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Broken Birdie

von

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Das Problem mit den Uchihas

Sakura lernte auf die harte Tour, dass man Tsunade genau zwei Mal versetzen konnte, bis sie einem von der Polizei die Tür eintreten ließ. Metaphorisch gesprochen, denn der Mann, den sie geschickt hatte, klopfte höflich an und ließ sich anschließend zwanzig Minuten mit einer beneidenswerten Engelsgeduld von Mebuki Haruno ins Kreuzverhör nehmen, was er von ihrer Tochter wollte. Er schaffte es sogar, ihr rein gar nichts zu verraten und dabei trotzdem das Gefühl zu vermitteln, vollständig im Bilde zu sein.
 

Sie saß schweigend da, beobachtete peinlich berührt, wie ihre Mutter wie ein verknalltes Schulmädchen mit ihm flirtete, und überlegte, wo sie ihn schon mal gesehen hatte. Er kam ihr bekannt vor, nicht nur, weil er ein typisches Uchiha-Gesicht besaß. Es dauerte fast die vollen zwanzig Minuten, bis sie in ihm den Mann erkannte, der ihr vor Wochen den Weg zu Sasukes Elternhaus gewiesen hatte, und sie fragte sich automatisch, ob das Zufall sein konnte.
 

„Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft, Haruno-san, aber wir müssen jetzt wirklich los“, sagte er mit einem Blick auf die Uhr und bedeckte sein Teeglas rasch mit der Hand, damit Mebuki ihm nicht zum wiederholten Male nachschenken konnte. Er nickte Sakura zu, die mit bleischweren Gliedern unterm Kotatsu hervorkroch. Sie wollte wirklich, wirklich nicht zu Tsunade gebracht werden und dass sie sich diese Situation selbst eingebrockt hatte, machte es nicht besser. Bei Tsunades erster Einladung hatte sie noch gedacht, dass sie, wenn sie nur einen minimalen zeitlichen Aufschub bekäme, positive Ergebnisse vorzuweisen hätte, bei ihrer zweiten Einladung war sie der Meinung gewesen, dass sie nicht den ersten Termin schwänzen und dann mit Nichts bei ihr aufkreuzen könne, und nun war die Hokage offenbar wütend genug, um ihr die Exekutive auf den Hals zu hetzen. Das Schlimmste war, dass sie noch immer nichts vorzuweisen hatte. Sasuke hatte keine Lust auf ihre Treffen, schlimmer noch, er gab sich nicht mal Mühe, wodurch die Fortschritte de facto ausgeblieben waren, und was ihn bedrückte, hatte sie auch nicht herausfinden können, nur dass er Sorgen hatte, die ihm nicht aus dem Kopf gingen, war offensichtlich. Die Idiotin, die sie war, hatte ihn diskret auf die Gerüchte über die Konoha-Polizei ansprechen wollen, mit dem Resultat, dass er seitdem noch mehr mauerte.
 

„Passen Sie mir bloß gut auf mein kleines Mädchen auf“, warnte Mebuki zwinkernd und gab dem Mann einen Klaps auf die Schulter, während Besagte eine wettergerechte Winterjacke überzog.
 

„Mama“, echauffierte sie sich, doch ihrer Stimme mangelte es an Nachdruck. Den Mann schien es ohnehin nicht zu stören, wahrscheinlich war er gewohnt, diese Wirkung auf das andere Geschlecht zu haben, und ausgerechnet ihr stand kaum zu, darüber zu urteilen.
 

Wie so oft in den vergangenen Wochen lag Konoha weniger unter Blättern als vielmehr unter dicken Regenwolken, die selten aufbrachen, versteckt. Sakura vergrub ihr Gesicht im Schal, zum einen weil die Luft schneidend kalt war, zum anderen weil sie nicht erkannt werden wollte. Sie stellte sich auf eine Moralpredigt ein, dass sie zu jung wäre, um schon Probleme mit dem Gesetz zu haben, irgendetwas in diese Richtung, doch der Dunkelhaarige lief lediglich schweigsam und entspannt neben ihr her. Was auch immer Tsunade ihm gesagt hatte – falls sie ihm überhaupt etwas gesagt hatte –, es veranlasste ihn offensichtlich nicht, sie wie eine Kriminelle zu behandeln. War sie natürlich auch nicht, obwohl ihre kindische Verzögerungstaktik sicherlich dümmer gewesen war, als die Polizei erlaubte. Eigentlich wusste sie das, hatte es schon die ganze Zeit gewusst und trotzdem versucht, was vermutlich bedeutete, dass sie entweder blöd oder wahnsinnig oder beides war.
 

„Sie gehören also auch Konohas Polizeitrupp an?“, fragte sie, hauptsächlich, weil ihr die Stille unangenehm war und es natürlicher wirkte, wenn sie sich mit der Person neben sich unterhielt, weniger verdächtig.
 

„Auch?“ Er sah sie von der Seite an. „Ach, richtig, du bist eine Freundin von Sasuke, nicht?“

Also hatte er sie ebenfalls erkannt und sie sich nicht getäuscht.
 

„Freundin ist ein bisschen dick aufgetragen“, nuschelte sie in ihren Schal, biss sich jedoch gleich darauf auf die Zunge, weil sie Sorge hatte, damit sein Interesse, was sie bei Sasuke Zuhause verloren gehabt hatte, geweckt zu haben. Andererseits würde Sasuke ihr garantiert den Kopf abreißen, wenn er den Eindruck gewann, dass sie durch das Dorf spazierte und behauptete, eine sonst wie innige Beziehung zu ihm zu haben. „Wir kennen uns und kommen miteinander aus.“ Was zumindest von ihrer Seite aus stimmte und schön nichtssagend klang.
 

