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Something To Remember

von

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Prolog

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

The Starting Point Of A New Revolution

3.47 Uhr
 

„Irgendwelche Zwischenfälle?“, ertönte eine vertraute Stimme. Himchan, die rechte Hand seines Vorgesetzten, zweifelte zu keinem Zeitpunkt an der erfolgreichen Durchsetzung eines Auftrages.
 

Seine Frage war lediglich obligatorische Routine, um den Papierkram erledigen zu können.
 

„Keine Zeugen, um die Leiche kümmert sich die Polizei... oder die Hunde.“
 

Himchan nickte und klopfte ihm im vorbeigehen kurz anerkennend auf die Schulter und verschwand in einem der Nebenräume, in welchem sich die meiste Zeit über ihr ranghöchstes Mitglied, Bang Yongguk, befand.
 

Außer ihnen befand sich noch ihr jüngstes Mitglied im Haus, was leicht an der lauten Musik und den blinkenden Farben zu erkennen war, welche aus einem großen Hinterzimmer drangen. Zelo, wie er sich selbst nennen ließ, lebte seinen Beruf als Hacker mit aller Bereitschaft und Hingabe aus.

Zufrieden mit den Erlebnissen des Tages ließ er sich auf das abgenutzte Sofa fallen und entledigte sich seiner Maske sowie Kapuze.
 

Ein Blick auf die Uhr offenbarte dem jungen Mann, dass es bereits kurz vor vier Uhr morgens war. Die Truppe würde bald vollständig werden, wenn auch die letzten beiden Mitglieder nach erledigter Arbeit eintreffen würde. Vermutlich kurz vor ihrer angesetzten Besprechung, welche in etwas mehr als drei Stunden stattfinden sollte. Gerade genug Zeit dafür, die Augen zu schließen und ihnen nach 54 Stunden harter Arbeit eine kleine Pause zu gönnen.
 

„Yongguk, Jongup ist zurück. Der Auftrag wurde ohne Vorfälle abgeschlossen.“, berichtete Himchan der Person, für die er sein Leben ohne zu Zögern riskieren würde.
 

Nicht ohne Grund vertrauten sich die beiden ältesten Kameraden ohne Zweifel oder Rückfragen. Sie teilten eine Vergangenheit. Eine Vergangenheit aus Schmerz und Verlust, die selbst den anderen vier Beteiligten nicht zur Gänze bekannt war. Die Gedanken an das, was er und sein engster Freund durchgestanden haben, erfüllen sein Herz gleichermaßen mit tiefem Schmerz und Stolz auf das, was sie daraus aufgebaut hatten.
 

Vor vielen Jahren wurden die beiden, damals erst Siebenjährigen, in eine Tragödie verwickelt, die in ihrem ersten Mord endete und ihr Leben für immer auf den Kopf stellte.
 

Bereits im Kindergarten hatte sich eine starke Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, die auf Ähnlichkeiten in ihrem Leben aufgebaut war. Keiner der zuständigen Erzieher schien auf die Zeichen der Misshandlung zu reagieren, die beide Kinder zu auffällig zierten, als dass man denken könnte, sie hätten es wirklich nicht bemerkt. Die anderen Kinder mieden sie, lediglich der jeweils andere bot eine helfende Hand und Rückendeckung wenn es brenzlig wurde. Besonders in dieser einen Nacht.
 

„Sehr gut.“ riss ihn Yongguk aus seinen Gedanken, „Da Youngjae und Daehyun noch nicht zurück sind – könntest du?“
 

Der Ältere deutete auf eine der Taschen, die sich auf dem Boden stapelten.
 

Himchan kannte die Gestik bereits zu gut, um an der Bedeutung des halb ausgesprochenen Satzes zu zweifeln. Kurz überlegte er, ob er den Job nicht an Jongup abtreten könnte, besann sich dann des Besseren. Der Anführer ihrer Gruppe hatte sich mit Bedacht mit seiner Bitte an ihn gewandt. Auch wenn er es nicht zeigen würde, so ist dem stillen Mann durchaus bewusst, wie hart jedes Mitglied arbeitete und dass Jongup ins Besondere eine Pause brauchte, um wieder etwas zu Kräften zu kommen. Die Aufträge hatten sich in den letzten Tagen nur so gestapelt und ein Scharfschütze war für diese Erledigungen am vorteilhaftesten. Keines der anderen Mitglieder konnte so flexibel und schnell arbeiten. Dies hatte zum Preis, dass sich Jongup überarbeitete und obwohl niemand daran zweifelte, dass er, unabhängig seiner Erschöpfung, nur die besten Ergebnisse lieferte, wussten sie nur zu gut, dass auch ein Jongup keine Maschine war und früher oder später an seine Grenzen stoßen musste. Kurz gesagt: Er sorgte sich um seine Kameraden, konnte aber zu diesem Zeitpunkt kein Risiko eingehen, weshalb Himchan die beste Wahl für diesen Auftrag darstellte.
 

„Gut, wie immer Fach 12? Wenn ich sofort starte schaffe ich es bis zur Besprechung.“
 

Ein Nicken bestätigte ihm seine Aufgabe. Himchan warf sich die ausgefranste blaue Tasche über die Schulter und verabschiedete sich von seinem Freund, welcher bereits das verschlüsselte Chatprogramm aufrief, mit welchem sie mit ihren Auftraggebern in Kontakt treten konnten.
 

Gerade als die Tür noch einen Spalt geöffnet war, vernahm er ein leises aber festes: „Pass auf dich auf.“
 

Lächelnd drehte sich Himchan um und durchquerte den Raum, in dem sich ein schlafender Jongup befand. Er kam nicht umher noch einmal kurz bei zu drehen und dem Jungen vorsichtig eine Decke auf den Körper zu legen.
 

>Das Ziel wurde ausgelöscht.<, tippte Yongguk in das gesicherte Chatprogramm und blickte noch einmal Richtung Tür.
 

War es die richtige Entscheidung gewesen, Himchan alleine losziehen zu lassen? Der Yongsan-gu-Bezirk ist um diese Zeit auch für einen erfahrenen Killer, wie Himchan es ist, eine hohe Gefahrenquelle. Auch wenn jedes der Mitglieder einen hohen Wert auf Anonymität, Sicherheit und Diskretion legte, blieb es unvermeidbar auf Dauer nicht in Konflikte mit anderen Gruppen zu geraten, gerade wenn man vitale Informationen besagter Gruppen an Dritte weiterleitete oder unter ihren Reihen verdeckt agierte. Yongguk hatte ein ungutes Gefühl.
 

>Gut gemacht, Blackman, wie zu erwarten. Meine Männer kümmern sich um die Spuren. Die Bezahlung wartet bereits.<, kam die schnelle Antwort des Mannes, der sich JR nennen ließ.
 

>Bezüglich der bevorstehenden Aktion; es gibt eine unvorhergesehene Änderung.<
 

Yongguk blickte überrascht auf den Bildschirm. Eine unvorhergesehene Änderung? Der große Auftrag sollte bereits in sieben Tagen stattfinden, der Plan war bis in jedes Detail ausgearbeitet und die ersten Vorkehrungen liefen bereits. Jede noch so geringfügige Umarbeitung könnte das gesamte Vorhaben gefährden; und damit das Leben jedes Beteiligten.
 

>Meiner Truppe wurde ein neues Mitglied zugeteilt, eure Sicherheit kann nicht mehr zu 100% garantiert werden. Interne Überprüfungen laufen. Zelo, euer Hacker, soll einen Hintergrundcheck für die Nummer DYB18051988 laufen lassen und seine Ergebnisse mit Ren abgleichen.<
 

Der Ältere biss sich auf die Unterlippe ehe er >Verstanden.< eingab und das Programm schloss. Die Nachricht des Kriminalhauptkommissars war in höchstem Maße besorgniserregend, ein unbekannter Faktor hatte sich in das Vorhaben eingeschlichen und könnte das Kartenhaus erschüttern.
 

Junhong bemerkte das Klopfen an der Tür zuerst nicht und erst nachdem sein Vorgesetzter den Raum betrat und sich räusperte zog er sich sein Headset von den Ohren und blickte zwischen seinen vielen Monitoren in Richtung Tür.
 

„Boss, was gibt es?“, freundlich lächelnd grüßte er den Eindringling, welcher ihm ein Blatt auf den Tisch legte.
 

