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Das Bluterbe der Youkaifürsten

Fortsetzung zu "Die Blutfehde der Youkaifürsten"
von

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Das Abkommen

Abschätzend beobachtet Kagebara den keuchenden Daiyoukai, den lediglich noch ihre Ranken aufrecht halten. Seine Bewegungen sind schlaff und kraftlos, jedoch in seinen Augen liegt noch immer ein Funkeln, das verdeutlicht, dass der Kampfeswille des Youkais noch nicht völlig erloschen ist.

Sesshomarus Gedanken überschlagen sich. Was hat sie nun wieder vor? Lohnt es sich ihren Worten auch nur eine Sekunde zu glauben, nach allem was bisher war? Doch noch ehe er seine Lippen unter Kontrolle hat, fragt er: "Interessiert? Woran? Was führst du nun im Schilde?"

"Wie ich schon sagte", antwortet sie gemächlich, "ich versuche unser beider Leben zu retten. Wobei dein Tod vermutlich näher bevorsteht als meiner. Aber ich möchte lieber sicher gehen."

Ihre Ranken befördern den erschöpften Youkai wieder auf Augenhöhe und kommt sehr dicht an ihn heran. "Ich weiß wen du suchst, und auch warum", raunt sie. "Es steht doch viel zu viel bei der Sache auf dem Spiel, als dass du die einmalige Chance, die ich dir biete, nicht annehmen könntest." Eindringlich beäugt sie ihn.

Für einen kurzen Moment werden Sesshomarus Gedanken von vertrauten Bildern und Gesichtern überflutet und fast drängt sich im der Gedanke auf, dass sie recht haben könnte. Er spürt bereits wie sein Widerstand immer mehr schwindet.

Er zögert noch einen langen, verzweifelten Augenblick, dann fragt er zerknirscht: "Sagen wir, ich wäre interessiert. Was hast du mit mir vor? Was soll ich tun?"

Nun verbreitert sich ihr sanftes Lächeln. "Oh, das ist ganz einfach", zirpt sie, "du musst sterben!"

Augenblicklich verkrampft sich Sesshomaru wieder und sein Argwohn ist erneut geweckt. Grimmig fletscht er die Zähne. "Vergiss es!", faucht er schwach.

Doch Kagebara bleibt gelassen. "Nur die Ruhe", beschwichtigt sie ihn. "Lass mich erklären. Für ein Wesen, dass sich fortbewegen kann, ist es aus gutem Grund nicht ratsam lebendig in die Hölle zu gehen. Du bringst deinen Körper mit und dadurch alles Gewicht deiner Lebenszeit. Nur Seelen haben hier die Möglichkeit sich frei zu bewegen. Nun ja, so frei wie das in der Hölle möglich ist. Ihnen haftet nicht mehr das Gewicht lebender Materie an, sie sind nur noch reine Energie. Wenn du also jemals deine volle Kraft hier nutzen willst, dann musst du diesen Ballast hinter dir lassen."

"Bedaure", keucht Sesshomaru verbissen. "wenn du alles von mir weißt, dann weißt du auch, dass ich nicht beabsichtige in der Hölle zu bleiben. Ich muss zurückkehren und im Diesseits benötige ich meinen Körper noch, also was immer du vorhast, ich verzichte!"

"Sei doch nicht so voreilig", rügt Kagebara ihn sanft, "Ich wollte es dir ja gerade erklären. Ich kann dir helfen. Ich vermag deine Seele von deinem Körper zu trennen und ihn sorgsam aufzubewahren, bis du deine Mission erfüllt hast. Dabei wird er verbleiben wie er ist und sich sogar noch erholen. Es wird sein, als würde er tief und fest schlafen, während deine Seele fortziehen kann um das zu tun, weshalb du hier bist."

Skeptisch beäugt der Daiyoukai die Pflanzendämonin. "Und wie willst du das anstellen?"

Nun erhebt sich zwischen den beiden eine weitere Ranke und an ihrer Spitze hält diese nun so etwas wie ein kleines Samenkorn. Urplötzlich beginnt es zu keimen und zwei hellgrüne Keimblätter schieben sich zusammen mit einem zarten Geflecht an kurzen Wurzeln aus der Schale hervor.

"Dieser Keimling", erklärt Kagebara, "wird in deinen Körper eingepflanzt und damit verfällt er in eine tiefe Starre, so dass ich ihn sicher verwahren kann. Die Starre wird so tief sein, dass dein Körper deine Seele nicht mehr zu halten vermag und du ihn hinter dir lassen kannst während mein Setzling damit beginnt deinen Körper zu konservieren und zu heilen. Wenn du dein Ziel erreicht hast, kommst du zurück und nimmst deinen Körper wieder in Besitz, frisch ausgeruht und fern des Todes. Was meinst du, klingt das nicht erstrebenswert?"

Ein verächtliches Krächzten entfährt Sesshomaru. "Du hast bisher noch nicht erwähnt, was du von der ganzen Sache hast."

Kagebara seufzt theatralisch. "Nun ich will nicht verschweigen, dass auch ich von diesem Abkommen profitiere. Wie du bereits weißt, ernähre ich mich von schmerzhaften Erinnerungen und Gefühlen. Solange mein Setzling in deinem Körper ist, habe ich direkten Zugang zu deinen Erinnerungen und kann mich davon ernähren. Das funktioniert allerdings nur solange du lebst. Du siehst also, es liegt in meinem Interesse, dich am Leben zu halten. Ich habe somit keinen Grund dir Schaden zuzufügen. Ich nehme sozusagen deine schmerzhaften Gedanken als Mietzoll für das Bewahren deines Körpers. Gemessen an der Tatsache, dass dein Körper schon beinah seine Grenzen erreicht hat und dich nur noch ein Wimpernschlag vom Tode trennt, solltest du mein Angebot wirklich bald in Erwägung ziehen, Sesshomaru."

Ungläubig starrt Sesshomaru zu ihr hinauf. Sollte es wirklich möglich sein? Ist sie tatsächlich in der Lage nicht nur seinen Tod zu verhindern, sondern auch die infernalischen Beschränkungen, die seinen Kräften auferlegt wurden, zu entfernen? Und das nur auf Kosten seines Körpers und seiner Erinnerungen? Ersteren wird er ihren Aussagen zufolge letztlich zurückerhalten, was schon mal ein weiterer Gewinn wäre. Und hängt er an seinen schmerzlichen Erinnerungen wirklich so sehr? Eigentlich kann sie sie doch wirklich haben, schließlich wollte er diese Gedanken schon immer loswerden.

Aber kann er ihr wirklich trauen? Was wenn sie versucht irgend ein linkes Ding mit ihm abzuziehen? Soll er wirklich seinen Körper hinter sich lassen um seine Mission zu erfüllen? Hat er überhaupt eine Wahl? Ein roter Schleier legt sich bereits auf seine Sinne und das Schwindel- und Taubheitsgefühl nimmt stetig zu. Lange schon ist er dem Tod nicht mehr so nahe gewesen, doch er kann spüren wie er kalt und unausweichlich näher kriecht.

Letztendlich kann es nur eine Entscheidung geben, wenn er sein Ziel überhaupt noch erreichen will. "Also gut", haucht er kraftlos. "Tu es! Doch wehe wenn du mich hintergehst, dann rettet dich nichts mehr vor meiner Rache!"

Das Lächeln in Kagebaras Gesicht wird breit und dann nähert sich die Ranke mit dem Keimling Sesshomarus Brust. Der Atem des Daiyoukai geht schneller bis er fast hyperventiliert. Dann setzt die kleine Pflanze auf seiner Haut auf und nur Sekunden später beginnen sich die winzigen Fädchen in Sesshomarus Haut zu graben und dort zu verwurzeln.

Zunächst spürt der Youkaifürst nichts davon, doch dann mit einem Mal verspürt er einen eigenartigen Druck auf der Brust. Ein leichtes Brennen breitet sich nun in seinem Oberkörper und zunehmend in seinen Gliedmaßen aus und auf einmal fühlt er wie ihm der kalte Schweiß ausbricht. Er schnappt nach Luft, doch seine Lungen gehorchen ihm nicht. Scheinbar versagt ihm die Kontrolle über seinen Körper. Ein dumpfer beunruhigender Trommelschlag pocht ihm in seinen Ohren und er benötigt ein paar Augenblicke bis er begreift, dass dies sein Herzschlag ist der beinahe zum Erliegen gekommen ist. Panik steigt in ihm auf. Er versucht sich zu wehren, sich freizustrampeln, doch keine seiner Gliedmaßen rührt sich. Ein hilfloses Keuchen entfährt ihm.

Da säuselt ihm eine leise, warme Stimme ins Ohr: "Bleib ruhig, Sesshomaru! Wehre dich nicht, dies muss geschehen. Wenn du dich nicht widersetzt, wird es angenehmer."

Sesshomaru Gedanken sind in höchstem Aufruhr. Es ist ein wirklich bizarres Gefühl in höchster Alarmbereitschaft zu sein und weder einen erhöhten Puls noch eine beschleunigte Atmung zu haben. Ist er wirklich bereit all das Vertraute aufzugeben? Doch er kommt zu dem Schluss, dass er nun ohnehin nicht mehr zurück kann. Es kostet ihn eine enorme Überwindung, doch dann gibt er den verzweifelten Widerstand gegen das Unvermeidliche auf. Er spürt wie sein Herzschlag immer langsamer wird und schließlich ganz aussetzt. Seine Lunge tut noch einen letzten Zug und dann entweicht die Luft dem geschundenen Körper ein letztes Mal. So ist es also wenn man stirbt, stellt Sesshomaru fest und dann schließt er die Augen.

Im nächsten Moment fühlt er etwas anderes. Ein unangenehmes Ziehen und Reißen zerrt an seinen Gliedern, als würde sein Körper schmelzen und auseinanderfließen, ohne etwas dagegen tun zu können. Doch nur wenige Augenblicke, dann stellt er fest, dass ihn eine unbändige Kraft einfach ein Stück beiseite zu schubsen scheint, so dass er lang zu Boden fällt.

Für einen Moment weiß er nicht recht wie ihm geschieht, doch dann bemerkt er zu seiner eigenen Überraschung, dass seine sämtlichen Schmerzen verschwunden sind. Behutsam versucht er sich aufzurichten und mit nicht unerheblicher Erleichterung stellt er fest, dass die unerträgliche Last, die ihn bis gerade noch so gnadenlos niedergedrückt hat, verschwunden ist und das Bewegen ihm wieder so einfach wie das Atmen fällt. Nun, wenn er atmen würde. Bei seiner Eigeninspektion kommt er nicht umhin zu bemerken, dass weder seine Brust sich vertraut hebt und senkt, noch aus seinem Körper auch nur das leiseste Geräusch ertönt.

Er blickt an sich herunter und registriert, dass sich seine Kleidung wieder in tadellosem Zustand befindet. Allerdings bemerkt er jetzt auch zwei kleine, hell leuchtende Blättchen, die aus seiner Brust herausragen. Ein eigentümliches Glühen geht von ihnen aus. Unwillkürlich will er danach greifen, doch eine vollmundige Stimme gebietet ihm Einhalt.

"Berühre sie nicht! Sie verbindet deine Seele mit deinem Körper. Wenn du sie beschädigst, wirst du augenblicklich zurück in deinen Körper versetzt, mit allen Konsequenzen die das hat."

Sesshomaru lässt die Hand sinken. Dann wendet er sich um. In ein paar Schritt Entfernung erkennt er nun eine Gestalt mit einem vertrauten Gesicht. Seine Augen weiten sich kaum merklich. Er hatte nicht erwartete, dass sein Körper so ramponiert aussähe. Die gesamte Kleidung ist zerfetzt und der ganze Körper ist mit tiefen Schnitten, Schrammen oder klaffenden Wunden verunstaltet. Wie ein roter gefrorener Wasserfall hängen seine Haare vor seinem Gesicht in dicken, starren Strähnen herab und einige seiner Gliedmaßen beschreiben einige recht unnatürliche Winkel. Gerade beginnen sich zahlreiche Ranken mit sorgfältiger Gründlichkeit um seinen Körper zu winden und ihn letztlich gänzlich zu umschlingen. Von seiner gönnerhaften Vertragspartnerin ist nichts mehr zu sehen.

Während er noch beobachtet, wie der Pflanzenkokon sich nun tiefer in das Gewirr aus Ranken zurückzieht, wird ihm allmählich bewusst wie sehr ihn das extreme zusätzliche Körpergewicht eingeschränkt hatte. Statt kaum einen Finger mehr heben zu können, fühlt er sich so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Was ihm hier bisher verwehrt war, ist ihm nun wieder möglich, und sei es nur aufrecht zu stehen. Sesshomaru reckt den Kopf und ein unwillkürliches Lächeln schiebt sich auf seine Lippen. Der nächste Gegner der sich ihm in den Weg stellt, kann ihm jetzt schon leidtun.

Doch dieser Gedanke verfliegt so schnell wieder wie er gekommen ist, als ihm aufgeht, dass ihm etwas Entscheidendes fehlt. Seine Schwerter. Sie befinden sich nicht an seiner Hüfte wie erwartet und es braucht ein paar verärgerte Augenblicke seinerseits bis ihm langsam dämmert, dass sie sich noch immer an seinem echten Körper befinden, da sie nicht zu seinem Selbstbild gehören und auch ein Abbild von ihnen niemals die ihnen innewohnenden Mächte entfalten können würde.

Für einen Moment spielt er mit dem Gedanken sie sich zurückzuholen, doch er verwirft ihn wieder. Zum einen haben seine Waffen bei den üblichen Gegnern hier ohnehin keine Wirkung und zum anderen ist das Rankenknäul, das seinen Körper bewahrt nicht mehr auszumachen und er hat bereits schon viel zu viel Zeit hier vergeudet um sie jetzt noch auf die Suche nach nutzloser Ausrüstung zu verschwenden.

Mit erhobenem Haupt wendet sich Sesshomaru um und schreitet würdevoll von dannen. Nun ist die Fortbewegung hier für ihn eine Leichtigkeit und er beschließt Gebrauch davon zu machen. Von einem Moment auf den anderen beschleunigt er seine Schritte und stellt befriedigt fest, dass der unüberwindbar scheinende Dornenwald nun praktisch nur noch unter seinen Füßen dahinfliegt, während er dessen kaum noch eine Beachtung schenken muss. Er atmet zufrieden auf. Es ist fast wie früher.

Doch wie er urplötzlich feststellen muss, hat er sich zu früh gefreut, denn von einem Moment auf den andren zuckt ein rasender Schmerz durch seine linke Schulter und die ungebetene Überraschung holt ihn im vollen Lauf von den Beinen. Mit voller Wucht stürzt er in eine Wand aus spitzen Dornen, die ihn boshaft durchbohren.

Aus lauter Gewohnheit stößt Sesshomaru einen Schnaufer aus, doch er ist nicht auf Atem angewiesen. Irritiert sitzt er im Rankengestrüpp und hält sich den linken Arm. Er brennt wie Feuer und seine Schulter schmerzt so sehr, dass ihm die Hand zittert. Zudem kommen noch zahlreiche Verletzungen an den Stellen, wo sich die dicken Dornen in sein Fleisch gebohrt haben. Jedoch stellt er erstaunt fest, dass die Wunden sich praktisch sofort wieder schließen, wenn er die Stacheln herauszieht und auch die Schmerzen verblassen rasch. Jedoch die schmerzende Schulter bleibt und sein linker Arm fühlt sich nun ungewöhnlich taub und gefühllos an.

Argwöhnisch rappelt sich der Daiyoukai wieder auf. Ob dies ein unerwähnter Nebeneffekt des seltsamen Keimlings in seiner Brust ist? Doch niemand ist hier, der ihm darüber Antwort geben kann. Also beschließt er seinen Weg fortzusetzen.

Rasch kommt er wieder auf die vorige Geschwindigkeit und mit Leichtigkeit überwindet er Ranken und Dornengeflechte als wären es Farngräser. Sein Arm ist noch immer taub, doch er beschließt es zu ignorieren. Ungehindert strebt er weiter dem Ende der riesigen Schlucht mit ihrer pflanzlichen Bewohnerin zu.

Doch kaum einige Sekunden vergehen, als ihn urplötzlich eine weitere scheußliche Schmerzattacke trifft und ihn äußerst unsanft zu Boden zwingt. Diesmal fühlt es sich an als würde er mitten entzwei gerissen und obwohl er nicht einmal atmen muss, hat er das Gefühl keine Luft mehr zu kriegen. Hilflos japsend liegt er auf dem Rücken und verkrampft wartet er darauf, dass die paralysierenden Schmerzen verebben. Was zum Teufel geht hier wieder vor? Bis auf die paar vernachlässigbaren Schrammen, die ihm sein jüngster Sturz zugefügt hat, kann er keine Verletzung an sich ausmachen.

Auf einmal kommt ihm ein unbequemer Gedanke. Diese Schmerzen hat er schon einmal verspürt, doch das ist schon eine Weile her. Und beide Male war dabei sein Bruder anwesend. Sesshomarus Miene verfinstert sich. Es ist wie eine Erinnerung die aufflammt und wieder verblasst. Diese verdammte Kagebara! Das also hat sie damit gemeint, als sie sagte, sie würde seine Erinnerungen als Mietzoll nehmen. Seine Erwartung, dass sie ihm die unliebsamen Erinnerungen entziehen wird, so dass er sich nicht länger damit befassen muss, ist also hinfällig.

Sein Blick geht hinab zu dem Keimling in seiner Brust. Die grünen Blätter leuchten friedlich vor sich hin. In einem Anflug von Ärger will er ihn schon herausreißen, doch er besinnt sich. Ohne dieses elende Ding, wird er vermutlich dazu verdammt sein für immer hier zu bleiben, wenn sein geschundener Körper den Geist aufgibt, im Sinne des Wortes. Er braucht dieses Abkommen noch, so sehr es ihn auch wurmt.

So würdevoll wie möglich steht er auf. Was macht schon ein bisschen Schmerz, wenn er dadurch seine Mission erfüllen kann. Schmerz hat ihn noch nie von etwas abgehalten. Ein wenig zerknirscht setzt er sich wieder in Bewegung, wenn diesmal auch lieber etwas langsamer. Er möchte vermeiden durch ein neue unerwartete Schmerzattacke wieder aus vollem Lauf zu Boden gestreckt zu werden. Das schadet mit der Zeit seiner Würde. Zwar macht ihn das wieder erheblich langsamer, doch zumindest nicht so langsam wie das Schneckentempo zuvor. So zügig wie er sich erlaubt, klettert er nun über die Ranken die ihm den Weg versperren, immer dem grade eben sichtbaren Ausgang des Canyons zu.

Die nächste Schmerzwelle lässt nicht lange auf sich warten, doch diesmal ist er zumindest vorbereitet. Das verhindert bedauerlicherweise nicht, dass ihm die Knie einknicken und er sich unter Schmerzen zusammenkrümmt, als diesmal sein ganzer Körper sich anfühlt als hätte man ihn mit etwas sehr schwerem und scharfen eine beträchtliche Weile lang bearbeitet.

Als er sich mühsam wieder aufrichtet ist sein Gesicht äußerst angespannt. „Ich hoffe, du hast deinen Spaß“, richtet er grimmig die Worte an die Ranken um ihn herum. „Aufhalten wirst du mich damit nicht.“

Oh, das liegt auch gar nicht in meiner Absicht“, vernimmt er nun die Antwort, doch die Worte scheinen direkt aus seinem eigenen Kopf zu kommen.

Ärgerlich zieht sich sein Gesicht zu. „Du liest schon wieder meine Gedanken, nicht wahr?“, grollt er verstimmt.

Selbstverständlich“, kommt die Antwort, „Und ich muss sagen, das Leid, dass ich hier in deiner Seele finde, ist noch exquisiter als ich es mir vorgestellt habe.“ Die Worte klingen unangenehm vergnügt.

Dem Daiyoukai liegt bereits ein düsteres „Fahr zur Hölle!“ auf den Lippen, doch er besinnt sich und schweigt lieber.

Nichtsdestotrotz antwortet die Stimme darauf. „Das bin ich bereits und glaube mir, wirklich bereut habe ich es nie. Hier gibt s so viel herrliches Elend an dem man sich laben kann.“

„Antworte gefälligst nicht auf das was ich denke!“, fordert Sesshomaru verärgert. Dann setzt er seinen Weg fort.

Verzeih!“, entschuldigt sich die Stimme die eigentlich viel zu euphorisch für Reue klingt. „Was du sagst und was du denkst macht im Augenblick keinen Unterschied für mich.“

„Geh einfach davon aus, dass ich keinerlei Interesse habe mit dir zu reden“, erwidert Sesshomaru säuerlich.

Das weiß ich doch“, meint die Stimme vergnügt. Dann hört man nur noch ein Kichern, das schließlich verstummt.

Brodelnd beschließt der Youkaifürst seinen Weg fortzusetzen. Wenn er dieses Weibsbild je in die Finger bekommt, wird er Kleinholz aus ihr machen und diesmal hofft er sogar, dass sie seine Gedanken liest.

Deinen Bruder würde ich gerne einmal kennen lernen“, vernimmt er urplötzlich wieder die verhasste Stimme hinter seiner Stirn und er zuckt fast schon ein wenig zusammen dabei. „Kaum ein anderer deiner Gegner hat es je geschafft dich immer wieder dermaßen zuzurichten. Muss ein interessanter Bursche sein. So forsch und ungestüm, nicht so ein steifer Spaßverderber wie du.“

Der Daiyoukai ignoriert es, doch die Stimme lässt nicht locker. „Er hat dir den Arm abgeschnitten, nicht wahr? Und ein anderes Mal hat er dich fast mittendurch geschlitzt. Und dabei wusste er nicht einmal was er da tat.“ Der letzte Satz klingt unverhohlen spöttisch.

Stur klettert Sesshomaru weiter, ohne ihren Worten Beachtung zu schenken.

Und erst damals beim Palast des Ostens“, witzelt die Stimme verächtlich weiter, „da hat er dich nach allen Regeln der Kunst niedergemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Ein Lachen erklingt. „Und dabei ist er nur ein Hanyou!“, das Lachen hallt von allen Seiten seiner Schädeldecke wieder.

„Das Wort 'nur' ist bei meinem Bruder nicht angebracht“, murmelt Sesshomaru eisig während er eine weitere Ranke hinter sich lässt.

Oh!“, kommt die geringschätzige Erwiderung. Das Lachen verstummt. „Eine Laudatio des älteren Bruders. Was sagt man dazu? Was für ein Akt wahrer Größe, die eigene Unzulänglichkeit so bereitwillig einzugestehen“, spottet die Stimme.

Nun wird auch Sesshomarus Stimme gehässig. „Alle denken zunächst über ihn wie du. Selbst ich. Wenn man irgendwann seine Stärke akzeptiert, lebt man wesentlich... entspannter.“

Als wäre es dein Wunsch entspannter zu leben“, gibt die Stimme zynisch zurück ohne auf seine Worte weiter einzugehen. „Du hast von jeher versucht deinen Willen durchzusetzen. Dafür schrecktest du auch vor Gewalt nicht zurück. Und einige Male hast du dabei so kläglich versagt, dass es mir eine wahre Freude ist.“

Auf einmal spürt er etwas an seiner Hand. Er blickt hinab und sieht, dass jemand zärtlich seine Hand in die seine gelegt hat. Unwillkürlich zuckt er vor der jungen Rin zurück die so urplötzlich neben ihm aufgetaucht ist. Unwirsch zieht er seine Hand zurück.

„Untersteh dich!“, fordert er erbost.

Doch die Gestalt Rins blickt nur unschuldig zu ihm hoch. „Also, Sesshomaru-sama“, sagt sie sanft, „von mir geht doch nun wirklich keine Gefahr aus. Das solltest du doch wohl wissen. Warum hast du Angst vor mir?“

Angewidert blickt der Daiyoukai auf sie herab. „Du sollst das lassen!“, zischt er böse.

Doch das Mädchen geht gar nicht darauf ein. „Warum hat Inu Yasha-san dich eigentlich damals so zugerichtet?“, fragt sie unbefangen.

Der Inuyoukai beißt die Zähne zusammen. Er gibt sich alle Mühe die Gedanken daran nicht wieder aufleben zu lassen. Wozu ihr neues Futter geben? „Geht dich nichts an!“, faucht er zurück und geht grimmig weiter.

Rin schlendert neben ihm her. Dann als sei ihr das wie beiläufig eingefallen fragt sie: „Oto-san, wo ist eigentlich mein Bruder?“

Sesshomaru erstarrt. Die Haare in seinem Nacken kräuseln sich unbehaglich zusammen bei der Frage.

Aufgebracht fährt er zu ihr herum, doch sogleich sieht er wie die junge Rin die Hand hebt und mit dem Finger hinter ihn zeigt. „Ach, da ist er ja!“

Sesshomaru läuft es kalt den Rücken herunter als er sich zu der angewiesenen Stelle umdreht. Was jetzt? Eine weitere Todesszene? Unwillkürlich weicht ihm bei der Vorstellung die Farbe aus dem Gesicht.

Dann hebt er doch den Blick und seine Augen weiten sich. Das hat er sicher nicht erwartet. In einiger Entfernung sieht er eine hochaufgerichtete Gestalt auf ihn zukommen. Sie ist von drahtiger Statur und trägt eine zweckdienliche Lederrüstung. Die hellgrauen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden und ein Stirnband hält die störrischen Fransen aus dem Gesicht. Leuchtend violette Augen funkeln aus dem jugendlichen Gesicht hervor und dann hebt die Gestalt ihre Hand und winkt ihm mit einem freudigen Lächeln im Gesicht zu, während sie weiter auf die beiden zukommt.

Wie zur Salzsäule erstarrt blickt Sesshomaru der erschreckend vertrauten Gestalt entgegen und ist nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren.

„Tenmaru!“, ertönt es auf einmal freudig neben ihm. Strahlend winkt Rin dem Fremden zu und dann läuft sie los. „Tenmaru, hallo!“

Das Lächeln auf dem Gesicht des Neuankömmlings erhellt sich weiter. „Ah, Rin!“, kommt die erfreute Antwort. Mit einer fröhlichen Miene breitet Tenmaru die Arme aus und das Mädchen wirft sich lachend hinein und wird dann mehrfach ausgelassen herumgeschwungen, ehe er sie auf den Arm nimmt und ein unbeschwertes Lachen ertönt aus seiner Kehle. Begeistert gluckst Rin vor sich hin und liebevoll streichelt der kräftige Youkai über ihre Wange und schenkt ihr ein warmes Lächeln.

Einige Schritt davon entfernt hat Sesshomaru die Szene beobachtete und kein Wort kommt über seine Lippen. Sein Gesicht ist aschfahl und er bringt es nicht fertig den Blick von dem Geschehen abzuwenden. Der Kloß in seiner Kehle lässt sich einfach nicht wegschlucken, sosehr er es auch versucht. Kraftlos steht er da und ein leichtes Zittern bemächtigt sich seiner Unterlippe.

„Du bist wirklich grausam!“, flüstert er kaum hörbar. „Warum zeigst du mir das?“

Sag nicht du hast dir nie vorgestellt wie es vielleicht hätte sein können“, säuselt die Stimme in seinem Kopf versonnen. „Wenn du nicht so unglaublich stolz und dumm gewesen wärst“, fügte sie mit einem süffisanten Nachsatz hinzu.

Nun tritt der junge Mann mit dem Mädchen auf dem Arm an Sesshomaru heran und schenkt ihm ein offenes Lächeln. Keine Spur von Furcht, Hass, Trauer oder Unterwürfigkeit. Nein der Youkai vor ihm scheint die Begegnung mit ihm zu genießen. Und Sesshomaru wird es heiß und kalt bei dieser Vorstellung. Der Knoten in seiner Brust wird immer schmerzhafter.

„Schau mal, Tenmaru“, jubiliert Rin gerade, „Ich hab Vater mitgebracht. Ist er nicht der stärkste und tollste Vater, den man sich vorstellen kann?“

Der grauhaarige Youkai lächelt sanft. „Ja, in der Tat, du hast recht“, bestätigt er und jedes seiner Worte klingt aus tiefstem Herzen aufrichtig.

Sesshomaru schließt die Augen. Er erträgt es nicht länger. Nie zuvor hat er seinen Sohn auf diese Weise lächeln gesehen. Eigentlich hat er ihn überhaupt nicht lächeln gesehen. Und er selbst trägt dafür die Verantwortung. Dennoch besteht gerade kein Zweifel daran, dass dies hier genau so gut auch Realität hätte sein können. In einem anderen Leben. Wenn er sich damals anders entschieden hätte. Wenn er nicht so abgrundtief dumm gewesen wäre, um seinen Stolz vor sein Glück zu setzen. Auf diese Weise so plastisch an seinen Fehler erinnert zu werden ist fast mehr als er ertragen kann.

„Hör sofort auf damit!“, raunt er schwach der Stimme in seinem Inneren zu. „Das genügt.“

Ich fürchte das genügt noch lange nicht“, entgegnet Kagebaras Stimme in ihm.

Urplötzlich verwischt die Szenerie vor seinen Augen und neue Gestalten bilden sich ein Stück entfernt. Es sind zwei und gerade sind sie dabei sich bis aufs Blut zu bekämpfen. Mit diffusen Gefühlen beobachtet der Daiyoukai das Geschehen und sein Unbehagen wächst noch als er erkennt wer da kämpft und wo dies damals stattgefunden hatte. Er selbst kämpft dort mit seinem Sohn und gerade ist er ernsthaft gewillt ihm den Garaus zu machen, was sich jedoch unerwartet schwierig gestaltet.

Angespannt beobachtet er sein jüngeres Ich und nur zu deutlich erkennt er den grimmigen Hass und die irrationale Abscheu in seinem eigenen Gesicht.

„Ich will gar nicht mit Euch kämpfen!“, kommt es drängend von dem Streuner.

„Danach wirst du gar nicht gefragt!“, kommt die unbarmherzige Antwort.

Sesshomaru verfolgt unbehaglich den weiteren Verlauf des Kampfes und wie sein Sohn ihn immer wieder anfleht das Kämpfen einzustellen. Um ihn nicht verletzen zu müssen, wie er jetzt weiß. Der Junge war wirklich außergewöhnlich stark. Selbst im Vollbesitz seiner Kräfte wäre es nicht abzusehen gewesen wie der Kampf ausgegangen wäre, räumt der Youkaifürst nun ein. Doch das war ihm in diesem Moment völlig egal gewesen. Alles was er wollte, war sein Blut sehen. Für eine Demütigung die er nicht verursacht hatte, und die letztlich auch gar keine gewesen war.

Gerade hat der jüngere Sesshomaru Tenmaru zu Boden geschleudert. „Du wirst mich nicht besiegen! Du bist nur ein Streuner, du stehst unendlich weit unter mir! Dein Tod ist beschlossen! Wofür kämpfst du also noch? Für die Ehre? Oder vielleicht für ihn?“ Der verächtliche Blick galt Inu Yasha, erinnert sich Sesshomaru.

„Du stehst nicht mehr in seinem Dienst! Du schuldest ihm nichts!“

„Das mag stimmen!“, gibt Tenmaru entschlossen zurück, „Aber ich tue es trotzdem! Nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will!“

Der kämpfende Daiyoukai schnauft hörbar auf. „Das ist so unglaublich lächerlich! Was kann er dir schon bedeuten? Du bist von deinem Schwur befreit, also warum hältst du immer noch zu ihm?“

Mit steinerner Miene schaut Tenmaru ihn an: „Aus dem gleichen Grund, weshalb Ihr mich so hasst!“

Reglos beobachtet Sesshomaru wie sein jüngeres Selbst seinen unehelichen Sohn für diese Antwort schonungslos zur Strecke bringen will. „Ich war ein solcher Narr!“, stellt er bei sich fest. „Es war, weil er zur Familie gehörte. Der einzigen ihm verbliebenen Familie. Deshalb hat er ihn auch nicht auf mein Angebot hin getötet. Er schwor unserer... seiner Familie Treue. Wie hätte er dann Inu Yasha verraten können? Er war doch alles was er noch hatte. Der einzige Verwandte der ihn zumindest ein wenig akzeptiert hat. Der einzige...“ Er bricht ab.

Allmählich nähert sich der Kampf seinem Höhepunkt. „Hast du noch immer nicht genug?“, kommt es tödlich vom jüngeren Sesshomaru.

„Nicht bevor Ihr genug hattet!“, kommt es grimmig von Tenmaru zurück.

„Vorlauter Bengel!“, mit diese Wutausbruch schlitzt der Daiyoukai seinem Sohn gnadenlos die Brust auf und dieser bricht zusammen.

Sesshomaru senkt den Blick. Warum nur hat er sich von dieser kleinen Dreistigkeit nur so aus der Ruhe bringen lassen. Wäre er unverletzt gewesen, wer weiß, vielleicht hätte er dann den Angriff der Miko überlebt.

Er war nicht dreist“, raunt die warme Stimme. „Er war sich nur im Klaren darüber, dass dieser Kampf niemals zu ende sein würde, ehe du nicht deine Wut zur genüge an ihm ausgelassen hättest. Er gab dir einmal mehr die Erlaubnis mit ihm zu verfahren wie und solang es dir beliebte. Und niemals hätte er zugelassen, dass du ihm unterliegst.

Sesshomaru beißt hart die Kiefer aufeinander. „Halt den Mund!“, schreit er. Wie gern würde er diese elende Youkai jetzt mit seinen eigenen Händen erwürgen.

Das Bild verblasst.

Unvermittelt setzt sich Sesshomaru nun wieder in Bewegung. Es ist ihm egal, dass er Vorsicht walten lassen sollte. Er will nur noch weg von hier. Er ist sicher, hätte er einen Pulsschlag würde er gerade laut und heftig rasen. Immer schneller werden seine Schritte und fast schon fliegt er über die Landschaft dahin.

Oh, warum auf einmal so eilig, Sesshomaru?“, gurrt die Stimme in seinem Kopf boshaft. „Gefällt es dir etwa nicht bei mir?“

Nur einen Wimpernschlag später lässt ihn ein heftiger Sturz seine Ungeduld bereuen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wälzt er sich am Boden und hält sich den Fuß. Da ist es wieder, das scheußliche Brennen, dass ihm Hören und Sehen vergehen lässt und ihm suggeriert, dass sämtliches Fleisch in Flamen von seinen Knochen abtropft.

So einfach lass ich dich nicht weg!“, Kagebaras Stimme hat nun jeglichen Humor verloren. „Du nährst mich so wunderbar! Wie erfreulich, dass du sogar im Flammenfluss gewesen bist. Du würdest dich wundern wie selten ich diese Art von Schmerzen bisher genießen konnte. Die meisten sterben allein schon an der Qual und der Rest verfällt dem Wahnsinn und gelangt nie zu mir. Du bist ein wahrer Glücksgriff. Das Kokorokaji macht es mir noch viel leichter deine Erinnerungen abzurufen.“

Schweißgebadet beißt Sesshomaru die Zähne zusammen. Die Schmerzen sind nahezu unerträglich und auch die Tatsache dies schon vorher erlitten zu haben, macht es in keinster Weise angenehmer. Wieder flackern Bilder vor seinem inneren Auge auf. Es sind die selben Bilder wie beim letzten Mal. Er sieht seinen Sohn. Kurz bevor er geläutert wird. Er hört die aufrichtig wohlwollenden Worte und den Stolz in seiner Stimme als er schließlich wagt ihn Vater zu nennen. Und immer wieder durchlebt er die Gefühle die ihn bei diesem Erlebnis begleitet haben. Die Verachtung und die Erinnerung an die Demütigung seiner Mutter und den Schwur der ihm untersagte ihn anzuerkennen. Und erneut hört er sich die Argumente aufsagen, die ihn in seinem Entschluss bekräftigen. Fast schon verzweifelt sagt er sie innerlich auf. Nur jetzt nicht das Gesicht verlieren. Nicht jetzt! Bis es dann schließlich für immer zu spät ist. Das bodenlose Loch, dass sich dabei unter ihm auftut, wird notdürftig geflickt mit Statuten, Traditionen, Ausreden und Ignoranz, was ihm bisher doch immer so gute Dienste geleistet hat.

Und dann kommt er! Inu Yasha! Er lässt ihm nichts davon durchgehen. Er widerlegt jedes Argument, das er sich zurechtgebastelt hat. Er zerschmettert jeden Schutzwall. Er schreit, er schimpft, er droht, er schickt ihm all seinen Zorn und all seine Verachtung, solange bis ihm bewusst wird, dass es seine eigene ist. Und plötzlich ist da nichts mehr was ihn vor dem Fall in das Loch bewahren kann.

„Kein Vater lässt sein Kind im Stich!“

Doch, genau das hat er getan. Er verabscheut sich selbst so sehr, dass es ihn würgt. Und es gibt nichts mehr was er dagegen tun kann. Sein Sohn, sein unehelicher Sohn von dem er bis vor kurzem noch nicht einmal etwas wusste, das Kind mit Ihr, ist tot!

Sie ist ebenfalls tot. Sie starb weit weg von ihm. Sie hatte ihn verraten, und doch hatte er sie so sehr geliebt. So sehr! Warum konnte er nicht einfach dankbar sein, dass etwas von ihr geblieben war? Etwas das ihr so ähnlich war und so unglaublich... wertvoll und annehmbar in seiner ganzen Art. Warum nur hatte er diesen Schwur geleistet? Warum musste er es schwören? Warum nur?

Ich weiß es“, säuselt es mit triumphaler Genüsslichkeit in seinem Kopf.

Nein! Er will es nicht hören! Mit einem Ruck setzt er sich auf. Seine Augen glühen gefährlich rot.

„Wage es ja nicht!“, grollt er zähnefletschend.

Was soll ich nicht sagen?“, lacht Kagebara verspielt.

„Du weißt ganz genau wovon ich spreche!“, schreit der Daiyoukai wild. „Noch ein Wort von dir und unser Abkommen endet auf der Stelle!“

Urplötzlich schiebt sich aus dem Rankengestrüpp vor ihm eine große Kugel aus dornenbesetzten Trieben und Sesshomaru erkennt in ihr den Kokon der seinen sterblichen Körper beinhaltet.

Aber, aber!“, ermahnt Kagebaras Stimme ihn tadelnd. „Dein Körper ist noch längst nicht wieder hergestellt. Er ist gerade mal eben über den Berg. Ich fürchte du wirst noch eine Weile mitspielen müssen.“

„Das ist kein Spiel für mich!“, entgegnet Sesshomaru mit Grabeskälte. „Kein Tod der Welt kann so grausam sein, wie das was du mit mir anstellst.“

Oh, bitte!“, erwidert Kagebara geringschätzig. „Du solltest dich mal hören! Du bist nur ein kleiner Youkai gemessen an den Kreaturen die mir Zeit meines Lebens schon untergekommen sind. Willst du wirklich das kümmerliche Elend deiner armseligen Existenz schwerer wiegen lassen, als das all der Wesen, denen du bisher schon Leid angetan hast? Wie unglaublich anmaßend von dir!“

„Du hast recht!“, nun liegt auf Sesshomarus Gesicht ein beunruhigendes Lächeln. „Nichts ist anmaßender, egoistischer und hartnäckiger als ein Wesen mit Gefühlen.“

Hast du deshalb geschworen deinen Sohn niemals anzuerkennen und deine Geliebte mit eigenen Händen zu töten“, gibt nun Kagebara genüsslich zurück, „weil du dir nie völlig sicher warst ob deine Gefühle echt waren oder nur von ihrem verlockenden Duft herrührten?“

Ein scharfer Ruck geht durch Sesshomarus Gestalt der ihn sich zusammenkrümmen lässt. Er ballt krampfartig die Fäuste und fletscht die Zähne. Dann mit einer entschlossenen Bewegung geht seine Hand zu seiner Brust.

Was tust du?“, fragt Kagebara alarmiert.

Die Hand des Daiyoukais umschließt die glimmenden Keimblättchen.

Nein, lass das! Du wirst sterben!“, ruft sie aufgebracht.

Grimmig packt er die Blättchen fester.

Nein! Aufhören! Fass sie nicht an!“

Mit einem gequälten Aufschrei und einem kräftigen Ruck reißt er sich die Pflanze aus der Brust, deren inzwischen beträchtliches Wurzelwerk hellgelb leuchtet.

Nein!“, Kagebaras panischer Schrei gellt durch den ganzen Canyon.

Wütend schleudert Sesshomaru die Pflanze auf den Boden vor sich. Und dann geschehen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Ranken um ihn herum fangen an wild und unberechenbar umherzuschwingen, Ein wütendes Zischen ist zu hören und im gleichen Moment kommt es Sesshomaru vor als hätte jemand mit einer schweren Keule gegen seinen Brustkorb geschlagen. Die Beine knicken ihm ein und er findet sich auf Knien wieder. Ein weiterer Schlag raubt ihm den Atem und bei dem dritten heftigen Schlag der ihn mit ausgestreckten Händen zu Boden zwingt, realisiert er, dass dies sein Herzschlag ist, der wieder in Gang kommt. Wieder bildet sich ein enormer Druck auf seiner Brust und er ringt heftig um Luft.

Dann plötzlich spürt er erneut ein Reißen in seiner Nabelgegend und mit zunehmender Geschwindigkeit stürzt er auf den dicht umwucherten Rankenkokon zu und verschwindet darin. Dann plötzlich ist alles um ihn dunkel und so still als hätte es nie Geräusche gegeben. Die Stille hält eine gefühlte Ewigkeit an, bis ein unregelmäßiges aber beständiges Pochen ihn aus seiner Taubheit herausholt.

Mühsam hebt er die Lider. Um ihn her ist alles schwarz. Es dauert eine weitere ganze Weile bis ein zunehmender Schmerz in seiner Brust ihn daran erinnert, dass sein Körper auch atmen muss. Er tut einen ersten Zug und sofort strömt muffige warme Luft in seine Lungen, doch für seinen geschundenen Körper ist es eine wahre Wohltat. Nach ein paar weiteren Zügen wird er sich wieder darüber bewusst wo er sich befindet. Gerade stellt er fest wie die ihn umgebenden Ranken sich enger um ihn schnüren. Doch mit zunehmendem Bewusstsein kommt auch die Erinnerung wieder und mit der Erinnerung kommt der Hass und der Selbsterhaltungstrieb.

Wie er sich gewahr wird, hält seine Hand noch immer den Griff seines Schwertes umschlossen und mit einer einzigen wütenden Kraftanstrengung schlitzt er den Pflanzenkokon um ihn herum der Länge nach auf.

Ein wütendes Heulen ist um ihn her zu vernehmen als er schwerfällig auf den harten Boden vor sich purzelt. Zittrig rappelt er sich auf. Das enorme Gewicht seines Körpers ist zurückgekehrt und will ihm kaum gestatten auch nur den Kopf zu heben.

„Du törichter Idiot!“, faucht die Stimme Kagebaras um ihn her und dann wölbt sich die Pflanzendämonin aus einem Pulk aus dornigen Ästen hervor. Sie zittert regelrecht vor Wut. „Du trittst also mein Angebot mit Füßen?“, sie schnaubt verächtlich auf. „Ich hätte dich wirklich für klüger gehalten. Dir sollte klar sein, dass dein Körper kaum Zeit hatte sich zu regenerieren. Du bist nur noch einen Schritt vom Tod entfernt, du dummer Narr! Aber offenbar ziehst du es wirklich vor zu sterben.“

Nun hebt Sesshomaru den Kopf und ein rotes Glühen liegt in seinen Augen. Seine Zähne sind gefletscht und lange Reißzähne schieben sich unter seinen Lippen hervor. Mit einem unbeholfenen Ruck kommt er wieder auf die Füße, doch nun hat er Bakusaiga gefährlich zum Schlag erhoben und die Klinge schimmert beängstigend. Ein unheilverkündenes Grinsen liegt auf Sesshomarus Gesicht als er zischt: „Einen Schritt vom Tod entfernt ist mehr als ich brauche!“ Und dann mit einem Wutschrei der in ein wildes Grollen übergeht, lässt er seine Waffe niedersausen, direkt auf die ihm nächstgelegene Ranke und im selben Moment wo sich die enormen Energien des Schwertes in dem Gestrüpp aus Dornen fortsetzen, ist ein spitzer gepeinigter Schrei im Canyon zu hören, der einem durch Mark und Bein geht.

Doch der gebeutelte Daiyoukai gibt nicht nach. Jeden Augenblick der vergeht, leitet er mit der vernichtenden Energie auch all seinen Hass und seine Verzweiflung in seine Waffe, unbewusst dankbar dafür ein Ventil für all die peinigenden Gefühle zu haben, und kein Ende ist in Sicht.

