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Unter den Schwingen des Horusfalken 2

Die Gefahren des Delta
von

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Informationen


 

A

ls sich die beiden Frauen in die Kabine zurückzogen, bemerkte Merit ein wenig erstaunt, dass sich ihre Partnerin mit einer leichten Grimasse in die Kissen niederließ. „Probleme, Nefer?“

„Nachlässigkeit.“ Die „Wärterin des Apis“ griff unter ihren Umhang in ihr Kleid und zog zur Überraschung ihrer Partnerin eine gut geschliffene Obsidianklinge heraus.

„Oh,“ machte Merit nur. „Hast du dich geschnitten?“

„Etwas. Aber selbst schuld. Ich habe die Bandage nicht korrekt umgelegt.“

„Du bist immer mit dem Messer bewaffnet? Meintest du das mit: auch du bist gefährlich?“

„Ja, auch.“ Nefer seufzte etwas, erkannte jedoch die Neugier. „Soweit: ich wurde … vor langer Zeit ….von einem Mann überfallen und musste aus meinem Heimatdorf fliehen. Als ich Ptahnacht kennenlernte und dann auch Meruka, bat ich sie mir solch eine Klinge zu besorgen und mir beizubringen, wie ich damit umgehen kann. Ich will nie wieder das Opfer eines Mannes werden.“

„Das verstehe ich,“ erwiderte Merit so ernst, dass die Ältere sie ansah. Verstand sie wirklich? So fuhr das Mädchen aus dem ipet fort: „Das ist und war ja auch immer mit ein Grund, warum ich nicht heiraten wollte. Sicher, ich kenne Menhekat seit Jahren, wir sind gut befreundet, da mag es etwas anderes sein, aber ein Fremder …. - Hast du das Messer je benutzen müssen?“

„Ja, einmal. Aber der Kerl hatte nicht mich überfallen, sondern wollte Ptahnacht umbringen.“

„Du hast ihn getötet?“ fragte Merit mit großen Augen, die durch die Schminke sowieso schon vergrößert wirkten.

Nefer zuckte die Schultern. „Er war gerade dabei Ptahnacht zu erwürgen. Und so viele Freunde habe ich nicht. Ja. Ich stieß ihm das Messer zwischen die Schulterblätter.“

„Ich vermute, Ptahnacht war dir dankbar. - Was ist eigentlich aus dem Mann geworden, der …?“

„Er ist Vorarbeiter geworden, das hat Meruka herausfinden können. Er sagt, er lässt ihn im Auge behalten. Wenn er einen Fehler macht, ist er dran. Aber der macht keinen, der Mistkerl. Aber, da der mächtige Horus so gnädig war, mir ein Grab bei seiner Pyramide zuzuweisen, werde ich ihn im Westen anflehen mich zu rächen.“ Und diesen Mann aus der maat, der Welt der Ordnung, in das isfed zu schicken, oder besser noch, in das ewige Nichts.

„Du konntest ihn nicht bei dem tjati und den Gerichtshöfen anklagen?“ Merit klang gedankenvoll.

Nefer lächelte nachsichtig. „Ja, theoretisch. Aber ich stamme aus Abu. Als ich aus meinem Heimatdorf floh, um ihn nicht heiraten zu müssen, musste ich …. nun, ich war außerhalb der maat. Ich musste mich bis nach Ibenu-hedj durchschlagen. Ja, ich wollte das dem mächtigen Horus melden. Und das Leben in diesen Jahren war meist nicht einfach und entsprach auch nicht der Weltordnung. Ptahnacht und Meruka haben mich dann zurück geholt, ich habe ein geordnetes Leben, im Auftrag des Herrn der beiden Länder, bin versorgt, sogar mit einem Grab nahe der Pyramide … Würde ich ihn anklagen, käme auch heraus, was ich gewesen bin. Das würde mein jetziges und ewiges Leben zerstören. Darum schweige auch du.“

