Zum Inhalt der Seite

Das Bluterbe der Youkaifürsten

Fortsetzung zu "Die Blutfehde der Youkaifürsten"
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hunger!

Mit leichtem Gepäck auf dem Rücken läuft Chitsurao im lockeren Sprint durch den morgendlichen Laubwald. Das Portal, das ihn bis an die Grenze zum Ostreich brachte, hat er bereits gestern Abend durchquert. Zwar war ihm ein wenig unbehaglich zumute die Grenze bei Dunkelheit zu überqueren, doch sein Anliegen duldet keinen Aufschub.

Um seinen Oberarm trägt er gut sichtbar das Emblem, das ihn als offiziellen Boten und Parlamentär auszeichnet, doch ganz sicher sein, kann man im Osten trotzdem nicht, dass er dadurch unbehelligt seinem Auftrag nachgehen kann.

Zunächst war er noch deutlich wachsam und vorsichtig gewesen. Fast jeden Augenblick rechnete er damit, dass irgendein Grenzposten ihm den Weg versperren und ihn nach seinem Begehr fragen würde, doch bisher hat es kein Aufeinandertreffen mit den Ostyoukai gegeben. Die ganze Gegend wirkt wie ausgestorben. Nicht mal eine einschlägige Witterung ist wahrzunehmen. Das verwundert Chitsurao ein wenig. Für gewöhnlich nehmen die Ostyoukai es mit ihren Grenzpatrouilllien sehr genau.

Andererseits sind sie auch Meister der Tarnung und es ist nicht auszuschließen, dass er gerade in diesem Moment beobachtet wird, ohne das Geringste davon mitzubekommen. Sorgsam ist er darauf bedacht sein Kurieremblem deutlich sichtbar zu präsentieren. Vielleicht lassen sie ihn ja deshalb in Ruhe. Aber müssten sie nicht zumindest in Erfahrung bringen welche Absicht ihn in ihr Revier führt? Er zumindest würde so handeln. Aber im Osten ist vieles anders. Besonders unter der Führung des neuen Fürsten dort. In wieweit sich das auf die logistischen Vorgänge und die Sicherheitsvorsorge auswirkt, kann er schwer abschätzen. Zumindest ist er erleichtert, dass ihm keine weiteren Steine in den Weg gelegt werden. Wenn er sich nicht völlig verschätzt hat, müsste er sich auf direktem Weg zum Palast des Ostens befinden. Bei diesem Tempo erreicht er ihn voraussichtlich um die Mittagszeit. Mit gleichmäßigen Schritten läuft er über den grünen Moosboden und überspringt kleine Bäche und umgestürzte Baumstämme.

Plötzlich und völlig unvermutet, läuft ihm ein eisiger Schauer über den Rücken und rieselt bis in seine Fingerspitzen. Chitsurao keucht unbehaglich auf und bleibt stehen. Das seltsame Gefühl will sich einfach nicht abschütteln lassen.

In höchster Alarmbereitschaft blickt er sich um. Hat man ihn letztlich doch aufgespürt? Aber in seiner näheren Umgebung ist weder etwas Ungewöhnliches zu sehen noch zu hören. Und trotzdem merkt er, dass sich jedes einzelne Haar in seinem Nacken aufgestellt hat und er spürt einen unangenehmen Druck auf der Brust als wollte etwas ihm den Atem nehmen.

Wachsam beäugt er seine Umgebung, doch noch immer ist keine Bedrohung auszumachen. Langsam bewegt er sich vorwärts. Was wohl die Ursache dieser sonderbaren Empfindung ist? Er scheint sich nicht in Gefahr zu befinden und dennoch spürt er wie dieses seltsame Gefühl etwas ganz tief in ihm anrührt.

Für einen Moment ist er hin und hergerissen. Soll er der Ursache dieses Phänomens auf den Grund gehen oder unbeirrt weiter seinem Auftrag folgen? Die Antwort fällt ihm in der Tat nicht leicht. Irgendetwas scheint ihn anzuziehen, ihn leise zu rufen und nur zu gern möchte er diesem Ruf folgen. Doch schließlich ruft er sich selbst zur Ordnung. Er lenkt seine Schritte wieder zurück auf seinen ursprünglichen Pfad und unbeirrbar setzt er seinen Weg fort.

Oder zumindest war das die Absicht, denn nur wenige Momente später hält er erneut wie erstarrt inne. Sein Kopf fährt herum, seine Nasenflügel blähen sich und seine Augen werden weit. Unmöglich! Das kann doch nicht sein, nicht hier!

Sofort macht er kehrt und schlägt die Richtung ein aus der ihm die unerwartete Witterung entgegenweht. Er muss sich Gewissheit verschaffen, alles andere ist im Moment zweitrangig. Hastig rennt er durch das Unterholz des Waldes, beharrlich der neuen Spur folgend.
 

Trotz allem muss er noch eine ganze Weile laufen, bis er die Stelle erreicht an der er sein Ziel vermutet. Das eigenartige Gefühl hat zwar aufgehört, aber die Witterung ist geblieben. Mit klopfendem Herzen nähert er sich einer Lichtung und mit höchster Anspannung späht er hinaus auf die idyllische, kleine Wiese auf der er gerade zwei Personen ausmachen kann. Ein schlanker, jedoch gänzlich unbekleideter Mann und direkt neben ihm... Chitsurao entfährt ein überraschtes Schnaufen. Es ist sein Fürst! Kein Zweifel besteht daran, es ist Sesshomaru, der Herr des Westens. Doch in was für einem Zustand befindet er sich? Und warum ist er gerade hier? Sollte er, laut Inu Yasha-sama, nicht in der Unterwelt sein?

Das ist alles sehr verwirrend. Er hat zwar nicht mitbekommen was diese beiden dort miteinander bereden, doch gerade sieht er wie Sesshomaru in sich zusammensackt. Das reißt ihn aus seiner Tatenlosigkeit. Rasch verlässt er das Gehölz und eilt seinem Fürsten zur Seite.

„Sesshomaru-sama!“, ruft er besorgt. „Geht es Euch nicht gut?“

Überrascht wenden sich sowohl Sesshomaru als auch der fremde, junge Mann zu ihm um. Für einen Moment liegt tatsächlich Verwirrung auf Sesshomarus Gesicht. Noch immer kniet er erschöpft vor den beiden auf dem Boden und versucht sich einen Moment zu sammeln. „Chitsurao... du hast uns gefunden...“, raunt er benommen.

