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Das Bluterbe der Youkaifürsten

Fortsetzung zu "Die Blutfehde der Youkaifürsten"
von

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Der Weg ins Unbekannte

Mehrere Stunden schon schaukeln Inu Yasha und Kagome nicht gerade bequem auf dem Rücken der alten Hundedame durch die Gegend. Kamukiku trabt in einem doch recht zügigen Tempo voran und lässt dabei Wälder und Wiesen hinter sich, überspringt Flüsse und erklimmt sogar leichte Berghänge. Inu Yasha ist innerlich beeindruckt. Er ist sich nicht sicher, ob er ohne sein Augenlicht so gradlinig sein Ziel finden würde, denn die alte Youkai scheint nicht einmal zu zögern. Unbeirrbar läuft sie weiter. Lediglich ihre Ohren stellen sich gelegentlich auf und manchmal zieht sie die Nase kraus.

„Du scheinst den Weg gut zu kennen, Kamukiku-baba“, lässt er anerkennend verlauten. Er ist es leid die ganze Zeit nur stumm auf diesem holprigen Knochenkissen zu sitzen und zur Untätigkeit verdammt zu sein. Außerdem erfährt er so vielleicht etwas mehr über das Ziel seiner Reise. „Bist du schon oft hier gewesen?“

„Gelegentlich“, brummt Kamukiku. „Ich schaue alle paar Jahre mal hier vorbei, ob sich etwas tut. Nenne es einen Zeitvertreib.“

„Hast du die Youkai vom Südclan schon einmal gesehen?“, lässt sich nun Kagome vernehmen.

Zunächst kommt keine Antwort von der alten Youkai. Dann antwortet sie: „Sie geben sich große Mühe nicht gesehen zu werden. Von Zeit zu Zeit packt irgendeinen Jungspund der Übermut und wagt es herauszufinden ob die Geschichten um den Südclan wahr sind. Nun, sie sind es. Und der Moment wo ihm das bewusst wird, ist auch der einzige Moment an dem man die Chance hat sie zu Gesicht zu bekommen. Die Youkai vom Südclan sind leise und effizient und keiner dieser Draufgänger ist jemals von dort zurückgekehrt.“

„Also hast du sie schon gesehen“, hakt Kagome nach.

Die alte Youkai schmunzelt ein wenig. „Nein, niemals. Selbst dann nicht, als ich mein Augenlicht noch hatte. Aber manchmal lege ich mich an der Grenze auf die Lauer in der Hoffnung einen Hinweis auf sie erhaschen zu können, denn sie patrouillieren die Grenze fortwährend, aber sie sind wirklich sehr vorsichtig. Und auch sehr diszipliniert. Niemals überquert einer von ihnen die Grenze. Sie halten sich in dem Wald versteckt der die Grenze markiert und weder zeigen sie sich offen, noch machen sie irgendwelche verdächtigen Geräusche.“

„Woher weißt du dann, dass sie da sind?“, fragt Kagome verwundert.

Nun grinst Kamukiku. „Ich kann sie riechen, kleiner Mensch. So deutlich, wie du sie sehen könntest, wenn sie dir dazu die Gelegenheit gäben.“

„Aber wenn niemand sie gesehen hat“, fragt Inu Yasha nun verwundert, „woher stammen dann all die Erzählungen über sie. Selbst Yaeba hat sie uns in seinen Geschichten beschrieben. Er sagte, sie wären besonders wild und grausam und ihr Fell hätte rote, gelbe oder schwarze Farbe und ihre Augen wären blutrot. Und das ist genau wie Katsuken aussieht. Wie kann er das wissen wenn nie jemand von dort zurückgekehrt ist?“

„Kleiner Prinz“, erwidert die alte Youkai nachsichtig. „Du hast noch viel zu lernen. Wenn du dein Reich führen möchtest, musst du deinen Horizont ein wenig erweitern, so wie du es vorhin schon getan hast.“

Verständnislos blickt Inu Yasha sie an. „Wie meinst du das?“

Die alte Youkai lacht leise. „Natürlich haben schon Personen die Grenzen überquert und sind zurückgekehrt. Du hast die Geschichte doch gehört. Der Südclan duldet niemanden der anderen Clans in seinem Revier. Das heißt jedoch nicht, dass sie allen Lebewesen den Zugang verwehren. Offenbar haben sie es lediglich auf Inuyoukai abgesehen. Natürlich halten sie sich für gewöhnlich gut verborgen, doch hin und wieder gelingt es einem Kitsune oder einem Tanuki einen Blick auf sie zu erhaschen. Und glaube mir, wenn ich mir anschließend die Freiheit genommen habe sie darüber ein wenig auszuhorchen, waren sie immer sehr mitteilsam.“ Die alte Youkai grinst genüsslich.

Nachdenklich blickt Inu Yasha vor sich hin. Er hat es nicht gern, wenn er nicht weiß was ihn erwartet. Es ist alles viel leichter wenn man seinen Feind sehen kann, dann weiß man wo man hinschlagen muss, aber diesmal muss er wohl damit rechnen in einen Hinterhalt gelockt zu werden, wie schon so viele vor ihm. Wenn man den Erzählungen glauben darf, ist es bereits zu spät, wenn er seinen Feind erst zu sehen bekommt.

Kagome teilt offenbar seine Gedanken, denn sie fragt: „Wie können wir verhindern, dass sie uns sofort angreifen? Schließlich wollen wir ihnen ja nichts tun, wir wollen nur mit ihnen reden.“

„Ich kann nicht sagen ob sie sich darauf einlassen“, meint Kamukiku nachdenklich. „Ihr werdet Glück brauchen. Vielleicht kennen auch sie die Prophezeiung. Möglicherweise sind sie gewillt darüber zu sprechen.“

„Das sind ziemlich viele Unsicherheiten“, bemerkt Inu Yasha.

„Was hast du denn gedacht, kleiner Prinz“, kommt es zynisch zurück. „Ihr wagt etwas was noch keiner zuvor überlebt hat. Natürlich ist es nicht sicher. Willst du mir sagen, dass du plötzlich kalte Füße bekommst?“

Inu Yasha schüttelt energisch den Kopf, doch ganz wohl ist ihm trotzdem nicht bei der Sache. „Nein, ich werde es auf jeden Fall versuchen“, seine Hände krallen sich um das Rückenfell der alten Hündin zu Fäusten. „Ich werde nicht noch einmal weglaufen!“ Das könnte er nicht noch einmal mit seinem Gewissen vereinbaren. Das eine Mal war ihm Lehre genug. Wenn er es nicht tut, tut es niemand.

Nun spürt er wie Kagomes Arme um seinen Rumpf ihn ein wenig fester fassen und ihn an sich ziehen. Und wieder beschleicht ihn dieses eigenartige Gefühl wie immer wenn sie ihm so nahe ist. Sein Herz klopft ungewohnt schneller und in seiner Magengrube flattert es so seltsam. Er hebt eine Hand und legt sie auf ihre gefalteten Hände vor seiner Brust. Es tut gut sie bei sich zu haben, es tut wirklich gut, dass sie wieder bei ihm ist. Immer wieder ist sie es die ihm Mut gibt oder ihm schlicht den Marsch bläst wenn ihm mal wieder die Muffe geht. Dann überkommt ihn jedes Mal das Gefühl, sie um jeden Preis beschützen zu wollen.

Nun spürt er wie sich ihre Wange an seinen Rücken schmiegt und ein warmes Gefühl rieselt durch seinen Körper. Für einen Moment schließt er die Augen und fasst ihre Hände fester. Nein, er wird nicht zulassen, dass Kagome irgendetwas geschieht. Nicht solange noch ein Funken Leben in ihm ist. Um nichts auf der Welt möchte er sie sich anders vorstellen, als an seiner Seite.

„Kagome...“, meint er zögernd. „Weißt du ich habe mir überlegt... uhn!“, ein heftiger Ruck reißt ihn aus seinen Gedanken. Gerade setzt die alte Youkai hart auf dem Boden auf, nachdem sie über einen Fluss gesprungen ist. Inu Yasha und Kagome werden dabei ordentlich durchgeschüttelt und Inu Yasha muss wahrlich acht geben, dass dabei gewisse Teile von ihm nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

„Was meintest du?“, fragt Kagome die sich nun ebenfalls mit einer Hand krampfhaft im Fell verkrallt hat.

„Ich sagte... autsch...!“, wieder macht die alte Hündin ein mächtigen Satz, diesmal über einen Felsspalt der sich vor ihnen aufgetan hat. Sie haben offenbar einen Gebirgsausläufer erreicht und nun beginnt die Hundedame eifrig zu klettern. Das hat jedoch zur Folge, dass ihre beiden Reiter sich nun mit aller Kraft festhalten müssen, wenn sie nicht runterpurzeln wollen.

„Ach, war nicht so wichtig“, meint Inu Yasha frustriert. Es ist wie verhext. Er findet einfach nicht den passenden Moment um mit ihr zu reden. Na schön, es kann warten.
 

- - -
 

Die Wanderung der drei Daiyoukai durch die Hölle verläuft größtenteils schweigend. Niemand möchte gern ein Gespräch beginnen und so hängen sie hauptsächlich ihren eigenen Gedanken nach. Der Weg führt mit der Zeit von der großen Ebene herunter und wieder durch einen rötlich staubigen Felsenklamm. Nicht immer ist der Weg ebenmäßig und sichtbar. Des öfteren müssen sie auch einige größere Felswände oder kantige Steinmassive überwinden. Sesshomaru kommt dabei mehrmals hörbar ins Schnaufen, doch er beißt die Zähne zusammen und bemüht sich nach besten Kräften, den anderen beiden keinen Anlass zu geben, auf ihn zu warten.

Die anderen beiden! Am Anfang der Gruppe geht Inu Taishou, sein Vater, und verlangsamt nach und nach geringfügig ihr Tempo, offensichtlich damit sein Sohn beim Gehen nicht so keuchen muss. Er sollte nicht denken, dass er das nicht bemerkt hat. Das Wissen darum bildet einen unangenehmen Druck in seiner Magengegend auf. Er hat es schon immer gehasst, verhätschelt zu werden und sein augenblickliches Unvermögen, reizt in zunehmendem Maße seine Gemütsverfassung.

Ein paar Schritte hinter seinem Vater geht Hanaki. Hanaki! Es ist zum verrückt werden! Allein schon der Gedanke an ihren Namen löst völlig unkontrollierbare Gefühle in ihm aus. Und ein sonderbares Kribbeln zieht sich durch seinen ganzen Körper. Er möchte ihr so gerne nah sein. Sie berühren. Sie festhalten. Sie küssen. Sie...

Mit Gewalt zwingt er seine Gedanken von diesem Pfad weg. Es kann doch einfach nicht sein, dass sein ganzes Denken und Fühlen, sich gänzlich seiner Kontrolle entzieht sobald sie ihm so nah ist. Das Gefühl der Befangenheit war schon damals da gewesen, doch heute erscheint es ihm fast noch stärker zu sein. Das alles ist nicht gerade hilfreich für seine Mission und obendrein für einen Daiyoukai ziemlich beschämend, und doch... Er würde einiges dafür geben, wenn er nur ein paar Minuten mit ihr alleine hätte. Es gibt noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Vieles was einer Erklärung, oder gar Entschuldigung bedarf. Doch sobald er ihre Seele mit Hilfe Tenseigas wieder auf die Erde zurückgebracht hat, wird er noch viel Zeit mit ihr haben. Im Augenblick muss er sich auf anderes konzentrieren.

Gerade hangelt er sich erneut einen Felsvorsprung herunter und stellt dann fest, dass die beiden doch auf ihn gewartet haben. Sein Vater beobachtet ihn dabei mit einem undeutbaren Blick. Schwer atmend und recht verärgert schließt Sesshomaru wieder zu ihnen auf.

„Ihr braucht keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Chichi-ue“, meint er ärgerlich. „Ich möchte das Ziel möglichst rasch erreichen. Schlendern ist dabei wenig hilfreich.“

Hanaki presst die Lippen aufeinander blickt kurz zur Seite.

„Wie du wünschst, Sesshomaru“, entgegnet der ältere Daiyoukai und dann legt er tatsächlich ein erhöhtes Tempo an den Tag.

Nun muss Sesshomaru tatsächlich tüchtig schnaufen, während er seinen Füßen die erhöhte Belastung abringt. Er konzentriert sich dabei starr auf den Rücken seines Vaters, sonst müsste er sich mit Hanakis mitfühlenden kurzen Seitenblicken auseinandersetzen und auch das bereitet ihm Magenschmerzen.