„Ich werde schweigen.“ Merit war es ernst. Nefer, die so kühle, ruhige Nefer, war schon außerhalb der maat gewesen. Kein Wunder, dass sie den lebensspendenden Atem des göttlichen Falken und den Schatten seiner Flügel nie mehr verlassen wollte. Und sie sollte auch besser nicht nachfragen. Diesbezüglich. „Meinst du, ich könnte auch lernen mit einem Messer umzugehen? Nicht so gut wie du oder gar Ptahnacht, dessen bin ich mir bewusst, aber für den Fall …. nun, bei solch einem Auftrag.“

„Vielleicht. Das musst du Meruka fragen. Du spielst momentan die Rolle der Königstochter. Königstöchter hantieren höchstens bei Zeremonien mit Messern, oder?“

„Schon.“ Bei den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Horus, als Vorsteherin der Schlächter des Akazienhauses. Aber sonst wahrlich nicht.

„Das würde dann hier oder so auffallen. Und im ipet geht es auch kaum, sonst würde die maat-hor oder selbst der lebende Horus nachfragen, was da die zukünftige Schwiegertochter tut.“

„Auch wieder wahr. Ich muss mich wohl auf euch verlassen.“

Nefers Lächeln war plötzlich warm. „Das kannst du, Merit.“

 

Die „Wildstier“ kam mit den kräftigen Ruderern und der Strömung des Iteru gut voran. Der kurze Regen hatte aufgehört und es wurde wieder deutlich wärmer. Der Wind kam von Norden, ihnen entgegen, aber schon zeigte er an, dass der Monat der Herdfeuer vorbei war und es nur zu bald wieder die Hitze des Sommers selbst hier im Delta geben würde. Im Verhältnis zu den Ländern wie wawat oder kusch im Süden war es hier zumeist erträglich – aber die gespeicherte Feuchtigkeit der Überflutungen ließ leider nicht nur das Gras, sondern auch allerlei blutsaugende Insekten wachsen, die vor allem des Nachts mehr als lästig waren. Dichte Netze vor den Türen und schmalen Fenstern waren daher selbst bei einfachen Fischern eine Notwendigkeit.

Die Gruppe saß in der Kabine. „Noch einmal, damit sich alle die Namen einprägen,“ begann Meruka. „Rahotep, deine Familie, wenn es geht, mit Titeln.“

Ja, er hatte eine doch recht große Familie, gab der Arzt zu. „Mein Vater Merigeb ist der Gauvorsteher und Wächter der westlichen Wüste. Er ist also der militärische Befehlshaber und Priester der Neith, wie übrigens ich auch. Meine Mutter heißt Baunefer. Ihre Familie stammt aus Nechen, ihr Bruder ist Chnummose, der derzeitige Wächter von Nechen, und sie trägt den hohen Hoftitel einer Königsbekannten, wie auch du, liebe Merit. Mich kennt ihr ja, ich bin deren ältester Sohn. Mein jüngerer Bruder ist Cheprihotep, er ist momentan in Vertretung von Vater und Onkel der Stadtvorsteher. Er ist gewöhnlich Schreiber der Wirtschaftsanlagen von Sau, durchaus ein gebräuchlicher Einstieg in die Schreiberlaufbahn. Vater möchte ihn zu seinem Nachfolger. Seine Ehefrau heißt Sesheshet und ist laut meinem Cousin schwanger. Seid also freundlich zu ihr. - Der Verstorbene hieß Merinut, war der Bruder meines Vaters, der jüngere, und er war Stadtvorsteher von Sau und Leiter, falls der Falke zum Himmel fliegen würde, Leiter eines Teils des königlichen Begräbnisses. Auch er trug den Titel Priester der Neith. Er ist, war, verheiratet mit Meritneith. Sie haben einen Sohn, Merira, der ist königlicher Schreiber und momentan, wie ihr gesehen habt, Festungskommandant. Ich vermute, dass er auch der neue Stadtvorsteher werden soll, aber noch kam wohl keine Nachricht aus Ibenu-hedj, und durch den lästigen Feldzug gegen die tehenu konnte Vater auch noch nicht selbst an den Hof fahren um alles in Ordnung zu bringen. - Sie leben alle in einem großen Haus im Stadtzentrum, nahe des alten Tempels der Göttin. Neith ist Schutzherrin des Krieges, aber auch der Heilung, daher auch tragen Ärzte ihr Zeichen, manche ja auch das der Sachmet oder Selket.“