Doch der Hauptmann geht nicht weiter darauf ein. „Sesshomaru-sama“, sein Blick schweift besorgt über den zerschundenen Körper seines Herrn, „benötigt Ihr Beistand?“ Dabei schweift sein Blick immer wieder kurz zu dem jungen Mann neben ihm in dessen Miene er die gleiche Sorge erkennt. Wer mag er sein? Ist es möglich, dass...?

Ein Keuchen lässt seinen Blick wieder zu Sesshomaru schwenken. Der Fürst hockt mit gesenktem Haupt auf dem Boden und atmet langsam und kontrolliert ein und aus. Seine Arme, die er neben sich abgestützt hat, zittern leicht.

„Mein Fürst?“, wagt Chitsurao noch einmal zu fragen.

Nun kommt doch wieder Bewegung in Sesshomaru. Mit viel Mühe, wie es scheint, beginnt er sich wieder aufzurichten und zwingt sich selbst wieder auf seine Füße. Unter großer Kraftanstrengung stemmt er sich hoch und mit leichtem Schwanken steht er nun wieder mit dem Hauptmann seines Heeres auf Augenhöhe.

Ungewollt ist Chitsurao erschrocken. Das ihm so vertraute Gesicht ist stark eingefallen, blutverschmiert und unter den blassgelben Augen liegen tiefe dunkle Ringe. Sesshomaru räuspert sich einmal mühsam, dann sagt er schwach: „Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Ich muss nur... ich muss nur einen Moment...“ Wieder schwankt der hochgewachsene Daiyoukai bedrohlich, wird aber reflexartig von Chitsurao abgefangen.

„Gönnt Euch einen Moment Ruhe, mein Fürst“, sagt er umsichtig. „Sicher seid Ihr bald wieder bei Kräften.

Schwer lehnt Sesshomaru gegen seinen Arm. Doch dann ballt sich seine Hand nachdrücklich zur Faust und ein tiefer Atemzug entfährt ihm. Als er nun spricht hat seine Stimme einen bedrohlichen Klang. „Es ist nicht Ruhe was ich jetzt brauche.“ Dann plötzlich wie einem unwiderstehlichen Impuls folgend, richtet sich der Daiyoukai wieder auf und hebt den Kopf. Seine Augen funkeln gefährlich rot und scharfe Reißzähne lugen unter seinen Lippen hervor. Fast wie in einer Art Trance wendet er den Kopf und nimmt mehrere tiefe Atemzüge. Dann plötzlich legt sich ein triumphierendes Lächeln um seine Lippen und er fletscht die Zähne. Ohne die beiden anderen Männer weiter zu beachten, macht er auf dem Absatz kehrt und setzt sich mit beängstigender Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit in Bewegung. Nur wenige Momente später ist er zwischen den Bäumen verschwunden und lässt zwei überrumpelte Youkai zurück.

Chitsurao kann sich als erstes aus der Starre lösen. Sein Verstand arbeitet emsig um die Lage zu erfassen. Wenn man dem Glauben kann was Inu Yasha-sama sagte, dann ist sein Herr wohl tatsächlich in der Hölle gewesen um seinen Sohn zurückzuholen und erfolgreich wieder zurückgekehrt. Doch wie es aussieht hat das bei ihm Spuren hinterlassen. Er mag sich gar nicht ausmalen was der Fürst dabei durchmachen musste.

Sein Blick geht zu dem nackten Mann neben ihm. Kritisch mustert er ihn. „Du bist...“, er korrigiert sich rasch, „Ihr seid Tenmaru-sama nicht wahr? Der... Sohn von Fürst Sesshomaru?“ Und damit im Rang über ihm. Vielleicht erhält er ja dennoch einige Informationen über die Sachlage. „Was ist mit ihm geschehen?“

Noch immer ebenfalls verdattert hat Tenmaru seinem Vater nachgeblickt. Erst die Frage seines Nebenmannes reißt ihn wieder aus den Gedanken. Und sie trägt keineswegs dazu bei seine Verunsicherung zu schmälern. Wer auch immer dieser Youkai ist, er scheint ein Untergebener seines Vaters zu sein.

Seines Vaters! Es fällt ihm noch immer schwer diese Worte zu denken, ohne dass seine Finger wieder anfangen zu zittern. Und es ist nicht hilfreich, dass der Andere nun in die höfliche Anrede wechselt. Diese Position ist so neu für ihn, dass er sie noch kein Bisschen als sich zugehörig ansieht. „Ich... weiß es nicht“, beantwortet er wahrheitsgemäß die letzte Frage. Und ehrlich gesagt möchte er auch keine Vermutungen darüber äußern. Wenn er auf Nummer sicher gehen will, tut er gut daran sich an Sesshomarus eigene Worte zu halten. „Er... er sagte, er hätte Hunger.“

„Hunger?“, Chitsurao zieht die Stirn kraus. Wieder arbeitet sein Gehirn fieberhaft daran die Situation zu bewerten. Youkai des Westens lassen niemals ihre Bedürfnisse und Gefühle ihr Handeln bestimmen, nicht bevor sie wirklich in einer Notlage sind. Gemessen an seiner optischen Verfassung ist es durchaus plausibel, dass Sesshomaru eine kritische Menge an Schaden oder Erschöpfung erreicht haben mag. Es ist verständlich, dass er sich in dieser Situation stärken möchte.

Was ihn jedoch etwas beunruhigt, ist die Tatsache, dass der Fürst seinem Bedürfnis offenbar ganz ungezügelt nachzugeben bereit ist. Die Angelegenheit könnte im Grunde als kurzzeitiger Ausnahmezustand abgetan werden. Allerdings befinden sie sich hier auf östlichen Grund und Boden und keiner kann sagen was der Ostclan davon hält wenn der Fürst des Westens unerlaubt und ungehemmt in ihrem Revier jagt.

Chitsuraos Miene wird ernst. „Es ist vielleicht besser wenn wir ihm folgen würden“, auch hier korrigiert er sich rasch, „so Ihr dem zustimmt, Tenmaru-sama.“

Ein unbehagliches Gefühl macht sich in Tenmarus Magengrube breit. „Bitte“, entgegnet er etwas ratlos, „verschieben wir doch die Höflichkeiten auf einen späteren Zeitpunkt. Glaubt Ihr Sesshomaru-sama könnte sich in Gefahr bringen?“

Der Hauptmann mustert Tenmaru abschätzend. Sein Gespür sagt ihm, dass dem jungen Mann die höfliche Anrede ebenso ungewohnt ist wie ihm. Sesshomaru hat kaum je ein Wort über die Angelegenheit damals verloren, doch was ein offenes Geheimnis blieb, war die Tatsache, dass die damaligen Vorkommnisse sehr emotional belastend gewesen sein mussten, vermutlich für alle Beteiligten. Vielleicht ist es besser sich später damit näher zu befassen. Im Augenblick gibt es Wichtigeres. Er sinnt noch einen Moment nach, dann trifft er eine Entscheidung.

