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The Diary of Mrs Moriarty

von

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Manchmal

„Eifersucht kann der Ursprung allem Übel sein. Was sind dadurch in der Vergangenheit, nicht schon ganze Nationen zugrunde gegangen… Wenn die eigenen Gefühle einen innerlich zerfressen und nicht auskommuniziert werden, wird dies zum Problem der gesamten Menschheit. Wer glaubt einen reinen Geist zu besitzen und immun gegen jene negative Emotion zu sein, ist ein Narr. Wird sie erst einmal geweckt, verschwindet sie so schnell nicht mehr. Manchmal wird dadurch die loyalste Person, zum untreuen Verräter. Und manchmal, kann Eifersucht das Feuer in einem Krieg schüren und gleichzeitig den Frieden in einem Konflikt einläuten…“
 

„Nochmal! Lege mehr Kraft in deinen Angriff und vergesse dennoch nicht auf deine Körperhaltung zu achten, sonst gerätst du rasch aus dem Gleichgewicht.“ Die Stammtruppe des Theaters, hatte eine weitere Probe hinter sich gebracht und Miceyla konnte im Anschluss daran Clayton dazu überreden, ihr eine kleine Übungsstunde im Fechten zu geben. Sie war seit jeher von seiner Geschicklichkeit mit dem Degen und seiner Reaktionsfähigkeit schwer beeindruckt gewesen. Etliche Parallelen zu Williams Fechtkunst fand sie dabei. Doch es gab auch ganz feine Differenzen. William war bei seinen Unterrichtseinheiten wesentlich energischer und gönnte ihr zwischendrin kaum Atempausen. Er war nun mal darum bedacht, dass sie in kürzester Zeit schnell Fortschritte erzielte. Töten und das eigene Leben verteidigen, war dabei die verborgene Divise. Clayton hingegen, fokussierte sich eher darauf, Miceyla in aller Ruhe spezielle Techniken beizubringen, die ihr sogar bei einem überlegenen Gegner etwas nützen konnten. `Auch Sherlock hat seine ganz eigene Art, mit dem Degen zu kämpfen. Obwohl solch eine Waffe selten bei ihm zum Einsatz kommt. Vielleicht übt er ja öfters heimlich alleine als man denkt…`, dachte Miceyla und ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Erwischt! Wer unaufmerksam wird, darf keine Gnade erwarten!“, rief Clayton triumphierend und schlug ihr ruckartig die Übungswaffe aus der Hand. Aus ihren Gedanken gerissen, musste sie sich überrumpelt ihre Niederlage eingestehen.

„Das kommt davon, wenn man in jeder freien Minute an den Geliebten denkt. Oje…das wird dich noch mal das Leben kosten, mein Vöglein. Ich wollte dein hübsches Stimmchen, noch eine Weile länger für mich beanspruchen“, neckte Clayton Miceyla amüsiert und grinste frech.

„Hey! Ich habe nicht…! Und für dich singe ich garantiert nicht! Das Publikum soll sich an meinem Gesang erfreuen, nicht du!“, konterte sie empört und drückte energisch seine Waffe mit der Hand weg, die er noch immer an ihren Hals gerichtete hielt.

„Tja Mädchen, für Träumereien ist in der groben Welt der Verbrecher kein Platz. Du musst darauf achten, dass du deine Gefühle beherrschst und nicht sie dich. Ich sehe bereits jetzt, wie du in dem See deiner Tränen untergehen wirst“, hänselte Irene sie hochnäsig und beäugte sie mit ihren himmelblauen Augen herabwürdigend. Sie und Amelia waren die einzigen übrig gebliebenen Personen im Theater und hatten bei ihrem spontanen Fechtduell, von der Zuschauertribüne aus zugesehen. Miceyla warf Irene einen missachtenden Blick zu und zeigte ihr bloß die kalte Schulter. `Wir sind gleichalt… Behandle mich nicht ständig wie ein unerfahrenes Kind! Für jemanden der mit den Gefühlen anderer spielt, wird niemals die wahre Liebe zuteilwerden…`

„Oha… Na beste Freundinnen werdet ihr zwei Hübschen nicht mehr. Irene, Neid ist ein hässliches Accessoire, lege es besser rasch wieder ab. Du hast schließlich einen Ruf zu verlieren. Und Miceyla, ich hab zwar heute viel an dir rumgemeckert, aber deine körperliche Ausdauer und die Entschlossenheit den Degen zu führen, haben sich grandios weiterentwickelt. Deine Hand umklammert den Griff der Waffe nicht nur, sie verschmilzt förmlich mit ihr. Du musst einen tüchtigen Lehrmeister haben“, sprach Clayton mit einem Augenzwinkern und klopfte ihr lobend auf die Schulter. Ein wärmendes Gefühl des Stolzes durchströmte Miceyla und sie lächelte ihn dankbar an.

„Wie bitte?! Ich soll neidisch auf eine Göre sein, die noch grün hinter den Ohren ist? Pah! Clay, du erzählst mal wieder unsinniges Geschwätz“, warf Irene überheblich ein, woraufhin Miceyla mit verdrehten Augen so tat, als hätte sie dies überhört.

„Meine Güte… Zankt euch ruhig weiter. Doch ich gehe jetzt nach Hause. Ich versprach den Mädchen heute Abend noch etwas vorzulesen und im Gegensatz zu manch anderen, halte ich meine Versprechen“, meldete Amelia sich etwas ermattet zu Wort und stand kurz darauf von ihrem Sitzplatz auf.

„Vorbildlich meine Liebe! Miceyla, die Kinder freuen sich natürlich auch darüber, wenn du ihnen noch mal von deinen Geschichten vorließt. Komm uns besuchen, wann immer du magst. Besonders die Jüngeren himmeln dich an wie eine Heldin“, sprach Clayton bestärkend.

„Wie wahr. Und leuchtende Kinderaugen sind das schönste auf der Welt“, fügte Amelia lächelnd hinzu.

„Das macht mich wirklich sehr glücklich zu hören…“, meinte Miceyla ein wenig verlegen. `Mir bedeutet es wirklich viel, in den Augen der Kinder etwas Besonderes zu sein. Sie sehen dabei nur das Gute und blenden jegliches Böse aus. Eine beneidenswerte Unschuld,,, Doch jeder Held, besitzt auch eine dunkle Seite. Und wenn diese zum Vorschein kommt, erlischt das Leuchten und die Anhänger kehren ihm den Rücken. Triumph ist letztendlich nur ein Pfad der puren Einsamkeit…`, dachte sie wehmütig und kurz wechselte sie mit Clayton innige Blicke, woraufhin sie sich rasch wieder von ihm abwandte, da sie sich ins Gedächtnis rief, wie gefährlich genau seine Fähigkeit `in die Herzen der Menschen zu blicken` war.

„Da fällt mir ein… Sollen wir uns nicht allmählich schon mal, für ein glorreiches Finale vorbereiten? Mir schwebt dafür ein alles übertreffendes Bühnenstück vor, das die Menschen bis zu ihrem Tod nicht mehr vergessen werde und Geschichte schreiben wird! Fällt jemandem bereits ein geeigneter Titel ein? Kreative Vorschläge nehme ich gerne entgegen!“, kam es plötzlich von Clayton und alle drei jungen Frauen, richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn.

„Dann…sollte es aber auch so authentisch wie nur möglich sein. Denn die Vergangenheit hat mich gelehrt, dass die splitternackte Realität die Menschen mehr bewegt, als alles frei Erfundene. Wie wäre es dann also mit… `Verbrechen zwischen Gut und Böse`?“, schlug Miceyla als Erste nach einer kurzen Schweigeminute vor. Clayton musterte sie mit einem leicht dämonischem Grinsen und seine Erwartungen schienen erfüllt zu sein.

„Vortrefflich, Amethesya… Dies wird ein wahres Glanzstück! Meine werten Freunde, wir sind für das Schauspiel geboren worden. Mit jedem Untergang, beginnt auch eine neue Ära. Wir kämpfen für Freiheit und Unabhängigkeit! Jeder der sich mit uns anlegt, ist ein Feind der Gerechtigkeit. Was bringen Vorschriften und Gesetze, wenn dabei der eigene Wille in Ketten liegt? Wer dagegen verstößt, zeigt bloß den Mut Veränderungen schaffen zu wollen. Auf das unsere Verbrechen niemals gebannt werden…“ Miceyla bekam bei seiner impulsiven Rede eine Gänsehaut. Er vermochte seine Zuhörer mittels seiner charismatischen Präsenz und Stimme zu vereinnahmen wie kein Zweiter. `Dieses Zeitalter hat etliche einzigartige Persönlichkeiten hervorgebracht, die viel mehr Aufmerksamkeit verdienen…`, dachte Miceyla und bei der Vorstellung, dass sie bereits in sehr naher Zukunft ein finales Theaterstück aufführen würden, welches den allerletzten Akt in ihrer aller Verbrecherlaufbahnen einläuten sollte, wurde ihr doch ziemlich flau im Magen. Gemächlich lief sie in die Umkleidekabine. Dort wollte sie sich gerade umziehen, da lugte Amelia verstohlen an der Tür hinein.

„Darf ich reinkommen?“

„Aber selbstverständlich. Bedrückt dich etwas? Mir entgeht nicht, wenn du über deine Sorgen grübelst, dies sehe ich dir sofort an. Du kannst dich mir jederzeit anvertrauen, wie du weißt“, sprach Miceyla ruhig und winkte sie mit einem freundschaftlichen Lächeln herein.

„Danke… Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein gutes Gefühl es ist, dass ich dir blind vertrauen kann, da wir keine Geheimnisse voreinander haben. Bei Irene habe ich dann doch ab und zu Hemmungen, um mit ihr über gewisse Themen zu reden. Kann sein das es daran liegt, dass sie mir in jeglicher Hinsicht weit voraus ist. Und du bist für sie zu einer hartnäckigen Konkurrentin geworden. Das tut ihrem selbstüberzeugtem Ego sicher mal gut. Aber du musst wissen, dass sie in der Vergangenheit immer sehr fürsorglich mir gegenüber war. Sie hat mich vor anderen verteidigt und mir wertvolle Ratschläge gegeben, auch was unsere gesetzeswidrige Arbeit betraf… Fast wie eine große Schwester“, sprach Amelia sanft, damit Miceylas schlechter Eindruck von Irene sich etwas verflüchtigte.

„Ja… Ihr liebevoller Umgang dir gegenüber sticht sehr hervor. Sie hat dir sicherlich in schweren Zeiten viel Kraft und Rückendeckung gegeben. Dafür bin ich ihr dankbar, auch wenn dies nichts daran ändert, dass ich sie nicht leiden kann“, erwiderte sie ehrlich.

„Über Irene wollte ich eigentlich gar nicht reden… Ich hatte vor mich zu erkundigen, ob Fred sich langsam wieder von seinen schweren Verletzungen erholt. Es sind zwar erst sechs Tage vergangen und doch hoffe ich, dass er sich aufgrund seiner guten Körperkondition rasch regeneriert. Denn das schlechte Gewissen lässt mich nicht los, dass ich ihn an jenem Tag alleine in Schottland zurückließ und nicht darüber nachdachte, dass er sich ohne jegliche Unterstützung Harley stellen könnte… Doch hätten wir die Rollen getauscht, wäre es nicht anders verlaufen. Es sieht mir nicht ähnlich, mir solange über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Verzeih, wenn ich damit wieder unangenehme Erinnerungen, an die Ereignisse dort bei dir wachrufe“, vertraute Amelia sich ihr mit entschuldigender Miene an. Miceyla setzte sich, ehe sie darauf antwortete auf eine Bank und bedeutete Amelia mit einer Handgeste, neben ihr Platz zu nehmen. Erst als sie beide es sich bequem gemacht hatten, führte Miceyla ihr Gespräch fort.

„Sorge dich nicht darum, negative Erinnerungen wachzurufen, sie sind tagtäglich in unseren Köpfen präsent. Das Gestern zu vergessen ist unmöglich, weiterzuleben ist die einzige Lösung welche uns bleibt. Du und Fred verbindet gewissermaßen ein Schicksal. Verdränge deine Gedanken an den bitteren Vorfall in Schottland nicht krampfhaft. Darüber nachzudenken hilft dir dabei, das Ganze besser zu verarbeiten. Und es wird dich sehr freuen zu hören, dass Fred gestern das erste Mal wieder auf den Beinen war. Er ist taffer und zäher als andere jungen Männer in seinem Alter. Was er nicht zuletzt seinem besonderen Training zu verdanken hat. Auch er hat sich bei mir nach dir erkundigt und bestellt dir beste Grüße“, erzählte Miceyla freudestrahlend und war beinahe über Amelias ungewöhnliches Interesse, an einer Person die sie nur flüchtig kannte, erstaunt, da sie selbst bei jedem abgesehen von Clayton unnahbar auftrat. `Wie gern würde ich dir jetzt vorschlagen, uns einfach mal besuchen zu kommen und dich persönlich mit Fred auszutauschen. Aber dann beharrtest du nur wieder auf deine sture Distanz. Es lässt sich wohl nicht ändern, dass wir uns in zwei unterschiedlichen Welten abgeschottet haben. Aber du hast nun einen Menschen gefunden, der dich wertschätzt und ehrlich mit dir umgeht. Dein Herz spürt dies, auch wenn dein Verstand sich dagegen sträubt. Doch sagte ich dir all jene Tatsachen jetzt ganz offen heraus, wärst du darüber bloß wütend. Wenn du endlich dein Glück fändest, wäre ich selber auch glücklich darüber. Löse dich von einer unglücklichen Liebe, welche dir nur Kummer einbringt und deine Lebensfreude raubt. Doch ich bin mir noch immer sicher, dass die Zeit alle Probleme auf ganz natürliche Weise lösen wird. So lass uns Geduld haben. Nur…was würdest du tun, wenn Clayton von jetzt auf gleich nicht mehr da wäre? Wenn er sterben würde…? Die Welt bräche für dich zusammen, denn noch bist du zu sehr von ihm abhängig…` In ihren eigenen Überlegungen vertieft, überhörte sie beinahe, wie Amelia ihr bereits antwortete.

„Wie wunderbar, ihm geht es also besser! Das war es, was ich hören wollte. Danke Miceyla, ich mag dich nicht länger aufhalten und wünsche dir noch einen schönen Abend.“ Kurz darauf stürmte Amelia beschwingt aus der Umkleidekabine und beendete abrupt ihre Unterhaltung. Leicht verdutzt blickte Miceyla ihr nach und musste dennoch bittersüß lächeln. `Du fürchtest dich davor, ich könnte meine Gedanken laut aussprechen… Es ist in Ordnung, lerne dir selbst zu vergeben und lasse von dem Streben ab, es allen Recht machen zu wollen. Sogar die tiefsten Wunden im Herzen heilen, auch wenn sie sich niemals komplett schließen…` Fertig umgezogen, verließ Miceyla das Theater durch den Hintereingang. Dort stand Moran versteckt in den Schatten an einer Mauer angelehnt und rauchte seelenruhig eine Zigarette. Seit der schockierenden Erfahrung ihrer Entführung, hatte William ohne Wenn und Aber beschlossen, sie nicht mehr ohne Begleitschutz, alleine durch London herumwandeln zu lassen und schon gar nicht bei Nacht. Darum wurde sie nun nach ihren spätabendlichen Auftritten nach Hause eskortiert.

„Hast dir ja heute ganz schön Zeit gelassen. Das mit der Pünktlichkeit nimmst du auch nicht mehr so genau, huh?“, kam sogleich eine neckende Begrüßung von ihm.

„Tja Meister, ich hab mir erlaubt, mit Clay eine kurze Fechtrunde einzulegen. Du und Will dürft auch mal etwas entlastet werden. Dein Training ist hart, aber ich bin nun längst daran gewöhnt. Das ich in so kurzer Zeit solch große Fortschritte gemacht habe, verdanke ich größtenteils dir. Daher muss ich dir dafür ein bescheidenes Lob aussprechen. Dies nur so am Rande… Und ich hätte nichts dagegen, wenn wir in der nächsten Zeit ein klein wenig mehr mit Schusswaffen übern würden“, sprach Miceyla vertraulich und erkannte, dass sie sich allmählich ihren Ängsten stellen musste, anstatt ihnen für immer aus dem Weg zu gehen. Moran blickte sie an und zog etwas ungläubig die Augenbrauen hoch, während sie gemeinsam ohne Eile durch die Straßen von London schlenderten.

„Meinst du das ernst? Ich wäre zwar der Letzte, welcher dagegen etwas einzusetzen hätte, aber du brauchst dich selbst nicht dazu zu zwingen. Keiner erwartet dies von dir. Doch Eigeninitiative hat noch niemandem geschadet. Das sagt gerade der Richtige, nicht wahr? Ha, ha! Danke übrigens für das nette Lob. Wenn ich dich trainiere, weiß ich wenigstens woran ich bin“, meinte Moran hinterher mit einem breiten Grinsen.

„Dir ist doch bestimmt ebenfalls nicht danach, auf direktem Wege Heim zu gehen, oder? Und ich habe gerade recht gut Laune. Was hältst du also davon, wenn wir noch irgendwo für eine Weile einkehren. Ein ordentliches Abendmahl, können wir uns dabei auch direkt erlauben“, schlug Miceyla spontan vor und knuffte ihn sorglos gegen die Seite.

„Ui, wie kommt das? Na dann, auf geht’s! Und Louis wird zur Abwechslung mal von einem Nervenzusammenbruch verschont, wenn ich gesättigt ankomme und er für keine halbe Kolonie kochen muss, ha, ha!“, stimmte er ihr sogleich munter zu und beide schlugen eine neue Richtung ein. Ihr kam dies ganz gelegen, da im Moriarty-Anwesen sich eine schwer beschreibbare Atmosphäre eingeschlichen hatte, die ihr ungeheuerlich auf den Magen schlug. Es begann alles mehr oder weniger in jenem Moment, als William sie mit einer unvorhergesehenen Frage überrumpelte…

„Ähm… Kinder?! W-wo kommt das denn so plötzlich her? Deine Fragen haben immer einen ernsten Hintergrund, daher erwartest du auch eine ernsthafte Antwort von mir… Also…für mich war es stets nur ein Traum, eines Tages eine eigene Familie zu gründen. Aber durch die ganzen holprigen Umstände, wird es wohl oder übel ein Traum bleiben. Ich liebe Kinder…doch wir können nicht selber welche haben. Der Weg welchen wir wählten, lässt es nicht zu. Ein Kind muss im Schutz einer Familie aufwachsen und von Eltern behütet werden, die es an eine glückliche Zukunft heranführen. Und nun frage ich dich…sind wir überhaupt dazu imstande? Bedenke nur, mit was für einer großen Bürde unser Kind geboren werden würde. Sicher bietet das Dasein als Adeliger die besten Voraussetzungen, um einem Kind alles zu geben, was immer es sich wünscht. Doch…wir sind der Kern des Verbrechens und wandeln mit dem Messer im Rücken durchs Leben. Das wir dabei möglicherweise sterben …kann auf lange Sicht hin nicht verhindert werden… Und was sagst du zu der Vorstellung, dass unser Kind wie du und Louis als Waisenkind aufwachsen würde…? Nein…ich könnte diesen Schmerz nicht ertragen, der Gedanke zerreißt mir das Herz…“, antwortete sie ihm mit einem unsicheren Unterton und spürte, wie sie bei diesem sensiblen Thema, von einer emotionalen Gefühlswelle gepackt wurde. Und in Kombination mit Williams immer sanfter werdenden Lächeln, drohte sie beinahe vor Schwindel umzukippen. Er kam dem entgegen und führte sie liebevoll an der Hand zum Bett, damit sie sich nebeneinandersetzen konnten.

„Ich höre aus deinen Worten, wieder die unbeirrte Realistin heraus. Und wer gleich mit negativen Vorstellungen beginnt, kann nur schwer enttäuscht werden wie du weißt. Diese goldene Regel haben wir uns wohl beide einverleibt. Aber jetzt höre dir auch meine Stellungnahme dazu an. Albert, Louis und ich haben uns seit Anbeginn darum bemüht, trotz aller Bescheidenheit, uns gegenseitig die größten Herzenswünsche zu erfüllen. Glück ist immer nur vorübergehend, doch wer im Leben nicht seine wertvolle Zeit voll ausschöpft, ist bereits tot. Ich brauche dir nicht die Hoffnung einzureden, dass wir ein glimpfliches Ende erhalten werden. Aber es existiert keine Familie auf der Welt, ob nun arm oder reich, welche für den hundertprozentigen Schutz von sich oder den ihrer Kinder sorgen kann. Du glaubst doch selber daran, dass die Natur und Zeit ihre eigenen Wege findet. Beweise mir aufs Neue, meine Liebe, dass du mittlerweile an größerem Vertrauen zu dir und deinem Umfeld gewonnen hast. Niemals ließe ich zu, dass unserem Kind etwas zustoße oder um eine ungewisse Zukunft bangen müsste, du ebenfalls nicht. Habe ich dich bislang schon einmal enttäuscht? Du scheinst immer noch im Irrglauben zu sein, ich stelle den Moriarty-Plan über alles andere. Doch allein bei deiner Rettungsaktion in Schottland, haben wir alles auf eine Karte gesetzt. Du, Albert und Louis steht an erster Stelle und ich bin immer für euch da…wir alle sind füreinander da, selbst wenn wir scheitern würden. Beweisen wir damit der Welt nicht schon, was bedingungslose Liebe bedeutet?“, entgegnete William ihr liebevoll, dennoch beharrlich mit überzeugender Stimme. Miceyla lehnte sich nachdenklich gegen ihn und schloss die Augen.

„Vertrauen…habe Vertrauen in dich und deine Mitmenschen… Es wäre so unsagbar schön. Ein solches Wunder würde uns alle sehr glücklich machen…“, flüsterte sie noch, wobei die Müdigkeit sie allmählich vollends übermannte…

Moran öffnete die Tür zu einem gut besuchten Pub und sie setzten sich gemeinsam an einen freien Tisch. Miceyla ignorierte die aufdringlichen Blicke der jungen Frauen, welche Moran galten und gab direkt eine Bestellung auf. Plötzlich spitzte sie die Ohren, als das Gespräch zweier Männer am Tisch hinter ihnen, ihr Interesse weckte. Auch Moran konzentrierte sich darauf, obwohl er nach außen hin so tat, dass er seine Aufmerksamkeit den angetrunkenen Frauen schenken würde.

„Dich hat man also auch über den Tisch gezogen, was? Hab ja gleich gesagt, dass Harefield ein Drecksloch ist!“

„Du sagst es! Keine zehn Pferde bringen mich dazu, noch mal dieses elende Kaff zu betreten! Ich bin pleite bis auf das letzte Hemd und meine verbliebenden Schulden, muss ich angeblich mit meinem Leben bezahlen. Pah, dieser hässliche Fettsack hat die Taschen voller Geld, alles andere interessiert den einen feuchten Dreck. Als ob er da einen einzigen Ausreißer nachjagen würde! Hier in London wird der Mistkerl mich nicht finden. Ich suche mir einfach einen neuen Job unter falschem Namen und das wars!“

„Pass nur auf, dass du deinen alten Schädel nicht verlierst, Kumpel. Die Ganoven jagen dir schneller eine Kugel ins Hirn, als das du Bier sagen kannst, ha, ha, ha!“ Nach der Unterhaltung trank der Mann, welcher scheinbar Opfer eines gierigen Geldeintreibers geworden war, seinen Krug mit einem Schluck aus und verließ die Bar. Miceylas Blick traf sich mit dem von Moran und beide wussten, ohne das einer der beiden es aussprechen musste, worauf die gerade aufgeschnappte Geschichte zurückzuführen war.

„Harefield, huh… Was sollen wir tun, ihn verfolgen und uns der Sache annehmen oder das gerade Gehörte ignorieren und keine weitere Zeit dafür verschwenden? Du entscheidest…“, gab Moran ihr großzügig den Vortritt, eine Entscheidung zu treffen, da sie gerade mit ihrem Geburtsort konfrontiert wurde. Ruhigen Gemüts blickte Miceyla ihm weiterhin unberührt in die Augen.

„Wir nehmen unverzüglich die Verfolgung des Mannes auf. Etwas sagt mir, dass er gerade sein letztes Bier getrunken hat. Lebend nutzt er uns mehr… Der Graf von Harefield beauftragt Attentäter, die für ihn sogar Opfer am anderen Ende der Welt ausschalten würden. Ja…ich habe mich kundig gemacht… Die strikte Hierarchie, hat Harefield noch immer fest im Griff…“, entschied sie entschlossen, bemühte sich dennoch ihre Stimme gedämpft zu halten.

„Dann ist es beschlossene Sache. Dies ist nun dein persönlicher Fall, doch ich folge dir ins Herz der Hölle, bis wir das Übel im Kern erstickt haben…“, versprach Moran mit einem übertrieben ernsten Gesichtsausdruck.

„Schon gut, du musst nicht gleich Will zitieren, ha, ha. Los, wir müssen uns sputen…“ Nachdem sie beide noch rasch ihre Bezahlung auf den Tisch gelegt hatten, lief Miceyla voraus und stellte erleichtert fest, dass sich der Mann noch in Blickweite befand. Unauffällig nahmen sie dessen Verfolgung auf. Ihr stockte der Atem, als wie aus dem Nichts eine dunkle Gestalt hinter ihm erschien. Miceyla und Moran warfen sich nickende Blicke zu und liefen nun schneller. Jedoch fand ihre Verfolgungsjagd ein jähes Ende, als zwei in pechschwarz gekleidete Männer ihnen den Weg versperrten und sie von einem sichtnehmenden Nebel umhüllt wurden.

„Das…das ist Schlafgas! Miceyla, atme das bloß nicht…“, schrie Moran lauthals eine Warnung aus und wurde Zeuge dessen, wie entsetzlich zügig sich die Wirkung des Gases entfaltete. Denn er sackte gegen seinen Willen auf die Knie und nahm seine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Miceyla rannte trotzdem blindlinks geradeaus weiter und hielt dabei krampfhaft die Luft an. Erst als sie einen sicheren Abstand zu der dichten Nebelwolke gewonnen hatte, blickte sie hektisch zurück.

„Moran!“, rief sie panisch und wartete vergebens auf eine Reaktion von ihm. Zu ihm umzukehren wurde ihr ebenfalls verwehrt, da nun sie es war, die verfolgt wurde…

„Moran…! Moran…!“ Blinzelnd öffnete Moran die Augen, als er von einer vertrauten Stimme zurück ins Diesseits gerufen wurde.

„Urgh… Peinlich, dass mich so ein bisschen müffelnde Luft umgehauen hat. Ich danke dem Schicksal, dass du gerade in der Nähe warst. Und noch im Dienst, wie ich sehe… Eile Miceyla zur Hilfe, sie wird in die Enge getrieben. Dauert noch einen kurzen Augenblick, bis ich wieder auf den Beinen bin.“

„Das brauchst du mir nicht zweimal zu sagen. Die Unholde dürfen sich schonmal darauf gefasst machen, dem Jenseits zu begegnen, noch ehe sie ihr etwas antun können…“

Miceyla hechtete nach Atem ringend durch dunkle Gassen. Auch wenn sie wusste, dass ihre beiden Verfolger sie jeden Moment einholen würden, konzentrierte sie sich noch immer auf den in Gefahr schwebenden Mann aus dem Pub, der erst jetzt entsetzt erkannte, dass jemand nach seinem Leben trachtete und verängstigt mit dem Rücken an einer Hauswand stand.

„N-nein… L-lass mich in Frieden! Ich habe nichts falsch gemacht!“ Nun war dessen düsterer Verfolger kurz davor, ihm mit einem geschärften Messer zum Schweigen zu bringen. Miceyla zückte einen Dolch, die einzige Waffe welche sie gerade griffbereit hatte und stelle sich noch rechtszeitig vor den wimmernden Mann.

„Hm… Was bringt dich dazu, eine Made wie den zu beschützen? Kann es sein…? In wessen Auftrag handelst du?“ Unerschrocken blickte sie in das Gesicht des Attentäters und erkannte, dass es sich dabei um einen noch relativ jungen Mann handelte, der aufgrund seiner schlanken Statur, auf kurzer Distanz überdurchschnittlich schnell rennen konnte.

„Ich bin die `Hüterin der Gerechtigkeit`. Mehr braucht ein Handlanger des Bösen nicht zu wissen“, verkündete sie standhaft und richtete ohne mit der Wimper zu zucken ihren Dolch auf ihn.

„So, so… Dieser Blick… Du siehst darin also mehr, als ein paar zeitvertreibende Kinkerlitzchen. Dann sollst du bekommen wonach du verlangst…“ Ehe sie wusste wie ihr geschah, hatte der Mann ihr den Dolch, mit solch einer Wucht aus der Hand geschlagen, dass es sie in einem benebelten Bewusstseinszustand zurückließ. Und noch bevor sie wieder reagieren konnte, hatte er sein hilfloses Opfer hinter ihr erstochen.