Eine ganze Weile geht es so weiter. Allmählich macht sich die Anstrengung des gehörigen Marsches doch bei dem jüngeren Youkaifürsten bemerkbar. Die trockene, stickige Luft brennt in seinen Lungen und verschafft ihm nur widerwillig den schwer benötigten Sauerstoff. Seine Glieder schmerzen und seine Muskeln fühlen sich an als wollten sie zerreißen. Schon jetzt wird ihm leicht schummerig vor Augen, doch der Wille, nicht aufzugeben, treibt ihn Schritt für Schritt weiter voran. Ein paar mal strauchelt er, doch er fängt sich rechtzeitig immer wieder. So torkelt er schwitzend und keuchend hinter den beiden her.

Schließlich bleibt Inu Taishou stehen und dreht sich zu ihm um. „Wir sollten eine kurze Pause einlegen“, verkündet er.

Unter Japsen schließt Sesshomaru zu ihm auf. „Eine Pause?“, keucht er entrüstet. „Was soll der Unsinn? Ich kann mir keine Pause leisten. Macht Euch keine Gedanken um mich, ich bin höchst motiviert diese Strecke zu bewältigen.“

„Das hat doch so keinen Zweck, Sesshomaru“, sagt der Daiyoukai beschwichtigend. „Wenn du dich so abquälst wird die Zeitdifferenz mit der wir eintreffen kaum den Aufwand wert sein.“

„Das ist ja wohl an mir das zu entscheiden“, faucht sein Sohn zurück. „Ich habe bereits so viel Zeit hier vergeudet, dass ich nicht bereit bin auch nur noch eine Sekunde länger zu verschwenden.“

„Nun, wenn das so ist“, meint Inu Taishou. „Ich könnte dich auch tragen...“ Doch er merkt sehr rasch, dass er etwas falsches gesagt hat. Sesshomaru starrt ihn bitterböse an.

„Ehe ich das zulasse, sterbe ich lieber!“, presst er mit Grabeskälte hervor. „Denkt nicht, ich ließe mich von Euch noch einmal derartig demütigen, Chichi-ue.“

Nun verfinstert sich auch Inu Taishos Gesicht. „In welcher Hinsicht habe ich dich gedemütigt, Sesshomaru?“

Ein verächtliches Schnauben entfährt dem Westfürsten. Dann sagt er mit bitterer Stimme: „Hah, Sesshomaru! Ausgerechnet!“

Ein wenig verblüfft blickt Inu Taishou ihn an. „Was stört dich an deinem Namen?“

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander, doch dann bricht es heftig aus ihm hervor: „Ihr habt mich nach ihm benannt!“ Ungehalten ballt er die Fäuste. „Ihr habt mir einen abgelegten Namen gegeben!“ er schnappt unwillkürlich nach Luft.

„Ich habe dir einen starken Namen gegeben“, verteidigt Inu Taishou sich. „Den stärksten den ich finden konnte.“

„Einen gebrauchten!“

„Einen geschichtsträchtigen.“

„Einen verruchten.“

„Einen legendären!“

„Aber es ist nicht meine Legende!“, Sesshomaru zittert am ganzen Körper vor unterdrückter Wut. „Es gibt nur ein 'perfekt' und ganz offensichtlich bin es nicht ich, der diesen Namen definiert hat. Ihr habt mir meine Identität genommen.“ Tief enttäuscht wendet er sich ab und schreitet mit stoischen Schritten weiter.

Inu Taishou seufzt leicht. „Oh weh!“, murmelt er bedauernd. „Ich dachte mir schon, dass ihm das nicht gefallen wird.“

Nun geht ein Ruck durch Hanaki. „Sesshomaru, warte!“ Sogleich folgt sie ihm und rasch hat sie ihn eingeholt. „Was soll denn das?“, fragt sie tadelnd. „So solltest du nicht mit deinem Vater reden. Es gibt doch Wichtigeres im Augenblick als die Frage woher dein Name stammt. Und wenn du es so eilig hast, warum lässt du deinen Vater dich dann nicht tragen? Da ist doch nichts dabei.“ Beschwichtigend legt sie sanft die Hand auf seinen Arm. „Womöglich geht es schon jetzt um jede Minute. Du willst doch dein Reich mit allen Mitteln beschützen. Anders würde ich es nicht von dir erwarten. Willst du deinen Stolz wieder die Oberhand gewinnen lassen? Soll dein Ehrgefühl wieder alles verderben wofür du kämpfst? Lass doch solche Nichtigkeiten dir nicht immer im Weg stehen bei den großen und wichtigen Dingen. Du bist doch größer als das. Das weiß ich.“ Aufrichtig blickt sie ihn an.

