Sakura drehte sich um und tatsächlich stand der grauhaarige Jōnin etwas unschlüssig in der Wohnzimmertür, haderte offensichtlich mit seinem gesunden Menschenverstand, der ihm zu irgendeinem Zeitpunkt an diesem Abend aufoktroyiert hatte, dass herzukommen eine gute Idee sei, und überreichte Naruto einen großen Weidenkorb mit Obst, Gemüse und – aus irgendeinem Grund – frischer Milch.
 

Sie plusterte empört die Wangen auf. Kakashi Hatake mied soziale Anlässe üblicherweise wie der Teufel das Weihwasser, aber ausgerechnet jetzt, hier und heute war darauf kein Verlass. Das war so viel Pech, dass man meinen könnte, die Wahrscheinlichkeit höchstselbst hätte sich gegen Hinata verschworen. Apropos Hinata… Wo war Hinata? Hatte das Mädchen nicht gerade noch neben ihr gestanden? Stattdessen stand dort plötzlich Shikamaru, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und trug seine üblich weltüberdrüssige Miene zur Schau.
 

„Machst du einen auf Kupplerin, oder was?“, fragte er genervt, was normal für ihn war. Also hatte Ino ihm offenbar nichts von ihrem Streit erzählt, was hoffentlich bedeutete, dass es ihr nicht allzu ernst damit war. Dennoch war merkwürdig, dass er sie überhaupt ansprach, denn bisher hatten sie sich noch nie privat unterhalten.
 

„Ich dachte, Naruto und Hinata täte eine kleine Hilfestellung gut.“
 

„Hat ja prima geklappt.“
 

„Tja, naja…“, murmelte Sakura nichtssagend und verschränkte die Arme, weil ihr das Gespräch einerseits unangenehm war, sie andererseits aber nicht unhöflich sein und ihn stehen lassen wollte.
 

Shikamaru sah sie scharf an, sein Blick war wie ein Kunai, kurz davor mitten ins Schwarze zu treffen. Er gab ihr das Gefühl, dass er mehr wusste, dass er Details bemerkte, die besser Unbemerkt blieben. „Hältst du das für eine gute Idee?“ Sakura hob unverständig die Brauen an, was ihn frustriert aufseufzen ließ. „Naruto und Hinata? Die beiden sind nicht gerade das, was ich mir unter einem harmonierenden Pärchen vorstelle.“
 

„Besser Hinata als eine von diesen dummen Gänsen.“
 

„Und das hast du zu entscheiden, weil…?“
 

„Ich will nur das Beste für Naruto.“
 

„Wer bist du, seine Mutter?“
 

„Entschuldige bitte, dass ich mich um ihn sorge“, schnappte sie.
 

„Klar.“ Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Aber darüber wollte ich gar nicht mit dir reden.“
 

„Ach?“ Sie umarmte sich fester.
 

„Das geht mich zwar nichts an.“ Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass das noch nie jemanden von einer Einmischung abgehalten hatte. Es war geradezu lächerlich, wie schnell das Karma ihr in den Hintern biss. „Aber was ist schon wieder zwischen Ino und dir los?“
 

„Was soll los sein?“, gab sie eine ausweichende Antwort und fixierte einen Punkt oberhalb seiner Schulter. Im Verhörunterricht wäre sie das klassische Fallbeispiel für Schuldbewusstsein. Zum Glück hatte sie diesen Kurs lange bestanden, ansonsten müsste Sensei Iruka sie mit Glanz und Gloria durchfallen lassen.
 

„Verkauf mich nicht für blöd“, sagte Shikamaru mit wütend gefurchter Stirn. „Ino ist mir wichtig und wenn du was angestellt hast, das ihr wehtut…“
 

„Ich?“, schnaubte sie entrüstet. „Wie kommst du darauf, dass es meine Schuld ist?“ Und wieso hackten in letzter Zeit eigentlich alle auf ihr rum?!
 