Die Vernichtung breitet sich immer schneller und weiter in den Ranken aus und nach und nach scheint die gesamte Schlucht in ein grelles, gelbgleißendes Licht getaucht zu sein, aus dem, ausgehend vom Epizentrum der Zerstörung, die zerfetzten Holzsplitter und Äste nur noch wild durch die Gegend fliegen und in den unbändigen Energien Bakusaigas letztendlich zu Staub zermahlen werden. Über all dem gellt ein schauriger, spitzer Schrei der langsam aber zunehmend verklingt und letztlich ganz verstummt.

Das ganze Geschehen dauert kaum drei Minuten, bis sich die Vernichtung bis in die hintersten Winkel des Tals ausgebreitet hat und ein paar weitere lange Augenblicke vergehen bis das Licht verblasst und der Staub sich allmählich wieder lichtet. Im gesamten Canyon herrscht nun Stille. Kein Laut ist zu vernehmen, nicht einmal der Wind weht um die scharfen Kanten der nun freigeräumten Wege des Schluchtenlabyrinthes.

Das einzige Geräusch, das man vernimmt ist das krampfhafte Keuchen einer Person, der stoßweise der Atem entweicht und bei der sich mit jedem Ausatmen ein verzweifeltes Wimmern seinen Weg bahnt.

Sesshomaru liegt auf dem Bauch, den Oberkörper auf die Unterarme gestützt und lässt kraftlos den Kopf hängen. Schwer ringt er um seine Fassung, doch er kann einfach nicht beeinflussen welche Geräusche sich aus seiner Kehle herauswinden, während er nach Luft schnappt. Dies hier ist wahrlich die Hölle, denkt er, daran besteht kein Zweifel mehr. Wo sonst ist es möglich ihn physisch und psychisch dermaßen an seine Grenzen zu bringen? Dies hier ist alles so demütigend untypisch für ihn und trotzdem ist er offensichtlich nicht in der Lage sich seines Standes angemessen zu verhalten. Im Gegenteil, er kommt sich klein, schwach und zerschunden vor. Zwar scheint ein Großteil seiner Verletzungen notdürftig verheilt zu sein, doch noch immer strahlen Wellen der Schmerzen von jedem Bruch, jeder Prellung und jeder Biss- oder Schnittwunde aus, als wollten sie ihm verwehren je wieder aufzustehen.

Doch das ist nichts im Vergleich zu den Qualen die ihm seine Erinnerungen nun bereiten. Er hatte zumindest teilweise wieder vergessen können, was er damals empfunden hatte. Er hatte sich so sehr bemüht, es zu verdrängen. Doch nun sind die Schuldgefühle zurück und die Trauer über den Verlust. Diese elende Kagebara hat alle alten Wunden wieder aufgerissen und darin herumgerührt zu ihrem eigenen köstlichen Vergnügen. Warum musste sie ihn daran erinnern, dass er sich auch hinterher noch regelmäßig fragte, ob das Ganze wirklich diese Gefühle auch wert waren? War es denn wirklich Liebe gewesen? War seine Verbundenheit zu ihr je wirklich echt? Oder waren es doch nur ihre Pheromone? Allein diese Frage war es, die ihn bisher davon abgehalten hatte, diese Reise schon früher anzutreten, denn wie sollte es schließlich weitergehen, wenn es wirklich nur eine lockstoffbedingte Vernarrtheit gewesen war? Niemals wieder könnte er sich von dieser Demütigung erholen. Es würde ihn vernichten.

Doch hier ist er nun. Bereit sich dieser Frage zu stellen. Aber ist er wirklich bereit dazu? Was wenn er ihr hier begegnet, oder Ihm? Wie soll er seinem Sohn je unter die Augen treten können, nach allem was war? Und dennoch ist genau das sein Ziel hier. Sesshomaru schließt matt die Augen. Noch vor kurzem war er sich seiner Sache so sicher. Doch all seine Entschlossenheit, seine Würde und seine Gewissenhaftigkeit mit der er sich zuvor noch dafür gewappnet hatte, ist nun verschwunden und zurück bleibt nur ein Häufchen Elend. Oder?

Es vergeht eine halbe Ewigkeit bis er seinen Atem wieder unter Kontrolle hat und noch einmal so lange bis er es fertigbringt seinen Körper wieder in die Senkrechte zu befördern. Welchen Sinn hat es, jetzt noch aufzugeben? Er wird diesen Weg weitergehen müssen, bis zu seinem bitteren Ende, denn dies ist nun mal sein Weg und sein Ziel und es führt nun mal kein Weg daran vorbei.

Schwerfällig blickt er sich um. Von seiner Gegnerin ist keine Spur mehr zu sehen. Der gesamte Canyon ist wie leergefegt. Wie angenehm, keine weiteren Hindernisse mehr, denkt der Daiyoukai noch flüchtig. Dann setzt er sich wieder in Bewegung und mit mühseligen Schritten torkelt er dem Ausgang der Schlucht entgegen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yvibel
2021-07-08T19:44:31+00:00 08.07.2021 21:44
Und nochmal ein ganzes Kapitel mit unserem Lieblingsdämon. :)
Das war dieses mal aber recht heftig, für mich jedenfalls. So ein bisschen Gefühlskarussell. XD
Ich musste tatsächlich weinen und dann wieder lachen und dann war ich kurz erschrocken und dann erleichtert und dann wieder besorgt und natürlich auch gespannt und neugierig. Da war irgendwie alles drin. Wirklich sehr schön. Das ist es doch, was gute Geschichten ausmacht, wenn man alles mitfühlt. Da steckt Herz drin. Der arme Sesshomaru muss ja wirklich ne Menge wegstecken. Aber wie heißt es so schön: Was einen nicht umbringt, macht einen nur stärker. Und wenn er das übersteht, dann wird er vielleicht nicht nur körperlich stärker, sondern auch seelisch. Er wird es sicher schaffen! Trotzdem eine etwas erschreckende Vorstellung, dass auch Sesshomaru tatsächlich sterblich ist und schon kurze Zeit tot war. Es wirkt einfach nicht so, als könnte er jemals sterben. Okay, jetzt lebt er wieder und das bleibt hoffentlich auch so. Mal schauen, womit er sich als nächstes rumschlagen darf. Das war ja bestimmt noch nicht alles. Und was Inuyasha inzwischen macht.

Grüßle Yvi
Von:  Hotepneith
2021-02-23T16:50:26+00:00 23.02.2021 17:50
Du nimmst ihn wirklich hart her. "Der gebeutelte Daiyoukai", was für ein Zitat.
Andererseits schadet es ihm auch nicht mal den Spiegel vorgehalten zu bekomen, schliesslich kann man sich durch lernen udn Selbsterkenntnis auch verbessern....
 
 
hotep


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