„Nein! Wie kann man sich nur derart herabsetzen und für irgendwelche Machthaber die Drecksarbeit erledigen?! Hass schürt nur noch größeren Hass. Dieser Teufelskreislauf muss endlich unterbrochen werden!“, zischte Miceyla vor Wut und Trauer gepackt. Unbekümmert wandte der Mann sich ihr wieder zu. Mittlerweile hatten sich seine Verbündeten zu ihm gesellt und sie umstellt.

„Was soll die Aufregung? Bist du nicht dasselbe wie ich? Wir sind alles wilde Bestien, uns lüstet es nach Vergeltung und Selbstzufriedenheit. Ich mache nur meine Arbeit, dafür werde ich bezahlt und kann dadurch ein sorgenfreies Leben führen. Es war ein fataler Fehler, dich in fremde Angelegenheiten einzumischen. Daher muss ich dich nun ebenfalls zum Schweigen bringen. Bei einer solchen Schönheit wie dir, verspüre ich fast so etwas wie Reue. Fühle dich geehrt. Sei beruhigt, ich lasse dich nicht leiden und mache es kurz und schmerzlos…“ Ein kribbelndes Zittern durchfuhr Miceyla und sie biss verzweifelt die Zähne aufeinander. Sie ärgerte sich darüber, dass sie sich schon viel zu sehr daran gewöhnt hatte, dem Tod gegenüberzutreten, obwohl sie nichts mehr fürchtete. Es ließ sich einfach nicht vermeiden, es würde immer auf dieselbe Situation hinauslaufen.

„Ich…ich werde nicht sterben… Mein Wille hat mich in all den schweren Zeiten am Leben gehalten. Durchhalten… Ich muss stark bleiben!“, sprach sie mutmachende Worte an sich selbst laut aus. Der sich bedrohlich vor ihr aufbauende Mann, kam nicht mal dazu seine Messer umklammernde Hand in ihre Richtung zu schwingen, da dessen Aufmerksamkeit auf einen seiner Kameraden fiel, der geräuschlos von hinten attackiert wurde und leblos zu Boden stürzte. Unmittelbar nach jener unterbrechenden Szene, stellte sich jemand dicht neben Miceyla und zog sie schützend an sich.

„Albert!“ Mit vor Erleichterung und Freude glänzenden Augen, blickte sie zu ihm auf. Vor lauter Aufregung entging ihr, wie sie beim Anblick, ihn in seiner Militäruniform zu sehen, leicht errötete.

„Guten Abend, achten Sie doch bitte darauf, dass Ihnen das Messer kein weiteres Mal aus der Hand rutscht. Wir haben nun Verluste auf beiden Seiten zu verzeichnen. Wären wir damit nicht quitt? Ist es nicht auch in Ihrem Interesse, zusätzliche lästige Komplikationen zu vermeiden und in einem friedlichen Waffenstillstand auseinanderzugehen? Wir schweigen über den Vorfall und umgehen unnötige Drohungen. Na, was sagen Sie? Oder kann Ihr verdorbener Verstand, so etwas wie Fairness nicht mehr herausfiltern?“, verhandelte Albert sarkastisch und lächelte ihren Widersacher selbstbewusst an.

„Oho… Du hast sogar Freunde beim Militär. Scheinst mir ja eine ganz wichtige Persönlichkeit zu sein. Aber…in was für einem Verhältnis steht ihr beide denn wirklich zueinander?“, fragte dieser herausfordernd und sein gefallener Verbündeter ließ ihn völlig kalt. Miceyla und Albert blickten sich für einen kurzen Moment schweigend in die Augen, wobei sie glaubte, jeder in ihrer unmittelbaren Umgebung, müsste ihren wild klopfenden Herzschlag vernehmen können. Nach ihrem flüchtigen, intensiven Blickaustausch, schmiegte er sich dicht an sie und nahm ihre Hand zärtlich in die seine.

„Wir beide…sind nur Bruder und Schwester…“, sprachen beide gleichzeitig und hatten dabei sogar beinahe denselben Gesichtsausdruck, sodass sie sich in jenem Augenblick ähnlicher als sonst sahen. Der bewaffnete Mann kniff verärgert die Augenbrauen zusammen und richtete erneut sein Messer auf sie.

„Tss! Das wollte ich garantiert nicht hören! Unnötige Informationen landen bei mir auf dem Schafott. Schön, ihr wollt mir scheinbar nicht verraten, in welche dreckigen Machenschaften ihr verwickelt seid. Nur den Namen, für den Grabstein des Geschwisterpaares, wüsste ich nur zu gern…“ Albert richtete warnend seine entsicherte Pistole auf ihn und seine Miene wirkte auf einmal wesentlich düsterer.

„Moriarty…“ Alsbald er den Namen preisgegeben hatte, senkte der Attentäter sein Messer und gab seinem fast unscheinbaren Kamerad, mit seiner Hand ein Zeichen zum Rückzug.

„Moriarty… Dann sehen wir uns in Harefield, sofern euch der Sinn nach einer Revanche steht…“ Mit diesen unheilverheißenden Worten, machten er und sein Mitstreiter sich aus dem Staub und verschwanden binnen eines kurzen Wimpernschlags. Seufzend hob sie ihren Dolch vom Boden auf und lehnte sich anschließend gegen die Hauswand an, da die Gefahr nun gebannt war.

„Danke, mein edler Retter. Wie kann ich dir nur jemals für deine heldenhafte Rettung danken?“, meinte sie lächelnd und spürte wie ihr innerlich angespannter Krampf, sich langsam durch Erleichterung löste.

„Nun…wie wäre es denn mit einem Kuss?“, erwiderte Albert sogleich grinsend und beugte sich so plötzlich ohne Vorwarnung zu ihrem Gesicht hinab, dass sie nicht anders konnte, als verunsichert auf der Stelle zu verharren und sich dabei in seinen funkelnd smaragdgrünen Augen zu verlieren.

„Was hab ich alles verpasst? Oh Mann, Miceyla, wie hast du es eigentlich geschafft, nichts von dem Schlafgas einzuatmen? Du warst genauso überrumpelt wie ich!“ Albert und sie wurden jäh unterbrochen, als ein leicht torkelnder Moran auftauchte und sie glaubte einen Herzstillstand zu bekommen, als er ihr seine Hand auf die Schulter legte. Albert hingegen nahm wieder seine würdevolle Haltung ein und blickte so gelassen drein wie eh und je. `W-was ist bloß los mit mir?! Warum lasse ich zu, dass mich deine verführerischen Spielchen derart durcheinanderbringen? Aber…ist das wirklich nur ein Spiel…? Wenn das so weiter geht, werden wir beide dadurch nur noch mehr verletzt… Ich sehe es dir doch an, nach außen hin gibst du dich stolz und stark, doch eigentlich leidet deine Seele…`, dachte Miceyla geknickt und bemühte sich einen klaren Gedanken zu bewahren.

„Ich vermute, ihr zwei habt bereits unter euch ausgemacht, dass die Bereinigung dieses Falls nun uns obliegt. Dann werden wir auch zu Ende führen, was wir begonnen haben. Erstatten wir William Bericht. Uns erwartet ein unterhaltsames Rendezvous in Harefield“, sprach Albert vorausschauend und zwinkerte Moran lächelnd zu.

„Verzeiht… Das Schlamassel haben wir mal wieder meinem eigenmächtigen Handeln zu verdanken. Aber dafür sind wir schließlich da, um die Rechte der wehrlosen Bürger zu verteidigen. Jedoch…sollen wir den Tatort jetzt wirklich einfach verlassen, ohne jegliche Spuren zu beseitigen? Die beiden Leichen, könnten bei gewissen Personen zu falschen Schlussfolgerungen führen…“, verwies Miceyla besorgt auf die zwei in einer Blutlache liegenden Männer.

„Scotland Yard darf ruhig auch mal seinen Grips anstrengen. Fehlschlüsse haben auch etwas Gutes, denn es gibt ja glücklicherweise einen berüchtigten Detektiv, der nicht davor zurückschreckt die Nadel im Hauhaufen zu suchen, um die Wahrheit ans Licht zubringen. Oder fürchtest du, unser Weg und der von Holmes könnten sich mal wieder überschneiden? Na komm meine Liebe, fahren wir nach Hause.“ Albert legte ablenkend einen Arm um Miceyla und führte sie von dem Ort des Verbrechens weg. Moran folgte ihnen noch immer leicht benommen. `Sherlock… Es wird nicht mehr lange dauern, dann erfährt er von der Identität des Meisterverbrechers. Etliche Veränderungen wird dies mit sich ziehen… Wir werden uns auf eine andere Art und Weise begegnen. Wie John und Emily darauf reagieren, mag ich mir auch noch nicht vorstellen. Die Wahrheit kann Menschen verfremden…`, dachte sie betrübt, während sie in der Kutsche fuhren.

„Sieh an, hat ja nicht lange gedauert, bis ihr euch in neue Schwierigkeiten stürzt. Ich hoffe eine spannende Geschichte zu hören, bei der es sich lohnt das Ende umzuschreiben. Aber erst mal willkommen daheim“, begrüßte William die drei Ankömmlinge mit einem strahlenden Lächeln und konnte anhand eines kurzen Blickes auf ihr äußeres Erscheinungsbild ablesen, dass es einen spätabendlichen Vorfall gegeben haben musste.

„Albert und Moran können ja schon mal anfangen zu erzählen, ich bin gleich wieder da…“ Geschwind lief Miceyla an William vorbei die Treppe hinauf und drückte sich unbewusst vor einem unbehaglichen Gespräch, bei dem es wieder nur um Harefield ging und in ihr traumatische Erinnerungen wachrufen würde. Mit einem leicht kummervollen Blick sah er ihr nach und wusste, dass wenn sie etwas sehr beschäftigte, sie verbissen versuchte sich abzulenken, um schmerzvollen Gefühlen aus dem Weg zu gehen, was ihr aber nie wirklich gelang… Vor Freds geschlossener Zimmertür stehend, klopfte sie dreimal an.

„Ja?“ Nachdem sie seine zaghafte Stimme gehört hatte, trat sie herein und wurde gleich mit einem freundlichen Lächeln begrüßt.

„Hallo Miceyla, schön dich zu sehen. Du siehst wieder viel fröhlicher aus, das stimmt auch mich heiter. Der Vorfall in Schottland war für uns alle eine Bewährungsprobe. Ganz besonders für William… Sein Verstand und Herz sind nicht im Reinen miteinander. Die Menschen aus dem Hintergrund heraus zu beobachten, ist schließlich so etwas wie meine verborgene Gabe. Wir alle wandeln durch Dunkelheit, doch er ist dabei in einen finsteren Abgrund hinabzusteigen, in dem ihn keiner von uns mehr erreichen kann. Doch ich glaube daran, dass dein Licht ihn vor jeglicher Finsternis bewahren wird. Eure Liebe siegt mit Sicherheit am Ende und wird das Böse bezwingen. Auch ein solch rational denkender Mensch wie William, erkennt dies früher oder später. An diesen Glauben klammere ich mich. Mein Antrieb, die Hoffnung niemals aufzugeben und an eurer Seite bis zum bitteren Ende zu kämpfen“, sprach Fred ergriffen und bemühte sich ihr ein erzwungenes Lächeln zu schenken. Seine gefühlvollen Worte trieben ihr Tränen in die Augen. Er war ein sehr schweigsamer Junge, doch sie wusste, dass er ein besonders mitfühlendes Herz besaß. Miceyla setzte sich zu ihm auf das Bett und fuhr ihm sachte mit der Hand durch sein Haar.

„Fred… Ich werde für Will an jedem trüben Tag eine strahlende Sonne und in jeder sternenlosen Nacht ein funkelnder Mond sein. Ich bin so unendlich dankbar, dass ich euch alle in mein Herz schließen durfte und Teil einer Gemeinschaft sein darf, die sich gegenseitig Kraft und Mut spendet, auch wenn es ab und an zu Unstimmigkeiten kommt. Ich liebe euch alle, ihr seid zu meiner wahren Familie geworden… Eigentlich bin ich zu dir gekommen, weil ich dir freudige Nachrichten übermitteln wollte. Amelia bestellt dir ihre besten Grüße. Und ich habe ihr von dir erzählt, dass es Berg auf geht und du dich bald wieder bester Gesundheit erfreuen kannst. Du hättest ihr überglückliches Gesicht sehen sollen“, berichtete Miceyla ihm, woraufhin Freds Augen vor Freude zu leuchten begannen und er nicht anders konnte, als sie aus Dankbarkeit zu umarmen.

„Amelia… Sie ist so wunderschön wenn sie lächelt… Sie hat wahren Schmerz kennengelernt, genau wie du. Und doch seid ihr beide stark geworden. Danke…ich danke dir Miceyla… Mögen Amelia und ich uns jetzt auch noch fern sein, eines Tages werden wir in einer Welt leben, in der uns keine Mauern mehr voneinander trennen. Lass uns daran glauben…“, flüsterte er fest entschlossen. Miceyla erwiderte seine Umarmung, doch in ihr taten sich erneut pessimistische Zweifel auf. `Es wäre alles zu schön um wahr zu sein… Was werde ich wohl vorfinden, wenn die Mauern zwischen Sherlock und mir einzustürzen beginnen…? Bestimmt nur eine unüberwindbare brennende Schlucht…`, dachte sie trüb und erinnerte sich dennoch hartnäckig daran, dass wahre Freundschaft jeden Kampf überstehen konnte und mit der Kraft der Liebe gleichzusetzen war.

„Ja…so wird es sein…mit Sicherheit… Wer derart viele Opfer bringt und verbissener als jeder andere kämpft, wie wir es tun, muss irgendwann dafür belohnt werden. Mag unsere Sünde des Verbrechens auch niemals beglichen werden können…“, gab sie ihm mit sanfter Stimme eine zögerliche Antwort und schloss für einen kurzen Moment die Augen.

„Ich muss jetzt wieder nach unten… Es wartet noch eine lästige Besprechungsrunde auf mich. Aber ich habe mich fest dazu entschlossen, mich meiner albtraumhaften Vergangenheit zu stellen. Nun ist es an der Zeit, auch Harefield von den Fesseln des Klassensystems zu befreien“, teilte Miceyla Fred mit gemischten Gefühlen mit und löste sich seufzend von ihm.

„Ich komme mit dir und werde ebenfalls an der Besprechung teilnehmen! Die nächsten Aufträge stehen wir wieder gemeinsam durch! Ich enttäusche niemanden mehr oder lasse einen von euch im Stich!“, teilte er ihr hastig voller Inbrunst mit. Miceyla öffnete schon den Mund um ihm zu wiedersprechen und ihn dazu ermutigen, sich vorerst noch auszuruhen. Doch sie erkannte, dass es ihn nur kränken und das stolze Gefühl gebraucht zu werden verletzen würde. Solange sie gegenseitig aufeinander Acht gaben, war alles in Ordnung. Und so reichte sie Fred mit einem zustimmenden Lächeln ihre Hand, um ihm von seinem Bett aufzuhelfen.

„Nanu? Wo sind denn alle hin? Sag bloß, die haben sich in den Keller verkrümelt… Mich lässt die leise Befürchtung nicht los, dass aus diesem Fall ein ganzer Feldzug gemacht wird. Besonders Moran ist Feuer und Flamme, der Obrigkeit von Harefield den Garaus zu machen… Und nicht nur er…“, murmelte Miceyla vor sich hin, als sie ein dunkles und verlassenes Wohnzimmer vorfanden.

„Dann lass uns dort nachsehen gehen. Sicher mag dir William damit nur demonstrieren, wie ernst er deine Auseinandersetzung mit Harefield nimmt“, meinte Fred aufmunternd und stupste sie aufmunternd gegen den Arm. Lächelnd lief sie mit ihm die Kellertreppe hinab und wie sie es vermutet hatte, wartete ein heiteres Empfangskomitee, in ihrem geheimen Besprechungsraum auf sie beide.

„Aha, da sind die zwei Nachzügler ja! Damit wären wir vollzählig, wer sagts denn! Legen wir los!“, sprach Moran enthusiastisch, als Miceyla und Fred den in dämmriges Licht getauchten Raum betraten.

„Unsere Besprechungen dienen nicht zu deiner persönlichen Unterhaltung. Zudem kannst du auch außerhalb unserer Treffen saufen und futtern. Dem vornehmen Herrn, ist wohl jeglicher Sinn für Rücksichtnahme dezent entglitten“, kommentierte Louis Morans schlechtes Benehmen wie immer streng. Doch waren seine negativen Charakterzüge für ihn allmählich zur Gewohnheit geworden und er hatte sich angewöhnt, mit mehr Humor darauf zu reagieren.

„Setzt dich, meine Liebe. Wir haben uns bisher nur über die groben Fakten ausgetauscht“, verriet ihr Albert mit gutmütiger Miene und bat sie mit einer freundlichen Geste, neben ihm Platz zu nehmen. Nun war ihr Blick voll und ganz auf William gerichtet, der so tiefenentspannt und mit solch einem liebevollem Lächeln dastand, dass seine innere Ruhe und Ausgeglichenheit sich wieder auf sie übertrug, als sich ihre Blicke trafen.

„Miceyla, du hast dich dafür entschieden, Harefield endlich von der Ungerechtigkeit zu befreien, welche wie fast überall Orts ihr Unwesen treibt. Dies wird sicherlich auch dazu beitragen, einen Teil deines erlebten Leids niederzubrennen. Feuer mit Feuer zu bekämpfen, verschafft einem manchmal eine klarere Sicht. Wir nehmen uns der Sache als Gruppe an und ich lasse dich eigenständig bestimmen, mit welchen Prinzipien und welcher Art von Härte wir bei dem Fall vorgehen sollen, um unser Ziel zu erreichen“, begann William zum Einstieg ungezwungen und wartete eine wohlüberlegte Äußerung ihrerseits ab.

„Dann lasst uns mal ganz spartanisch sein und das Übel im Kern ersticken. Sprich wir finden heraus, welcher wohlhabende Egomane in Harefield der Strippenzieher, bei all den dortigen Untaten ist und beseitigen ihn, inklusive dessen Anhänger. Auf eine für uns übliche `diskrete` Weise versteht sich… Du würdest es letztendlich nicht anders machen. Verhandlungen, Erpressungen und andere ähnliche stümperhafte Schritte, sind nun mal keine Lösungen mit überzeugenden Erfolgsaussichten. Ein von Grund auf böser Mensch, lässt sich durch nichts ändern und wird sein Umfeld immer wieder aufs Neue täuschen. Doch sobald ein solcher Mensch verschwindet, führt dies dazu, dass etliche Unschuldige endlich zu ihrem unbeschwerten Lächeln zurückfinden können. Eine Wahrheit, der auch ich mir schmerzlich bewusst werden musste… Ein Verbrechen, welches Erniedrigung unterbindet… So lautet meine sachliche und gut verständliche Meinung dazu. Alleine könnte ich niemals etwas an der Situation in Harefield ändern. Doch dies bin ich jetzt nun mal nicht mehr, daher sollte die Chance am Schopfe gepackt und ein Schritt nach vorn gemacht werden“, schilderte sie offen vor den anderen ihre konkreten Vorstellungen, bei der Planung ihrer Herangehensweise und konnte es dennoch nicht über sich bringen, das Wort `Mord` in den Mund zu nehmen. Nichtsdestotrotz lag diesmal kein Funken Selbstzweifel in ihrer Stimme und die Gesichter um sie herum, schienen allesamt mehr als nur zufrieden, über ihre unkomplizierte Wortwahl zu sein.

„Wohlan, unsere Zielobjekte zu ermitteln ist schnell erledigt. Wenn wir wieder gemeinsam ein perfektes Verbrechen inszenieren, würde dies als eine weitere Tat des Meisterverbrechers an die Öffentlichkeit gelangen. Es sei denn…du ziehst lieber in Betracht, mit Sherlocks Hilfe der Düsternis in Harefield, auf humane Art Herr zu werden. So oder so wird er sich nach unserem Eingreifen dahinterklemmen. Wir müssen alle bedenken, dass er von deiner Verbindung zu Harefield selbstverständlich im Bilde ist. Es dauert nicht mehr lange, bis er sein letztes fehlendes Puzzleteil erhält. Selbst unser größtes Geschick, wird dagegen dann nicht mehr standhalten können. Sei gewarnt, die unangenehmen Fragen werden nicht ausbleiben… Ich mag nur vermeiden, dass du wieder zwischen die Fronten gerätst“, erinnerte William sie sorgsam an die möglichen Folgen, welche die Befreiung von Harefield mit sich ziehen würde. In seinen Worten lag lediglich die blanke Logik und dennoch machte sich in Miceyla eine unangenehme Frustration breit.

„Gewiss… Das hast du alles wieder faktisch optimal beschrieben. Doch darfst du dir die Umständlichkeit, von dem was du zum Ausdruck bringen willst, gerne ersparen. Sag…es einfach geradewegs heraus, dass du mich vorzugsweise lieber wieder mit Sherlock fortschicken willst. Mögen wir auch ein verlässliches Team abgeben, aber damit ist trotzdem niemandem geholfen. Die Reise nach Schottland, war ja nun wirklich mehr als nur ein bitterer Schlag ins Gesicht. Soll sich etwa ein derartiges Fiasko wiederholen? Dient das alles dazu, um die durchsickernde Wahrheit noch länger unterdrücken zu können? Oder...willst du mich auf schleichendem Wege verstoßen und von dem Moriarty-Plan ausschließen? Sollte ich mit dieser Annahme recht haben…werde ich dafür sorgen, dass mein Vertrauensverhältnis zu Sherlock, dir nicht länger von Nutzen sein wird! Ich bin dir gegenüber stets loyal und kämpfe dennoch damit eine Freundschaft aufrechtzuerhalten, die ebenso auf Ehrlichkeit aufgebaut ist. Wenn mein ganzes Leben zu einer einzigen Lüge wird, verlieren all die aufrichtigen Werte an Bedeutung und der Sinn zum Weiterkämpfen wird mir geraubt… Lege dir mit deinem überragenden strategischen Denken, dein Umfeld so zurecht, wie es dir gerade in den Sinn kommt. Aber was mich betrifft…ich bin keine Schachfigur, die du nach Belieben versetzen kannst. Du bist dir dessen nur zu gut bewusst, welche Gefühle du durch dein Handeln in anderen auslöst. Doch wie steht es mit dir selbst? Wie sieht es in deinem Herzen aus? Leide nicht noch mehr, als du es ohnehin nicht schon tust. Wenn ich nicht da wäre…wer würde dann deine Hand halten , sobald die Dunkelheit dich zu verschlingen droht…? Du wirst merken, wie unerträglich sich diese Kälte anfühlt… Keiner von uns mag ein solches Elend alleine durchleben. Schicke mich ruhig fort und doch werde ich bleiben, hier bei dir…für immer. Auch wenn dies bedeutet, dass ich dafür all meine Freunde und sogar mein eigenes Leben opfere. Du weißt, welcher Verlust der weitaus schmerzvollere wäre… Und ich frage dich erneut…was…was muss ich denn noch alles tun, um dir meine Entschlossenheit zu demonstrieren?“ Miceyla spürte selbst, wie sie sich immer mehr emotional in die Sache hineinsteigerte. Sie wusste, dass sie es mit ihrer Ausdrucksweise etwas übertrieben hatte und dennoch sah sie es nicht ein sich dabei zu stoppen. Schließlich war sie gerade von ihren vertrauten Kameraden umgeben und nicht von irgendwelchen Fremden. Wahrscheinlich war es auch die Angst, dieses unersetzliche Gemeinschaftsgefühl von jetzt auf gleich zu verlieren. Sie versuchte sich wieder ein wenig zu beherrschen und atmete ruhig ein und wieder aus. Die Gruppe hatte aufmerksam zugehört, ohne sie bei ihrer impulsiven Rede zu unterbrechen. Noch immer herrschte Schweigen und als sie Williams wehmütigen Blick begegnete, hielt sie es nicht mehr länger aus.

„Entschuldigt mich bitte…“, sprach sie heiser und verließ hastig den Kellerraum.

„Miceyla!“ Fred wollte ihr besorgt nacheilen, doch Moran hinderte ihn mit einer kopfschüttelnden Geste daran, woraufhin er sich noch zusätzlich verärgert fühlte, was selten bei ihm vorkam.

„Ich sagte ja immer, dass Miceyla zu wankelmütig ist. Aber ich gestehe, dass ihre Willensstärke einen anerkennenden Respekt verdient. Wäre sie nicht hier bei uns, würde etwas fehlen… Sie ist zu einer von uns geworden…“, meldete Louis sich als erstes behutsam zu Wort. William blickte seinen Bruder etwas überrascht an.

„Louis…“, hauchte dieser leise.

„Das solltest du mal in ihrem Beisein sagen, dafür brauchst du dich nicht zu schämen. Was glaubst du, wie sehr sie sich über deine gutherzigen Worte freuen würde. Nur nicht so schüchtern, mein Lieber. Und Will, wir werden jeden Tag erneut Zeuge, dass Miceyla ein unbeugsames Herz besitzt. Ist es nicht weitaus schöner, die verborgene Flamme endlich

barrierefrei zum Leuchten zu bringen, als sie ständig einzudämmen? Selbst der längste Winter verabschiedet sich irgendwann und macht Platz für einen lebensfrohen Sommer“, kommentierte Albert den zögerlichen Einwand von Louis. Anschließend wandte er sich an William mit einem schmunzelnden Lächeln und fand scheinbar Gefallen an Miceylas herrischer Art, gegenüber ihrem eigenen Ehemann. William lehnte sich nach einem langen Seufzer gegen die Wand an und das zaghafte Lächeln, welches seine Lippen umspielte verriet, dass er einsichtig war und nachgab.

„Einen Menschen retten zu wollen, der nicht gerettet werden will, ist eine knifflige Herausforderung, die mit aufbürdenden Qualen für alle Beteiligten verbunden ist. Dann soll es so sein. Ich werde mich darum bemühen, bis zu einem gewissen Grad etwas nachsichtiger zu sein. Die Zeit wird kommen und Miceyla muss eigenständig eine Wahl treffen, unabhängig von äußeren Einflüssen. Nie habe ich vorgehabt, sie zu bevormunden und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Viel eher will ich ein stützender Wegweiser für sie sein. Aber…wenn sie so standhaft ist und Freiheit gegen Gefangenschaft eintauscht, muss sie mir auch beweisen, ob sie bereit ist für dir Liebe eine Freundschaft zu opfern und woran ihr Herz mehr hängt…“, sprach William mit sanfter Stimme und die etwas misslungene Besprechung war vorerst beendet.

Miceyla stand nachdenklich auf dem Balkon und stützte sich dabei mit beiden Armen auf dem breiten Geländer ab. Das endlose Grübeln half ihr auch nicht weiter. Es war wie eine unsichtbare Blockade, die sie davon abhielt, einfach nur dem natürlichen Lauf des Lebens zu folgen… Ihr Herz machte einen freudigen Sprung, als sie hinter sich Schritte vernahm und kurz darauf William zu ihr auf den Balkon trat. Gerade wollte sie nicht alleine sein, obwohl sie gerade eben aus der Runde geflohen war und lief lieber vor ihren negativen Gedanken und der Erinnerung an die bedrückende Einsamkeit davon.

„Ach Will, es tut mir ja so leid. Du wünschst dir nur das Beste für mich und ich halte stur an meinen Idealen fest…“, begann sie leise und lächelte verbittert.

„Nicht doch, mein Liebling. Möglicherweise bin ich etwas taktlos gewesen, denn die jüngst erlebten Auswirkungen der Schottlandreise, sind besonders für dich noch zu präsent. Und wir haben dieselben Ideale und daher auch die gleiche Denkweise. Ich bitte dich darum, dass du es beibehältst, deine Meinung offen vor andern auszusprechen. Dies ist ein Merkmal der Stärke, welches dich einzigartig macht. Schon bei unserem ersten Treffen, habe ich dich dafür sehr bewundert. Du gehörst zu uns und wir gehen die Reise gemeinsam. Niemand wird hier fortgeschickt. Aber bedenke, dass jeder Weg auch unerwartete Abzweigungen mit sich bringt. Das Leben und die Zukunft lassen sich nicht immer im Voraus planen. Auch ich habe nicht die Macht dazu. Der Reiz eines Abenteuers mit Gefahr und Ungewissheit, ist doch für uns alle verlockend, oder nicht? Und zweifelsfrei werden nur wir intern uns um die Angelegenheit in Harefield kümmern, ganz ohne das Mitwirken von anderen `Verbrecherjägern`“, versprach William mit einem verschwiegenen Augenzwinkern und zog sie aufmunternd in seine Arme.