„Das freut mich. Sasuke hat ein Talent dafür entwickelt, mit den meisten seiner Mitmenschen nicht auszukommen.“
 

Sie ließ sich die Überraschung, dass er derart offen über Sasuke sprach, nicht anmerken. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, den Mann über ihr ehemaliges Teammitglied auszuhorchen, aber einem geschenkten Gaul sah man bekanntlich nicht ins Maul. „Das klingt, als würden Sie ihn gut kennen.“
 

Der Schwarzhaarige lächelte, er besaß ein angenehmes, freundliches Lächeln, das Vertrauen und Sympathie erweckte. Sakura konnte sich nicht vorstellen, dass er, sollte etwas an dem Geschwätz dran sein, in die üblen Machenschaften der Polizei involviert war, und wahrscheinlich machte ihn genau das besonders gefährlich. „Ich kenne ihn jedenfalls lange.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Eigentlich seit er ein Säugling war. Er war so ein süßes Baby. Sein Gesicht war rund wie eine Melone und er hat immer gelacht, aber wehe jemand hat ihn niedlich genannt, dann hat er sich schrecklich aufgeplustert und stundenlang geschmollt.“
 

Sakura gluckste in ihren Schal, es wunderte sie kaum, dass Sasuke bereits als Baby entzückend gewesen sein musste. Die Vorstellung von ihm als Knirps erzeugte ein warmes Gefühl in ihrer Brust, obwohl er sie umbringen würde, wenn er davon wüsste. Es war erstaunlich, wie sehr er sich verändert hatte und wie gut sie sich dennoch vorstellen konnte, dass er mal genau so gewesen war. Die gute Laune verging ihr. „Ich mache mir Sorgen um ihn“, gestand sie zögerlich. „Er ist in letzter Zeit sehr verschlossen.“
 

Er schien seine Worte genaustens abzuwägen, ehe er sagte: „Sasuke macht es sich manchmal selbst zu schwer. Er könnte einen Freund gebrauchen, den brauchen wir alle.“ Die Art, wie er sie angrinste, ließ sie knallrot werden und vor lauter Schreck rannte sie beinahe gegen eine Laterne. Er zog sie rechtzeitig am Jackenärmel beiseite, allerdings mit dem Resultat, dass sie, ungeschickt wie sie eigentlich gar nicht war, über ihre eigenen Füße stolperte und in seinen Armen landete. Man konnte es nur als karmische Ungerechtigkeit bezeichnen und sie meinte, Fortuna schadenfroh gackern zu hören, als Ino Yamanaka genau in diesem Moment das Verwaltungsgebäude der Akademie verließ und den Blick in ihrem untrüglichen Gespür für den heißesten Klatsch intuitiv auf das ungleiche Paar richtete. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, ihr Mund klappte leicht auf und Sakura hoffte stumm, dass ihre Freundin, in ihrem weniger untrüglichen Gespür für peinliche Situationen, die Klappe hielt.
 

Der Dunkelhaarige nickte der Blondine im Vorbeigehen freundlich zu und da Sakura nicht recht glaubte, dass die beiden sich kannten – der Zufall wäre dann doch zu groß –, musste es an Inos offensichtlichem Gestarre liegen, was einerseits bedeuten konnte, dass er, wie sie bereits vermutet hatte, derartige Reaktionen gewohnt oder überaus gut erzogen war. Sakura sah förmlich, wie es hinter Inos Stirn zu arbeiten begann, wie sich die Fragen aus den grauen Tiefen ihrer Gehirnwindungen manifestierten und zu ihrer Zunge wanderten. Sakura schüttelte unmerklich den Kopf, flehte, dass ihre Freundin verstand und sich einmal im Leben den Mund verbieten ließ. Ino gehorchte, ihr Ausdruck versprach jedoch, dass Sakura ein unangenehmes Frage-Antwort-Spiel bevorstand.
 

Im Verwaltungsgebäude herrschte rege Betriebsamkeit und Sakura vergrub ihr Gesicht tiefer im Schal, nur für den Fall, dass sie jemandem begegnete, den sie kannte. Am Ende des Tages war und blieb Konoha ein Dorf und wenn Tsunades Protegé dabei gesehen wurde, wie sie von der Polizei ins Hokage-Büro eskortiert wurde, würde das zwangsläufig die Runde machen und die Gerüchteküche zum Brodeln bringen. Glücklicherweise erweckte der Uchiha ganz und gar den Eindruck, dass sie nicht mehr als zwei Menschen waren, die zufällig zur selben Zeit dasselbe Ziel ansteuerten.
 

Sie näherten sich Tsunades Büro und Sakura fiel automatisch einen halben Schritt zurück. Er legte seine Hand sanft, aber bestimmt zwischen ihre Schulterblätter, eine freundliche Erinnerung, dass es kein Entkommen gab, dass er, sollte sie nicht weiterhin artig zu kooperieren bereit sein, auch weniger nett sein konnte. Sakura hatte keine Lust, seine unangenehme Seite kennenzulernen, noch weniger Lust hatte sie, es sich noch mehr als ohnehin schon mit der Hokage zu verscherzen, wenn er sie kreischend und heulend über die Schulter gelegt bei ihr abliefern müsste. Nein, sie trug selbst Schuld an diesem Schlamassel und sie würde ihre Strafe mit der nötigen Courage entgegennehmen. Sie begradigte ihre Haltung und er nahm seine Hand weg, nickte ihr lächelnd zu, als wäre er ungemein stolz auf sie, was sie beinahe ein bisschen stolz auf sich selbst machte, dann klopfte er an die Bürotür.
 

„Herein“, hörte sie Tsunades Stimme jenseits des Holzes. Er drehte den Knauf und ließ ihr mit einer höflichen Geste den Vortritt. Vielleicht dachte er, dass sie doch noch türmen wollte. Sie trat beherzt ins Innere des Büros. So schlimm würde es schon nicht werden, machte sie sich Mut und dachte an all die Situationen, die wirklich furchterregend gewesen waren, wie ihren ersten richtigen Kampf gegen die Oni-Brüder oder als Lee sie zu küssen versucht hatte.
 

„Sie wollten mich sprechen, Lady Tsunade“, sagte sie möglichst unbeteiligt.
 

Die Hokage sah von ihrem Dokument auf, zu ihrer Linken, Rechten und überhaupt überall türmten sich die unvermeidlichen Papierstapel, die nie kleiner zu werden und sich mittels Zytokinese sogar heimlich zu vermehren schienen. Shizune sah sie missbilligend an, bemerkte dann den Mann, der seitlich hinter Sakura stand, und ließ Tonton fast fallen, als sie sich hektisch eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr klemmte, was dem kleinen Schweinchen ein empörtes Quieken entlockte.
 

„Guten Tag, Shisui-san“, grüßte sie verlegen. Auf ihrem blassen, sonst so gefassten Gesicht zeichnete sich eine fiebrige Röte ab.
 