„Also ist was vorgefallen“, eruierte er folgerichtig.
 

„Wie du bereits sagtest: Das ist eine Sache zwischen Ino und mir“, erklärte sie unwirsch.
 

Shikamaru seufzte abermals. „Ino ist in meinem Team, ergo geht es mich etwas an, wenn es ihr schlecht geht. Und ihr seid beide solche Dramaqueens, könnt ihr euch nicht einfach wieder vertragen?“
 

Wen nennt der hier Dramaqueen!, keifte die andere Sakura drauf los, dass sich ihre Amygdala vor Schreck verknotete.
 

„An mir liegt es nicht“, entgegnete sie trotzig und nach einigen Sekunden des Schweigens, in denen sie ihre Finger wie Brotteig geknetet hatte: „Wie geht es ihr?“
 

Er zuckte mit den Achseln. „Ihr Bein wird wieder, aber ihr Ego hat’s übel erwischt.“
 

Sie nickte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Sobald Ino aus dem Krankenhaus entlassen wird und wieder auf dem Damm ist, müssen wir uns was wegen Hidan überlegen“, sagte sie. Wenn der Polizei, so wie Shisui behauptete, die Hände gebunden waren, mussten sie sich eben selbst kümmern.
 

„Hidan?“, hakte Shikamaru stirnrunzelnd nach. „Ist das nicht einer von den Typen aus Yugakure? Was hat der damit zu tun?“
 

Sakura betrachtete ihn verdutzt, aber er schien aufrichtig ratlos, sodass er den Zusammenhang offenbar wirklich nicht kannte. Es war höchst ungewöhnlich, dass Ino ihm nicht davon erzählt haben sollte – die beiden standen sich so nah wie Naruto und sie. Und erneut fragte sie sich, was zwischen Hidan und Ino vorgefallen sein mochte. Sie hatte eindeutig Angst vor ihm, sogar genug, dass sie ihre Freunde raushalten wollte. Oder musste?
 

Ihre Überlegungen wurden von einem kleinen Tumult auf der improvisierten Tanzfläche unterbrochen. Die Mädchen stießen sich gegenseitig an, giggelten albern und deuteten unerzogen mit den Zeigefingern auf jemanden. Sakuras Blick folgte der angezeigten Richtung, obgleich sie bereits zu wissen glaubte, wen sie sehen würde, aber nicht zu hoffen wagte.
 

Sie erspähte Sasuke nicht sofort, dafür war der Raum zu überfüllt. Unbewusst stellte sie sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, aber erst, als er weiter in die Wohnung eindrang, geriet er auch in ihr Sichtfeld. Er war gekommen, er war wahrhaftig gekommen. Ihr Herz pumpte, dass ihr schwindelig wurde. Wie so oft schien seine bloße Gegenwart die Umgebungstemperatur um einige Grad abzukühlen, aber ihr wurde unerträglich heiß. Ihre brennenden Wangen und die vor Überraschung leicht geöffneten Lippen verrieten Shikamaru sicherlich mehr, als ihr lieb sein konnte.
 

„Dass der sich her traut“, sagte er abfällig.
 

„Wie meinst du das?“

Ihre Stimme war eine zittrige Hinata-Imitation, doch das Gespräch half ihr, sich nicht unverzüglich auf Sasuke zu stürzen, und bei allen Kami⁴, genau das wollte sie, vor allem, wenn sie sah, wie die anderen Mädchen bereits ihre Kreise enger um ihn zu ziehen begannen. Aber er war wegen Naruto hier, nicht wegen ihr. Aber sie hatte ihn eingeladen. Wegen Naruto. Aber wäre es nicht schrecklich unhöflich, ihn nicht wenigstens kurz zu begrüßen? Gegen ein klitzekleines Hallo konnte nichts einzuwenden sein. Sie strich sich durch die Haare, ehe ihr einfiel, dass sie diese geflochten trug. Ihre Finger verhedderten sich und bei dem Versuch, sich zu befreien, ruinierte sie ihre Frisur.
 