Mit knappen Bewegungen löst Chitsurao seinen Haori und streift ihn ab. Nachdrücklich reicht er ihn dem unbekleideten Youkai neben ihm. „Im Augenblick ist es nicht seine Sicherheit um die ich fürchte“, gibt er Antwort. „Eher um die jeden Lebewesens das ihm jetzt womöglich unterkommen mag. Wollen wir hoffen, dass es niemand ist der in der Gunst des Ostclans steht.“

Für einen Moment blickt Tenmaru überrascht drein, doch rasch glätten sich seine Züge wieder. „Ah, mir war doch so, dass mir die Gegend bekannt vorkam“, nickt er leicht, während er dankbar den Haori überstreift. “Wir befinden uns eine halbe Tagesreise vom Palast des Ostens entfernt, nicht wahr?“

„So ist es“, bestätigt Chitsurao. „Man schickte mich mit einer Botschaft zum Ostfürsten. Auf dem Weg dorthin begegnete ich euch. Doch jetzt im Moment, denke ich, ist es wichtiger, dass wir Sesshomaru-sama vor einer unnötigen diplomatischen Komplikation bewahren. Ich nehme an, er weiß nicht, dass er sich im Revier des Ostclans befindet. Womöglich könnte ihn das in eine kompromittierende Lage bringen. Ich werde versuchen ihn davor zu bewahren.“ Abwartend blickt er Tenmaru an.“

Noch immer etwas überrumpelt von der ganzen Situation braucht Tenmaru einen Moment um zu begreifen, dass sein Einverständnis erwartet wird. Etwas unglücklich nickt er leicht. Dann hebt er den Kopf und zieht bedächtig die Luft ein. „Ich glaube ich weiß wo er hin will“, meint er sinnend. „Ein Stück entfernt ist eine Wildschweinrotte. Die wird ihm gelegen kommen.“

Ohne weitere Worte setzt sich Chitsurao in Bewegung und Tenmaru folgt ihm direkt auf dem Fuß. Der Hauptmann des Westens kann es sich nicht verkneifen immer wieder zu Tenmaru hinüber zu spähen während sie laufen. Er hat so viele Fragen. Aber bis er Gelegenheit erhält sie beantwortet zu bekommen, wird wohl noch eine ganze Weile vergehen.

Das ist also das sogenannte 'Kind' aus der Prophezeiung. Der Sohn für den Sesshomaru angeblich so viel empfindet, dass er für ihn bis hinab in die Hölle gestiegen ist. Wie hat das alles nur geschehen können? Diese Frage brennt ihm wahrlich unter den Nägeln. Und höchstwahrscheinlich nicht nur ihm. Wenn sie zurück zum Westpalast kommen, wird der Rat viele Fragen haben.

Der Rat! Chitsurao seufzt innerlich. Warum? Warum musste der Hanyou ausgerechnet Sie als neues Ratsmitglied ernennen? Das wird doch niemals funktionieren. Die anderen Edelmänner mokieren sich doch bereits jetzt schon hinter der Hand darüber, dass er Mitglied des Rates ist. Schwafeln was von 'Befangenheit'. Und jetzt auch noch das! Ganz bestimmt werden sie nicht begeistert davon sein, dass Sesshomarus Chioya mit im Rat sitzt. Mit Sicherheit gehen sie unruhigen Zeiten entgegen.

Andererseits ist Kagemori auch selbst schuld daran. Dieses Mal ist er mit seinen kleinen Ränkespielchen zu weit gegangen und er hat den Hanyou unterschätzt. Wie er wohl reagieren wird wenn er Tenmaru gegenüber steht? Bisher ist der junge Mann neben ihm schwer einzuschätzen. Wie ist er so? Was hat er für Ansichten oder Einstellungen. Wie stark ist er? Was für Fähigkeiten hat er? Immerhin lässt sich sagen, dass sein Geruchssinn viel feiner ist als sein eigener. Die Wildschweinrotte hätte er aus dieser Entfernung sicher nicht so leicht ausgemacht. Aber wird das genügen um diese jahrtausendealte Fehde zwischen den Clans zu schlichten? Wie sollte das möglich sein? Was hat dieser junge Mann, was sonst niemand hat?

Ein Geräusch neben sich reißt ihn aus seinen Gedanken.

„Nein, nein, nein...“, murmelt Tenmaru beunruhigt vor sich hin und seine Stirn legt sich in Falten.

„Was ist?“, fragt Chitsurao. Irgendetwas hat den jungen Daiyoukai aufgewühlt, doch er kann nicht erkennen was.

„Die Spuren trennen sich“, in Tenmarus Stimme liegt Sorge. „Er folgt nicht dem Wildschweinrudel. Er läuft in diese Richtung.“ Sein Finger weist von ihrer Fährte fort.

„Wohin will er dann?“, fragt Chitsurao verwundert. „Was ist dort?“

Tenmarus Miene wird ernst. „Ein Menschendorf.“

Es dauert ein wenig bis Chitsurao die Tragweite der neuen Information erfasst hat. Auch seine Stirn kräuselt sich nun. „Ah... Das ist ungünstig. Normalerweise tut er so etwas nicht, aber im Moment, in seiner jetzigen Verfassung...“

Tenmarus Gesicht ist angespannt. „Wir können ihn das nicht machen lassen.“

„Warum nicht?“, fragt Chitsurao. „Es ist unüblich, aber nicht völlig abwegig. Und vermutlich geht es schneller. Wir sollten nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken.“

Hart ballt Tenmaru die Hand zur Faust. „Ich sagte doch, das geht nicht!“, wiederholt er fest. „Der Hunger macht ihn blind. Er würde nicht wollen, dass er in diesem Zustand etwas täte was er mit klaren Sinnen niemals tun würde. Schon gar nicht das. Es würde ihn entehren.“

Ein wenig nachdenklich blickt Chitsurao drein. Womöglich hat der junge Mann recht. Sesshomaru war immer darum bemüht gewesen, eher über die Menschen zu wachen als ihnen zu schaden, einzelne Personen natürlich ausgenommen. Ein Tick den er von seinem Vater übernommen hat. Dieser gipfelte wohl darin, dass er das Mädchen Rin adoptierte und die menschlichen Gefährten seines Bruders nach Belieben in seiner Gegenwart schalten und walten lässt. Es ist gut möglich, dass er wenig Gefallen dran fände wenn ihm später aufginge, dass er in seiner doch verständlichen Gier ein ganzes Dorf abgeschlachtet hat. Vermutlich tun sie gut daran ihn davon abzuhalten. Die Frage bleibt jedoch...