„Ist Sau nicht auch eine Hafenstadt, ähnlich wie Pe und Dep, wo die Schiffe, die über das Große Grün kommen anlegen?“ erkundigte sich Ptahnacht. „Ich dachte, die mit Holz und so?“

„Ja und nein,“ erwiderte der Arzt, „Du meinst die Schiffe, die kebenit genannt werden, da sie aus keben, der großen Stadt am Gebirge der Treppen kommen. Manchmal bringen sie das Zedernholz als Geschenk für den Lebenden Gott, das wäre natürlich auf dem Landweg, durch die Wüsten und über den Horusweg, kaum ratsam. Aber diese landen in Pe und Dep. Nach Sau gelangen hauptsächlich Schiffe aus dem Westen. Dort liegt im Gebiet der tehenu eine Stadt, deren Name mir gerade nicht einfällt. In dieser endet ein großer Handelsweg aus dem Süden, aber auch die Schiffe aus keftiu kommen dort an, wenn sie über das Große Grün gelangen. Von dort aus fahren sie her. Sie bringen vor allem Silber und Kupfer, aber auch besonders geflochtene Matten und, ich glaube, Olivenöl.“

„Die Sandleute lauern gern auf Karawanen,“ ergänzte Meruka. „Auch, wenn der Horusweg immer besser geschützt wird, ist eine Reise durch die Wüsten aus retenu nach kemet mühsam und gefährlich. Gut, auch Schiffe können untergehen.“

„Eigentlich gibt es nur Tribute aus dem Osten,“ meinte Merit nachdenklich. „Die tehenu im Westen liefern nichts. Nun, natürlich auch wawat und kusch im Süden.“ Von dort gelangte vor allem über Abu, aber auch über die Oasen der östlichen Wüste Elfenbein, Ebenholz, Gold ebenso nach kemet wie Straußenfedern und -eier. „Das sind dann auch wohl die Güter, die hier landen, wenn sie nicht über die Oasen bereits in die beiden Länder gelangt sind.“

„Ja, aber aus dem Osten stammen Lapislazuli, Zedernholz, Silber ...“ Meruka dachte nach. „Syrischer Wein aus Granatäpfeln, ach, vieles. Dafür erhalten die retenu und ihre Verbündeten den Lebenshauch des Horus und Leinen, Weizen und anderes.“ Kein Gold, denn das wenige, das man fand, wurde in kemet für den Horus und die Götter benötigt. Silber war allerdings noch kostbarer, da seltener. „Sag, Rahotep, könnte es sein, dass auf diesem Weg ein Gift nach kemet kam?“

„Du meinst, dass es nichts mit dem Palast des Harpunierenden Horus zu tun hat?“ Der Arzt dachte nach. „Ich kann mir ehrlich gesagt nichts vorstellen.“

„Nun, wir müssen suchen. Und unseren besten Möglichkeiten finden wir in Sau und in Pe-Dep, vor allem im Palast des Harpunierenden Horus. Warst du schon einmal dort, Merit?“

„Ja, vor drei oder vier Jahren,“ erwiderte das Mädchen aus dem ipet. „Es war die zeremonielle Jagd auf ein Flusspferd.“ Der Lebende Gott kemets tötete damit symbolisch alle Flusspferde, ja, das Chaos, und schützte das Land. Und diese Jagd war durchaus gefährlich. Es gab Legenden, nachdem sogar ein Horus vor langer Zeit von einem solchen Tier weggetragen wurde. Natürlich wurde versucht den Herrn der beiden Länder zu schützen, das Flusspferd in die Enge zu treiben und möglichst zu fesseln, aber es blieb stets ein Risiko.