„Ha, ha! Nur lässt es sich kaum vermeiden, diesen anderen `Verbrecherjägern` ständig über den Weg zu laufen. Die Unterwelt ist dafür viel zu eng miteinander vernetzt. Wir müssen nicht nur Sherlocks Scharfsinn im Hinterkopf behalten, auch der Konflikt zwischen Clayton und Harley, wird sich schon sehr bald gefährlich zuspitzen… Womöglich ist Clayton zu noch korrupteren Methoden fähig als wir, um seine Rache zu bekommen… Aber immer der Reihe nach. Und auch wenn alles Schlag auf Schlag kommen sollte, ich werde gemeinsam mit euch kämpfen und ein jeder dem die Gerechtigkeit geraubt wurde, wird unsere Taten anerkennen und sich uns anschließen. Es darf nicht nur Hass existieren, auch uns gegenüber nicht… Solange du bei mir bist, habe ich die Kraft und den Mut eine Waffe zu führen. Ich danke dir für jede einzelne Lektion, welche du mich bisher gelehrt hast. All das neuerlangte Wissen und die Erfahrungen, haben aus mir einen neuen Menschen gemacht. Doch du bist ja selbst Zeuge dieser positiven Entwicklung. Dafür liebe ich dich und jedes einzelne Geschenk, das du mir gemacht hast. Was nicht nur mir, sondern auch noch vielen anderen, ungerecht behandelten Menschen helfen wird“, erwiderte sie mit lieblicher Stimme und genoss dabei seine beruhigende Wärme.

„Danke…das ich einem so wundervollen Menschen wir dir begegnen durfte und du dich dafür entschieden hast, an meiner Seite zu sein. Ich kann das nicht oft genug wiederholen und werde dich jeden Tag daran erinnern, wie viel du mir bedeutest. Ich liebe dich, Miceyla…“ Nach seinem gutmütigen Geständnis, suchte er ihren Blickkontakt und seine schimmernd roten Augen betrachteten sie sehnsuchtsvoll, beinahe schon demütig. Keiner der beiden konnte dem Verlangen, eines leidenschaftlichen Kusses noch länger nachgeben. Wann immer ihre Lippen aufeinandertrafen, bekam Miceyla das unbeschreibliche Gefühl, ihre Herzen würden miteinander verschmelzen und die Zeit zum Stillstand bringen. `Ich werde auf ewig bei dir bleiben und dich vor der Dunkelheit beschützen, so wie du stets bei mir bleiben und die strahlende Flamme sein wirst, die mich vor jedem Übel bewahren wird. Wie Feuer und Eis vereinen wir uns zu einer unantastbaren Einheit…`, dachte sie rührselig und schloss dabei entspannt die Augen.
 

„Das ist doch alles ein wenig komplizierter und aufwendiger, als ich es mir vorgestellt hatte. Wer soll denn bei dem ganzen Papierkram den Überblick behalten? Jetzt haben wir uns noch zusätzliches Chaos eingehandelt…“ Seufzend saß Miceyla am nächsten Morgen, gemeinsam mit Louis an einem Schreibtisch im Archiv des Anwesens und sortierte einen riesigen Stapel Dokumente.

„Wie immer höre ich nur Beschwerden. Wer ein Unternehmen gründet, muss sich eben auch vernünftig um die Finanzen kümmern. Aber das wir so viel zu tun haben, ist ein guter Indiz dafür, wie gut die Pension für heimatlose Katzen floriert. Auch unsere Angestellten, nehmen jeden Tag engagiert ihre Arbeit auf. Alles läuft reibungslos, sodass es nichts zu bemängeln gibt“, sprach Louis mit zufriedener Miene.

„Oh ja, ich bin richtig stolz auf uns alle! Tagtäglich kommen die unterschiedlichsten Besucher. Kinder, Menschen der Arbeiterklasse und auch Adelige. Ein Herz für unschuldige Tiere, kann tatsächlich die Leute zusammenführen und plötzlich entstehen Gespräche auf Augenhöhe. Danke, das du mir so fleißig zur Seite stehst, obwohl du selbst schon genug um die Ohren hast“, stimmte Miceyla ihm lächelnd zu und machte sich wieder um einiges motivierter an den Papierkram. Ohne es zugeben zu wollen, freute Louis sich darüber, dass sie seine bedingungslose Hilfsbereitschaft wertschätzte.

„Auch ich habe dir zu danken. Du besitzt ein herausstechendes Einfallsreichtum. Wäre eine Schande, wenn wir dir nicht die nötigen Mittel zur Verfügung stellen würden, um deine Ideen in die Tat umzusetzen. Wir sind eine Familie und helfen einander. Meinen Brüdern habe ich so viel zu verdanken, daher möchte ich ihnen ebenso viel wieder zurückgeben. Es…wäre egoistisch von mir zu behaupten, ich täte das alles nur für Will und Albert, wo du jeden einzelnen von uns zu unterstützen versuchst und mit Respekt behandelst. Mich eingeschlossen, obwohl ich dir gegenüber immer rigoros bin… Daher fühle ich mich aufrichtiger Weise dazu verpflichtet, dir etwas mehr Anerkennung entgegenzubringen. Du bestreitest denselben leidvollen Pfad wie wir alle. Vielleicht…habe ich versucht diese Tatsache zu verdrängen, doch das ist falsch… Denke jetzt nicht, ich würde dir plötzlich blindes Vertrauen entgegenbringen! Wenn du und Sherlock Wills Plan ins wanken bringen solltet, werde ich…“ Louis stoppte mitten im Satz und wich unbeteiligt ihrem Blickkontakt aus. `Er spricht von Familie… Gehöre ich denn nun endlich für ihn mit dazu…?`, dachte

Miceyla und durchlöcherte ihn mit ihren vor Überraschung geweiteten Augen.

„Ich verstehe wie du dich fühlst… Leibliche Geschwister habe ich selbst keine. Nur herzlose Eltern, die mir nie ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit vermitteln konnten. Jemand wie ich hat nicht das Recht dazu, dir deinen wertvollsten Besitz wegzunehmen. Ich werde immer hinter euch gehen und zurückstecken müssen, mit dem stillen Wunsch, ein richtiger Teil von euch zu werden, der unmittelbar neben euch steht… Hört sich das für dich nicht beruhigend an?“, schweifte Miceyla nun doch wieder ins Negative ab, obwohl seine anfänglichen Worte, sie für einen flüchtigen Moment glücklich gestimmt hatten. Auf einmal fiel sein Blick wieder reflexartig auf sie und sein unnahbarer Gesichtsausdruck, verwandelte sich in ein schuldbewusstes Antlitz. Er schien ihr wiedersprechen und ihr seine wahren Gefühle mitteilen zu wollen. Dennoch brachte er kein einziges Wort heraus.

„Entschuldige mich bitte, ich hab noch etwas anderes zu erledigen. Da es sehr dringlich ist, kann ich es nicht länger aufschieben. Ich gehe dir später wieder zur Hand. Und…gönne dir auch ruhig mal eine kurze Pause. Wer viel arbeitet, braucht eine anständige Erholungsphase. Was wir alle viel öfter berücksichtigen sollten. Denn…wir brauchen dich noch… Also sieh zu das du gesund bleibst.“ Miceyla musste im Verborgenen darüber lächeln, dass Louis sich mit einer an den Haaren herbeigezogenen Ausrede, aus der Affäre ziehen wollte und seine führsorglichen Worte aus Verlegenheit, in einen halbherzigen Monolog umwandelte. `Auch er versteht mich, aber wehrt sich aus Eigenschutz es zuzugeben. Doch wenn er alles und jeden als vermeintliche Bedrohung ansieht, wird bald die gesamte Welt zu seinem Feind. Und die Angst, das zu verlieren was ihm lieb und teuer ist, verwandelt sich schleichend in eine selbstsüchtige Eifersucht…` Jene unheilverheißende Vorstellung begleitete sie, während sie noch einige Dokumente durcharbeitete. Im Anschluss daran verließ sie das Archiv. Mittlerweile war es später Nachmittag geworden und langsam wurde sie hungrig. Der Gedanke an die bevorstehenden Sommermonate stimmte sie heiter, trotz der ganzen ungewissen Begebenheiten. Es blieb länger hell, draußen waren die Bäume und Wiesen üppig begrünt, überall wuchsen die farbenfrohsten Blumen und die kräftige Sonne vertrieb jeglichen Unmut im Herzen. Zumindest solange man sich nicht im Zentrum von London aufhielt, wo es einem so vorkam, als würde dort ewige Nacht herrschen und die giftigen Abgase der Fabriken einem die Lunge zuschnüren. Und besonders freute Miceyla sich darauf, bald mit William wieder in das ländliche Durham zu fahren. Aber zuvor würde sie wohl erst unfreiwillig, dem ebenfalls ländlichem Harefield einen Besuch abstatten. Zwar hatten sie noch keinen festen Termin für ihr Unterfangen festgelegt, jedoch war es im Sinne aller, die Geschichte zu einem einigermaßen friedlichen Ende zu bringen. In Gedanken versunken, sah sie mit einem traumverhangenem Blick aus dem Fenster. `Es könnte alles so friedlich sein… Und wir tragen auch noch dazu bei, dass in dieser Stadt Unruhe entsteht. Ob es wohl einen anderen Verlauf der Dinge gäbe, wenn Will nicht derart radikal durchgreifen würde…?` Seufzend wandte Miceyla sich wieder vom Fenster ab und erschrak mit stockendem Atem, als plötzlich Albert unmittelbar vor ihr stand, den sie überhaupt nicht hatte herbeilaufen hören.

„W-willkommen daheim. Heute schon so früh wieder hier. Du grinst irgendwie verdächtig, ha, ha. Gibt es etwas interessantes zu berichten?“, begrüßte sie ihn mit freundlichem Lächeln und dennoch stand ihr die Überrumpelung ins Gesicht geschrieben.

„Ich liebe diesen Gesichtsausdruck… Unwissend was als nächstes geschieht, mit einem in Wallung geratenen Herzschlag… Ha, ha, ha! Verzeih, ich kann mich nicht zügeln, dich ein wenig zu ärgern. Und ich habe wahrhaftig etwas Freudiges zu berichten. Dir gebührt die Ehre es als Erste zu erfahren. Nächste Woche ist die Zeremonie meiner Rangerhöhung beim Militär, mit anschließender Feier“, verkündete Albert und es erfüllte ihn mit Stolz, sie noch vor allen anderen einzuweihen. Auf einmal war ihre Nervosität wie weggeblasen und sie lächelte so strahlend vor Aufregung, als stünde ihre eigene Beförderung bevor. `Doch ob es sich wohl tatsächlich, um eine aufrichtige Sympathie gegenüber Albert handelt…? Ich kann dem Ganzen noch nicht richtig trauen…`, grübelte Miceyla kurz mit suspekter Miene, doch ihre Freude für Albert, siegte über ihrem Misstrauen.

„Ach was freue ich mich! Du hast dir deine Rangerhöhung mehr als nur verdient. Das ist die Belohnung für deine harte Arbeit. In dieser Hinsicht handelt Harley sehr gerecht. Jedoch steigt damit deine Verantwortung und er hat einen Grund mehr, dich in seine Unterfangen miteinzubinden…“, gratulierte sie ihm beschwingt.

„Zweifle bitte nicht, meine Liebe. Alles bleibt wie gehabt. Ich lasse mir von niemandem außer Will etwas vorschreiben, selbst wenn ich dadurch den höchsten Verrat begehe. So lautet mein eiserner Schwur… Und ich habe da einen kleinen Wunsch… Würdest du nicht nur auf der Feier anwesend sein, sondern mich auch zu der Zeremonie im Kriegsministerium begleiten? Du hast die Erlaubnis von Harley Granville höchstpersönlich“, verriet Albert ihr noch mit verruchtem Lächeln. Miceyla blickte ihn erstaunt an und hatte dennoch längst keine nennenswerten Hemmungen mehr, von wichtigen Persönlichkeiten umgeben zu sein,

„Deinen Wunsch erfülle ich dir natürlich liebend gern. Aber etwas flüstert mir, dass der werte Herr General regelrecht von mir erwartet, dass ich dort erscheinen soll. Auch er scheint einen Narren an mir gefressen zu haben, ha, ha… Ich hege großen Respekt vor seiner Person, aber längst keine Furcht mehr. Und ich kann zugegebenermaßen nicht wiederstehen, mich für einen Vormittag selbst wie eine Soldatin fühlen zu dürfen, he, he. Das wird wohl zu den letzten ausgelassenen Ereignissen zählen, ehe wir Harefield aufmischen…“, kam sie seinem Wunsch entgegen und konnte dennoch nicht verhindern, an alles was ihnen danach bevorstand zu denken.

„Dieses Mal lässt dich keiner im Stich. Und du bist doch bereits eine Soldatin und zwar die anmutigste und tapferste der ich je begegnet bin. Moran würde mir da jetzt bestimmt ohne Zögern zustimmen“, ermutigte Albert sie mit sanfter Stimme und strich ihr zärtlich mit der Hand über ihr Haar. Miceyla lächelte verlegen, während eine angenehme Wärme durch ihren Körper strömte. `Ja… Ich kann im Herzen eine Heldin sein, eine Kriegerin für die Gerechtigkeit. Meine Gedanken und Vorstellungen, ebnen mir den Pfad in die richtige Richtung. Sie gehören nur mir allein und keiner kann sie mir jemals nehmen…`

Am nächsten Tag ging jeder seinen alltäglichen Verpflichtungen nach. Und als Miceyla am Morgen in der Katzenpension nach dem Rechten gesehen hatte, erledigte sie in der Stadt anschließend noch kleinere Besorgungen. Da sie gerade in der Gegend war, trugen sie ihre Beine, ob sie es wollte oder nicht, in die Baker Street.

„Miceyla, wie schön dich zu sehen! Komm nur rein, ich mache uns direkt einen Tee“, begrüßte Emily sie so überschwänglich wie eh und je. `Wirst du auch dann noch meine Freundin bleiben, wenn du erfahren hast, wer ich in Wirklichkeit bin…?` Dieser bittere Gedanke begleitete sie beim Eintreten und dennoch erwiderte sie die freundliche Begrüßung, mit einem gütigen Lächeln.

„…Und ob Sherlock letztendlich jenen Mann aufsuchen konnte, von dem er sprach, hat er selbst mir bislang nicht verraten.“ Die beiden jungen Frauen saßen zusammen bei einer Tasse Tee am Küchentisch und um Emilys unstillbarer Neugierde entgegenzukommen, erzählte Miceyla ihr ausführlich von der abenteuerlichen Schottlandreise. Jedoch ließ sie das ein oder andere Detail geschickter Weise weg.

„So, so… John hatte Sherlock hier bei seiner Ankunft, erstmal eine ordentliche Standpauke gehalten. Merkwürdig fand ich nur, wie ungewöhnlich einsichtig er sich daraufhin zeigte… Und der größere Streit, welchen ich erwartete, blieb ebenfalls aus. John ist gerade nicht da, schließlich steckt er mitten in seinen Hochzeitsvorbereitungen. Ein Grund mehr für Sherlock Miesepeter zu spielen. Aber er scheint mal wieder gerade etwas auszuhecken. Ich kenne ihn und sein sprunghaftes Verhalten in und auswendig. Das ist für mich einfach zu verdächtig… Aha, wenn man vom Teufel spricht…“ Miceyla bekam nicht die Gelegenheit ´, auf Emilys Berichterstattung zu antworten, da ein scheuer Sherlock an der geöffneten Küchentür vorbeihuschte und in Richtung Haustür marschierte.

„Ich bin mal für eine Weile unterwegs. Auf geht’s, Mia!“, verkündete dieser knapp, ohne auch nur kurz einen Blick, auf die beiden am Tisch sitzenden Damen zu werfen. Mit einem vor Freude klopfenden Herzen, schoss Miceyla in die Höhe und eilte ihm hinterher. Es war als hätte er vor seinem Aufbruch auf sie gewartet und `nur` auf sie. Diese Tatsache machte sie insgeheim sehr glücklich.

„Ts, ts! Und genau das meine ich mit sprunghaft! Heckt erst tagelang im stillen Kämmerlein irgendeinen Unfug aus, verschwindet anschließend im Nirgendwo und bringt nicht bloß den Erfolg gelöster Fälle mit nach Hause, sondern einen weiteren Haufen an Ärger. Mittlerweile gilt das schon für euch beide! Aber ach, es ist sinnlos meine kostbaren Nerven überzustrapazieren… Das Verbrechernest namens London, braucht solche gewieften Draufgänger wie euch“, meckerte Emily launisch, doch am Ende ihrer Worte, blickte sie den beiden mit einem liebevollen Lächeln nach.

„Was wäre wohl, wenn von heut auf morgen jegliche Probleme aus der Stadt verschwinden würden?“, fragte Sherlock, während er sie eiligen Schrittes die Straße hinunterführte.

„Nun… Du hättest folglich nichts mehr zu tun, jedoch wäre dadurch der Frieden vorübergehend wieder hergestellt. Angst und Zweifel verschwinden ebenfalls aus den Herzen der Menschen. Aber dieses Szenario wäre äußerst unrealistisch. Beseitigt man ein Problem, entsteht woanders ein neues. Also kann es keine stimmige Antwort auf die Frage geben. Das Leben konfrontiert uns täglich mit Problemen. Doch die Lösung von kniffligen Schwierigkeiten anderer, verschafft uns Genugtuung, nicht? Deine Frage wird bestimmt noch eine weitere versteckte Bedeutung beinhalten, doch im großen und ganzen ist meine Antwort ausreichend.“ Erst jetzt musterte Sherlock Miceyla ausgiebig und zeigte ein warmherziges Lächeln.

„Und weißt du was ebenfalls vollkommen ausreichend ist? Eine Person in seinem Leben zu haben, mit der man sich ohne groß diskutieren zu müssen versteht… Doch nun mag ich dein blindes Vertrauen mir gegenüber auch brav belohnen und dir verraten, was das Motiv meines kleinen Ausflugs ist. Das die hinterlistigen Strippenzieher im Verborgenen meinen, mich nach belieben für ihre grausamen Fälle zu missbrauchen und mich als Vermittlung mit dem gemeinen Volk und der Oberschicht gleichermaßen ausnutzen, mir gewaltig gegen den Strich geht, sind keine berauschenden Neuigkeiten. Daher bin zur Abwechslung ich einmal derjenige, welcher ihnen ein Bein stellt und mit unbedachten `Problemen` konfrontiert, bei deren ach so astreinen Vergehen. Jeder hat im Grunde genommen seine eigene Vorstellung, was für ihn legitim ist und was nicht. Doch Gesetze und Richtlinien existieren nicht umsonst… Wie dem auch sei, ich werde unserem sagenumwobenen Matador Muscari, gleich ordentlich ins Handwerk pfuschen und mir einen Beweis abholen, dass es sich bei ihm nicht um den Meisterverbrecher handelt. Denn allmählich wird das ganze Gemunkel um ihn immer lauter. Damit will ich ihm weder einen Gefallen tun, noch habe ich böswillige Absichten dabei. Er gibt zwar vor, einen protzigen Eindruck hinterlassen zu wollen, doch letztendlich sind ihm Ruf und die eigene Person beinahe gleichgültig. Zwar besitzt er einen überragenden Verstand, aber Perfektion ist nicht gerade sein zweiter Name. Er nimmt die Dinge wie sie kommen und hat stets einen guten Einfall parat. Deshalb hat ein solches Genie wie er, in seiner Verbrecherlaufbahn unendliche Handlungsfreiheit“, erzählte Sherlock ihr nun ausführlicher und beide setzten ihren Weg in einer Droschke fort.

„Clayton?! Bedeutet das etwa du hast vor, ihm radikal bei einem seiner Übergriffen dazwischenzufunken?!... Deine Worte für ihn, hören sich mal wieder fast schon lobpreisend an. Aber ich weiß, dass nur ein Gesetzesbrecher mit Verstand, dein Interesse weckt und in dir die Faszination wachruft, dich an einen schier unlösbaren Fall dahinterzuklemmen. Clayton ist im Theater ein anderer Mensch, als bei seinen Schandtaten. Er spielt den aufrichtigen Retter und Verfechter der Frauenrechte, doch sein wahres Herz ist gebrochen und dürstet nach Rache. Allerdings erzähle ich dir da ja nichts neues… Was auch immer du vorhast, ich werde neutral bleiben. Je nachdem zumindest. Denn bei Clayton musst du mit einer sturen Kontroverse rechnen“, reagierte Miceyla mit einer ehrlichen Antwort auf Sherlocks überraschendes Vorhaben.

„He, he, wenn was schief geht, hab ich ja dann dich als Schlichterin dabei. Nun gut, durch Zufall erfuhr ich, dass ein erfolgreicher Unternehmer, dreckige Geschäfte eingegangen ist, um seinen Umsatz zu verdreifachen. Und wie es nicht anders hätte enden können, fand man den Mann eines morgens, übel zugerichtet in seinem eigenen Keller. Wer auf ungerechte Weise schnell Gewinn macht, überlebt in unserer Wettbewerb-Gesellschaft nicht lange. Die Konkurrenz sucht dich selbst in deinem tiefsten Schlaf heim… So, und die Frau des Mannes ist ebenfalls bereits verstorben. Zurückgeblieben sind seine beiden kleinen Töchter, welche heute zur illegalen Kinderarbeit freigegeben werden. Ein anderes Schicksal erwartet die Waisenkinder, eines gescheiterten Kaufmanns nicht. Und ich werde dafür sorgen, dass die Täter hinter Gittern landen und dort mit ihrer gerechten Strafe konfrontiert werden, ohne das unnötiges Blut vergossen wird. Dadurch werde ich es Clayton nicht so einfach machen, die Kinder mit in sein Waisenhaus zu nehmen“, fuhr Sherlock mit seinem ausgefeilten Plan fort. In Miceyla machten sich derweil gemischte Gefühle breit.

„Es ist schön und gut, Blutvergießen verhindern zu wollen, da bin ich ganz auf deiner Seite. Aber Clayton bietet den Mädchen im Waisenhaus ein besseres Leben und die Chance, auf eine glückliche Zukunft hinarbeiten zu können“, wagte Miceyla einen dezenten Widerspruch.

„So? Im Waisenhaus mag eine eingekesselte Welt existieren. Aber haben die Kinder dort wirklich, das ultimative glückliche Leben? Ich würde mich da eher wie in einem Bienenstock fühlen. Vielleicht ein extremer Vergleich, jedoch…denke einfach mal an dich selbst. Kinder hegen einen simplen Wunsch, den die Natur für sie vorherbestimmt hat“, konterte Sherlock augenblicklich und tippte dabei mit dem Zeigefinger gegen ihre Schulter. Im selben Moment seiner Berührung, erhielt sie einen Gedankenblitz.

„Natürlich, ich verstehe was du meinst! Denn ich wurde von liebevollen Adoptiveltern aufgenommen, welche ich ganz für mich allein hatte und für die ich stets an erster Stelle kam. In einem Waisenhaus, wird einem nie richtig jene unersetzliche Zuwendung zuteil, weil sie dort auf alle gleichermaßen verteilt wird. Naja, jedes Kind ist anders und hat unterschiedliche Bedürfnisse. Das eigene Umfeld ist zwar für eine glückliche Zukunft nicht ganz unwichtig, doch die persönliche Einstellung beginnt im Herzen selbst und kreiert den weiteren Lebensverlauf entscheidend mit. Wie gesagt, ich begleite dich als neutrale…Assistentin, Kameradin, was auch immer dir davon mehr zusagt…“, sprach sie abschließend zaghaft. Sherlock, der direkt neben ihr saß, blickte sie für eine Weile schweigend an.

„Als gute Freundin. Das gefällt mir am besten“, teilte er ihr dann mit flüchtigem Lächeln mit und sah kurz darauf, zu dem regen Treiben auf Londons Straßen hinaus. Miceyla wandte sich ihm reflexartig wieder zu und versuchte anhand seiner Augen, mögliche

Gefühlsveränderungen ablesen zu können. Doch er hielt demonstrativ den Kopf starr zur Seite gedreht, als wollte er genau dies verhindern. Miceyla blickte mit einem prickelnden Gefühl der Freude hinab auf ihren Schoß und tastete sich mit der linken Hand ans Herz. `Auch du bist ein sehr guter Freund für mich…`, dachte sie im Stillen dabei und lächelte. Wie gerne hätte sie ihren Gedanken laut ausgesprochen, aber wie Sherlock selbst sagte, sie beide brauchten keine Worte auszutauschen, um zu wissen, was dem jeweils anderen gerade durch den Kopf ging. Da die Droschke nach einiger Zeit abrupt anhielt, mussten sie besagten Zielort wohl erreicht haben. Wie immer wenn Sherlock seine Konzentration steigerte, wurde er schweigsamer und sie folgte ihm eine gut besuchte Handelsstraße entlang, an dessen Ende sich eine riesige Fabrik befand. Es roch streng nach heißer Glut, aufgrund eines großen dampfenden Heizkessels. Die Geräusche von aufeinanderschlagendem Metall, hallten unangenehm in den Ohren wider. Hart arbeitende Männer in verdreckten Lederschürzen, brüllten sich gegenseitig Befehle zu. `Solch ein Ort ist für ein Kind die reinste Hölle… Und die Erwachsenen, rackern sich schon bei unzumutbaren Arbeitsbedingungen ab…` Bei der Vorstellung, wie ein dürres kleines Mädchen, von unfreundlichen Muskelpaketen herumgeschubst wurde, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Miceyla war froh, dass Sherlock scheinbar nicht vorhatte die Fabrikhalle zu betreten, denn er lief außen herum zu einem dahinterliegenden ruhigeren Ort. `Das müssen die beiden Mädchen sein!` Miceyla blickte zwei ordentlich gekleidete Kinder an, die dicht beieinander standen und zu drei innig debattierenden Männern emporblickten. Sie vermutete, dass die Ältere der Schwestern etwa elf Jahre und die Jüngere ungefähr acht Jahre alt sein musste.

„Die Summe für solche Rotzlöffel erscheint mir etwas happig. Entweder gehen Sie mit dem Preis runter oder Sie gehen komplett leer aus!“, sprach einer der drei ruppig und betrachtete die Mädchen missbilligend. Jene wirkten zwar verängstigt, aber blieben trotz ihrer misslichen Lage stark, weil sie einander hatten. `Unterschätzt niemals das unzertrennliche Band von Geschwistern…`, dachte Miceyla mitfühlend.

„Aber, aber, Gentleman! Das ist ein fairer Handel. Würden Sie außerdem etwas mehr Grips besitzen, wüssten Sie das man für ein menschliches Leben, überhaupt gar kein Geld verlangen dürfte. Denn materielle Güter ersetzen niemals ein schlagendes Herz…“, konterte ein anderer Mann mit einer selbstbewussten und charismatischen Stimme. Miceyla riss mit weit geöffnetem Mund die Augen weit auf, als sie die Identität des gerade gesprochenen Mannes entlarvte. `Clayton! Er hat sich als der Vormund der Mädchen getarnt! Seine Verwandlungskünste sind mir beinahe unheimlich… Von wegen die lassen ihn leer ausgehen. Die Kerle machen ihn erbarmungslos einen Kopf kürzer. Hier lauern genug Halunken in den Schatten…` Konzentriert schärfte sie all ihre Sinne und beobachtete geduldig das Geschehen, bis Sherlock einen geeigneten Moment abgepasst hatte um einzuschreiten.

„Was faselst du Mistkerl da?! Du hast uns überhaupt keine Vorschriften zu machen! Also halt die Klappe und rück die Gören raus!“, entgegnete einer der Fabrikarbeiter hitzköpfig und machte merklich sichtbar, dass er nicht davor zurückschreckte Gewalt einzusetzen. `Wenn die wüssten… Bei Clayton würde ich lieber Reißaus nehmen, anstatt einen Kampf heraufzubeschwören`, dachte Miceyla mit einem Hauch Ironie. Da Sherlock der Meinung zu sein schien, nun endlich mitzumischen, ehe ein heftiger Konflikt vom Zaun brach, setzte auch sie sich in Bewegung und trat gemeinsam mit ihm ins Sichtfeld der drei Streithähne.

„Hiermit beende ich feierlich diese grottenschlechte Vorstellung! Sie beide begleiten mich jetzt schön artig zu Scotland Yard. Dort hat man bereits eine herrlich kühle Zelle für Sie reserviert. Die Hitze der Fabrik, brauchen Sie dann nicht mehr zu fürchten“, platzte Sherlock mit einer lässigen Körperhaltung in die Szene. Abgesehen von Clayton, wurden sie beide von den Arbeitern perplex und argwöhnisch zugleich beäugt.

„Aus welchem Loch ist denn nun dieser dämliche Detektiv gekrochen?! Der scheint wohl Doppelgänger zu haben!“

„Na und? Welche Beweise haben Sie schon gegen uns in der Hand? Noch ist der Handel mit den Mädchen nicht besiegelt!“ Die selbstüberzeugten Konter der Fabrikarbeiter, entlockten bei Sherlock nur ein breites Grinsen.