„Der hat echt Nerven, hier rein zu stolzieren, selbstgerechter Bastard“, spuckte Shikamaru aus.
 

„Komisch, bei den anderen, die Naruto vermutlich nicht mal persönlich kennen, regst du dich nicht auf.“
 

„Die anderen haben euer Team nicht gewissenlos abserviert, falls ich dich erinnern darf.“
 

„Ist nicht nötig und wie du schon ganz richtig festgestellt hast, ist das eine Angelegenheit, die nur Team 7 angeht.“
 

„Ach, daher weht der Wind also. Kein Wunder, dass Ino stinkig ist.“
 

„Es steht dir frei, meine Aussage zu interpretieren, wie du willst. Ich nehme an, du hast keine Einwände, mich jetzt zu entschuldigen“, sagte sie in einem Tonfall, der sich verdächtig nach Sasuke anhörte. Sie hatte sich selbst nie cooler gefunden.
 

Inzwischen hatten Sasukes Augen ihre gefunden, übten eine magische Sogwirkung auf ihre Füße aus. Seinem indifferenten Ausdruck war nicht zu entnehmen, ob ihre Gesellschaft erwünscht war, aber er brach weder den Blickkontakt noch flüchtete er sich in die Menge, was – wenigstens in ihrem Verständnis – einer Aufforderung so nahe wie möglich kam.
 

„Guten Abend, Sasuke, ich freue mich, dass du da bist“, grüßte sie ihn lächelnd, biss sich jedoch gleich darauf auf die Unterlippe, weil in ihren Worten eine zu große Erwartungshaltung mitgeklungen hatte. Das war kein Date, rief sie sich ins Gedächtnis, und sie wollte bestimmt nicht den Eindruck erwecken, dass sie dieses zwanglose Aufeinandertreffen für eines hielt.
 

„Hmm.“
 

„Ziemlich voll, was?“
 

Das Offensichtliche war ihm keine Erwiderung wert. Er verdrehte die Augen, doch es schien ihr nicht ganz so nachdrücklich, wie sie von ihm gewohnt war. Die Mädchen machten sich wieder daran, die Hüften kreisen zu lassen, warfen ihnen dann und wann verstohlene Blicke zu. Immer mehr ihrer Freunde und Bekannten wurden auf Sasuke aufmerksam; Tenten tuschelte mit Neji, der aussah, als hätte er in eine Zitrone gebissen, Shikamaru stand bei Chōji, der seine Kartoffelchips besonders aggressiv kaute, Shinos Reaktion war nicht zu deuten, doch er starrte eindeutig in ihre Richtung, nur Lee winkte Sasuke zu, erhielt aber freilich keine Reaktion. Hinata war nach wie vor verschwunden und auch von Kiba und Naruto selbst fehlte jede Spur. Zu ihrem Bedauern konnte sie Sensei Iruka ebenfalls nirgendwo entdecken – ebenso wie Sensei Kakashi, wobei sie sich darüber nicht wunderte –, sie hatte gehofft, dass er, sollte die Situation eskalieren, als Puffer fungierte.
 

Schweigend standen sie nebeneinander, bis Sakura fragte: „Wollen wir uns vielleicht setzen?“
 

„Meinetwegen.“
 

Dummerweise gab es keine freien Sitzmöglichkeiten, nur Narutos Bett, auf dem sich ein Kleiderberg türmte, der überdies verdächtig wackelte. Sie wurde rot und räusperte sich verlegen. „Oder ein Stück spazieren?“
 

„Wo ist Naruto?“
 

„Oh.“ Sie klang unsinnigerweise enttäuscht. „Ich weiß nicht, ich habe ihn das letzte Mal mit Sensei Kakashi gesehen.“
 