Sakura wirbelte auf dem Absatz herum, was Shisui veranlasste, den Durchgang mit seinem Arm zu blockieren. Aber sie wollte gar nicht flüchten, musterte ihn lediglich mit aufgerissenen Augen, während die Zahnrädchen in ihrem Kopf einrasteten. „Shisui Uchiha?“, wisperte sie beinahe tonlos. „Etwa der Shisui Uchiha, der Sasuke…“ Sie wollte entführt hatte sagen, obgleich sie freilich wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach, nicht mal annähernd. „… trainiert hat?“ Sie klang unendlich vorwurfsvoll und nachdem er so nett zu ihr gewesen war, weil er so nett zu ihr gewesen war, fühlte sie sich verraten. Dieser Mann – Shisui – hatte ihr Sasuke weggenommen. Er war schuld, dass sich Team 7 schlussendlich aufgelöst hatte.
 

Shisui sah sie irritiert an. Er spürte, dass ihre Stimmung umgeschlagen war, konnte jedoch offenbar nicht den Finger darauflegen, weshalb sie ihm plötzlich feindlich gesinnt war. Shizune, die von der Spannung zwischen ihnen nichts mitbekam oder nichts mitbekommen wollte, hakte sich mit einer für sie untypischen Vertrautheit bei ihm ein und plapperte ihn mit einer für sie nicht minder untypischen Kleinmädchenhaftigkeit voll. Es war offensichtlich, dass sie in ihn verliebt war. Ihr Gesicht leuchtete regelrecht. Sakura fremdschämte sich automatisch, höchstwahrscheinlich hatten ihre damaligen Annäherungsversuche bei Sasuke ein ebensolch armseliges Bild geboten. Die andere Sakura, das gehässige Stimmchen, das stets dicht unter der Oberfläche gelauert hatte und das sie mittlerweile gut im Griff zu haben glaubte, wütete, verwünschte Shizune, verfluchte Shisui – wenn sie ihren Uchiha nicht haben konnte, sollte Shizune auch keinen abbekommen. Shannarō!
 

„Willst du den ganzen Tag da rumstehen und die Tür anstarren?“

Tsunades strenge Stimme beförderte sie ins Hier und Jetzt zurück und sie setzte sich ihr auf den Stuhl gegenüber, den Rücken gerade, die Hände auf dem Schoß gefaltet. „Wie geht es voran?“
 

Sakura hatte keine Worte, um ihr Versagen in ein paar hübsche Euphemismen zu verpacken, und überlegte, ob es das kleinere Übel wäre, zuzugeben, dass Sasuke absolut kein Interesse daran hatte, mit ihr zusammenzuarbeiten, oder zu behaupten, dass ihm die Heilkünste nicht lägen. Sie entschied sich für eine Art Mittelweg. „Ich denke nicht, dass ich Sasuke den Ernst seiner Lage begreiflich machen oder ihn für medizinische Jutsu begeistern konnte. Er ist nicht glücklich, dass er mir quasi unterstellt ist, und ich habe den Eindruck, dass er darin nicht mehr als eine riesige Demütigung sieht.“
 

„Nicht gut also.“ Die Hokage nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet, und klickerte mehrmals mit einem Kugelschreiber. Das Geräusch raubte Sakura den letzten Nerv. „Glaubst du, dass sich das noch ändern wird?“
 

Nein, lautete ihr erster instinktiver Gedanke und die ungefilterte Brutalität dieser vier Buchstaben erschrak sie zutiefst. Lag es an ihr oder an ihm? Traute sie sich selbst so wenig zu, dass sie den Glauben, Sasuke doch noch von ihrem Können überzeugen zu können, aufgegeben hatte, oder hielt sie ihn für verloren, für zu verfahren in dem, was er über sie zu wissen glaubte? „Ich bin nicht sicher“, antwortete sie schließlich wahrheitsgemäß. „Damals, als Genin, war ich immerzu das Schlusslicht der Gruppe. Meine Stärke lag im Lernen und in der Theorie, aber im offenen Kampf nützte das wenig und ich war oft überfordert. Klugheit ist eben nicht vergleichbar mit Gewieftheit. Sasuke und Naruto waren mir von Anfang an um Längen voraus und egal, wie sehr ich mich angestrengt habe, um sie einzuholen, es hat nie gereicht. Und dann ist Sasuke… fortgegangen, gerade in dem Moment, in dem ich aufgehört hatte, wie sie sein zu wollen, und stattdessen einen Weg einschlug, der zu mir passt. Ich denke, dass Sasuke mich noch immer für einen Schwächling hält und deswegen…“, ihre Hände verkrampften sich, als sie sich der bitteren Wahrheit stellte, „… auf mich herabblickt.“
 

Tsunade hatte ihr aufmerksam zugehört, der Stift rotierte zwischen ihren Fingern. „Du erinnerst mich an Naruto.“
 

„Häh?“

Sie hatte schon bessere Komplimente bekommen.
 

Die Blonde warf den Kugelschreiber endlich auf den Tisch und lehnte sich gelassen zurück. „Naruto wollte immer Hokage werden, damit die Menschen ihn respektieren, hat aber nie verstanden, dass nur jemand, der bereits respektiert wird, zum Hokage ernannt wird. Bei dir ist es ähnlich: Du wünschst dir, dass Sasuke Uchiha dich respektiert und deine Fähigkeiten anerkennt, verschaffst dir aber keinen Respekt und machst dich damit tatsächlich zu einer Person, die man nicht zu respektieren braucht.“

Sakura knirschte leise mit den Zähnen.

„Ich gebe zu, ich bin enttäuscht, von euch beiden. Euer Verhalten ist mehr als kindisch.“
 

„Wie geht es jetzt weiter?“
 

„Wenn du dich der Aufgabe nicht gewachsen fühlst, werde ich ANBU auf ihn ansetzen müssen. Das wollte ich eigentlich vermeiden, weil Sasuke nicht auf den Kopf gefallen ist und es vermutlich eher früher als später bemerken wird.“

Sie strich das Dokument, das vor ihr auf dem Tisch lag, glatt, da sich beide Enden eingerollt hatten, und klickerte beim Lesen abermals mit dem Kugelschreiber herum. Augenscheinlich war das Gespräch beendet, doch da Tsunade sie nicht ihres Büros verwies und Sakura sich nicht in der Lage fühlte, aufzustehen und zu gehen, blieb sie einfach sitzen.
 

Draußen zog ein Sturm auf, der Wind heulte und wirbelte rostrotes Laub am Fenster vorbei. Aus dem Osten rollte eine schmutzig-violette Gewitterfront auf das Dorf zu.
 

