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Unter den Schwingen des Horusfalken 2

Die Gefahren des Delta
von

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Merukas Gedanken


 

A

m folgenden Morgen wartete der adjmer höflich – und vorsichtig – bis die Damen nach dem gemeinsamen Frühstück zum Packen verschwunden waren, ehe er sich an Meruka und Ptahnacht wandte. Rahotep saß als sein Sohn ebenso neben Merigeb wie der Zweite Cheprihotep.

„Ich habe die Männer, die törichterweise dich überfallen haben, Wächter des Horus, noch gestern Abend und in der Nacht befragen lassen. Ich kann es fast nicht glauben, die … ja, wie nichtsahnend sie waren und sind. Zum einen, natürlich, werter Vorsteher der königlichen Schreiber, natürlich, überhaupt eine solchen Frevel gegen den lebenden Gott zu begehen, er lebe, sei heil und gesund, ist stets verrückt. Dann aber noch einen von dessen Wächtern, der ihnen ja gar nichts wollte, zu verletzen, gefangen zu nehmen und, das haben sie gestanden, umbringen zu wollen … Nun, ich finde keine Worte. Ich werde sie mit mir nach Ibenu-hedj nehmen. Der Herr der beiden Länder sollte sich zwar auf dem Weg nach Pe und Dep, genauer in den Palast des Harpunierenden Horus befinden, aber der tjati sollte meinen Bericht über den Feldzug gegen die tehenu ebenso erhalten, wie diese Männer.“

Meruka nickte ein wenig. „Sie haben also Dinge unterschlagen, die dem Lebenden Horus, er lebe, sei heil und gesund, gehören?“

„Ja. Sie haben es noch nicht genau gesagt, aber anscheinend gibt es im Palast einen Verwalter oder höheren Schreiber, der falsche Aufzeichnungen macht. Sie erhalten also mehr an Bord als sie sollten. Das, was sie mehr eintauschen können hier oder auch selbst in Ibenu-hedj, teilen sie untereinander oder eben auch dem Schreiber. Dessen Namen werden sie mir noch sagen, ehe ich dem tjati Bericht erstatte, so dass Sobeknacht, wenn er möchte, einen Eilboten zurück ins das Delta schicken kann um auch diesen zu verhaften.“

„Du hast schnell gehandelt,“ sagte Meruka mit einer Kopfneigung. „Man merkt nur zu deutlich deine Erfahrung.“

„Danke, wobei ich sagen muss, ohne diese unschöne Begegnung des Wächters und deine rasche Information wären diese Verbrecher bereits wieder auf dem Rückweg gewesen und wir hätten nie von ihnen erfahren. Sie sagten aus, sie hätten das schon öfter getan.“

„Aber sie decken ihren Anstifter? So ist er wohl von hohem Rang.“

Merigeb zuckte ein wenig die Schultern, ehe er doch zugab: „Das hätte ich auch gedacht, Meruka. Aber – er darf nicht zu hoch sein. Ein Palastleiter, der mit einfachen Schiffern spricht, noch dazu öfter, wird auch beobachtet werden. Ein unglaubliches Risiko.“

„Das ist wahr.“ Kein derart hoher Beamter ging allein spazieren oder war je unbeobachtet, das wusste er ja selbst. Als Vorsteher der privaten Schreiber war es ihm immer schwerer durchführbar seine Gruppe heimlich zu treffen und nur mit Umwegen über das Büro des tjati oder seines Stiefvaters als Vorsteher der Scheunen und Siegler möglich. Oder gar mit Wissen und Duldung des Göttlichen Falken selbst. Wenn Merit den Ältesten Königssohn geheiratet hatte, würde sich da vielleicht auch noch eine Möglichkeit ergeben. Aber, das lag in der Zukunft und nur die Gegenwart, die Erfüllung des Auftrages, zählte. „Ich bin sicher, werter Merigeb, du wirst den Namen rasch erfahren.“