„Kakashi ist hier?“
 

„War, nehme ich an. Zu viele Menschen sind nichts für ihn, du kennst ihn ja.“
 

Dann passierten mehrere Dinge beinahe gleichzeitig. Hinata rannte quietschend an ihnen vorbei, rempelte Sakura dabei erstaunlich hart mit der Schulter an und ließ sie gegen Sasuke prallen, der sie instinktiv auffing. Naruto und Kiba, sichtlich beschwipst und die drei Suna-Geschwister im Schlepptau, betraten Narutos Wohnzimmer, mit mehreren Tüten von Ichiraku. Chōji stürzte sich auf das Essen. Tenten gedanklich auf Temari, wurde allerdings von Neji an der aktiven Umsetzung gehindert. Lee forderte Gaara zu einer Revanche heraus, der es wie immer ignorierte. Sasukes Aufmerksamkeit schwankte zwischen dem rothaarigen Kazekage und seinem ehemaligen Teammitglied hin und her. Naruto ließ die Tüten fallen, die Styroporboxen platzten auf und verteilten Ramen auf dem Fußboden. Chōjis Aufschrei ging in Narutos unter.
 

„Sasuke?“
 

„Naruto.“
 

„Sasuke!“
 

„Überraschung“, mischte sie sich mit einem kläglichen Grinsen ein.
 

Sakura hatte Freude erhofft und Wut befürchtet, nicht erwartet hatte sie Narutos emotionsloses Gesicht, das dem Uchiha Konkurrenz machte und sie auf die Folter spannte. Es war mucksmäuschenstill geworden.
 

„Was…?“ Naruto riss sich von Sasukes Anblick los und wandte sich stattdessen Sakura zu. Auf seinen Zügen las sie das Gefühl von Verrat.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Yukata¹: traditionelles Kleidungsstück; eine leichtere, unkompliziertere und günstigere Variante des Kimonos

Dorayaki²: süßes Eierkuchendessert, meist mit roter Bohnenpaste gefüllt

Adzukibohnen³: süßlich schmeckende asiatische Hülsenfrucht, aus der eben u. a. rote Bohnenpaste hergestellt wird

Kami⁴: Gottheit(en) im Shintoismus Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  jakne
2021-01-07T22:38:08+00:00 07.01.2021 23:38
Soo, da bin ich wieder:)
Ein sehr gelungenes Kapitel mal wieder.
Dass Naruto nicht ganz so gut auf Sasuke zu sprechen ist, hast du glaube ich, in einem vorherigen Kapitel schonmal angedeutet, aber jetzt ist es wohl offiziell :D
Ich bin jedenfalls sehr auf den Grund gespannt, eventuell hat es ja was mit Sakura zu tun? Oder einfach weil Sasuke, wie Shikamaru schon sagte, Team 7 im Stich gelassen hat? Aber warum hat er das dann Sakura gegenüber nie erwähnt? Vielleicht spürt Naruto ja auch, dass Sasuke etwas plant? (falls er denn etwas plant!)
Naja, bald werden wir hoffentlich mehr erfahren :p
Und ich musste wirklich kurz lachen, als Choji anfing wegen dem Essen zu schreien XD
Hinata und Naruto ist wohl auch ein ewiger Kampf der Gefühle :'D Aber das wird bestimmt noch was !:)

Lg
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
08.01.2021 14:25
Hallo jakne,