„Meine Beweise erhalte ich in weniger als vierzig Sekunden. Ein amateurhafter Scharfschütze, welcher sich auf dem Dach versteckt hält, wird auf die beiden Mädchen zielen und der Grund des illegalen Handels, verschwindet auf wortwörtliche Weise. Ich muss wohl nicht anmerken, dass der vornehme Herr hier die Kinder jedoch beschützen wird, dadurch ist dennoch keiner von Ihnen aus dem Schneider. Mit diesem fatalen Patzer. katapultieren Sie sich direkt in den Knast. Es gibt auch noch einigermaßen fähige Leute bei Scotland Yard, ob man es glaubt oder nicht. Drum fahret fort, werte Herrschaften.“ Sherlocks Prognose sollte eigentlich dazu führen, dass zumindest einer der Arbeiter ins Wanken geriet. Aber ihre Mienen veränderten sich nicht mal minimal. Plötzlich begann Clayton leise zu kichern und zeigte ein düsteres Lächeln.

„Bravo, Mr Meisterdetektiv! Ihr vorausschauendes Denken ist nahezu perfekt. Doch reicht dies leider nicht aus… Zu glauben die Zukunft, welche sich vor Ihrem geistigen Auge befindet, sei bereits in Stein gemeißelt, ist fatal. Sie haben eine harte Nuss zu knacken, wenn Sie versuchen wollen, meine Tricks zu durchschauen. Ich bin enttäuscht mein Guter, wenn Sie schon bei mir scheitern, wird der Meisterverbrecher auf ewig unerreichbar für Sie bleiben.“ Mit diesen beichtenden Worten, wechselten er und die Fabrikarbeiter amüsierte Blicke aus. In Sherlock und Miceyla machte sich die höchste Alarmbereitschaft breit. Für den Bruchteil einer Sekunde, zeigte sogar er einen überrumpelten Gesichtsausdruck. Doch es beeindruckte sie, wie rasch er sich auf den Tatsachenwechsel einstellte.

„Sherlock! Dieser ganze Handel ist bloß inszeniert gewesen! Die Kerle stecken mit Clayton unter einer Decke! Clay, muss das denn wirklich sein? Nur um dir bei ihm einen Scherz zu erlauben und ihn herauszufordern? Ich dachte du beschützt unschuldige Mädchen und missbrauchst sie nicht zu deinem Vergnügen! Ach…ich sollte dich und deine groteske Art eigentlich mittlerweile gut genug kennen…“, rief Miceyla empört, da sie nun keinen Grund mehr hatte sich zurückhalten zu müssen. Noch ehe Clayton seine geballte Schadenfreude weiter an ihnen auslassen konnte, zog Sherlock sie mit entsetzter Miene ruckartig von der Stelle weg wo sie gerade stand.

„Miceyla, pass auf!“ Zeitgleich zu seiner Warnung ertönte ein lauter Schuss und die Kugel traf den Boden unmittelbar neben ihren Füßen. Trotz ihres Schockzustandes, suchte sie hastig die Dächer ab und entdeckte schließlich jenen Scharfschützen. `Ich muss mich jetzt zusammenreißen und tun was getan werden muss! Denn ich kann nicht zulassen, dass ein weiteres Unglück geschieht. Dies werde ich mit allen Mitteln verhindern!` Mit erzwungenem Mut, zückte sie eine bei sich tragende Pistole, wobei ihre Hand zu zittern begann und zielte auf den Scharfschützen. Miceyla wusste, dass wenn sie auch nur einen Moment länger zögerte den Abzug zu drücken, er sich rasch aus der Schusslinie zurückziehen würde Ohnehin erwies es sich als unsagbar schwierig, aus der Entfernung auf besagte Stelle am Dach zu zielen. Doch bei Morans Schießtraining, hatte sie bereits aus viel größere Distanz geschossen und weitaus herausforderndere Hürden überwunden. Während sich ihre Gedanken überschlugen, zuckte ihr ganzer Körper, als ein weiterer Schuss ertönte. Und alles was sie vor sich sah, war Sherlocks Rücken. Ihr Blick wanderte langsam wieder hinauf zum Dach, wo der Scharfschütze leblos zusammensackte.

„Es gibt Menschen, die werden immer hinter dir stehen, auch wenn du Fehler machst und nicht mehr weiter weißt. Sie werden dich beschützen und dir aufhelfen, solltest du nicht von alleine wieder aufstehen können. Und vor allen Dingen, teilen sie deine Bürde und bewahren dich vor einer fahrlässigen Tat, wie zum Beispiel diesen Mann zu töten. So ein Mensch bin ich für dich und werde es, solange wir unter den Lebenden wandeln, auch bleiben. Und um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Denn man wird dies nach einem routinemäßigen Verhör, als schlichte Notwehr abstempeln“, sprach Sherlock beschwichtigend und blickte mit einem zuversichtlichem Lächeln, nach hinten über die Schulter zu ihr. Miceyla hörte bei seinen Worten, das Versprechen einer unerschütterlichen Freundschaft heraus und hielt kurz den rechten Arm vor ihre Augen, um ihre Tränen zu verbergen, welche langsam über ihre Wangen rollten.

„Danke… Ich danke dir, Sherlock…“, flüsterte sie gefühlvoll und steckte ihre Waffe zurück.

„Und wieder einmal rettet der kühne Held, seine ihm teure Edeldame! Wahrlich rührend, wie gemacht für ein dramatisches Bühnenstück! Fein, fein, ihr habt eure Rollen alle plangemäß gespielt und da ich Sie gut leiden kann, Mr Holmes, belohne ich Sie für Ihren tollkühnen Einsatz. Ich muss ja schließlich dafür sorgen, dass Miceyla und ich auch weiterhin gut miteinander auskommen, ha, ha. Unsere Arbeit im Theater darf nicht darunter leiden. Also, Zeit für den wahren Handel! Meine Herren, ich bedanke mich herzlich für Ihre Kooperation und entlasse Sie hiermit offiziell. Und nun werden Sie beide dem Befehl des umsichtigen Detektiven brav Folge leisten. Bestellen Sie Scotland Yard die besten Grüße von mir! Und im Gegenzug, schenke ich den zwei wohlerzogenen Mädchen hier, ein neues Zuhause bei mir im Waisenhaus. Na, was sagen Sie dazu Sherlock? Damit wären wir doch alle mehr als zufrieden!“, schlug Clayton nach dem ganzen Tumult, auf eigene Faust eine friedliche Lösung zur Schlichtung der Auseinandersetzung vor. Glaubten die beiden Fabrikarbeiter bis vor kurzem noch, mit ihrem `Handelspartner` auf einer Seite zu stehen, wurden ihre Gesichter nun schlagartig panisch und verärgert zugleich, da sie hinterlistig übers Ohr gehauen worden waren.

„Hey! Du elender Halunke, was fällt dir ein?! Hast wohl Schiss, selbst im Knast zu landen!

„Hätte mir von Anfang an klar sein müssen, von jemandem hintergangen zu werden, der selbst Dreck am stecken hat! Mieser Schwindler und Betrüger! Einmal Gauner, immer Gauner!“ Miceyla musste bei den überrumpelten Beschimpfungen der Fieslinge schmunzeln und auch Sherlock grinste ohne Zurückhaltung.

„Es stimmt mich heiter, dass Vernunft und Besinnung ab und zu doch noch bei Ihnen Einzug halten, werter Herr Physiker. Die Entscheidung den Männern, trotz ihrer begangenen Gräueltaten, kein Haar zu krümmen und den Mädchen auch ohne `Rache` ein besseres Leben bieten zu wollen, ist letztendlich der klügste Weg, den Sie für sich selber und alle Beteiligten wählen können. Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, löst auf Dauer keine Probleme. Es lässt die Narben nur noch größer werden und unangenehme Erinnerungen, verschwinden dadurch erst recht nicht. Ich will niemandem eine Predigt halten, bin ja selbst nicht gerade das beste Vorbild… Gut! Ich bin mit dem Handel einverstanden, also lassen Sie uns zur Tat schreiten!“ Noch ehe die beiden tief in der Patsche sitzenden Männer, auch nur an eine Flucht denken konnten, hatten Sherlock und Clayton ihre Handgelenke am Rücken zusammengebunden und endlich war ihr vergeblicher Wille zum Wiederstand gebrochen worden. Etwas zögerlich schritt Miceyla auf Sherlock zu.

„Soll…soll ich dich zu Scotland Yard begleiten? Ich meine…du brauchst eine zuverlässige Zeugin, die dich vor weiteren Schwierigkeiten bewahrt…“, bot sie ihm ihre Unterstützung bei seiner bevorstehenden Rechtfertigung an.

„Nicht nötig, Mia. Ich habe die Angelegenheit fix geregelt, kennst mich doch. Gegen meine überzeugenden Thesen, ist so gut wie jeder machtlos. Außerdem legt Lestrade meistens ein gutes Wort für mich ein. Das du heute dabei gewesen bist, hat mir schon sehr geholfen, dafür danke ich dir. Jetzt darfst du dich aber erstmal von dem Schreck erholen. Begleite am besten zusammen mit Clayton, die beiden Mädchen zu ihrem neuen Zuhause. Deine fürsorgliche Art trägt sicherlich dazu bei, dass sie sich dort im Nu wohlfühlen werden. Und halt bis zu unserem nächsten Treffen die Ohren steif, meine tapfere Kriegerin der Gerechtigkeit“, schlug er stattdessen vor und klopfte ihr lächelnd auf die Schulter.

„In Ordnung… Lass auch du dich nicht unterkriegen! Keiner von uns muss einen Kampf allein ausfechten. Ich bin immer für dich da, solltest du mich brauchen!“, versprach Miceyla noch hastig, während Sherlock bereits mit seinen Geiseln davonschritt. Auch wenn er sich nicht mehr zu ihr umdrehte, spürte sie das er noch immer lächeln musste und auch ihre Lippen formten sich nach dem Abschied, mit Vorfreude auf das nächste gemeinsame Abenteuer, zu einem glücklichen Lächeln. Plötzlich traf sich ihr Blick mit dem von Clayton und sie fand bei ihm einen undefinierbaren Gesichtsausdruck vor. Ob er sich nun über ihr mädchenhaftes Geplänkel lustig machte oder er ihre und Sherlocks außergewöhnliche Zuneigung füreinander rührend fand, darüber konnte sie nur rätseln…
 

Etliche Soldaten aller Ränge, hatten sich parallel gegenüber in zwei Reihen aufgestellt. Jeder einzelne von ihnen trug seine akkurate Uniform, während eine feierliche Stimmung in der Luft lag. Die gewaltige Versammlungshalle des Kriegsministeriums, wirkte noch imposanter als sonst. Die Kronleuchter an der Decke funkelten und Fenster und Böden waren blitzeblank poliert. Der lange bordeauxrote Teppich, zeigte keine einzige Falte. Die Halle mitsamt seiner Parade, glich einer atemberaubenden Szenerie in perfektionierter Vollendung, die ihresgleichen suchte. Und Miceyla gebührte die besondere Ehre, jenem bedeutsamen Anlass beiwohnen zu dürfen. Sie trug ein langes, enganliegendes Kleid in dunkellila und eine ordentliche Hochsteckfrisur, bei der ihr Miss Moneypenny wieder geholfen hatte, wofür sie sehr dankbar gewesen war. Nun war es ihr endlich erlaubt, im Gegensatz zu damals auf dem Schiff, eine Zeremonie des Militärs genießen zu dürfen. Mit stolzem Lächeln blickte sie zu Albert, der ganz vorne abseits der restlichen Soldaten stand und geduldig wartete. Sein warmherziger Blick ruhte für eine Weile auf ihr und es schien ihn mit überschwänglichem Glück zu erfüllen, dass sie gerade anwesend war. Kurz musste sie an Moran denken und fragte sich, ob es ihn nicht manchmal doch noch in sein altes Soldatenleben zurückzog, auch wenn er mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hatte. Doch mochte er sich gerade auch nicht, unter all den anderen Mitgliedern des Militärs befinden, für sie war und blieb Moran mit seinen unantastbaren Fertigkeiten, auf ewig eine wahre Legende unter all den lebenden Soldaten. Umso dankbarer war Miceyla dafür, diesen erfahrenen Menschen ihren Lehrmeister nennen zu dürfen. Jeder einzelne nahm wie in einer Kettenreaktion, eine kerzengerade Haltung ein, als Harley Granville in Begleitung zwei seiner engsten Vertrauten, die geräumige Halle betrat und marschierte gemächlich in der Mitte über den Teppich, zum anderen Ende in Alberts Richtung. Als er an Miceyla vorbeischritt, blickte er kurz zu ihr und zeigte ein unbefangenes Lächeln und sie lächelte selbstbewusst zurück. Mochten auch gerade all die negativen Emotionen in ihr hochkommen, bei der Erinnerung an all das, was er ihr in Schottland angetan hatte, so ließ sie sich dennoch nichts davon anmerken. Claytons Worte entsprachen der Wahrheit, seine Bewährungsprobe hatte sie mit Bravour bestanden, nun konnte dieser Mann sie nicht mehr verletzen. Harley kam ein Stück vor Albert zum Stehen und nahm von einem der Soldaten einen funkelnden Orden entgegen, welcher sich auf einem Samtkissen befand. Jenes hart erarbeitete Symbol, würde Albert nun einen Rang beim Militär aufsteigen lassen und er durfte sich zukünftig Oberst nennen. Wohlwollend blickte Harley seinen jüngeren Militärkameraden an. In seinem Gesichtsausdruck befand sich etwas Freundschaftliches, beinahe Brüderliches.

„Seinem Land mit aufopferungsvoller Loyalität und Gewissenhaftigkeit zu dienen, ist die größte Tugend welche ein jeder Soldat, der mir untergeben ist beherzigen muss. Ein charakterstarker Mann, dem es in keiner Notlage an Hilfsbereitschaft mangelt, der ehrlich mit sich selbst und seinem Umfeld umgeht und die eigenen Ambitionen klar vor Augen hat. Ein solcher Mensch steht gerade vor mir, sein Name lautet `Albert Moriarty`. Ihnen ist nicht nur die meine Gunst zuteil geworden, sondern ebenfalls die vieler anderer, hochangesehenen Persönlichkeiten. Jeder der mich kennt weiß, dass ich keine Titel aus Sympathie vergebe. Wer mit Leistung und Engagement glänzt, ohne damit prahlen zu wollen, verdient meine Anerkennung. Das gesamte Militär und ich, verlassen sich auch weiterhin auf Sie und ich hoffe, dass Sie viele Ihrer Einheiten zum Sieg führen werden. Aber vor allem…beschützen Sie stets das, was für Sie den größten Stellenwert hat, selbst wenn es Ihnen das Leben kosten sollte. So vermeiden Sie Reue und können hocherhobenen Hauptes voranschreiten. Weitere Worte meinerseits sind nicht von Nöten. Einen solch edelmütigen Soldaten, möchte niemand beim Militär missen, drum erhoffe ich mir, dass noch viele Jahre des Erfolgs vor Ihnen liegen, Oberst Moriarty.“ Nach Harleys rühmender Rede, steckte er die güldene Brosche an Alberts Uniform, was nun seine Rangerhöhung vollends besiegelte. Die regungslose Soldatenmeute erwachte jetzt endlich zum Leben und klatschte jubelnd voller Begeisterung Beifall. Freudestrahlend schloss Miceyla sich der heiteren Runde an und wäre am liebsten Albert zur Beglückwünschung um den Hals gefallen. Dies musste sie sich wohl für später aufheben. Kurz bekam sie eine Gänsehaut, als die tobende Menge urplötzlich nach nur einem Handzeichen von Harley verstummte.

„Miceyla Moriarty, erweisen sie mir die Güte, sich für einen Augenblick neben ihren Bruder zu gesellen?“ Miceyla meinte, sich bei dessen überrumpelnder Aufforderung verhört zu haben und blieb vorerst an Ort und Stelle stehen. Als sie jedoch ihre Gedanken geordnet hatte, zögerte sie nicht länger, da die neugierigen Blicke aller Soldaten auf sie gerichtet waren und schritt mit elegantem Gang nach vorne. Ihre Nervosität verflog, sobald sie dicht neben Albert stand, dessen Nähe für sie wie ein Schutzwall gegen jegliche Ängste wirkte.

„Zwar schwärmt Albert des Öfteren, was für eine tapfere junge Dame in Ihnen steckt und das Sie ein Händchen für diverse Waffen besitzen, doch auch meine Wenigkeit, durfte mit eigenen Augen Zeuge davon werden, dass Sie ein Kämpferherz besitzen. Darum biete ich Ihnen an, ein offizielles Mitglied des Militärs zu werden. Dadurch erhielten Sie zugriff zu etlichen Privilegien, wie zum Beispiel in den meisten Räumlichkeiten ein und auszugehen, die neusten Waffen auszutesten und sich Trainingseinheiten anzuschließen. Keine Sorge, Sie sind nicht dazu verpflichtet an die Front zu ziehen. Aber Sie dürfen sich als eine echte Soldatin bezeichnen. Nur Mut für ein neues Wagnis, Talent darf nicht verschwendet werden. Beweisen Sie, wozu eine Frau mit starkem Willen imstande ist.“ Harleys ehrlich gemeintes Angebot, verblüffte Miceyla nun vollends. Ein mulmiges Gefühl, mischte sich gleichzeitig in ihr mit Stolz und einer kindlichen Aufregung. Flüchtig blickte sie zu Albert auf, der mit sanftmütigem Lächeln nickte, als Zeichen, dass sie mit gutem Gewissen jenes großzügige Angebot annehmen konnte und dem nichts im Wege stand. Entschlossen wandte sie sich wieder Harley zu und wusste, dass sie eine solch Chance kein zweites Mal erhalten würde.

„Jawohl! Ich fühle mich dazu bereit, bei den Repräsentanten für die Sicherheit dieses Landes mitzumischen und bei der Entwicklung der Stadt und der Gesellschaft mitzuwirken! Ich danke Ihnen, Mr Granville, dass Sie mich dafür ausgewählt haben und meine Person für fähig genug halten, um dem Militär beizutreten“, gab sie ihm mit selbstbewusster Stimme ihre Antwort und eine Welle neuer, unbändiger Stärke durchströmte sie.

„Das freut mich zu hören, Mrs Moriarty. Wohlan, dann gebührt Ihnen beiden heute dieser

feierliche Anlass. Drum ist es Ihnen am heutigen Tage ausnahmsweise erlaubt, all Ihre bindenden Verpflichtungen zu vergessen und ausgelassen zu feiern“, beendete Harley zufrieden die Ernennungszeremonie und legte sowohl Albert als auch Miceyla, jeweils eine Hand auf die Schulter. In jenem Moment, ergriff ein weiteres merkwürdiges Gefühl von ihr Besitz und sie bekam den Eindruck, als würden gerade nur sie drei in der Versammlungshalle existieren. Alle anderen Personen verschwanden und waren für sie unerreichbar. Und bei Harleys gütigem Gesichtsausdruck, vergaß sie sogar wieder beinahe, welche machtvolle Persönlichkeit er eigentlich war. Etwas flüsterte in ihren Vorstellungen, dass er gerade einfach nur für Albert und sie wie ein großer Bruder sein wollte, der stolz auf ihren bisherigen Werdegang war und über sie beide auch weiterhin wachen durfte. Wie konnte sich bei alldem, was er in der Vergangenheit schreckliches getan hatte, in seinen saphirblauen Augen nur eine solche Ehrlich- und Aufrichtigkeit widerspiegeln? Miceyla war nun gewillt, ein neues Urteil über ihn zu fällen. `Manchmal…geht das Gute eben Hand in Hand mit dem Bösen. Bei mir und William ist dies nicht anders. Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden, lassen sich nicht immer mit lieben Worten und Waffenstillstand erkämpfen. Wer die Ungerechtigkeit bezwingen will, macht sich auf dieser Welt schnell Feinde. Ob nun Sherlock, Clayton, Harley oder wir, keiner von uns besitzt mehr eine blütenweiße Weste und dennoch sind wir alles nur eines nicht, schlechte Menschen…` Ihre Gedanken in eine positive Richtung zu lenken, hatte eine beruhigende Wirkung auf sie und gab ihr den Mut, neue Wege gemeinsam mit den Menschen in ihrem Umfeld zu gehen.

„Damit ist es jetzt wohl Zeit für die nächste Etappe, ehe wir uns den Feierlichkeiten hingeben“, verkündete Albert mit geheimnisvollem Lächeln, woraufhin Miceyla ihm einen fragwürdigen Blick zuwarf. `Nächste Etappe…?` Plötzlich wurde das Eingangstor der Halle geöffnet und ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. Eine malerische Frau im eindrucksvollem Kleid und einer mit funkelnden Diamanten bestückten Krone, lief edelmütigen Schrittes über den Teppich. In ihrer Begleitung, befanden sich vier Leibwächter in auffällig hervorgehobenen Uniformen und mit Waffen bestückt. `Die Königin! Sie ist extra zum Militär gekommen, um Albert zu seiner Beförderung zu gratulieren. Aber ob sie dies aus persönlichem Interesse tut oder weil es schlichtweg zur gesitteten Etikette gehört, würde mich schon ein wenig interessieren…`, dachte sie trotz dem ehrwürdigen Auftreten der Königin neugierig. Ausnahmslos jeder Soldat ging vor der Königin auf die Knie. Miceyla zögerte ebenfalls nicht, einen eleganten Knicks vor ihr zu machen. Harley distanzierte sich etwas und war der Einzige, welche keine respektvolle Reaktion zeigte und seine aufrechte Körperhaltung warte. Auch wenn es für jeden der Anwesenden verborgen blieb, entging Miceyla nicht das verachtende Funkeln in dessen Augen, als er die Königin betrachtete, was nur ein weiteres ungutes Vorzeichen sein konnte. Doch gerade hatte sie keine freie Zeit zur Verfügung, um weiter darüber nachzudenken.

„Ich wusste bereits sehr früh, dass Sie mich niemals enttäuschen werden, Graf Moriarty. Sie sind ein erhabenes Vorbild, für die fleißigen Männer meines Landes. Bewahren Sie sich die Courage, auch mit Ihrem neuen Posten für Recht und Ordnung zu sorgen. In letzter Zeit erreichen mich vermehrt die Berichte, von grotesken Unruhen in der Stadt. Seien Sie doch bitte so frei und nutzen Ihre Privilegen, um dagegen etwas zu unternehmen. Keiner möchte in einer gespaltenen Gesellschaft leben“, sprach die Königin mit einem dominantem Unterton, als sie unmittelbar vor Albert und Miceyla stand. `Unsere Gesellschaft ist längst gespalten…`, dachte sie beiläufig und fragte sich, ob ihr das Wohlergehen des Volkes überhaupt annähernd am Herzen lag. Jedoch zeugte ihr Erscheinen beim Militär, schon von Loyalität zu den Männern, welche unter Einsatz ihres Lebens Land und Leute verteidigten.

„Ich fühle mich geehrt, solche rühmenden Worte zu hören, eure Majestät. Und ich werde mich züchtig darum bemühen, euren Erwartungen gerecht zu werden“, erwiderte Albert voller Aufrichtigkeit und zeigte ein bescheidenes Lächeln. Plötzlich fiel der Blick der Königin auf Miceyla und jene musterte sie mit einem mütterlichen Leuchten in den Augen.

„Und Sie mein junges Fräulein, müssen die Gattin von Lord William Moriarty sein. Sie besitzen ein schriftstellerisches Talent, das sogar seinen Weg zu mir gefunden hat. Und auch in anderen Bereichen, bringen Sie Ihr persönliches Engagement mit ein. Eine starke Frau, braucht sich hinter den prahlenden Männern nicht zu verstecken. Halten Sie stets ihr Kinn hocherhoben und treten Sie vor, selbst wenn man Sie mit Worten und Taten zurückdrängt. Leben Sie ein Leben in Würde und lächeln Sie über die eigenen Fehler und Schwächen. Mehr braucht es nicht und die Welt liegt Ihnen zu Füßen. Geben Sie all Ihre gesammelten Weisheiten, später an Ihre Kinder weiter und aus Ihnen wird eine fabelhafte Mutter.“ Miceyla konnte nicht anders, als bei dem vertraulichen Rat der Königin verlegen zu erröten und stellte sich mit einem wohligen Gefühl im Herzen vor, wie unsagbar besänftigend es für eine Tochter sein musste, Worte der bedingungslosen Güte der eigenen Mutter zu hören.

„Gewiss, eure Majestät. Ich scheue mich nicht davor, jenen stolzen Weg, der sich vor mir erstreckt, zu bestreiten. Und was auch immer die Zukunft für mich bereithalten wird, ich werde dem mit Mut und Entschlossenheit gegenübertreten!“ Nach Miceylas aufrichtiger Erwiderung, zeigte die Königin ein herzliches Lächeln und Albert neben ihr musste im Verborgenen schmunzeln.

Nachdem die routinegemäße Militärzeremonie einen entspannten Ausklang gefunden hatte, machten sich alle für die Feier am Abend zurecht, welche nur in Zusammenkunft der höheren Kreise stattfand. Die Zeit verging bis dahin wie im Flug und Miceyla erinnerte sich an jenen märchenhaften Ball, in einer verschneiten Februarnacht, als sie in einem wunderschön roséfarbenen Ballkleid an der Seite von William, Albert und Louis die geschmückte Festhalle betrat. Sie hatte es sogar geschaffte, Moran dazu zu überreden, sie als Bediensteter zu begleiten. Ihr überzeugendes Argument war es gewesen, dass es auf der Feier wieder ein pompöses Puffet, mit Spezialitäten aus aller Welt gab. Auch William sprach ihm gut zu, dass er sich keine Gedanken darüber zu machen bräuchte, erkannt zu werden. Nur eine Person gab es, die Moran wohl auf sein ehemaliges Soldatenleben ansprechen würde…

„Graf Moriarty! ...Oder sollte ich wohl besser `Oberst` sagen? Hi, hi! Ich gratuliere Ihnen recht herzlich!

„Kommt es mir nur so vor, oder sehen Sie heute Abend in Ihrem Anzug, noch vornehmer aus als sonst?“

„Oh Graf Moriarty, Sie sind heute das wahre Glanzstück des Festes und der strahlende Mittelpunkt dieser Abendgesellschaft!“ Plötzlich wurde Albert von aufgeregt durcheinanderplaudernden, jungen Adelsdamen umringt und schaffte es noch nicht einmal mehr, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Frauen himmelten ihn beinahe in einem solch übertriebenen Ausmaß an, als wäre er göttlicher Abstammung. Doch an jenes Prozedere waren sie allesamt gewöhnt. Denn das Albert bei diversen Anlässen, einen Schwarm junger Frauen anzog, war Gang und Gebe. `Klar, er ist gutaussehend und unangefochten charismatisch. Da ist es nur allzu natürlich, dass er sich vor Verehrerinnen kaum retten kann. Stellt sich nur die Frage, ob die Damen ihn auch dann noch anhimmeln würden, wenn er nicht von Adel wäre…`, dachte Miceyla mit einem seltsamen Gefühl, während sie die Adelsfrauen beobachtete, welche alle nur die teuersten Kleider und den wertvollsten

Schmuck trugen. Lächelnd unterhielt Albert sich unbefangen mit ihnen. Doch kurz sah er in Miceylas Richtung hinüber, woraufhin sie rasch seinem Blick auswich, um es für ihn so aussehen zu lassen, als hegte sie Dessinteresse gegenüber seiner Beliebtheit bei Frauen. Einst war es bei William ganz ähnlich gewesen, doch seitdem sie verheiratet waren, hatte er beinahe immer Ruhe vor jeglichen weiblichen Plagegeistern, was sie zugegebenermaßen erleichterte.

„Jubel, Trubel, Heiterkeit! Dann will ich mich auch mal genüsslich amüsieren gehen!… Louis?! Verfolgst du mich etwa?“

„Irgendwer muss doch ein Auge darauf haben, dass du uns hier keinen Ärger verursachst oder mal wieder Frauen abschleppst! Die eigene Erfahrung lehrt einen zur Vorsicht…“

„He! Ich glaube deine sogenannten Erfahrungen, hast du dir bloß selbst zusammengedichtet! Ich bin noch harmlos. Wer von uns ist hier in Wahrheit das eigentliche Ärgernis? Denk mal scharf nach!“ Belustigt hörte Miceyla Morans und Louis‘ Gezanke mit an, ehe sich beide wieder mit unauffälligeren Posen unter die Gäste mischten.

„Wollen wir uns auch mal ein wenig umsehen gehen? Vielleicht schnappen wir sogar ein paar interessante Gerüchte auf. Oder was meinst du, Liebling?“, schlug William ablenkend vor und nahm liebevoll ihre Hand. Augenblicklich galt ihre Aufmerksamkeit einzig und allein ihm.