Nun bleibt Sesshomaru stehen und wendet sich ihr zu. Ein gequälter Zug liegt um seine Mundwinkel als er nun behutsam seine Hand hebt und mit den Fingerspitzen über die Narben in ihrem Gesicht streicht. Verschämt entzieht ein leichter Ruck ihres Gesichtes die Wunden seiner Berührung.

„Hanaki“, sagt er leise, „bitte versteh mich doch! Deine Verfassung, mein Name, deine Würde, meine Ehre... wenn all diese 'Nichtigkeiten' keine Rolle mehr spielen. Wenn all diese Kleinigkeiten keine Bedeutung mehr haben, warum soll ich dann noch für die großen Sachen kämpfen? Dann bedeuten auch sie nichts mehr. Dann kann ich genau so gut meine Mission abbrechen und gleich hier bleiben. Hier bei dir...“ Er lässt die Hand sinken.

Für einen Moment blickt sie ihn nur groß an. Dann beginnt ihre Lippe ein wenig zu zittern. Sittsam senkt sie den Kopf, dann umschließt sie seine Hand mit ihren.

„Ich weiß warum ich mich in dich verliebt habe“, wispert sie. „Du warst schon immer weiser als ich. Und du hattest schon immer mehr Größe.“

Sesshomaru legt leicht den Kopf schief. Dann löst er sanft mit seiner anderen Hand ihre Hände von seiner, nicht jedoch ohne sie einen Moment länger als nötig auf ihren liegen zu lassen. „Dein Lob ehrt mich“, erwidert er. „Doch ich fürchte, es ist nicht angebracht. Ich handele viel eigennütziger als du vielleicht denkst. Im Grunde unternehme ich diese Reise nur um mir selbst weiteres Leid zu ersparen und bringe dadurch das Leben vieler anderer in Gefahr. Lobeshymnen sind hier also fehl am Platz. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese ganze leidige Angelegenheit bald zu einem Ende kommt, das nicht zu viele Personen bedauern müssen.“

Ein schwaches Lächeln zieht über ihr Gesicht. „Du hast anscheinend keine hohe Meinung von dir selbst. Es wird mir eine Freude sein, dich von Zeit zu Zeit vom Gegenteil zu überzeugen.“

In diesem Moment tritt Inu Taishou an die beiden heran. Er blickt kurz von einem zum anderen und für einen kurzen Moment werden seine Lippen schmal. Dann sagt er: „Wenn du darauf beharrst, den restlichen Weg zu Fuß zurückzulegen, mein Sohn, dann sollten wir besser den Weg nun fortsetzen. Oder hast du es dir anders überlegt?“

Für einen Moment blickt Sesshomaru seinen Vater ernst an. Dann sagt er fest: „Es bleibt dabei, ich werde weiter gehen, bis zum bitteren Ende!“

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln legt sich um Inu Taishous Mundwinkel. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet, mein Sohn.“ Dann, ohne weitere Worte zu zu wechseln, wendet er sich um und setzt den Weg fort, während die anderen ihm folgen.
 

Einige Stunden sind seit dem Gespräch vergangen. Die kleine Gruppe aus Daiyoukai legt nun ein etwas moderateres Tempo an den Tag. Sesshomau atmet noch immer heftig und inzwischen machen sich deutliche Seitenstiche bei ihm bemerkbar, doch zumindest kommt er nicht mehr außer Atem. Jedoch zu seiner Freude haben sie die unwegsame Gegend jetzt hinter sich gelassen und einen größeren Wald betreten. Zumindest wäre 'Wald' noch eine halbwegs zutreffende Beschreibung der Gegend durch die sie wandern. Zu beiden Seiten ihres Pfades ragen nun übermannshohes Gestrüpp auf. Lange, wild verzweigte, blattlose Stämme und Äste recken sich neben ihnen in die Höhe und bilden ein schwarz-graues Geflecht aus hoch aufragenden kahlen Fasern. Kaum ein Lüftchen regt sich zwischen den fahlen toten Zweigen und die ganze Gegend ist in eine fast greifbare Stille getaucht. Der ganze Wald wirkt trostlos und öd.

„Dies ist der Un-Wald“, zerfetzt Inu Taishos Stimme die unnatürliche Stille so plötzlich, dass die anderen beiden sich reflexartig die Hände über die Ohren legen. „Dahinter finden wir mit etwas Glück das Portal zum Jenseits.“

„Das Portal zum Jenseits? Mit etwas Glück?“, hakt Sesshomaru verwundert nach und stellt dabei fest, dass es ihn große Überwindung kostet in dieser beklemmenden Stille ein Wort hervorzubringen.

„Ja“, antwortet Inu Taisho, und wieder schneidet seine Stimme ungewöhnlich hart in den Ohren. „Es ist nicht vorgesehen, dass Kreaturen aus der Hölle in den Raum der Stimmen kommen. Aber von Zeit zu Zeit öffnet sich ein Übergang von hier ins Jenseits. Und manchmal befindet dieser sich hinter dem Un-Wald. Es ist also die beste Chance die du hast um hin zu gelangen.“

„Was ist der Raum der Stimmen?“, will Sesshomaru wissen. Den Begriff hört er zum ersten Mal.

„Das Jenseits“, erklärt Inu Taishou, „ist nicht wie die Unterwelt oder die Hölle. Es ist ein Ort des Wartens. Geläuterte Seelen warten dort auf ihre Reinkarnation. Leider kann ich dir keine Informationen aus erster Hand über den Raum der Stimmen geben, denn für Seelen aus der Hölle ist es unmöglich den Übergang zu passieren. Wer es versucht, verschwindet für immer ins Nichts. Im Prinzip die einzige Möglichkeit der Existenz in der Hölle zu entfliehen“, fügt er ein wenig melancholisch hinzu. Doch dann fährt er wieder fort. „Nur Personen die noch einen Körper besitzen, können genug Realität mitbringen um nicht augenblicklich verneint zu werden, wenn du verstehst was ich meine.“

„Also Lebende“, nickt Sesshoumaru leicht. „Weißt du was mich dort erwartet?“

„Nur durch Hören-Sagen“, antwortet Inu Taishou. „Doch allein die Tatsache, dass du noch am Leben bist, wird vermutlich nicht ausreichen um im Jenseits bestehen zu können.“

„Weshalb?“, fragte Sesshomaru zurück.

„Es ist ein Ort der Läuterung“, erklärt Inu Taishou ernst. „Was die Seelen dort bannte, ist noch immer präsent und hält sie dort, bis zu dem Tag ihrer Wiedergeburt. Jeder Youkai der den Raum der Stimmen betritt, setzt sich der Macht der Läuterung aus.“

Sesshomaru kann sich nicht helfen, doch es läuft ihm kalt den Rücken herunter und seine Nackenhaare stellen sich auf. Läuterung! Die Nemesis aller Dämonen. Mit Schmerz und seelischen Qualen hat er bisher reichlich Bekanntschaft gemacht und sie mal besser mal schlechter durchgestanden. Doch Läuterung ist ein Angriff auf sein tiefstes inneres Selbst als Youkai. Der Kern seiner Existenz. Nur die mächtigsten Dämonen vermögen es diesem Einfluss gänzlich oder zumindest für eine gewisse Zeit zu widerstehen. Wenn er von seiner eigenen Macht nicht vollständig überzeugt ist und all seinen Willen in die Waagschale legt, könnte es gut sein, dass an dieser Stelle seine Mission endet, ob er will oder nicht.

„Warum heißt es 'Der Raum der Stimmen'?“, lenkt er das Gespräch wieder auf die sachliche Ebene. Zweifel kann er jetzt auf keinen Fall brauchen.