„Es geht gar nicht um Sasuke, nicht wahr?“
 

Tsunade sah mit gerunzelter Stirn auf, gerade so als hätte sie vergessen, dass Sakura noch da war. „Das ist streng vertraulich.“
 

„Ich verstehe.“

Sie hielt Tsunades Blick stand, wissend, dass sie soeben ein stillschweigendes Abkommen schlossen; wenn sie blieb und sich anhörte, was die Hokage zu sagen hatte, übertrat sie endgültig die unsichtbare Schwelle, die einfache Shinobi von jenen trennte, die in die Geheimnisse des Dorfes eingeweiht waren, mit allen Konsequenzen und Pflichten, die damit einhergingen. Und sie war bereit.

Ach, wirklich? Die andere Sakura war gehässig wie eh und je. Sakura hatte sie wahrlich nicht vermisst und drängte sie energisch zurück.

Ja, sie war bereit. Schließlich ging es hier um Sasuke.

Sie rutschte auf dem Stuhl hin und her, ihr Herzschlag hatte sich automatisch beschleunigt und sie hatte das Bedürfnis, sich zu bewegen, ihre Glieder zu strecken, herumzulaufen, ließ es aber bleiben, weil sie nicht wollte, dass Tsunade ihre innere Unruhe mit Unsicherheit oder Nervosität verwechselte.
 

Die Ältere warf einen Blick zur Tür, wie um sich zu versichern, dass sie nicht belauscht wurden. Womöglich war sie auch nicht ganz überzeugt, ob Sakura tatsächlich bereit war. Dann leckte sie sich über die geschminkten Lippen, was Sakuras Eindruck verstärkte, dass sie nicht recht wusste, wo sie beginnen sollte.

„Ich nehme an, du weißt alles über die Gründung Konohas und welche Rolle sowohl mein als auch der Uchiha-Clan dabei spielten?“ Es war keine direkte Frage, immerhin wurde Konohas Geschichte ausführlich an der Akademie gelehrt, aber die junge Frau nickte dennoch. „Bekannt sein dürfte dir außerdem, dass die Konoha-Polizei von meinem Onkel Tobi-, also dem Nidaime Hokage gegründet wurde. Die Leitung der Organisation wurde dem Uchiha-Clan übertragen und seither sind es auch hauptsächlich Uchihas, die die Mitglieder stellen. Viele unterstellen deswegen Vetternwirtschaft…“ Tsunade zuckte die Achseln, als wolle sie das nicht ausschließen, was Sakura maßlos ärgerte. „Den Wenigsten ist jedoch bekannt, dass mein Onkel den Uchihas Zeit seines Lebens misstraute. Er sah eine massive Bedrohung in ihnen, nicht nur für Konoha, sondern die gesamte Welt, denn die Legende will, dass ein Fluch auf dem Clan liegt, der Fluch des Hasses.“
 

„Ein Fluch?“ Sakura konnte nicht verhindern, dass sie höhnisch klang, obwohl ihr bewusst war, dass sie damit nicht nur einen einstigen Hokage, sondern einen Verwandten Tsunades schmähte. Das war doch absurd. Kein Wunder, dass dieser Teil nicht an der Akademie unterrichtet wurde. Wer würde einen Hokage ernst nehmen, dessen Handlungen die abergläubische Furcht eines Waschweibes zugrunde lag.
 

Tsunade betrachtete sie mit versteinerter Miene. „Hältst du das für so abwegig? Wenn man einmal den magischen Aspekt, an den man bei Flüchen zu denken verleitet ist, beiseiteschiebt, könnte man nicht auch genetische Anlagen als Fluch bezeichnen, eine Disposition für bestimmte Krankheiten etwa?“

Sakura schluckte, sie hatte die böse Ahnung, dass die Richtung, in welche sich dieses Gespräch zu entwickeln begann, ihr nicht sonderlich gefallen würde. „Ich weiß nicht, ob dieser Fluch“, sie setzte das Wort mit den Fingern in Anführungszeichen, „existiert, aber in dem Clan gibt es eine dokumentierte Tendenz zum Wahnsinn. Hinzu kommt, dass barbarische Methoden angewandt werden, damit das Sharingan möglichst früh erweckt wird, Kinder, die zum Töten gezwungen werden, die sich auf Schlachtfeldern den Schrecken des Krieges stellen müssen, die ihren besten Freund in einem Kampf auf Leben und Tod ermorden sollen.“
 

„Wieso unternimmt niemand etwas dagegen? Das ist… das ist unmenschlich. Wenn ich einen meiner Freunde töten müsste, würde ich auch wahnsinnig werden.“

Allein die Vorstellung, dass Sasuke so etwas angetan worden war, brachte sie vor Kummer halb um den Verstand. Andererseits war sein Sharingan erst im Kampf gegen Haku erwacht. Oder nicht? Dann fiel ihr Neji Hyūga ein, dem als Kind ein Bannmal, das Symbol seines Sklavenstandes, auf die Stirn eingebrannt worden war. Ihr wurde ein bisschen schlecht.
 

Tsunade stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und faltete die Hände. „Es ist fast unmöglich, den Traditionen der alten Clans beizukommen. Was ich persönlich davon halte, hat wenig mit dem zu tun, was ich dagegen unternehmen kann. Aber das ist ein anderes Thema“, erklärte sie ungeduldig. Sakura verstand, dass sie keine weitere Unterbrechung hinnehmen würde. „Der Nidaime Hokage übertrug die Leitung der Polizei-Organisation also als vermeintliches Ehrenamt an die Uchihas, während seine wahren Absichten darin lagen, den Clan mit diesem putativen Vertrauensbeweis ruhig zu stellen und zu kontrollieren. Über vier Dekaden lang ging das auch gut, obgleich immer mal wieder kleinere Unruhen innerhalb des Uchiha-Clans aufkamen, bis Konoha vom neunschwänzigen Fuchsgeist angegriffen wurde. Das Kyuubi wurde versiegelt.“
 