„Oh, ja. Sie wird auch dieses Jahr stattfinden.“ Der Leiter der Gruppe fühlte sich unangenehm daran erinnert, dass er bereits früher als erwartet dem Lebenden Gott kemets Rechenschaft schulden würde, träfen sie sich bereits im Palast des Harpunierenden Horus. Bislang hatte er doch geglaubt erst bei seiner Rückkehr in die Residenzstadt Bericht erstatten zu müssen. Umso wichtiger war eine sorgfältige Überprüfung der Lage in Sau. Was war dort ebenso wie in Chem gelaufen, was anders - und, war etwas anderes dort aufgetaucht? Waren die Speisen, die Getränke, identisch? Oder eben auch nicht? Das würde in diesem Fall wahrlich auf Öl oder Parfüm hindeuten. Nur, woher und wie und wer? „Rahotep, wie und wo wird es eine Gelegenheit geben, wie wir uns alle unauffällig treffen können?“

„Im Palast des Stadtvorstehers? Ohne Zweifel wird Merit samt der lieben Nefer, im Frauentrakt untergebracht und ich müsste mich sehr irren, wenn meine Eltern nicht eine offiziellen Empfang vorbereiten würden. Du hast doch für so etwas auch Kleidung dabei?“ Da beide Frauen nickten, lächelte er flüchtig. „Gut. Zu deiner Frage, Meruka. Die Gästezimmer liegen in der Nähe der Frauengemächer und die sind nicht bewacht. Wachen stehen nur an den äußeren Türen und an der Außenmauer, nachts eher weniger sogar. Ich selbst werde sicher in mein altes Zimmer können. Auch das wäre nicht allzu weit weg von den Gästezimmern. Es dürfte am Besten sein, wenn wir uns nachts, wenn alles ruhig ist, zu dir gesellen und dir Bericht erstatten.“

„Gut. Wenn es irgend möglich ist, Ptahnacht, gehe zum Hafen und höre dich um, ob in dem letzten halben Jahr ein Schiff Waren aus dem Palast des Harpunierenden Horus brachte, das Waren nicht nur für Sau und dessen Stadtvorsteher brachte, sondern auch nach Chem weitersegelte.“

„Hm,“ machte der Wächter des Horus. „Also nicht auch aus dem Westen und keftiu?“

„Wenn es dir gelingt, ja.“ Meruka war wie stets angetan, dass seine Leute mitdachten. „Aber das Wichtigste ist natürlich, dass wir herausfinden, ob im Verantwortungsbereich eines Beamten aus kemet etwas vorgefallen ist.“ Damit hatte er für seine aufmerksamen Mitarbeiter durchaus zu erkennen gegeben, dass der Siegler und Schatzmeister zwar der Halbbruder des Herrn der beiden Länder war, Merukas Stiefvater jedoch durchaus um seine Existenz fürchtete, konnte jemandem in seinem Verantwortungsbereich ein Fehler nachgewiesen werden, der auf mangelnder Kontrolle beruhte. „Merit, du wirst genug mit Rahoteps Verwandtschaft zu tun haben. Versuche einfach herauszufinden, woher sie ihre Parfüme und Speisen beziehen. Nefer, wenn Ptahnacht zum Hafen geht, begleite ihn in Distanz.“

„Sicherung?“ erkundigte sich die junge Frau aus Abu nur.

„Sicherung,“ bestätigte ihr Vorgesetzter. „Wir wissen nichts. Und eine Sicherung schadet nie.“

„Danke.“ Aber der Wächter des Horus lächelte. Es stimmte und er hatte nicht vergessen, dass ihm Nefer bereits einmal das Leben gerettet hatte. Sie lebten unter den Schwingen des Horusfalken, aber sie waren auch seine Augen und Ohren. Manchmal wurde ein Abenteuer daher etwas zu abenteuerlich.

Rahotep dagegen verspürte einen leichten Druck auf den Magen. Es war seine Familie, seine Heimat und er hatte sich dort stets sicher gefühlt. Aber die Toten schrieen nach Gerechtigkeit und es war überdies seine Pflicht als Arzt weitere Krankheitsfälle, ja, Tote, zu verhindern. Der Lebende Gott kemets gab Leben, aber er forderte auch vollständige Pflichterfüllung. Meruka mochte die Last noch deutlicher auf seinen Schultern fühlen. Unwillkürlich blickte er zu Meresanch. Sie sollte den Falken im Nest, den Thronfolger heiraten. Das bedeutete, sie wäre nicht nur die künftige maat-hor, mit allen kultischen und politischen Pflichten, die das mit sich brachte, sondern, falls es ihr gelang einen überlebenden Sohn zur Welt zu bringen, die künftige Königinmutter. Das wäre die höchste Stellung, die eine Frau je erreichen konnte, aber das setzte sie auch unter den Zwang Söhne zu bekommen, zumindest einen, der die kritischen Jahre überlebte. Nein, niemandem wurde etwas geschenkt. Wobei … „Meruka, entschuldige, Merit – ich möchte dich etwas Ungewöhnliches fragen. Es hat nichts mit unserem Auftrag zu tun.“