„Wir müssen diese Person überprüfen, es betrifft den großen Auftrag in einer Woche. Es ist dringend.“
 

„Den großen Auftrag?“, überrascht hob der Jüngste der Gruppe eine Augenbraue und las sich die spärlichen Informationen, die der Zettel preisgab, durch, „Ein neues Gesicht unter unseren Verbündeten oder ein potenzieller Spitzel?“
 

„Das gilt es herauszufinden. Sprich dich bitte mit Ren ab und bereite die wichtigsten Fakten bis zu unserer Lagebesprechung vor.“
 

„Aye aye, Sir, wird erledigt.“
 

„Bevor ich es vergesse“, Yongguk blickte ihn über die Schulter hinweg an, „du bist dir weiterhin sicher, dass unsere Sicherheitsmaßnahmen – besonders beziehe ich mich hier auf unsere Erkennungsmethode an der Tür – ausreichend sind? Wir können uns keine Fehler leisten.“
 

Beleidigt verzog der junge Hacker sein Gesicht. Natürlich verstand er, warum der Anführer bei allem eine mehrfache Absicherung wollte, schließlich hatte eine Gruppe Attentäter nicht die ganze Welt als Freund, aber manchmal fühlte es sich dennoch so an, als würde ihm nicht genug Vertrauen in seine Beurteilungsfähigkeit zugesprochen werden.
 

„Würde ich auch nur im Geringsten daran zweifeln, dass unsere Sicherheit vollständig garantiert ist, hätte ich bereits Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das Problem zu beheben. Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass dieses alte Ding seine Vorzüge hinter seiner abgenutzten Fassade hat.“
 

Yongguk nickte kurz und verließ anschließend den Raum. Er vertraute jedem seiner Mitglieder und würde auch für jedes ins Grab steigen.
 

„Na, dann schauen wir mal was wir über diesen 'Taeyang' in Erfahrung bringen können.“
 

Um Zeit zu sparen verzichtete Zelo darauf, die Polizeidatenbank zu überprüfen, die dort angegebenen Informationen würde er später ohnehin von Ren erhalten, und machte sich direkt an die tieferen Ebenen des Netzes. Sollte diese Person in irgendwelche dreckigen Geschäfte verwickelt gewesen sein, so würde er es hier herausfinden.

Be Aware Of The Corrupt Truth

4.03 Uhr
 

„So, Lucien, was genau ist dieses Angebot von dem du eben sprachst?“, der Mann war am Ende seiner Vierziger und trug den vermutlich hässlichsten Anzug, der je eine Schneiderei verlassen durfte.
 

Dass er versuchte, seine Halbglatze mit einem schlecht sitzenden Toupet zu verdecken, unterschrieb, was seine hängenden Wangen nach einem Facelifting vertuschen sollten; dieser Mann hatte einiges in seinem Leben gesehen und es hatte ihn mindestens so sehr mitgenommen, wie einen Kriegsveteran, der seine sterbenden Kameraden in den Armen hielt.
 

Nur, dass er es besser wusste.
 

Dieser Mann war keine Respektsperson, nicht einmal eine Schabe würde diesem menschlichen Abfall freiwillig in den Essensresten wühlen, ihn gar betrachten wollen. Er war Abschaum der schlimmsten Sorte, dessen größte Sorge es war, nicht rechtzeitig zu seiner Lieblingssendung zu Hause zu sein. Es war keine Schande, dass er wohl nie wieder irgendeine Sendung verfolgen können würde, geschweige denn, dieses Lokal verlassen wird, dachte sich der Informationsmann, der sich als Lucien vorgestellt hatte. Er blickte von seinem Getränk auf und sah direkt in die stahlgrauen Augen seines Gegenübers. Sie waren gefüllt von höhnischer Überlegenheit und Selbstgefälligkeit, die Augen eines Menschen, der sich für unantastbar hielt.
 

„Nachdem ich von Ihrer kleinen... Sammlung hörte kam ich nicht umher darüber nachzudenken, wie gut einige meiner Schmuckstücke in Ihre Kollektion passen würden.“, seine Miene verriet nichts von der innerlichen Übelkeit, die sich anbahnte bei dem Gedanken daran, um was die beiden hier verhandelten.
 

Der Ältere grunzte wie ein gequältes Schwein und erwiderte mit aufgesetztem Lächeln, welches man nicht als solchen erkennen konnte, da seine Wangenfalten weiterhin grimmig nach unten verzogen waren: „Wenn deine Objekte so einen Wert haben, wieso willst du sie dann verkaufen? Auch noch zu so einem Spottpreis? Das ist eine Beleidigung!“
 

„Das liegt daran, dass ich weniger an dem Geld interessiert bin und eher an etwas anderem. Der Preis ist lediglich eine Art Ausgleich für unsere Leistungen. Zumal ich schon bald das Land verlassen werde und kein unnötiges Gepäck gebrauchen kann. Sie erscheinen mir wie der perfekte Abnehmer in dieser Angelegenheit, wenn ich Ihrem Freund, Herrn Lim, vertrauen kann.“
 

Die Wangen des Angesprochenen verfärbten sich in ein fleckiges Rot, als dieser geschmeichelt antwortet: „Jahaa, da bist du an der richtigen Adresse bei mir! Aber sag, was ist diese andere Währung, die du erwähnt hast.“
 

Lucien musste ein spöttisches Grinsen unterdrücken; wie einfach es doch immer wieder war, jemandem mit ein paar Worten ausreichend zu bearbeiten, sodass dieser sich in seiner Gegenwart in falscher Sicherheit wägte. Eine überzeugende Mischung aus einem unschuldigen, aber seriösem Auftreten gepaart mit Erfahrung und Wortgewandtheit konnte Welten verändern.
 

„Informationen.“
 

Sein Gegenüber begann erneut zu glucksen und beugte sich leicht nach vorn: „Habe ich es mir nicht fast schon gedacht. Hör zu, du bist mir wirklich sympathisch, deshalb höre ich mir dein Angebot in Gänze an und entscheide mich im Anschluss, ob wir auf einen Nenner kommen. Noch ein Glas?“
 

Als Rückmeldung erhielt er ein selbstzufriedenes Nicken, dessen Ursprung ihm schon bald bewusst werden würde.
 

„Was sagtest du noch gleich? 14% Vol.? Aus Italien von deiner entfernten Verwandtschaft?“
 

„Exakt.“
 

„Dann sollten wir den lumpigen Wein durch diesen ersetzten.“
 

Der Mann verteilte das Getränk auf beide Gläser. Sie sprachen einen Trost und setzten das Glas an ihre Lippen an. Konzentriert blickte der Jüngere auf das Glas seines Opponenten, zweifelte schon beinahe an dessen Geisteskraft, als er lächelnd das Trinkgefäß etwas senkte: „Du verstehst doch sicherlich, dass ich dich bitten muss, den ersten Schluck zu nehmen?“
 

„Ich bin gekränkt, habe ich meine Vertrauenswürdigkeit denn nicht bereits bewiesen, als ich mich unbewaffnet in eine Ihrer Lokalitäten begeben habe? Sollte Ihnen auch nur eine Kleinigkeit fehlen, würden mich Ihre zahlreichen Leibwächter in Stücke reißen.“
 

„Das mag stimmen, aber wer garantiert mir, dass dir dein Leben etwas bedeutet und du nicht wie einer dieser Selbstmordattentäter, mit Bomben um den eigenen Bauch gebunden, bist und noch versuchst, möglichst viele Seelen mit dir ins Verderben zu stürzen?“
 

Erstaunt fing nun auch Lucien leicht an zu kichern, beinahe hatte er schon befürchtet, dieser Auftrag würde ihn womöglich langweilen und sich unter seinen normalen Ansprüchen befinden. Wobei seinem Gesprächspartner sein Logikfehler nicht auszufallen schien; sollte ihm sein Leben nichts bedeuten und würde er ohnehin damit rechnen, hier und heute zu sterben, so könnte er genauso gut vergifteten Wein trinken. Da er allerdings nicht darauf aus war, sich selbst ins Fleisch zu schneiden, schwieg er diesbezüglich und hoffte nur, dass der andere sich damit zufriedengeben würde, dass er seiner Aufforderung nachkam.
 

„Touché!“, er hob den Wein etwas in die Luft und sprach noch einen Trost, bevor er das Getränk langsam an seinen Mund führte, „Auf ein gutes Geschäft.“
 

Graue Augen verfolgten ihn bei jeder kleinen Bewegung genau und erst als sie erblickten, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegte, entspannten sich seine Muskeln und auch er hob sein Glas, ehe die ersten Tropfen seine Speiseröhre hinunterglitten.
 

Ein lautes Seufzen erfüllte den ansonsten stillen Raum: „Also das muss ich dir und deinen Verwandten lassen, der Wein ist köstlich.“
 

„Vielen Dank, ich werde es ihnen ausrichten.“
 

Wie um den Anderen anzuregen, ebenfalls noch etwas von dem trockenen Wein zu trinken, hob er noch einige Male das Getränk, ehe Lucien das Gespräch wieder aufnahm: „Um auf das Geschäftliche zurückzukommen. Mir wurde zugetragen, dass Sie in Kontakt mit einem gewissen Wonho stehen.“
 

Aus dem Augenwinkel konnte Lucien sehen, wie sich die Leibwachen seines Gesprächspartners anspannten und einen Schritt nach vorne machten, wobei sie von ihrem Boss mit erhobener Hand zum Halt auffordert wurden.
 