„Selbst wenn dem so ist“, gibt Chitsurao zu bedenken, „wie sollen wir ihn aufhalten? Ich denke nicht, dass er im Moment Argumenten gegenüber aufgeschlossen ist.“

Tenmarus Miene wird hart. „Ich beabsichtige auch nicht mit ihm zu diskutieren.“ Und mit diesen Worten beschleunigt er seinen Schritt und es dauert nur wenige Momente bis er Chitsurao hinter sich gelassen hat und aus seinem Blick verschwunden ist.

Ungläubig wie beunruhigt blickt der Hauptmann ihm nach. Das ist Wahnsinn!, denkt er bei sich. Er weiß wie stur Sesshomaru sein kann. Wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, ist er nicht mehr davon abzubringen. Dass sein Sohn hier ist, ist wohl der beste Beweis dafür.

Sein Sohn! Wie schnell man das doch wieder vergessen kann. Einen netten Antritt hat der Bursche immerhin. Vielleicht überlebt er es ja.

Eilig macht sich Chitsurao daran den beiden zu folgen.
 

Ein Stück entfernt zwischen den Ästen einiger Bäume beobachten zwei tiefviolette Augen still das Geschehen. Die Personen, denen ihre Aufmerksamkeit gilt, sind nicht länger auszumachen. Trotzdem ist das Interesse der dazugehörigen Person geweckt. Der schmal gebaute Youkai des Ostens ist überrascht darüber was er hier zu sehen bekommt. Er zögert einen Moment, doch dann schließt er ein wenig widerwillig die Augen.

„Yaomonzurushi-sama!“, murmelt er leise. Es dauert einige Herzschläge, doch dann erklingt die vertraute tiefe Stimme im Inneren seines Kopfes.

Heizu. Ich bin überrascht von dir zu hören. Was gibt es zu berichten?

„Drei Inuyoukai des Westens sind gerade an meinem Kontrollpunkt vorbeigekommen. Etwas nördlich der Hauptstraße in der Nähe der Siedlung am Fluss. Sind hier ziemlich hurtig durchgesaust.“

Zunächst herrscht Stille, dann ist die Stimme wieder zu hören. „Das war zu erwarten. Irgendwann mussten sie sich melden. Da wir die Grenzposten vorerst abgezogen haben, war er vorherzusehen, dass sie unbemerkt die Grenze überqueren. Was kannst du über sie sagen?“

„Einer von ihnen trägt ein Botenemblem. Es scheint ein Abgesandter zu sein. Aber er befindet sich nicht auf direktem Weg zum Palast. Er folgt einem der anderen und... mein Fürst, vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube der Youkai dem er zusammen mit dem anderen folgt, könnte Sesshomaru sein.“

Ah ja?“, die Stimme hinter der Stirn klingt nun bitter. „So schlimm ist es also schon? Wenn der Fürst des Westens zu uns kommt, müssen wir auf alles gefasst sein. Folge ihnen, behalte sie im Auge und wenn du herausbekommen kannst, was sie hergeführt hat, erstatte mir Bericht. Vielleicht müssen wir sie eher als geplant herholen. Wenn sie nicht auf Ärger aus sind, bring sie her, aber bis dahin halte dich besser im Hintergrund.“

„Jawohl, Yaomonzurushi-sama!“

Damit verstummt die Stimme in seinem Kopf und der Ostyoukai setzt sich mit leisen Sohlen auf die Fährte der Eindringlinge.
 

Wieder einmal sprintet Tenmaru durch den Wald. Er läuft was seine Lungen hergeben und währenddessen gestattet er sich für einen Moment seine Gedanken zu ordnen. Noch immer versteht er nicht so ganz in was für einer Situation er sich befindet. Das alles ist so neu und kommt so plötzlich und überraschend. Aber wie es aussieht war er tot und das für eine längere Zeit.

Daran erinnern kann er sich überhaupt nicht mehr, aber offenbar ist in der Zwischenzeit einiges geschehen. Noch immer entsinnt er sich mit einem gewissen Schamgefühl an den Moment zurück, als er es zum ersten Mal wagte seinen Vater als solchen anzusprechen. Er hatte angenommen, dass es nun keine Rolle mehr spielen würde.

Doch das hatte es. Anscheinend hat sein Bekenntnis größeren Eindruck auf den Westfürsten gemacht als er es je angenommen hätte. So sehr, dass er ihn noch nach seinem Tod als Sohn angenommen hat. Ob Tenmaru will oder nicht, ihm rieselt bei diesem Gedanken ein warmer Schauer über den Rücken. Er empfindet dabei so viel Dankbarkeit und Glück, dass er es gar nicht in Worte fassen kann.

Doch gerade jetzt ist keine Zeit dafür, diesen Gefühlen Raum zu geben. Der Fürst des Westens hat sich offenbar bei dem Versuch ihn zurückzuholen so sehr verausgabt, dass er regelrecht kopflos im Begriff ist ein Menschendorf zu überfallen um seinen Hunger zu stillen. Tenmaru ist überzeugt, dass dies unter normalen Umständen gegen Sesshomarus Prinzipien verstoßen würde. Und er erinnert sich nur allzu gut wie sehr er auch damals darum gerungen hat, dass sein Vater nur ja nicht sein Gesicht verlieren möge. Auf keinen Fall darf er es dann jetzt zulassen, ganz besonders nicht, wenn er, einmal mehr, die Ursache dafür ist.

Und einmal mehr sieht er sich jetzt durch den Wald hetzen auf der Spur seines Vaters um ihn von etwas abzuhalten was ihm schaden könnte, mit Gewalt falls nötig. Bilder flackern vor Tenmarus innerem Auge auf. Ein unangenehmer Kloß bildet sich in seiner Kehle. Es ist doch noch gar nicht so lange her, zumindest nach seinem Empfinden. Hat er nicht kürzlich erst seine Identität vor diesem Menschenmädchen offenbart, das Inu Yasha-sama begleitet? Wie war ihr Name noch, Kagome? Und sie hat ihn verstanden. Sie ließ ihn gehen. Fast war es als gäbe sie ihre Segen zu dem was er vorhatte.