„Ohne Zweifel. Eine gehörige Tracht Prügel hilft immer. Hätten das nur die Eltern getan. - Ich wünsche euch eine gute Reise mit der „Wildstier“, soweit ich weiß ist der Lotse bis zur Abzweigung des Kanals vom iteru bereits unterwegs. Auch die Schiffer der Vorschiffe. Es sollte euch also nicht zustoßen können. Euer Kapitän kennt sicher auch die nötigen Opfer.“

„Ja, das denke ich auch. Du entschuldigst mich …“ Meruka erhob sich und winkte Ptahnacht ihm zu folgen, um Rahotep, seinem Bruder und seinem Vater noch die Gelegenheit für einen privaten Abschied zu geben.

 

Merit trug im Gegensatz zu dem Empfangsabend auch heute wieder nur ihr Reisegewand, allerdings mit dem kupfernen Reif einer Königstochter um die Perücke. Als sie aus der Sänfte ausstieg entdeckte sie neben dem Bug der Wildstier erlöschendes Feuer und erkannte Reste von Fischen, wie jeden Morgen. Diesmal war der Haufen größer, so wollte Kapitän Paadiptah also sicher gehen, immerhin gelangten sie nun in das eigentliche Delta, in dessen Altarmen und Sumpfgebieten sich eben auch Sobeks Freunde und die Flusspferde herumtrieben, beides lebensgefährlich für arglose Menschen. Aber sie wusste nur zu gut, dass die Papyrussammler, gleich, ob sie Blätter schnitten oder die Mandeln der Pflanzen aus dem Schlamm holten, ein ebenso großes Risiko eingingen, wenn nicht ein viel größeres, als sie auf einem hölzernen Schiff, dem zusätzlich noch ein Papyrusboot mit acht bewaffneten Männern und einem Trommler vorausfuhr.

 

Kapitän Paadiptah der Ältere begrüßte seine illustren Gäste mit einer höflichen Verneigung, ehe er meinte: „Ich habe die Kabinen bereits mit Netzen verschließen lassen. In den Morgen- und Abendstunden fliegt doch allerlei lästiges Getier auf dem Wasser. Nicht, dass sich die Dame gestört fühlt.“

„Eine gute Idee, Kapitän,“ bedankte sich Merit prompt lächelnd, die sich aus ihren Kindertagen an solche Fahrten ohne Netze erinnerte. Nachts war es gerade in der Überschwemmungszeit noch ärger. Was diese bissigen Mücken nur im Delta fanden? „Ich werde mich auch zurückziehen., sobald die Kühle des Morgens verschwindet.“ Die zwei letzten Tage war die Sonne doch merklich heißer geworden und sie vermutete zu Recht, dass das Wasser des Flusses sich langsam aber sicher seinem Tiefpunkt näherte, ehe die Götter wieder die Flut schicken würden. „Bis dahin werde ich den kühlen Wind unter dem Vordach genießen.“ Sie ging bereits weiter, sicher, dass der Kapitän den ihr unbekannten Mann noch Meruka als Leiter der rReise vorstellen wollte.

 

Tatsächlich meinte der Kapitän: „Werter Meruka, dies ist unser Lotse bis zum Kanal. Er kennt die derzeitige Flusslage sehr genau. Sein Name ist Chabauneith. Er fährt stets mit den Schiffen des Herrn der beiden Länder.“

„So kennst du dich gut aus.“ Meruka dachte kurz nach, ob der Lotse wohl mit den Männern der „Mins Stolz“ gekommen war und mit diesen geredet hatte. Aber, zum Einen war das nun die Sache Merigebs und des tjati, zum Anderen wagte er doch zu bezweifeln, dass diese Männer, unerfahren oder nicht, so dämlich gewesen wären mit einem nur flüchtig Bekannten zu sprechen, was auch immer sie da geschmuggelt hatten. „Bleibst du hier an Bord?“