Nun bekommt Inu Taishous Miene etwas Hartes. Er schweigt einen Moment, dann sagt er ernst: „Mein Sohn, was du vorhast ist womöglich schon oft versucht aber noch niemals erfolgreich zu Ende gebracht worden. Ehe dir gestattet wird, eine Seele zurück ins Diesseits mitzunehmen, wirst du dich vor den Wächtern verantworten müssen. Und... es wird dich etwas kosten.“

Sesshomaru beißt unwillkürlich die Zähne zusammen. Auch wenn sein Vater es nicht ausspricht, hat er eine wage Vorstellung davon, von wem oder was die Rede ist. Er atmet einmal tief durch. Dann sagt er fest: „Ich bin nicht so weit gekommen um jetzt aufzugeben, ohne es zumindest versucht zu haben.“

Plötzlich spürt er eine Berührung an seiner rechten Hand. Er wendet sich um und erblickt Hanaki, die nun neben ihm geht und seine Hand ergriffen hat. Sie hat den Kopf gesenkt und meidet seinen Blick, doch er spürt ein leichtes Zittern, dass durch ihren Körper geht. Der Daiyoukai schluckt unwillkürlich einen Kloß herunter der sich in seinem Hals gebildet hat. Es ist nicht nötig, dass sie etwas sagt. Diese züchtige Geste sagt mehr als es alle Worte könnten und ihm wird gerade erschreckend wehmütig zumute. Dies hier fühlt sich beängstigend nach Abschied an. Sacht erwidert er ihren Griff. Mehr muss nicht gesagt werden.

In diesem Augenblick nehmen sie vor sich eine Bewegung wahr. Urplötzlich fliegen die Bäume vor ihnen zu beiden Seiten auseinander als würde man den trübsinnigen toten Wald wie einen gewaltigen Vorhang zu beiden Seiten wegschieben. Nun ist der Blick frei auf eine unendlich weite kahle Ebene. Und erstaunlicherweise verblassen sogar die stets präsenten Rottöne der Umgebung und verwandeln sich in ein tristes Grau. Direkt vor ihnen befindet sich nun ein ovales, mannshohes Energiefeld. Seine Oberfläche wabert silbrig und erweckt den Eindruck eines Spiegels über den permanente kleine Wellen laufen.

Die drei Daiyoukai mustern überrascht die urplötzliche Erscheinung.

„Ich vermute...“, lässt Inu Taishou zögernd verlauten, „das bedeutet, dass du es versuchen darfst.“

Sesshomarus Puls hat sich verdoppelt. So wie es aussieht ist er nun tatsächlich am Ende seiner Suche angelangt. Und dennoch steht ihm seine größte Prüfung noch bevor. Er kann sich nicht helfen, aber er empfindet nun doch erhebliche Nervosität. Er wird dieses Portal durchqueren müssen, und es ist nicht abzusehen, was dann mit ihm geschehen wird. Wenn er es nicht schafft, trotz der einsetzenden Läuterung weiterzubestehen, war seine gesamte Reise umsonst. Und nicht nur das, das Schicksal seines Reiches wird ebenfalls besiegelt sein. Im Grunde kann es also nur eine Entscheidung geben.

„Ein Scheitern ist keine Option!“, murmelt er wie zu sich selbst. Dann reckt er sich, atmet noch einmal durch und geht dann auf das Portal zu.

Sesshomaru!“, gellt in diesem Moment der verzweifelte Ruf über die endlose Ebene. Der jugendhafte Westfürst wendet sich um und erblickt nun die ehemalige Streunerin, die ihn mit einem erschreckend flehenden Blick anstarrt. Er bringt es nicht fertig auch nur einen Muskel zu rühren. Nun kommt sie ihm rasch entgegen und nur drei Schritte später steht sie direkt vor ihm. Innig hält sie ihn mit ihrem sehnsüchtigen Blick gefangen. Wieder bebt ihre Lippe ein wenig und es gibt ihm einen Stich das zu sehen.