„Wartet.“, die Augen des Älteren schienen sich zu verdunkeln, „Ich spreche in deinem eigenen Interesse, wenn ich dir sage, dass du dich aus seinen Angelegenheiten heraushalten solltest. Er ist ausgestiegen, schon vor einer Weile.“
 

„Das ist mir bewusst und auch geht es mir nicht darum, neue Geschäfte anzubrechen, lediglich ein altes zu beenden.“
 

„Ach ja? Dann müsste dir bekannt sein, dass das Selbstmord ist. Wahnsinn. Und wenn irgendjemand dahinter kommt, woher du diese vertraulichen Informationen hast, bin ich tot.“
 

Lucien räusperte sich kurz, um etwas Zeit zu gewinnen. Wenn er sich nicht ausreichend konzentrierte, würde ihm das Gespräch entgleiten. Ein Blick auf die edle Standuhr aus Mahagoniholz, die, wie er zu beginn des Gespräches erfahren hatte, ein Familienerbstück in fünfter Generation war, verriet ihm, dass er nicht mehr viel Zeit hatte.
 

Diplomatisch lächelnd wendete er sich wieder seinem Gegenüber zu und fuhr fort: „Sie sollten diese Angelegenheit nicht höher spielen, als sie tatsächlich ist. Es besteht keine Gefahr für Sie. Meine Beziehung zu Wonho ist unbelastet und es geht lediglich um ein paar unschuldige Fragen, um den Kontakt zu einem alten Freund auffrischen zu können.“
 

Lucien warf einen Seitenblick zu den bewaffneten Männern.
 

„Da dieses Wissen vertraulich ist, wäre es sicherlich von Vorteil, dieses Anliegen unter vier Augen zu klären, was meinen Sie?“
 

Zusammengekniffene Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß und gerade als er schon dachte, er wäre zu ungeduldig vorgegangen, ruft er sich in Erinnerung, wie gut er in seinem Job war und schmunzelte unbeschwert.
 

Das kehlige Lachen des Anderen überraschte ihn dennoch leicht, als dieser meinte: „Ist gut, ich vertraue dir, Lucien. Männer, bitte lasst uns etwas allein.“
 

„Aber, Sir, wenn ich mir erlauben darf, ich halte dies für keine-“
 

„Ich sagte, lasst uns allein.“, kam schroff die Antwort. Angesprochener verbeugte sich leicht und wies seine Kollegen an, ihm zu folgen, als er schließlich folgsam den Raum verließ.
 

„Bitte entschuldige sein ungehobeltes Verhalten; er ist neu und weiß noch nicht, wie diese Art von Geschäften läuft. Zurück zu unserem Übereinkommen. Ich gewähre dir drei Fragen, jede als Gegenwert für jeweils eine Ware, sowie den ausgehandelten Preis. Das ist ein Freundschaftsangebot, weil ich dich so mag, und steht außer Verhandlung.“
 

„Verstehe, das ist äußerst großzügig, ich weiß Ihr Entgegenkommen zu schätzen.“
 

Noch fünf Minuten und dreizehn Sekunden.
 

Lucien griff nach seinem Aktenkoffer, der neben dem, mit rotem Leder bezogenen, Stuhl stand, auf dem er Platz genommen hatte, und zog ihn auf seinen Schoß. Bei dem Anblick an das, was sich in seiner Tasche befand, verschmälerten sich seine vollen Lippen unmerklich.
 

„Ohh, darauf habe ich mich seit Beginn unserer Verhandlungen gefreut. Nun zeig sie schon her.“
 

„Mit größter Freude.“, erwiderte er mit gekünstelter Freundlichkeit und reichte dem älteren Mann einen kleinen Stapel Bilder.
 

Auf jedem der acht Bilder waren Mädchen zu sehen. Misshandelte, minderjährige Mädchen. Die meisten von ihnen trugen lediglich die letzten Fetzen ihrer Kleidung, unter denen sich die Spuren der Gewalt zu deutlich abzeichneten. Flecken in den Farben des Regenbogens und Schnitte in den unterschiedlichsten Größen zierten die zierlichen Körper. Jene, die noch die Kraft besaßen, die Kamera zu erfassen, die jene abscheuliche Momente für die Ewigkeit festhalten wollte, hatten blutunterlaufene Augen, aufgerissene Lippen und eine ausschließlich panische bis apathische Miene.
 

An ihren Armen, Beinen wie auch zuhauf an ihren Hälsen fanden sich stählerne Ketten, die in die Haut schnitten, bis diese aufriss. Unter verfilzten und fettigen Haaren ließ sich die eine oder andere Platzwunde erhaschen, Kratzwunden, die von zu langen Nägeln stammen, übersehen die verdreckten Arme und Oberschenkel der Opfer.
 

Im Hintergrund waren schmierige Rohre und, hinter bröckelnder Fassade, nacktes Mauerwerk zu erkennen. In diesem Gemäuer schien eine ganz eigene Schlacht ausgefochten worden zu sein, nach welcher die Überlebenden wohl nur noch vergessen wollten, alles liegen lassen, alle Spuren beseitigen, alle Eingänge zumauern und vergessen. Bis viele Jahrzehnte später ein junger Bursche, von seiner Neugierde getrieben, die Mauern umstieß und längst vernarbte Wunden wieder aufriss. Und es blutete. Mauern, dazu bestimmt, unaufhörlich Leid zu beobachten, gar zu verursachen und dazu verurteilt, alleinig zuzusehen und zu schweigen

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„Fantastisch.“, die gehauchte Reaktion des Alten führte zu einem kalten Schauer, der Lucien durch den ganzen Körper jagte.
 

Ein abstoßender Geschmack breitete sich in seinem Mund aus, als er erwiderte: „Das will ich wohl meinen. Sie sind mein ganzer Stolz.“
 

„Ich verstehe nun wirklich nicht, wieso du sie verkaufen willst.. gegen ein paar läppische Fragen. Beschweren will ich mich nicht, das ist dein Verlust.“
 

„Dann sind wir also im Geschäft?“
 

Statt mit Worten zu respondieren, streckte sein Gegenüber die Hand in seine Richtung aus, um den Deal zu besiegeln. Seine Pranke war überzogen mit Kaltschweiß und zitterte leicht, der zu feste Händedruck drohte Luciens eigene, verhältnismäßig zierliche Hand, zu zerquetschen.
 

„Dann beginne ich mit meiner ersten Frage: Wie kann ich Wonho kontaktieren?“
 

„Ziemlich ungeduldig, was? Die Antwort ist einfach: Gar nicht.“
 

„Hören Sie zu, ich weiß über Ihre Kontakte Bescheid und zweifle keinesfalls daran, dass Sie mir nicht zumindest einen Namen nennen könnten, der mich meinem Ziel näher bringt.“
 

„Kim Yu Hwan. Das hast du aber nicht von mir.“
 

Lucien nickte zufrieden, es begann also endlich: „Selbstverständlich nicht. Zu meiner zweiten Frage: Was steckt hinter 'Code Alligator'?“
 

Lucien entging nicht, dass die Hand seines Gegenüber an dessen Seite wanderte, um sich erneut ins Bewusstsein zu rufen, dass er die Oberhand hatte; schließlich war er der Einzige in diesem Raum, der bewaffnet war. Misstrauisch hakte er nach: „Woher weißt du davon?“
 

Die Pupillen des Älteren begannen sich über ihr normales Maß zu weiten, während es ihm zunehmend schwer zu fallen schien, Lucien richtig zu fixieren.
 

„Das tut nichts zur Sache. Aber da Sie anscheinend etwas darüber wissen, hätte ich gerne meine Antwort. Vorausgesetzt, Sie halten sich an unsere Abmachung. Alles andere würde mich zutiefst enttäuschen.“
 

„Die Abmachung hat nie beinhaltet, vertrauliche Informationen weiterzuleiten, die potenziell in einem Massensterben enden.“
 

„Sie weigern sich also?“
 

Der Mann lehnte sich erneut etwas vor, ehe er antwortete: „Ich weiß nicht mehr, als dass das ein großes Ding ist. Zu groß für kleine Fische wie dich oder gar für mich. Revolutionär und unumkehrbar. Aber was es ist, weiß ich auch nicht.“
 

„Danke, so schwer war das nicht, oder?“, Lucien grinste überlegen und stand auf, als er beobachtete, wie sein Gegenüber, dessen Haut in Flammen zu stehen schien, erneut nach dem Glas griff und die Flüssigkeit gurgelte, bevor er sie endgültig schluckte: „Das bringt mich zu meiner letzten Frage: Halten Sie mich wirklich für einen 'kleinen Fisch'?“
 

Er begab sich zu seinem Opponenten und lehnte sich vor, bis beide auf Augenhöhe waren.
 