„Oh nein, ehrenwerter Vorsteher der Schreiber.“ Der Lotse hatte schon gehört, dass dies ein sehr hoher Beamter am Hofe sei. „ich werde auf dem Vorboot mitfahren um dieses zu lotsen. Kapitän Paadiptah wird uns dann folgen. Falls das Papyrusboot wider Erwarten doch eine Sandbank berührt werdet ihr davon verschont bleiben. Ich fahre bis heute Abend mit, in mein Heimatdorf. Dort wird am nächsten Morgen mein Cousin euch in den Kanal bringen, bis nach Pe und Dep. Es sind zwei Tage, sicher, eher drei, je nachdem wie der Wasserstand gefallen ist. Manchmal muss man Umwege machen.“

„Müssen wir da an Bord übernachten?“

Chabauneith warf einen raschen Blick auf den Kapitän. „Ich denke ja. Es gibt zwar einige Stellen, an denen man auch auf Inseln oder auf den Weiden übernachten kann, aber es ist fraglich, ob ihr so eine erreicht. Das muss mein Cousin wissen.“

„Natürlich. Name?“

„Teti.“

„Danke, Chabauneith. Dann werden wir heute Nacht in deinem Dorf übernachten können?“

„Ja. Es steht dort ein Haus für Reisende zur Verfügung. Es werden bei uns öfter Ladungen umgeschlagen. Ich vermute, dass der Aufseher, der sowohl unser Dorf als auch die Domäne unter sich hat, ebenfalls dort sein wird.“

„Die Domäne…?“

„Oh, ja, sie gehört einem sehr hohen Beamten, dem Siegler des Königs.“ Und dessen Halbruder. Unwillkürlich hoffte er doch, dass etwas von diesem Glanz auch auf sein Dorf und damit ihn abfallen würde.

„Meinem Stiefvater also.“

Der Lotse erbleichte. „Oh, ja, natürlich. Verzeih.“ Der Sohn eines Königssohnes war ein hoher Beamter, natürlich – es war nicht notwendig sich mit Halbbruder des Lebenden Gottes und Nummer Drei im Land anzulegen.

Meruka ärgerte sich etwas über sich selbst. Er kannte die Regeln doch, warum hatte er sich so provozieren lassen? „Du kannst an deine Arbeit gehen.“ Hatte ihn der Zwischenfall mit den Männern der „Mins Stolz“, die Tatsache, dass Ptahnacht um ein Haar in eine Falle gelaufen war, doch so aus dem Konzept gebracht? Er sollte ruhiger werden, nachdenken – und erst einmal seine Mitarbeiter sich harmlos unterhalten lassen. Jeder seiner eigenen Fehler würde auch sie betreffen, er durfte sich keinen leisten, zumal er nur zu bald bereits dem Lebenden Horus Rede und Antwort stehen musste. Und er durfte nicht versagen.

 

So saß er bald zwischen seinen Kollegen als die Mitarbeiter des Hafens das schwere Schiff wieder in den Fluss schoben und der Kapitän Befehle schrie, um sich hinter dem großen Papyrusboot einzureihen. Er hatte nur genickt und sich selbst nach hinten an die Kabine gelehnt, deutlicher Hinweis darauf, dass er nachdenken wollte und die Anderen ihre Rollen spielen sollten.

„Eine schöne Stadt ist Sau,“ sagte Nefer daher zu dem Arzt. „Aber, Rahotep, mich wundert es fast, dass sie so klein ist.“

„Sie ist nicht klein. Aber sehr alt. Oh, natürlich, wenn du es mit Ibenu-hedj vergleichst. Aber keine Stadt gleicht der Waage der beiden Länder. Übrigens kein so ungeeigneter Beiname für Ibenu-hedj. Waren aus dem Norden und aus dem Süden werden dorthin gebracht, kommen in die Scheunen und Schatzhäuser des mächtigen Horus, er lebe, sei heil und gesund. Und von dort wird wieder alles an alle gegeben.“ Rahotep dachte einen Moment nach, ehe er fortfuhr: „Man sagt, Horus Aha habe Ibenu-hedj gründen lassen, das ist Jahrhunderte her. Aber Sau ist sogar noch älter, wie alt, weiß ich nicht.“