Ein paar Herzschläge lang stehen die beiden nur still voreinander, doch dann plötzlich beugt sich Hanaki vor, legt ihre Hände in Sesshomarus Nacken, zieht ihn zu sich und drückt einen verzweifelten Kuss auf seine Lippen. Er lässt es mit sich geschehen. Für einen Moment schließt er die Augen und ertastet nur behutsam die Beschaffenheit ihrer weichen, warmen Lippen. Wärme wallt in ihm auf, doch die schmerzliche Intensität ist von anderer Natur als die von der er schon mehrmals eine verhängnisvolle Kostprobe erhalten hat. Es bedarf seiner gesamten Selbstbeherrschung, diesen Kuss nicht ewig andauern zu lassen.

Schließlich öffnet er wieder die Augen und löst sich behutsam von ihr. Vor ihm steht sie mit blassem Gesicht und großen Augen und kann ihren Blick nicht von ihm wenden.

„Ich habe keinen Zweifel, dass du deine Mission erfolgreich vollenden wirst“, wispert sie eindringlich.

Einen Moment lang schweigt er. Dann fragt er leise: „Warum küsst du mich dann, als wäre es das letzte Mal?“

Keine Regung geht über ihr Gesicht. Nicht einen Muskel verzieht sie. Noch immer sind ihre violetten Augen weit aufgerissen. Doch nun beginnt ihr Körper ganz fein zu zittern und aus ihren Augenwinkeln laufen nun unaufhaltsam zwei dünne Rinnsale aus Tränen und tropfen ihre bleichen Wangen hinunter.

Rasch wendet sich Sesshomaru ab. Wenn er sie noch länger ansieht, wird er sich nicht mehr zu dem Schritt durchringen können, den er gezwungen ist zu tun.

„Ich verspreche dir, Hanaki“, sagt er leise mit Blick auf das Portal, „ich werde dich ebenfalls ins Diesseits zurückbringen. Dann wird es keinen Abschied mehr geben.“

„Wir werden hier auf dich warten, Sohn“, lässt sich nun Inu Taishou behutsam vernehmen. „Wir werden es wissen, wenn du Erfolg gehabt hast.“

Sesshomaru wendet sich nicht um. Gefasst hebt er den Kopf und dann tritt er mit zwei beherzten Schritten auf das Portal zu. Wenn... Wenn du Erfolg gehabt hast. An ein 'Falls' darf er sich nicht erlauben zu denken. Dann tritt er in den Übergang ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yvibel
2021-08-02T15:03:53+00:00 02.08.2021 17:03
Ach man, ich dachte schon diesmal schafft es Inuyasha endlich. Aber nein! Immer kommt was dazwischen. Wenn das so weiter geht, hat er vielleicht gar keine Gelegenheit mehr. *seufz*
Und was du seinen großen Bruder alles durchmachen lässt, unglaublich. Jetzt waren die drei "nur" unterwegs und trotzdem kann ich mir vorstellen, dass das gefühlt eine Quälerei für unseren Lieblingshund ist. Vielleicht sogar noch mehr als irgendwelche offenen Angriffe, weil es eben um Gefühle geht. Wenigstens ist er jetzt wieder einen Schritt näher am Ziel auch wenn der Abschied einen fast wieder zum weinen bringen möchte...*räusper*
Na mal sehen, er schafft das schon. Ich habe Vertrauen in ihn. :)
Bin gespannt, womit er sich als nächstes befassen darf. Bis dahin denn.

Grüßle Yvi
Von:  Hotepneith
2021-04-22T18:10:48+00:00 22.04.2021 20:10
Sie haben beide so ihre Ähnlichkeiten, die Halbbrüder, Papa könnte stolz auf sie sein. Wenn sich nciht Junior eins gerade in selbstmörderische Sktionen vor sienen Augen stürzt - udn ohne sein Wissen JUnior zwei auch. Da scheint was im Blut zu liegen. Andererseits - wenn die DSüdländer nru was ggegen HUnde haben könnten sie bei einer miko udn einem Halbmenshcen immerhins chon mal ein Ohr riskieren... Und, aber ich fürchte zu wiissen, was Sesshouamru verlieren könnte, wenn er dem Totenreich was entringen will... Hanaki ahnt da sicher mehr.
 
 
hotep
 
 
Antwort von:  Weissquell
23.04.2021 21:05
Heute mal kreative Rechtschreibung! Das nennt man dichterische Freiheit, hmm? :-) Aber ich weiß ja was gemeint ist. Danke für dein Kommi, und dass du mir offenbar als Einzige die Treue hältst. :-)


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