„In Naruto.“
 

Falls Tsunade überrascht war, dass Sakura davon wusste, ließ sie es sich nicht anmerken und fuhr fort, als wäre sie nie unterbrochen worden: „Aber Konoha wurde fast vollständig zerstört und unzählige Menschen starben an diesem Tag, einschließlich dem Yondaime Hokage. Es konnte nie aufgedeckt werden, weshalb das Kyuubi unser Dorf attackierte, jedoch glaubten und glauben noch immer zahlreiche Menschen, dass der Uchiha-Clan in den Angriff verwickelt gewesen sein musste, da man den Fuchsgeist mit dem Sharingan kontrollieren kann. Die Stimmung im Dorf war angespannt, viele mussten um ihre Existenzen fürchten, noch mehr hatten ihre Liebsten verloren, und es gab keinen offiziellen Sündenbock, gegen den man seinen Zorn richten konnte, also richteten die Menschen ihren Hass gegen die, die sie sowieso für verantwortlich für ihr Leid hielten. Infolgedessen wurden die Uchihas in den Randbezirk… verbannt, zudem in ein Gebiet, welches nur die Hälfte ihres einstigen Besitzes ausmacht und aufgrund der Lage leicht ausspioniert und überwacht werden kann, was zusätzlich für Unmut sorgte. Diese demonstrative Vertreibung aus dem Dorf stimmte die Bevölkerung friedlicher, heizte dafür aber die schwelende Unzufriedenheit unter den Uchihas an. Fugaku Uchiha, das Oberhaupt des Clans, protestierte aufs Schärfste gegen die Aussiedelung, argumentierte, dass es ungerecht sei und die Bevölkerung in ihrer Überzeugung, dass der Clan für den Angriff verantwortlich sei, bestärke, aber der Rat und der Sandaime Hokage ließen sich nicht umstimmen. Sie hatten, wie ich gerechterweise anmerken möchte, zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Wahl. Seitdem spaltet sich der Uchiha-Clan in jene, die gegen das Dorf putschen möchten, und jene, die hinter Konoha stehen. Bisher schien ihr Clan-Oberhaupt die Situation unter Kontrolle zu haben, aber seit einigen Montan haben wir vermehrt Grund zur Annahme, dass die Uchihas einen Bürgerkrieg planen.“ Tsunade seufzte erschöpft und zum ersten Mal sah sie, ihrer jugendlichen Erscheinung zum Trotz, alt aus.
 

Sakura hatte sie gehört, aber verstand nicht. Die Informationsflut wollte ihr den Schädel sprengen und das Wort Bürgerkrieg rotierte in ihrem Kopf, riss ihr mit seinen spitzen Silben, zumindest fühlte es sich so an, tiefe Wunden ins Gehirn. „Also stimmen die Gerüchte, die über die Polizei in Umlauf sind? Wieso verhaftet man die Verantwortlichen nicht einfach?“
 

„Weil wir keine konkreten Beweise haben. Uns liegen zwar zahlreiche Beschwerden vor, andererseits möchte sich niemand öffentlich mit den Uchihas anlegen, und wenn wir auf einen bloßen Verdacht hin handeln, bricht auf jeden Fall ein Bürgerkrieg aus. Wir gehen derzeit davon aus, dass sich eine claninterne Rebellengruppe geformt hat, die nicht nur Mitglieder innerhalb des Clans anwirbt, sondern auch Shinobi aus anderen Dörfern. Wenn die Friedensverhandlungen scheitern und ein neuer Krieg ausbricht, wäre es ein Leichtes für den Uchiha-Clan Konoha zu unterwerfen.“
 

Sakura hatte leise geahnt, dass es bei Tsunades Auftrag unmöglich nur um die persönlichen Befindlichkeiten eines einzelnen Ninja gehen konnte. Der Aufwand, Sasuke zu rehabilitieren, war ihr einfach zu unverhältnismäßig groß erschienen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und versuchte, ihrer seligen Unwissenheit nicht zu sehr nachzutrauern. Ihre Stimme war dünn und klang weinerlich, als sie fragte: „Was hat das mit Sasuke zu tun? Sie glauben doch nicht, dass er dieser Rebellengruppe angehört?“
 

„Wir gehen davon aus, dass er ihr Anführer ist.“
 

Sakuras Beine fühlten sich derart taub an, dass sie beim Hinausgehen wiederholt stolperte. Sie flüchtete sich auf die Damentoilette, wo sie mehrmals trocken würgte und sich, nachdem sich ihr glücklicherweise leerer Magen beruhigt hatte, eiskaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Sasuke sollte Anführer einer Rebellengruppe sein? Sasuke sollte einen Krieg gegen Konoha planen? Nein, das war nicht möglich. Oder wünschte sie sich nur, dass es nicht möglich war? Was wusste sie schon über Sasuke? Sie hätte auch nie für möglich gehalten, dass er ihr Team einfach mir nichts, dir nichts im Stich lassen könnte, bis er genau das getan hatte. Fast drei Jahre war er fort gewesen und die Male, die sie seit seiner Rückkehr und vor ihrer erzwungenen Zusammenarbeit miteinander gesprochen hatten, konnte sie wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Falls man Hallo, Sasuke und Guten Morgen, Sasuke und Wie geht’s dir, Sasuke? und Nerv nicht überhaupt als vollwertige Gespräche bezeichnen mochte. Nicht, dass sich seit ihrer Zusammenarbeit viel daran geändert hätte. Es wäre ihm garantiert noch zu persönlich, wenn sie ihn fragte, was er zum Frühstück gegessen hat.
 

Wie sollte sie an ihn rankommen? Sie hatte es mit Freundlichkeit versucht, mit Geduld, mit Kompetenz, hatte respektiert, dass er nicht über Privates sprechen wollte, und ihre Treffen geradezu vorbildlich professionell gehalten. Nichts hatte geholfen, nichts seine Sichtweise über sie verändert. Sie betrachtete sich im Spiegel, Wassertropfen perlten von ihrem Kinn und ihrer Nasenspitze und verliehen ihrem Gesicht den Anschein, dass sie geheult hätte, aber in ihren Augen brannte Entschlossenheit. Sie musste aufhören, sein Freund sein zu wollen, und ihn da packen, wo er schon immer am verletzlichsten gewesen war, bei seinem Stolz. Denn es ging wirklich nicht um Sasuke, also durfte es auch ihr nicht nur um Sasuke gehen, es ging um Konoha und um die Erhaltung des Friedens. Und vielleicht, ganz vielleicht, konnte sie dadurch zu dem Freund für ihn werden, den er brauchte.
 

Sakura verließ das Verwaltungsgebäude und wunderte sich kaum, dass Ino auf der Treppe sitzend auf sie wartete. Die Beine hatte sie gegen die Kälte angezogen und selbst in ihrer dicken Jacke sah sie besorgniserregend schmal aus. Ihre beste Freundin war eigentlich auch eine Baustelle, um die sie sich allmählich mal kümmern müsste.
 