lieben Dank für das Lob erst mal.
Sozusagen; es wurde zumindest erwähnt, dass Sakura und Naruto seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Sasuke haben und dass beide zutiefst verletzt von seinem Verhalten sind.
Stimmt, Naruto scheint nicht ganz so euphorisch über Sasukes Besuch zu sein, wie Sakura sich wohl erhofft hatte. Eigentlich war das auch eine ziemlich dämliche Aktion von ihr.
Du liegst mit deiner Vermutung schon mal nicht schlecht, aber ja, der prägnanteste Grund dürfte sein, dass Sasuke sein Team einfach im Stich gelassen hat. Ich meine, er verließ das Dorf mit Shisui, ohne es für nötig zu erachten, den beiden oder Kakashi mal Bescheid zu geben – das war schon eine arschige Aktion, selbst für Sasuke. Dem zurückgelassenen Rest von Team 7 demonstrierte dieses Verhalten natürlich auch, wie unwichtig sie ihm sind, wie gleichgültig, egoistisch und unzuverlässig Sasuke ihnen gegenüber offensichtlich eingestellt ist. Für Sakura war das freilich hart, weil sie in ihn verliebt war, aber Naruto hat einen Freund in Sasuke gesehen und fühlt sich dementsprechend hintergangen.
Tja, das Problem ist eben, dass Naruto und Sakura nicht über Sasuke sprechen. „[…] sie waren stillschweigend übereingekommen, dass Sasuke Uchiha eine Art Tabuthema zwischen ihnen war, weil es ihr lange Zeit zu wehgetan hatte, über ihn zu reden, und weil Naruto sich von ihm verraten gefühlt hatte, als er ohne Ankündigung ihr Team verlassen hatte.“ (Kapitel 2)
Haha, das mit Chōji konnte ich mir nicht verkneifen, außerdem vernachlässige ich ihn ständig, weil ich mit ihm als Charakter nicht viel anfangen kann, deswegen dachte ich, soll er mal seinen Moment bekommen. ^^
Naja, für Naruto ist es eigentlich kein Kampf der Gefühle, er merkt ja nix. xD
Lieben Dank für dein Review.
Von:  Kitty_cat
2020-12-31T10:01:54+00:00 31.12.2020 11:01
Tolles Kapitel ^^
Hat mir sehr gut gefallen
Ich bin echt gespannt wie es weiter geht und warum naruto so feindselig auf Sasuke reagiert?
Ich hoffe dass ich dies im nächsten kapitel erfahren werde ^^
Freu mich schon drauf.

Mach weiter so

LG Kitty_cat
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
01.01.2021 01:13
Hallo Kitty_cat,

lieben Dank für das Lob.
Findest du, dass Naruto feindselig war? Dann wirst du vermutlich noch deine Freude mit ihm haben. :D
Das nächste Kapitel wird allerdings erst mal sehr sasukelastig.
Vielen Dank für dein Review.
Von:  Scorbion1984
2020-12-28T20:00:11+00:00 28.12.2020 21:00
Erst war es sehr lustig ,dann ein bischen dramatisch und nun Krieg in Team 7 ?
Da wo es nun spannend wird ,Ende vom Kapitel.
Also das ist nicht nett, muss ich mal sagen .
Wünsche Dir aber trotzdem einen guten Rutsch ins Neue Jahr. 💥🥳
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
01.01.2021 01:12
Hallo Scorbion1984,

wenn’s am schönsten ist, soll man doch bekanntlich aufhören. ^^ Ich gebe zu, dass dieses Kapitel von der Spannungskurve her flacher verlaufen mag; das liegt daran, dass Kapitel 5 und das kommende Kapitel 6 ursprünglich mal eins waren, ich es jedoch aufgrund der Länge aufteilte und sich an dieser Stelle einfach am besten der Cut angeboten hat.
Lieben Dank für dein Review.
Von:  Teufelsengel96
2020-12-27T19:41:26+00:00 27.12.2020 20:41
So viel Drama im letzten Abschnitt und dann ist Schluss.....du weist wie man Spannung aufbaut. gefällt mir mach weiter so :)
Freue mich wenn es weiter geht.
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
27.12.2020 23:23
Hallo Teufelsengel96,

lieben Dank für dein Review.
Es freut mich, wenn es dir gefallen hat. Eigentlich kam dieser Cliffhanger nur zustande, weil das Originalkapitel so lang war, dass ich es aufgeteilt habe und diese Stelle am geeignetsten fand; das nächste Kapitel ist quasi Kapitel 5.2. :D


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