„Aber klar doch! Wozu sind wir schließlich hier? Stürzen wir uns ins Gefecht!“, bestätigte sie mit verschwiegenem Lächeln und nachdem sich beide einen Moment lang verträumt angeblickt hatten, liefen sie gemeinsam in die lebhafte Festhalle hinein. Dennoch konnte sie nur schwerlich verhindern, bei dem Gedanken eine Gänsehaut zu bekommen, dass Alberts intensiver Blick an ihrem Rücken haften musste. `Albert ist frei und kann sich so viel auf die Schwärmereien der Frauen einlassen, wie es ihm beliebt. Deshalb sollte ich mich nicht daran stören und schon gar keine…Eifersucht empfinden… Und dennoch…er hat es ja sogar selbst mit provoziert. Vielleicht war es seine volle Absicht, mein Herz ins Wanken zu bringen und mich abrupt glauben zu lassen, er hätte es aufgegeben Interesse an mir zu zeigen, um zu testen, wie ich darauf reagiere… Ich durchschaue dies sofort. Wieso nur… Gefühle dienen nicht als Missbrauch für ein Spiel… Ich bin glücklich mit William und Albert und ich sind glücklich als Bruder und Schwester, Doch was verbirgt sich bloß in unseren Briefen…? Für einen Fremden, wären sie von Liebesbriefen mit versteckten Sehnsüchten kaum zu unterscheiden. Mittlerweile füllen sie ein ganzes Schubladenfach… Es hat beinahe den Anschein, als lebten wir mittels der geschriebenen Zeilen einen Traum…`seinen` Traum…`, dachte sie mit einem Hauch Melancholie. Nachdenklich ließ Miceyla ihren Blick durch die überfüllte Festhalle schweifen. Jedoch gab es keine wirklich interessanten Entdeckungen zu machen. Aber sie sollte auch mal die entspannten Momente der Normalität genießen dürfen, wo sie nicht von verdächtigen Ereignissen umgeben war. Doch als sie schließlich Harley unter den Gästen ausfindig machte, hielt sie hellwach inne. `Das er ebenfalls hier ist, sollte mich nicht wirklich verwundern… Jedoch…er nähert sich Moran…!` Wie gebannt verfolgte sie die Szene, wie Harley unbekümmert Moran ansprach, welcher sich am Büffet zu schaffen machte und vergaß beinahe im Normaltakt weiter zu atmen. Zu gerne wäre sie näher herangetreten, um mitanhören zu können, worüber die zwei miteinander sprachen. Allerdings wollte sie tunlichst das Fettnäpfchen vermeiden, sich von Harley erwischen zu lassen. Miceyla war beinahe darüber verwundert, wie gelassen Moran in dessen Gegenwart blieb und erkannte sogar aus der Entfernung anhand ihrer Gesichtszüge, dass beide fast so etwas wie eine kameradschaftliche Unterhaltung führten. `Ob Harley wohl seine Überzeugungskünste dafür verwendet, um Moran zurück in den Militärdienst zu holen? Nichtsdestotrotz halte ich dies für ziemlich unwahrscheinlich. Er wird als gefallener Soldat angesehen und ein Toter, kehrt niemals in das Reich der Lebenden zurück…`, dachte Miceyla etwas bedrückt und musst sich eingestehen, dass es am Vernünftigsten war jene Tatsache zu akzeptieren und sie ihrer Neugierde nachgeben musste, den Inhalt jeden einzelnen Gesprächs zu erfahren. Es erinnerte sie daran wie Sherlock sich immer fühlte, wenn er durch eine mit unermesslichen Informationen und Wissen beladene Gedankenwelt irrte. `Lasse nicht zu, dass die Probleme und Sorgen anderer zu deiner Bürde werden…`Solange sie diesen Satz nicht vergessen würde, hatte sie noch die Chance, ihr eigenes Leid von dem anderer Menschen zu differenzieren. Mit einem wehmütigem Lächeln, wandte sie den Blick wieder von Harley und Moran ab und gönnte den beiden Zeit für ein Gespräch unter Soldaten. Ein kleines Orchester spielte eine wundervoll rhythmische Musik, welche die ersten Paare auf die Tanzfläche lockte. Ein zaghafter Anstupser von William gegen ihre Schulter, ließ sie schüchtern zu ihm aufblicken.

„Nicht schlecht, was die Konkurrenz zu bieten hat. Aber…ich hörte von einem legendären Tanzpaar, das alle anderen Tänzer vor Erstaunen zum Stillstand gebracht und den Zuschauern eine ganz neue Art von Einklang, zwischen Melodie und Tanz präsentiert hat. Sollen wir jene Legende wiedererwecken, meine bezaubernde Winterrose? Dürfte ich die schönste Dame der Feier, dafür zum Tanz auffordern?“, sprach William mit einem verführerischem Lächeln und hielt ihr einladend seine Hand entgegen.

„Da hat wohl jemand wieder meine Gedanken gelesen… Nichts wünsche ich mir mehr, als mit dir zusammen erneut über die Tanzfläche zu schweben, mein Liebster…“ Mit einem Gefühl freudiger Erregung, ließ sie sich von ihm in die Mitte der Halle führen. Das unbeschreibliche Gefühl jenen magischen Moments, welcher nur ihnen beiden gebührte, floss durch ihren gesamten Körper und ihre Seele löste sich von jeglicher Anspannung, als hätte sie Flügel erhalten. Doch all ihre beschwingenden Empfindungen, verblassten plötzlich auf unsanfte Weise, als Albert es ihnen gleichtat und eine der ihm fremden jungen Frauen zum Tanz aufforderte. Natürlich war es eine Schönheit und sie musste überglücklich sein, von ihm ausgewählt worden zu sein. Das dies für ihn selbst völlig gleichgültig war, würde die ahnungslose Frau wohl nie erfahren. So wie sie dort nun mit ihren jeweiligen Tanzpartnern dastanden und auf den baldigen Musikwechsel warteten, konnte Miceyla nichts gegen die Anziehungskraft von Alberts intensiven Blick tun, der sie von Kopf bis Fuß zu vereinnahmen versuchte. Das Glühen in seinen smaragdgrünen Augen, ließ eine brodelnde Hitze in ihr aufsteigen und sie spürte, wie sich eine verwirrende Hilflosigkeit in ihr Herz einschlich. Es war kein Geheimnis, dass Albert seine Frustration, Miceyla nicht als Tanzpartnerin haben zu können, mit einem Akt des Trotzes betäuben wollte. Das Orchester begann ein neues Stück zu spielen, welches für ihren Geschmack viel zu dramatisch war. Die Paare begannen allesamt zeitgleich im Takt der Musik zu tanzen. Miceyla versuchte sich innerlich etwas zu entspannen und auf ihre Schritte zu konzentrieren. Doch ihr Blick wanderte unentwegt zu Albert und so musste sie sich auf Williams Führung verlassen, was zum Glück für beide kein Problem darstellte. Dieser merkte auf Anhieb, was sie so durcheinanderbrachte und blickte sie bloß als Reaktion darauf, hemmungslos verrucht an. Er erhöhte ohne Vorankündigung das Tempo seiner Schritte und seine Hand auf ihrem Rücken, zog sie ruckartig näher an sich heran, sodass sie gezwungen wurde, sich der Intensivität seines leidenschaftlichen Tanzes anzupassen. Albert ließ sich davon keineswegs beeindrucken und ahmte Williams Bewegungen sogleich perfekt nach. Dies schien seine Tanzpartnerin, die sich soeben noch mit unschuldiger Freude auf einen Tanz mit ihm eingelassen hatte, zu verwirren und wirkte etwas überfordert bei der Bemühung, mit seinem Tempo schrittzuhalten. Doch Albert nahm auf die überrumpelte Frau keine Rücksicht und suchte nur erneut mit herausforderndem Lächeln Miceyla Blickkontakt, welche in vollkommenem Einklang mit William tanzte. Sogar während ihres hitzigen Tanzes, fand sie die Zeit seinen Blick zu erwidern und lächelte ihn ebenso kühn und unerschrocken an. Sie konnte nicht anders, als das sachte Gefühl der Verführung zu genießen, welches sich den langen Weg mitten in ihr Herz bahnte. Albert wollte sie vor der unbarmherzigen Verbrecherwelt beschützen, wie eine zerbrechliche Blume vor einem tobenden Sturm. Und dennoch reizte es ihn mitzuerleben, wie ihr Kämpferwille immer weiterwuchs und sie nicht davor zurückschreckte, den unsicheren Pfad eines Soldaten zu bestreiten. All das was sie von anderen gewöhnlichen Frauen abhob, war für ihn zu verlockend, um es nicht bewundern zu können. `Komm, kämpfe mein tapferer Soldat. Ich weiß du wirst unnachgiebig bleiben, auch wenn mein Herz bereits jemand anderem gehört. Doch deine Liebe hat mein Herz längst berührt, die Liebe eines unersetzlichen Bruders…`, dachte Miceyla standhaft, um ihrem zum Überlaufen drohenden Gefühlschaos, ein abruptes Ende zu bereiten und widmete sich nun voll und ganz ihrem Tanz mit William. Allerdings machte dieser all ihre Bemühungen zunichte, eine mentale Stärke zu wahren, als er mit bittersüßem Lächeln schwungvoll von ihr abließ. Da ihr nun so urplötzlich die Führung, bei jenem schwierigen Tanz geraubt wurde, drohte sie von Schwindel gepackt das Gleichgewicht zu verlieren. Jedoch fand sie sich noch rechtzeitig, in den Armen eines neuen Tanzpartners wieder, welcher niemand anderes außer Albert war. Auch er hatte seine Tanzpartnerin mitten im Tanz stehen gelassen. Vollkommen übermannt von der unvorhergesehenen Situation, blickte sie ihn etwas unbeholfen, mit wild klopfendem Herzen an. `Ich werde dich zu jeder Zeit auffangen und immer dein schützendes Schild sein. Lass mich zu deinem Zufluchtsort in jeglicher Not werden. Ich schicke dich weder fort, noch musst du mir deine wahre Natur verbergen. An meiner Seite halte ich stets einen Platz für dich bereit. Dein und mein Schicksal sind ein und dasselbe. So lass mich dir dein Herz stehlen, mag es auch nur für einen flüchtigen Moment geschehen…meine geliebte Eisblume…`
 

`Wir sind die Himmelszelt-Helden! Wir fürchten keine Gefahr und helfen uns gegenseitig!` Miceyla fand es beinahe beängstigend, wie realistisch sie sich Finns Stimme vorstellen konnte, als sie wie in Trance einen schmalen Landweg entlangschlenderte, der direkt nach Harefield führte. Zwar würde eine gewisse Last von ihren Schultern genommen werden, sobald sie die Ungerechtigkeiten dort besiegt hatten, dennoch brauchte niemand die Tatsache schönzureden, dass es sich dabei schlichtweg um einen Rachefeldzug handelte.

„Eine äußerst schöne Gegend. Die Bauern können sich hier garantiert nicht über die Ernte beschweren“, sprach Albert geruhsam, während er seinen Blick über die weitflächigen Felder schweifen ließ.

„Nur machen sie, wie wir es leider nicht anders kennen, kaum Profit und werden gnadenlos ausgebeutet. Harte Arbeit für wenig Lohn. Und der Gewinn der geldeintreibenden Oberschicht, wächst beinahe exponentiell. Dieser Teufelskreislauf macht die Arbeiterklasse immer ärmer und lässt die Adeligen regelrecht in ihrem Geld schwimmen. Wenn keiner wagt dagegen etwas zu unternehmen, kann und wird sich von alleine auch nichts ändern. Gerechtigkeit ist kein Sinnbild unserer Gedanken, sie existiert und kann zum normalen Bestandteil unseres alltäglichen Lebens werden, wenn wir alle gemeinsam mitanpacken“, erläuterte William ebenso entspannt und blickte mit einem entschlossenen Leuchten in den Augen geradeaus. Das er die Thematik auf solch sachliche Art und Weise beschrieb, vermochte Miceyla momentan mehr als alles andere zu beruhigen. Es war noch früher Tag, doch bereits jetzt spürte sie, die sich anbahnende Hitze der kräftigen Maisonne auf ihrer Haut. Sie hatten sich aufgeteilt, während Louis, Moran und Fred Harefield auf der Ostseite erreichen würden, passierten Miceyla, William und Albert ihren Geburtsort auf der Westseite.

„Wir nutzen den restlichen Tag, um die Lage in Harefield auszukundschaften und werden rasch feststellen, ob uns dort bereits mögliche Spione in den Schatten auflauern. Bei Einbruch der Dunkelheit schlagen wir dann zu und erledigen die Angelegenheit weitestgehend `feinsäuberlich`. In diesem Dorf wird sich bestimmt ein verlässlicher Bürgermeister finden, welcher zukünftig für Ordnung auf diplomatische Weise sorgt“, schilderte William nun mit gütigem Lächeln ihren Plan, der sich zu ihrer Erleichterung in einem schlichten Rahmen hielt und nicht wie andere ihrer utopischen Vorhaben, zu kompliziert ausartete. Als sie den Dorfrand erreichten, stellte sich für Miceyla schnell heraus, dass sich an ihrer alten Heimat kaum etwas verändert hatte, was ihr beinahe das unangenehme Gefühl, einer Zeitreise in ihre stürmische Vergangenheit bescherte. Die drei Ankömmlinge, wurden von vielen der Bewohner freundlich begrüßt und niemand musterte sie sonderlich auffallend. Auf den ersten Blick wirkte das alltägliche Leben dort friedlich, doch beim genaueren Hinsehen erkannte sie sofort die trüben, überarbeiteten Augen der Menschen, die fast willenlos ihren Tätigkeiten nachgingen und von einer unsichtbaren Angst angetrieben schienen, die nach ihrem Leben trachtete. In einer versteckten Seitengasse, trafen sie mit Louis, Moran und Fred zusammen.

„Keine Spur weit und breit von den verdächtigen Attentätern… Die wollen uns garantiert mit ihrem versprochenem `Rendezvous`, ins kalte Wasser springen lassen! Diese elenden Drecksäcke! Oder habt ihr etwas Verdächtiges bemerkt? Ich mache mir Sorgen, dass die Kerle es besonders auf dich abgesehen haben, Miceyla, nach unserer misslichen Konfrontation von neulich… Wandere hier ja nicht ohne einen von uns umher, auch wenn die Umgebung dir vertrauter ist als uns. Versprich mir das!“, grummelte Moran ernst, doch die Besorgnis in seiner Stimme, blieb ihr nicht verborgen.

„Nein, kein Lebenszeichen von unseren Herausforderern in Spe. Und keine Bange, ich mag mir schließlich ein weiteres Trauma ersparen…“, erwiderte Miceyla mit einem etwas fröstelnden Unterton.

„Jene angeheuerten Mörder, besitzen keine Fähigkeiten, welche wir nicht besitzen. Darum werden wir den Schrecken ein Ende bereiten, noch ehe er begonnen hat. Moran und ich werden später die Infiltrierung, von dem Anwesen des selbsternannten Herrschers übernehmen und ihm im günstigen Moment den Garaus machen. Fred hält uns unterdessen den Rücken frei und Albert sorgt dafür, dass in der Zeit im Dorf keine weiteren Scharmützel entstehen, welche uns bei einer Flucht Probleme bereiten könnten. Miceyla und Louis, ihr bleibt bitte immer zusammen und stellt euch den Attentätern entgegen, sollten sie uns wirklich wie versprochen überfallen und nicht das Anwesen bewachen. Und seid nicht zimperlich, was die Gegenwehr angeht. Diese Leute haben, wie die meisten unserer bisherigen Widersacher, so vielen Menschen das Leben genommen, dass sie selbst ihre Opfer schon gar nicht mehr zählen. Also mein Liebling, ein schlechtes Gewissen ist reine Verschwendung“, erklärte William ihre einzelnen Aufgaben, um einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen und betonte noch einmal an Miceyla gewandt, dass sie im Ernstfall ihre Gewissensbisse ablegen musste. Dabei legte er ihr lächelnd mit einem liebevollen Blick, in dem Vertrauen und Zuversicht lag, seine Hand auf die Schulter. Kein bisschen verunsichert, nickte sie kühn zur Bestätigung. Sie wurde als Teil der Gruppe akzeptiert und würde wie ein jeder von ihnen, ihren Teil dazu beitragen, dass die Mission ein erfolgreiches Ende fand. Das er sie dabei nicht schonte und ihr eine bedeutsame Aufgabe übertrug, machte sie unendlich stolz. Längst war das kein Test mehr, sondern der Beweis, dass sie alle ein eingespieltes Team waren. Und ihr war bewusst, dass eine Waffe nicht nur Symbol des Mutes und der Stärke war, sondern auch zu seiner sinngerechten Verwendung eingesetzt werden musste. Wer davor zurückschreckte, sollte es von vornerein bleiben lassen und nicht zur Waffe greifen.

„Am morgigen Tage, wird Harefield einer friedlicheren Zukunft entgegenblicken können. Der Schleier der Ungerechtigkeit, welcher seit Anbeginn über diesem Dorf liegt, verschwindet und der Wind einer bannbrechenden Freiheit, wird durch die Kleinstadt wehen. Zeit die Vergangenheit zu begraben. Ich danke euch allen für eure Unterstützung… Also! Vertreiben wir all das Böse…“, begann Miceyla zum Auftakt der Befreiung von Harefield, welche sie mehr oder weniger eigenständig in die Wege geleitet hatte und ballte mit entschlossenem Blick, die linke Hand vor ihrer Brust zu einer Faust.

„…Und verhelfen der Welt zu rechter Größe!“ Als die Gruppe zeitgleich ihr gemeinsames Motto aussprach, spürte Miceyla erneut das unzertrennliche Band ihrer Gemeinschaft, welches ihr den Glauben vermittelte, jedes noch so schwierige Ziel erreichen zu können.

„Gut ihr Lieben, ich mache dann noch mal einen kleinen Rundgang durch das Dorf und werde selbst den kleinsten Kieselstein inspizieren, sollte er mir verdächtig vorkommen…“, meinte Albert scherzhaft und blickte kurz mit einem dezent düsteren Lächeln zu Miceyla, ehe er sich als Erster von der Gruppe trennte. `Jetzt ist nicht der passende Augenblick, um irgendeinen unnötigen Schabernack zu treiben… Aber Albert glänzt stets bei seiner Arbeit mit einer beispiellosen Professionalität und wenn es darauf ankommt, ist er wohl der Vernünftigste von uns allen. Und trotzdem lässt mich das beißende Gefühl nicht los, dass er etwas im Schilde führt, das nicht zum Plan gehört… Argh! Und die Gewissheit, dass meine Intuition mich niemals belügt, macht alles nur noch schlimmer!`, dachte Miceyla etwas unbehaglich und musste der Versuchung widerstehen, ihm nachspionieren zu wollen. Nur flüchtig ließ sie ihren nachdenklichen Blick hinter ihm herwandern.

„Gib bitte auf dich Acht, Miceyla. Solltet ihr in Schwierigkeiten geraten, finde ich einen Weg um euch zu helfen.“ Freds besorgter Einwand, bevor sie sich für ihre einzelnen Posten erneut aufteilten, lenkte sie von ihren kopfzerbrechenden Grübeleien ab.

„Danke Fred, aber konzentriere dich bitte mit all deinen Sinnen darauf, dass Will und Moran niemand ins Handwerk pfuscht. Auch du kannst nicht überall gleichzeitig sein und ich möchte nicht, dass du auf Kosten anderer, erneut Opfer eines Unfalls wirst. Ich habe Louis bei mir, also vertrauen wir einander, nicht wahr?“, sprach Miceyla mit einer Überzeugungskraft, welche Fred erleichtert lächeln ließ und blickte zu Louis, in der Hoffnung er würde ihr in dieser Hinsicht zustimmen.

„Dem kann ich mich nur anschließen. Zu zweit werden wir schon mit ein paar Meuchelmördern fertig, sollten die Ärger machen. Wohlan Bruderherz, wir sind alle bereit“, beendete Louis zufrieden ihre knappe Missionsbesprechung, woraufhin Miceyla noch motivierter wurde als zuvor.

„Freut mich, dass jeder mit dem weiteren Verlauf einverstanden ist. Dann teilen wir uns nun wie besprochen auf, um nicht verdächtig zu wirken. Gutes Gelingen!“, verkündete William lächelnd und blickte Miceyla noch einmal zum Abschied an, als wollte ein Teil von ihm bei ihr bleiben, um sie zu beschützen.

„Prima! Auf dem Weg hierher, sind mir ein paar vorzügliche Lokale ins Auge gestochen, in denen wir ordentlich zu Mittag essen können! Auf geht’s, Will! Mit leerem Magen, lässt sich nur schwerlich ein fetter Adeliger umlegen, ha, ha, ha!“, sprach Moran genüsslich und gab William einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter.

„Fein, wenn dein immerwährendes Loch im Magen endlich mal gefüllt ist, können davon vielleicht sogar die Gastgeber profitieren. Hast doch ein üppiges Gehalt, daher darfst du natürlich auch alles bezahlen“, neckte William ihn daraufhin und schlenderte mit ihm davon. Als die beiden sich ein gutes Stück von den anderen entfernt hatten, blickte er Moran nun mit einem wesentlich ernsteren Gesichtsausdruck an.

„Ich muss mit dir etwas Wichtiges unter vier Augen besprechen…“

Fred war ebenfalls bereits aufgebrochen und nun blieb Miceyla nur noch mit Louis allein zurück.

„Dann lass uns auch mal einen kleinen Rundgang durch das beschauliche Städtchen machen, Und habe nicht allzu viele Bedenken, es wird bestimmt alles glattlaufen. Sei nicht zu streng mit dir, sollte deine beschwerliche Vergangenheit, dich hier doch erneut heimsuchen. Ich kämpfe an deiner Seite, verlasse dich also ruhig auf mich. Mut hast du bisher genug bewiesen und ich weiß, dass du wenn es darauf ankommt, über deinen eigenen Schatten springen kannst“, meinte Louis überraschend aufmunternd mit freundlicher Miene. Miceyla lächelte behaglich, dass wenigstens während einer für sie herausfordernden Mission, die Stimmung zwischen ihnen nicht ganz so angespannt war wie sonst. Während sie zu zweit durch Harefield spazierten, merkte sie gleich, dass die Kleinstadt in all den Jahren noch weiter ausgebaut worden und nun wesentlich dichter besiedelt war als früher. Miceyla stand dieser Veränderung mit gemischten Gefühlen gegenüber. Zum einen hieß sie es gut, dass der Fortschritt jedes noch so kleine Dorf erreichte. Zum anderen stimmte es sie ein wenig traurig, dass dabei sehr viel alte Tradition zunichte gemacht und die Wertschätzung der Bescheidenheit mit Füßen getreten wurde. Einige Stunden vergingen und der späte Nachmittag kündigte sich an. Das der gesamte Tag so ruhig und ganz ohne Vorkommnisse verlaufen war, machte Miceyla allmählich nervös. Aber es blieb natürlich wie immer bei der logischen Tatsache, dass die Feinde erst aus ihren Verstecken hervorgesprungen kamen, wenn es dunkel werden und sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen würden. Gerade verließ Miceyla mit Louis eine Gaststätte, in der sie sich mit ein paar der Einwohner unterhalten hatten und nun wollten sie ein weiteres Mal die Umgebung überprüfen gehen.

„Miceyla! Das gibt es ja nicht, du bist auch hier in Harefield! Wir ziehen wohl beide die Zufälle magisch an, ha, ha!“ Wie vom Blitz getroffen, erstarrte Miceyla bei der ihr vertrauten Stimme hinter sich und tauschte mit Louis hastig Blicke aus, in denen sich die höchste Alarmbereitschaft widerspiegelte. Sie schämte sich unendlich dafür, dass sie auf die unvorhergesehene Begegnung mit einem guten Freund, mit solch einer verschreckten Verhaltensweise reagierte. Etwas zögerlich drehten Miceyla und Louis sich herum und sie bemühte sich zwanghaft, ein natürliches Lächeln aufzusetzen.

„John! Was für eine Überraschung. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, dass wir uns hier begegnen. Was führt dich nach Harefield und bist du alleine hier?“, fragte sie ihn freundlich zur Begrüßung und hoffte dabei, dass ihn Louis‘ finsteres Gesicht nicht allzu sehr erschreckte. Doch der junge Arzt strahlte so überglücklich und unbekümmert wie ein Honigkuchenpferd.

„Nun ja… Das hat mit Mary zu tun. Ich bin ihrer Bitte nachgegangen, den Gesundheitszustand eines Bekannten von ihr zu überprüfen, der hier lebt und an einer schweren Herzschwäche leidet. Soll nicht heißen, dass der Arzt von Harefield unfähig sei, aber der Mann lässt sich nur widerwillig von jemandem behandeln. Doch da er Mary blind vertraut, hat er sich von mir, ohne einen Aufstand zu machen, untersuchen lassen. Und ja, ich bin alleine nach Harefield gekommen. Wie steht es mit dir? Ach ja! Ihr macht sicher gerade einen kleinen Ausflug in deinem Geburtsort, hast ja mal davon erzählt. Ist auch wirklich schön hier. Vielleicht sollte ich mit Mary, eines Tages ebenfalls aufs Land ziehen…“, erzählte John verträumt und stellte während der Unterhaltung, kurz seine vollgepackte Arzttasche ab. `Gut… Er ist alleine hier. Hätte er Sherlock im Schlepptau, müssten wir uns mal wieder mit einem nervtötendem Problem herumschlagen…`, dachte Louis kritisch mit zusammengekniffenen Augen. `Glücklicherweise ist John beschwingt von seiner Hochzeitsvorfreude. Manchmal macht Liebe tatsächlich blind… Er würde nun nichts als verdächtig ansehen, selbst wenn es sich unmittelbar vor seiner Nase befände… John besitzt zwar ein helles Köpfchen, aber im Gegensatz zu Sherlocks schier übersinnlicher Kombinationsgabe, brauchen wir uns bei ihm nicht auf Teufel komm raus vorzusehen.` Als Miceyla in Gedanken die Wogen, bei der für sie überrumpelnden Situation geglättet hatte, wollte sie ihre Unterhaltung fortführen. Doch ehe es dazu kommen konnte, huschte eine Person rasend schnell wie ein dunkler Schatten an ihnen vorbei. Verwirrt blickte das Trio dem seltsamen Mann hinterher und Miceyla fuhr jäh zusammen, als John einen entsetzten Schrei von sich gab.

„Aaahhh! Meine Arzttasche wurde gestohlen! Wenn die darin befindlichen Medikamente falsch verwendet werden, sind Leben in Gefahr!“, rief John panisch und stürmte ohne weiter nachzudenken hinter dem Dieb her. Miceyla und Louis blickten sich beide einsatzbereit an. `Wir haben unsere feigen Attentäter gefunden!`, dachten beide zeitgleich und nahmen ebenfalls im hohen Tempo die Verfolgung auf. Erstaunt erkannte sie dabei, wie schnell John auch ohne seinen Stock rennen konnte. `Er besitzt eine beachtliche Kondition. Dies beweist nur, dass er selbst mal ein Soldat war.` Sie verfolgten den flüchtenden Dieb, bis zu einer großen Scheune etwas abseits des Dorfes, in welcher er und John schließlich verschwanden.

„Warte!“ Louis packte sie energisch am Arm, um sie daran zu hindern, ihnen hinein zu folgen. Verärgert blickte sie ihn an.

„Worauf sollen wir bitteschön warten?! Mir ist sonnenklar, dass uns eine Falle gestellt wurde. Und der unschuldige John, wird gerade dafür missbraucht. Wenn du glaubst, dass ich tatenlos dabei zusehe, wie er sich einen sinnlosen Kampf mit den Mördern liefert, täuschst du dich aber gewaltig!“, konterte sie ungeduldig und befreite ihren Arm aus seinem aufhaltenden Griff.

„Ist ja gut Mensch! Du brauchst deswegen nicht gleich so bissig zu werden. Versuchen wir uns erstmal unauffällig, einen Überblick darüber zu verschaffen, wie viele von den Kerlen dort drin sind, ehe wir uns Hals über Kopf in ein Gefecht stürzen. Erst denken, dann handeln!“, tadelte Louis streng und lief achtsam zusammen mit ihr in Richtung der Scheune. `Tu nicht so scheinheilig… Du suchst doch nur nach einem Vorwand, um Zeit zu schinden. Denn wenn John auf unglückliche Weise hier sein Leben ließe, käme dir das gerade gelegen. Traurig ist das, einfach nur traurig…`, dachte Miceyla verbittert und befolgte dennoch widerwillig seine Aufforderung, die Lage abzuwägen. Seitlich an der Scheunenwand stehend, lugten sie vorsichtig in das Innere. Dort stand der hilflos wirkende John, umzingelt von fünf bewaffneten Männern, bei denen sie wusste, dass jeder von ihnen kampferprobt und skrupellos war.

