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Aus der Dunkelheit

von

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Die schrecklichen Drei

Ein kalter Wind pfiff durch die verwinkelten Gänge des nachgebauten Hafengeländes. Riesige Container, Schiffe, Kräne und rostige Lagerhallen, dazwischen Kisten, Tonnen und verwinkelte Gassen. Es war einer von Mirios liebsten Trainingsplätzen gewesen, als er seine Macke noch hatte; in diesem unüberwindlichen Durcheinander hatte er einen unschlagbaren Vorteil darin gehabt, einfach durch alles hindurchgehen zu können. Diesen Vorteil hatte er nun nicht mehr, aber er kannte das Gelände immer noch besser als die meisten seiner Kameraden und konnte dieses Wissen sicher gut einsetzen. Im Moment genoss er einfach nur das Gefühl, wie der Wind den Umhang seines Heldenkostüms erfasste. Es war nicht das Original, sondern ein neues Kostüm aus normalem Stoff, aber es fühlte sich dennoch großartig an. Lemillion war wieder zurück.

Suneater neben ihm blickte der kommenden Übung weit weniger optimistisch entgegen. Er hatte die Kapuze seines Umhangs so tief ins Gesicht gezogen, dass sie mit dem Kragen abschloss, und gab sich Mühe, so unauffällig auszusehen wie es nur ging, wenn man neben seinem Lehrer vor der Klasse stand; schön erhöht und im Gegenlicht der aufgehenden Sonne, wie auf dem Präsentierteller. Lemillion rechts neben ihm strahlte mit der Sonne um die Wette und gewann auch noch, Nejire-chan zu seiner Linken sprang auf und ab wie ein kleines Kind auf dem Weg nach Disneyland. Andere mochten ihre Aufregung als ansteckend empfinden, aber Tamaki wäre lieber im Boden versunken. Er war sich einigermaßen bewusst, dass die Jungheldin eifrig am Plaudern war, konnte sich aber beim besten Willen nicht auf den Inhalt ihres aufgeregten Monologs konzentrieren. Endlich trat Aizawa hinter den dreien nach vorn und brachte die ganze Klasse zum Verstummen.

„Gut, die Plauderstunde ist vorbei. Ich sehe Grund, es zu bezweifeln, aber ich hoffe dennoch, ihr seid euch einigermaßen bewusst, dass dieses letzte Schuljahr sich dem Ende entgegen neigt.“ Die angespannte Stille wurde mit einem Schlag noch intensiver, als würde selbst der Wind nun vor Schreck die Luft anhalten. „Die heutige Übung könnt ihr bereits als Training für eure praktische Abschlussprüfung sehen. Ich erwarte, dass ihr euch entsprechend Mühe gebt.“

Er machte eine theatralische Pause. Die Stille war nun so intensiv, dass man beinahe die klopfenden Herzen der Schüler hören konnte. Keiner wagte zu atmen. Aizawa ließ den Blick über seine Abschlussklasse schweifen. Jeder einzelne dieser Schüler hatte sich im Lauf der letzten drei Jahre um Welten verbessert. Keiner hier war mehr der unnütze Möchtegern, als der er eingeschult wurde, und trotzdem… wirklich zufrieden war er mit keinem von ihnen, nicht mal mit den dreien, die neben ihm vorne standen. Auf die Big Three war er zurecht stolz, aber auch da war noch Luft nach oben.

„Diese drei hier“, er wies auf Lemillion, Suneater und Nejire-chan, „Sind dem Rest von euch um ein gutes Stück voraus. Sie werden heute Schurken spielen, die unabhängig voneinander hier im Hafen Unfrieden stiften. Was ihr dagegen tun wollt, überlasse ich euch; schließt euch zusammen, teilt Euch auf, für mich zählt nur das Ergebnis. Ihr habt nur die Informationen, die die drei euch gleich geben. Beratet euch, bis die drei auf Position sind oder noch länger, aber irgendwann will ich auch Taten sehen. Enttäuscht mich nicht!“

Mit diesen Worten sprang Aizawa von der Bühne aus Schrott und rollte in einem Wachhäuschen seinen Schlafsack aus. Die Monitore darin waren funktionstüchtig und zeigten vermutlich den ganzen Übungsplatz aus allen erdenklichen Winkeln; die Fernbedienung verschwand mit den Händen des Lehrers im Schlafsack, als dieser sich mit Blick auf die Bildschirme auf ein abgewetztes Sofa fallen ließ.
 