„Hey, Breitstirn“, rief die Blondine und winkte ihr zu. „Wer war der süße Typ? Du verheimlichst mir doch keinen ultraheißen Lover, oder?“
 

„Du spinnst“, antwortete sie matt grinsend.
 

„Auf den ersten Blick dachte ich, das wäre Sasuke.“
 

„Dann solltest du mal zum Optiker“, stichelte sie.
 

„Stimmt, Sasuke sieht viel besser aus, obwohl dein Herzblatt auch nicht schlecht ist.“
 

Sakura trat ihr halb ernst gemeint gegen das Schienbein, eigentlich war es nur ein zartes Anstupsen, aber Ino schimpfte trotzdem wie ein Rohrspatz und klopfte nicht vorhandenen Schmutz von ihrer Hose.

„Das war Shisui Uchiha.“

Der Name läutete offenbar kein Glöckchen bei ihrer Freundin.
 

„Na, dann passt es doch. Sasuke für mich und dieser Shisui für dich. Mir wäre der ja zu alt, aber zu dir geistigen Greisin passt ein reiferer Mann.“
 

Sakura verdrehte die Augen. „Hör auf, so einen Mist zu erzählen, am Ende glaubt das noch jemand.“ Sie setzte sich neben Ino auf die Treppe, der kalte Stein zog unverzüglich durch ihre Kleidung hindurch. „Magst du ihn noch?“
 

„Klar, Sasuke ist meine einzig wahre Liebe und ich werde ihn später mal heiraten, wirst schon sehen. Wenn du nicht zu eifersüchtig bist, darfst du vielleicht sogar meine Brautjungfer sein“, sagte sie und streckte ihr spielerisch die Zunge raus.
 

„Nein, ich meine, so ganz im Ernst. Würdest du noch mit ihm zusammen sein wollen?“
 

Ino hob überrascht die Brauen an, bettete ihr Kinn auf ihre Knie und schien darüber nachzudenken. „Hmm, weiß nicht genau, vielleicht, wenn er zu mir käme und mir seine Liebe gestehen würde. Aber das wird nicht passieren, er grüßt mich nicht mal mehr, wenn wir uns auf der Straße begegnen.“ Sie sagte es mit einem leichtfertigen Grinsen, das nur ein klitzekleines bisschen traurig aussah. „Wieso? Du?“
 

Sakura malträtierte ihre Unterlippe mit den Zähnen. Inos Augenbrauen verschwanden derweil fast in ihrem Haaransatz. „Ich denke nicht“, entgegnete sie schließlich.
 

„Sehr überzeugend.“

Die Blonde sah sie abwartend an, aber Sakura hatte nicht vor, ihr verworrenes Gefühlsleben auszubreiten. Sasuke war auch zwischen ihnen ein heikles Thema, immerhin hatte sie Ino seinetwegen einst die Freundschaft gekündigt.

„Wenn du schon keine skandalöse Affäre hast, von der du mir erzählen kannst, dann sag mir wenigstens, was der Typ von dir wollte.“
 

„Nichts Besonderes, Lady Tsunade ließ mir über ihn ausrichten, dass sie mich sehen will, und weil wir denselben Weg hatten, sind wir eben zusammen hergekommen.“ Sie war selbst erstaunt, wie flüssig ihr die Lüge über die Lippen kam. „Übrigens…“, sie senkte verschwörerisch die Stimme, „ich glaube, Shizune steht voll auf ihn.“
 

Ino kicherte albern. „Wird Zeit, dass sie sich mal einen Kerl angelt, ansonsten endet sie wie unsere Hokage.“

Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sich die beiden Mädchen auch schon besorgt umsahen.
 

„Wollen wir was Trinken gehen?“
 

„Ja, warum nicht. Ich bin völlig durchgefroren.“ Ihre rote Nase bestätigte das. Sakura stand auf und zog Ino auf die Beine, die ein paar Mal auf der Stelle trat, um ihre steifen Glieder aufzuwärmen. „Was wollte Lady Tsunade überhaupt von dir? Hätte ich gewusst, wie lange das dauert, hätte ich mir zwischenzeitlich ein Laubiglu gebaut.“
 

„Ach, nichts Besonderes“, wich Sakura aus und klemmte ihr sturmgepeitschtes Haar hinter die Ohren.
 

Ino sah sie kritisch von der Seite an. „Das sind verdächtig viele nicht besondere Vorkommnisse für einen Tag.“
 

„Du übertreibst wie immer“, grinste sie und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps. „Und es war wirklich nichts Besonderes.“
 

„Dann spricht doch nichts dagegen, dass du es mir sagst.“
 

Mist.
 

„Eigentlich… eigentlich hat sie mich nur gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zu unterrichten, wenn beziehungsweise falls der Rat jemals zustimmen sollte, dass Heil-Jutsu Akademiestoff werden. Tut mir leid, ich wollte nichts sagen, weil sie bisher nur mich gefragt hat und ich nicht wollte, dass das blöd rüberkommt.“

Sie waren sich beide im Klaren darüber, dass Tsunade Ino niemals darum bitten würde, dafür war sie zu ungeduldig, aufbrausend und hasste die Schule und alles, was damit zu tun hatte, viel zu sehr. Wahrscheinlich war es nicht nett, dass sie das ausnutzte. Ino reagierte wie erwartet mit einem angeekelten Bäh.
 

Sie erreichten den Park, der zwischen ihnen und ihrem Stammcafé lag. Der Himmel hatte sich stark zugezogen, sodass es unter dem dichten Blätterdach stockduster war. Sakura wurde unangenehm an ihre Begegnung mit Hidan erinnert – sie hatte ihn seit jenem Vorfall ein paar Mal im Dorf gesehen und immer hatte er ihr mit seinem dreckigen Grinsen und Zwinkern versichert, dass er sie noch nicht vergessen hatte – und hielt Ino am Arm zurück. „Lass uns außen rumgehen.“
 

„Wozu? Das ist ein Umweg von mindestens zehn Minuten und es fängt garantiert gleich an zu regnen.“

Fortuna rollte lachend über den Boden, als sie genau in diesem Moment von den ersten Regentropfen getroffen wurden. „Na, was habe ich gesagt.“
 

Die Rosahaarige gab sich diskussionslos geschlagen. Es gab nichts, was sie sagen konnte, dass sie nicht paranoid klingen ließ. Außerdem wollte sie Inos Angst vor dem Yu-Nin nicht zusätzlich bekräftigen. Hidan war ein gemeiner, brutaler Proll und Sakura würde ihm keine Macht verleihen, indem sie ihre Handlungen von Furcht bestimmen ließ.
 