„Das sind zu viele von denen! John schafft das nicht alleine, wir müssen ihm helfen! Bitte gib dir einen Ruck!“, bettelte Miceyla verzweifelt, doch Louis blieb unbeeindruckt und verzog keine Miene.

„Worin liegt das Problem? Die Männer gefährden gerade nicht unseren Plan und scheinen uns sogar in Ruhe zu lassen, wenn wir sie ignorieren. Will es denn immer noch nicht in deinen Schädel, dass jeder Kampf seine Opfer fordert?“, blaffte Louis kühl und beobachtete beinahe voller Genugtuung, was sich gerade dort in der Scheune abspielte. Seine Kaltherzigkeit zerriss Miceyla das Herz und sie blickte ihn argwöhnisch an.

„Das kann jetzt nicht dein Ernst sein! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen! Was würde Will nun sagen? Für dich dreht sich alles nur um deinen heiligen Bruder. Wäre er in Gefahr, würdest du augenblicklich alles stehen und liegen lassen. Sei nicht so blind, Louis, du besitzt viel mehr außer William… Na schön… Was du nun vorhast, ist mir gleichgültig, aber ich lasse John unter keinen Umständen im Stich!“, konterte sie mit ihrer knallharten Meinung und zückte eine Pistole und einen Dolch, um sich kampfbereit zu machen. Das Louis ihr schon gar nicht mehr antwortete, machte sie nur noch wütender und mit zusammengebissenen Zähnen, stürmte sie in die Scheune zu John.

„Miceyla! Da haben wir uns vielleicht ein Schlamassel eingebrockt… Unholde existieren aber auch wirklich überall. Ach, wäre doch Sherlock hier, er wüsste jetzt garantiert eine passende Lösung. Wir sind nun mal in der Unterzahl…“, sprach John klagend, während sie Rücken an Rücken standen, von ihren Feinden umzingelt. Doch sie hörte in seiner Stimme keineswegs Verunsicherung heraus, viel eher den Mut, einen Kampf im Namen der Gerechtigkeit zu kämpfen. Und das er sie als fähige Gefechtspartnerin ansah, die er nicht nur beschützen wollte, tröstete sie ein wenig. Wie könnte Miceyla bloß, einer solch wertvollen Freundschaft den Rücken kehren?

„Wir können uns nicht immer nur auf Sherlock verlassen. Glauben wir an uns, dann können wir es schaffen! Ich kämpfe an deiner Seite, wenn nötig bis zum bitteren Tod. Mary soll doch schließlich eine glückliche Braut werden“, erwiderte sie leicht verzagt, leicht aufmunternd.

„Miceyla… Keiner von uns beiden, wird hier sein Leben lassen müssen! Unser Ende…“, begann John mit einem unnachgiebigen Funkeln in den Augen.

„…Bestimmen und schreiben wir selbst!“, sprachen die zwei gleichzeitig und umklammerten ihre Waffen noch fester. Miceyla blickte in das grinsende Gesicht eines der Männer, bei dem es sich um den Anführer der Truppe handeln musste und erkannte sofort ihren Widersacher von jenem Abend in London. Noch immer schien die Zeit still zu stehen und jeder wartete darauf, dass jemand das Gefecht eröffnen würde. Kurz erhascht sie einen Blick auf das Scheunenfenster, von wo aus Louis noch immer in aller Seelenruhe das Drama mitverfolgte. Und genau in diesem Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, dass er nun sie und John zusammen, in ihr eigenes Unglück stürzen lassen konnte, ohne dabei selbst einen Finger krumm machen zu müssen. Wut und Trauer begannen ein unstillbares Feuer in zu entfachen und sie unterdrückte die Tränen, welche ihre bitterliche Erkenntnis beklagen wollten. In jenem Augenblick begrub sie all ihre bisherigen Bemühungen, jemals mit Louis ein freundschaftliches Verhältnis haben zu können. `Du bist ein grausames Monster, Louis. Ich…hasse dich für das, was du John und mir gerade antust! Ich hasse dich abgrundtief!` Ohne noch länger darauf zu warten, dass ihre Gegner den ersten Schritt machten, zielte sie mit ihrer Pistole auf den Anführer und drückte gnadenlos ab. Dieser wich natürlich gekonnt aus und nun mussten John und sie sich darauf gefasst machen, dass sie von allen fünf Männern gleichzeitig angegriffen wurden. Das jene ausschließlich mit Stichwaffen bewaffnet waren, konnten sie beide nicht wirklich zu ihrem Vorteil nutzen, da allesamt Meister im Nahkampf sein mussten. Auch Johns erster Schuss ging ins Leere, welcher daraufhin leise fluchte. Es brauchte nicht mal einen Wimpernschlag und schon attackierte der erbarmungslose Anführer, Miceyla mit einem kraftvollen Messerhieb. Mit viel Mühe gelang es ihr seinen ersten Angriff zu parieren und sie konnte sich wieder nur auf die Strategie, Technik gegen Kraft verlassen. Während sie selbst sich momentan, lediglich mit nur einem Gegner herumschlagen musste, hatte John alle Hände voll damit zu tun, die restlichen vier Widersacher auf Distanz zu halten. Gekonnt duckte Miceyla sich unter einem weiteren Hieb weg und sprang zur Seite. Die wenigen sicheren Sekunden nutzte sie, um einem der Männer, welcher mit dem Rücken zu ihr stand, zielgenau in den Hinterkopf zu schießen. Nachdem dieser plump auf den staubigen Scheunenboden gestürzt war, wandte sie sich wieder mit einem eisigen Blick an den Anführer.

„Wenn ihr mit unfairen Mitteln kämpft, können wir das auch!“, sprach sie finster und blickte dabei unbeirrt in die Augen ihres Gegners, welche nur so vor Mordlust glühten.

„Danke Miceyla!“ Nun war es auch John gelungen, einen weiteren Übeltäter in die ewigen Jagdgründe zu befördern und ein zaghaftes Leuchten der Hoffnung begann aufzuflammen. `Wir sind nicht wie diese schrecklichen Männer… Wir töten nicht aus Hass und Selbstgier, sondern um uns zu verteidigen und das zu beschützen, was uns lieb und teuer ist…`, erinnerte Miceyla sich trotz ihres Panikzustandes daran, nicht von einer tollwütigen Kampflust besessen zu werden, damit sie einer alles vernichtenden Reue entgegenwirken konnte. Plötzlich traf ihr nächster Dolchhieb ins Leere und entsetzt reagierte sie zu spät, als der Anführer direkt hinter ihr stand und sie ihm ihren ungeschützten Rücken darbot. Ein heftiger Fußtritt schleuderte Miceyla zu Boden und sie hatte nicht einmal mehr die Kraft für einen Schmerzensschrei. Zitternd blickte sie zu ihrem Gegner auf, welcher noch immer wie bei Beginn des Kampfes, völlig unverwundet war, während sie sich schon einige Schnittwunden zugezogen hatte, die glücklicherweise nicht sonderlich tief waren und dennoch fürchterlich pochten. Der Mann beugte sich über sie und drückte sie unsanft gegen den Boden. Zu allem Übel spürte sie jetzt auch noch, seine geschärfte Messerklinge dich neben ihrer Kehle.

„Miceyla!“ John schrie verzweifelt bei dem grausamen Blick ihren Namen, erhielt aber keine Gelegenheit ihr zur Hilfe zu eilen, da seine eigenen Gegner ihn zu sehr auf Schach hielten.

„Ihr fühlt euch grenzenlos überlegen und glaubt, uns am Schlafittchen gepackt zu haben. Doch für jemanden, der seine eigenen Kameraden nicht wertschätzt, hege ich nichts als Missbilligung und Verachtung. Ich werde nicht um Gnade flehen… Denn wir werden beide hier sterben…“, sprach Miceyla tapfer und schaffte es, ihre Hand mit dem Dolch an seinen Bauch zu bewegen. Der Anführer kicherte leise als Antwort darauf und ließ schließlich von ihr ab.

„Wir ziehen uns zurück… Bewahre dir deinen unberechenbaren Willen. In der düsteren Verbrecherwelt, ist dies nämlich dein kostbarstes Juwel“, sprach er abschließend und sein Gesichtsausdruck bekam beinahe gutmütige Züge. Da Miceyla sich wieder frei bewegen konnte, richtete sie sich etwas schwerfällig auf.

„Du willst also erneut einen Rückzieher machen? Nun, die Entscheidung obliegt dir, ob ihr von uns getötet werdet oder von unseren Kameraden, welche euch auflauern, sobald ihr die Scheune verlassen habt…“, meinte Miceyla vorwarnend und war dennoch für das erleichternde Gefühl dankbar, dass John und sie den Kampf ohne ernsthafte Verletzungen überstanden hatten.

„Danke für die Warnung, aber das ist nun mal der Preis, den jeder Mensch zahlen muss, der seine Hände mit Blut befleckt hat. Dasselbe gilt für dich, `Meisterverbrecherin`…“ Mit jenen düsteren Abschiedsworten, welche nur noch in einem Flüsterton endeten, verschwand er mit seinen beiden übriggebliebenen Kameraden. Hastig vergewisserte Miceyla sich nervös, ob John die Worte auch ja nicht gehört hatte. Dieser entdeckte mit glücklichem Lächeln, seine gestohlene Arzttasche und überprüfte bereits, ob der Inhalt noch vollständig war. Erleichtert seufzte sie, wenigstens darüber brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Und nun konnte sie nicht anders, als beim Anblick der beiden, in der Scheune liegenden Leichen, bittere Tränen zu weinen und spürte, wie sehr der nervenauftreibende Kampf sie erschöpft hatte. John eilte sogleich leicht humpelnd zu ihr und drückte sie tröstend an sich. Auch ihm war die Müdigkeit nach dem Gefecht anzusehen.

„Ich weiß ganz genau, wie du dich gerade fühlst. Doch lasse dich nicht von der Schuld, einen Menschen getötet zu haben, erdrücken. Wir haben aus purer Notwehr gehandelt. Jeder könnte dies bezeugen. Lass mich deine Wunden noch versorgen, dann wirst du sehen, dass alles wieder gut wird. Auch ich habe mit dem Schlimmsten gerechnet, aber das Glück war uns heute hold“, sprach er sanft und begann ihre oberflächlichen Messerschnitte an den Armen zu begutachten. `Du irrst dich leider… Das Töten ist traurigerweise für mich zur Gewohnheit geworden. Ginge es mir nur darum… Aber das Louis ohne Reue dabei zugesehen hat, wie wir beide mit unserem möglichen Tod konfrontiert werden, erschüttert mich so sehr, dass ich schon gar nicht mehr sagen kann, was ich nun mehr fühle, Hass oder Trauer…`, dachte Miceyla trübselig, während sie John geduldig ihre Wunden säubern ließ.

„Ach, da fällt mir ein, wo ist eigentlich Louis geblieben…? Vor lauter Aufregung, ist mir seine Abwesenheit völlig entgangen…“ Miceyla zuckte verschreckt, als er jenen Namen aussprach, der nun wie Gift in ihren Ohren klang.

„Er…hat die Umgebung außerhalb der Scheune kontrolliert, ob für die Männer Unterstützung im Anmarsch sein könnte und wollte William zur Hilfe holen, der mit uns hier ist…“, log sie und blickte abwesend zu Boden. Im Augenblick besaß sie noch keine konkrete Vorstellung davon, wie ihr zukünftiger Umgang mit Louis aussehen sollte.

„Na dann bin ich ja beruhigt. Gehen wir erstmal wieder nach draußen an die frische Luft. Hier drinnen wird mir die Luft zunehmend unangenehmer… Ich warte solange gemeinsam mit dir, bis ich dich in Williams Obhut übergeben kann“, antwortete er daraufhin mit einem zufriedenen Lächeln und ließ ihr beim verlassen der alten Scheune den Vortritt.

„Oh… Nein das brauchst du wirklich nicht zu tun. Ich kenne mich hier bestens aus und weiß, wo ich William finden werde. Danke John, du hast dir heute schon genug zugemutet. Du musst außerdem deinen Zug kriegen, stimmts? Dein prüfender Blick auf deine Uhr hat mir dies verraten. Und mache dir um die Fieslinge keine Sorgen, die haben Besseres zu tun, als uns erneut zu ärgern“, lehnte sie seine Begleitung geschickt mit selbstsicherem Lächeln ab, ohne dabei nervös zu wirken. Die Sonne war zwar bereits untergegangen, doch noch immer lag die Hitze, des ungewöhnlich heißen Maitages in der Luft.

„Na gut, hast ja recht… Aber ich begleite dich auf jeden Fall wieder in das Dorf zurück, bis wir wieder unter Menschen sind.“ Gemeinsam liefen die beiden in das Dorf zurück und gedankenversunken beobachtete sie eine Gruppe kleiner Kinder, die noch immer im Freien spielen wollten, aber von den Eltern lautstark nach Hause geschickt wurden. Nachdem Miceyla sich von John verabschiedet hatte, wartete sie bis er außer Sichtweite war und rannte danach auf direktem Wege aus dem Dorf hinaus. Nun war genau das eingetroffen, was alle vermeiden wollten, nämlich das sie alleine durch Harefield irrte. Doch Furcht vor möglichen Gefahren, verspürte sie nicht im geringsten. Und im Augenblick wollte sie alles daransetzen, um ihrem gefühllosen Stiefbruder aus dem Weg zu gehen. Erst jetzt bemerkte Miceyla mit stockendem Atem, wohin sie ihre ziellose Flucht eigentlich gebracht hatte… Sie befand sich in unmittelbarer Entfernung zu jenem Haus, in dem sie ihre traumatische Kindheit verbracht hatte. Für ihr seelisches Wohlbefinden wäre es wohl besser gewesen, wenn sie abrupt kehrt gemacht hätte. Doch eine merkwürdige Neugierde hinderte sie daran. `Das Haus sieht noch genauso heruntergekommen aus, wie vor über einem Jahrzehnt, wenn nicht sogar noch mehr… Ob hier wohl noch jemand lebt…? Aber da es meiner Mutter schon immer finanziell sehr schlecht ging, wird sie garantiert nicht weggezogen sein…`, dachte sie mit einer fröstelnden Gänsehaut und glaubte, in ihrem Frust vollends den Verstand verloren zu haben, da sie eine derart verehrende Dummheit beging… Vorsichtig stieß sie mit einer Hand die geöffnete Haustür auf, welche leise knarzte. Bei ihrem Blick in das düstere Innere, wehte ihr sogleich eine modrige Luft entgegen, die alptraumhafte Erinnerungen in ihr wachrief. Doch sie besaß längst nicht mehr das gebrechliche Herz eines wehrlosen Mädchens, sondern das einer mutigen Kriegerin, welche ihre Augen nicht vor Tod und Leid verschloss. Geräuschlos trat sie herein und hielt dennoch als Vorsichtsmaßnahme ihren Dolch griffbereit. `In der Küche brennt Licht… Also ist tatsächlich jemand hier…` Ihr hämmerndes Herz hinterließ einen krampfartigen Schmerz in ihrer Brust und dennoch ignorierte sie dieses unangenehme Gefühl. Während Miceyla durch das schäbige Haus schlich, glaubte sie selbst

zum Poltergeist zu werden. In ihrer Fantasie hatte sie sich bereits alle möglichen Szenarien ausgemalt, mit welchen sie nun konfrontiert werden könnte. Aber als sie vorsichtig die leicht geöffnete Küchentür aufstieß, war der dortige Anblick so desaströs, dass es zu betäubend wirkte, um die Fassung zu verlieren, Auf dem Boden lag eine gebrechliche Frau, leblos in einer glänzend dunkelroten Blutlache, welche Miceyla augenblicklich als ihre Mutter erkannte. Direkt daneben stand der Täter, des soeben verrichteten Mordes und blickte mit einem blutverschmierten Messer in der Hand, sein Opfer mit einer solchen Genugtuung an, als hätte er gerade seinen schlimmsten Erzfeind niedergestreckt. `Albert… Dem Teufel sind alle Mittel recht, um seinem Hass die freie Entfaltung zu gewähren, die es braucht, damit eine gewaltsam erzwungene Gerechtigkeit erschaffen wird, Dies ist der finstere Weg der Moriartys. Auch ich kann diesen blutigen Pfad niemals mehr verlassen, bis irgendwann der Boden unter meinen Füßen zu bröckeln beginnt und ein pechschwarzer Abgrund mich auf ewig verschluckt…`, dachte sie wie erstarrt, ohne ihr eigenes Schicksal beklagen zu wollen und war selbst in jenem Moment erstaunt darüber, wie robust sie geworden war, dass sogar der Anblick ihrer toten Mutter, sie nicht mehr zu schockieren vermochte. Doch dies war nur ein Zeichen dafür, dass Miceyla von ihr niemals Gefühle der Geborgenheit und Liebe zu spüren bekommen hatte.

„Miceyla meine Liebe, ich hätte nicht erwartet, dass du heute Abend hier auftauchst. Doch umso besser, du darfst Zeuge des größten Geschenks werden, welches ich dir jemals machen konnte… Die Vergeltung für deine grausame Kindheit, soll deinem verwundeten Herzen Frieden bringen. Ich habe es nur für dich getan. Auch wenn du darin einen egoistischen Akt meinerseits siehst, so bitte verurteile zumindest nicht, meine aufrichtige Zuneigung dir gegenüber, die dir bloß das Glück gewähren möchte, welches dir zusteht“, rechtfertigte er seine Schandtat mit sanftmütigen Worten und ließ das Messer aus seiner Hand fallen, welches klirrend direkt neben der Leiche zu Boden fiel. Ohne der toten Frau noch einmal Beachtung zu schenken, lief er gemächlich, zu der wie versteinert wirkenden Miceyla und blieb dicht vor ihr stehen. Sein bittersüßes Lächeln verriet ihr, dass seine Tat, die Erinnerungen an den Mord seiner eigenen Mutter in ihm wachrief. `Ich bin umgeben von Monstern… Todesengel, die ihre Reinheit abgelegt haben und vom Himmel in die Hölle herabgestiegen sind, um dort mit dem Schwert der Gerechtigkeit, über alle dort herumlungernden Sündiger zu richten… Und ich befinde mich mittendrin, werde mitgerissen von einer reißenden Strömung, bei der es aussichtslos ist, dagegen anzukämpfen. Wer wird uns am Ende noch als Helden anerkennen…? Und dennoch… Es ist die Verwirklichung unserer Träume, welche uns jeden Tag aufs Neue antreibt. Und für dieses edle Ziel, müssen wir uns niemals rechtfertigen… Auch das wärmende Gemeinschaftsgefühl, wird eines Tages von mir Abschied nehmen, darum darf ich mich selbst nicht unterkriegen lassen. So lautet die wohl härteste Bewährungsprobe meines Lebens…`, dachte Miceyla und spürte eine Entschlossenheit in sich aufflammen, die stärker war als je zuvor.

„Ich bin zutiefst darüber schockiert, was für eine überflüssige Tat, du während unserer Mission in Harefield verrichtet hast. Aber ich verurteile dich nicht für deinen starken Gerechtigkeitssinn und dein grenzenloses Einfühlungsvermögen mir gegenüber, was mir beweist, dass du aus Liebe zu mir, jedes noch so große Opfer bringen würdest… Nun werde ich sie wirklich begraben, meine triste Vergangenheit, ohne dabei weitere Tränen zu vergießen. Denn der See aus meinen bisher vergossenen Tränen, ist längst randvoll. Bleibe bitte bis zum Schluss mein geliebter großer Bruder, der mir Halt gibt, sich meine Sorgen anhört und mir jeden Brief beantwortet. So wird auch deine geliebte kleine Schwester, dir stets treu bleiben…“, sprach Miceyla mit felsenfester Stimme und schaffte es aber nur, ihre Lippen zu einem müden, kläglichen Lächeln zu bewegen.

„Genau das war es, was ich mir gewünscht habe von dir zu hören… Ich mag dich nicht leiden sehen, auch wenn sogar ich nicht dazu befähigt bin, jegliches Leid von dir fernzuhalten. Lache, meine bezaubernde Eisblume. Kein Lachen ist so schön und rein wie das Deine. Und vergiss nicht, all die durchlebte Trauer macht dich noch stärker und schöner… Ein Glück bist du nicht meine blutsverwandte kleine Schwester. Denn so ist es mir erlaubt, dir nicht nur ein treuer großer Bruder zu sein, sondern kann dir auch all die unvergleichbar tiefgründigen Gefühle entgegenbringen, welche ein Mann nun mal für die Frau die er liebt empfindet…“ Während Albert mit einer unsagbar zärtlichen Stimme sprach, beugte er sich langsam zu ihrem Gesicht hinab. Miceyla glaubte, dass nun wieder jene Geste folgen würde, bei der er seinen Finger auf ihre Lippen legte und ihn anschließend mit den seinen küsste. Daher stellte sie sich bereits darauf ein und hielt es für überflüssig, eine verwunderte Reaktion zu zeigen. Doch als sie seine weichen Lippen, tatsächlich auf den ihren vernahm, wusste sie weder was für neuartige Emotionen sie in dem Moment empfand, noch wie sie sich verhalten sollte. Sie war zu überrumpelt und ließ es einfach geschehen. Trotzdem besaß Miceyla nicht den Mut seinen Kuss zu erwidern, auch wenn er sie so liebevoll und sinnlich küsste, damit sie nicht das Gefühl bekam, überfallen zu werden. Nicht lange brauchte es, da löste Albert sich wieder von ihren Lippen und sie schmiegte leicht verwirrt ihren Kopf an seine Brust, um ihm nicht ins Gesicht blicken zu müssen. Während seine Hand zärtlich über ihren Rücken streichelte, schloss sie kurz die Augen und verglich den gerade erlebten Kuss, mit einem von Williams Küssen. Dabei erkannte sie sofort, dass sie bei Albert nicht wirklich jenes glühende, berauschende Gefühl empfand, welches sie bei William verspürte. `Verzeih mir, mein großer Bruder… Aber meine beflügelnde Liebe, welche ich William geschenkt habe, werde ich dir niemals geben können… Jedoch… Der Moment war gerade vielleicht einfach nur unpassend für einen Kuss…` Ehe Miceyla sich zu sehr in ihren Gedanken verlor, wagte sie ihm wieder mit schüchternem Blick in das Gesicht zu sehen. Während er nur melancholisch lächelte, verharrten sie beide für eine Weile schweigsam miteinander. Doch die Ereignisse des turbulenten Tages in Harefield, tobten zu sehr in ihrem Kopf, um eine friedliche Idylle genießen zu können. Und als sie nicht verhindern konnte, noch ein letztes Mal flüchtig die Leiche ihrer Mutter zu betrachten, wusste sie das es höchste Zeit war, diesen schrecklichen Ort zu verlassen. Und aufgrund ihrer starken Sehnsucht nach William, begann sich ihr Herz immer mehr zu verkrampfen.

„Albert… Ich habe da noch eine Bitte… Um die heutige Mission auf perfekte Weise ausklingen zu lassen, wie es für uns Moriartys würdig ist, sollten wir, ehe wir dem Dorf Lebe wohl sagen, dieses Haus noch niederbrennen. Lass uns all das Übel ohne Überreste vernichten. In den lodernden Flammen, wird die Finsternis restlos verschwinden. Was übrig bleibt ist eine neue Hoffnung, die den Weg in eine lange Zukunft ebnet…“, sprach Miceyla nun wieder wesentlich gefasster und sein dezent hochmütiges Lächeln war der Beweis, dass er nur darauf gewartet hatte, dass sie dies sagen würde.

„Dein Wunsch ist mir Befehl, meine Liebe. Du brauchst dich nicht vor dem zerstörerischem Feuer zu fürchten. Überwinde deine Ängste und es kann zu deinem nicht mehr wegzudenkenden Retter werden. Nun wirst du niemals mehr dazu gezwungen, hierher zurückzukehren, denn dein Zuhause ist bei uns…“, verkündete Albert gutmütig, nicht nur um den Abschluss ihres Auftrags einzuläuten, sondern auch zum endgültigen Abschieds Miceylas Vergangenheit. So entfernten sich die zwei Seite an Seite von dem alten Haus, welches nun hinter ihnen in grellen, knisternden Flammen aufging. Sobald der nächsten Morgen hereinbrach, würde es komplett niedergebrannt sein…

„Miceyla!“ Wachgerüttelt, als jemand aus der Ferne ihren Namen rief, lief sie unruhig umher, während sie mit Albert am vereinbarten Treffpunkt, etwas abseits des Dorfes Harefield wartete. Fred rannte vorneweg, ein Stück hinter ihm folgte William mit Moran und Louis bildete das Schlusslicht.

„Dir geht es gut, welch ein Glück! Ich habe geahnt, dass wir die Attentäter besser nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten… Im Anwesen des Grafen, ist keiner von denen leider mehr aufgetaucht. Folglich sind die Auftragsmörder immer noch auf freiem Fuß. Ich hätte ihre Fährte aufgenommen, aber Will war dagegen…“, begann Fred aufgeregt zu erzählen und musterte mit Schuldgefühlen, die weißen Verbände an ihren Handgelenken.

„Wir haben alle getan was wir konnten. Deshalb mache dir bitte keine allzu großen Vorwürfe. Ich bin ebenfalls froh, dass es dir gut geht, Fred“, meinte Miceyla beschwichtigend, doch ihr zweifelnder Gesichtsausdruck, als die Gruppe wieder vereint war, wirkte alles andere als beruhigend.

„Genau Fred, wir haben unser Ziel erreicht und mussten auf keinen Ausweichplan zurückgreifen. Daher war unsere Mission ein voller Erfolg. Ich darf euch allen feierlich ein Lob aussprechen!“, bestätigte William mit stolzem Lächeln, dass der Auftrag in seinen Augen glimpflich vonstattenging, Miceyla wollte ungeduldig zu ihm eilen, doch ein wütend aussehender Moran stapfte auf sie zu und baute sich in seiner vollen Größe vor ihr auf.

„Was sollte der Mist, Miceyla?! Hatte ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt als ich sagte, dass du Harefield nicht auf eigene Faust durchforsten sollst? Wieso hast du dich von Louis getrennt? Er will sich selbst dazu nicht äußern, pah! Was soll das ganze kindische Gehabe?! Begreift ihr denn nicht, dass euer Leben am seidenen Faden hängt, wenn ihr solch einen dämlichen Zirkus veranstaltet?!“ Stillschweigend hörte Miceyla sich Morans Standpauke an und anstatt zu schmollen, blickte sie ihn verständnisvoll an. `Wie würde er sich wohl verhalten wenn er wüsste, dass Louis mich meinem Schicksal überlassen hat…? Ich kann die Wahrheit nicht vor allen laut aussprechen, dies würde nur zu einer verheerenden Spaltung, innerhalb unserer Gruppe führen. Früher oder später wird es sowieso ans Licht kommen, falls William nicht längst darüber im Bilde ist… Welche Seite er dann wohl verteidigt? Habe ich überhaupt gegen das unzertrennliche Band zweier Brüder eine Chance…?`, dachte sie geknickt und hatte im Augenblick keine zufriedenstellende Antwort für Moran parat. Dieser seufzte nachgebend und tätschelte mit einer sanfteren Miene ihren Kopf.

„Ich kann es gar nicht leiden, wenn du mir so einen Schrecken einjagst, das weißt du doch! Sehen wir zu, dass wir beim nächsten Mal wieder Missionspartner sind,“ Seine Worte spendeten ihr ein wenig Trost, doch als sie der Anziehungskraft, von Louis‘ schaurigem Blick nicht nachgeben konnte und ihm direkt in die Augen sah, meinte sie unzählige Messerstiche würden ihr Herz durchbohren. Derart schmerzhafte Folgen, hatte nun ihre Konfrontation mit ihm. Der Gruppe entging nicht, die angespannte Stimmung zwischen ihnen beiden und eine unerträgliche Stille verstärkte ihr unbehagliches Gefühl nur noch mehr. Fred blickte voller Sorge erst zu Louis, dann wieder zu Miceyla. Die rätselhaften Blicke, welche Albert und William miteinander austauschten, waren für sie mal wieder nicht wirklich zu deuten. Sie hielt das alles nicht mehr länger aus und flüchtete sich in Williams schützende Arme, woraufhin er sie mit wehmütigem Lächeln an sich drückte. Noch ehe er schlichtende Worte sprechen konnte, die sie momentan nicht besänftigen würden, kam sie ihm zuvor.