Noch einmal sieht er sich rennen, fast wie jetzt auch. Rennen und bangen und hoffen nicht zu spät zu kommen. Er sieht die Lichtung. Und er sieht seinen Vater. Der ist sich der Gefahr nicht bewusst in der er schwebt. Er sieht nur seinen Sohn der auf ihn zurennt und in seinem Gesicht sieht er die Abscheu und die Verachtung als er annimmt, er würde ihn angreifen wollen.

Doch er bemerkt nicht die schwarze Miko die hinter ihm im Gebüsch lauert. Er spürt nicht ihre verderbte Energie. Erst als es schon zu spät ist, dreht er sich um. Und Tenmaru weiß, auch er wird nicht mehr rechtzeitig kommen um diese Frau davon abzuhalten ihre tödliche Attacke auf seinen Vater abzuschießen. Was bleibt ihm also übrig? Das Einzige was er noch tun kann, ist sich dazwischen zu werfen und die Attacke abzufangen.

Unaussprechliche Schmerzen hüllen seinen Körper ein als er getroffen wird und schon im ersten Moment spürt er bis in die letzte Faser, dass es diesmal nichts mehr gibt was ihn retten kann. Er wird vergehen, das weiß er. Schon jetzt beginnt sich sein Körper aufzulösen. Seine Youkaienergie wird geläutert und weicht aus seinem Körper und zurück bleibt nur namenlose Pein.

Dann ist plötzlich Sie da. Sie sitzt neben ihm, sie berührt ihn, und wo sie ihn berührt, da weichen die Schmerzen ein wenig. Und er sieht den Blick seines Vaters über sich. Scheinbar reglos und doch ist für einen Moment lang hinter der Fassade von Gleichmut so etwas wie Schock und Ratlosigkeit zu erkennen. Vielleicht gab das schließlich den Ausschlag diese letzten Momente zu nutzen um wenigstens einmal seine Achtung und Zuneigung ihm gegenüber auszudrücken.

Tenmaru schüttelt den Gedanken ab. Allein daran zu denken schnürt ihm die Kehle zu. Später wird noch genug Zeit sein sich über all diese turbulenten Gefühle klar zu werden. Jetzt muss er sich erst mal einmal mehr seinem Vater entgegenstellen um ihn von einer Dummheit abzuhalten. Wobei schon allein das zu denken einer Anmaßung gleichkommt. Doch ebenso wenig, kann er es mit seinem Gewissen vereinbaren ihn einfach machen zu lassen. Und sei es nur um Kagomes Willen. Er hat die junge Frau nicht lange gekannt, und doch hat er sie in dieser kurzen Zeit schätzen gelernt und er ist sich sicher, auch sie hätte das hier nicht gut geheißen. Genau so wenig wie Inu Yasha-sama. Auch er würde das hier verhindern wollen, davon ist er überzeugt. Und offenbar schuldet er ihm noch etwas.

Er hebt den Kopf. Die Witterung seines Vaters ist direkt voraus und aus der Ferne kann er Schreie hören. Er muss sich beeilen wenn er das Schlimmste verhindern will. Noch einmal beschleunigt er seinen Schritt, bricht aus dem Unterholz hervor und nur einen Wimpernschlag später reißt er gewaltsam den hochgewachsene mit Blessuren und Narben übersäten Daiyoukai zu Boden der gerade im Begriff ist eine Gruppe verschreckter Menschen mit seiner Energiepeitsche in Stücke zu hacken.

Durch den Schwung mitgerissen, rollen die beiden Daiyoukai unsanft über die holprige Wiese vor den Dorfpalisaden und rutschen dann in eine modderige Senke. Die verängstigten Dorfbewohner nutzen die Gunst der Stunde um hastig hinein ins Dorf zu fliehen.

Zunächst liegt eine trügerische Ruhe auf der Wiese vor dem hohen Zaun, doch dann ist eine Bewegung am Rand des Bewässerungskanals auszumachen. Sesshomaru kämpft sich grimmig durch den Matsch wieder nach oben. Er ist überall mit Schlick bedeckt, das hindert ihn jedoch nicht daran, unbeirrt seinem Verlangen zu folgen. Doch gerade jetzt packt ihn jemand bei den Knöcheln und reißt ihn rigoros wieder hinunter.

Wütend fährt Sesshomaru herum und schlägt mit der Klaue nach seinem Angreifer. Tenmaru weicht reflexartig gerade noch rechtzeitig dem Schlag aus. Wieder dreht sich Sesshomaru um und will den mannshohen Hang erklimmen, doch wieder wird er zu Fall gebracht.

„Lass mich los!“, faucht Sesshomaru erzürnt und tritt hinter sich; Tenmaru direkt vor die Brust. Der junge Daiyoukai keucht schmerzhaft auf und wird dadurch an die andere Wand des Grabens geschleudert. Doch das bremst seine Entschlossenheit nicht. Sofort ist er wieder bei ihm und reißt ihn erneut zu Boden. Erbarmungslos versucht er nun den Westfürsten niederzudrücken. Dieser liegt mit der Brust im Schlamm des Grabens und bemüht sich sogleich sich mit gefletschten Zähnen wieder hochzustemmen.

„Sesshomaru-sama!“, beschwört Tenmaru ihn eindringlich. „Bitte seht ab von Eurem Vorhaben! Ihr wollt doch diese Leute nicht wirklich töten!“

Ein unterdrückter Wutschrei entfährt Sesshomaru: „Erzähl du mir nicht was ich will!“, presst er hervor. Mit einem Ruck stößt er Tenmaru von sich und hastet die letzten Schritte den Hang hinauf. Inzwischen ist er von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt, doch seine Gier ist ungebrochen. Sogleich wendet er sich wieder dem Dorf zu und beschleunigt seinen Schritt. Doch einmal mehr wird er zu Fall gebracht. Der ebenfalls völlig verdreckte Ex-Streuner reißt ihn zu Boden und versucht wieder ihn dort festzuhalten.

„Bitte überdenkt das, Sesshomaru-sama!“, versucht es Tenmaru erneut, während er bemüht ist Sesshomarus Arm auf den Rücken zu drehen. Doch der Westfürst rollt sich seitwärts herum und begräbt Tenmaru unter sich. Ihm ist wahrlich nicht nach Spaßen zumute. Ein schmerzhafter Schlag mit dem Ellenbogen, der ihm zwei Rippen bricht, zwingt Tenmaru dazu ihn unter Keuchen freizugeben. Doch noch immer gibt der junge Daiyoukai sich nicht geschlagen. Sofort ist er wieder auf den Füßen und dieses Mal sprintet er blitzschnell an Sesshomaru vorbei und versperrt ihm kategorisch den Weg. Mit grimmigen Blicken belauern sich die beiden.