„Was soll das?“, schrie der Mann entsetzt und sprang übereilt aus seinem Sessel hoch, nur um wenige Sekunden später wieder in diesen zurückzufallen.
 

Während seine Augen wild durch den Raum wanderten, ohne sich an etwas heften zu können, fuhr er entrüstet fort: „W-was.. Was hat du mir gegeben?“
 

„Das findest du schnell genug heraus. Davor...“, er sah sich in dem Raum um und ging auf einen protzigen Schreibtisch aus Eichenholz zu.
 

Die massive Tischplatte knickte am Kopfende ab und wurde zum Standbein, während das teure Mobiliar auf der anderen Seite von einem Fuß aus grau lackiertem Graphit stabilisiert wurde. Eine dort montierte Doppelschublade erwies sich als äußerst ergiebig, dem Fakt gedankt, dass sie nicht verschlossen war, allerdings auch als belanglos.
 

„... würde ich gerne noch wissen, wie das Passwort zu Ihrem Laptop lautet.“
 

Besagtes Objekt befand sich, leicht zurückgeschoben, mittig auf der asymmetrisch geschnittenen Tischplatte. Lucien ließ sich auf den, verglichen mit den restlichen Möbelstücken, billig wirkenden Stuhl fallen und klappte das Gerät auf, welches zuvor wohl nicht heruntergefahren wurde. Gut, das sparte Zeit.
 

„Fick dich! Dir elendem Drecksschwein werde ich nichts mehr verraten. Du bist schon so gut wie tot. Männer!“, das, was als Ruf den Mund des Mannes verlassen sollte, ging in einem elendigen Krächzen unter.
 

„Versuch es gar nicht erst.“
 

Lucien griff in seiner Jackentasche, auf der Suche nach dem USB-Stick, der ihm von Zelo für solche Situationen vorbereitet wurde.

Im Hintergrund begann der Mann wirr vor sich hin zu brabbeln und Selbstgespräche zu führen.
 

Verdammt. Zu schnell. Er musste sich beeilen.
 

Kurz nachdem er den Stick angeschlossen hatte, öffneten und schlossen sich verschiedene Fenster, auf denen etliche Zahlen- und Buchstabenfolgen durchrasen.
 

„Das kann nicht sein... du... du bist gestorben. Ich habe dich eigenhändig von dem Dach gestürzt. Nein, nein, nein. Geh weg! Lass mich in Ruhe!“, mit heiserer Stimme und krampfhaften Bewegungen wollte sich der Menschenhändler gegen eine Person wehren, die nur für ihn existierte.
 

Lucien widmete sich wieder dem Bildschirm vor sich , nachdem sich dieser von selbst entsperrte.

Mental bedankte er sich bei seinem Kameraden für das nützliche Spielzeug, ehe er den Stick auswerfen ließ und ihn gegen einen zweiten austauschte.
 

Grob überflog er die Dateien seines Opfers, ehe er sich entschloss, von allem eine Kopie zu machen, um auch ganz sicher zu sein, dass er nichts übersah. Er verfluchte den Anderen innerlich dafür, dass er keinen Computer verwendete, bei dem er sich einfach die Festplatten schnappen könnte und Zelo die Arbeit überlassen konnte.
 

Während der kleine Apparat sein bestes gab, alle Dateien auf dem Stick zu kopieren, stand Lucien auf und begann mit den Vorbereitungen für sein Verschwinden.
 

Die Bilder, die er mitgebracht hatte bereitete er auf dem Tisch aus, um Spuren musste er sich keine Gedanken machen; dieser Clan hatte kein Interesse daran, ihn zu verfolgen. Hier gab es keine Loyalität, wenn die Person, die alle anderen mit erpresserischen Methoden an sich gebunden hielt, starb, würden sie ihrem Befreier eher mit einem Dankeskorb um den Hals fallen, als einen Gedanken an Rache zu hegen.
 

Lucien ging zu dem Mann, dessen Puls den gesunden Rahmen nach oben hin verlassen hatte, und griff in dessen linke Brusttasche. Heraus zog er eine goldene Taschenuhr, an einer passenden Kette. Die Verschlusskappe hatte einen verschnörkelten Rahmen und in der Mitte die Initialen YKW eingraviert. Zufrieden landete der Gegenstand in der Jackentasche des Eindringlings. Ein kleines Souvenir, wie er es sich bei jedem seiner Opfer als Andenken mitnahm.
 

Seinen Aktenkoffer stellte er neben den Laptop auf die fein polierte Tischplatte und stellte zufrieden fest, dass das Gerät kurz davor stand, seine Arbeit abzuschließen. Erneut ging er zu dem immer noch zuckenden und wirr redenden Mann, nicht ohne zuvor die, noch zur Hälfte gefüllte, Weinflasche vom Tisch zu nehmen.
 

„Was Sie da zu sich genommen haben nennt sich übrigens die schwarze Tollkirsche. Auch bekannt als Belladonna, da sie zu Zeiten des Mittelalters unter anderem dafür verwendet wurde, die Pupillen einer Person zu weiten, wodurch sie als attraktiver angesehen wurde. Bei der Menge, die Sie zu sich genommen haben, wirkt sie jedoch lebensgefährdend. Zum Glück habe ich mit Aktivkohle, Glaubersalz und Physostigmin vorgesorgt. Welch glücklicher Zufall. Es wird Zeit, unsere kleine Zusammenkunft endgültig zu beenden. Leider war ich von Ihrer Kooperationsbereitschaft etwas enttäuscht, aber das nehme ich Ihnen nicht übel.“
 

Mit einem festen Griff umklammerte er den Kiefer des Anderen und setzte die Flasche unter großer Anstrengung an seinen Lippen an.
 

„Was ich Ihnen aber wirklich übel nehme, ist das, was Sie all diesen unschuldigen Menschen angetan haben. Heute ist Zahltag, viel Vergnügen in der Hölle.“
 

Mit einem Mal versenkte er den gesamten Inhalt der Flasche im Rachen des älteren Mannes. Ein beachtlicher Teil floss seine Mundwinkel hinunter und ergoss sich auf seinem Anzug. Kläglich röchelnd rang er nach Luft und verschluckte sich dadurch immer stärker.
 

Es dauerte keine zwei Minuten, bis sich der gewünschte Effekt der Atemlähmung bemerkbar machte. Die letzten Minuten, die der Sterbende unter Höllenqualen ertragen musste, waren nur ein kleiner Preis für die Jahre der Misshandlung, die er eigenhändig verursacht hatte.
 

Nachdem Lucien sich versichert hatte, dass der andere Mann aufgehört hatte zu zucken, positionierte er ihm die Flasche auf seinem Schoß und kontrollierte sicherheitshalber den Puls.
 

Nichts.
 

Zufrieden ging er ein weiteres Mal an den Schreibtisch und ließ auch den zweiten Stick nach vollendeter Arbeit auswerfen, ehe er nach seinem Aktenkoffer griff und sich in Richtung Tür begab.
 

„Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Ich befürchte jedoch, dass es euer Boss mit dem Alkohol übertrieben hat, vielleicht solltet ihr einmal nach ihm sehen. Einen angenehmen Abend noch.“, meinte Lucien an die Männer gewandt, denen er auf dem Flur begegnete.
 

Nach einer kleinen Verbeugung lief er zielstrebig auf den Hinterausgang zu. Ein Tempo innehaltend, das als zügig, aber nicht als panisch flüchtend interpretiert werden konnte.
 

Außerhalb des Gebäudes bog er behände in eine dunkle Seitengasse, ehe er sein Mobiltelefon zückte und seinen Kameraden anklingelte. Sein Anruf wurde abgelehnt, was bedeutete, dass alles nach Plan verlaufen war. Auf einer kleinen Seitenstraße fand er den schwarzen Hyundai IONIQ hybrid wie abgemacht geparkt. Er lief um das Gefährt herum und warf seinen Koffer auf die Rückbank, ehe er sich auf dem Fahrersitz niederließ.
 

Der junge Mann auf dem Beifahrersitz wendete sich an ihn: „Hast du, was wir brauchen, Daehyun?“

The Air In This City Is So Suffocating

4.14 Uhr
 

Leise vor sich hin summend schlenderte Himchan die verlassene Straße durch das Bahnhofsviertel entlang. Bereits nach dem Verlassen der alten Lagerhalle hatte er es bereut, sich dazu bereit erklärt zu haben, diese Aufgabe zu übernehmen. Die Wolken hatten sich zugezogen, bald würde es wohl anfangen zu regnen.. Zumal es nicht zu seinem Aufgabenfeld gehörte, die Bezahlung abzuholen, das war unter seinem Rang. Ein Seufzen verließ seine trockenen Lippen, als er sich ins Bewusstsein rief, dass sich zu beschweren in seiner Lage weder hilfreich noch zielführend war.
 

Er zog seine Kapuze etwas tiefer und überprüfte den Sitz seiner Maske. Himchan hatte schon einige Nahtoderfahrungen gemacht, jedoch wurde keine durch einen Schrecken ausgelöst, der beinahe schon einem Herzinfarkt glich. Dies änderte sich allerdings, als der Roller, der, wie Himchan es sich vorstellte, aus dem Nichts aufgetaucht sein musste, mit überhöhter Geschwindigkeit nur wenige Zentimeter neben ihm vorbeirauschte und dabei etwas verlor.
 

„Pass verdammt nochmal auf, du hirnamputiertes Schwein!“, brüllte der junge Mann, nachdem er sich von seinem ersten Schock erholt hatte, die Gasse hinunter, welche mittlerweile wieder verlassen war.
 

Während er sich bückte, um das kleine schwarze Kästchen aufzuheben, welches dem rücksichtslosen Fahrer aus der Tasche gefallen sein musste, murmelte er: „Alles voller Idioten... Wie kann so etwas nur einen Führerschein erwerben... Sich nicht einmal zu entschuldigen...“
 

Das Behältnis hatte die Größe einer Zigarettenschachtel und war offensichtlich zugeschweißt worden.
 

„Was haben wir denn hier?“, misstrauisch hob er eine Braue in die Höhe.
 

Leichtes Schütteln entlockte der Schachtel ein leises, klapperndes Geräusch. Ein kleines Schlüsselloch war an einer der langen Seiten angebracht, verriet aber kein Detail über den Inhalt. Ein weiteres Mal blickte Himchan die Straße hinunter, ehe er sich entschloss, den mysteriösen Gegenstand in die blaue Trainingstasche zu stecken und sich mit erhöhter Geschwindigkeit – sowie Aufmerksamkeit, sollte noch ein halbstarker Rüpel versuchen ihn über den Haufen zu fahren – auf den Weg zu machen.
 

Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet dem jungen Mann, dass er bei seinem aktuellen Tempo gute eineinhalb Stunden zwischen seinem Eintreffen am Hauptquartier und Beginn der Lagebesprechung zur freien Verfügung hatte.
 

Beep beep.
 

Genervt trat Himchan gegen die Spinde. Zum vierten Mal wurde sein Code nicht akzeptiert. Hatte Yongguk ihn geändert, ohne ihm Bescheid zu geben? Nein, das hätte der Anführer erwähnt, als er den Jüngeren losgeschickt hatte. Erneut und mit erhöhter Konzentration drückte er die Tasten.
 

151115
 

Beep beep.
 

Der Display wechselte die Anzeige in einen Text, der den Benutzer anwies, fünf Minuten zu warten, bis er erneut versuchen könne, den Code einzugeben. Durch seinen Frust getrieben schlug Himchan mit seiner Faust gegen den Spind und hinterließ neben einigen Blutspuren auch eine beachtliche Delle im Metall.
 

„Verdammt.“
 

Mit seiner linken Hand versuchte er seine verletzte durch Streichbewegungen zu beruhigen, ehe er das Blut an seiner Sweatjacke abwusch. Etwas, das er unter normalen Umständen nie machen würde. Schlafentzug, die Tatsache, fast überfahren zu werden, eine allgemeine Anspannung, begründet auf den bevorstehenden Ereignissen sowie das Nerven raubende Gefühl, beobachtet zu werden, ließen ihn seine Prinzipien vergessen. Zumal seine Jacke glücklicherweise bereits abgenutzt und verbraucht aussah, was die Schuldgefühle davon abhielt, sich langsam und beißend vorzuarbeiten.
 

„Entschuldigen Sie, Sir. Kann ich Ihnen behilflich sein?“, kam eine freundliche Frauenstimme von seiner linken Seite.
 

Leicht drehte Himchan seinen Kopf, um die Frau aus dem Augenwinkel ansehen zu können.
 

„Nein.“
 

Die junge Frau schien von der Grobheit, mit der ihr gut gemeintes Angebot ausgeschlagen wurde so überrascht, dass sie kurz verdattert da stand ehe sie sich beleidigt wirkend umdrehte und weiter ihres Weges ging. Besser so, diese Gegend war gefährlicher als manch einer vermuten würde.
 

Als er sich wieder der Wand vor sich widmete viel dann der Groschen. Reflexartig griff er sich in den Nacken, um seine verspannten Muskeln etwas massieren zu können. Von sich selbst genervt stöhnte er leise und gequält auf. Seine Begegnung von zuvor schien ihn mehr aus der Ruhe gebracht zu haben, als er gedacht hatte.
 

22, 21, 20, 19, 18, 17, 16, 15, 14, 13, 12.
 

Himchan lief die Wand vor sich ab, die Zahlen an dem unterschiedlichen Schränken abnehmend. Er schwor sich innerlich, das keine andere Person jemals davon erfahren durfte, während er den Code ein sechstes Mal eingab und diesmal das erhoffte Ergebnis erlangte. Nach einen kurzen zustimmenden Summen öffnete sich die dünne Metalltür und eine weitere blaue Trainingstasche kam zum Vorschein.
 

Das stechende Gefühl verschiedene Augenpaare im Rücken zu haben ließ Himchans Nackenhaare zu Berge stehen. Schnell drehte er sich um und sah sich auf dem Gelände um.
 

Nichts.
 

Nur Personen, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten, ohne auf den jungen Mann, der soeben ein Schließfach beschädigt hatte, zu achten. Den Kopf schüttelnd drehte er sich um und begann das Geld aus der zweiten Tasche in die erste umzufüllen, die er neben die andere in das Schließfach gelegt hatte. Nachdem er den letzten Batzen Scheine in seine ursprüngliche Tasche gepackt hatte, zog er bei beiden den Reißverschluss zu und drehte sich erneut um. Stand dort nicht gerade noch ein maskierter Mann, der schnell um die Ecke gebogen war, als er sich umgedreht hatte?
 

Von seiner eigenen Empfindlichkeit genervt, aber dennoch alarmiert, griff er in den Spind und zog die blaue Tasche heraus, ehe er den Spind schloss und überprüfte, dass das Schloss wieder eingerastet war. Himchan warf sich die Tasche über die Schulter und begab sich summend auf den Rückweg.
 

Gerade als er in die Gasse einbog, in der er vor einer Viertelstunde beinahe über den Haufen gefahren wurde, bereitete sich eine unangenehme Gänsehaut auf seinen Armen aus. Seine körperliche Reaktion weitgehend ignorierend beschleunigte er seine Schritte.
 

Ein lautes Scheppern direkt neben ihm ließ Himchan überrascht aufschreien. Die Gefahr

offenbarte sich als eine Ratte, die wohl in einem Müllcontainer nach etwas Verwertbaren gewühlt hatte und sich vor dem Eindringling ebenso sehr erschrocken haben musste, wie er sich vor ihr.
 

Himchan wollte gerade in nervöses Gelächter ausbrechen, als ihn der erste Schlag ohne Vorwarnung gegen seinen Hinterkopf traf, mit solch einer Wucht, die ihn zu Boden gehen und die Haut auf seinem Kopf aufplatzen ließ. Gerade als er sich aufrichten wollte, um seinem Angreifer Gegenhalt zu bieten, trat ihm eine zweite Person mit aller Kraft in seine Magengegend.
 

Er keuchte und spürte dabei, wie ihm Speichel aus dem Mund tropfte. Ein hilfesuchender Blick auf die beleuchtete Straße, aus der er zuvor eingebogen war, enttäuschte seine Hoffnung, einen – oder bestenfalls mehrere – Passanten auf sich aufmerksam machen zu können, der genug Zivilcourage hatte, einer einzelnen, am Boden liegenden Person zu helfen, die von mehreren kräftigen Männern attackiert wurde. Als er darüber nachdachte wurde ihm bewusst, wie unrealistisch dieser Gedanke war.
 

Ein Tritt gegen seinen unteren Rücken erinnerte ihn an die Lage, in der er sich aktuell befand. Sein zweiter Versuch, sich aufzurichten wurde ihm ebenfalls nicht gewährt, denn einer der Männer – es waren drei, wie er in dieser Position feststellen konnte – drehte ihn auf den Rücken und stützte sich selbst über ihm ab.
 

„Du weißt was Taeha gesagt hat; mach es kurz.“, meinte einer der beiden Männer, die bedrohlich um ihn herumstanden mit einem bedrohlichen Unterton.
 

Himchans Magen drehte sich unweigerlich als er das höhnische schmunzeln auf den Lippen des jungen Mannes über ihm bemerkte, als dieser seinem Kollegen antwortete: „Keine Sorge, das dauert nicht lang. Ich möchte nur sichergehen, dass er uns nicht so schnell vergisst.“
 

Mit diesen Worten zog er einen kleinen Gegenstand auf seiner Hosentasche, den er Himchan vor sein Gesicht hielt und anschließend mit seinem Finger an der Seite des dunkelroten Objektes hantierte. Seine Augen weiteten sich, als er nach einem kurzen klickenden Geräusch seine schockierte Spiegelung auf der glänzenden Klinge eines Klappmessers ausmachen konnte. Was hatte dieser Wahnsinnige vor?
 