„Du…hättest mich besser mit Sherlock zusammen nach Harefield schicken sollen…“ Nach ihrer Aussage, in der sich die Frustration über den langen Tag in ihrem Heimatdorf widerspiegelte, blickte William erstaunlicher Weise verdrießlich drein, was sie etwas

irritierte. Schließlich ist es seiner eigenen Absicht entsprungen, sie beide als Duo für schwierige Fälle einzusetzen. Doch im Augenblick war sie zu erschöpft, um weitere Details darin hineinzuinterpretieren… Eigentlich war es Miceylas Wunsch gewesen, Harefield so schnell wie möglich zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Aber was würde sie wohl dort erwarten? Für Miceyla war es sicherlich nicht möglich, sowohl mit Louis, als auch mit Albert umzugehen, als sei nichts geschehen. Sie wollten alle gemeinsam die Ungerechtigkeit des Klassensystems aus der Welt verbannen und schlugen sich dabei dennoch, mit der Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen herum. Über die Ironie welche sich dabei verbarg, sollte sie eigentlich schmunzeln können.

Während der Heimfahrt, berichtete William nur noch, dass Harefield nun in guten Händen sei und an den darauffolgenden zwei Tagen, pendelte sich der für Miceylas Verhältnisse gewöhnliche Alltag wieder ein. Das jeder nach wie vor sehr beschäftigt war, hatte wie immer seine Vorteile. Und im Gegensatz zu ihren Befürchtungen, fiel es ihr in keiner Weise schwer, mit Albert weiterhin einen normalen Umgang zu pflegen. Doch es war für jeden absehbar, dass die Geschichte zwischen Miceyla und Louis ein böses Ende nehmen sollte… Sie fand es zwar albern, bittere Angst vor einer Situation zu haben, bei der sie mit ihm alleine wäre, aber nichtsdestotrotz war es besser, sich mental dafür zu wappnen. Und bereits am dritten Tag nach ihrer Mission in Harefield spürte sie, dass ihr jene brenzlige Konfrontation, von Angesicht zu Angesicht mit Louis, kurz bevorstand. Alle waren außer Haus und Louis kam nicht drumherum, etliche liegengebliebene Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Miceyla nutzte die Gelegenheit, um den ganzen Abend im Theater zu verbringen. Jedoch war sie gezwungen früher zu gehen als sonst, da sie keinen Begleitschutz erhalten würde. Daher konnte sie einfach nur hoffen, dass William oder Albert bereits im Anwesen war oder Louis zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt war, um sich mit ihr auseinanderzusetzen. Natürlich musste sie der neugierigen Amelia, noch die komplette Geschichte ihres Aufenthalts in Harefield erzählen. Eigentlich konnte sie mit ihr jegliche Geheimnisse teilen, doch selbst vor ihr verschwieg sie die ganze Wahrheit. Und der Reim, welchen sich Sherlock nun aus Johns Berichterstattung machte, schenkte ihm bestimmt ein weiteres fehlendes Puzzleteil… Das Ticken der Zeit wurde immer lauter und der Anfang vom Ende rückte bedrohlich näher… Doch sich ewig über alles zu sorgen, war Gift für die Lebensfreude und deshalb schloss Miceyla mutig die Tür des Anwesens auf und schritt unbeirrt die Treppe zum Schlafzimmer empor. Wenn sie einfach etwas zeitiger zu Bett ging und vorgab zu schlafen, würde sie schon in Ruhe gelassen werden. Jedoch wurde Miceyla die Chance, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen jäh geraubt, als Louis wie ein Geist auf dem Flur des ersten Stockwerks erschien und ihr demonstrativ den Weg versperrte. Kurz zuckte sie etwas verschreckt zusammen und beharrte dennoch darauf das es irrsinnig war, sich vor seiner Präsenz zu fürchten.

„Ich bin müde Louis, lass mich bitte einfach durch. Außerdem will ich dich nicht von deiner wichtigen Arbeit abhalten. Lass mich nicht der Grund sein, weshalb du nicht fertig wirst“, meinte sie mit einem belanglosen Unterton. Doch Louis rührte sich keinen Millimeter von der Stelle und seine Augen bekamen einen bösartigen Glanz, der mit der Glut eines glühenden Feuers vergleichbar war.

„Du bist längst der Grund, warum keiner von uns mehr vernünftig mit seiner Arbeit vorankommt. Und wenn Willams Pläne, aufgrund seiner Rücksichtnahme dir gegenüber ins Stocken gerät, trägst du die Schuld daran. Aber ich kann nicht zulassen, dass du das zerstörst, was wir uns in all den Jahren härt erkämpft haben. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn du uns Moriartys den Rücken gekehrt und dich Sherlocks Detektivarbeit angeschlossen hättest. Dies wäre London sicher zugutegekommen und war anfangs sogar im Sine meines klugen Bruders Will. Stell dir vor… Jedoch scheint mir, dass er die Absicht seines Vorhabens nochmal zu überdenken versucht. Dann muss eben ich derjenige sein, der zur Tat schreitet. Ich bin dazu verpflichtet, meinen Bruder so gut es nur geht zu unterstützen. Meine Hände sind längst mit Blut befleckt, da kommt es auf ein weiteres Opfer nun auch nicht mehr an. William, Albert und ich verzeihen uns gegenseitig jedes Vergehen. Ich persönlich habe nichts gegen dich, aber die Umstände machen es unmöglich, dir einen Platz in unserem Leben zu gewähren…“, sprach Louis unheilvoll und um seinem Entschluss Ausdruck zu verleihen, zückte er ein glänzendes Messer, welches Miceyla ungläubig beäugte.

„Louis… Deinem Hass mir gegenüber sind wirklich keine Grenzen gesetzt. Du steigerst dich da ganz schön hinein. Du überschätzt dein Treueverhältnis zu Will und Albert. Glaubst du, wenn du mich hier mitten im Anwesen ermordest, wird alles wieder so sein wie vor meinem Einzug und ich gerate in Vergessenheit? Nur zu, du wirst erfahren was geschieht, sobald du dein egoistisches Werk vollbracht hast. Du hättest vielleicht längst mal mit deinen Brüdern, über deine Ängste und Sorgen sprechen sollen, anstatt alles in dich hineinzufressen und dem Wahnsinn zu verfallen. Wahrscheinlich grämt es dich auch, dass du schwächer bist als die beiden und dein Beitrag nicht mit unserem ebenbürtig ist. Es gibt nichts schmerzhafteres, als die bittere Wahrheit. Und nur Menschen mit einem anständigen Verstand können sie vertragen, doch den scheinst du ja nicht zu besitzen!“, warf sie ihm in ihrer Wut und Verzweiflung provozierende Worte an den Kopf, wobei ihre Stimme immer lauter wurde. Louis begann nun vor Zorn innerlich zu beben und war kurz davor zu explodieren.

„Du…du Ungetüm in Form eines blendenden Weibsstück! Ich will dein grässliches Antlitz hier niemals mehr erblicken! Ich zerstückle dich so lange, bis deine Leiche nicht mehr zu identifizieren ist!“, schrie Louis und setzte seinen Wutanfall fort, indem er mit seinem Messer vorneweg auf sie zustürmte. Im selben Moment öffnete sich die Eingangstür und William, Albert und Moran, welche allesamt gleichzeitig das Anwesen betraten, verfolgten mit entsetzten Blicken, die erschütternde Szene oberhalb der Treppe.

„Miceyla… Louis…“, sprach William in einem Flüsterton, ohne sich einen Funken Panik anmerken zu lassen und hielt Albert zurück, der hinaufstürmen und dazwischengehen wollte.

„Diesen Streit müssen die beiden alleine ausfechten, sonst wird er nie zu einem Ende kommen“, rechtfertigte William sich, doch Albert schien dafür nur teilweise Verständnis zu empfinden.

„Oha… Bei den zwei fliegen nun endgültig die Fetzen…“, murmelte Moran und wartete ebenfalls darauf einzugreifen, um ein Familiendrama zu verhindern. Miceyla und Louis schenkten den dreien keinerlei Beachtung und führten ihre Auseinandersetzung ohne Ablenkung fort. Sie machte keine Anstalten, seinem direkten Messerangriff auszuweichen und hoffte ihren sinnlosen Zwist, noch im allerletzten Augenblick mit Vernunft stoppen zu können.

„Hast…hast du jemals darüber nachgedacht, dass Sherlock und ich vielleicht die einzigen sind, welche William retten könnten?“ Bei ihrer unerwarteten Aussage hielt Louis abrupt inne, als die Messerspitze sie um ein Haar unterhalb des Halses berührt hätte. Ihre Worte schienen dieselbe Wirkung, wie ein mächtiger Fluch auf Louis zu haben, denn er blickte ihr, unschlüssig darüber was er als nächstes tun oder sagen sollte, direkt in die Augen. Das er sich so leicht beeinflussen ließ war der Beweis, dass es ihn selbst in Wirklichkeit missfallen hätte, den Familienfrieden mit einer Schandtat zu zerstören. Dennoch war Miceyla nach wie vor aufgewühlt und ertrug all die Intrigen um sich herum nicht länger.

„Mordet…mordet so viel ihr wollt! Am Ende vernichtet ihr euch damit nur selbst! Bei der verzweifelten Suche nach Gerechtigkeit, kommt niemand an ein zufriedenstellendes Ziel, weil sie nicht erzwungen werden kann und nie wirklich existieren wird! Macht nur weiter ihr Heuchler, denn bei Sherlocks scharfsinnigen Verstand, seid selbst ihr machtlos! Und wenn ich hier scheinbar unerwünscht bin, verschwinde ich am besten einfach!“, schrie Miceyla von etlichen negativen Emotionen gepackt, dabei stürmte sie die Treppe hinunter und verließ kurzerhand das Anwesen. Auf dem Weg schenkte sie keinem der drei Beachtung und wollte gerade nur so weit wie möglich weg.

„Miceyla!... Wenn sie um diese Uhrzeit ziellos und unaufmerksam durch die Gegend irrt, ist sie in Gefahr, daher folge ich ihr“, meinte Albert besorgt, doch diesmal war es Moran der ihn aufhielt.

„Das lass mal lieber bleiben! Ihr habt es euch doch alle selber eingebrockt, dass die Ärmste nicht mehr weiß wo ihr der Kopf steht. Ich wiederhole es gerne immer wieder. Gerade du solltest auch mal dein Verhalten ihr gegenüber reflektieren, `werter großer Bruder`. Oh Mann, ständig dieselbe Laier, welche mich dazu zwingt, hier den `vernünftigen Erwachsenen` spielen zu müssen. Am besten redet mit Miceyla mal eine `neutrale Person`, die sie wieder aufbaut. Sprich, `ich` folge ihr“, konterte Moran und warf Louis noch einen kritischen Blick zu, ehe er ebenfalls aus dem Anwesen rannte. Albert seufzte nur, als William ihm flüchtig mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck hinterher sah. Louis stand noch immer oberhalb der Treppe und starrte wie in Trance zu Boden. Allmählich kühlte seine brennende Wut wieder ab und er begann Abscheu sich selbst gegenüber zu empfinden, für das was er hatte tun wollen. Weder sanft noch argwöhnisch, betrachtete William seinen jüngeren Bruder.

„Weißt du Bruderherz, Miceyla und Louis sind sich unheimlich ähnlich. Nicht nur weil beide äußerst eifersüchtige Menschen sind. Die Einsamkeit hat nun mal Eifersucht zur Folge. Wer zuerst mit der eigenen Person im Reinen ist, kann auch die verwirrenden Gefühle seines Gegenübers nachvollziehen. Wenn die zwei ihren Konflikt eigenständig schlichten, wird ihr Vertrauen zueinander grenzenlos ansteigen. Und nicht bloß die zwei sind es, welche etwas miteinander regeln sollten, stimmts?“, sprach William mit einem Augenzwinkern an Albert gewandt, der daraufhin seinen eigenen Unmut, hinter einem gütigen Lächeln verbarg. William schritt nun gemächlich die Treppe empor und lief, ohne Louis eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei.

„Heute bist du selbst zum Abbild jener Verdorbenheit geworden, die wir alle abgrundtief verabscheuen. All deine negativen Gefühle haben von dir Besitz ergriffen. Wenn du auch nur einmal zulässt, dass sie dich kontrollieren, kann selbst ich dich nicht mehr von ihnen befreien, Und das zwei herzensgute Seelen, wie Miceyla und du sich bekriegen, enttäuscht mich nicht nur, sondern macht mich auch sehr traurig…“, erinnerte William ihn noch verdrießlich und ermahnend zugleich. Nun brach für Louis vollends die Welt zusammen, als sein Bruder das erste Mal, mit solch einer verletzenden Kälte zu ihm sprach und zu spät begriff, was für einen fatalen Fehler er begonnen hatte…

Miceyla wollte sich an einen Ort flüchten, an dem sie ihre Ruhe hatte und so schnell niemand finden würde. Daher traf ihre Wahl, auf die kleine Hütte bei ihrem Trainingsplatz im Wald. Wehmütig betrachtete sie das Türschild, auf dem `Himmelszelt-Helden` stand und verkroch sich in die hinterste Ecke der dunklen Hütte. Zusammengekauert dachte sie in ihrem elendigen Zustand darüber nach, wie es nach ihrer heftigen Auseinandersetzung mit Louis weitergehen sollte. Das Verhalten eines jeden aus ihrer verbündeten Gemeinschaft war letztendlich entscheidend, um einander verzeihen zu können. Doch war dies überhaupt möglich? Wenn nicht, blieben all ihre gemeinsamen Ideale, auf ewig nichts weiter als eine utopische Illusion. Aber noch ehe sie tiefer in ihrer düsteren Gedankenwelt versinken konnte, öffnete sich leise quietschend die Holztür. `Nein! Lasst mich alle in Ruhe! Ich habe momentan nicht die passenden Worte für Will oder Albert parat…`, dachte Miceyla verschreckt. Allerdings machte sich in ihr eine seltsame Erleichterung breit, als sie Moran erkannte.

„Hey, ist in diesem Zufluchtsort noch Platz für einen einsamen Wanderer, der sich im Wald verirrt hat?“, begrüßte er sie mir einem seiner spielerischen Scherze zur Aufmunterung, der bei ihr sofort Anklang fand.

„Nun… Für ein Mitglied der Himmelszelt-Helden, ist hier immer ein Platz reserviert. Wir halten schließlich zusammen!“, erteilte sie ihm schmunzelnd die Erlaubnis einzutreten.

„Hört, hört, ich gehöre jetzt also offiziell zu jener besonderen Truppe. Ich fühle mich geehrt!“, meinte Moran während er hereintrat und sich neben Miceyla auf den Boden gesellte. Kurz herrschte Schweigen, da auch er es ernst nahm, auf eine angemessene Wortwahl zu achten und erinnerte sich kurz an sein Gespräch mit William in Harefield.

„Nehme es mir bitte nicht übel, aber nach einem derart stürmischen Streit, ist es nicht gut alleine zu sein. Ich kenne dich, du grübelst solange, bis du weder ein noch aus weißt. Wie du nun am eigenen Leib erfahren hast, existiert die perfekte Familie nicht. Kommt eben schon mal vor, dass der Familiensegen schief hängt. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig gleich einen Weltuntergang bedeuten. Louis‘ Verhalten war gewaltig daneben, aber… Eifersucht kann der Ursprung allem Übel sein. Was sind dadurch in der Vergangenheit, nicht schon ganze Nationen zugrunde gegangen… Wenn die eigenen Gefühle einen innerlich zerfressen und nicht auskommuniziert werden, wird dies zum Problem der gesamten Menschheit. Wer glaubt einen reinen Geist zu besitzen und immun gegen jene negative Emotion zu sein, ist ein Narr. Wird sie erst einmal geweckt, verschwindet sie so schnell nicht mehr. Manchmal wird dadurch die loyalste Person, zum untreuen Verräter. Und manchmal, kann Eifersucht das Feuer in einem Krieg schüren und gleichzeitig den Frieden in einem Konflikt einläuten… So lautet die Moral von der Geschichte… Tja, was soll ich zu der ganzen Tragödie noch sagen. Stell dir vor, der Kasper Clayton hätte das alles mitbekommen. Du würdest die Szene direkt am nächsten Tag auf der Bühne zu sehen bekommen. Hier gibt es einige, die sich zu leicht von so etwas inspirieren lassen…“, sprach Moran ungewohnt einfühlsam, was ihr aber gerade sehr gut tat.

„He, he… Du kannst ja ab und zu richtig väterlich sein. Wer hätte das gedacht… Danke, Moran…“, sprach Miceyla sanft und lächelte ihn dankbar an.

„Na hör mal! So alt bin ich jetzt nun wirklich nicht, dass du in mir eine Vaterrolle sehen könntest! Wie soll ich mich dabei denn fühlen?! Wenn schon, dann doch lieber einen großen Bruder“, erwiderte Moran und wirkte fast etwas verlegen, als er sich mit der Hand durch seine schwarzen Haare fuhr.

„Ha, ha! Ich denke zwei Brüder die mich auf Trapp halten reichen mir. Du bist und bleibst für immer mein Meister!“, sprach sie mit einem breiten Grinsen und ein kleiner Teil ihres Unmutes war bereits verflogen.

„Das wollte ich hören! Und du bleibst mein unbeugsamer Wirbelwind, der mit mir durch dick und dünn geht! Übrigens bin ich mächtig stolz auf dich. Du gehörst jetzt zum Militär, gut gemacht, Kamerad! Wenn es jemanden gibt, der an seiner Soldatenehre festhält, dann Harley. Soll was heißen, wenn sogar ich das sage… Aber lass uns nicht vom Thema abschweifen. Schau nur, jetzt hast du dir bei deiner hektischen Flucht durch den Wald, dein schönes Kleid ruiniert“, bemerkte Miran ablenkend und deutete mit dem Zeigefinger auf ihr leicht zerrissenes Kleid.

„Ist nicht weiter schlimm. Materielle Dinge sind schließlich ersetzbar, nicht wahr? Du…mir ist noch nicht danach zumute, direkt wieder in das Anwesen zurückzukehren. Hättest du etwas dagegen, die Nacht für eine extra Trainingseinheit zu nutzen? Ich finde es auch unglaublich, wie unbemerkt du dich von draußen an die Hütte herangepirscht hast. Ich habe nicht das leiseste Geräusch gehört, bevor du die Tür öffnetest. Und du weißt wie scharf mein Gehör ist“, sprach Miceyla beeindruckt und entschied sich dafür, noch etwas Zeit außerhalb des Anwesens zu verbringen, bis sie wieder neue mentale Stärke gesammelt hatte.

„Na aber klar doch! Für ein spontanes Training bin ich immer zu haben. Und das unbemerkte Heranschleichen, ist nun mal mein Spezialgebiet. Vor mir ist kein Feind sicher, he, he!“

Der nächste Morgen kam natürlich viel zu schnell und obwohl Miceyla nach ihrem Training ausgepowert genug gewesen war, um noch ein paar Stunden in der kleinen Waldhütte zu schlafen, fühlte sie sich alles andere als erholt und bereit, einer erneuten Konfrontation mit Louis ins Gesicht zu blicken. Doch all das verunsicherte Zögern half ihr nicht weiter, wenn sie mit ihm weiterhin friedlich unter einem Dach leben wollte. Zum Glück hinderte Moran sie daran, einen erneuten Rückzieher zu machen und plädierte dafür früh genug aufzubrechen. Im Anwesen sprintete Miceyla als erstes nach oben in das Badezimmer, um sich zu waschen und neu einzukleiden. Denn sie wollte nicht wie ein wildes Waldungeheuer herumgeistern. Der Gedanke das Sonntag war und alle gemeinsam Zeit für eine Versöhnung nutzen konnten, beruhigte sie etwas. Und da sie sich so schnell wie möglich ein harmonisches Zusammenleben, mit den Menschen die ihr unheimlich ans Herz gewachsen waren herbeisehnte, lief sie als sie fertig war gleich wieder hinunter. Im Wohnzimmer wurde Miceyla direkt von William und Albert in Empfang genommen. Beide lächelten sie so liebevoll und besänftigend an, dass sie verlegen ihren Blicken auswich.

„Guten Morgen, mein Liebling. Draußen im Garten wartet jemand auf dich, der gerne mit dir sprechen möchte“, begrüßte William sie herzlich und legte ermutigend einen Arm um sie.

„Danach frühstücken wir alle zusammen. Es gibt auch deinen Lieblingserdbeerkuchen. Aber redet nur in Ruhe miteinander, ich werde solange den heiligen Kuchen, mit vereinter Kraft vor unserem gierigen Moran beschützen, versprochen“, fügte Albert noch gutmütig hinzu und sein kleiner Scherz, entlockte Miceyla ein zaghaftes Lächeln. Jene vertraute behagliche Wärme, begann sogleich wieder ihr Herz zu umhüllen, als sie von diesen zwei liebevollen Menschen umgeben war. Auch Louis gehörte für sie mit dazu und nach allem was sie gemeinsam durchgestanden hatten, wünschte sie sich nichts mehr, als endlich einen anhaltenden Frieden mit ihm zu schließen. Bei dem was in Zukunft noch auf sie zukommen würde, war für Streitigkeiten kein Platz. Bestärkt von Williams und Alberts warmherziger Güte, lief Miceyla langsam hinaus, in den von der warmen Maisonne belichteten Garten. Dort kümmerte sich Louis, gedankenversunken um die farbenfrohe Blumenpracht. Als sie in seinen Blickwinkel trat und er sie entdeckte, ließ er augenblicklich seine Arbeit ruhen und sein bleiches Gesicht wirkte geknickt und verzagt. Ein Stück vor dem Blumenbeet, in welchem Louis stand, blieb sie stehen und wartete ein wenig nervös darauf, dass er ein Gespräch beginnen würde.

„Miceyla… Du bist wieder hergekommen, obwohl ich alles darangesetzt habe, um dich von hier zu vertreiben… Wenn du uns an Sherlock verraten und an diesem Morgen, dass gesamte Militär des britischen Empires vor der Tür gestanden hätte, wäre meine egoistische Dummheit wohl gerecht bestraft worden… Ich bin nicht viel besser als die Menschen, welche dir bisher in deinem Leben Leid zugefügt haben. Somit akzeptiere ich als Strafe deinen Hass für meine Untaten und verwehre mir selbst das Recht, dich um Vergebung zu bitten. Aber ich bitte dich, meinen ehrlich gemeinten Worten Glauben zu schenken. Und ich werde an mit arbeiten und mich ändern, dafür ist es nie zu spät, schließlich streben wir alle eine positive Veränderung an. Das tue ich nicht bloß für William, sondern um meiner selbst willen. Denn um einer bedingungslosen Nächstenliebe nachzukommen, muss zu allererst so etwas wie Selbstliebe und Eigenverantwortung vorhanden sein. Das ich mich die meiste Zeit über, selbst nicht richtig leiden konnte, ist mir jetzt bewusst geworden. Meine Unterstützung ist ein wertvoller Bestandteil, von Williams meisterlichen Plänen. An dieser Stelle muss ich mich auch mal aufrichtig für deine tatkräftige Mitwirkung danken. Für jeden von uns hast du gleichviel getan, ohne dabei etwas oder jemanden zu bevorzugen. Du bist wahrlich ein Vorbild für eine ausgeglichene Gerechtigkeit… Und es stimmt… Ganz besonders für William bist du ein strahlendes Licht, das ihm Kraft auf seiner schweren Reise schenkt und das Gefühl vermittelt, dankbar für ein Leben auf dieser Welt zu sein. Daher ist es mein Wunsch, dass unsere Reise nicht vorzeitig, durch eine irrsinnige Unterbrechung ihr verfrühtes Ende findet, sondern das wir uns noch sehr lange, als zusammenhaltende Familie Moriarty unterstützen und auf Augenhöhe unseren weiteren Lebensweg bestreiten. Ich hoffe du akzeptierst meine Bitte und bist ebenfalls dazu bereit, einen Neuanfang mit mir zu wagen. Und…falls ich irgendetwas dafür tun kann, um meine Schuld gegenüber John zu begleichen, so lasse es mich bitte wissen. Ich bin bereit alles zu tun, solange es sich im Rahmen des Möglichen hält…“ Louis‘ unverstellte Entschuldigung, raubte ihr beinahe den Atem und sie konnte mit absoluter Sicherheit sagen, dass er dies gerade nicht für William tat, sondern seine Worte der puren Einsichtigkeit entsprangen und ihr gewidmet waren. Es kam nicht oft vor, dass Louis sich so offenherzig und gütig zeigte, da er seine sanfte Seite, immerzu hinter einer unnahbaren Fassade versteckte. Und aus diesem Grund rührte es Miceyla zu Tränen, auch wenn sie beide nach wie vor weit davon entfernt waren, sich wie Bruder und Schwester fühlen zu können. Dennoch schien es ein hoffnungsvoller Schritt, in die richtige Richtung zu sein.

„Ich…ich danke dir aus tiefstem Herzen, Louis. Deine beschwichtigenden Worte, sind wie eine heilende Medizin für meine verwundete Seele. Auch ich bin nicht gerade nett zu dir gewesen… Ich hasse dich nicht, denn du bist mir sehr wichtig. Wir haben zusammen bereits so viele schöne Momente erlebt und gemeinsam gelacht. Wie könnten wir all das ganz plötzlich vergessen? Klar, wir haben es nicht immer leicht, aber besonders in schwierigen Zeiten müssen wir füreinander da sein, sonst verliert einer von uns ganz leicht den Halt unter seinen Füßen. Lass uns deshalb nach vorne blicken. Du weißt doch, dass die Gutherzigen das Böse bezwingen müssen!“, sprach sie freundlich und konnte endlich wieder unbeschwert lächeln.

„Natürlich, dies werde ich garantiert niemals vergessen“, erwiderte Louis und wirkte nun ebenfalls so erleichtert wie Miceyla. Kurz blickte sie in die glücklichen Gesichter von William, Albert, Moran und sogar Fred, die allesamt ihre Versöhnung vom Wohnzimmer aus beobachtet hatten. In dem Moment erkannte sie, dass ihre Mission in Harefield, den Familienfrieden zwar vorübergehend zerstört, doch sie alle im Endeffekt noch enger zusammengeschweißt hatte. `Hast du das mal wieder vorausgesehen, Will? Und mich daher ganz bewusst mit Louis in Harefield allein gelassen…? Auch wenn die Geschichte noch mal gut ausgegangen ist, war das ganz schön riskant… Mein sensibles Herz wird sich wohl niemals daran gewöhnen können… Du bist und bleibst mein grausamer Verfechter der Gerechtigkeit…`, dachte sie mit einem leisen Seufzen und lief mit Louis Seite an Seite, zu dem einladend gedeckten Frühstückstisch.
 

„Manchmal…fällt es mir unsagbar schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Wie soll ich mich der Welt mitteilen, wenn meine Gefühle im Herzen eingeschlossen und meine Lippen versiegelt sind…?“ Miceyla stand in einem prachtvollen Kleid auf der hell erleuchteten Bühne und spielte ihre Rolle wie immer überzeugend und authentisch. Doch an jenem Abend fühlte sie sich gar nicht gut. Ihre Haut glühte, als hätte sie Fieber und ihr war furchtbar übel. Das enge Korsett unter ihrem Kleid begünstigte dies noch. Das Publikum glaubte, die längere Pause sei Teil des Stücks und bemerkte daher nicht, dass sie längst mit ihrem Text hätte fortfahren müssen. Doch allmählich wurde ihr so schwindelig, dass es ihr die Kraft zu sprechen raubte. Urplötzlich sah sie dann alles nur noch schwarz und sackte mitten auf der Bühne ohnmächtig zusammen. Ein bestürztes Raunen ging durch die Zuschauermenge, die langsam Wind davon bekam, dass etwas nicht stimmte. Clayton hechtete geschwind die seitliche Treppe der Bühne hinauf und eilte zu der am Boden liegenden Miceyla.

„Lasst den Vorhang runter! Wir brechen das Stück ab! Die Tänzer sollen sich bereit machen als Lückenfüller!“, rief er eindringlich und trug sie behutsam in seinen Armen von der Bühne zur Umkleidekabine, wo es ruhiger war.

„Um Himmels willen! Was fehlt Miceyla, Clay? Sie ist schrecklich blass! Die Moriarty-Brüder sind schuld, sie muten ihr viel zu viel zu! Ist doch kein Wunder, wenn ein solch zartes Wesen wie sie krank wird!“, schimpfte eine herbeilaufende Amelia besorgt und verärgert zugleich. Dabei begann sie direkt Miceylas verschwitztes Gesicht, mit einem Taschentuch trocken zu tupfen.

„Aber, aber Liebes! Verteufle nicht immer gleich die Menschen, welche sich tagtäglich aufopferungsvoll um unser lebensfrohes Singvöglein kümmern. Doch es stimmt natürlich, dass die eigene Gesundheit den höchsten Stellenwert hat und für sie Sorge getragen werden muss. Ich als Laie kann nicht die sichere Diagnose stellen, ob sie bloß erschöpft oder ernsthaft krank ist. Dafür brauchen wir einen Fachmann. Hole bitte jemanden vom Hause Moriarty, der sie hier abholen kommt und einen Arzt bestellt“, trug Clayton Amelia mit klarsichtiger Vernunft auf, welche sich direkt ohne zu widersprechen auf den Weg machte.
 

Stimmen, etliche Stimmen vernahm Miceyla um sich herum. Doch in ihrem Halbschlaf schnappte sie nur einzelne Wortfetzen auf, die für sie keinen geordneten Sinn ergaben. Als es endlich ruhiger wurde, rief die angenehme Stille, sie aus ihrem traumlosen Schlummer zurück ins Diesseits.

„Wo…wo bin ich…?“ Mit schläfrigem Blick, erkannte sie sofort die vertraute Umgebung ihres Schlafzimmers und entdeckte einen sanftmütig lächelnden William, der neben ihr auf dem Bett saß und ihre Hand hielt.

„Alles ist in Ordnung, mein Liebling. Fühlst du dich jetzt schon ein klein wenig besser? Trinke erst mal ein Glas Wasser. Du hast uns allen zuerst einen ordentlichen Schrecken eingejagt, als uns die Nachricht erreichte, dass du auf der Bühne zusammengebrochen bist. Und Amelias Vorwürfe, hätten uns am liebsten in die Verbannung geschickt, ha, ha! Aber ich kann dich beruhigen, du bist kerngesund und nicht krank“, versicherte William ihr und wirkte dabei so ungewöhnlich gut gelaunt, dass sie sich fragte ob dies bloß Einbildung, aufgrund ihrer kurzzeitigen Bewusstlosigkeit war.

„Ich mag dir ja wirklich gerne glauben, jedoch fühle ich mich nach wie vor elend und mir ist so schlecht, als hätte ich etwas Verdorbenes gegessen…“, beschrieb Miceyla missmutig ihr Unwohlsein, was Williams Lächeln nur noch mehr verstärkte und ein glänzendes Funkeln, leuchtete in seinen klaren roten Augen.

„Diese Symptome sind völlig normal und gehen vorüber. Wir beide werden Eltern, meine Liebe…“, verriet er ihr nun mit führsorglicher Stimme und küsste sie zärtlich auf die Wange. Ungläubig riss Miceyla weit die Augen auf und als sie endlich begriff, dass ein beglückender Grund hinter ihren Beschwerden steckte, rollten ihr Freudentränen das Gesicht hinab. Von Glücksgefühlen gepackt setzte sie sich im Bett auf und fiel William in die Arme.

„Ein Traum wird gerade wahr… Ich bin überglücklich, Will… Dies ist die Belohnung für unseren harten Lebensweg. Lass uns daher unser kleines Wunder, mit allem was wir haben beschützen…“, sprach Miceyla beschwingt und löste sich von all den zweifelnden Gefühlen, die sie zu Beginn bei dem Thema Kinder gehabt hatte.

„Gewiss meine Liebe, ich werde stets dafür sorgen, für euch beide da zu sein. Dieses Geschenk wird die Moral von uns allen bereichern“, hauchte William leise, der ihre überschwängliche Freude teilte. Ungeduldig löste Miceyla sich aus ihre Umarmung und blickte ihn mit leuchtenden Augen erwartungsvoll an.

„Ich ruhe mich jetzt noch etwas aus. Darf ich die freudige Nachricht, dann morgen meinen Freunden erzählen gehen?“, bat sie und wäre am liebsten losgestürmt, um ihr Glück mit der ganzen Welt zu teilen. Flüchtig verdüsterte sich seine Miene, dass ein Besuch bei Sherlock das Erste war, woran sie nun dachte. Doch rasch lächelte er wieder so sanft und liebevoll wie zuvor.

„Das kann ich dir wohl kaum verwehren. Also gut, aber nur wenn du dich morgen wirklich fit genug fühlst, um ausgehen zu können. Für die nächsten Monate, steht dein Wohlbefinden mehr denn je im Vordergrund. Und da ich mir nur das Beste für dich und unser Kind wünsche, habe ich mir auch schon etwas überlegt, um dich zukünftig gut genug zu schützen… Aber das sage ich dir morgen, wenn du von deinem Besuch zurückbist. Versuche jetzt trotz deiner Vorfreude zu schlafen, mein Liebling. Du brauchst viel Schlaf, damit du Kraft schöpfen kannst, für das was auf dich zukommen wird…“

Am nächsten Tag fühlte Miceyla sich wieder ausgeruhter, auch wenn sie noch immer ein leichtes Gefühl von Übelkeit verspürte. Doch ihre innerliche Freude vermochte dies zu überschatten. Gut gelaunt machte sie sich fertig und zog eines ihrer Lieblingskleider an. Sie lächelte ihr Spiegelbild an, während sie ihre langen braunen Haare kämmte und fühlte sich wieder wie ein junges Mädchen, das keine Sorgen kannte. Als sie ihre Schmuckschatulle öffnete und Alberts aquamarinblaue Kette erblickte, wurde ihr aber schmerzlich bewusst, dass es ihr leider nicht erlaubt war, sich wie ein naives Kind fühlen zu dürfen. Ihre Verantwortung trug mit dazu bei, die Gesellschaft von der Ungerechtigkeit zu befreien. Doch dies war nun die Probe um zu beweisen, wie viel sie bisher an physischer und mentaler Stärke gewonnen hatte. Mittlerweile war es schon Ende Juni und da die Menschen den Großteil des Tages jetzt im Freien verbrachten, wirkte London nun wesentlich lebendiger, als in den grauen Wintermonaten. Als Miceyla fertig zurechtgemacht war und das Zimmer verließ, begegnete sie auf dem Flur Albert, der sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck ansah. Er wirkte beinahe etwas distanziert und betrübt, was äußerst untypisch für ihn war und ihr gar nicht gefiel. Auch wenn Veränderungen bevorstanden, wünschte sie sich das die Menschen um sie herum, ihre liebenswürdigen Charaktereigenschaften behielten.

„Guten Morgen, meine Schöne. Es tut gut dich wieder munter zu sehen. Ich kann es kaum erwarten, dein und Williams Kind kennenlernen zu dürfen. Ob nun Junge oder Mädchen, es wird eure Güte und Begabungen erben und zum Stolz der Familie Moriarty heranwachsen. Du wirst mit Sicherheit eine hingebungsvolle Mutter, meine liebe Eisblume…“, begrüßte er sie mit wehmutsvollem Lächeln und Miceyla spürte dabei mal wieder, wie eng Freud und Leid miteinander verwoben waren.

„Werde…ich auch noch den ganzen Sommer über eine Eisblume bleiben?“, fragte Miceyla ihn in einem leisen Flüsterton und lächelte sanft.

„Nun… Ich fürchte selbst die glühendste Hitze, vermag nicht deine makellos funkelnden Eiskristalle zum Schmelzen zu bringen, die sogar dem unaufhaltbarsten Feuer trotzen. Sie spiegeln dein unantastbares Herz wider, das zwar standhaft und tapfer ist, jedoch beschützt werden muss, damit es nicht aus heiterem Himmel zerbricht. Ich bleibe auf ewig dein dich beschützender Soldat, vergiss das nicht, meine geliebte Eisblume…“ Als Albert Miceyla seine Antwort gab und ihr mit einer Hand zärtlich über die Wange strich, bekam sie eine Gänsehaut. Seine Worte bedeuteten ihm viel mehr, als nu ein simples Versprechen. Es war ein Gelübde, welches ihre ewig andauernde Verbindung innerhalb der Familie besiegelte. Schweigsam liefen die beiden anschließend hinunter in den Speisesaal, wo Moran ihr stürmisch entgegengelaufen kam und einen Arm um sie legte.

„Ich gratuliere, Wirbelwind! Jetzt kannst du endlich mal von deinen weiblichen Fähigkeiten Gebrauch machen, ehe sie bei dem ganzen herumwühlen im Dreck draußen vollends verloren gehen. Aus dir wäre sonst noch irgendwann ein halber Kerl geworden, ha, ha, ha!“, sprach er scherzhaft und krümmte sich vor Lachen.

„Ja, ja, mach dich ruhig über mich lustig! Aber um in der Verbrecherwelt überleben zu können, musste ich mir nun mal `männliche Fertigkeiten` aneignen. Sollte dir bekannt vorkommen…“, konterte Miceyla schlagfertig, dabei ließ sie sich nicht von ihm ärgern,

sondern musste selbst darüber schmunzeln, da er irgendwie recht hatte.

„Moran du altes Großmaul, bei dir sind wirklich Hopfen und Malz verloren! Ich glaube das ich den Tag nicht mehr erleben werde, an dem du endlich anständige Manieren haben wirst… Ich freue mich natürlich für dich und Will. Zu erfahren das man ein Kind erwartet, muss sich großartig anfühlen“, beglückwünschte Louis sie, der ihr ein freundliches Lächeln schenkte, in dem kein Funken Hass mehr lag.

„Egal wie viel Chaos hier auch herrschen mag, ich werde immer auf dich aufpassen und dafür sorgen, dass dir nichts zustößt, damit du ohne Komplikationen und mit einem guten Gewissen, ein Kind zur Welt bringen kannst“, versprach Fred ihr freudestrahlend und sie errötete gerührt. Miceyla genoss es so umsorgt zu werden, dennoch hoffte sie, ihren Kameraden zukünftig kein Klotz am Bein zu sein.

„Danke, Louis, danke Fred…“, sprach Miceyla lächelnd, während die beiden Katzen Luna und Lucy, sich schnurrend an ihre Beine schmiegten, als freuten sie sich ebenfalls.

„Ich darf euch beide aber daran erinnern, dass ihr eure abenteuerlichen Trainingseinheiten, bis auf weiteres einstellen müsst. Also Moran, jetzt darfst du dich mal von deiner rücksichtsvollen Seite zeigen“, merkte William zwischen all den feierlichen Gesichtern gewissenhaft an, was natürlich für Moran und Miceyla selbstverständlich war. Jedoch verbarg dich hinter ihrem Glück auch eine düstere Schattenseite, der sie sich mehr und mehr bewusst wurde… `Richtig… Ich werde auch bei den brenzligeren Missionen, von nun an nicht mitmischen dürfen… Dies ist jetzt das Opfer, welches ich für ein Kind bringen muss. Hoffentlich verpasse ich in den nächsten Monaten nichts Bedeutungsvolles und kann wieder einsatzbereit sein, wenn es ernst wird…`, hoffte sie im Stillen und versuchte der Angelegenheit optimistisch entgegen zu blicken.

Am Vormittag fuhr Miceyla dann mit der Kutsche in die Innenstadt und als sie in der Baker Street ausstieg dachte sie daran, dass auch bei Sherlock zu Hause Veränderungen bevorstanden… Die Haustür war bereits geöffnet und am Straßenrand stand eine Kutsche, vollgeladen mit Koffern. John hatte Mary mittlerweile geheiratet und kam heute scheinbar seine restlichen Sachen abholen. Da das junge Ehepaar von nun an zusammenlebte, würden die meisten Tage für Sherlock wieder einsamer werden. Sogar ihm wird das gesellige Beisammensein, mit einem guten Freund gefallen haben und ihre spontanen Abenteuer vermissen. Gerade bei aufwändigeren Fällen, waren die beiden ein unangefochtenes Duo.

„Oh! Na heute haben wir aber noch mal volles Haus hier! Wie schön dich zu sehen, Miceyla! Lass uns gleich zusammen raufgehen und das endlose Gezanke der zwei unterbrechen, he, he“, grüßte Emily sie grinsend und lief vor ihr die Treppe hinauf.

„Ich freue mich auch sehr dich zu sehen. Und das ich einen Zeitpunkt erwischt habe, bei dem wir alle hier sind, macht mich ganz besonders froh. Aber ich denke das wir weiterhin dafür sorgen werden, dass unsere Treffen stattfinden, ganz gleich welchen Pfad jeder einzelne von uns einschlagen mag…“, sprach Miceyla leicht bedrückt und oben im Wohnzimmer strahlte ein fleißig packender John sofort, als er sie mit Emily hereintreten sah.

„Hallo Miceyla! Ach das ist ja wunderbar, dann bleibe ich noch eine Weile und wir können alle bei einer Tasse Tee etwas plaudern- Sherlock, eine gute Freundin ist gerade zu Besuch gekommen, magst du sie nicht ebenfalls begrüßen kommen?“, rief John seinen Kameraden herbei, mit dem von nun an die Wohngemeinschaft mit ihm beendet sein sollte.

„Hallo John. Du darfst Sherlock nicht so drängen, dies hat nur den negativen Effekt zur Folge, dass er sich ganz verkrümelt, ha, ha“, meinte Miceyla belustigt und Emily musste neben ihr zustimmend kichern.

„Hach…wie recht du doch hast. Sherlock gehört zur Gattung der Nachtschattengewächse, die so menschenscheu sind, dass sie mit ihren giftigen Chemikalien alle auf Distanz halten“, witzelte John amüsiert und schloss einen gefüllten Koffer.

„Ich werde meine giftigen Chemikalien gleich dafür einsetzen, um dein hochgeschätztes Hab und Gut wegzuätzen. Das gibt ein herrliches Gejammer! Wer zuletzt lacht, lacht am besten mein Guter! Grüße dich Mia. Was gibt’s Neues im Hause Moriarty? Unsere gesamte Aufmerksamkeit gilt nun dir. Teile uns deine Kundgebung mit, wir sind ganz Ohr“, sprach ein aus seinem Zimmer hervorgekrochener Sherlock und grinste frech. Ohne das Miceyla sich noch über seine verblüffende Scharfsinnigkeit wundern zu brauchte, nahmen sie alle vier am Tisch Platz.

„Ihr seid natürlich immer die Ersten, mit denen ich besondere Neuigkeiten teile. Denn es gibt nichts Schöneres, als sein Glück mit den besten Freunden teilen zu dürfen. Aber ich mag euch nicht länger auf die Folter spannen… Ich erwarte ein Kind. Kaum zu glauben, dass ich bald selbst eine Mutter sein werde. Mir kommt das alles noch etwas surreal vor. Doch blicke ich dem voller Vorfreude entgegen“, erzählte Miceyla lächelnd und legte dabei liebevoll ihre Hände auf den Bauch.

„Ach Miceyla, wie wundervoll! Du schaffst es immer, uns mit einer Überraschung den Tag zu versüßen! Dann wird es hier ja bald noch lebhafter, he, he! Und ich werde dich selbstverständlich mit Rat und Tat, bei deiner besonderen Reise begleiten. Eine Schwangerschaft ist aufregend, aber auch nicht ganz einfach. Deshalb kann ich als Frau, deine Gefühle und Bedürfnisse während dieser Zeit besser nachempfinden, als jeder Mann“, sprach Emily sogleich führsorglich und nahm Miceyla freundschaftlich in die Arme.

„Oh ja, dies sind wahrlich freudige Neuigkeiten! Wie unsagbar stolz Lord William sein muss, da er bald Vater wird. Ihr werdet gewiss ein kluges und talentiertes Kind bekommen, welches natürlich auch deine Schönheit erbt… Ich sehe es schon vor mir! Ha, ha, ich muss aufpassen, dass ich nicht neidisch werde… Doch du kannst selbstredend auch auf meine Unterstützung zählen. Denn als Arzt kann ich nämlich zu jeder Zeit überprüfen, ob es dir und dem Kind gut geht“, versprach John ihr ebenfalls seine bedingungslose Hilfsbereitschaft.

„Ich danke euch… Freunde wie ihr es seid, sind das schönste Geschenk, welches mir dieses Leben machen konnte“, dankte Miceyla den beiden rührselig und blickte nun ein wenig zögerlich, zu dem noch immer schweigenden Sherlock. Das John und Emily ihre Freude teilten, war ihr zweifelsohne klar. Doch bei Sherlock macht sie sich darauf gefasst, dass er ihr wieder einmal sein Beileid wünschte.

„Glückwunsch, Mia. Du wirst mit Abstand die fabelhafteste Mutter, der ich je begegnet bin. Aber das bist du auch jetzt schon.“ `Du `würdest` eine fabelhafte Mutter werden. Die Entscheidung musst du selbst treffen, was für dich mehr Priorität hat. Eine Wahl gibt es immer. Doch ganz gleich wie sie ausfällt, Reue bleibt stets ein unliebsamer Begleiter…`, fügte Sherlock zwiegespalten in Gedanken, nach seiner ehrlich gemeinten Beglückwünschung hinzu und lächelte zaghaft. Miceyla konnte nicht anders, als nach seinen knappen Worten perplex dreinzublicken. Doch diese wenigen Worte der Freundlichkeit, bedeuteten ihr im Augenblick mehr als alles andere auf der Welt. Dabei genoss sie das unbeschreibliche Gefühl, als sie beide sich einfach nur mit einem stillen Lächeln, für einen kostbaren kurzen Moment anblickten.

„Danke, Sherly…“

Am Nachmittag, nachdem Miceyla noch kurz in der Katzenpension vorbeigeschaut hatte, kehrte sie wieder ins Anwesen zurück. Schon beim Eintreten verspürte sie ein flaumiges Gefühl im Magen, was nicht an ihrer Übelkeit lag... Sie wusste das William ihr etwas mitteilen würde, dass einen radikalen Wandel in ihrem gemeinschaftlichen Leben bedeuten sollte… Sie fand ihn oben auf dem Balkon und beobachtete ihn einen Moment lang, wie er dort gelassen dastand und verträumt in die Ferne blickte. Für sie war es immer wieder verblüffend wenn sie daran dachte, wie viel Verantwortung auf den Schultern dieser ruhigen, gutmütigen Person lasteten. Und dennoch wusste Miceyla nur zu gut darüber Bescheid, welches lodernde Feuer unaufhörlich in ihm brannte…

„Ich bin wieder da, Will“, sprach sie lächelnd und trat zu ihm auf den Balkon.

„Hallo meine Liebe. Jetzt hast du deine Freunde, sicher auch mit unserer überraschenden Neuigkeit beglückt. Aber mal etwas anderes… Unser Tanz neulich auf der Feier, hat uns doch beiden gleichermaßen gefallen, oder? Vielleicht fändest du jedoch Albert als Tanzpartner aufregender. Oder…möglicherweise sogar Sherlock…“, begann William mit dezent ernster Miene. Miceyla blickte ihn vorerst etwas verwirrt an und dachte rasch darüber nach, worauf er hinauswollte.

„Ein Tanz mit dir ist mit keinem anderen zu vergleichen. Ich habe dabei stets das Gefühl, wir befänden und währenddessen in einem anderen Universum… Und…ich habe tatsächlich schonmal mit Sherlock getanzt. Das war abends in einem Pub und zu jener Zeit wusste ich noch nicht, dass du der Meisterverbrecher bist… Es war ein schrecklich hektischer Tanz, passend zu einer schnellen Musik, ha, ha. Zwar muss ich zugeben, dass Sherlock ein ziemlich guter Tänzer ist, aber die Eleganz und Ekstase, war bei dem Tanz mit ihm in keiner Weise vorhanden. Jenes berauschende Gefühl erhalte ich nur bei unseren Tänzen“, erzählte sie schließlich offenherzig und konnte sich dennoch kein Schmunzeln verkneifen, bei der Erinnerung an ihren damaligen Tanz mit Sherlock.

„Du bist eine miserable Lügnerin, Miceyla…“, erwiderte William daraufhin so kühl und monoton, dass es ihr eiskalt den Rücken hinablief und sie wagte nicht dem etwas entgegenzusetzen.

„Du wirst bis zu der Geburt unseres Kindes in Durham leben. Das heißt `wir beide` werden gemeinsam dort hinziehen und nicht wie bisher, nur tageweise in der Kleinstadt verweilen. Wir bleiben in Durham und kehren dem Leben in London solange den Rücken“, teilte er ihr anschließend beharrlich sein Vorhaben mit. Dies kam so plötzlich und unerwartet, dass für Miceyla nun wahrhaftig eine Welt zusammenbrach.

„Das…das ist doch absurd. Du kannst das nicht wirklich von mir verlangen. Ich arbeite im Theater und muss mich um die Organisation im Katzenhaus kümmern. Und nicht nur das… Heißt das du willst mir indirekt verbieten, meine Freunde treffen zu können? Und Albert, Louis, Moran und Fred werde ich folglich auch nicht mehr häufig sehen… Für dich stellt das Ganze kein großes Problem dar, da du an der Universität in Durham unterrichten kannst und nicht an London gebunden bist. Das alles…wäre ein radikaler Einschnitt in unser bisheriges Leben und würde unsere Gemeinschaft spalten. Ich möchte das nicht…Will…“, äußerte Miceyla sich ehrlich dazu und versuchte leicht gekränkt, seinem eisernen Blick standzuhalten.

„Mein Entschluss ist endgültig und ich werde daher nicht weiter darüber diskutieren. Albert und die anderen werden uns öfters besuchen kommen, wir sehen uns alle nur eben nicht mehr täglich. Miss Moneypenny wird in der Zeit deine Ansprechpartnerin des Vertrauens sein, da ich mir eine Frau in deiner Nähe wünsche, die auf dich Acht gibt und gute Nahkampferfahrungen für den Ernstfall besitzt. Eine Woche sollte uns beiden reichen, um zu packen und alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. Sieh den Umzug nach Durham als eine längere Pause, um darüber nachzudenken, wie es danach weitergehen soll. Im Bezug auf die Verantwortung gegenüber einem Kind und deine Einsätze bei geplanten Verbrechen. Wenn du dann wirklich weißt was du willst, werde ich jede deiner Entscheidungen akzeptieren, ohne Kompromisse und Widerworte. Wir sollten beide diese friedliche Zeit weise nutzen, denn es wird garantiert die letzte sein… Mehr kann ich nicht für dich und mich tun. Wie du siehst, entspringt dies nur meinem guten Willen und ich habe dabei keinerlei böse Absichten“, erläuterte William die Sache nun wesentlich sanftmütiger und lächelte sie wehmütig an. `Ich

verstehe dich und deine gutgemeinten Absichten… Eigentlich sollte ich mich darüber freuen können, dass wir fast wie ein ganz gewöhnliches Ehepaar zusammenleben werden. Aber vielleicht ist der Gedanke daran, für mich einfach nur ein wenig befremdlich, eigentlich für uns beide… Denn jeden Tag sind wir von vielen Menschen umgeben und es ist immer eine Menge los. Auch du benötigst einmal richtig Zeit, um barrierefrei nachdenken zu können, mein Liebster… Schließlich sind deine Gedanken beinahe pausenlos, mit der Ausarbeitung deiner komplizierten Pläne beschäftigt und sind gefangen. Deshalb verdienst du ganz besonders das Gefühl der Freiheit. Leid und Sorgen kennen wir nämlich zur Genüge. Und vor allem schwirren um uns herum genug Probleme, die unsere Liebe auf eine harte Probe stellen. Da wird es gut tun, davon mal etwas Abstand nehmen zu dürfen. Aber…etwas merkwürdig finde ich deinen Sinneswandel schon… Du wirst doch wohl nicht etwa…eifersüchtig auf Sherlock sein…? ` Während Miceyla versuchte, sich mental mit seinem Entschluss anzufreunden, schlang sie liebevoll ihre Arme um ihn, woraufhin er sie ebenfalls zärtlich an sich drückte.

„Ich liebe dich, Will… Und nur dich…“, hauchte sie leise und schloss im Schutz seiner Geborgenheit die Augen.

„Ich liebe dich auch, meine zauberhafte Winterrose…“
 

Und schließlich kam der Tag ihrer Abreise. Miceyla hatte so gut es ging, die sentimentalen Abschiede gemieden. Amelia wäre am liebsten mit ihr nach Durham gereist und sogar Clayton war griesgrämig gewesen. Was aber vor allem daran lag, dass er nun Verluste machen würde, da ihre Auftritte im Theater, sich beim Publikum großer Beliebtheit erfreuten. Emily und John waren auch anfangs etwas aufgelöst gewesen, als sie von der weniger erfreuliche Neuigkeit erfuhren. Daher hatte sie den genauen Zeitpunkt ihrer Abreise geheim gehalten, um eine Weltuntergansszene am Bahnhof zu verhindern. Immerhin war es ihr als kleiner Trost erlaubt, die Katzen Luna und Lucy mit nach Durham zu nehmen. Ein Schaffner trug Williams und ihr Gepäck in das Zugabteil. Ihre restlichen Sachen, würde Moran ein paar Tage später vorbeibringen. Albert musste wohl von allen am meisten darunter leiden, dass sie beide spontan umzogen und vorübergehend nicht mehr gemeinsam unter einem Dach wohnten. Sicher lief dies darauf hinaus, dass er trotz seinem hochrangigen Posten, sie öfters als vorgesehen besuchen kam. Doch es war nicht nur Albert, den Miceylas plötzliche Abreise aus London beschäftigte… Da William noch etwas mit einem der Schaffner beredete und es noch einige Minuten bis zur Abfahrt waren, lief sie um die Zeit zu überbrücken, durch das lebhafte Zugabteil. Dabei bemühte sie sich darum, das wilde Durcheinandergerede der vielen Menschen auszublenden, damit sie ihre wirren Gedanken etwas ordnen konnte. `Sherlock… Was mag dir jetzt gerade wohl durch den Kopf gehen…? Wie denkst du über Williams und meine Abreise…?` Die Türen wurden bereits geschlossen und die Leute begangen draußen winkend Abschiedsgrüße zu rufen. Als Miceyla an einer der geschlossenen Türen vorbeilief und durch das Fenster hinausblicken wollte, blieb sie stocksteif auf der Stelle stehen. Niemand anderes als Sherlock stand draußen unmittelbar vor der Tür und beide blickten sich auf Anhieb direkt in die Augen. Von seinem intensiven Blick gefesselt, bei dem nur sie dazu befähigt war, all seine versteckten Emotionen ablesen zu können, lief sie dicht an die Tür und legte ihre rechte Hand auf die glatte Glasscheibe. Nicht lange brauchte es, da hatte Sherlock seine Hand von außen auf die ihre gelegt. Am liebsten hätte Miceyla die Tür aufgebrochen, damit sie beide nichts und niemand mehr voneinander trennte. Doch da dies für sie nicht möglich war, blieb ihr nichts anderes übrig, als lediglich einen stillen Hilferuf aus ihrer leidenden Seele zu entfesseln. Doch nicht einmal den durfte sie laut aussprechen und musste in ihren Gedanken eingesperrt bleiben. `William Moriarty ist der Meisterverbrecher… Rette ihn… Rette uns beide, ehe es zu spät ist…` Die Schaffner gaben sich draußen untereinander Zeichen, dass der Zug abfahrbereit war und einer von ihnen zerrte Sherlock unsanft von der Tür weg. Kurz darauf verließ der Zug im langsamen Tempo den Bahnhof und Sherlock verschwand aus ihrem Sichtfeld. Ein Gefühl der überwältigenden Trauer ließ Miceyla zu Boden sacken und sie begann bitterlich zu weinen…
 

Liebes Tagebuch, 5.7.1880
 

unsere Familie erhält bald Zuwachs. Es kommt einem magischen Wunder gleich, dass ich dies trotz all der turbulenten Umstände noch erleben darf. Ich bin bereits jetzt so aufgeregt, dass es mur schwerfällt, gesittet meinen Alltagstätigkeiten nachzugehen. Eigentlich müsste die Zeit bis zu der Geburt wie im Flug vergehen. Doch mir werden solange einige ablenkende Beschäftigungen fehlen. Jetzt bemerke ich erst, wie intensiv ich bisher für andere gelebt habe. Und nun muss ich seit langem lernen, mich wieder mehr mit mir selbst zu beschäftigen. Vielleicht gehört auch diese Tatsache zu Williams Absichten… Es ist wieder einmal so viel passiert, dass ich nicht hinterherkomme, alles schriftlich festzuhalten. Doch kein Sturm oder Krieg wird mich davon abhalten können, meine abenteuerlichen Erlebnisse, für die Nachwelt in einem Tagebuch zu verewigen. Und deshalb werde ich meiner güldenen Füllerfeder, bis zum bitteren Ende treu bleiben und jedes groteske und beschwingende Erlebnis zu Papier bringen…
 

Manchmal
 

Manchmal habe ich so viel zu sagen,

doch mir fehlen jegliche Worte.

Manchmal kenne ich den richtigen Weg,

doch mir fehlt der Mut, zu durchschreiten die dazugehörige Pforte.

Noch immer bin ich in deiner Obhut,

seit jenem Tag, an dem mich dein süßes Lächeln zu dir einlud.
 

Manchmal würde ich die Dinge gerne umschreiben,

doch kenne ich dafür nicht den ersten Schritt.

Manchmal wünsche ich mich selbst ändern zu können,

doch hindert mich die Vergangenheit unter der ich litt.

Nie habe ich deine stützende Hand losgelassen,

du warst derjenige, der einen Sinneswandel bekam

und meinte er müsse sich mit etwas Neuem befassen.
 

Ich will nicht meine gesammelten Erfahrungen verlieren,

lass es uns mit einer zweiten Chance probieren.

Dein warmes Herz darfst du nicht verschließen,

denn manchmal wäre es besser, wenn alle ihren Argwohn entließen.



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