„Geh aus dem Weg!“, knurrt Sesshomaru mühsam beherrscht. Sein ganzer Körper bebt vor Anspannung, seine Reißzähne treten hervor und in seinen Augen liegt etwas manisches.

„Nein!“, stellt Tenmaru verbissen klar. „Wir finden eine andere Nahrungsquelle für Euch. Vergießt nicht das Blut dieser Leute! Unter normalen Umständen würdet Ihr das ebenfalls nicht gutheißen.“

„Das sind keine normalen Umstände!“, quetscht Sesshomaru mühsam hervor. Es sieht aus als ob er Schmerzen hätte. Er keucht schwer und seine Glieder zittern beängstigend.

Tenmaru gibt es einen schmerzenden Stich ins Herz. Sein Vater sieht so schrecklich erschöpft aus, so völlig zerrüttet und verletzt. Er kann nur erahnen wie sehr ihn gerade der Hunger quälen muss. Er erkennt die Gier und das Verlangen nach allem was seinen geschundenen Magen füllt in seinen Augen, und dass er noch nicht seine wahre Gestalt angenommen und einfach alles dem Erdboden gleichgemacht hat, ist ihm hoch anzurechnen. Doch die Unschlüssigkeit ist ihm überdeutlich anzusehen und vermutlich fehlt tatsächlich nicht mehr viel bis dem Daiyoukai wirklich alles egal ist.

Langsam aber entschlossen und mit nach außen gerichteten Handflächen geht Tenmaru nun auf Sesshomaru zu. Der Westfürst tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen und bleckt die nadelspitzen Zähne.

„Sesshomaru-sama?“, versucht Tenmaru es vorsichtig erneut. „Ich verstehe, dass Ihr Schmerzen habt. Ich weiß, Ihr habt Hunger. Doch im Augenblick befinden wir uns auf Grund und Boden des Ostclans. Ihr wollt doch sicher keinen Zwischenfall initiieren.“

Unruhig wie ein Tiger im Käfig bewegt sich Sesshomaru hin und her und augenblicklich ringt er sichtlich schwer mit sich. Tenmaru kommt ihm immer näher. Jetzt trennen die zwei nur noch wenige Schritte. „Denkt daran, wie Ihr damals auch versucht habt einen Zwischenfall zu vermeiden. Was Ihr bereit wart dafür zu opfern!“

Über Sesshomarus Gesicht zieht eine neue Regung. In seiner Miene zeigt sich nun eine solche Verzweiflung, dass es fast schon schmerzt ihn anzusehen. Seine Hände öffnen und schließen sich und das Zittern in seinen Gliedmaßen bekommt nun eine wirklich ungesunde Intensität. Der geschundene Daiyoukai sieht aus als würde er unmittelbar vor dem Kollaps stehen.

Auch Tenmaru muss schwer schlucken bei dem Anblick und einmal mehr fragt er sich was der Fürst des Westens nur erlitten haben muss um nun in solch einer Verfassung zu sein. Jetzt ist er nur noch zwei Schritte entfernt und der Daiyoukai macht den Eindruck entweder jeden Moment zu explodieren oder einfach nur zusammenzubrechen. Seine Miene ist ein Ebenbild des Jammers und der Erschöpfung, doch noch immer bringt er keinen Ton über seine Lippen.

„Ihr seid doch schon so weit gekommen und habt so viel erreicht“, keinen Moment lässt Tenmaru ihn aus den Augen. „Was können da schon ein paar Minuten für einen Unterschied machen? Ich werde Euch helfen Ersatz zu finden. Das verspreche ich Euch!“ Der zitternde Daiyoukai schwankt bedenklich. „Bitte habt ein Einsehen und verschont das Dort!“ Nun steht Tenmaru direkt vor ihm. „Bitte! Sesshomaru-sama?“, er schluckt hart. „Chichi-ue...?“

In diesem Moment entfährt Sesshomaru ein schmerzhaftes Keuchen. Im nächsten Moment kippt er völlig entkräftet nach vorne und stürzt schwer in die Arme seines Sohnes der ihn umsichtig auffängt und behutsam auf den Boden bettet. Tenmaru fühlt sich unheimlich erleichtert, aber er ist auch besorgt. Der Daiyoukai in seinen Armen atmet schwer, sein Herz rast und auf seiner blassen Stirn stehen ihm dicke Schweißtropfen.

Sesshomaru versucht mehrfach sich mit den Armen wieder hochzustemmen, doch es misslingt immer wieder. Jeder vergebliche Versuch ist mit einem heftigen Keuchen begleitet. Schließlich erschlafft er und bleibt flach atmend auf dem Rücken liegen. Er nimmt sich die Zeit um wieder zu Atem zu kommen. Dann geht sein erschöpfter Blick zu seinem Sohn hinüber der ihn nicht aus den Augen gelassen hat.

Er schließt einmal resigniert die Lider dann blickt er wieder auf und sagt schwach: „Da waren... Wildschweine auf dem... Weg hierher...“

Tenmarus Miene hellt sich erleichtert auf. „Ich werde sie Euch beschaffen, Sesshomaru-sama!“ Doch der Daiyoukai legt ihm bestimmt die Hand auf den Arm. „Nein...!“, keucht er. „Bring mich... einfach nur hin!“

Für einen kurzen Moment zögert Tenmaru. Er hat ein wenig Zweifel ob sein Vater wirklich in der Verfassung ist sich selbst darum zu kümmern, doch dann nickt er zustimmend. Beherzt fasst er zu und zieht den kraftlosen Daiyoukai problemlos wieder auf die Füße. Schwer lehnt Sesshomaru an seiner Seite. Er hat das Gefühl, dass seine Knie am liebsten umgehend wieder nachgeben wollen. Doch eisern hält er sich weiter auf den Füßen, was nicht zuletzt dem kräftigen Griff seines Sohnes zu verdanken ist. Tenmaru hat sich seinen Arm um die Schulter gelegt und hält ihn um die Hüfte herum fest.