„Und durch die Mauer kann es auch kaum wachsen,“ erklärte Ptahnacht, um auch etwas zu sagen, denn der Kapitän stand fast über ihnen. Das Gespräch sollte nicht abflauen. „Aber, Rahotep, ich denke, die liebe Nefer kommt sehr weit aus dem Süden. Gibt es da überhaupt so große Städte?“

„Sieh nicht auf die Frau aus dem Süden herab, Wächter des Horus,“ murrte sie prompt, ihrer Rolle gemäß. Immerhin wusste er nur zu gut, woher sie kam. „Allein die Stadt unterhalb des Dorfes aus dem ich komme….“

„Ich dachte, Abu ist eine Insel?“

„Zwei Inseln, sogar. Auf einer liegt der Ort, auf der anderen die Festung, aber das meinte ich nicht. Südlich von Abu befinden sich Stromschnellen, die kein Schiff durchqueren kann. So gelangen alle Waren aus dem Süden per Land nach Abu. Sie werden dann nur nach Abu gebracht und dort auf Schiffe geladen. Die Wege aus der Wüste enden in zwei Orten rechts und links des iteru. Eine davon, die größere, ist Sunu auf dem Westufer. Dort enden alle Karawanenwege aus kusch und wawat. Sie bringen Gold, Elfenbein, Edelhölzer, Kräuter und Pfauenfedern…. Oh, so viel an Luxus. Das wird von Abu aus dann nach Ibenu-hedj gebracht.“

„Nicht alles,“ warf Rahotep ein. „Wie schon erwähnt – es gibt auch Karawanen, die durch das Sandmeer an das Große Grün gelangen. Die Waren von dort kommen dann hier nach Sau und dann nach Ibenu-hedj.“

„Wie groß ist denn Sunu?“ erkundigte sich Ptahnacht.

„Ich weiß es nicht,“ gab Nefer zu. „Es ist befestigt, ja, aber nicht so sehr wie Sau. Die Festung ist eben Abu. Mein Heimatdorf liegt oberhalb, schon außerhalb des Fruchtlandes. Selbst das Wasser wird jeden Tag mit Eselskarawanen gebracht. Dafür bauen die Männer ja auch Granit ab, so dass wir gut versorgt werden.“ Und sie hatte früh gelernt behutsam mit Wasser umzugehen. Solchen Überfluss konnte man sich nur im Fruchtland leisten, wie duschen, zumal der iteru ja monatelang ganze Regionen unter Wasser setzte, das in Rückhaltebecken gesammelt wurde.

„Ach, dann kommst du aus einem Minendorf? Die Männer arbeiten in den Steinbrüchen, die den berühmten Granit schaffen.“ Rahotep tat überrascht, zumal er feststellte, dass sich der Kapitän fast unschicklich nahe über ihnen befand, „Umso überraschter wirst du dann hier über die weiten Felder hinter dem Papyrusstauden sein.“

„Und über den Papyrus. So klein, und dann wieder so groß. Das sind wohl Jungpflanzen?“

„Nein, Nefer. Es handelt sich um verschiedene Arten. Dort, so klein wie diese, das ist Nussgras. Man kann seine Knollen essen, die auch Erdmandel genannt werden. Als Arzt verwende ich sie gemahlen, nun ja, um den doch nicht immer guten Geschmack von Arzneimitteln zu verbergen. Ihren süßen Brei hast du sicher schon am Hofe gegessen.“

„Nun, ja, wenn du es sagst…“ Nur immer die Konversation aufrecht halten, dachte sie. Meruka schien nachzudenken, der Kapitän zuzuhören. „Gibt es denn so viele verschiedene Arten dieser Gräser? Ich dachte, das sei nur das, worauf die Schreiber … nun ja, schreiben.“