Der Leiter der Gruppe wollte schon sagen, dass dann auch nichts hier verloren hätte, aber ihm war seit Jahren bewusst, dass auch die Stimmung seiner Leute passend sein musste. Immerhin konnten seine Befehle sie auch in den Westen schicken.

Das Mädchen aus dem ipet nickte neugierig. „Natürlich.“ Wenn ein Arzt einen schon etwas fragen wollte ….

„Man sollte nicht darüber reden,“ begann Rahotep ein wenig zögernd. „Aber, gibt es eigentlich Regeln, was geschieht, wenn der Falke zum Himmel fliegt?“

„Ja, natürlich, das ist seit den Zeiten der Ahnen, ja, der Götter festgelegt. Was meinst du?“

„Nun, falls Horus Qahedjet, er lebe, sei heil und gesund, zum Himmel fliegt, würde doch Menhekat sein Nachfolger, oder?“

„So ist es.“

„Und du wärst die maat-hor, ein Sohn, den du bekommen könntest, ich meine, wirst, wäre dann der Falke im Nest.“

„Ja, vorausgesetzt, dass Menhekat mich zur maat-hor ernennen würde.“ Merit sah durchaus das Lächeln all ihrer Partner, Sie hielten es wohl für sehr unwahrscheinlich, dass ihr Freund seit Kindertagen eine andere Frau an seiner Seite sah. „Aber ich verstehe nicht, was du meinst.“

Rahotep zögerte, immerhin sprach man keine schlechten Omen aus, da sie sonst zur Realität werden würden. „Nur mal angenommen, ihr seid verheiratet, du bekommst einen Sohn, aber Menhekat ist noch nicht der Lebende Gott. Und nur mal angenommen, er würde sterben, ehe er den Thron der Lebenden besteigt, was die Götter verhüten mögen …. wer erbt dann? Ich hörte einmal, dass der Tod des Vaters alle Söhne von der Thronfolge ausschließen würde.“ Unwillkürlich atmete er tief durch.

Oh. Merit dachte nach, ohne dass jemand sie störte. Endlich meinte sie: „Ja, doch, das habe ich auch einmal als Regel gehört. Aber natürlich ist es immer auch so, dass der Lebende Gott kemets seinen Nachfolger beliebig ernennen kann. Es gibt gewisse Regeln, aber durch die Tatsache, dass es nur noch zwei Königssöhne gibt in dieser Generation …. es käme ja nur noch Menka in Frage. Er müsste alt genug sein, denn der Herr der beiden Länder sollte nie ein Kind sein, aber auch nicht zu alt. Es würde sich wohl um den Zeitablauf handeln. Ist Menka alt genug oder … oh du liebe Zeit, wir reden hier über… über…“

Der Arzt senkte unwillkürlich den Kopf. Ja, das war eine mehr als ungehörige Frage. „Ja, entschuldige. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob wir hier mit der möglichen Regentin reisen.“

„Ich denke sicher nicht.“ Merit nahm sich zusammen. „Entweder mein Sohn wäre in diesem unwahrscheinlichen Fall alt genug um den Thron zu besteigen oder es wäre Menka.“ Der Königssohn war immerhin auch schon neun Jahre alt.