Sesshomarus kurzer Seitenblick geht zu dem jungen Mann hinüber. Niemandem sonst, höchstens vielleicht noch seinem Bruder, würde er es erlauben ihn in dieser Verfassung so zu halten. An niemanden sonst hätte er diese Bitte gerichtet. Keinem anderen würde er es gestatten auf diese Weise Zeuge seiner Demütigung durch sein Unvermögen zu werden. Aus irgendeinem Grund vertraut er ihm uneingeschränkt. Und trotzdem muss es eine Zeit gegeben haben, als er ihn gehasst und von sich gestoßen hat. Doch so sehr Sesshomaru auch grübelt, ihm fällt einfach kein Grund dafür ein. Immer wenn er sich gedanklich einer möglichen Erklärung nähert, verschwindet alles, als wäre in seinen Gedanken ein blinder Fleck. Und dieser Umstand wurmt ihn.

Schon eine ganze Weile hat er versucht der Sache auf den Grund zu gehen, doch er kommt zu keinem Ergebnis. Da ist einfach gar nichts. Sicher, er erinnert sich durchaus noch an die Ereignisse die zum Tod seines Sohnes geführt haben, doch immer wenn er sich selbst in Gedanken dabei beobachtet wie er ihm seinen Hass und seine Verachtung entgegenschleudert, kann er sich beim besten Willen nicht erklären was ihn dazu veranlasst hat.

Ein Bild flackert flüchtig vor ihm auf. Es ist anzunehmen, dass das Ganze mit dieser Frau zusammenhängt die wohl Tenmarus Mutter ist. Doch auch mit ihr verbindet er nichts. Keine Erinnerungen, keine Gefühle, nichts! Scheinbar ist das die Bezahlung dafür gewesen, dass er seinen Sohn mitnehmen durfte, doch das erscheint ihm belanglos denn bis auf die kurze Begegnung mit ihr, trägt er er keinerlei Erinnerungen an sie. Außer vielleicht...

Eine unwillkürliche Woge der Übelkeit überrollt ihn unerwartet. Er spürt wie sein Sohn ihn gerade halb stützend halb tragend mit flinken Schritten durch den Wald befördert und Sesshomaru ist im Augenblick ganz froh darüber, dass er dazu kaum etwas beitragen muss. Gerade spürt er einen rumorenden Schmerz in seiner Magengrube und einen würgenden Kloß in seinem Hals und er muss regelrecht an sich halten um sich nicht auf der Stelle zu übergeben. Elendig sieht er die Umgebung vorbeihuschen und er ist sich nicht sicher ob er selbst in besserer Kondition gerade in der Lage wäre diesen Weg zu gehen, wenn er doch gerade das Gefühl hat als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen und ein heftiger Schwindel ihn zu überwältigen droht.

Und irgendwie hat er das Gefühl, dass dies gerade nichts mit seiner körperlichen Verfassung zu tun hat. Doch Gewissheit wird er erst haben, wenn er wieder etwas zu Kräften gekommen ist. So kraftlos und zerschunden hat er sich selbst in der Hölle nicht gefühlt und wenn das alles hier irgendwann vorbei ist, wird er sich als erstes ein wenig Ruhe gönnen. Das heißt, wenn sie den Kampf mit Katsuken überstehen.

Nein! Er ruft sich selbst scharf zur Ordnung. Scheitern ist keine Option! Sein persönliches Credo hat ihn bis hierher geführt und er wird auf diesem Weg nicht einen einzigen Schritt zurückweichen. Dafür ist es längst zu spät.

Gerade in diesem Moment taucht neben ihnen zwischen den Bäumen Chitsurao auf und gesellt sich zu ihnen. Sesshomaru bemerkt wie aufmerksam er von seinem Untergebenen gemustert wird und sogleich meldet sich sein Stolz wieder mit schmerzhafter Intensität. Wie er hier so wie ein kraftloses Bündel durch die Gegend geschleift wird, tut seiner Würde nicht gut und gerade vor Ihm mag er sich diese Blöße nicht gerne geben.

Entschlossen löst er sich aus dem Griff seines Sohnes, der es verwundert und ein wenig widerstrebend geschehen lässt. Doch auch wenn der erschöpfte Daiyoukai jetzt strauchelt und taumelt, sein eiserner Wille hält ihn auf seinen Füßen und verbissen konzentriert er sich auf die Wildschweinrotte, dessen Witterung ihm nun wieder in die Nase steigt.

Als würde das seine Lebensgeister anregen, wird sein Schritt nun kräftiger und trittsicherer und ohne, dass er es richtig merkt, beschleunigt er. Der Geruch dieser verlockenden Nahrungsquelle dringt ihm bis tief in die Lunge und seine Augen beginnen sich rot zu färben. Schon schieben sich Reißzähne unter seinen Lippen hervor und jetzt sieht man ihm seine Verletzungen fast schon nicht mehr an.

„Ihr bleibt hier!“, befiehlt er mit einem Grollen in seiner Stimme, dass keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit in diesem Punkt aufkommen lässt. Die beiden anderen zögern nur einen kurzen Moment, dann fallen sie zurück und halten an während der Fürst des Westens nur Augenblicke später mit schnurgeraden, kraftvollen Sätzen im Unterholz verschwindet. Ein wenig unschlüssig blicken die beiden Männer ihm nach, doch kein Wort kommt über ihre Lippen. Im Grunde sind sie beide erleichtert darüber, dass es gelungen ist den Daiyoukai von seinem ursprünglichen Vorhaben abzulenken.

Nur kurz darauf ist aus der Ferne schrilles Quieken und vermehrtes Krachen und Knacken im Unterholz zu hören und die beiden können nur Mutmaßungen anstellen was sich ein Stück entfernt von ihnen abspielt, doch mit großer Wahrscheinlichkeit ist es genau das was sie vermuten.

Tenmaru sieht sich kurz um, dann schlendert er zu einem umgestürzten Baum hinüber und lässt sich darauf nieder. „Ich würde sagen wir warten hier bis er wieder zurückkommt.“ Mit einem kurzen Nicken bestätigt Chitsurao seinen Vorschlag, rührt sich aber nicht vom Fleck. Schließlich geziemt es sich nicht wenn ein Untergebener sich einfach zu einem Höhergestellten setzt. Tenmaru beobachtet den Krieger und da er früher in einer ähnlichen Position war, hat er eine wage Vermutung was ihm gerade durch den Kopf geht. Er seufzt schwer. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern bis sich alle Beteiligten mit der Situation angefreundet haben.
 