Sich aus seiner Starre lösend begann er sich, trotz der sich ausbreitenden Schmerzen, zu wehren und zappelte wie ein gestrandeter Fisch unter dem Körper seines potenziellen Mörders. Dieser beugte sich vor und verlagerte sein Gewicht so auf der ohnehin schon geschwächten Person unter ihm, dass er sich beinahe nicht mehr bewegen konnte.
 

„Keine Sorge, es wird nur ganz kurz wehtun, wenn du stillhältst.“
 

Mit diesen Worten erhob er seinen Oberkörper wieder um wenige Dezimeter und betrachtete den Verletzten nachdenklich.
 

„Du musst das nicht tun.“, versuchte sich Himchan dabei, den Anderen umzustimmen und von was auch immer er vorhatte abzubringen.
 

Seine Augen fixierten Himchans linken Oberarm. „Du hast recht, ich muss das nicht tun,“ er zog den Reißverschluss seines Opfers runter und riss so gut es ging an seinem darunterliegenden Shirt, um seinen Oberarm freizulegen, ohne seine Kleidung zu ruinieren, „aber ich möchte es.“
 

Mit seinen Beinen platzierte er sich auf den Armen des Mannes unter ihm und benutzte seinen rechten Arm, um ihn auf das Schlüsselbein des Mannes unter ihm zu drücken und so unten zu halten. Die linke Hand seines Angreifers hielt das Messer fest umklammert. Himchan biss fest seine Zähne zusammen, sodass er kurz befürchtete, sie würden ihm zerspringen, um seinen Angreifern nicht die Genugtuung seiner Schmerzenslaute zu geben. In diesem Moment schwor er sich, die Leiden still über sich ergehen zu lassen, keine Schwäche zu offenbaren und sie eines Tages alles heimzahlen zu lassen.
 

Die Klinge musste neu oder kürzlich geschärft worden sein, denn schon mittlerer Druck hatte ausgereicht, um seine Haut zu durchtrennen und das Blut fließen zu lassen. Langsam und geduldig verkünstelte sich sein Angreifer in einem merkwürdigen Zeichen, das Himchan nicht erkennen konnte, da er sich weigerte hinzusehen und den Schmerz dadurch womöglich zu verschlimmern. Stattdessen starrte er in das Gesicht des jungen Mannes und studierte jedes kleine Merkmal, mit dem er ihn später wiedererkennen könnte, sollte er den heutigen Tag überleben. Blondes Haar, große Augen, eine lange, gerade Nase, volle Lippen und ein schmales Gesicht.
 

Nicht gerade die außergewöhnlichsten Merkmale, aber Himchan war sich sicher, dass er ihn wiedererkennen würde.
 

Das Kunstwerk schien vollendet, denn der Mann, der sich etwa in seinem Alter befinden musste, lehnte sich zurück und betrachtete, woran er zuvor noch gearbeitet hatte. Selbstzufrieden lächelnd erhob er sich von Himchan und steckte das eingeklappte Messer zurück in seine Hosentasche.
 

Gerade als Himchan sich fragte, ob sie nun gingen und ihn in Ruhe ließen, trafen ihn weitere Tritte und Schläge auf seinem gesamten Körper. Aus seiner Brustgegend vernahm er ein bedrohliches knacken und einen stechenden Schmerz, der ihm die Luft zum Atmen raubte.
 

Seine gelähmte Wahrnehmung ließ etwas an seinen Verstand durchdringen, das wie ein „Beeilt euch!“ klang und von einem ziehenden Gefühl an seiner Schulter gefolgt wurde, über die er sich die Tasche geworfen hatte. Was vermutlich nur wenige Minuten angedauert hatte, hatte sich wie Stunden angefühlt und erschöpft ließ er seinen Kopf auf den kalten Boden sinken.

Kurz bevor sich seine Welt vollständig in betäubendes Schwarz hüllte, vernahm er noch stumpfe, sich entfernende Schritte und das Schreien einer Katze.
 

Langsam öffnete er seine Augen erneut, unfähig sie zu fixieren. Auch Denken viel Himchan zunehmend schwer, seine Erinnerungen waren ein einziges Chaos. Der Schmerz trat noch vor seinen Erinnerungen in seine Wahrnehmung und wurden durch die Fetzen der letzten Momente vor seiner Bewusstlosigkeit nur verstärkt. Leise sprach Himchan einen Fluch, der davon unterbrochen werden musste, dass das Aufstehen einen so intensiven Schmerz auslöste, dass der Verletzte scharf die Luft einziehen musste.
 

„Diese verdammten Mistkerle... Das Schicksal hat es heute wirklich auf mich abgesehen.“
 

Gemächlich setzte er sich nach einigen Minuten auf, um mögliche innere Verletzungen nicht zu fördern und seinen Körper davon abzuhalten, als Schutzreflex erneut herunterzufahren. Als er seinen Arm anhob fühlte sich dieser bleischwer an. Das Glas seiner Armbanduhr war gesprungen, was die Zeiger glücklicherweise nicht daran hinderte weiter ihrem Job nachzugehen und ihrem Betrachter so zu informieren, dass es mittlerweile sechs Uhr morgens war.
 

Eine Stunde. Etwa eine Stunde musste er wehrlos auf dem nassen Zement gelegen haben.
 

Nicht gerade wie er sich sein 'freie Stunde zur Erholung' vorgestellt hatte. Ein Blick auf seine nähere Umgebung bestätigte, was er bereits vermutet hatte: die Tasche war weg. Gestohlen. Dann hatte sein Bauchgefühl ihn wohl doch nicht getäuscht, diese Bande ist ihm aufgelauert, um ihn zu überfallen. Sie mussten Himchan schon beobachtet haben, bevor er zum zweiten Mal in die dunkle Gasse eingebogen war, da war er sich sicher.
 

Als er sich an einer Hauswand auf die Beine zog, musste er sich auf die Lippe beißen, um nicht aufzuschreien. Jeder Teil seines Körpers tat bei jeder Bewegung weh, als wäre er überfahren worden. Von einem Zementmischer. Langsam und mehrmals.
 

Kurz ließ er sich noch verschnaufen, mittlerweile stand der Attackierte unter Zeitdruck, ehe er sich von der Wand abstieß und langsam zurück zum Bahnhof lief. Wobei man es eher 'humpeln' nennen sollte.
 

Ein weiteres Mal lief er die Wand mit den Spinden entlang, vorbei an der Nummer 22, die jetzt eine hässliche Beule mit getrockneten Blutflecken zierte, bis er vor der Nummer 12 zum stehen kam.

Als er den Inhalt besah schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, dass durch den Schmerz zu einer Grimasse verzogen wurde. Er holte die zweite Tasche heraus, überprüfte mit einem kurzen Blick, ob sich noch alles an seinem rechten Platz befand, warf sie sich über die Schulter und machte sich erneut auf den Weg zurück, diesmal auf einer anderen Route.
 

Innerlich lobte er sich selbst für sein vorausschauendes Denken. Die Tasche der Räuber war leer, während sich in seiner die Bezahlung für ihren letzten Auftrag sowie ein mysteriöses Schächtelchen befand.

This Fallen World, Give It Up

6.54 Uhr
 

Die beiden jungen Männer betraten das Hauptquartier und begaben sich geradewegs in Richtung Besprechungsraum. Daehyun stieß seinem Kameraden leicht in die Seite, als er auf die Couch zeigte, auf der sich ein schlafender Jongup befand und mit belustigtem Unterton meinte: „Wir sollten ihn wecken, die Besprechung findet gleich statt.“
 

„Ich übernehme das.“, antwortete Youngjae grinsend.
 

Während der Ältere fragend eine Braue hob, kletterte er leichtfüßig auf die Couch und beugte sich über seinen Freund, bis sich seine Lippen an dessen linken Ohr befanden. Daehyun blickte ihn überrascht an, als er begann seine Zunge an das Ohr des Schlafenden zu halten. Seine Überraschung wechselte schnell zu Belustigung, als der Jüngste im Raum begann sich zu bewegen und unverständliche Geräusche von sich zu geben. Das war, als Daehyun etwas zurückwich und unnötig laut „Feuer!“ brüllte. Seine erhoffte Reaktion ließ nicht lange auf sich warten; Jongup schreckte aus seinem Halbschlaf und blickte sich panisch in dem Raum um. Nicht bedacht hatte Youngjae allerdings, dass ihm das Aufrichten des Jüngeren seine Balance rauben würde, wodurch er rücklings auf dem Boden fiel und bei seinem Kameraden für einen weiteren Schrecken sorgte.
 

Daehyun, sichtlich von der Situation amüsiert, reichte seinem Freund eine Hand und half ihm zurück auf die Beine.

Nachdem sich der Geweckte versichert hatte, dass keine Gefahr drohte wendete er sich den beiden anderen Jungen zu und setzte einen vorwurfsvollen Blick auf. Als sich Youngjae darüber beschwerte, dass ihm nun der Rücken schmerzte, schlich sich ein schmales Lächeln auf seine Lippen und er kommentierte mit: „Geschieht dir recht.“
 

Gespielt beleidigt setzte Youngjae einen Schmollmund auf. „Wir wollten dir nur Ärger ersparen. Du hättest sonst verschlafen.“, kam es neckisch von Daehyun.
 

Ein Blick auf die Uhr bestätigte diese Aussage. 6.57 Uhr.
 

„Tut mir den Gefallen und überlegt euch für das nächste Mal eine andere Methode, um mich zu wecken.“
 

„Klar, nächstes Mal kippen wir dann einen Eimer eiskaltes Wasser über deinem Kopf aus.“, Daehyun grinste hämisch, als er sich den Blick des Jüngeren vorstellte, der völlig durchnässt und geschockt, auf der Couch paddelt, wie ein Fisch an Land.
 

„Wo wir gerade schon bei Wasser sind.“, Jongup strich sich verwirrt über sein Ohr, „Warum ist mein Ohr nass.“ Fragend blickte er seine Freunde an.
 

Daehyun schmunzelte lediglich während Youngjae mit mysteriösem Unterton Antwort gab: „Es gibt Dinge, die solltest du nicht hinterfragen.“
 

Jongup blieb ungläubig im Flur stehen: „Ihr seid so widerlich.“
 

„Da seid ihr ja. Eurem Lachen nach, verlief alles wie erhofft?“, ihr Anführer hob misstrauisch eine Braue, als drei seiner Kameraden den Raum betraten, zwei lauthals lachend, während der letzte nicht sonderlich amüsiert aussah. Eher... verstört und angeekelt. Insofern man es dem Mann mit dem unergründlichen Gesicht ansehen konnte.
 

„Es sind keine Probleme aufgetreten.“, entgegnete Youngjae und reichte den Stick mit den Informationen an ihr jüngstes Mitglied weiter.
 

„Ausgezeichnet.“, die Miene des Ältesten wurde von Sorge durchzogen als er fortfuhr, „Habt ihr etwas von Himchan gehört?“
 

Alle drei Männer schüttelten den Kopf und sahen sich verwundert um. Obwohl es typisch für Himchan war, seinen eigenen Kopf zu haben, so setzte er das Allgemeinwohl stets an erste Stelle und ein verspätetes Auftauchen zu ihren Treffen war äußerst untypisch für ihn.
 

„Ich habe ihn losgeschickt, um die Bezahlung für Jongups Auftrag abzuholen.“, Yongguk blickte nervös auf die Uhr – 7.04 Uhr – , „Es muss etwas passiert sein.“
 

Gerade wollte der Älteste aufbrechen, um seinen besten Freund aus Kindheitstagen aufzuspüren, als ihn Junhong aufhielt: „Warte, sieh nur.“
 

Er deutete auf sein Tablet, das ihm eine der Kameras an ihrem Eingang zeigte, und hielt es so, dass Yongguk sehen konnte, was er zuvor gesehen hatte. Seine Augen weiteten sich bei dem Anblick; Himchan wie er gerade dabei war, den Türcode einzugeben, verletzt. Ohne auf die verwirrten Blicke der anderen zu reagieren stürmte er in Richtung Eingangstür.
 

„Was ist los?“, meldete sich Daehyun besorgt zu Wort.
 

Junhong, der sich ebenfalls auf den Weg zur Einganghalle gemacht hatte, wandte sich den anderen Mitgliedern zu und antwortete hastig: „Es ist Himchan, er scheint verletzt zu sein.“
 

Die drei Verbliebenen blickten sich geschockt an, ehe sie ebenfalls in Bewegung kamen.
 

Ihr vermisster Kamerad hatte gerade die Tür hinter sich geschlossen und bedachte den Rest mit hochgezogenen Augenbrauen: „Ich bin mir meiner Beliebtheit ja bewusst, aber solch ein Empfangskomitee ist doch etwas überzogen.“
 

Yongguk war neben der Tür stehengeblieben und drückte seine Sorge durch einen prüfenden Blick aus, während Daehyun auf den Verletzten zustürmte, ihn an den Oberarmen griff und mit weit aufgerissenen Augen begann auf ihn einzureden: „Wir haben uns Sorgen gemacht. Warum bist du verletzt? Ist alles in Ordnung? Was ist passiert? Wir brauchen einen Krankenwagen.“
 

„Tief durchatmen, sonst hyperventilierst du noch.“, Himchan versuchte sich an einem Lachen, das allerdings in einem Schmerzenslaut unterging, da sein Freund auf die Stelle an seinem Oberarm drückte, die einer seiner Angreifer mit dem Messer malträtiert hatte.
 

„Wir können keinen Krankenwagen rufen, das weißt du.“, fügte Junhong hinzu.
 

„Was ist, wenn er innere Verletzungen hat?“, steuerte Youngjae bei, dem aufgefallen war, dass sich der Ältere krampfhaft den Brustkorb hielt. „Verdammt, du wirst doch nicht sterben, oder? Himchan wird doch nicht sterben?“
 

„Ganz ruhig, Daehyun, niemand wird sterben.“, Yongguk deutete auf das Sofa, das wenige Minuten zuvor noch als Schlafplatz für eines der jüngsten Mitglieder gedient hatte, „Setzten wir uns alle erst mal und hören uns an, was er zu sagen hat.“
 

„Meine Beine sind begeistert von dieser Idee. Nur ein Glas Wasser und eine Schmerztablette könnten mich glücklicher machen.“
 

„Ich hole alles.“, schnell verschwand der Hacker in der Küche, um dem Wunsch seines verletzten Freundes nachkommen zu können.
 

Währenddessen wurde Himchan, von Youngjae und Daehyun gestützt, zu dem Sofa geführt und mit größter Vorsicht hingesetzt. Da auch Hinsetzten ein stechendes Gefühl im Bereich seiner lebenswichtigen Organe auslöste, war Himchan gezwungen, fest die Augen zusammenzudrücken und seine Klagelaute durch tiefes Atmen zu unterdrücken. Die gleiche Atemmethode, die ihm Yongguk beigebracht hatte, als er mit seiner ersten Panikattacke konfrontiert wurde.
 

Schau mich an und mach es mir nach. Dir wird es besser gehen. Genau so. Wir stehen das gemeinsam durch.
 

Mit einem Glas Wasser in der einen Hand und einer Tablette in der anderen betrat Junhong den Raum etwas zu hastig, wodurch er einige Tropfen über Himchans Hose verschüttete.
 

„Tut mir leid. Hier, dein Wasser und das Schmerzmittel.“, entschuldigend zog er sich seinen langen Ärmel über die Hand und versuche damit die Flecken wegzurubbeln.
 

„Ist gut, die Hose war eh schon hinüber.“, lächelnd blickte er den Jüngeren an, „Danke für die Sachen.“
 

Mit einer Handbewegung landete die Tablette in seinem Mund und, mehr um der Drama Willen als dass er es wirklich bräuchte, trank er sehr langsam von der kühlen Flüssigkeit und hielt derweil intensiven Blickkontakt mit den anderen. Schließlich setzte er das Glas ab und begann zu erzählen; davon, wie er beinahe überfahren wurde, sich ständig beobachtet gefühlt hatte, wie er der attraktiven jungen Dame am Bahnhof begegnet war – an dieser Stelle verdrehten alle wie abgestimmt ihre Augen – „Hey, das war eine wichtige Begegnung!“ „Wieso wichtig, war sie Diejenige, die dich so zugerichtet hat?“ „Ach, sei still, damit ich weitererzählen kann.“ und schlussendlich in der dunklen Gasse überfallen wurde. Natürlich etwas zugespitzt. Das einzige Detail, das er ausließ war die Tatsache, dass er augenscheinlich nicht fähig war, die Zahlen 22 und 12 zu unterscheiden, weshalb er sich der Sachbeschädigung schuldig gemacht hatte; der geringsten Straftat, die er begangen hatte. Seine verletzten Knöchel verdankte er in seiner Version der Geschichte der intensiven Gegenwehr, die er leistete und die den Anführer der Bande zwei seiner Zähne kostete. Während Yongguk und Jongup ihn zweifelnd anblickten, hörte ihm der Rest der Truppe gespannt zu. Es war nicht schwer zu erkennen, dass es dem Verletzten wirklich schlecht ging und dass er die Dramatik benötigte, um das Geschehene zu verarbeiten.
 

„Aber wenn sie dir die Tasche mit dem Geld gestohlen haben, warum bist du dann zurück, um die andere zu holen?“, fragend deutete Youngjae auf die Tasche an Himchans Seite, die bis zu diesem Moment niemand von ihnen wirklich beachtet hatte.
 

„Gute Frage! Und sie lässt sich einfach beantworten. Siehe und staune.“ Stolz ließ er die Tasche auf den Tisch vor sich fallen und haute dabei beinahe sein Wasser um.
 

Nachdem niemand reagierte oder Anstalten machte, die Tasche zu öffnen, seufzte Himchan fast schon enttäuscht und zog den Verschluss selbst auf.
 

„Bitte, der gesamte Betrag.“ Erstaunt blickten die anderen Fünf in die Tasche.
 

„Wie hast du das gemacht? Bist du ihnen hinterher und hast den Drecksäcken ordentlich den Hintern versohlt?“
 

Yongguk grinste schief als er anstelle Himchan antwortete: „Nein, dieser Fuchs ist mit einer leeren Tasche herumgelaufen. Auf deinen Instinkt ist also immer noch verlass.“
 

Obwohl er etwas enttäuscht war, dass er die heldenhafte Geschichte, die ihm Daehyun geliefert hatte, nicht aufnehmen konnte freute er sich dennoch, dass sein Anführer und bester Freund ihn besser kannte, als er sich selbst. So war es schon immer gewesen, Yongguk konnte er nichts vormachen, er kannte seine Tricks.
 

„Genau. Nachdem ich zu mir gekommen bin, bin ich zurückgelaufen und habe die Tasche mit dem Geld geholt.“
 

„Du warst ohnmächtig? Das erklärt, warum du zu spät bist.“, sprach Youngjae seine Gedanken laut aus.
 

„Also erstens habe ich mein Bestes gegeben, pünktlich wieder hier zu sein und hätte das auch problemlos geschafft. Dass irgendwelche Vollidioten meinen mich überfallen zu müssen, steht nicht in meiner Macht.“
 

„Das wollte ich dir auch nicht vorwerfen.“
 

„Gut. Und zweitens war ich nicht ohnmächtig sondern bewusstlos.“
 

„Da gibt es einen Unterschied?“, hakte Junhong verwirrt nach.
 

„Durchaus,“, klinkte sich Jongup in das Gespräch ein, „Die Ohnmacht ist eine Form der Bewusstlosigkeit. Allerdings zählt sie als eine Bewusstseinsstörung und hält lediglich wenige Sekunden an, von einer Bewusstlosigkeit ist die Rede ab einer Minute ohne Besinnung.“
 

Überrascht besah Himchan den Jüngeren: „Exakt. Da ich ungefähr eine Stunde weggetreten sein muss, trifft der Begriff nicht zu.“
 

„Ah.“ Gedanklich machte Youngjae sich die Notizen, Jongups Wissen nie wieder zu unterschätzten – eben so wenig seine Kleinlichkeit, die wohl von Himchan abgefärbt hatte – und sich diesen Unterschied einzuprägen, damit ihn die anderen Mitglieder niemals damit aufziehen könnten.
 

„Himchan,“, Yongguks tiefe Stimme unterbrach die sich ausbreitende Stille und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich, wie es immer war, wenn ihr Boss das Wort ergriff, „es war sehr gefährlich zurück zu gehen... Ich danke dir im Namen der ganzen Gruppe, dass du dieses Risiko auf dich genommen hast. Du verstehst, warum wir dich in kein Krankenhaus bringen können, allerdings werde ich dich auch nicht ohne medizinische Kontrolle weitermachen lassen.“

Er massierte seine Nasenwurzel, ehe er fortfuhr: „Wir werden ein Treffen mit JR organisieren. Einer seiner Männer hat eine ärztliche Ausbildung, er soll sich das noch heute ansehen.“
 

„Darum kann ich mich kümmern. Wenn ich schon dabei bin, werde ich direkt einen neuen Ort für die Übergabe ausmachen, für den Fall, dass diese Gruppe etwas in der Art erneut versuchen sollte.“, kam der Vorschlag von dem Jüngsten. Als Antwort erhielt er ein knappes Nicken.
 

Obwohl er es nicht ausformulierte, wusste Himchan genau, wie besorgt sein bester Freund um ihn war. Nicht zuletzt, weil ihm durchaus aufgefallen war, dass er Derjenige war, der zuerst auf ihn zu gestürmt war, als er zurückgekehrt war, sondern auch, dass er eine seiner heiligen Regeln für ihn brach. Direkter Kontakt zu ihrem Auftraggeber. Auch wenn sie ihnen vertrauten und nichts zu befürchten hatten, ging von solch einem Treffen ein hohes Risiko aus; für beide Seiten. Bis zu diesem Tag hatten sie sich lediglich ein einziges Mal darauf eingelassen. Damals ging es um die Übergabe wichtiger Dokumente, die unter keinen Umständen in die falschen Hände geraten durften, wodurch sich die beiden Parteien auf einen abgelegenen und gesicherten Ort eingelassen hatten. Rein, Aushändigung und anschließend ohne Worte wieder raus. So lief es damals, obwohl das Klima zwischen den Beteiligten nicht angespannt war, so war die Situation umso geladener.
 

„Die Situation hat sich jetzt verschärft aber... lasst uns mit der Konferenz beginnen.“
 

Der Reihe nach erzählten sie von ihren jeweiligen Aufträgen. Jongups Zielperson wurde ohne Zwischenfälle ausgelöscht. Daehyun hatte zwar starke Übelkeit und Sehen viel ihm zunehmend schwer, allerdings waren diese Symptome ein kleines Übel und hatten ihn bei der Fahrt noch nicht gestört. Auch er hatte seine Zielperson ausgeschaltet und hoffentlich wertvolle Informationen beschafft, die Junhong später noch auswerten würde, der Junge schien nie zu schlafen. Zudem hatte er einen neuen Namen für den Lostopf möglicher Spuren; Kim Yu Hwan. Junhong berichtete, dass Ren nichts Auffälliges über Taeyang in der Polizeidatenbank herausfinden konnte und auch er selbst im Deep Web nicht ausfindig wurde. Er erklärte, dass er entweder ausgezeichnete Kontakte hatte, was er direkt für unglaubwürdig erklärte, da jeder Spuren hinterließ, egal wie klein sie auch waren, und es keinen Hacker gab, der daran etwas ändern konnte, oder aber dass er tatsächlich keinen kriminellen Machenschaften im Internet nachging.
 

„Das ist gut, macht ihn allerdings nicht ungefährlich.“, sprach Himchan aus, was alle Anwesenden dachten.
 

Anschließend berichtete Youngjae dass er die Autobombe, die einen korrupten Abgeordneten, der zugunsten verschiedener Waffenlobbys agiert, beseitigen soll, erfolgreich angebracht wurde und in exakt 36 Minuten und 58 Sekunden gezündet wird, sobald besagter Abgeordneter sich auf seinem Weg zu einer Versammlung auf einer wenig befahrenen Landstraße befand.
 

Da Himchans letzter Auftrag bereits bis in fast jedes Detail durchgesprochen wurde, ergriff anschließend Yongguk das Wort und fasste zusammen, wie sie weiter vorgehen würden. Die nächsten zwei Tage waren für einen Großteil der Gruppe entspannter geplant, dafür gedacht, sich erholen und zu Kräften kommen zu können.
 

„Da Himchan außer Gefecht ist, werden wir seine Aufgaben unter den Mitgliedern aufteilen müssen. Junhong, du wertest wie geplant die Dateien auf dem Stick aus und organisierst ein Treffen mit JR und seinen Männern. Der neue Übergabeort hat geringe Priorität. Kümmere dich darum nur, wenn es reinpasst. Jongup, du hast erst einmal Pause, das gleiche zählt für Daehyun, allerdings bitte ich euch beide darum, unsere Vorräte aufzustocken. In allerlei Hinsicht. Youngjae, du informierst dich darüber, ob dein Auftrag ohne Vorkommnisse abgeschlossen wird. Danach bist du freigestellt bis heute Abend, da möchte ich dich für unser Treffen auf Alarmbereitschaft wissen. Himchan und ich werden heute Abend allein zu dem Treffen mit JR gehen, woraufhin er freigestellt ist, bis er körperlich fit genug ist, wieder vollständig einzusteigen.“
 

„Vielen Dank, dass du dir so große Sorgen um mein hübsches Gesicht machst, aber wider Erwarten bin ich nicht aus Zucker.“
 

„Wenn dir langweilig wird, kannst du gerne Junhong unterstützten, indem du Informationen zu diesem Kim Yu Hwan sammelst.“
 

„Das klingt gleich viel besser.“ Himchan hielt dem jungen Techniker seine flache Hand hin, woraufhin dieser nach kurzer Verwirrung einschlug.
 

„Also gut, an die Arbeit.“



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