„Okay, dann fange ich mal an“, beschloss Mirio und trat einen Schritt vor, „Ich kann ja im Moment meine Macke nicht benutzen. Das macht mich vermutlich zum einfachsten Gegner, deswegen hab ich kurz bei den Supportern reingeschaut und mir ein paar“ er wirkte tatsächlich etwas verlegen bei dem Wort, „‘Babys‘ mitgeben lassen. Ich weiß nicht, wie gut dieses Zeug ist, kann gut sein, dass etwas oder alles davon spontan explodiert. Also dachte ich mir, ich bin ein mackenloser, verrückter Wissenschaftler, der hier sein geheimes Versteck hat und eifrig an gefährlichen Robotern schraubt. Wenn ihr mich nicht aufhaltet, kann es gut sein, dass ich mich selbst oder sogar den ganzen Hafen in die Luft jage, also gebt euch Mühe, mich rechtzeitig zu stellen und meine Geräte zu entschärfen. Ich werde es euch natürlich so schwer wie möglich machen.“ Mirio grinste, stieß Tamaki aufmunternd in die Seite und sprang davon, seinen Posten als Mr. Roboto zu beziehen. Er hoffte natürlich, dass die Geräte nicht wirklich hochgingen… aber diese Erstklässlerin war auf ihre Weise schon echt zum Fürchten gewesen.
 

Tamaki stand nun also ganz vorne und blickte zitternd auf seine übrigen Klassenkameraden herunter. Er schluckte heftig, wünschte sich ganz dringend heim und dass die anderen ihn nicht so direkt ansahen. Ein paar von ihnen waren tatsächlich so nett, auffällig zur Seite oder in die Luft zu schauen. „I…ich bin… ich…“

„Hey, Tamaki“, Nejires hilfreiches Flüstern lenkte ihn zusätzlich ab, „Hey, soll ich es ihnen sagen? Ich kann deine Vorstellung auch übernehmen, wenn du willst.“

Er würde ihr gerne sagen, dass sie es gerade nicht leichter machte, aber es war schwer genug, die lang geübte Selbstvorstellung herauszustottern: „Ich… bin König Chimera. I-ich halte mich nicht für einen Bösen, ich esse nur sehr viel, und ich hab mich hier in ein Versteck… Lager… bin hier in eine Lagerhalle eingebrochen und fresse mich durch die Waren. We-we-wenn mi- mich jemand stört, also… ich will nur meine Ruhe…“ Letzteres stimmte sogar.

„König Chimera ist wie ein wildes Tier“, half Nejire doch aus, „Er hat sich hier im Hafen verkrochen und will nur in Ruhe futtern, aber natürlich gehört ihm das Essen nicht und wenn man ihn aufscheucht, wird er wütend. Der Besitzer der Supermarktkette, der das Lager gehört, hat euch Helden um Hilfe gebeten, weil die Mitarbeiter alle die Hosen voll haben. War das so richtig?“ Tamaki nickte. Er wartete noch einen kurzen Moment ab, ob Rückfragen kamen, und ergriff dann eilig die Flucht ins Versteck des Chimerakönigs. Hoffentlich fand ihn da niemand… wenn es nach ihm ging, war er mit so einer Ansprache vor der Klasse für den Rest des Tages bedient.
 