Meruka hielt es für an der Zeit zu dem Auftrag zurück zu kehren. „Nun, wir werden sehen, ob einer der folgenden Herren der beiden Länder Menka oder Senneferu heißt, denn, Merit, so wolltest du doch deinen Sohn nennen.“ Und die Mutter bestimmte in der Regel die Namen durch Ausrufe bei der Geburt. „Gibt es noch etwas Wichtiges, was wir in Sau beachten müssen, Rahotep?“

„Ich hoffe nicht. Es ist schwer in seine Geburtsstadt zu kommen und sie doch von außen zu sehen. Eines vielleicht noch. Meine Mutter, Baunefer, ist sehr stolz auf ihre Position als Königsbekannte. Sie wäre gern öfter am Hof. Aber ich bin sicher, Merit weiß, wie man höflich bleibt.“

„Das hoffe ich doch,“ erklärte die künftige Gemahlin des Ältesten Königssohnes prompt. „Aber ja, ich denke, ich weiß, was du meinst. Ich trage ja auch diesen Titel, seitdem ich mich bereit erklärt habe Menhekat zu heiraten.“ Und der Titel „Eine, die der König kennt“, war der höchste Hofrang, den eine Frau außerhalb der königlichen Familie erhalten konnte. Unter Männern entsprach dem der „Einzige Freund“, von denen es in der Tat kaum je mehr gab als an einer Hand Finger.

„Gut. Dann weiß jeder, wie er vorzugehen hat,“ beschloss der Vorsteher der Gruppe. „Achtet auf die kleinen Dinge. Wir müssen herausfinden, was in Sau gleich ablief wie in Chem – und was anders. Art der Zubereitung, Lieferungen, alles mag wichtig sein, gleich, wie unbedeutsam es auch scheinen mag. Falls du, Nefer, Ptahnacht nicht zum Hafen begleiten musst, halte dich in der Küche auf, sei neugierig, was die soweit im Norden kochen, betone vielleicht deinen südlichen Akzent.“

Nefertari lachte etwas. „Sie würden mich kaum verstehen. Zwischen Abu und dem nördlichen Delta kann man sich kaum verständigen, wenn man nicht auf den Dialekt von Ibenu-hedj ausweichen kann. Aber, ja, du hast recht. So gehen sie auch kaum davon aus, dass ich sie verstehe und reden womöglich mehr.“ Sie musste zugeben, Meruka dachte an praktisch alles.

Dieser nickte nur. „Rahotep, dir überlasse ich deinen Vater und Bruder. Fiel ihnen etwas auf? Ebenso den Arzt, der in die Residenz schrieb. Übrigens, nett, dass keiner fragt, was ich tun werde. Ich werde den Beamten darstellen, der ich bin, auch reden, aber noch mehr zuhören.“

„Wir hatten auch nicht angenommen, dass du dich vor der Arbeit drücken willst,“ gab der Wächter des Königs prompt an, grinste jedoch. Es war schön, dachte Ptahnacht, jemanden als Gruppenleiter zu haben, der sich die vornehme Geburt nie heraushängen ließ, weder ihm als Fischerjungen gegenüber, noch zu Nefer. Nun, auch Rahotep tat dies nicht und auch Merit, wobei Ptahnacht nicht wusste, ob Meruka sie so ausgesucht hatte. Vermutlich allerdings schon, so, wie er ihn kennengelernt hatte. „Ich werde mich zunächst bei den Hauswachen umhören, immerhin waren wohl einige auch jetzt bei dem Feldzug dabei, die stutzig werden könnten, wenn ich da nicht neugierig bin, ehe ich die befrage, die in Sau blieben und damit bei dem Tod Merinuts anwesend waren. Danach geht es zum Hafen, aber das ist sicher erst morgen oder in zwei Tagen der Fall. Wie lange bleiben wir in Sau, Meruka?“

„Einige Tage. Die Ruderer der Wildstier müssen sich erholen, denn von hier aus geht es durch Kanäle weiter, durch Papyrusdickichte und ohne Strömung. Das wird anstrengender für sie, bis wir nach Pe und Dep kommen.“ Die Doppelstadt lag zwar ebenfalls am Iteru, doch an einem anderen Arm, der nach Norden durch gewaltige Sumpfgebiete und Marschen bis zum Großen Grün führte.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Worterklärungen:

keben am Gebirge der Treppen: Byblos im Libanon

retenu: Syrien und Mesopotamien

Pe und Dep, Doppelstadt, heute Buto genannt

keftiu: Kreta

Großes grün: Mittelmeer Komplett anzeigen

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