Weil das das letzte Mal so gut geklappt hat, wisperte das fiese Stimmchen in ihrem Kopf.
 

Nun, ein wenig Wachsamkeit konnte sicherlich nicht schaden.

Ino quasselte munter vor sich hin, während Sakura zu angespannt war, um den rasch wechselnden Themen folgen zu können. Sie schnappte jeweils nur ein paar Wortfetzen auf, gerade genug, um an den richtigen Stellen Aufmerksamkeit vortäuschen zu können, bis Ino einen Sachverhalt anschnitt, der nach ihrer vollen Aufmerksamkeit verlangte.

„Du bist in letzter Zeit ziemlich oft in der Bibliothek, angeblich mit Sasuke.“
 

„Ach ja?“, entgegnete sie lahm und war dankbar, dass eine Windböe ihre kurzzeitig entgleisenden Gesichtszüge hinter Haar versteckte. Verdammt, sie wusste nicht, wie sie sich aus der Nummer herausreden sollte. Sasuke und sie übten in einem kleinen, staubigen Hinterzimmer, aber natürlich hatte wenigstens der Bibliothekar unweigerlich mitbekommen, dass sie es gemeinsam und zur selben Zeit benutzten, und obgleich er normalerweise ein diskreter Mann war, lud Inos offene, unbeschwerte Art zum Tratschen ein.
 

Sie war kurz davor, ihr die Wahrheit zu sagen – oder eine abgespeckte Version davon –, als Ino plötzlich spitz aufschrie und wie ein gefällter Baum auf die Nase fiel. Die Blonde hatte den Sturz nicht mal richtig mit den Armen abgefangen. Sakura brach unwillkürlich in Gelächter aus, welches ihr im Halse stecken blieb, als sie bemerkte, dass Inos linkes Bein weg war. Sie blinzelte heftig. Nein, nicht weg. Es steckte bis zur Mitte des Oberschenkels in einer Pfütze, einer Pfütze, die aus kochendem Wasser bestand.
 

Ino brüllte vor Schmerzen. Speichelfäden rannen zäh von ihrer Lippe und ihre Finger kratzten Spuren in den feuchten Kiesweg, als sie sich panisch aus ihrer Falle zu ziehen versuchte.

Sakura keuchte entsetzt auf, packte das Mädchen unter den Achseln und wuchtete sie aus dem Loch. Ino schlug halb wahnsinnig geworden um sich, rammte Sakura ihren Ellbogen ins Gesicht, die Rosahaarige schmeckte Blut, schaffte es aber schließlich, ihre Freundin zu befreien, die wimmernd von der Wasserstelle wegkroch.
 

Hidan trat Tränen lachend aus dem Schatten der Bäume und klatschte ironisch Beifall. „Sehr elegant, meine Damen. Zehn von zehn.“
 

„Das warst du“, kreischte Sakura wutentbrannt.

Sie blickte zwischen der Blondine und dem Silberhaarigen hin und her, entschied jedoch, dass Hidan das drängendere Problem darstellte. Ino schien nicht in der Verfassung, sich selbst heilen zu können, und Sakura hoffte, dass der Schock ihr den schlimmsten Schmerz nahm, bis sie ihr helfen konnte.

Sie hatte extra aufgepasst und seine Anwesenheit trotzdem nicht gespürt. Der Mistkerl war eindeutig geschickter, als seine dämliche Visage vermuten ließ.
 

„Was ist hier los?“

Shisui Uchiha schien wie aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht zu sein. Sakura fragte sich nicht, wie er das angestellt hatte – oder ob er sie überwachte, dass er diese Retter-in-der-Not-Nummer abziehen konnte –, sie war einfach nur verdammt froh, ihn zu sehen, und wünschte sich, dass er Hidan zu Brei zerkloppte und ihn anschließend in dieser beschissenen Pfütze ertränkte.
 

„Das Schwein hat Ino angegriffen“, berichtete Sakura anklagend und deutete mit dem Zeigefinger erst auf Hidan und dann auf die Pfütze, die inzwischen wieder nicht mehr als ein bisschen Schmutzwasser war.
 

„Ich?“, verteidigte er sich scheinheilig. „Ich hab nur ein bisschen trainiert. Kann ich doch nichts ‘für, wenn die zwei wie kopflose Hühner durch die Gegend rennen und nicht aufpassen.“
 

„Das ist nicht wahr…“

Shisui brachte sie mit einer strengen Geste zum Schweigen.
 

„Trainieren kannst du auf dem Übungsplatz. Ich weiß zufällig genau, dass ihr darüber informiert wurdet. In Konoha leben viele Zivilisten, für sie ist es sonst zu gefährlich.“
 

„Ihr habt auch einen Haufen unfähige Kunoichi, für die es offensichtlich gefährlich ist“, höhnte er.
 

Sakura ballte die Fäuste, doch der Schwarzhaarige beschloss aus irgendeinem Grund, die Beleidigung zu überhören, vielleicht, weil sie ihn nicht einschloss.
 

„Wenn du so viel überschüssige Energie hast, können wir das später gern auf dem Trainingsgelände klären.“
 

„Mir schlottern die Knie.“
 

Shisui ließ seine Hand in einer langsamen, aber deswegen nicht weniger bedrohlichen Bewegung an den Griff seines Tantō¹ gleiten, das er auf den Rücken geschnallt trug. „Du hast die Wahl, du verschwindest jetzt freiwillig oder du verbringst den Rest der Woche in einer Zelle, wegen Widerstandes gegen die Polizeigewalt. Mich würde interessieren, was dein Dorfältester dazu zu sagen hätte, wie man hört, geht er radikal gegen alle, die seine pazifistischen Ansichten nicht unterstützen, vor.“
 

Hidan schnaubte spöttisch, fügte sich allerdings. Womöglich hatte die Drohung mit dem Ältesten gefruchtet oder drei gegen einen erschien ihm erfolgversprechender als einer gegen zwei. Er ging, aber nicht ohne durch die Pfütze zu patschen und sie mit Schmutzwasser zu bespritzen.
 

„Wieso lassen Sie ihn einfach gehen?“, verlangte sie aufgebracht zu wissen.
 

„Hast du gesehen, dass er es war?“, fragte er ruhig nach.
 

„Er war es, das liegt doch wohl auf der Hand“, beharrte sie störrisch.
 

„Ich glaube dir, aber ohne handfeste Beweise kann ich niemanden festnehmen.“

Sakura verstand allmählich, wie Konoha in diese Pattsituation geraten konnte. Im Prinzip sagte er das Gleiche wie Lady Tsunade. Wenn man rechtschaffend sein wollte, hielt man sich an das Gesetz, aber wenn man sich an das Gesetz hielt, waren einem oftmals die Hände gebunden, was schlussendlich zu massenhaft Intrigen führte. Sowas Bescheuertes. Oder war sie auf ein Täuschungsmanöver reingefallen und die beiden gehörten insgeheim dieser Rebellengruppe an? Tsunade hatte beteuert, dass sie Shisui Uchiha vertraute, weil der dritte Hokage ihm vertraut hatte. Sakura war sich nicht sicher. „Deine Freundin ist jetzt sowieso wichtiger.“
 

Richtig. Ino.
 

Sakura stürzte an ihre Seite. Ino hechelte wie eine Entbindende, die den Geburtsschmerz wegzuatmen versuchte. Rosa Flecke erblühten großflächig durch ihre Hose hindurch. Sakura musste die Verletzung nicht sehen, um zu wissen, dass sie übel war. Der Gestank war bestialisch, der charakteristisch widerlich-süßliche Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft.
 

„Gleich geht es dir besser“, redete sie beruhigend auf die Blonde ein, während sie Chakra in ihren Handflächen sammelte.
 

„Mir geht’s gut“, presste sie durch zusammengebissene Zähne hindurch. Ihre Stirn war schweißnass.

Sakura sah sie irritiert an, ehe sie sich abermals auf die Wunde fokussierte. Sie spürte die abnormale Hitze, die von Inos Bein ausstrahlte, an ihren Handflächen. „Ich habe gesagt, mir geht’s gut“, fauchte Ino zornig und schlug Sakuras Hände weg.
 

„Ino!“

Sie tauschte einen ratlosen Blick mit Shisui, der sich hilflos den Nacken rieb und offensichtlich nicht verstand, was Inos Problem war. Sakura verstand es ja selbst nicht.
 

„Ich kann sie ins Krankenhaus bringen“, bot er an und hob die junge Blondine vorsichtig hoch. Inos Gesichtsmuskeln verhärteten sich tapfer, als er seinen Arm unter ihre Kniekehlen schob, doch ihr entwich trotzdem ein gedämpfter Schmerzenslaut.
 

„Danke“, sagte Sakura, die untätig am Boden hockte.
 

Er nickte ihr zu und war einen Wimpernschlag später verschwunden.
 

Was war nur in Ino gefahren? Von ihrem Magen ausgehend breitete sich Kälte in ihrem Körper aus, aber sie tröstete sich damit, dass Ino wahrscheinlich nur lieber von einem attraktiven Ninja wie eine Braut über die Schwelle des Krankenhauses getragen werden wollte. Ganz bestimmt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tantō¹: japanisches einschneidiges Kurzschwert bzw. Kampfmesser Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jakne
2020-12-13T12:56:56+00:00 13.12.2020 13:56
uii, wenn Sasuke wirklich der Anführer einer Rebellion ist, lieg ich ja mit meiner Vermutung komplett falsch xD
Das würde natürlich auch noch mal erklären, warum er so extrem abweisend zu jedem ist, man will sich natürlich auch keine Freunde machen, bevor man einen Bürgerkrieg anzettelt ..
Allerdings könnte er auch so angespannt sein, da er merkt, dass andere Clan-Mitglieder, vielleicht sogar Fugaku, etwas planen und er damit im Konflikt steht..
Du hast das Dilemma der Uchiha übrigens sehr deutlich erklärt.. selbst wenn es nie zum Uchiha-Massaker gekommen wäre, wäre Sasuke vermutlich mit viel Hass und Unterdrückung aufgewachsen.. allein die Tatsache, jemanden der einem Nahe steht zu verlieren, nur um an Macht zu kommen ist ein fatales Schicksal..
Also danke nochmal für die ausführliche Erläuterung, die Ursprungsgeschichte hatte ich so detailliert nämlich gar nicht mehr auf dem Schirm:)

Lg
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
14.12.2020 04:26
Hallo jakne,

naja, nicht unbedingt und noch ist das ja gar nicht bewiesen – Tsunades Verdacht könnte schließlich falsch sein. Vielleicht ist Tsunade auch die Böse, wer weiß, wer weiß. ^^
Dankeschön, ich habe ziemlich lange an der entsprechenden Szene rumgewerkelt, weil ich diese einerseits nicht zu lang ausdehnen wollte, es andererseits jedoch unerlässlich war, dass Sakura die Zusammenhänge erklärt bekommt. Zudem fand ich ganz spannend, Tsunades Einstellung zum Uchiha-Clan damit indirekt anzudeuten, so als Senju. :D Sakura steht da natürlich voll zwischen den Stühlen und möglichenfalls war es potenziell dumm von Tsunade, ausgerechnet sie damit zu beauftragen, aber die Gute konnte ja nicht wissen, wie Sakura zu Sasuke steht.
Lieben Dank für dein Review.
Von:  Scorbion1984
2020-12-05T20:00:09+00:00 05.12.2020 21:00
Wieder Hidan ,was treibt der sich in Konoha rum ? Ich trau ihm nicht und wieso heftet sich Shisui an Sakuras Fersen?
Sasuke der Anführer der Rebellen ,glaube ich irgendwie nicht ,eher wird er von jemanden manipuliert.
Antwort von:  MyHeartInTheAttic
06.12.2020 23:35
Hallo Scorbion1984,

Hidan hält sich in Konoha auf, da dort zum Zeitpunkt der Geschichte internationale Friedensverhandlungen abgehalten werden; Yugakure ist eines der teilnehmenden Dörfer. Er ist, ebenso wie die anderen vorkommenden Akatsuki-Mitglieder, ergo kein Abtrünniger in diesem AU.
Nun, ob sich Shisui tatsächlich an Sakuras Fersen geheftet hat oder nicht und falls ja, warum, bleibt abzuwarten. Derzeit ist es ja nur ein Gedanke, der Sakura gekommen ist.
Tja, das gilt es für Sakura herauszufinden, nicht. ^^
Lieben Dank für dein Review.


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