„Zuletzt ich“, zog Nejire die Aufmerksamkeit der anderen wieder auf sich und weg von ihrem flüchtenden Freund, „Ich hab lang überlegt, wer ich sein will, und dachte mir, ich bin im Moment vielleicht gar keine direkte Bedrohung, sondern plane nur still die Weltherrschaft oder so. Ich mach so direkt und selbst nichts Schlimmes, dafür hab ich Handlanger, die mich ihre Böse Königin nennen. Ein paar von denen haben ausgepackt und jetzt wisst ihr, wo ihr mich findet. Ich kontrolliere den Handel mit Drogen und illegalen Supportitems wie denen von Mr. Roboto. Wenn ihr mich stoppen könnt wäre das also ziemlich gut für euch, ja? Wenn nicht… nun, dann plane ich weiter die Weltherrschaft und unterwerfe euch alle meinem bösen Plan.“ Im Gegensatz zu Mirio hatte Nejire tatsächlich eine fiese Lache eingeübt. Es klang überzeugend genug, dass einigen der anderen Schüler der Schweiß ausbrach. „Okay, ihr findet mich in dem hohen Turm da, ja? Man sieht sich!“

Nejire schwang sich mit ihrer Twisterwelle in die Luft und flog in Richtung des Leuchtturmes davon, wo sie sich dramatisch in Szene setzen würde. Das große Licht hinter der Lehne ihres Thrones, der eigentlich ein alter Klappstuhl war. Sie war gespannt, was die anderen sich würden einfallen lassen, und wollte die Böse Königin bis zuletzt so überzeugend spielen, wie sie konnte.
 

Aizawa grinste derweil in seinen Schlafsack. Die drei hatten sich wirklich passende Rollen überlegt, und nun waren die siebzehn anderen eifrig dabei zu diskutieren, wie sie die drei Bedrohungen ausschalten sollten. Aufteilen, um alle gleichzeitig zu bekämpfen? Lieber geschlossen als Team vorgehen und die Schurken nacheinander angreifen? Letzteres mochte gefährlich sein, denn Nejire hatte angedeutet, dass Mr. Roboto und die Böse Königin zusammenarbeiteten, sie konnte ihm also zu Hilfe kommen, wenn sie ihn zuerst hochnahmen, was wegen der Explosionsgefahr dringend nötig erschien. Gleichzeitig fraß sich der Chimerakönig durch die Waren der Supermarktkette; auch dem sollte man möglichst schnell Einhalt gebieten. Trotzdem schienen die Schüler abgeneigt, sich aufzuteilen, denn der Abstand zu den drei Klassenbesten war in ihren Augen noch größer als Aizawa ihn einschätzte. Wenn sie es klug anstellten und Teams mit passenden Macken bildeten, sollten vier oder fünf von ihnen durchaus mit einem der Big Three klarkommen können. Mirio war dazu ein Zivilist, der sich nur ungenügend auf seine technischen Hilfsmittel stützen konnte; er war stark durch seine Vorsehung, was durch die explosiv unzuverlässigen Supportitems eher boykottiert wurde… trotzdem schätzten die anderen ihn als Gefahr ein. Nicht unklug, er hätte sie rügen müssen, hätten sie einen Gegner unterschätzt, nur weil er mackenlos war. Auch vor Tamaki hatten sie zurecht Respekt, der leider fast an Angst grenzte. Der Junge hatte sich große Essensvorräte zugelegt, teils selbst eingekauft, teils von Lunsh Rush aus der Cafeteria, was seine Macke heute ausgesprochen stark und vielseitig machen dürfte. Nejire schließlich hatte auf dem Leuchtturm einen erhöhten Standpunkt. Gegen fliegende Feinde konnte sie ihre Wellen und Winde nutzen, alle anderen mussten die Treppen hoch und erreichten die Böse Königin entsprechend erschöpft und durch ein Nadelöhr. Zudem hatte sie auch Zugriff auf das Überwachungssystem und konnte die Jungs, ihre Handlanger, beobachten und im Notfall unterstützen, sollten die Helden sich nicht aufteilen.

Aizawa war gespannt zu sehen, wie diese Mission ausging.



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