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Flashlight

von

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Tränen und William


 

Happy Halloween!
 

Als Ciel das nächste Mal aufwachte, lag er im Bett und es war dunkel. Müde streckte er sich und drehte sich auf die andere Seite. Dort lag Sebastian und schlief. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er erinnerte sich, dass er geweint hatte, weil die Mutter des kleinen Fischs in dem Film gestorben war. Das war schon mehr als traurig, doch es erinnerte ihn daran, dass er selbst keine Eltern mehr hatte. Plötzlich hatten die Erinnerungen ihn überschwemmt. Ihr Anwesen, das brannte, die Angst, seine toten Eltern, die eng umschlungen in einer großen Blutlache lagen, die Entführer und die lange Zeit des Quälens. Er wusste nicht, wie lange er in diesem Saal war, eingesperrt in einen Käfig, wie Tiere und eine geschmacklose, pürierte Pampe als Essen.

Ohne es zu merken kullerten Tränen über seine Wangen. Sein Magen fühlte sich an, als ob eine eiskalte Faust ihn zusammendrücken würde und sein Herz schlug schwerfällig. In seinem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet und unweigerlich kroch ein Schluchzen seine Kehle hoch. Er zog seine Knie an seinen Körper und rollte sich wie ein Embryo zusammen. Die Bettdecke neben ihm raschelte leise, dann legte sich ein Arm um seinen schmächtigen Körper und er wurde an eine warme Brust gezogen. „Ich bin da“, flüsterte Sebastian leise.

Er hatte nur leicht geschlafen, die Sorge um den Jungen hatte ihn kaum zur Ruhe kommen lassen. Dadurch war er auch durch das leise Schluchzen aufgewacht. Ciel tat ihm so unfassbar leid, es tat fast schon weh. Sebastian wollte ihm so gerne den Schmerz nehmen, doch das war nicht möglich. Er konnte nur für ihn da sein. „Bauch … weh“, brachte Ciel zwischen mehreren Schluchzern heraus. Sebastian brauchte einen Moment, bis sein müdes Gehirn die Information verarbeitete. „Dein Bauch tut weh?“, fragte er und legte seine Hand auf den sehr flachen Bauch des Jungen. Dieser nickte schniefend. Der Größere fuhr sich gedanklich frustriert durch die Haare. Was sollte er nun tun? Hatte er überhaupt eine Wärmflasche? Würde er jetzt, mitten in der Nacht, Claude anrufen, würde dieser ihm wahrscheinlich etwas erzählen. Sebastians Gedanken rasten, während Ciel sich noch etwas mehr in seinen Armen krümmte.
 

Vorsichtig löste er die Umarmung: „Ich hol dir eine Wärmflasche, okay? Dann wird es gleich besser sein.“ Er spürte ein leichtes Nicken an seiner Brust, dann setzte er sich auf, wickelte Ciel in eine Decke ein und stand schwerfällig auf. Die Müdigkeit steckte ihm in den Knochen, doch die Sorge überwog. Sein Weg führte ihn ins Wohnzimmer. Wenn er eine Wärmflasche hatte, dann war diese vielleicht dort. Schnell durchsuchte Sebastian seinen Wohnzimmerschrank und sein Regal, jedoch erfolglos. Anschließend ging er ins Bad, auch wenn er nicht glaubte, dort fündig zu werden. Schließlich bewahrte er dort nur Handtücher, Badeutensilien und was man eben im Bad hatte, auf. Als seine Suche dort auch erfolglos war, blieb nur noch sein Kleiderschrank übrig.

Im Schlafzimmer sah er nur einen kleinen Hügel unter der Bettdecke. Er schaltete seine Nachttischlampe ein, diese spendete nur wenig Licht, gerade genug um den Inhalt seines Schranks erkennen zu können. Sebastian wühlte eine Weile, doch dann förderte er tatsächlich eine Wärmflasche zutage. Schnell ging er mit dieser in die Küche und legte sie auf die Arbeitsplatte, um den Wasserkocher zu füllen. Ungeduldig tippte er auf die glatte Fläche, bis das Wasser endlich kochte. Sebastian nahm die Wärmflasche, schraubte den Deckel ab und füllte sie anschließend über der Spüle mit dem kochenden Wasser.
 

Schnell stellte er das Gerät zurück in die Halterung, nahm den Deckel und schraubte die Wärmflasche auf dem Weg zurück ins Schlafzimmer zu. „Ciel?“, fragte er leise und setzte sich auf die Bettkante. Die Bettdecke bewegte sich, dann lugte ein aschblauer Haarschopf hervor. Sebastian rutschte etwas weiter auf die Matratze und legte sich neben den Jungen. Er hob die Bettdecke etwas an, um sich darunter zu legen und Ciel die Wärmflasche an den Bauch zu legen. „Hier, damit geht es dir gleich besser“, sagte er leise. Der Junge rutschte näher zu Sebastian und lehnte seinen Kopf an dessen Brust. Er legte einen Arm um den kleinen Körper und murmelte beruhigende Worte. So schliefen beide langsam ein.
 

Am nächsten Morgen ging es Ciel wesentlich besser. Es ging ihm so gut, dass er Sebastian weckte, weil er Hunger hatte. Der Junge hatte ihm so lange in die Wange gepiekt, bis er grummelnd ein Auge einen spaltbreit geöffnet hatte. Seine erste Reaktion war es, den Störenfried in seine Arme zu ziehen und noch ein wenig liegen zu bleiben, doch Ciel hatte andere Pläne und war geschickt ausgewichen. „Was ist denn?“, fragte er nuschelnd. Ciels knurrender Magen, der in der Nähe von Sebastians Ohr war, sagte alles. Der Junge hatte sich beim Ausweichen über ihn gebeugt, sodass er fast auf dem Gesicht des Größeren lag.

Mit einem tiefen Seufzen zog er den kleinen Körper nun doch in seine Arme und setzte sich auf. Er angelte nach seinem Smartphone, um auf die Uhr zu schauen. Obwohl es fast Mittag war, hatte er das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Schwerfällig kämpfte er sich unter der Decke hervor und warf seine langen Beine über die Bettkante. Kaum hatte Sebastian sich erhoben, Ciel hielt er immer noch fest, ertönte die Klingel. Wer war das denn jetzt? Mit einem herzhaften Gähnen stand er auf, strich sich einmal durch die schwarzen Haare und schlurfte zu seiner Wohnungstür. Er war noch nicht angekommen, da klingelte es erneut. „Ich komm ja schon!“, grummelte Sebastian genervt und öffnete die Tür, nachdem er aufgeschlossen hatte.

„Hallo Nachbar~!“, flötete eine viel zu hohe, männliche Stimme. „Grell.“ Eine reine Feststellung. Grüngelbe Augen schauten ihn einen Moment irritiert an, wahrscheinlich weil er Ciel immer noch auf dem Arm trug, dann lächelte er breit und zeigte seine spitzen, weißen Zähne. „Habe ich dich etwa geweckt?“, fragte er scheinheilig. „Nein, da kam dir schon jemand zuvor“, sagte Sebastian und schielte zu Ciel. Dieser schien fit und ausgeschlafen zu sein. Er war fast ein wenig neidisch.

„Was verschafft uns nun die Ehre deines Besuchs?“, fragte Sebastian an Grell gewandt. Dieser grinste, wenn möglich, noch breiter und seine Augen leuchteten: „Ich hab später ein Date~! Und ich brauche deine Meinung zu meinem Outfit.“ Er drehte sich einmal um die eigene Achse. Skeptisch hob Sebastian eine Augenbraue. Er wusste, dass sein Nachbar die Farbe Rot liebte, aber manchmal übertrieb er wirklich. Abgesehen von den langen, roten Haaren und der roten Brille trug er eine rote, enge Hose, eine rote Bluse mit Rüschen, Sebastian war sich sicher, dass das eine Damenbluse war, und rote Sandaletten mit hohem Absatz. Alles natürlich in verschiedenen Rottönen. „Findest du das nicht etwas viel? Weiß dein Date, dass du ein Mann bist oder rechnet er mit einer Frau? Wo geht ihr überhaupt hin?“ Grell zog verärgert seine Augenbrauen zusammen. „Was heißt denn hier ‚zu viel‘? Und ja, er weiß, dass ich ein Mann bin! Wir gehen ins Aquarium~“, bei dem letzten Satz faltete er seine Hände und bekam glänzende Augen. „Dann zieh eine schwarze Hose an, ein normales T-Shirt und vor allem flache Schuhe! Du bist viel zu overdressed für so ein Date.“

Sebastian rechnete schon damit, dass der andere gleich eine Diskussion vom Zaun brechen würde, doch stattdessen bekam er plötzlich einen feuchten Kuss auf die Wange und mit den Worten: „Wird gemacht! Du bist ein Schatz, Sebastian~!“ Stöckelte Grell davon. Kopfschüttelnd schaute er seinem Nachbarn noch einen Moment hinterher, dann schloss er die Wohnungstür wieder. Ciel schaute ihn mit großen Augen an, als wäre gerade eine Naturkatastrophe an ihnen vorbeigezogen. Lächelnd wuschelte Sebastian durch die aschblauen Haare und ging in die Küche. „Lass uns jetzt erst mal frühstücken.“
 

William war nie jemand gewesen, der Kinder mochte oder gar eigene wollte. Er konnte mit diesen kleinen, unselbstständigen Menschen einfach nichts anfangen. Wieso gerade er dann Kinderpsychologe war? Diese Frage stellte er sich oft selbst. Auf seine Mitmenschen wirkte er oft kühl und distanziert, doch Kinder konnten hinter diese Fassade schauen. Kinder und Tiere mochten ihn, egal wie böse er sie anschaute.

Er hatte nie etwas mit Kindern zu tun haben wollen, geschweige denn in seiner täglichen Arbeit. Und doch war es nun so. Während seinem Studium hatte er verschiedene Praktika gemacht und war einmal in einer Kinderklinik. Hatte er bisher immer nur mit Erwachsenen zu tun gehabt, die wegen jeder Kleinigkeit einen riesigen Aufriss machten und sich von der nächstbesten Brücke stürzen wollten, wenn sie gerade verlassen worden waren oder es im Job nicht so gut lief, sah er sich nun Kindern gegenüber, die schwerkrank waren. Einige hatten keine Haare mehr, bekamen Chemo oder warteten auf ein Spenderorgan. Doch keiner dieser kleinen Menschen jammerte oder beschwerte sich über die Situation. Sie alle kämpften, egal wie aussichtslos es war und taten ihr Bestes, um jeden Tag zu genießen.

Diese Erfahrung hatte ihn schwer beeindruckt und unterbewusst so sehr beeinflusst, dass er nach erfolgreichem Abschluss Kinderpsychologe wurde. Anfangs hatten seine Familie, seine Freunde und Bekannte ihn ausgelacht, gesagt dass es nie etwas werden würde. Wer würde schon sein Kind zu jemandem wie ihm bringen? Doch William war überzeugt, dass das sein Weg war und eröffnete eine eigene Praxis. Zugegeben, anfangs hatte er Startschwierigkeiten, doch kaum kamen die ersten kleinen Patienten, verbreitete es sich wie ein Lauffeuer. Sein prall gefüllter Terminkalender sprach für sich.
 

Da es ihm in erster Linie nicht um das Geld ging, behandelte er auch Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten konnten, oder die gar keine mehr hatten. Einmal die Woche stattete er einem Waisenhaus einen Besuch ab und sprach mit jedem der Kinder. Viele von ihnen hatten schon in jungen Jahren viel durchgemacht.

Doch die Mehrheit seiner Patienten bestand aus Kindern, denen nichts fehlte, die aber einfach nicht so waren, wie ihre Eltern sie gerne hätten. Oft kamen sehr extrovertierte Mütter zu ihm und behaupteten, ihr Kind sei nicht normal. Es sei zu still, hätte kaum Freunde, würde die meiste Zeit allein spielen und kaum mit ihr reden. Wenn er ihnen dann versuchte zu erklären, dass alles in Ordnung war und das Kind einfach nur introvertiert und sein Verhalten ganz normal, stieß er auf taube Ohren. Ihm konnte es recht sein, verdiente er damit schließlich viel Geld, doch die Kinder waren die Leidtragenden. Meistens verbrachte er diese Sitzungen damit, den Patienten spielen zu lassen oder sie unterhielten sich.

Andere Mütter, alles reiche Hausfrauen, waren mit ihrem sehr energiegeladenen Kind überfordert. Diese Kinder wollten Aufmerksamkeit und Beschäftigung, doch den Frauen war ihr Friseur, die wöchentliche Shoppingtour und der Personal Trainer einfach wichtiger. Oft riet er ihnen, mit dem Kind einfach auf einen Spielplatz zu gehen, da konnte es sich austoben und wäre am Abend müde. Die wenigen, die seine Ratschläge umsetzten, stellten dafür ein Kindermädchen ein. Die meisten wollten lieber Medikamente, um die Kinder ruhig zu stellen. Klar war das einfacher, aber bestimmt nicht der richtige Weg. Daher verschrieb er auch keine Medikamente, oder so schwache, dass sie quasi keine Wirkung hatten. Dann waren die Mütter zufrieden und die Kinder bekamen nicht von ihrem Hausarzt, der nur laufende Banknoten in ihnen sah, die wirklich starken Sachen, die sie beinahe apathisch ruhig machten.

Der kleinste Teil seiner Patienten waren Teenager mitten in der Pubertät. Sie hatten auch oft nur wenig Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen, und wenn dann meistens in Form von Regeln und nun lehnten sie sich dagegen auf und rebellierten. Oft konnte er darüber nur den Kopf schütteln. Er übte diesen Beruf nicht erst seit ein paar Tagen aus und die jahrelange Erfahrung hatte bestimmte Muster herauskristallisiert.
 

Und nun stand er in der Londoner Innenstadt und schaute ungeduldig auf seine Uhr. Zwei Minuten vor der verabredeten Zeit. Sein Date hatte also noch die Möglichkeit pünktlich zu erscheinen. William trug eine dunkelblaue Jeans, ein hellgrünes T-Shirt und schwarze Sneaker. Genervt schob er sich mit seiner typischen Geste die Brille, die nicht verrutscht war, zurecht. Wieder fragte er sich, wie er in diese Situation gekommen war. Aber eigentlich war die Antwort ziemlich simpel. Sein sogenannter bester Freund Ronald Knox hatte ihn, den Dauersingle, bei einer Partnerbörse angemeldet und sobald er jemanden gefunden hatte, den er als passend ansah, diese Person angeschrieben. In Williams Namen, versteht sich.

Er war nicht erfreut gewesen darüber, um es nett auszudrücken, doch da er ein viel zu netter Mensch war, hatte er der Person geantwortet. Eigentlich hatte er dem anderen erklären wollen, dass das Ganze nur Zeitverschwendung sei und er sich nicht einmal selbst dort angemeldet hatte, doch sein Chatpartner hatte ihn gar nicht dazu kommen lassen. Er hatte ihn direkt in ein Gespräch verwickelt und so kam es, dass sie jeden Abend für ein bis zwei Stunden chatteten. Mit der Zeit hatte William festgestellt, dass er sich darauf freute, mit dem anderen zu schreiben, ohne zu wissen, wie dieser überhaupt aussah. Doch das war ihm nicht wichtig gewesen.

Es verging kaum ein Tag, an dem sie sich keine Nachrichten schrieben. Nach ein paar Wochen kam dann die entscheidende Frage nach einem Treffen. William hatte erschrocken den Laptop zugeklappt und zur Seite gestellt. Wann hatte er sein letztes Date gehabt? Das musste schon ewig her sein.

Zur Beruhigung hatte er sich erst mal ein gut gefülltes Glas Rotwein genehmigt. Dann hatte er seinen Laptop wieder aufgeklappt und gesehen, dass sein Chatpartner seine Reaktion als Ablehnung gedeutet hatte. Ohne weiter nachzudenken hatte er schnell eine Antwort getippt und so getan, als hätte er es gerade gelesen und sagte freudig zu.

Da er wissen wollte, mit wem er das Vergnügen haben würde, hatte er um ein Bild gebeten. Dank Ronald wusste der andere schließlich, wie er selbst aussah. Nach langem Zögern bekam er dann auch ein Bild und verschluckte sich prompt an seinem Rotwein. Das erste, was ihm aufgefallen war, waren lange, rote Haare. Dann grüngelbe Augen, die seinen sehr ähnlich waren und ein bezauberndes Lächeln. Zugegeben, er war nicht hin und weg, aber auch nicht gänzlich abgeneigt, vor allem wenn er an ihre vielen Gespräche zurück dachte. Schnell hatten sie einen Termin festgelegt und nun stand William wie bestellt und nicht abgeholt in der Fußgängerzone und warf zum x-ten Mal einen Blick auf seine Armbanduhr.
 

Plötzlich legte sich ein Schatten teilweise über ihn und er sah genervt auf. „William?“, fragte eine ihm unbekannte Stimme und neben viel rot fielen ihm lange, spitze Zähne auf, die von blassen, schmalen Lippen umrandet waren. Er hob eine Augenbraue und sein Blick wanderte nach oben, bis er auf grüngelbe Augen traf. Das … war nicht wahr, oder? Das sollte sein Date sein? Vor ihm stand ein Mann mit wirklich sehr langen, roten Haaren und einer roten Brille. Dazu trug er ein rotes T-Shirt, schwarze Shorts und rote Chucks. Natürlich waren das alles verschiedene Rottöne, die auf seltsame Art und Weise doch miteinander harmonierten.

Da sein Gegenüber immer noch auf eine Antwort wartete, nickte er leicht und bekam prompt eine Hand entgegengestreckt und das Grinsen wurde noch breiter. „Freut mich, dich endlich kenne zu lernen. Ich bin Grell~!“



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