„Nein, es gibt auch noch eine dritte Sorte, die aber seltener gesammelt wird, aber deren Knollen gegessen werden….“

 

 

Meruka hörte kaum zu. Warum nur war ihm, als hätte er irgendetwas übersehen? Etwas, das für seinen Auftrag, für die Lösung dieses Rätsels um die diversen Toten wichtig wäre? Das konnte dann nur jetzt im Zusammenhang mit der „Mins Stolz“ gewesen sein. Oder? Was nur hatte Ptahnacht erzählt, was Nefer, was Merigeb, was hatten die Männer ausgesagt?

Er bekam nur am Rande mit, dass sich die beiden Frauen zurückzogen, der Wächter des Horus und der Arzt sich über Fische zu unterhalten begannen.

Was nur hatte er übersehen?

Was war…

Er richtete sich auf. Natürlich. Welch ein Narr konnte man sein. Die einfachen Männer auf dem Boot hatten ihren Schmuggel nur mit Hilfe eines Ranghöheren betreiben können. Mindestens eines Schreibers, aber keines zu ranghohen Mannes wie dem Palastleiter, denn da hatte Merigeb recht gehabt: wenn der mit einfachen Schiffern plauderte würde es auffallen. Irgendwem - und der Tratsch würde ebenso rasch die Runde machen, zwischen den beiden wichtigsten Palästen des Lebenden Gottes sowieso. Ebenso sicher war es auch keiner der angelernten Schreiber, die gerade es schafften das Zeichen ihrer Ware zu machen und die Striche dazu, denn diese wurden permanent von ihrem Vorsteher, einem gelernten Schreiber, überwacht, der auch siegelte. Und genau das war es, was ihm als so undenkbar erschienen war. Diese Vorsteher siegelten, waren in der Palastschule sicher sieben und mehr Jahre ausgebildet worden – wie konnte einer von denen Dinge unterschlagen, die dem Horus auf dem Thron der Lebenden gehörten? Der für ihn sorgte, ihn ausgebildet hatte? Und genau das konnte auch nur die Ebene sein, bei der ein Fehler oder sogar der Mordplan zu suchen war. Vielleicht hatte, wie Ptahnacht es gemeint hatte, einmal ein Fischer die giftigen Stacheln eines Welses übersehen und sein Vorgesetzter hatte das bemerkt, ja, seinem Leiter der Abteilung mitgeteilt? Und dieser wiederum hatte eine Möglichkeit gesehen Menschen zu vergiften? Aber warum nur? Es gab doch keinerlei Motiv wahllos, überaus wahllos, Menschen zu ermorden. Handelte es sich doch um einen, wenngleich folgenschweren Fehler, der sich durch die gesamte Kette aus Arbeitern und Sieglern zog?

Jeder Mensch in ganz kemet war Teil einer Organisation, selbst die so genannten freien Bauern. Auch sie wurden von den Steuereinnehmern überwacht, wenn diese nach der Überschwemmung die Felder maßen und einteilten, nach der Ernte den Anteil des Horus einsammelten. Überdies waren auch diese Bauern dem Lebenden Gott zu Arbeit verpflichtet und konnten in der Überschwemmungszeit für Bauarbeiten und Kanäle eingesetzt werden. Umso strenger waren die Rahmenbedingungen in einem Palast oder einer Domäne. Selbst die Palastleiter und adjmer wurden durch den tjati, ja, durch den Herrn der beiden Länder, überwacht. So war es auch, dass, wenn zwei Arbeiter miteinander Streit bekamen, zwei Bauern, wer auch immer, gingen sie zu ihrem Vorgesetzten und der richtete dann über diesen Fall. In einem Dorf waren das immer die Ältesten, Männer und Frauen, die bei Streitfällen Recht sprachen, so, wie es seit dem Beginn der Schöpfung von Mund zu Mund gegangen war. Aufgeschriebene Regeln gab es nicht, sie waren einfach da, altehrwürdig und der maat entsprechend.

Warum also sollte es jemandem gelingen dieses doch recht enge System zu umgehen? Und wie? Und wieso?

Nun, wie bereits gedacht wäre es niemand der unteren Ebenen. Arbeiter, Fischer, hatten ihre Vorgesetzten, diese wiederum die ihren und alle wurden durch einen ausgebildeten Schreiber kontrolliert. Nur ab dieser Verwaltungsebene konnte man überhaupt nur hoffen mit einem Betrug durchzukommen, das wusste Meruka noch aus seinen Anfängen, als er, wie jeder neue Schreiber zunächst auf dieser Stufe in den Scheunen des Horus eingesetzt worden war.

Nur ab da hatte man, wenn man böswillig war, warum auch immer, eine Möglichkeit. Einem der ungelernten Helfer sagen, dass er einen Fehler gemacht habe, sich verzählt habe und das ausbessern, oder gar ohne dessen Wissen ausbessern – und schon war ein Krug Wein oder ähnliches verschwunden. Schön. So mochte es der Anstifter der Männer der „Mins Stolz“ gemacht haben und der würde dafür auch zur Verantwortung gezogen werden.

Was jedoch war mit den Todesfällen? Zufall oder doch Mord?

Zufall war fast auszuschließen – nicht in dieser Menge an Fehlern. Irgendjemand hatte, bewusst oder unbewusst, das getan, war dafür verantwortlich.

Dazu stellte sich jedoch immer noch die Frage an was diese Menschen gestorben waren. Nur, wenn man das WIE ihres Todes herausfand, würde man auch dem Täter näher kommen. Äußerlich oder innerlich Gift?

Angenommen es wäre ein Wels mit Giftstacheln, nur als Beispiel. Ein Fischer übersah die Stacheln, dessen Vorgesetzter der Fischer ebenso – nicht unmöglich, wenn täglich Dutzende von Fischen in den Reusen und Netzen gefangen wurden. Einmal, ja. Möglicher Zufall. Öfter? Absicht. Wenn allerdings der Vorgesetzte den Fischern sagen würde, sie sollten die Stacheln drin lassen … würden sie gehorchten oder sich zumindest so laut wundern, dass sich das herumsprach? Das Risiko mit einem derartigen Befehl bekannt zu werden, ja, dem Palastleiter oder auch nur einem anderen hohen Beamten aufzufallen, wäre natürlich enorm.

Gut, weiter in der Hierarchie. Vorgesetzter des Vorstehers der Fischer war der Leiter der Scheunen des Palastes. Ihm unterstanden der Vorsteher der Fischer, der des Weins, des Hauses des Öls, der Scheune, in der Getreide gelagert wurde, kurz, alles Lebensmittel, die an den Palast geliefert wurden – und von dort aus weiter verteilt. Möglichkeit, ja, aber das war schon ein derart hoher Beamter, dass es auffallen würde, würde er mit einfachen Fischern reden. Nein, es musste die Ebene der Vorsteher sein.

Aber eher kein Fisch, so plausibel Ptahnachts Theorie auch geklungen hatte. Zu viele Mitwisser.

Es musste also etwas anderes sein. Wein? Öl? Öl als Parfüm oder gar Lampenöl? Auch bei der Ölherstellung und dem Weinpressen waren sehr viele Menschen beteiligt, viele Augen die sehen, viele Münder, die reden konnten. Nein, nicht das Öl oder der Wein an sich. Es musste irgendetwas anderes sein, etwas, das ein Mann allein rasch machen konnte.

Blieb nur die Frage: was. Welches Gift? Und natürlich auch die Frage nach dem Warum. Wer riskierte sein Leben jetzt und in alle Ewigkeit? Wer wollte so dringend in das Nichts?

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Abu ist das heutige Elefantine, Sunu das heutige Assuan.

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