Im Verborgenen, ein Stück entfernt zwischen den Bäumen haben sich wieder zwei violette Augen eingefunden und beobachten die Szenerie. Der Ostyoukai namens Heizu hat den Befehl seines Fürsten ernst genommen und sich unbemerkt an die Fersen der Neuankömmlinge geheftet. Nun beobachtet er heimlich wie der Fürst des Westens sich offenbar für eine Mahlzeit abgesetzt hat und die anderen beiden still und friedlich auf seine Rückkehr warten.

Auch wenn die beiden hier im Moment keine Bedrohung darzustellen scheinen, weiß er nicht recht wie er den Alleingang des Fürsten bewerten soll. Eigentlich hätte er vorher um Erlaubnis fragen müssen ehe er Jagd auf das Wild im Reich eines anderen Clans macht. Zwar lässt die körperliche Verfassung des Westfürsten darauf schließen, dass es sich hier wohl um eine Art Notfall handeln könnte, doch er möchte das lieber nicht selbst entscheiden.

Einmal mehr schließt er kurz die Augen um Kontakt zu seinem Herrn zu suchen. „Yaomonzurushi-sama?

Es vergehen einige Momente ehe er Antwort erhält. „Was gibt es Neues, Heizu?

„Mein Fürst, einer der Eindringlinge ist tatsächlich Fürst Sesshomaru. Allerdings scheint er verletzt zu sein. In diesem Moment jagt er eine Rotte Wildschweine in unserem Gebiet. Ich war nicht sicher ob ich etwas unternehmen sollte.“

Wieder vergeht eine kleine Weile ehe er Antwort erhält. „Damit werden wir uns später befassen. Hast du herausbekommen können, was sie hierher geführt hat?

Ein wenig beschämt versucht Heizu eine Antwort zu formulieren. „Noch nicht wirklich, mein Fürst. Bisher schien sich ihre Aufmerksamkeit mit Fürst Sesshomarus körperlichem Zustand zu befassen. Einer von seinen Begleitern konnte ihn gerade noch davon abhalten ein Menschendorf zu überfallen.“

Er hat ihn davon abgehalten, sagst du?“, kommt die skeptische Rückfrage.

„Ja, mein Fürst“, bestätigt Heizu. „Es hat den Anschein als wäre Fürst Sesshomaru im Moment nicht völlig Herr seiner Sinne. Durch das konsequente Eingreifen seines Begleiter konnte der Überfall auf das Dorf gerade noch verhindert werden.“

Du willst mir erzählen ein Bediensteter von Sesshomaru war in der Lage einen Daiyoukai in einem Anfall von wirklichem Hunger aufzuhalten?“, kommt jetzt die sehr skeptische Frage zurück.

Heizu fühlt sich nicht besonders wohl in seiner Haut. „So ist es geschehen, mein Fürst!“, gibt er kleinlaut zu, doch was soll er auch sonst sagen?

Beschreib ihn mir!“, kommt der strenge Befehl.

Unbemerkt umrundet Heizu nun die Stelle an der die beiden Youkai warten um einen besseren Blick zu bekommen. „Der Kerl bietet in der Tat einen etwas seltsamen Anblick“, berichtet er gewissenhaft. „Er trägt nur einen Haori. Und ich meine damit 'nur'!“, wieder wirft er einen abschätzenden Blick auf Tenmaru. „Inuyoukai würde ich sagen. Groß, schlank, graue lange Haare und...“, er stutzt einen Moment. „Na, so was!“ Er hebt verwundert die Augenbrauen. „Er hat violette Augen, mein Fürst. Er muss zu uns gehören, aber ich kenne ihn nicht.“

Einen langen Moment herrscht wieder Stille in seinem Kopf, diesmal sogar länger als erwartet, denn der Ostyoukai spürt, dass die Gedankenverbindung nicht abgebrochen ist. Stattdessen kriecht ihm nun ein eigenartiger Schauer den Rücken herunter und er spürt, dass der Fürst des Ostens gerade wegen irgendetwas aufgebracht ist. Noch immer hält das Schweigen an. Dann ertönt die angespannte Stimme: „Zeig ihn mir!

Nun wird es Heizu doch etwas unbehaglich. Der Fluch der allen Mitgliedern seines Volkes auferlegt ist, ermöglicht es ihrem Fürsten jederzeit ihre Gedanken lesen zu können und auch auf diese Weise mit ihnen zu sprechen. Es ist nicht möglich sich dagegen zur Wehr zu setzen. Doch es gibt auch keinen Grund dies zu versuchen. Der amtierende Fürst geht, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, sehr umsichtig mit diesem Umstand um.

Dass er jetzt plötzlich nicht nur Zugang zu seinen Gedanken sondern auch zu seinem Sichtfeld verlangt, verursacht eine namenlose Furcht in dem Ostkrieger. Denn das hieße, die Kontrolle über seinen Körper für eine Weile komplett beiseitezuschieben und sie der vereinnahmenden Präsenz seines Fürsten zu überlassen. Schon lange hat kein Fürst des Ostens mehr auf diese Möglichkeit zugegriffen und für Heizu kommt dieser Befehl jetzt doch sehr unerwartet. Mit bangen Gefühlen versucht er festzustellen, ob seine Befürchtungen stimmen.

„Was meint Ihr, mein Fürst?“, wagt er unsicher zu fragen.

Ich will ihn sehen!“, kommt die harte Bestätigung und er spürt, die völlig untypische Aufregung hinter den Worten seines Herrn.

Heizu schluckt einmal hart, doch er weiß, dass er nichts dagegen tun kann. Schon spürt er wie sein Bewusstsein beiseite gedrängt wird um einer anderen Präsenz Platz zu machen. Das unangenehme Gefühl keinerlei Kontrolle über seinen Körper zu haben, lässt ihn unwillkürlich zittern. Seine Augen bewegen sich ohne sein willentliches Zutun und nehmen jetzt den eigenartigen Fremden genau unter die Lupe. Und auf einmal fühlt er wie das Wesen seines Fürsten erschaudert. Das Gefühl von Schock und Unglauben ist so übermächtig, dass er völlig überwältigt zusammenklappt.

Doch sogleich ist das zweite Bewusstsein auch schon wieder aus seinem Körper verschwunden und nun findet er sich heftig zitternd und keuchend auf seinen Knien vor. Doch das Gefühl der Fassungslosigkeit will noch immer nicht verschwinden. Die ganze Entität des Ostfürsten scheint zu beben. Als er schließlich spricht, klingen seine Worte, als müsste er sich jedes Wort mit Gewalt abringen. „Bring sie alle her! Auf der Stelle!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück