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The Diary of Mrs Moriarty

von

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Im Schutz einer Gemeinschaft

Auf Londons Straßen herrschte reges Treiben. Die Leute liefen fröhlich von einem Verkaufsstand zum nächsten und verrichteten ihre täglichen Einkäufe. Miceyla war gemeinsam mit William und Louis in die Stadt gefahren, um allerlei Besorgungen zu erledigen. Der April zeigte sich von seiner besten Seite und bei den ganzen frohgestimmten Gesichtern denen sie begegnete, bekam auch sie gute Laune. Das einzig ungewohnte war, dass die meisten Menschen der unteren Schichten, sie und die Brüder mit beinahe ehrfürchtigen Blicken beäugten, als seien sie Mitglieder der Königsfamilie. Ein wenig seltsam fand sie es schon, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Den Brüdern schien dies nicht im Geringsten etwas auszumachen. Und auch sie selbst lief einfach mit einem freundlichen Lächeln durch die Gegend. Während die ganzen anderen vornehmen Damen in ihrem Alter so trüb und gekünstelt dreinblickten, wie drei Tage Regenwetter, war sie ein Sonnenschein, der Freude und Heiterkeit verströmte. Nun trug Miceyla hochwertigere Kleider, um ihrer Rolle als junge Adelige gerecht zu werden. Jetzt war es nur nicht mehr so einfach für sie, mit einem schlichten Kleid in der Menge untertauchen zu können.

„Schaut euch nur all das leckere Obst an! Nehmen wir hiervon etwas und davon auch! Oh! Und wie wäre es hiermit?“, sprach sie mit strahlenden Augen, bei der großen Auswahl an frischem Obst.

„Miceyla, wir müssen das alles auch irgendwie tragen können. Beim nächsten Mal, nehmen wir wieder Moran mit. Und bedenke, dass uns die zuvorkommenden Bauern aus Durham, mit vielerlei Obst und Gemüse eindecken. Für verschwenderisches Verhalten ist kein Bedarf“, meinte Louis rechthaberisch.

„Missbrauche den armen Moran nicht immer als Packesel“, verteidigte sie ihn rasch.

„Wir nehmen von allem etwas. Wie kann man bei der großen Auswahl auch nein sagen. Diese Händler hier profitieren ebenfalls von unserer Unterstützung. Lass uns dann gleich zum nächsten Stand gehen, meine Liebe“, sprach William lächelnd und legte ihr wohlwollend eine Hand auf die Schulter.

„Hach… Ihr beiden mal wieder…“, kam es nur seufzend von Louis.

„Oh, seht mal dort drüben!“ Miceyla wollte zu einem der benachbarten Stände laufen, da stieß sie unsanft mit jemandem zusammen.

„Ups!... Verzeihung, das war ungeschickt von mir…“, entschuldigte sie sich hastig, doch von der Person kam keinerlei Reaktion. Es war ein hochgewachsener Mann, in einem langen, zerfledderten Umhang. Man konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen, da er eine tiefgezogene Kapuze trug. Er wandte sich ihr kurz zu, dann schlurfte er stumm in der Menschenmenge davon. `Irgendetwas war verdächtig an dem Kerl…`, dachte sie mit zusammengekniffenen Augen und blickte ihm noch mal hinterher. Nachdem William und Louis bezahlt hatten, gesellten die zwei sich mit jeweils einer Einkaufstüte bepackt zu ihr.

„Ist etwas passiert?“, erkundigte William sich ernst,

„Da war nur ein unfreundlicher Mann, mit einem äußerst zwielichtigen Erscheinungsbild. Jetzt ist er auch schon wieder weg…“, murmelte Miceyla nachdenklich.

„Das hast du dir bloß eingebildet. Gewöhne es dir ab, in allem und jedem etwas Verdächtiges zu sehen“, meinte Louis daraufhin desinteressiert.

„Ich bilde mir nichts ein!“, zischte sie nur beleidigt. William blickte schweigend für einen Moment zu einem Ort, den sie nicht ausmachen konnte, dann entspannte er sich aber sofort wieder.

„Lasst uns gehen, ihr Lieben. Ich denke wir haben mehr als genug eingekauft“, beschloss William und sie nickte zusammen mit Louis zustimmend. Zu dritt verließen sie den Marktplatz und schlugen den Weg zu ihrer Kutsche ein. Da hörten sie plötzlich maunzende Laute. Alle drei tauschten wortlos Blicke miteinander aus.

„Das kam von dort trüben!“ Miceyla lief geschwind in eine enge Gasse hinein. Dort fand sie zwei kleine Kätzchen, die verängstigt dicht beieinander, auf dem verdreckten Boden kauerten. Sofort überkam sie Mitgefühl, beim Anblick der verwahrlosten Geschöpfe. Langsam ging sie in die Hocke und streckte vorsichtig eine Hand zu ihnen aus.

„Habt keine Angst, meine Kleinen. Ich tue euch nichts.“ Das eine Katzenkind war schneeweiß mit himmelblauen Augen, dass andere war orange-weiß gestreift und hatte grüne Augen. Doch ihr beider Fell war zerzaust und glanzlos. Zusätzlich zeichneten sich ihre Rippen ganz deutlich darunter ab. Die weiße Katze schnupperte zitternd an einem ihrer Finger. `Leider haben wir nichts zu Essen gekauft, was ihr mögen würdet…`, dachte Miceyla frustriert.

„Ach Gottchen, was für arme hungernde Katzen. Das ist leider kein seltenes Vorkommen in der Innenstadt…“, meinte William sorgenvoll.

„Ja, da blutet einem das Herz“, sprach Louis, stellte seine Einkaufstüte ab und hockte sich neben sie. Kurz darauf begann er ohne Scheu, dass gestreifte Kätzchen zu streicheln.

„Die beiden sind noch sehr jung und scheinen ihre Mutter verloren zu haben…“, vermutete sie betrübt.

„Wer weiß was dem Muttertier zugestoßen ist… In dieser Gegend, wird sehr oft Jagd auf Straßenkatzen gemacht“, berichtete William und bekam einen düsteren Gesichtsausdruck, beim Gedanken an all die garstigen Menschen.

„Wie abscheulich! Können wir diese widerlichen Tierquäler, nicht auch auf unsere Liste setzen? Ich kümmere mich gerne selbst darum“, sagte Miceyla ergriffen.

„Da schließe ich mich dir liebend gern an“, meinte Louis im Anschluss an ihre Worte. Verwundert blickte sie in sein verantwortungsbewusstes Gesicht, das auf einmal Züge eines Beschützers besaß.

„Sag bloß, du magst ebenfalls Katzen?“, erkundigte sie sich verblüfft.

„Was ist daran so sonderbar? Ich habe kein Herz aus Stein“, erwiderte er ohne sie dabei anzusehen. Mittlerweile hatten die beiden Kätzchen Vertrauen zu ihnen gefasst. Die Weiße schmiegte den Kopf gegen ihre Hand und die Gestreifte schnurrte laut bei Louis‘ Streicheleinheiten. Jetzt trafen sich ihre Blicke und Miceyla meinte zum ersten Mal, denselben Gedanken wie Louis zu haben.

„Will, hättest du etwas dagegen, wenn wir die beiden jungen Katzen bei uns aufnehmen? Ich werde mich auch gewissenhaft um sie kümmern, versprochen. Wir wohnen in einem riesigen Anwesen, da stören solch sanfte Wesen bestimmt niemanden“, versuchte sie William davon zu überzeugen, die kleinen Straßenkatzen zu adoptieren.

„Teilen wir uns diese Aufgabe. Auch ich kümmere mich um die beiden Fellnasen“, fügte Louis noch hinzu.

„Nun… Es scheint mir, als ob ich euch zwei Katzenliebhabern, damit einen Herzenswunsch erfüllen würde. Wenn ihr dafür sorgt, dass sie gut erzogen werden und keinen Unfug im Anwesen treiben, können wir den Kleinen, sehr gerne bei uns ein neues Zuhause schenken. Und solange keine weiteren dazukommen“, willigte William mit einem Lächeln ein. Nach dessen positiven Einwilligung, lächelten Miceyla und Louis sich sofort glücklich an. Ihr Herz machte vor Freude einen Sprung. Noch nie zuvor hatte er sie mit dieser aufrichtigen Güte in den Augen angelächelt. Sie beide hatten ein gemeinsames Interesse gefunden, dass eine versöhnende Wirkung auf ihren brodelnden Zwist ausübte. Sie nahm sachte eines ihrer neuen kleinen Katzenfreunde auf den Arm. Louis nahm liebevoll die andere Katze, dann erhoben sie sich wieder.

„Es sind beides weibliche Katzen. Lass uns ihnen schon mal Namen geben. Ich finde Luna passt gut für die Weiße“, beschloss sie heiter.

„Und die Gestreifte nennen wir Lucy“, sagte Louis zufrieden und lief gemeinsam mit ihr aus der Gasse hinaus.

„Puh… Darf ich das jetzt alles tragen?“, meinte William mit Blick auf die am Boden stehende Einkaufstüte, welche er nun auch noch tragen musste.

„Da sind wir wieder!“ Miceyla betrat als Erste das Anwesen und Albert nahm sie gleich mit einem Strahlen in Empfang.

„Ah, wie schön. Willkommen daheim… Und…? Was haben wir denn hier, gab es heute Katzen im Angebot?“, fragte er verwundert.

„Die hilflosen Kätzchen, fanden wir in einer verschmutzten Gasse. Sieh dir die Ärmsten doch nur mal an. Wenn die Kleinen nicht bald etwas in den Magen bekommen, werden sie verhungern. Will hat sich schon einverstanden erklärt, dass wir sie bei uns aufnehmen können. Louis und ich kümmern uns gut um die beiden. Ich hoffe auch du hast nichts dagegen“, sagte sie mitleidvoll und betrachtete die junge weiße Katze, welche bereits in ihren warmen Armen eingeschlummert war.

„Na, es steht drei gegen einen, da kann ich doch gar nicht mehr nein sagen. Die zwei werden sich bestimmt hier rundum wohlfühlen. Nun wurden sie von ihrem Elend erlöst und fanden dank euch ein neues Zuhause, dass für sie wie ein Paradies sein wird. Ich erfülle dir jeden Wunsch, der dich noch glücklicher macht, meine liebe Eisblume… Moran, dann können wir dich ja gleich auf den Fischmarkt schicken“, sprach Albert und warf einen grinsenden Blick zur Treppe, auf der ein leicht verschlafen aussehender Moran erschien.

„Wie…? Was…? Hab ich da meinen Namen gehört?“, brummelte dieser schläfrig.

„Meister! Auch du wirst dich sicherlich schnell mit den niedlichen Kätzchen anfreunden!“ Miceyla lief übermütig mit der Katze auf ihn zu, woraufhin er hastig einige Schritte zurückwich. Auf einmal wirkte er hellwach.

„Urgh…! Hauptsache die Viecher kratzen mir nicht die Augen aus oder springen mich mitten in der Nacht an…“, meinte er und schien alles andere als begeistert zu sein.

„Also ehrlich! Das sind doch keine wilden Bestien… Hat da etwa jemand Muffensausen? Ich dachte, du seist ein gestandener Mann. Hi, hi…“, kicherte sie schelmisch.

„Jetzt hör aber mal auf! Mach dich ja nicht über mich lustig! Ich glaub es hakt!“, versuchte Moran sich argwöhnisch rauszureden.

„Da fällt mir ein, es gibt da noch ein kleines Anliegen meinerseits, dass darauf wartet erledigt zu werden. Miceyla, komme mal eben mit mir“, bat Albert geheimnisvoll und winkte sie herbei während er die Treppe hinauflief. Sie überreichte die weiße Katze Louis und folgte Albert anschließend in sein Arbeitszimmer. Dort erhaschte sie kurz einen Blick, auf den glänzend polierten Flügel, der darauf wartete, dass man auf ihm spielte.

„Ich habe hier ein bescheidenes Schreiben, für das ich deine Unterschrift erbitte.“ Mit diesen Worten legte er ihr ein vertragsähnliches Dokument vor, mit dem Familienwappen der Moriartys darauf.

„Gut. Und worum genau handelt es sich dabei? Ich dachte, alles zum Thema familiäre Angelegenheiten, wäre bereits erledigt“, fragte sie und wollte das Blatt wenden, um es sich einmal näher durchzulesen. Albert jedoch, legte noch vorher seine Hand darauf und sah ihr mit einer ungewöhnlichen Beharrlichkeit in die Augen.

„Wieso darf ich nicht erfahren, was der Inhalt des Schreibens ist? Wir verbergen doch nichts voreinander. Ich unterzeichne nicht blindlinks einen Vertrag, ohne zu wissen, was dies für Auswirkungen haben könnte“, stellte sie besonnen klar und fühlte sich auf einmal ein wenig unwohl.

„Verzeih… Das ist eigentlich nicht meine feine Art. Dennoch gibt es keinen Grund für Misstrauen. Du weißt ganz genau, dass ich niemals etwas in die Wege leiten würde, dass dir schaden könnte. Im Gegenteil, ich versuche alles in meiner Macht Stehende zu tun, um dein Glück zu bewahren“, versicherte er ihr in einem sanften Ton.

„Gewiss… Deine Mühen für mich, sind mir mehr als teuer. Allerdings…bedeutet dies, dass wenn ich den Inhalt des Schreibens kennen würde, mich folglich weigerte, meine Unterschrift darauf zu setzen. Hach… Weiß William davon?“

„Selbstverständlich“, antwortete Albert ihr augenblicklich.

„Dann vertraue ich euch einfach mal. Was bleibt mir auch anderes übrig…“ Ein leicht mulmiges Gefühl bekam Miceyla, als sie den Stift ansetzte und langsam unterschrieb.

„…Ich habe ohnehin einen Teil meiner Freiheit für euch geopfert…“, flüsterte sie im Anschluss.

„Ich danke dir vielmals…“, wehmütig nahm er das unterzeichnete Dokument wieder an sich. Schweigsam erhob sie sich von ihrem Sitzplatz und lief zur Tür.

„Bis nachher…“, meinte Miceyla noch leise, dann schritt sie hinaus und gesellte sich zu den anderen ins Wohnzimmer. William hatte mittlerweile die Einkäufe in der Küche verfrachtet und plauderte mit Moran am Tisch. Fred war im Garten beschäftigt und Louis bot derweil den kleinen Katzen, zwei Schälchen mit Milch an und startete einen ersten Fütterungsversuch. Sie legte ihre Tasche auf dem Sofa ab, welche sie die ganze Zeit über umhängen hatte und warf einen flüchtigen Blick hinein.

„Nanu…?! Wo kommt dieser Anhänger plötzlich her?“, sprach sie ihre Gedanken laut aus und holte einen merkwürdig aussehenden Kettenanhänger, mit einem seltsamen Kreuz darauf hervor, der nicht von ihr stammte.

„Und dort ist ein `L` eingraviert“, erkannte sie nach genauerem inspizieren des fremden Objektes.

„Nein, sag bloß…!, platzte es erstaunt aus Moran.

„Die Apostel von Lambeth!“ Fred kam eilig herbeigestürmt und blickte voller Aufregung drein. Wie er ihr Gemurmel aus der großen Entfernung gehört haben konnte, war ihr ein Rätsel.

„Sollte mir das ein Begriff sein?“, fragte sie den aufgebrachten Jungen unwissend.

„Das ist eine kleine Gruppierung, die in Lambeth ansässig ist. Viele der Mitglieder haben ihren Adelstitel abgelegt und sind der Kirche beigetreten. Sie verteidigen die Rechte der Bürger und verteilen mahnende Botschaften an diejenigen, welche ihre Untergebenen wie Nutztiere behandeln. Die Oberschicht beschimpft sie als die Ausgestoßenen der Gesellschaft und fürchtet deren Taten, wie Flüche eines wahnsinnigen Zauberers. Ich kenne einige von dieser Gruppe, es sind sehr herzensgute Menschen unter ihnen“, erzählte Fred um sie aufzuklären.

„Das hast du gut beschrieben. Diese Leute haben sich mittlerweile einen Namen in ganz England gemacht. Wer sich mit den aktuellen Kriminalfällen aus dem Untergrund beschäftigt, wird früher oder später auf die Apostel von Lambeth stoßen. Natürlich zogen sie rasch die Aufmerksamkeit von Scotland Yard auf sich und für die Polizisten, war jene populäre Gruppierung sofort ein Dorn im Auge. Nun kommt es allmählich zu den ersten Konfrontationen. Daher haben die Lambeths mich als Mentor in kriminellen Angelegenheiten, beziehungsweise uns, um Hilfe gebeten. Na, erinnerst du dich an deine rätselhafte Begegnung von heute Morgen, mein Liebling? Dieser Mann war unser Auftraggeber“, verriet William geruhsam.

„Dann hat er mir also den Kettenanhänger in meine Tasche gesteckt! Unglaublich, ich habe nicht mal ansatzweise etwas davon bemerkt! Und das obwohl ich eigentlich immer sehr aufmerksam bin“, kam es ehrfürchtig von Miceyla.

„In ihrer Organisation, sind einige Menschen mit bemerkenswerten Fähigkeiten. Es wäre eine Schande, diese ganzen außergewöhnlichen Talente verkümmern zu lassen. Alleine schaffen es die Apostel von Lambeth nicht, den Konflikt mit Scotland Yard zu lösen. Daher sind sie auf die Hilfe von Außenstehenden angewiesen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können. Zwar nutzt die Gruppe andere Methoden und folgt einem anderen Leitbild als wir, doch schadet es nicht, noch ein paar Sympathisanten dazu zu gewinnen. Es würde mich sogar nicht wundern, wenn Sherlock angelockt und mitreingezogen wird… Dann wollen wir uns ihrer Notlage mal annehmen. Miceyla, Moran, euch beide werde ich damit beauftragen, den Fall in die Hand zu nehmen. Fred kann euch mit weiteren Informationen versorgen und euch nach Lambeth begleiten, da er die Leute dort persönlich kennt. Ich empfehle, gleich diesen Freitag dorthin aufzubrechen. Fahrt ein paar Stationen mit dem Zug und nutzt den Anhänger, wenn nötig als Erkennungssymbol“, beschrieb William ihre Vorgehensweise und schlug kurz darauf die Zeitung auf und las entspannt darin.

„Und…?“, begann Miceyla zögerlich.

„Und?“, wiederholte William und sah sie lächelnd an.

„Ich meine… Gibst du uns keinen detaillierten Plan mit auf den Weg, nach den wir uns richten sollen?“, hakte sie verunsichert nach.

„In der Tat schwirren mir bereits etliche Ideen durch den Kopf, wie die Sache am besten angegangen werden sollte. Aber es wäre doch unspektakulär, euch immer nur stur Anweisungen abarbeiten zu lassen. Ihr wärt ja vollkommen unterfordert. Und außerdem seid ihr drei kluge Köpfe. Ich verlasse mich auf euer schauspielerisches Talent. Sorgt dafür, dass es zu einer Einigung zwischen den Apostel von Lambeth und Scotland Yard kommt. Der Idealfall wäre eine friedliche Verhandlung. Bedenkt jedoch, der Auftrag wird erst dann erfolgreich erfüllt sein, wenn es auf beiden Seiten keinen einzigen Toten gegeben hat. Wohlan, ich wünsche euch allen viel Erfolg“, sprach William und lächelte bestärkend, ehe er sich wieder seiner Zeitung zuwidmete. `Das hört sich ganz nach einer ernstzunehmenden Herausforderung an…`, dachte sie aufgeregt.

„Prima, dann lasst uns mal ein paar Heiligen aus der Patsche helfen. Vor der Mission sollten wir unser Waffenrepertoire auffrischen gehen. Miceyla, bei der Gelegenheit zeige ich dir, wo du dich jeder Zeit mit allerlei Utensilien eindecken kannst. Unser netter Freund, hält nur die allerfeinste Ware bereit“, meinte Moran motiviert.

„Na da bin ich aber mal gespannt“, erwiderte sie freudig und wollte gerade mit Moran das

Wohnzimmer verlassen, als Louis sie beide energisch am Arm packte.

„Schön hiergeblieben ihr zwei! Bevor ihr euch irgendwo vergnügen geht, werdet ihr erstmal eine Besorgung für mich erledigen! Wir haben keine Kerzen mehr. Unser gesamter Vorrat ist aufgebraucht, da eine gewisse Person neulich so verschwenderisch war. Schon vergessen? Und du Moran, hast sie dabei auch noch kräftig unterstützt. Also wisst ihr, welches Anliegen Priorität hat. Es gibt für euch kein Abendessen, wenn nicht vorher ein entschädigender Nachschub hier eintrifft. Verstanden?“, erinnerte er sie mit strengem Blick.

„U… Wah…! Louis, du bist gruselig… Na gut, na gut. Ich komme für die geopferten Kerzen auf. Du brauchst nicht gleich tobsüchtig zu werden…“, seufzte sie nachgebend.

„Fein, erledigen wir das eben zuerst…“, murmelte Moran und verdrehte schlecht gelaunt die Augen.
 

„Aha, so sieht für dich also konkret, eine missionsvorbereitende Maßnahme aus. Ich sehe weit und breit kein Waffenlager. Du hast mich in ein miefendes Pub geschleppt! Jetzt weiß ich auch, warum Fred abgelehnt hat mitzukommen. Ich bin schwer von dir enttäuscht, Meister!“ Miceyla saß zusammen mit Moran, an einem runden Kneipentisch, während er sorglos Bier in sich hineinschüttete und sie ihn mit wütenden Blicken verfluchte. Und zu allem Überfluss, hatten es sich zwei aufreizende junge Damen, direkt neben Moran bequem gemacht und machten ihm schöne Augen. `Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich daheim geblieben, um meine Zeit sinnvoller zu nutzen…`, dachte sie erzürnt.

„Entspann dich mal etwas. Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Wir sind doch nicht auf der Flucht. Komm, trink ein Gläschen mit“, sprach er nur unbekümmert und lächelte die jungen Frauen gefühlvoll an.

„Ein dreckiger Weiberheld bist du auch noch… Ich fange an meinen Respekt für dich zu verlieren…“, murmelte Miceyla und seufzte leise. `Obwohl mir dies schon der erste Eindruck von dir vermittelt hat`, fügte sie belustigt in Gedanken hinzu. Plötzlich beäugten die zwei Frauen sie finster.

„Wer ist dieses fein gekleidete Fräulein? Ihr seid gemeinsam hergekommen. Die ist sich doch bestimmt zu schade, für einen gewöhnlichen Tropfen aus einem Pub“, sagte die eine höhnisch.

„Genau! Hast du es etwa geschafft, dir eine Adelige zu angeln? Damit wirst du dir nur Ärger einhandeln. Sie wird hoffentlich nicht deine Favoritin sein…“, meinte die andere und klammerte sich flehend an Moran.

„Würg… In diesem Leben und auch im nächsten garantiert nicht mehr…“, konterte Miceyla mit ausdrucksloser Miene.

„Ich kann euch beruhigen, Mädels. Diese reizende Kratzbürste ist bereits verheiratet und in festen Händen. Sie ist die Gattin von dem vornehmen Herrn, für den ich arbeite. Bald wird aus ihr wahrscheinlich auch ein altes Motzweib. Dies ist das Schicksal aller Ehefrauen, die keinen frischen Wind mehr abbekommen“, meinte er scherzhaft und die Damen mussten laut anfangen zu kichern. Miceyla schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn. Und anstatt empört zu sein, lachte sie so laut, dass alle Anwesenden des gesamten Pubs, sie fragwürdig anstarrten.

„Ha, ha, ha! Moran, du alter Frechdachs! Hüte deine Zunge. Du wartest ja anscheinend nur so darauf, dass man dir eine Abreibung verpasst. Und meine werten Ladys, ihr könnt mir gerne einen vollen Krug pures Schweineblut servieren. Ich garantiere, dass ich alles bis zum letzten Tropfen herunterbekomme, ohne auch nur einmal das Gesicht zu verziehen“, prahlte

Miceyla und grinste die jungen Frauen beinahe schon dämonisch an. Die beiden rissen verschreckt von ihrer überraschenden Selbstsicherheit, die Augen weit auf und zogen sich leise tuschelnd zurück.

„Hey, jetzt hast du mir meine Mädchen vertrieben! Naja, hab’s auch irgendwie verdient, nach meiner dezent sarkastischen Bemerkung, ha, ha. Aber ordentlich Schneid besitzt du, dass muss ich schon sagen“, meinte er ehrlich und leerte dabei seinen Krug.

„Das waren nicht `deine` Mädchen! Und ich muss mich nun mal behaupten, in einer Welt, in der jeder gegen Vorurteile ankämpft und vor allem die Männer glauben, sie hätten das Recht, frei über andere Menschen bestimmen zu können. Jeder, absolut jeder sollte sich seine eigene Rolle im Leben selber aussuchen dürfen. Und vielleicht wirst auch du zukünftig vernünftiger und hältst nach etwas Besonderem Ausschau, anstatt weiter den Herzensbrecher zu spielen. Na komm, lass uns endlich gehen. Es gilt eine Mission vorzubereiten!“, sprach Miceyla beharrlich und erhob sich energisch, dennoch lächelte sie Moran freundlich an. Dieser wirkte auf einmal viel ruhiger und blickte nachdenklich in seinen leeren Krug.

„Für etwas Besonderes ist meine Zeit zu knapp… Am Ende werden nur noch mehr mit ins Unglück gezogen und der Gefahr ausgesetzt. So wie William es mit dir gemacht hat… Argh! Was blase ich hier Trübsal! Gehen wir, Wirbelwind! Ich zeige dir die vortrefflichste Waffenkammer, die du je gesehen hast. Das wird dir glatt die Sprache verschlagen!“ `Die Zeit ist kein greifbares Objekt… Warum muss jeder immer alles vorrausschauend planen? Bereits der nächste Morgen, könnte so viel Neues bringen. Es wäre um einiges leichter, im Leben auch mal Überraschungen zuzulassen und sich nicht ständig nach einem faden Kreislauf zu richten…`, dachte Miceyla noch betrübt im Stillen, dann verließ sie mit Moran das Pub.

„Da wären wir! Na zufrieden, dass wir nach einem kleinen Umweg unseren Zielort erreicht haben? Willkommen in den Werkstätten des M16. Nach dir.“ Endlich kam sie mit Moran, an ihrem etwas abgelegenen Ort der Bestimmung an und staunte in der Tat nicht schlecht, über die modern ausgestattete Fabrik, welche sie gerade betrat.

„Das ist also jene Scheinfirma, von der ihr mir schon so einiges erzählt habt…“ Es packte sie sofort der Entdeckungsdrang und sie erkundete neugierig ihre Umgebung, in der es leicht nach Öl und Schießpulver roch. Da kam plötzlich wie aus dem Nichts heraus, ein junger Mann auf sie und Moran zugestürmt und schüttelte mit überschwänglichem Eifer ihre Hand.

„Welch eine Freude, hoher Besuch! Endlich hat unser räudiger Revolverheld, Sie mithergebracht! Freut mich, Sie nun persönlich kennenlernen zu dürfen, Mrs Moriarty. Ich bin von Herder. Sie werden bald feststellen, dass es keinen anderen Meisteringenieur gibt, dessen herausragender Ruf an den meinen heranreicht. In dieser Werkstatt, werden nur die erstklassigsten Unikate hergestellt“, stellte der freundliche Mann stolz sich und seine Arbeit vor. Er war von großer, schlanker Statur und hatte strahlend blonde Haare. Doch das Sonderbarste an ihm war, dass er eine Augenbinde trug. `Dieser Mann soll ein Ingenieur sein? Ist er etwa blind? Wenn er ohne zu sehen, trotzdem perfekt arbeiten kann, wäre dies mehr als nur bemerkenswert`, dachte sie staunend und betrachtete ihn eine Weile wie gebannt. Sein kräftiger Händedruck, hatte ihr bereits sein handwerkliches Geschick verraten.

„Freut mich ebenfalls Sie kennenzulernen, wo ich schon so viel Positives von Ihnen gehört habe. Gestatten Sie mir eine Frage, Sie stammen nicht aus England, oder?“, fragte sie ihn höflich.

„Gur erkannt! Ich komme gebürtig aus Deutschland. Schauen Sie sich ruhig um, vielleicht finden Sie ja etwas, dass Ihr Interesse weckt“, gab er Miceyla lächelnd die Erlaubnis, seine Werkstatt einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Ist meine Bestellung bei dir angekommen? Ich warte seit einer gefühlten Ewigkeit, auf das ganze Zeug!“, beschwerte Moran sich lautstark.

„Qualität braucht eben seine Zeit. Außerdem zerstörst du mit deinen Wurstfingern alles und ich bekomme nur beschädigte Einzelteile wieder! Meine Waffen sind zu schade, um sie nach dem ersten Gebrauch gleich zu verschrotten! Fange mal damit an, meine Mühen wertzuschätzen!“, entgegnete der junge Ingenieur frustriert. Während die beiden Streithähne, sich voller Herzblut freundschaftlich bekriegten, erkundete Miceyla das große Sammelsurium an Waffen und Gerätschaften. Einiges davon hatte sie noch nie zuvor gesehen und begann somit, über die Funktionen einzelner Utensilien zu spekulieren. In den Schränken und Vitrinen waren Unmengen an Schusswaffen gelagert. Jede einzelne Waffe war präzise verarbeitet worden und man fand welche, mit unterschiedlicher Größe und Anzahl an Fuhren. Während sie interessiert umherstöberte, erreichte sie eine Abteilung, in der Gegenstände gelagert wurden, die sich eher weniger für den alltäglichen Missionsgebrauch eigneten und daher wie aussortierte Ware im Abseits platziert waren. Ihr fiel ein langer Bogen ins Auge und sofort verspürte sie einen schmerzenden Stich im Herzen. Unbeirrt lief Miceyla weiter und entdeckte eine geräumige Vitrine mit ausschließlich Stichwaffen. Kurze, lange Messer, Dolche und Degen, die verschieden geformte Klingen besaßen. Darunter befand sich auch ein richtiges Schwert, das ihre volle Aufmerksamkeit gewann. Die lange silberne Klinge, zierte für sie unlesbare Schriftzeichen, welche sie keiner Sprache zuzuordnen vermochte. Und der Griff oberhalb war golden und kupferfarben. Miceyla wusste nicht weshalb, doch dieses Schwert zog sie komplett in den Bann. Es schien, als wollte die majestätische Waffe ihr eine mystische Geschichte erzählen. Ihre Augen spiegelten sich in der glänzenden Klinge. Für einen Moment schaltete sie jegliche Gedanken vollkommen ab und meinte, all die sagenumwobenen Geheimnisse zu spüren, welche tief in dem Schwert verborgen waren.

„Oho! Wie ich sehe, haben Sie den richtigen Riecher was Waffen angeht. Eine Dame mit Geschmack, ist mindestens genauso schwer zu finden, wie eine Perle im Ozean.“ Miceyla zuckte zusammen, als die laute Stimme des Ingenieurs, sie wieder ins Diesseits zurückholte.

„Das Schwert ist wunderschön… Es verkörpert den Stolz und die Tapferkeit eines rastlosen Kriegers, der trotz des Schmerzes sich immer wieder erhebt und weiterkämpft. Er senkt den Blick nicht und dennoch vergießt er unendlich viele Tränen. Eine Trauer, die auf Ewig fortbestehen bleibt. Doch da er ein gutes Herz besitzt, ist ihm der Frieden in seinem ewigen Schlaf vergönnt…“ sprach sie leise und lächelte sanft.

„Ach wie rührend… Sie besitzen ja wirklich eine blühende Fantasie. Und mit Ihrer Vorstellung, liegen Sie gar nicht mal so verkehrt, verblüffend! Ich habe mir dieses Schwer auf einer langen Reise andrehen lassen und nach einer ausgiebigen Recherche, erfuhr ich von einer dazugehörigen, uralten keltischen Legende. Jedenfalls weiß ich nur wage worum es dabei geht, da ich nicht die Motivation besaß, den dicken Schmöker zu lesen. Grob zusammengefasst handelt die Legende von einem Gott, der sich in eine Sterbliche verliebt. Als Strafe und um seine Angebetete am Ende retten zu können, wird er dazu gezwungen, sich mit diesem Schwert zu enthaupten. Das einzige Schwert, das einem Gott seine Unsterblichkeit nehmen kann. Tja, dies ist alles was ich darüber aufgeschnappt habe. Ärgerlich das mir das

Buch abhandengekommen ist. Wenn ich gewusst hätte, mal auf jemanden zu stoßen, der sich für derart seltene Geschichten interessiert, wäre ich pfleglicher damit umgegangen. Aber vielleicht schaffen wir es gemeinsam, das alte Buch wieder aufzutreiben. Eventuell besteht jedoch die Möglichkeit, dass eine solch dramatische Tragödie, zu sehr auf Ihr Gemüt schlägt. Dann vergessen Sie das Ganze besser“, erzählte von Herder leidenschaftlich.

„Glaub mir, es existiert keine Tragödie auf dieser Welt, welche ihre eigene übertreffen könnte. Miceyla ist ein taffes Mädel…“, nuschelte Moran mit einer Zigarette im Mund und betrachtete ebenfalls unbeeindruckt das Schwert.

„H-he! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass hier drinnen nicht geraucht wird? Du bekommst bald Hausverbot oder ich lasse dich am besten gleich Schadensersatz zahlen!“, schimpfte der pflichtbewusste Ingenieur und bangte dabei um seinen ganzen kostbaren Besitz.

„Herrgott nochmal! Ich passe schon auf! Hältst du mich denn für total meschugge?“, erwiderte Moran mit erzürnter Miene und löschte seine Zigarette dennoch wieder, um es nicht drauf ankommen zu lassen.

„Genau, da hörst du es, Meister! Es gibt nichts Wertvolleres als ein Produkt, das nur dank der eigenen Arbeit entstehen konnte. So ergeht es mir auch mit meinen Geschichten. Das alles sollte wertschätzend behandelt und respektiert werden. Denn schließlich erschaffen wir Kunstwerke, die späteren Generationen, als Inspiration für ihre Entwicklungen und Fortschritte dienen“, sprach Miceyla lächelnd und stellte sich auf die Seite des gewissenhaften Ingenieurs.

„Ach, was für eine Wohltat! Diese Worte sind wie Musik in meinen Ohren. Endlich jemand der mich versteht. Hm… Na wie sieht es aus, möchten Sie das Schwert haben? Ich sehe doch den begeisterten Glanz in Ihren Augen, der mir Ihr Schwärmen dafür verrät. Ich schenke es Ihnen!“, entschied von Herder ganz spontan. Völlig verdutzt blickte sie den spendablen Mann an.

„A-aber geht das denn in Ordnung? Das Schwert muss sicherlich ein unersetzbares Unikat für Sie sein.“

„Ach was, für mich persönlich sind Waffen, die einen häufig gebräuchlicheren Nutzen haben und mit denen man anderen in technischer Hinsicht, stets einen Schritt voraus ist, weitaus wertvoller. Dieser alte antike Schatz verstaubt hier nur. Schließlich bin ich ein Mann der Zukunft! Die Vergangenheit ist bloß ein kleiner Baustein, auf dem alles Wesentliche aufbaut. Also, nehmen Sie es bitte. Ich vertraue Ihren bedachtsamen Händen, das Schwert in Ehren zu halten“, bestärkte er sie noch einmal lächelnd.

„Nun, wenn das so ist, bedanke ich mich für Ihre Großzügigkeit und nehme es mit gutem Gewissen an. Mich interessiert auch die dahintersteckende Legende. Vielleicht lüfte ich sogar das Rätsel, um die darauf befindlichen Schriftzeichen. Sie haben wirklich ein ausgezeichnetes Auge für Raritäten… Hoppla! Ich meine ein ausgezeichnetes Gespür! Natürlich wollte ich Gespür sagen, ha, ha!“, haspelte Miceyla und lachte verlegen.

„Ist das dein Ernst? Eine auffälligere Waffe konntest du dir nicht aussuchen. Was willst du denn mit dem protzigen Teil? Im Wald einen auf heldenhaften Krieger machen? Oh Mann ey… Wie dem auch sei, ich hab alles bekommen, weswegen ich herkam. Wir können also wieder verduften. Es sei denn, du willst noch mehr alten Plunder mit nach Hause schleppen. Louis wird sehr begeistert sein, wenn wir das Anwesen zumüllen…“, nörgelte Moran nur verständnislos.

„Dafür findet sich schon eine Verwendung. Und keine Sorge, ich habe nicht vor ein

Antiquitätengeschäft zu eröffnen. Gehen wir. Ich bedanke mich nochmal vielmals, dass Sie das Schwert in meine Obhut geben. Bestimmt sehen wir uns bald wieder und können uns weiter unterhalten“, verabschiedete Miceyla sich strahlend.

„Keine Ursache! Auf ein andermal“, sprach von Herder zufrieden und überreichte ihr das Schwert, welches er zuvor sorgfältig in einen Lederbeutel eingewickelt hatte. Nach dem Verlassen der Werkstatt, stieg sie gemeinsam mit Moran und ihrer reichen Ausbeute in eine Kutsche.

„Wir treffen uns übermorgen mit Fred morgens am Bahnhof. Sagen wir halb acht. Und pack dir Sachen für ein paar Tage zusammen. Denn ich denke nicht, dass sich der Aufruhr in Lambeth, an nur einem Tag aus der Welt schaffen lässt. Daher werden wir uns dort für den Fall der Fälle, in einem Hotel einquartieren. An dem Tag unserer Ankunft, verschaffen wir uns erstmal einen Überblick über die dortige Lage. Alle weiteren Handlungen, lassen sich dann anschließend davon ableiten. Das wird garantiert kein halsbrecherisches Manöver, nur ein wenig Fingerspitzengefühl ist gefragt. Da fällt mir ein… Wo wir gerade eben so schön beim Thema Schwerter waren, kam mir in den Sinn, dass William und ich früher mal mit Stäben Fechten geübt hatten. Die Dinger liegen garantiert noch irgendwo herum. Seine Techniken hat er in Perfektion gemeistert. Gegen ihn kommst du allein mit Kraft nicht an. Mann oh Mann, wie oft musste ich mich doch geschlagen geben. Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich daran denke… Ihn wollte ich nicht als ernsthaften Gegner haben“, verriet Moran und schwelgte in Erinnerungen.

„Wirklich?! Das wusste ich ja noch gar nicht! Und versuche mal etwas zu finden, dass Will nicht meisterlich beherrscht, he, he. Übst du mit mir auch mal Fechten? Ich würde mich über diese Abwechslung sehr freuen. Denn die ganze Schießerei und das Ausdauertraining, wird mir auch irgendwann zuwider. Ich bitte dich, Meister“, bat Miceyla begeistert und faltete hoffnungsvoll die Hände zusammen.

„Na meinetwegen. Wir haben morgen noch einen ganzen Tag zur freien Verfügung. Da können wir gerne ein Ründchen fechten. Aber nicht zu lange, damit du am Freitag nicht völlig ausgepowert die Mission antrittst. Und wir bleiben im Garten, dort ist Platz genug. Müssen nur darauf achten, Louis` Gestrüpp nicht niederzumetzeln. Glaub mir, der Kerl schmeißt uns sonst gefesselt in die Themse, ha, ha! Andernfalls gehen wir eben in den großen freien Raum im zweiten Stock, der auch für Trainingseinheiten genutzt werden kann. Und stelle dir das Ganze nicht zu einfach vor, nur weil du dein glorreiches Schwert im Kopf hast. Fechten bedeutet weitaus mehr, als ein paar Stäbe aufeinanderzuschlagen. Es müssen einige Grundschritte verinnerlicht werden. Jede Bewegung und Haltung, muss im perfekten Einklang mit deiner innerlichen Konzentration sein. Dein Reaktionsvermögen wird auf einem wesentlich höheren Niveau geschult, als dies etwa bei anderen Kampfsportarten der Fall ist. Verkehrt ist es garantiert nicht, für dein Aufgabengebiet mal in die Kunst des Fechtens reinzuschnuppern.“ Beide kamen bester Laune beim Anwesen an und wollten ihre neuen Waffen sogleich hinauftragen.

„…Wetten ich treffe mein Ziel, beim nächsten Training sogar mit verbundenen Augen? Ich bin in Topform!“, prahlte Miceyla und stieg die Treppe hüpfend empor.

„Warum verlegen wir dann nicht gleich das Training auf die Nacht? Ich stelle es mir spaßig vor, dich quer durch den düsteren Wald zu jagen, ha, ha!“, meinte Moran daraufhin scherzhaft.

„Hey! Mal sehen wer dabei wen jagt!“, kam es neckend von ihr.

„Na, ihr beiden Rabauken, seid ja jetzt schon ein Herz und eine Seele“, kommentierte Louis, der ihnen über den Weg lief, ihr lebhaftes Geplauder mit nüchterner Miene. Miceyla und Moran blickten sich an und grinsten frech.

„Wir doch nicht!“, sprachen beide anschließend gleichzeitig.
 

Am nächsten Tag, stand sie mit Moran am späten Nachmittag, auf der großen Wiese im Garten, mit jeweils einem Fechtstab in der Hand.

„Die Tortur mit der ganzen Ausrüstung, sparen wir uns für den Anfang. Also werde hier nicht zum Überflieger, sonst gibt das böse blaue Flecken. Du stehst mir in einem angemessenen Abstand parallel gegenüber, ausgezeichnet. Fangen wir mit dem Fechtgruß an“, erläuterte Moran entspannt. Sie machte es ihm nach und senkte in einer aufrechten Haltung, die Waffe in seine Richtung. Danach rührte Moran sich wie versteinert nicht von der Stelle. Daher zeigte sie die Initiative und wagte ein paar wohlüberlegte Schritte nach vorn und hielt ihren Stab schützend vor sich. Sie wollte ohne Vorwarnung auf ihn losstürmen, jedoch machte ein kleines Problem, ihr einen Strich durch die Rechnung.

„Willst du dich nicht doch lieber noch vorher umziehen gehen? In diesem Kleid wirst du…hinfallen…“, riet er ihr zu spät und kniff ein Auge zu, als sie unbeholfen auf die weiche Wiese stürzte.

„Ha, ha… Upsala. Ich hätte mir meinen ersten Fechtangriff etwas eleganter vorgestellt. Als richtige Lady, muss ich jeder Zeit auch in einem langen Kleid vollen Einsatz zeigen können. Gerade diese Erschwernisse sind es, welche uns Frauen unglaublich stark machen. Also, sieh dich vor!“ Ruckartig sprang Miceyla wieder auf und hatte Moran fix erreicht. Dieser parierte ihren ersten Angriff problemlos. Doch sie blieb unbeeindruckt und holte pausenlos, unmittelbar hintereinander mit ihrem Fechtstab aus, ohne sich vorher zu verraten, welche Seite sie von ihm anvisierte. Zwar stellte es für ihn noch immer in keiner Weise eine Herausforderung dar, beschäftigt war er dennoch allemal.

„Was wird das wenn es fertig ist? Mit deinen unkoordinierten Hieben, erreichst du nur, dass dir deine Kondition innerhalb weniger Minuten flöten geht. Und dann mache ich dich fix und alle“, kommentierte Moran ihren Kampfstil grinsend. William stand am Eingang zum Garten, blickte geruhsam hinaus durch das Fenster und beobachtete nachdenklich, wie die beiden Fechten übten.

„Hallo Will, bin wieder da. Oh schau an, unsere zwei Soldaten trainieren wieder fleißig. Jetzt sind sie schon beim Fechten angelangt. Das war wohl ihre Idee, huh? Miceylas quirliger Enthusiasmus, hält Moran ordentlich auf Trapp. Finde ich gut, so kommt der Gute mal zeitweise, von seinen schlechten Angewohnheiten weg“, sprach Albert lächelnd und gesellte sich zu ihm.

„Ich grüße dich, Bruder. Aber sieh einmal ganz genau hin, dann wird es dir auch auffallen. Natürlich hat Miceyla kaum Erfahrungen und weiß nicht, wie sie ihre Waffe effizient einsetzen soll. Trotzdem wird sie von Moment zu Moment wendiger und versucht Moran auszutricksen und eine Schwachstelle bei ihm zu finden. Doch ihre konfusen Schritte, verraten die Unsicherheit darüber, was richtig und was falsch ist. Dies hat zur Folge, dass sie ihre eigene Körperkraft nicht effektiv ausbalancieren kann und sich somit selbst behindert, um ihr wahres Potenzial zu entfalten“, analysierte William die Schwierigkeiten von Miceyla.

„Du hast recht, in jeglicher Hinsicht. Man mag sie am liebsten schon beim Zuschauen korrigieren. Jedoch liegt es nicht bloß an Miceylas eigener Unerfahrenheit. Es ist Moran, der für sie eine Blockade darstellt. Zwar ist er zweifelsohne ein überragender Schießkünstler, doch als Fechtlehrer ist er gänzlich ungeeignet. Was sie braucht, ist ein Fachmann auf dem Gebiet des Fechtens, der ihre Schwächen explizit auszubessern weiß. Dadurch würde Miceyla innerhalb kürzester Zeit, beachtliche Fortschritte erzielen. Wie du immer sagst, ihr Talent und Wille warten darauf erweckt zu werden“, bestätigte Albert seine Analyse und beobachtete sie dabei mit liebevollem Lächeln.

„Genau so ist es. Und diese Tatsache können wir nicht einfach auf sich beruhen lassen, nicht wahr? Also, dann mag ich mal zur Tat schreiten.“ Nach jenen ruhigen Worten, zog William schwungvoll die lange spitze Klinge aus seinem Spazierstock heraus, welcher am Sofa angelehnt stand.

„Du meine Güte, Will… Ist es denn wirklich notwendig, immer gleich zu solch korrupten Maßnahmen zu greifen?“, kommentierte Albert sein Vorhaben ein wenig erschrocken.

„Bruderherz, bitte versuche nicht ständig Miceyla in Watte zu packen. Es ist für ihr Selbstvertrauen wichtig, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Dein Beschützerinstinkt wird lediglich zu einer Kehrtwende führen. Schließlich sind wir alle Individuen und Teil eines Ganzen, einer zusammenhaltenden Gemeinschaft. Vor was magst du sie in Wirklichkeit beschützen? Vor den ganzen Übeln dieser Welt? Ihrem aufgezwungenen Schicksal? Oder vor dem, was ich in Wahrheit im Sinn habe? Eines steht jedenfalls fest, unsere Gefühle für sie, befinden sich auf einer Wellenlänge. Hüten wir diese Familienliebe. Ein kostbareres Geschenk werden wir nicht mehr erhalten. Aber vielleicht… Nein, es bleibt unumstritten. Nun denn…“, sprach William leicht wehmütig und legte anschließend lächelnd den Zeigefinger auf die Lippen. Albert erwiderte sein sanftes Lächeln. Nicht einmal für einen Augenblick, hätte er an dem starken Vertrauen zu seinem klugen Bruder gezweifelt. Geräuschlos schritt William hinaus und betrat mit seiner geschärften Waffe den Garten. Mittlerweile hatten Morans Fechthiebe an mehr Dynamik gewonnen, obwohl er zu Beginn noch vorgehabt hatte, es locker angehen zu lassen. Langsam spürte Miceyla einen leichten Schmerz im rechten Handgelenk, nach all den ungünstigen Verrenkungen. Da geschah plötzlich etwas Unerwartetes, dass sie vollkommen unvorbereitet zusammenzucken ließ. William tauchte wie ein Blitz aus dem Nichts heraus, unmittelbar vor ihr auf und stellte sich zwischen sie und Moran. Er gönnte ihr keine Atempause, um sich auf die neue Situation einstellen zu können und attackierte sie gnadenlos mit seiner Klinge. Panisch riss Miceyla die Augen weit auf, als sie die gefährliche Waffe sah, welche sie hektisch mit ihrem stumpfen Fechtstab abzuwehren versuchte. Williams Umgang mit seinem Stab, besaß eine solche Präzession, dass es ihr den Atem raubte. Er schien jede einzelne ihrer eigenen Reaktionen voraussehen zu können und passte seine Angriffe ihrer Reaktionsgeschwindigkeit an, ohne ihr somit gefährlich werden zu können. Sie kämpften im perfekten Zusammenspiel miteinander. Ein Kampf, der einem synchron aufeinander abgestimmten Tanz glich. Wie in Hypnose wurde sie in einen Bann gezogen, dabei schien kein Ende in Sicht zu sein. Doch auf einmal unterbrach William den hitzigen Einklang und schlug Miceyla mit nur einem kräftigen Hieb, von unten den Stab aus der Hand, welcher in hohem Bogen im Gras landete. Jetzt stand er dicht vor ihr, richtete die Klinge, auf seine nun unbewaffnete Gegnerin und zeigte ein Lächeln, dass zwar edelmütig war und dennoch eine feurige Unberechenbarkeit zum Vorschein brachte. Sie fühlte sich wie ein Ritter, der ein Duell gegen einen König verloren hatte und trotzdem von diesem gewürdigt wurde. Nein, Miceyla verspürte keine Ehrfurcht, viel eher war sie wieder einmal wie verzaubert, von Williams unverwechselbaren Auftreten.

„Wenn du danach strebst die Fechtkunst zu beherrschen, bin ich so frei und nehme mir das Recht, mich dafür zu deinem Lehrmeister zu ernennen“, verkündete er beschließend und blickte dabei gefühlvoll in ihre leuchtend grünen Augen.
 

Es herrschte eine unruhige Hektik, als das Trio in Lambeth aus dem Zug stieg. Passanten liefen mit gestressten Mienen, auf allen Seiten am Bahnsteig hin und her. Miceyla jedoch betrachtete neugierig den ihr fremden Stadtbezirk und hielt ihren Hut fest, als ihr ein kräftiger Wind entgegenblies.

„Ich wünsche den Herrschaften einen angenehmen Aufenthalt in Lambeth!“ Einer der Schaffner verabschiedete sich lächelnd und stieg wieder zurück in den Zug, der kurz darauf scheppernd seine Fahrt fortsetzte.

„Eliot, trage bitte meine Koffer!“, bat Miceyla an Moran gewandt mit gespielter Hochnäsigkeit und lief würdevoll voraus, wobei sie leicht schmunzeln musste. Dieser versuchte krampfhaft sein Ärgernis darüber herunterzuschlucken.

„Ja, ja, kommandier mich hier ruhig herum! Das zahl ich dir alles doppelt und dreifach wieder heim! Und ist das ganze Gepäck wirklich von Nöten gewesen? Ich habe von ein paar Sachen gesprochen und nicht dem ganzen Haushalt! Wir machen hier keinen Urlaub… Egal, Themawechsel. Falls wir auf jemanden treffen sollten, der uns kennt und skeptisch wird, sagen wir, die mit Albert befreundete Grafenfamilie Crawford, hätte uns zu sich eingeladen, welche hier in der Nähe wohnt. Sie möchten gerne die Gattin seines jüngeren Bruders kennenlernen. Ganz schlicht und simpel. Die Crawfords wissen ebenfalls Bescheid, Albert hat sie per Telegramm informiert. Das wurde alles bereits arrangiert. So können wir uns voll und ganz auf unsere Mission konzentrieren“, erwähnte Moran noch einmal pflichteifrig und blickte sich selbst forschend um, während er die Koffer von Miceyla trug, welche zusammen mit Fred neben ihm lief.

„Geht ihr euch erst mal im Hotel einchecken. Ich habe gleich ein geheimes Treffen, mit einem unserer Auftraggeber, um Informationen auszutauschen. Ihr kennt den Treffpunkt für später. Dann sehen wir uns nachher dort“, kündigte Fred an und sauste sogleich davon, ohne eine Bestätigung von seinen Kameraden abzuwarten.

Wenige Stunden waren vergangen und Miceyla befand sich mit Moran auf dem Weg zu dem Versteck oder vielmehr der Basis, von den berühmtberüchtigten Apostel von Lambeth.

„Wir haben uns ganz schön weit von dem Zentrum der Stadt entfernt. Diese Leute scheinen sich wirklich, wie eine Gruppe von Einsiedlern abzuschotten“, meinte sie feststellend während ihrem langen Fußmarsch. Sie und Moran hatten sich beide umgezogen und ihre vornehme Kleidung gegen etwas Schlichtes ausgetauscht, um sich unauffälliger unter das Volk mischen zu können.

„Japp, wer haust schon gerne draußen in der Pampa. Schau an, da wären wir. Laut der Wegbeschreibung von Fred, führt dieser dustere Eingang da vorne zu deren Versteck“, sprach Moran mit prüfendem Blick und blieb in sicherer Entfernung stehen.

„Das sieht für mich nach einer alten Mine aus, die nicht mehr genutzt wird. Oha… Hoffentlich sind das keine Verrückten, welche dort in der Dunkelheit okkulte Rituale verrichten. Dann könnte ich verstehen, warum man an ihrer Rechtschaffenheit zweifelt, ha, ha. Gut, warten wir auf Fred, um zu erfahren ob wir ohne einen Hinterhalt empfangen werden. Nicht das uns ein paar vermeidliche Mitglieder der Gruppe, in verkleideter Montur überfallen, die in Wahrheit zu Scotland Yard gehören“, meinte Miceyla belustigt und stellte sich im Geiste allerhand skurrile Szenarien vor.

„So siehts aus… Und hoffen wir mal, dass unsere Waffen tatsächlich nicht zum Einsatz kommen. Ah, da kommt unser flinker Informant auch schon!“ Moran hatte die Arme ineinander verschränkt und wirkte etwas angespannt, aufgrund der Tatsache nicht zu wissen, was ihn gleich erwarten würde. Fred kam mit leisen Schritten auf sie beide zugeeilt. Seine getrübten Augen verrieten ihr sofort, dass er besorgt war.

„Dein Blick verheißt nichts Gutes… Ist nicht alles nach Plan verlaufen?“, fragte sie in ruhigem Ton und konnte nicht verhindern, ein wenig nervös zu werden.

„Im Prinzip schon… Nur wundert mich deren plötzliche Skepsis, mit der ich konfrontiert wurde. Und das sogar mir gegenüber. Jedoch hat man sich dafür bei mir entschuldigt und sie sagten, es diene zu ihrem Eigenschutz. Irgendetwas scheint dennoch vorgefallen zu sein, dass man uns verschweigt. Aber lassen wir uns davon nicht einschüchtern, um zu beweisen wie ernst wir die Mission nehmen. Sowohl William, als auch den Apostel von Lambeth. Ich fürchte nur, dass euch die Wachposten nicht hereinlassen werden, selbst wenn ihr den Kettenanhänger vorzeigt. Ausschließlich eine Person aus der Führung, wird euch Gehör schenken. Es gibt einen geheimen Eingang oberhalb der Mine. Findet einen Weg hinauf und klettert dort hinab. Ich muss vorher noch etwas überprüfen gehen, ehe ich zu euch stoße“, offenbarte Fred und lächelte noch motivierend, bevor er wieder aufbrach.

„Ach verflixt! Was soll ich davon bloß halten? Die Bande hat uns doch selbst angeheuert! Wenn die dermaßen pingelig sind, können die ihr Scharmützel mit Scotland Yard eigenständig ausfechten! Echt Mann, da krieg ich so einen Hals!“, schimpfte Moran unzufrieden und scharrte mit den Füßen über den Boden, wie ein wild gewordener Stier.

„Aber, aber, wer wird denn da gleich so pessimistisch? Entspanne dich, Meister. Sonst mutierst du auch noch zu einem Motzkopf. Frustration löst die Lage nicht. Gehen wir den versteckten Eingang suchen. Denke stets daran, wie viel Mühe Fred sich gibt, er hat es ebenfalls nicht leicht“, sprach Miceyla heiter auf den verärgerten Moran ein und boxte ihn aufmunternd gegen den Arm.

„Fred ähnelt dir vom Charakter her kein kleinstes bisschen. Seid ihr wirklich miteinander verwandt? Oder dient das auch wieder nur als Mittel zum Zweck?“, murmelte sie noch nachdenklich. Moran gab ihr darauf keine Antwort und blickte nur unbeteiligt zur Seite. Beide entfernten sich unauffällig von der Vorderseite der Mine und suchten nach einer Möglichkeit, das steile, hügelartige Bergwerk zu erklimmen.

„Das sieht nicht gerade rosig für uns aus… Obwohl, wir könnten versuchen den Baum dort hinaufzuklettern, um von da oben aus, auf das Dach der Mine zu gelangen. Roger, damit hätten wir einen Plan! Der dicke Ast müsste sogar mich tragen können. Nach Ihnen, werte Lady“, sprach Moran gespielt höflich und verbeugte sich etwas vor ihr.

„Himmel… D-das ist eine beachtliche Höhe… Ich bin das letzte Mal als Kind richtig geklettert. Bitte klettere du zuerst hinauf, dann kann ich mir von dir abschauen, wie ich es am besten angehen sollte“, drückte sie sich angespannt vor dieser Unannehmlichkeit.

„Gut, wie du meinst. Gleich will ich aber kein Gejammer mehr hören!“ Mit der Ruhe weg, krempelte er sich die Ärmel hoch und erklomm mühelos den stämmigen Baumstamm bis zu dem ersten kräftigen Ast, von welchem er sich im schnellen Tempo, immer weiter nach oben zog. Beinahe hatte er schon die Baumkrone erreicht. Von einem weit herausragenden Ast, schwang Moran sich anschließend auf das steinige Dach der großen Mine. Bei ihm sah die Klettertour danach aus, als wäre er ein Federgewicht.

„Worauf wartest du? Schlag da unten keine Wurzeln und komm herauf!“, rief er ihr ungeduldig von oberhalb zu. Um sich nicht wie der letzte Feigling aufzuführen, atmete Miceyla einmal tief durch und griff in die harte Rinde des Baumes, an welcher sie langsam emporstieg. Etwas überrascht stellte sie fest, dass es leichter ging als gedacht und sie erreichte ohne abzurutschen den dicken Ast. Auf diesem sitzend, machte sie jedoch den fatalen Fehler und blickte flüchtig hinab. `H-hilfe ist das hoch!`, dachte sie angsterfüllt und schwankte von Schwindel gepackt. Um ein Haar hätte sie sich zu weit zur Seite gelehnt, doch dank Morans aufdringlicher Stimme, fand sie den Halt wieder.

„Miceyla! Erschreck mich nicht so! Schaue zu mir, nicht nach unten! Komm, ein kleiner Sprung, dann ist es geschafft!“ Seine Mut machenden Worte, hatten keine Wirkung. Sie konnte sich keinen Millimeter mehr rühren. Wie erstarrt klammerte sie sich an den Ast und wollte einfach nur schnellstmöglich von dort oben wegkommen.

„I-ich kann nicht. Ich werde es nicht schaffen, egal wie sehr ich mich zusammenreiße…“, stammelte Miceyla mit dünner Stimme. Selbst das Sprechen kostete sie Unmengen an Überwindung.

„Ach herrje, ich bin geplättet. Du hast ja tatsächlich Höhenangst… Hängt das auch mit jener Geschichte zusammen?“, murmelte Moran grübelnd und wollte sie aber keinesfalls damit schikanieren.

„Warte, bin gleich bei dir.“ Nach einem kurzen Sprung, landete er vor ihr auf dem breiten Ast. Da knackte es plötzlich unheilverheißend.

„Wah!“ Mit einem panischen Schrei, klammerte sie sich ängstlich an ihn.

„H-he, ganz ruhig! Das war lediglich ein dünner Ast, an dem ich mich festgehalten habe. Er ist abgebrochen. Glaubst du, wenn ich geahnt hätte, dass der Ast uns nicht beide aushält, wäre ich hier leichtfertig zu dir gesprungen? Wird Zeit, dass du deine Angst vertreibst und wieder deinen Verstand anschaltest“, meinte Moran lächelnd und schnipste leicht mit dem Finger gegen ihre Stirn.

„Autsch… Ja…ja du hast recht…“, sagte Miceyla kleinlaut. Ohne noch länger auf der Stelle zu verharren, zog er sie mit einem Arm an sich und sprang gemeinsam mit ihr auf das Minendach. Als sie sich endlich in Sicherheit wiegte, sackte sie sogleich erleichtert zu Boden. Ihr rasendes Herz beruhigte sich auch allmählich.

„Es tut mir schrecklich leid, Moran… Ich verhalte mich wie ein kleines Kind. Bitte erzähle keinem davon…“, sagte sie heiser und blickte ihn entschuldigend an.

„Klar, dein kleines Geheimnis behalte ich für mich. Du brauchst dich dafür nicht zu schämen. Es hat doch jeder irgendwelche Ängste“, beschwichtigte er sie aufmunternd.

„Auch Will?“, fragte Miceyla lächelnd und erhob sich wieder.

„Nun… Sollte er vor etwas Furcht hegen, so habe ich es einfach noch nicht herausgefunden. Also, dann wollen wir mal da weiter machen, wo wir stehen geblieben waren. Man kann von hier aus bereits den zweiten Eingang zur Mine sehen.“ Sie liefen zu besagter Öffnung und rutschten dort ein Stück eine schräge Felswand hinab. Wenige Augenblicke später, befanden die beiden sich im Innern der stillgelegenen Mine. Da helles Tageslicht durch das Loch in derDecke fiel, konnten die zwei sich vorerst gut zurechtfinden.

„So viele Gänge und nirgends ist eine Menschenseele zu entdecken. Wir müssen uns in diesem Irrgarten vorsehen. Ich habe das Gefühl, wir befänden uns auf feindlichem Territorium…“, flüsterte Miceyla leise, während sie Seite an Seite mit Moran geräuschlos das Zentrum der Mine aufsuchte. Im Gegensatz zu ihr, hielt er einen Revolver bereit. Nach einiger Zeit erreichten sie einen engen Gang, an dessen Ende es eine weitere Abzweigung gab. Doch dieses Mal flackerten dort einige Fackeln. Anscheinend befand sich dahinter ein weitflächiger Bereich, wo sie garantiert ihre mysteriösen Auftraggeber vorfinden würden. Das Herz klopfte ihr vor Aufregung bis zum Hals, als sie mit Moran dort ankam. Sie pressten sich beide unauffällig gegen die harte Wand und spähten um die Ecke. Mit dem was sie in jenem Moment sah, hätte sie nie im Leben gerechnet.

„Sherlock!“ Beinahe hätte sie seinen Namen zu laut ausgesprochen und man wäre auf sie aufmerksam geworden. Gerade noch rechtzeitig konnte sie ihre Stimme dämpfen. Er lag reglos auf dem Boden und war an den Händen und Füßen mit einem strammen Strick gefesselt worden. Um ihn herum standen fünf Personen in dunklen Roben und blickten auf Sherlock herab.

„Was macht der aufdringliche Detektiv denn bitteschön hier?! Verflixt! Jetzt stehen wir vor einem kniffligen Problem…“, fluchte Moran leise und begann sofort über eine brauchbare Lösung nachzudenken.

„Ja, wenn du daraus ein Problem machst. Falls du jetzt denkst, ein Rückzieher wäre ratsam, dann hätten wir uns den ganzen Aufwand sparen können. Für Sherlock wird es unbestreitbar sonderbar erscheinen, uns hier aufkreuzen zu sehen. Na und! Das liefert mir noch lange keinen Grund, einen guten Freund im Stich zu lassen! Zum Teufel mit dieser ganzen Heimlichtuerei!“, sprach sie voller Entschlossenheit und blickte Moran eisern an.

„Mach mal halblang! Wenn du vor Holmes erscheinst, könntest du dir noch ein paar Ausreden zusammenreimen, da ihr euch kennt. Doch sobald er mich sieht, wird er direkt erkennen, dass ich ein ehemaliger Soldat hohen Ranges bin. Und was er dann daraus schließt, will ich lieber erst gar nicht wissen. Fakt ist, solltest du da nun tatsächlich reinstürmen, müssen Fred und ich uns aus dem Fall raushalten und können dich nur noch begrenzt aus dem Hintergrund heraus unterstützen. Somit würde es an dir und dem Detektiv liegen, das Kind zu schaukeln. Und als ob der Kerl sich so leicht hat schnappen lassen. Irgendetwas ist da faul. Das stinkt gewaltig zum Himmel. Eigentlich wäre es ratsam, dass ich noch zusätzlich das Hotel wechsle, falls er… Argh! Wir sind hier das Team, nicht du und Sherlock!“, schimpfte er mit gedämpfter Stimme und schlug seine geballte Faust gegen die Steinwand. Doch er wusste selbst nur zu gut, dass ihr unvernünftiges Vorhaben, der einzige Weg zum Ziel war, die Mission zum Erfolg zu führen.

„Ob Falle oder nicht, ich werde es gleich erfahren und bin auf alles Mögliche vorbereitet. Da muss ein Missverständnis vorliegen. Wollen wir außerdem wetten, dass William damit gerechnet hat, dass wir hier auf Sherlock stoßen? Um ehrlich zu sein habe ich keine Lust, ständig nach der Pfeife anderer zu tanzen. Eigeninitiative ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil, in einem gut funktionierenden Team. Also drehen wir uns nicht im Kreis, sondern laufen geradlinig nach vorn! Was für ein Quatsch, das Hotel zu wechseln. Eine Adelige reist nicht ohne Personal. Mit deinen ganzen Vorsichtsmaßnahmen, machst du alles nur noch wesentlich auffälliger. Das wird schon, vertraue Sherlock und mir. Wir treffen uns spätestens bei der Heimreise wieder. Bis dann!“ Miceyla zwinkerte ihm noch kurz lächelnd zu und machte sich bereit, sich unter das fragwürdige Geschehen vor ihr zu mischen. `Verstehe… Sherlock ist also derjenige, den du unter Einsatz deines Lebens beschützen willst. Wie lange das wohl noch gut gehen mag? Du hast Will nicht umsonst deine Treue geschworen. Das wird ein böses Ende nehmen…`, dachte Moran und bekam einen düsteren Gesichtsausdruck.

„Viel Glück… Und vergiss nicht, eine gute Kameradin, lasse auch ich niemals im Stich“, gab er ihr noch mit auf den Weg, kurz darauf wandte er sich mit dem deprimierenden Gefühl, sich nun im Hintergrund halten zu müssen, von dem Konflikt in der Mine ab.

„Lasst sofort Sherlock Holmes frei! Er arbeitet unabhängig von Scotland Yard und will euch garantiert nichts Böses! Wenn ihr schon um die Hilfe von Außenstehenden bittet, dann nehmt diese auch an und steht zu eurer Lebenseinstellung, Apostel von Lambeth!“, rief Miceyla geradewegs zu den in schwarzen Roben gekleideten Personen und baute sich in voller Größe vor ihnen auf. `Herrje… War das jetzt ein wenig zu direkt? Andererseits muss ich versuchen mir Respekt zu verschaffen und den Streit mit Worten lösen…`, dachte sie besonnen. Die unheimlich wirkenden Menschen, drehten sich allesamt in Miceylas Richtung. Ihre Gesichter blieben unter den Kapuzen der Roben verborgen. Aufgrund des schwachen Lichts, sah man ohnehin recht schlecht. Auch der Blick von dem am Boden gefesselten Sherlock, richtete sich abrupt auf sie. Er sah sie mit einem solch perplexen Gesichtsausdruck an, wie er dies noch nie zuvor getan hatte. Doch es brauchte nicht lange, da grinste er so breit, dass es beinahe schon eine Beleidigung, für die gesamte Situation darstellte. Einen Moment später sprang er mit einer solchen Wucht in die Höhe, als hätte er neuen Tatendrang gewonnen und streckte seine Glieder von sich, wobei all seine Fesseln gelockert zu Boden fielen, welche anscheinend nie wirklich festgebunden waren.

„Aha! So ist das also!“, sprach er enthusiastisch und schritt eilig auf sie zu. Miceyla schluckte schwer. Nun war sie gezwungen, ihr übermütiges Handeln wieder auszubaden.

„Miceyla, meine kühne Heldin, was für eine Überraschung! Mit deinem unerschrockenen Erscheinen, habe ich zugegebenermaßen nicht gerechnet. Mein Lob für deinen tapferen Auftritt. Ich war neugierig zu erfahren, welche Truppe die Herrschaften hinter mir um Unterstützung gebeten haben und wollte deren Vertrauenswürdigkeit auf die Probe stellen. Aber das du plötzlich auftauchst… Wo hast du deine netten Kameraden gelassen? Ich finde ihr Verhalten äußerst unhöflich, sich nicht wenigstens mal kurz ordnungsgemäß vorzustellen“, sagte Sherlock munter, hielt dabei seine rechte Hand über die Augen und tat so, als würde er nach ihren Freunden Ausschau halten.

„Für uns ist es beide ein Zufall, in dieser abgelegenen Mine aufeinanderzutreffen. Wir machen eben gerne Ausflüge zu ungewöhnlichen Orten, ha, ha! Aber was machst du eigentlich hier? Ist Scotland Yard der ganze Fall zu lästig geworden, sodass sie dich mit ins Boot geholt haben? Oder hilfst du den Aposteln von Lambeth aus eigenem Interesse heraus, nach einer friedlichen Lösung zu suchen?“, fragte sie ganz offen und konnte ihre Freude kaum verbergen, den eigentümlichen Detektiv wiederzusehen. Dennoch prüfte sie kurz das Verhalten der fünf Robenträger, die einfach nur schweigsam ihrer Konversation lauschten.

„Hm… Du weichst meiner Frage aus und bombardierst stattdessen mich mit lauter Fragen. Schön, schön. Dann bin ich halt ebenfalls frech und stelle dir die Gegenfrage: Was machst `du` hier in der alten Mine von Lambeth? Du musst wissen, die Lambeths sind nicht gerade sehr redefreudig. Das Wort Gastfreundschaft haben die auch noch nie gehört. So… Ich warte auf deine Antwort“, entgegnete Sherlock mit einem leicht neckenden Blick. `Komm schon, sage einfach das die Moriartys angeheuert wurden! Dein kleiner Ausflug war genaustens geplant. An ernsthafter Hilfsbereitschaft gibt es nichts zu bemängeln, doch mich interessieren die versteckten Absichten dahinter. Es werden nur selten Geschäfte eingegangen, ohne das für beide Seiten dabei etwas herauskommt. Und warum hat man gerade dich, in die brenzlige Lage mitreingezogen?`, dachte er hinzufügend und fixierte sie eindringlich mit seinen klaren Augen.

„Na das ist doch sonnenklar! Ich bin gekommen, um einem guten Freund aus der Patsche zu helfen!... Ha, ha, ich weiß, diese simple Aussage genügt dir nicht. Die mit Williams älteren Bruder befreundete Grafenfamilie Crawford, hat mich zu sich eingeladen. Und natürlich ist uns der Aufruhr, welcher sich hier zugespitzt hat, nicht entgangen. Sowas kann man doch gar nicht als entgegenkommende Adelsfamilie ignorieren. Die Vorbildfunktion und der gute Ruf eines gewissenhaften Adeligen, sind ein zentrales Aushängeschild in der heutigen Zeit und in unserer egoistischen Gesellschaft leider nur spärlich zu finden. Kurz gesagt sind wir eben sehr hilfsbereite Menschen“, sprach Miceyla mit aufrichtiger Glaubwürdigkeit. Eine Weile blickte er sie einfach nur zart lächelnd an. Auch seine eigene Freude darüber sie wiederzusehen, schien seine Skepsis zu überspielen. `Du hast wahrlich ein Talent dafür, Lügen zu deiner Wahrheit zu machen…`, dachte er während jener stillen Minute.

„Mit deiner ersten Antwort kann ich leben. Belassen wir es vorerst dabei. Du wirst dich wundern, doch der Konflikt ist nur nebensächlich der Grund, weswegen ich angereist bin Die Einzelheiten spare ich mir für einen besseren Zeitpunkt auf. Ich lasse dir nun den Vortritt zu versuchen, mit den Lambeths ein vernünftiges Gespräch zu führen“, meinte Sherlock geduldig und trat etwas zur Seite. Zum ersten Mal nach der ganzen Hektik, hatte sie die Gelegenheit, ihre Umgebung genauer zu betrachten und war sogleich überrascht. Die große Minenhalle war richtig wohnlich eingerichtet. Es gab sogar gepolsterte Möbel in hellen Farben und einen Altar, der liebevoll dekoriert worden war. Die Atmosphäre glich eher einem fröhlichen Festsaal, anstatt der eines düsteren Unterschlupfs. Wer auch immer sich die Innenausstattung hat einfallen lassen, besaß wahrlich einen guten Geschmack. `Ich muss verhindern, dass unser Auftrag zu Wort kommt. Hoffentlich können die Apostel soweit zwischen den Zeilen lesen, dass wir vor Sherlock ein wenig diskreter sein müssen…` Nach diesem letzten Gedanken, trat sie ein paar langsame Schritte nach vorn. Sofort stellten sich vier große Männer, schützend vor eine wesentlich kleinere Person.

„Ich bin Miceyla Moriarty. Mein Wunsch ist es, eine gerechte Lösung für alle zu finden. Seht die Kette mit dem Anhänger. Mein Versprechen sei euch sicher, dass meinen Absichten, die pure Aufrichtigkeit zu Grunde liegt. Auch ich…war früher ein Opfer einer falschen Gerechtigkeit…“, sprach sie ehrlich und hielt jene funkelnde Kette in die Höhe, welche jedes der treuen Mitglieder umhängen hatte.

„Bitte tretet zurück.“ Die vier Männer gehorchten und ein junges Mädchen zog sich die Kapuze vom Kopf. `Hat dieses Kind hier etwa das Sagen?! Die ist doch bestimmt noch nicht älter als Vierzehn. Naja, die ganze Organisation an sich, fällt schon aus dem Rahmen…` Miceyla wollte ihren Respekt für die junge Dame zum Ausdruck bringen und neigte etwas vor ihr den Kopf. Das Mädchen trug ihre glatten braunen Haare, gerade mal auf Kinnlänge und ihre glasigen Augen blickten sie besonnen an.

„Ich heiße dich als unsere Schicksalsbotin willkommen. Vergib die unwegsamen Vorkehrungen. Zu allererst stelle ich mich kurz vor. Meinen Adelsnamen habe ich abgelegt, daher nennt man mich nur noch Freesia. Als Adelige wurde ich geboren und von meinen Eltern als Tochter verschmäht, da sie sich einen Sohn für ihr Erbe gewünscht hatten. Ich wurde behandelt wie eines der Dienstmädchen. Ich sollte früh verheiratet werden und man teilte mir einen Heiratsanwärter zu, der mich sogleich mit auf sein Anwesen nahm. Meinen Eltern war mein eigenes Glück vollkommen gleichgültig. Dieser Mann verhielt sich furchtbar grob mir gegenüber… All diese Pein und Erniedrigungen. Wäre dies meine Zukunft gewesen, so hätte ich mein Leben beendet. Jedoch gab es wie durch ein Wunder, eine neue Hoffnung für mich. Ich wurde gerettet, von einem Helden, den mir der Himmel geschickt hatte“, erzählte Freesia gefasst und wirkte kein wenig bedrückt darüber, von ihrer schweren Vergangenheit zu erzählen. Sherlock schnalzte kurz misslaunig mit der Zunge. Miceyla sah kurz zu ihm herüber und fragte sich, vorüber er sich auf einmal so sehr ärgerte.

„Er war es auch der mich dazu ermutigt hat, diese Organisation zu gründen. Dank ihm wurden die Apostel von Lambeth ins Leben gerufen und ich erhielt die Chance, meine Dienste in den Kampf für eine bessere Welt zu stellen. So stark und rechtschaffen ist er, ein wahrer Held eben. Mir ist es untersagt, näheres über seine Person preiszugeben. Doch manche seiner Worte, müssen einfach mit Außenstehenden geteilt werden, es wäre sonst eine Schande drum. So sagte er zum Beispiel, dass jeder von uns Menschen eine Blume sei. Jede von ihnen wird unter unterschiedlichen Voraussetzungen geboren. Manchen fehlt das Licht, die Fürsorge. Anderen mangelt es an Regen, der Nahrung. Und die meisten sehnen sich nach Luft, der Anerkennung, Liebe und Wertschätzung. Einige Blumen werden plötzlich zertrampelt, obwohl sie gerade erst in voller Blüte erstrahlen. Neid und Hass erdrücken die Träume. Doch eines hat jede der Blumen gemeinsam. Denn früher oder später ist jede von ihnen dazu verdammt zu verblühen. Egal wie viel ein Mensch in seinem Leben erreicht hat, ob er arm oder reich, hinterhältig oder gütig war, den eigenen Tod kann keiner verhindern. Jeder von uns ist und bleibt eine machtlose Kreatur, die an sein Schicksal gefesselt ist. Wer dieses Schicksal zu durchbrechen versucht, wird zu einem Narren und verkennt den Wert des Lebens. `Öffnet eure Augen, sonst werdet ihr all die wunderschönen Blumen übersehen, die direkt neben euch still erblühen. Sie sind das wahre Gold dieser Welt.` Diese Worte haben mein Herz berührt und bleiben auf ewig mein Leitsatz…“, fuhr Freesia fort und faltete kurz mit geschlossenen Augen die Hände zusammen. `Da stimme ich ihr zu, dies ist ein treffender Vergleich. Es steckt sowohl ein tiefgründiger Sinn, als auch etwas Träumerisches dahinter. Das muss wirklich ein sehr kluger und außergewöhnlicher Mensch sein. Wie gerne würde ich ihn einmal kennenlernen`, dachte Miceyla mit Begeisterung und konnte die Schwärmerei des Mädchens, nur zu gut nachvollziehen.

„Nun denkt nicht, dass es viel zu dem eigentlichen Thema, weswegen du und der Detektiv angereist seid, zu besprechen gäbe. Die Unheiligen werden unsere lobpreisenden Taten und Entschlossenheit schon noch zu spüren bekommen und sich dem beugen müssen“, sprach Freesia unerbittlich.

„Die Unheiligen?“, wiederholte Miceyla grübelnd.

„Sie spricht von Scotland Yard“, flüsterte Sherlock ihr leise zu.

„Oh, ach so!“ Sie musste sich ein belustigtes Lachen verkneifen.

„Schon heute Nacht, werden wir erneut zuschlagen. Einige Hilfsbedürftige erwarten bereits unsere Rettung in der Not. Unterstützt uns bei dem Zwist mit der Polizei oder lasst es bleiben. Hauptsache ihr kommt unserer Arbeit nicht in die Quere. Es wäre mir nun genehm, wenn ihr euch jetzt entfernt. Ich werde den Wachen Bescheid geben, euch passieren zu lassen, falls doch noch etwas Wichtiges besprochen werden muss“, verabschiedete sich die junge Anführerin der Lambeths und wandte ihnen den Rücken zu.

„Hach! Endlich wieder an der frischen Luft! Hat ja nicht unbedingt viel gebracht, die ganze

Unterredung. Diese Freesia strotzt nur so vor Stolz. Aber sie hat ein äußerst intelligentes und erwachsenes Wesen. Zudem übernimmt das Mädchen eine Menge Verantwortung“, meinte Miceyla, als sie mit Sherlock die Mine durch den Haupteingang verlassen hatte und sie nun zu zweit waren.

„Aber du hast weitaus mehr erreicht als ich. Liegt wohl an deinem hübschen Anhänger. So ein Unikat, hat man mir leider nicht geschenkt…“, sagte er beiläufig. Da legte er auf einmal mit einem freundschaftlichen Lächeln, eine Hand auf ihre Schulter.

„Ich bekam da drinnen in der modrigen Höhle, noch nicht wirklich die Gelegenheit, dich richtig zu begrüßen. War alles etwas zu chaotisch. Es tut gut dich zu sehen, Miceyla.“ Bei seinem strahlenden Blick, wurde ihr unsagbar warm ums Herz. Zwar verhielt Sherlock sich ihr gegenüber, vor der Hochzeit noch recht distanziert, doch nun behandelte er sie wieder ganz normal. Für ihn war sie immer noch die Alte und keine äußeren Einflüsse, vermochten daran etwas zu ändern. Es machte sie glücklich, dass er sie wie eine ganz gewöhnliche junge Frau behandelte. Miceyla bewunderte an ihm, dass er Standesunterschiede und adelige Etiketten nicht als Vorwand sah, eine Freundschaft aufrecht zu erhalten.

„Ich habe deinen rätsellösenden Spürsinn, in letzter Zeit sehr vermisst. Ähm… Heißt das also, wir nehmen beide den Fall des Lambeth-Konflikts in die Hand und arbeiten zusammen?“, fragte die hoffnungsvoll.

„Na wo denkst du hin! Du weißt doch: Eine gute Tat und ein nett gemeinter Rat, bewahren dich, ehe dir ein böses Ende naht. Siehst du, ich lebe ganz nach deinem Motto“, sprach er grinsend.

„He! Jetzt klaust du mir schon meine Sprüche, ha, ha. Aber sag mal, wo hast du denn wieder John gelassen? Als Team lassen sich schwierige Fälle viel leichter lösen. Nichts macht eine Reise angenehmer, als einen guten Weggefährten bei sich zu wissen“, hakte Miceyla lächelnd nach. Sherlock blickte plötzlich beleidigt drein.

„Er hat sich geweigert mitzukommen… Die wahren Gründe meiner Recherche, passen ihm nicht wirklich, aus diversen Gründen. Jedoch wird sich das bald radikal ändern“, murmelte er mit trüben Augen.

„Oje… Habt ihre zwei euch wieder gezankt? Andere Sichtweisen zu verstehen, ist oftmals sehr schwierig. Besonders wenn es um deine geht“, antwortete sie ruhig.

„Mal etwas ganz anderes…“ Sherlock blieb auf einmal stehen und stellte sich dicht vor sie. Anschließend kam er ihrem Gesicht so nahe, dass ihre beiden Nasenspitzen sich beinahe berührten. Miceyla meinte, er wolle sie mit seinem intensiven Blick verschlingen. Ruckartig wich sie zurück und hielt sich verlegen die Hände vor das Gesicht.

„W-was sollte das?! Könntest du einen vielleicht mal, bei deinen merkwürdigen Eigenarten vorwarnen?“ stammelte sie durcheinander.

„Ha, ha, ha! Eine gesunde Reaktion. In dieser Hinsicht hast du dich jedenfalls nicht verändert. Was ich allerdings eigentlich anmerken wollte war, dass du einiges an Gewicht verloren hast. Du warst ja vorher schon sehr schlank. Die adeligen Leute sind fast rund um die Uhr am futtern und legen ordentlich Gewicht zu. Bei dir scheint es jedoch den gegenteiligen Effekt zu haben, in die obere Schicht aufgestiegen zu sein“, sprach er amüsiert und zündete sich lachend eine Zigarette an.

„Oh, ist das so offensichtlich? Bis jetzt hat mich noch niemand darauf aufmerksam gemacht“, erwiderte Miceyla überrascht.

„Es hat mich eben in der halbdunklen Mine, nicht mal zehn Sekunden gebraucht, um dies festzustellen. Doch es liegt nicht am Essen, du bewegst dich in letzter Zeit viel öfter als gewöhnlich. Kein Sport zum Vergnügen, nein, du wirst gezielt trainiert. Und nicht von irgendwem, es muss jemand sein, der jahrelange Kampferfahrung besitzt. Deine rechte Hand sieht auch ganz schön mittgenommen aus, all die Druckstellen… Mit ein paar interessanten Waffen hast du da gespielt. Aber zu welchem Zweck dient das Ganze?“, analysierte Sherlock nun wesentlich ernster. Miceyla lief hektisch vor ihm auf und ab, damit er sie nicht mehr wie eine Statue beobachten konnte.

„Na das ist doch selbsterklärend! Für ein Abenteuer wie dieses! William wünscht sich, dass ich stark und unabhängig werde, sodass er nicht ständig in Sorge um mich sein muss. Außerdem mag ich stets in vorderster Reihe mitmischen. Ein langweiliges Leben als Hausfrau, ist nichts für mich. Die Tätigkeitsfelder der Männer, sind wesentlich aufregender und interessanter.“ Nach ihrer selbstbewussten Antwort, lächelte Sherlock kurz.

„Klar, deine eigenen Einstellungen kenne ich in- und auswendig. Dennoch sieht es für mich eher danach aus, als würde man dich…auf das Töten vorbereiten…“ Miceyla erstarrte bei seinen scharfen Worten und begann zu zittern. Was sollte sie nun zu ihrer Verteidigung sagen? Wenn dies so weiterginge, verlor sie all ihre Überzeugungskraft. Sie war seinem hellwachen Instinkt einfach nicht gewachsen. `Sieh dich nur an, du willst es ja selbst nicht wahrhaben. Nein, du weigerst dich sogar es einzugestehen. Die Wahrheit schönzureden, bereitet dir nur noch mehr Kummer. Lass uns hoffen, dass meine finsteren Vorahnungen, niemals eintreffen werden. Eine Person zu etwas zu bringen, dass sie normalerweise aus eigenem Willen heraus, unter keinen Umständen tun würde, ist eine grausame Untat. Und ist William Moriarty, wirklich einfach bloß ein rechtschaffender Mathematiker, der deine Gunst gewonnen hat? Diese Frage stelle ich mir immer wieder aufs Neue. Sein gerissener Verstand erlaubte es ihm, die Schattenseite deines Herzens hervorzulocken und damit nach belieben zu experimentieren. Beim bloßen Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut… Die ganzen Spekulationen vermitteln mir den Eindruck, als stündest du vor den Toren zu zwei unterschiedlichen Welten, Miceyla. Die Welt der Gesetzeshüter und die der Verbrecher. Welche wirst du wählen, solltest du dazu gezwungen werden eine Entscheidung zu treffen? Oder besser, welche werden `wir` wählen. Denn manchmal bleibt nur noch eine letzte Option übrig. Und die lautet Feuer mit Feuer zu bekämpfen, ehe alles aus dem Ruder läuft…`, dachte er mit gemischten Gefühlen. Nach und nach nahm sein Gesicht aber wieder freundlichere Züge an.

„Tut mir leid, ich wollte dir damit keine Angst machen. Es freut mich doch, wenn deine Talente gefördert werden und du dich endlich frei entfalten kannst. Des Weiteren habe auch ich etwas davon. Sonst müsste ich dich von jeder brenzligen Situation fernhalten, hättest du nicht die geeigneten Fähigkeiten und Konditionen. Nun gut, genug geplaudert. Ich werde mir dann mal einen netten Plan ausdenken, wie wir diese ganze Lappalie rasch über die Bühne bringen. Ich komme auf dich zu, sobald meine Ideen Form annehmen“, verkündete Sherlock knapp ihr weiteres Vorgehen und lief mit einer winkenden Hand gemächlich davon, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen.

„Warte! Weißt du überhaupt, wo du mich finden kannst?“, rief Miceyla ihm noch verwirrt hinterher, doch er reagierte nicht mehr.

„Hach… Sherly…“
 

Die Nacht brach herein, eine dichte Wolkendecke verbarg den Sternenhimmel und der Wind rüttelte von außen an den Fensterläden. Miceyla befand sich auf ihrem Hotelzimmer und saß bei flackerndem Kerzenschein, an einem kleinen Tisch. Nach Schlaf war ihr nicht zumute, daher schrieb sie in ihr Tagebuch. Weder Fred noch Moran, hatte sie am restlichen Tag noch einmal zu Gesicht bekommen. Garantiert zogen beide zurate, das Geschehen im Verborgenen zu beobachten und nur dann einzuschreiten, sollte es ernsthafte Schwierigkeiten geben. Seufzend legte sie ihren Stift ab. Ihr war kalt und sie fühlte eine seltsame Leere in sich. Sie dachte darüber nach, was William wohl gerade tat. Ob er auch an sie dachte und wieder die ganze Nacht durcharbeitete. Es war ihr von Anfang an bewusst gewesen, dass sie häufig getrennt voneinander agieren mussten und sich für eine längere Zeit nicht sehen konnten. Doch jetzt wo Miceyla es am eigenen Leib erlebte, fühlte sie wie schmerzhaft es in der Realität war. Es glich einer ganz neuen Form der Einsamkeit. All die geliebten Menschen, welche in ihr Leben getreten waren, schienen plötzlich weit entfernt. Wahres Glück war für sie etwas anderes und schien ihr momentan nicht vergönnt zu sein. Jeden Tag beisammen zu sein und gemeinsam zu lachen, blieb wohl Wunschdenken. Ein Versprechen galt es zu bewahren, aus jedem schönen Moment, eine unvergessliche Erinnerung zu machen. Denn die Zeit konnte niemand anhalten, sie lief ihnen unaufhörlich davon. Nicht nur sie selbst benötigte eine Stütze, um ihren Pfad sicher zu beschreiten, auch William brauchte sie an seiner Seite. Damit sie ihm Kraft spendete und ihn immer mit einem warmherzigen Lächeln begrüßte. Miceyla zweifelte nicht an seinem zielstrebigen Voranschreiten, seine perfekten Pläne durchzusetzen. Jedoch konnte eine schwere Bürde, einen ganz urplötzlich von innen heraus erdrücken. Aber nicht nur William benötigte liebevolle Zuwendung, damit sein Herz nicht aufgrund der ganzen schändlichen Taten zu Eis gefror… Sie erhob sich und lief zu einem ihrer Koffer. Sorgsam öffnete sie ihn und holte ein kleines, dunkellilafarbenes Samttässchen hervor, in welchem sich die aquamarinblaue Halskette befand. Miceyla nahm die Kette und setzte sich an eine Spiegelkommode. Kurz darauf legte sie sich die Kette an und fuhr mit den Fingern über den funkelnden Stein. Sofort wurde sie an jenen Moment ihrer Hochzeit erinnert, wo Albert ihr die Kette geschenkt hatte. Für sie fühlte es sich so an, als wäre ein Teil von ihm immer bei ihr, um sie zu beschützen. `Vielleicht sollte ich ihm einfach mal einen Brief schreiben und ihn dann heimlich auf seinen Schreibtisch legen. Dies müsste Albert eine große Freude bereiten…`, dachte sie lächelnd. Der kurze melancholische Moment endete jäh, als es plötzlich von außen laut am Fenster klopfte. Panisch fuhr Miceyla herum und wollte schon instinktiv nach einer Waffe greifen. Doch da erkannte sie im schwachen Licht das Gesicht von Sherlock und seufzte erleichtert.

„Meine Güte, du altes Ungeheuer! Wie hast du es bloß fertiggebracht, den Balkon im zweiten Stock zu erreichen? Und woher wusstest du, in welchem Hotel ich mich befinde?“, fragte Miceyla neugierig beim öffnen des Fensters und war viel eher belustigt als verwundert. Bei ihm wunderte sie sich wirklich über gar nichts mehr.

„Wie ich hier raufgekommen bin… Das willst du lieber nicht wissen. Die feine Bude schließt leider die Pforten für ungebetene Gäste. Na, in diesem riesigen Hotel, das speziell die reichen Gäste aufnimmt, kann man dank der hohen Sicherheit herrlich untertauchen, oder? Und deine Vorhänge waren so zugezogen, dass sich in der Mitte ein perfekt symmetrischer Spalt befand. Dies war auch in deiner alten Wohnung der Fall… Es stört dich, wenn deine Umgebung nicht bis ins kleinste Detail ästhetisch ist. Tja und auf diese Weise, konnte ich mit Leichtigkeit dein Zimmer ausfindig machen“, erklärte er gelassen und trat eilig ins Warme. Sie schloss rasch wieder das Fenster, als ein pfeifender Wind um sie tobte und betrachtete ihn anschließend schmunzelnd. Er trug eine verdreckte Lederhose und oberhalb einen zerfetzten Umhang. Seine schwarzen Haare fielen ihm noch zerzauster als sonst, wegen des Sturms auf die Schulter.

„Nette Kleidung, wo hast du die denn mitgehen lassen? Du siehst aus wie ein Räuber.“

„Schick, nicht wahr? Hab ich mir geborgt. Ist der letzte Schrei! Ne, grässlich diese alten Lumpen. Und der modrige Gestank erst! Das trage ich nur für unseren Plan. Scotland Yard darf mich nicht so schnell identifizieren. Bei Nacht sind die Kerle sowieso halb blind“, meinte er und verzog missfallend sein Gesicht.

„Also… Der Zigarettengeruch ist immer noch am intensivsten. Du hast die märchenhafte Szene zerstört. Hättest dich ruhig etwas feiner machen können. Es wäre die perfekte Inspiration für meine Geschichten gewesen“, sagte sie gespielt enttäuscht und schnüffelte ausgiebig an ihm. Sherlock blickte Miceyla nur fragend an.

„Welche märchenhafte Szene?“

„Na, jene Nacht, in der ein armer Bauernknabe seine Angebetete im Schloss besucht. Heimlich klettert er hinauf zu ihrem Zimmer und sie hält ihm lächelnd ihre Hand entgegen, um ihm vom Fenster aus hineinzuhelfen. Ist das nicht herrlich romantisch?“, sprach Miceyla hingebungsvoll und tanzte dabei durch den Raum.

„Urgh… Ich hätte wissen müssen, dass jetzt sowas in der Richtung kommt. Freut mich, wenn ich für dich den Clown spielen konnte“, meinte Sherlock etwas gleichgültig, musste aber selbst darüber lachen.

„Nun weiß ich, wie ich dich in Zukunft ärgern kann“, neckte sie ihn und kicherte über ihren eigenen Scherz. Doch steckte mehr Ernsthaftigkeit dahinter, als es vermuten ließ. Er war für jeden Spaß zu haben und sie liebte es einfach, mit ihm zusammen herumzualbern.

„Jetzt bist du wieder putzmunter. Als ich hier reinkam, hast du mich noch mit einem teilnahmslosen Blick angesehen. Warum sitzt du hier mit trüber Stimmung? Ich dachte, wo du nun endlich den Mann geheiratet hast den du liebst, wärst du nun der glücklichste Mensch auf Erden. Die Welt ist wohl doch nicht so heile, was? Du wünschst dir Zweisamkeit, welche dir verwehrt bleibt.“ Sherlocks abrupter Themawechsel, ließ Miceyla wieder einen eisigen Schauer in sich spüren und sie schwieg, ohne ihm etwas zu entgegnen.

„Und du denkst viel zu viel über alles nach. Darüber was andere denken könnten, wie dein Verhalten ankommt und was du als Nächstes zu wem sagst, um Konflikte zu vermeiden. Weisen Menschen liegt planendes Denken im Blut, doch du zerstückelst deine Sorgen nochmals in unzählige neue Probleme und machst daraus eine Endlosschleife. Dadurch legst du dir selbst nur unüberwindbare Schranken in den Weg und kommst nicht vorwärts. Lerne Haken an Tatsachen zu setzen und mit ihnen abzuschließen. Was bringt es im stillen Kämmerlein vor sich hinzugrübeln, obwohl man eigentlich machtlos ist? Während dieser vertrödelten Zeit, sind dir andere bereits Meilen voraus und widmen sich neuen Aufgaben. Akzeptiere den Stand der Dinge und nutze die Möglichkeiten, die du besitzt. Und ganz wichtig, halte deine eigenen Gedanken, immer von den anderer differenziert. Du kannst nicht erforschen, was andere wirklich denken. Es bleibt eine einzige Rätselraterei. Die Logik liegt in allem, was sich mit Wissen und Wahrnehmungen realitätsgetreu erklären lässt. Aber deinen eigenen Gedanken sind keine Grenzen gesetzt. Also genieße deine innere Freiheit und verschwende nicht dein Potenzial, das in dir schlummert. Was für einen Wissensschatz du zu besitzen wünschst, hängt allein von dir ab. Es ist reine Kopfsache, mit was du dich tagtäglich auseinandersetzen willst. Keiner kann darüber bestimmen, solange du es nicht zulässt. Also entrümple mal deine Gedanken und schmeiße alles Belanglose fort und schaffe Platz. Nicht nur für Neues, sondern allem voraus um Wesentliches zu verschärfen. Was glaubst du, wie du dadurch einen Triumph nach dem nächsten erzielst. Dein Umfeld wird staunen und den Hut vor dir ziehen. Das war jetzt vielleicht ein wenig ausschweifend. Jedoch lege ich diesen guten Rat, ganz besonders dir ans Herz, da du eine der wenigen bist, die geistig dazu befähigt ist, dies in die Tat umzusetzen. Hinzu kommt, dass du dir nichts zu Kopf steigen lässt und stets bescheiden und vernünftig bleibst,“ vertraute er ihr ungewöhnlich besonnen, seinen tiefgründigen Ratschlag an. `Und vor allem um dich davor zu bewahren manipuliert zu werden und dich wie eine Skulptur formen zu lassen. Ich kann nur immer wieder betonen, bitte, bitte beherzige meine Worte. Lass dein strahlendes Licht die Dunkelheit durchbrechen…`, fügte er noch still mit einem beklommenen Gefühl in der Brust hinzu.

„Sherlock… Deine Lebensweisheiten haben beinahe schon…wie soll ich sagen…einen poetischen Nachklang. So kenne ich dich gar nicht. Du entpuppst dich noch als richtiger Seelenklempner. Ich finde, du solltest ebenfalls deine eigenen Ansichten zu Papier bringen. Damit könntest du einiges in unserer trostlosen Gesellschaft bewegen“, sagte sie berührt und lächelte ihn voller Wehmut an.

„Dies brauche ich überhaupt nicht zu tun. Denn ich habe doch zwei großartige Schriftsteller um mich herum, die meine Zitate in ihren Werken verewigen. Du und John werdet einmal zu dem unsterblichen Beweis, welche Höhen und Tiefen sich in diesem Zeitalter ereignet haben“, sprach er wahrlich glücklich darüber und lächelte sie nun auch sanftmütig an. Ihr Herz pochte, seine Worte machten sie froh und es gab ihr Mut, dass er sie wie immer ernst nahm. Jedoch schmerzte es merkwürdigerweise gleichzeitig, es auf diese Weise zu hören bekommen. Plötzlich war sie nicht mehr dazu in der Lage, ihre Gefühle zurückzuhalten und ließ Tränen über ihre Wangen kullern, die sie viel zu lange in sich gefangen gehalten hatte.

„Danke…danke das ich mit dir befreundet sein darf…“, schluchzte Miceyla und versuchte vergebens sich die Augen trocken zu reiben. Sherlock schritt langsam auf sie zu, streichelte über ihren Kopf und drückte ihn anschließend sanft gegen seine Schulter.

„Es ist in Ordnung zu weinen. Du bist erst dann tapfer, wenn du dich nicht ständig damit abmühst stark zu sein. Das du den Mumm besitzt, zu jeder Zeit deine ehrlichen Emotionen zu zeigen, macht dich sehr authentisch. Wir kämpfen uns alle auf unsere eigene Art durch das Leben. Einfach ist es nie, aber wir halten zusammen. Stimmst du mir da zu?“, meinte er aufmunternd. Jedoch merkte sie sofort, wie er sich abmühen musste, die richtigen Worte zu finden. Er schien sich in dem Moment etwas unwohl zu fühlen, aber nicht auf negative Weise.

„Du stinkst fürchterlich…“, kam von ihr nur eine schniefende Antwort und sie schaffte es sogar zu lachen. Verlegen nahm er seine Hand von ihr und sie stellte sich wieder aufrecht hin.

„Vielleicht lenken praktische Tätigkeiten, von meinen ganzen Grübeleien ab. Ich sehne mich nach jemandem, der meine Hand nimmt und mir die große weite Welt zeigt. So banal wie es auch klingen mag. Doch wozu lebt man, wenn das Herz sich in einem Käfig befindet? Das macht das Leben nicht lebenswert. Der Abstand zwischen Sinn und Sinnlosigkeit, ist nicht wirklich groß. Denn jeder Mensch, gestaltet seine eigenen Wünsche und Träume selbst und formt daraus ein ganz persönliches, individuelles Universum, dass für ihn Sinn ergibt.“ Der positive Glauben kehrte allmählich zu ihr zurück.

„Siehst du. Daher ist es auch unabdingbar, sich von Zeit zu Zeit einer Person anzuvertrauen, die einen versteht und richtig bei allen Sorgen zuhört. Und habe ich dich jemals zurückgewiesen? Na los, die weite Welt da draußen wartet schon darauf, von uns beiden unsicher gemacht zu werden! Es beginnt gleicht jetzt! Bereit für eine Nacht-und-Nebel-Aktion und alles stehen und liegen zu lassen? Für solch ein Abenteuer, brennen wir doch beide!“, beschloss Sherlock motiviert und stützte seine Arme breit grinsend auf seiner Hüfte ab.

„Worauf du dich verlassen kannst! Schieß mit deinem Plan los!“, gab Miceyla sich enthusiastisch einverstanden.

„Sehr schön! Es wird kein großes Spektakel. Die Lambeths müssen einfach nur unter Beweis stellen, dass sie mit Rücksicht handeln können und sich kooperativ zeigen. Wir fädeln das Ganze so ein, dass Scotland Yard bereit ist, ein vernünftiges Gespräch mit ihnen zu führen. Folgendermaßen gehen wir vor: Du bist heute Nacht eine wehrlose Dame, die von einem Wahnsinnigen überfallen wird, der von keinem geringerem als mir gespielt wird. Unsere eigennützigen Freunde, werden dir vor den Augen der Polizei zu Hilfe heilen. Es ist eine hochrangige Heldentat, eine junge Adelige zu retten. Da stellt jeder Polizist seine vorwurfsvollen Diskussionen abrupt ein. Da kannst du endlich mal deinen neuen Rang ausnutzen und ich natürlich auch, he, he. Am Ende werde ich mich zu erkennen geben, auch wenn es ein Heidenspaß ist, Scotland Yard in die Irre zu führen. Aber vor allem würde ich gerne vermeiden, hinter Gitter zu landen. Die Lambeths wissen grob über meinen Plan Bescheid. Vorhin wurde schon eifrig gemunkelt, dass es in dieser Nacht zu einem heftigen Aufeinanderprall, der beiden Fronten kommen könnte. Wir haben also keine Zeit zu verlieren, machen wir uns schleunigst auf den Weg. Da ich hier in Lambeth, wieder einmal nicht mein eigentliches Ziel erreicht habe, bin ich etwas schlecht gelaunt und mag wenigstens für einen sinnreichen Zweck hier gewesen sein, wenn ich schon mit leeren Händen nach Hause fahren muss. Keine Sorge, ich kläre dich später darüber auf, wessen Spur ich verfolge, damit du den neusten Stand der Dinge kennst. Jetzt hält uns das nur auf. Verschieben wir den etwas komplexeren Austausch. Ich führe dich zu dem Ort, wo wir unser Schauspiel vollführen. Schmeiß dir rasch eine Jacke über, dann mogele ich mich dieses Mal, mit dir zusammen durch den Eingang im Foyer. Bin deine provisorische Begleitung. Gut, mehr brauchst du nicht zu Vorbereitung, siehst zu jeder Tageszeit hübsch aus. Und ich vermute, dass es gleich einen heftigen Niederschlag geben wird…“, erklärte er gelassen und bediente sich am Dessert ihres Abendmahls.

„Du hast also vor den Verbrecher zu spielen… In Ordnung, wenn du meinst, dass dein Plan funktioniert, gebe ich mir Mühe bei meiner Rolle.“

„Ah und noch etwas. Gehe ich richtig der Annahme, dass sich unter deinem Gepäck eine Waffe befindet? Dann nimm sie bitte mit, man kann nie wissen“, bat Sherlock sie noch vorsorglich.

„Ja, hier.“ Miceyla holte einen Revolver hervor, den sie auch rasch wieder wegsteckte, damit sie ihn nicht groß vor ihm zur Schau stellte. Sonst analysierte er nachher anhand eines kurzen Blickes den Waffenhersteller. Und sie fand es fast schon verwunderlich, wie tolerant er mit der Tatsache umging, dass sie mit einer geladenen Waffe herumlief. Geschwind zog sie ihren Mantel an und schloss, nachdem sie mit Sherlock das Hotelzimmer verlassen hatte, die Tür ab. `Augenblick mal… Hat er mich gerade eben `hübsch` genannt? So ein Wort aus seinem Mund zu hören, ist ein wenig ungewohnt… Ich sollte nicht wieder so viel da hineininterpretieren, wenn bei ihm dabei kein Funken Gefühl dahintersteckt…`, dachte Miceyla noch als die Tür ins Schloss fiel und schüttelte kurz kräftig den Kopf, um sich auf ihren geplanten Friedensakt zu konzentrieren. Es bereitete ihnen keinerlei Schwierigkeiten, dass Hotel mehr oder weniger unbemerkt zu verlassen. Im strammen Tempo rannte sie hinter Sherlock durch die stürmische Nacht. Er führte sie zu einem eingezäunten Grundstück, auf dessen Mitte sich eine große Villa befand. Die Außenfassade des Hauses war teilweise stark beschädigt und es gab kaum noch ganze Fensterscheiben.

„In dem Gebäude wird heimlicher Sklavenhandel betrieben. Die Apostel von Lambeth, dürften da drinnen gerade schwer beschäftigt sein. Und wie du siehst, hat sich bereits eine ganze Scharr Polizisten, vor dem äußeren Zaun positioniert und die gesamte Villa umstellt. Sie warten darauf, die heiligen Helden in Spe abzufangen. Ich glaube Worte bleiben diesmal nicht das einzige Mittel, von dem sie Gebrauch machen werden… Noch ehe es zur Eskalation kommt, starten wir unser kleines Schauspiel. Solange bleibe ich unsichtbar und warte auf meinen Einsatz. Du kannst bestimmt herrlich laut schreien. Bis gleich“, sprach Sherlock leise, während sie gemeinsam unter einer Gruppe von Bäumen Schutz suchten. Miceyla nickte ihm bestätigend zu und verließ mit leisen Schritten ihr Versteck. Der Sturm verstärkte ihre Anspannung und obwohl sie nun mit dem erfahrenen Sherlock die Mission ausführte, bekam sie trotzdem das sich einschleichende Gefühl, dass etwas gleich schief gehen sollte. Sie wusste nicht ob es ein Verhängnis war, ständig vom Schlechten auszugehen. Und zu allem Überfluss, prasselten jetzt auch noch dicke Regentropfen auf sie herab. Einer der Polizisten wurde auf Miceyla aufmerksam, als sie in dessen Nähe vorbeispazierte.

„Guten Abend mein Fräulein! Zu solch später Stunde noch alleine unterwegs? Dann sehen Sie zu, dass Sie schnell nach Hause kommen. Es ist sehr ungemütlich heute Nacht und viele Trunkenbolde treiben in der Gegend ihr Unwesen“, warnte er sie in einem freundlichen, dennoch beharrlichen Ton.

„Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis. Ich werde mich beeilen. Dank Scotland Yard, fühle ich mich viel sicherer nachts auf den Straßen“, antwortete sie lächelnd, mit einer Spur versteckter Ironie und lief unbeirrt weiter. Ein gutes Stück hatte Miceyla sich entfernt, da blieb sie stehen und wartete mit einem beobachtenden Blick ab, bis jemand aus der Villa trat. Nicht lange brauchte sie an Ort und Stelle auszuharren, da betrat eine Gruppe von sieben Personen den kargen Vorgarten. Unverkennbar handelte es sich bei ihnen um die Apostel von Lambeth. Beinahe zeitgleich, rückte auch schon die Polizei mit gezückten Waffen an. `Jetzt ist der geeignete Moment! Es kann losgehen!` Sie holte einmal Tief Luft, um laut nach Hilfe zu rufen. Doch sie hielt inne, als etwas ganz anderes, die Aufmerksamkeit von Scotland Yard erweckte.

„Hey! Du da, stehen geblieben! Was treibst du hier? Siehst mir sehr verdächtig aus, du dreckiger Straßenköter!“, rief einer der Polizisten argwöhnisch. `Was macht Sherlock dort drüben?! Und warum hat man ihn schon entdeckt? Er sollte sich doch in meiner Nähe aufhalten. Ihm unterlaufen nicht solche fahrlässigen Fehler. Da muss ein Dritter seine Finger mit im Spiel haben…`, dachte Miceyla verwirrt und sah verzweifelt dabei zu, wie ihr Kamerad von den Polizisten umzingelt wurde. Weder flohen die Apostel von Lambeth, noch schritten sie ein. Der erste Polizist begann Sherlock mit einem Schlagstock zu attackieren. Wundersamerweise hielt dieser ebenfalls einen langen Stock parat und gewann schnell in dem hektischen Gefecht die Oberhand. `Sherlock kann ebenfalls unheimlich gut fechten… Auch wenn er einen ganz anderen Stil hat als William`, stellte sie bewundernd fest und konnte nicht anders, als wie gebannt zuzusehen. Jeder seiner Hiebe war geschmeidig und er bemühte sich darum, den Polizisten nicht ernsthaft zu verletzen. Doch dies rettete die Situation nun auch nicht mehr, der Plan war gescheitert… Da näherte sich ihr plötzlich ein Mann in einer schwarzen Robe. Direkt vermutete Miceyla, dass er ein Mitglied der Lambeths sein musste. Sie war erleichtert darüber, jemand Vertrauliches bei sich zu haben und wollte ihn ansprechen. Aber aufgrund seines fragwürdigen Verhaltens, blieb sie vorerst stumm. Mehrmals umkreiste der Mann sie, dann stellte er sich vor sie und berührte mit einer kalten Hand ihren Hals. Bei dem was er wenige Sekunden später tat, vergaß sie vor Schreck das Atmen. Mit einem ruckartigen Handgriff, entriss er ihr die Kette und hielt das kostbare Juwel fest umklammert.

„H-he, meine Kette! Geben Sie mir die Kette sofort wieder!!“, befahl Miceyla entsetzt und verunsichert. `Oh nein, Alberts Kette! Warum musste ich sie auch anbehalten? Ich Idiot!` Da rannte der Mann ohne ein Wort zu sagen davon.

„Nein, warten Sie!“, schrie sie panisch und sah wie er auf einen hohen Glockenturm zu schnellte. Mit rasendem Herzen, blickte sie sich hastig nach Sherlock um und wusste, dass er alleine zurechtkommen würde. Zur Not konnte er immer noch seine wahre Identität preisgeben. Miceyla stürmte somit nach kurzen Überlegungen, dem Dieb hinterher. Sie musste die Kette zurückgewinnen, koste es was es wolle! Ihr war egal, um was für einen wertvollen Gegenstand es sich dabei handelte. Für sie zählte einzig und allein, dass es ein Geschenk von Albert war, in dem all seine Liebe steckte. Klatschnass erreichte sie den Eingang des Turms und entdeckte die nassen Fußspuren des Mannes, auf einer steilen Wendetreppe. Sie schluckte ihre Angst hinunter und begann die Treppenstufen zu besteigen. Zitternd erreichte sie die obere Ebene, wo die Spuren endeten. Auf der einen Seite war sie froh über die Dunkelheit, da sie nicht sehen konnte, auf welcher Höhe sie sich gerade befand. Auf der anderen Seite allerdings fürchterlich nervös, nicht so leicht ausfindig machen zu können, wo sich der rätselhafte Mann befand.Sie zuckte am ganzen Leib, als sie hinter sich das Geräusch einer sich entzündenden Fackel vernahm und ihre Umgebung erleuchtet wurde.

„Was für eine aufregende Nacht! Finden Sie nicht auch…Mrs Moriarty? Für ein leidenschaftliches Rendezvous ist es schließlich nie zu spät. Eine imponierende Kette hat man Ihnen da anvertraut. In diesem Schmuckstück stecken eingefrorene Gefühle… Wünscht man sich denn nicht, ihnen etwas Wärme zu schenken?“ Völlig verschreckt wirbelte Miceyla herum und fand vor sich den hinterhältigen Dieb mit ihrer Kette stehen. Wieder einmal konnte sie nur über das Gesicht des Mannes rätseln, da seine Kapuze zu weit darüber gezogen war. `Kann nicht mal zur Abwechslung, mit offenen Karten gespielt werden?`, dachte sie trotz ihrer Furcht wütend.

„Rücken Sie meine Kette wieder raus! Ich weiß zwar nicht auf wessen Seite Sie stehen, doch ich kann Sie nur warnen. Räubern die sich einen Spaß daraus machen, andere Leute zu bestehlen, geht es früher oder später an den Kragen. Und da Sie wissen wer ich bin, müssen Sie wohl mit den Aposteln von Lambeth in Verbindung stehen. Was wollen Sie also von mir?“, forderte Miceyla verkrampft und strengte sich verbissen an, sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Oh weh! Da bekomme ich ja Angst bei diesem Blick! Wer wird mich denn nun schnappen? Ihr Freund der Detektiv? Oder…der berüchtigte Meisterverbrecher?“ Seine Stimme klang plötzlich so tief und unheilvoll, dass Miceyla binnen kürzester Zeit, am gesamten Körper eine Gänsehaut bekam. Dieser Mann konnte die Tonlage seiner Stimme so perfekt verstellen, dass man meinte, unterschiedliche Personen würden sprechen. Um sicherheitshalber Abstand zu gewinnen, trat sie langsam etwas zurück und dachte schon, in eine Regenpfütze getreten zu sein. Doch als sie einen Blick hinab warf erkannte sie, dass es sich um dickflüssiges, dunkelrotes Blut handelte. Entsetzt ließ Miceyla ihren Blick wandern und fand zwei Leichen am Boden liegen, welche grausam zugerichtet waren. Erst jetzt vernahm sie einen grässlich faulen Gestank, den der Sturm bislang verschleiert hatte. `Riskiere ich hier gerade wirklich für eine Kette mein Leben?`, fragte sie sich von Panik zerfressen in Gedanken. Rasch hafteten ihre Augen wieder auf jenen Mann, der für diese Gräueltat verantwortlich sein musste. Ihr Widersacher griff unter seinen Umhang und hielt kurz darauf einen langen, silbernen Degen in Händen, womit er anschließend erbarmungslos begann, in den leblosen Körpern der beiden Männer herumzustochern.

„Dieser Mann hier hat etliche kleine Mädchen misshandelt, nur um seine sadistischen Fantasien ausleben zu können. Und der andere Teufel hat unzählige Kinder, als Sklaven an den Adel im Ausland verkauft. Für solch unmenschliche Unholde, ist nicht mal der Tod als Strafe ausreichend. Wieso der bestürzte Gesichtsausdruck? Haben Sie sich denn mittlerweile nicht längst, an den Anblick des Todes gewöhnt? Das Böse in seiner Gesamtheit lässt sich nicht auslöschen. Der Abschaum muss einzeln ausgerottet werden, bis keiner von dem minderwertigen Gesindel mehr übrig ist. Oho… Wie ich sehe dämmert es Ihnen allmählich, mit welcher bescheidenen Person Sie es gerade zu tun haben…“, sprach er in einer Mischung aus Groll und Heiterkeit. In der Tat fiel es Miceyla wie Schuppen von den Augen und sie konnte den mysteriösen Mann nun endlich entlarven. `D-das Gespenst aus Richmond! Seine Stimme... Seine ganze Art, es passt einfach alles zusammen…` Mit einer zitternden Hand, richtete sie ihren entsicherten Revolver auf ihn. Nun wurde ihr schmerzlich bewusst, in welcher kritischen Bredouille sie sich gerade befand. Der Mann dessen Namen sie nicht kannte, war ihr in vielerlei Hinsicht haushoch überlegen. Ob er aus einer Laune heraus, sich einen heimtückischen Scherz erlaubte oder ernsthafte Ziele verfolgte, darüber konnte sie bloß spekulieren.

„Ich sage es Ihnen nur einmal klar und deutlich, halten Sie sich lieber von uns fern. Was auch immer Sie vorhaben, lassen Sie es bleiben. Am Ende werden Sie es sein, der das Nachsehen haben wird… Das kann ich Ihnen versichern. An dieser Stelle, würde ich Ihnen gerne für Ihre Hilfe damals danken, aber das haben Sie jetzt selbst kaputt gemacht“, drohte Miceyla und versuchte tapfer zu bleiben. Der Mann trat einen großen Schritt auf sie zu.

„Die Gegebenheiten ändern sich nun mal. Dient alles der Unterhaltung. Zeige niemals deine wahre Persönlichkeit und du wirst zu einem unantastbaren Geschöpf, das die Herzen der Menschen in Händen hält. Dies ist der Schlüssel zur vollendeten Macht… Aber, aber, was plappere ich hier nur wieder meine ganzen Geheimnisse aus! Ich kleiner Dussel, ha, ha! Ach Herzchen, nimm diese hässliche Waffe runter. Du könntest doch sowieso niemals abdrücken. Deine Gutmütigkeit siegt über deinen Hass. Noch ist dies jedenfalls der Fall… Was ist Gerechtigkeit? Wir leben in einer Welt voller Lügen, in der die Wahrheit beinahe ausgestorben ist. Das Leben gleicht einem Spiel ohne feste Regeln. Finden wir heraus wer es gewinnt. Denn wer zuerst verstirbt, ist folglich der unglückliche Verlierer. Eines sei dir noch gesagt, du bist garantiert die Letzte, der ich feindlich gesinnt bin…“, entgegnete er ihr bedachtsam, dennoch lag in seinen Worten eine angsteinflößende Kälte. Die Distanz zwischen den beiden verringerte sich immer mehr und er trieb Miceyla unaufhörlich auf den offenen Rand des Turmes zu, an dem es kein Geländer gab…

Am Fuße des Glockenturms, hatten sich in der Zwischenzeit Moran und Fred eingefunden.

„Ich fasse es nicht! Der Maulwurf hat auch hier in Lambeth, wieder seine dreckigen Finger mit im Spiel! Wenn ich diesen feigen Hund erwische, werde ich all seine Eingeweide aus ihm rausprügeln! Und was rennt Miceyla dem Heini auf eigene Faust hinterher? Ist sie denn vollkommen Lebensmüde?“, zischte Moran tobsüchtig und konnte sich kaum noch unter Kontrolle halten. Nichts hasste er mehr als untätig zuzusehen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Mann mit den Aposteln gemeinsame Sache macht. Aber dann glaube ich nicht, dass er Miceyla etwas antun wird. Andererseits hat er den Plan von ihr und Sherlock vereitelt… Mir gefällt es zwar auch nicht, doch müssen wir vorerst abwarten, wie sich das Ganze entwickelt…“, sprach Fred besonnen und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Jedoch hielt er nervös ein Messer in der rechten Hand und blickte mit scharfen Augen zur Turmspitze empor. Er war jeder Zeit bereit hinaufzustürmen.

Mittlerweile hatte der Mann, von dem Miceyla nicht konkret wusste, ob er nun gut oder böse war, sie an das steile Ende der obersten Turmebene getrieben und ihr jegliche Wege zur Flucht komplett abgeschnitten.

„Deine hübsche Kette, behalte ich als Pfand für meine grandiose Darbietung, bis wir uns das nächste Mal wiedersehen. Wer wird deine verzweifelten Hilfeschreie hören und für dich sein Leben riskieren? Wer…wird dich wohl retten kommen, aus den Flammen der Hölle? Nun flieg, mein Vögelchen, flieg!“ Nach seinen letzten besiegelnden Worten, schubste er sie energisch mit einer Hand von sich weg, sodass sie zurücktaumelte und mit den Füßen nach unten wegrutschte. Hilflos stürzte Miceyla den Turm hinab… Doch gerade noch rechtzeitig schaffte sie es, sich an einem Spalt in der glitschigen Außenmauer festzuhalten. Ihr schriller Entsetzensschrei durchbrach sogar den Lärm des Sturms. Unter Todesangst blickte sie hinauf und sah zum ersten Mal für einen flüchtigen Moment, das Gesicht des Mannes. Die Halbmaske welche er trug, funkelte golden im hellen Licht der Fackel. Mit schimmernd blauen Augen starrte er sie an und seine Lippen waren zu einem Lächeln geformt, dass weder verachtend noch bösartig war. Viel eher verbarg sich dahinter die Botschaft, ihre Hoffnungslosigkeit eindämmen zu wollen. Aber dies vermochte sie in ihrer brenzligen Notlage, nicht richtig zu deuten… Kurz darauf verschwand der Mann und überließ sie ihrem Schicksal…

„Miceyla!“, schrien Moran und Fred zeitgleich, als sie den kreischenden Laut hörten und ihre Kameradin von der Turmspitze herabbaumeln sahen.

„Ich eile sofort zu ihr!“ Fred wollte schon hinaufflitzen, da packte Moran ihn am Arm und hielt ihn zurück.

„Warte! Ich weiß, du willst das gerade nicht hören… Aber Sherlock wird die Rettungsaktion für dich übernehmen. Wenn wir jetzt einschreiten, war die ganze Diskretion umsonst. Halte dich in der Etage unter ihr versteckt und fange sie auf, sollte sie vorher stürzen. Ich hefte mich derweil an die Versen von unserem Spitzel.“ Diesmal war es Fred, der den voreiligen Beschluss von Moran stoppen musste.

„Das hat keinen Zweck. Schlag dir das besser aus dem Kopf. Falls du hier und jetzt einen Streit anzetteln solltest, erschaffst du damit für William nur unnötigen Ballast. Zuerst müssen wir ein genaueres Bild, über die Absichten und Person des Mannes bekommen. Er ist kein Laie auf dem Gebiet des Verbrechens, so viel ist sicher…“

„Argh…! Ärgerlich das wenn es drauf ankommt, du immer recht haben musst… Ja, ich gebe es nur ungern zu, aber er ist ein pfiffiges Kerlchen. Doch das er mit William mithalten könnte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen… Dann ab auf deinen Posten mit dir. Ich verdünneresiere mich auch mal wieder“, gab Moran widerwillig nach und beide tauchten im Schutz der dunklen Nacht unter.

Miceylas Schrei erschütterte Sherlock bis ins Mark. Nach einem kurzen Blick zu ihr hinauf, schlug er alle Polizisten um sich herum weg und bahnte sich einen Weg frei. Pfeilschnell spurtete er auf den Glockenturm zu und sprintete im Rekordtempo die Treppenstufen nach oben. Bei der letzten Etage angekommen, ignorierte er die Leichen, schmiss sich gehetzt zu Boden und hielt ihr sogleich seine rettende Hand entgegen.

„Was machst du hier bloß für halsbrecherische Alleingänge?! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?!“, tadelte Sherlock lautstark, dennoch lag in seinem Tonfall mehr Panik als Zorn. In seinen Augen flimmerte eine Angst, die Miceyla bei ihm bislang in diesem Ausmaß noch nie gesehen hatte.

„Ver…verzeih mir bitte… Ich bin töricht gewesen… Meine Hände…ich spüre sie kaum noch…“, wimmerte sie mit einem Ansturm von Schuldgefühlen, zugelassen zu haben, dass Sherlock wegen ihr beinahe vor Besorgnis umkam.

„Ist schon gut… Dich trifft keine Schuld. Na hopp, nimm meine Hand und ich zieh dich rauf“, sprach er ruhig auf sie ein, um ihre beiden Gemüter, in dieser misslichen Lage zu beschwichtigen.

„N-nein… Dann rutsche ich mit der anderen Hand ab. Es hat zu viel geregnet. Wenn du dich noch weiter vorbeugst, wirst du mit mir zusammen hinabstürzen. I-ich will nicht, dass du dich wegen mir in Gefahr begibst…“, stotterte Miceyla flehend.

„Red‘ keinen Unsinn! Hör auf mit dem Drama und spiel hier nicht das Heldenopfer! Solltest du fallen, habe ich keine andere Wahl, als mit dir nach unten zu stürzen!“, rief er stur und beugte sich mit seinem ganzen Oberkörper zu ihr hinunter. Mit vereinten Kräften sorgte Sherlock dafür, dass ihn seine Beine oben hielten. Sobald er den Eindruck gewonnen hatte, genügend ausbalanciert zu sein, packte er ihre Hand und begann sie hinaufzuziehen. Er schien seine eigenen Grenzen überschreiten zu müssen, damit Miceylas Gewicht ihn nicht aus der Balance brachte. Doch sie kam ihm entgegen und nutzte ihre letzten Energiereserven, um mit ihrer freien Hand, in eine höhergelegene Spalte der Mauer zu greifen. Gemeinsam kämpften sich die beiden unter größter Anstrengung nach oben und Sherlock schafften es schließlich, Miceyla unbeschadet auf die Ebene des Turms zu hieven. Mit hektischem Atem, kauerten sie nun vollkommen erledigt, dicht beieinander am Boden. Noch immer weigerte er sich, ihre nasskalte Hand loszulassen. Sein Totenkopfring, den er stets an seinem rechten Zeigefinger trug, ergab eine seltsame Konstellation, mit ihrem leuchtend goldenen Ehering.

„Ich danke dir für deine Rettung, Sherlock… Jetzt hast du mich gerettet, anstatt mich zu überfallen…“, hauchte sie lächelnd und lehnte erleichtert ihren Kopf gegen seine bebende Brust.

„Tu…tu mir das nie wieder an…“, flüsterte er wie weggetreten und senkte ebenfalls seinen Kopf, den er erschöpft auf ihrer Schulter abstützte. Es war ein kurzer Moment der friedlichen Ruhe und um den Schock zu verarbeiten. Sherlock fand als Erster von beiden, wieder zu seiner alten Verfassung zurück. Sachte ließ er von ihr ab und prüfte nun mit kritischem Blick seine Umgebung.

„Eine schöne Sauerei hat dieses Schlitzohr hier hinterlassen. Jetzt ist er mir abermals durch die Lappen gegangen… Hattest du wenigstens ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Kerl?“, fragte er zähneknirschend und kniff die Augen zusammen. Miceyla kniete noch immer auf dem harten Boden und begann erneut zu zittern. Gerade besaß sie einfach nicht genug Kraft, um sich der Wahrheit und dem unheimlichen Anblick ihrer Umgebung zu stellen.

„D-das Gespenst! Es verfolgt mich!“, wisperte sie und hielt sich die Hände schützend vor die Augen.

„Das Gespenst?“, wiederholte er murmelnd und wusste nur zu gut, was ihr gerade durch den Kopf ging.

„Komm, Miceyla. Dies ist ein äußerst unpassender Ort, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Unser Plan ist zwar nach hinten losgegangen, aber für Verwirrung haben wir dennoch allemal gesorgt. Sieh nur, da unten stehen sich die beiden Parteien nun gegenüber. Es ist verdächtig still. Gesellen wir uns mal dazu, bevor es doch noch laut wird. Der Regen hat mittlerweile auch endlich nachgelassen“, sagte er lächelnd und reichte Miceyla seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Sie konnte gar nicht schnell genug aus dem Turm hinauskommen und trat noch vor Sherlock ins Freie.

„Das reicht! Ich höre mir diesen Stuss nicht länger an! Von wegen Gesandte Gottes! Das entschuldigt noch lange nicht eure barbarischen Taten! Wir Hüter des Gesetzes sind es, die das letzte Wort haben!“, brüllte ein Polizist gereizt, der sich bedrohlich vor Freesia gestellt hatte.

„Aufhören, sofort! Wenn ihr euch alle nur mal selbst sehen könntet, würdet ihr bemerken, wie lächerlich dieses ganze Gezanke in Wirklichkeit ist! Benutzt mal euren Verstand!“, platzte es forsch aus Miceyla und sie ging mit eiserner Miene dazwischen. Perplex verstummte der Polizist, welcher dem Anschein nach, dass Kommando über die Gruppe von Scotland Yard in Lambeth besaß. Und als er den vermeidlichen Räuber ohne Kapuze auftauchen sah, fiel ihm vor Schreck die Kinnlade herunter.

„A-aber, was um alles in der Welt…?! Sie sind das gewesen, Mr Holmes?! Dann haben Sie mit dem Luder hier gemeinsame Sache gemacht, um die frevelhaften Überfälle, von diesem rechtswidrigen Pack herunterzuspielen?“, blaffte der Polizist durcheinander. `Hat der Mann mich gerade tatsächlich als `Luder` beleidigt?!`, dachte Miceyla eingeschnappt.

„Fabelhaft. Wenn Sie doch imstande sind, soweit schlussfolgern zu können, warum nutzen Sie Ihr Hirn dann nicht dazu, die wahren Verbrecher dingfest zu machen? Übrigens, darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie gerade in ein fatales Fettnäpfchen getreten sind? Meine tollkühne Kumpanin hier, ist Miceyla Moriarty. Jetzt müssten sogar bei einem Hinterwäldler wie Ihnen, die Allarmglocken läuten. Und sehen Sie zu, dass Sie sich mit den Lambeths versöhnen. Meine Nerven sind am Limit angelangt. Gab es jemals Tote, bei den ganzen `Verbrechen` der Gruppe? Und hat es jemals Beschwerde in der Bevölkerung gegeben?“, forderte Sherlock von dem Polizisten, sich diese Fragen zu stellen. Man konnte deutlich heraushören, dass seine Geduld langsam überstrapaziert worden war. Der Mann blickte nach seinem strengen Einwand, verunsichert zu Boden.

„Was bin ich doch für ein Trottel… Bitte vergeben Sie mir mein anmaßendes Verhalten, Lady Moriarty… Es ist mir ein wenig peinlich, dass wir uns vor Ihnen beiden, wie die letzten Tölpel benommen haben. Und nein, die Apostel von Lambeth, ließen kein einziges Mal einen Toten zurück. Wir fanden stets alle Menschen, die man eines Verbrechens beschuldigte, gefesselt oder bewusstlos vor. Zugegebenermaßen konnten wir dank ihrer unerlaubten Organisation, Personen hinter Gitter befördern, die wir eigenständig niemals zu fassen gekriegt hätten. Zumindest von der unteren Schicht der Gesellschaft erhalten sie Lob. Aber ich kann einfach kein Auge zudrücken. Meine Vorgesetzten würden mich feuern… Persönlich habe ich ja überhaupt nichts gegen diese Leute…“, gestand der Polizist und ärgerte sich selbst über die verzwickte Lage.

„Hach… Was sagt man dazu? Dadurch das Sie Ihren Vorgesetzten in den Schoß kriechen und Urteile fällen, gegen die Sie sich eigentlich sträuben, verfehlen Sie Ihren Job als Wachmann im Außendienst. Kennen Ihre Vorgesetzten den aktuellen Standpunkt der Dinge? Haben sie denn jemals eigenständig mit den Aposteln gesprochen? Nein, oder? Die Wahrheit kennen nur Sie selbst. Und während Ihre Befehlshaber, anhand von Gerüchten andere durch den Dreck ziehen, ist es Ihre Aufgabe, genau jene Wahrheit herauszufiltern und an die Öffentlichkeit zu tragen. In was für einer scheußlichen Welt leben wir denn, wenn man schon Angst davor haben muss, für Ehrlichkeit bestraft zu werden. Ich erstelle gerne ein Schreiben, in dem ich alles Positive aufliste, dass die Apostel bis jetzt erreicht haben. Das können Sie dann gerne Ihren tüchtigen Vorgesetzten vorlegen. Und wenn mein Name allein noch nicht genügt, da die Meinung einer Frau leider oft belächelt wird, lasse ich gerne noch zusätzlich meinen Mann oder am besten direkt Graf Moriarty, eine Unterschrift daraufsetzen. Daran soll es nicht scheitern. Es ist an der Zeit, dass Scotland Yard und die Apostel von Lambeth, einen versöhnenden Schritt aufeinander zu wagen. Springen Sie über Ihren eigenen Schatten und scheuen Sie sich nicht davor, die jeweils andere Seite besser kennenzulernen. Begegnen Sie sich mit Toleranz und zeigen Sie die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Dies gilt für jeden von Ihnen. Erarbeiten Sie ein Konzept, dass einstimmig akzeptiert wird. Das kann nur dann funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen. Arbeiten Sie Hand in Hand miteinander und Sie werden merken, welche ungeahnten Vorteile sich dadurch ergeben. Nun, das ist alles, was ich als beobachtende Außenstehende, Ihnen mit auf den Weg geben kann. Jetzt liegt es an Ihnen, meine moralische Unterstützung in die Tat umzusetzen“, appellierte Miceyla an beide Fronten, welche allesamt lauschend ihre Blicke auf sie gerichtet hatten.

„Das würden Sie wirklich für mich tun? Meinen verbindlichsten Dank. Tja…also… Wir können ja einmal versuchen, miteinander zu kooperieren. Allerdings ziehe ich es vor, wenn wir uns bei Tageslicht zusammensetzen. Wären Sie damit einverstanden?“, sprach der Einsicht zeigende Polizist nun wesentlich freundlicher und hielt endlich Freesia die versöhnende Hand in.

„Gewiss. Es ist im Sinne aller, schnellstmöglich eine zufriedenstellende Lösung zu finden“, antwortete Freesia zustimmend und reichte ihrem ehemaligen Rivalen die Hand. Miceyla fiel vor Erleichterung ein Stein vom Herzen, dass sie mit ihren Worten, doch noch alles zum Guten wenden konnte. Lächelnd betrachtete sie die Mitglieder der Lambeths, wie sie sich überglücklich gegenseitig umarmten. Unendlich froh darüber mussten sie sein, dass man ihre Organisation nicht zur Auflösung zwang. Es war die beispiellose Warmherzigkeit, eines starken Zusammenhalts. Ein tiefes Band, welches von nichts und niemandem zerstört werden konnte.

„Ein Bild des Friedens. Prima, jetzt hast du ein weiteres Mal, die aus den Fugen geratene Harmonie wiederhergestellt. Du kannst ungemein gut auf die Gefühle anderer eingehen. Da kann sich so manch einer, eine Scheibe von abschneiden. Denn die meisten Leute welche diese Gabe besitzen, missbrauchen sie bedauerlicherweise zur Manipulation… Bewahre deine aufrichtige Einfühlsamkeit. Mit dir an meiner Seite, geht die Arbeit wesentlich bequemer von der Hand. Der beste Beweis dafür, dass ich dich öfters anheuern sollte, he, he. Ein Erfolg mit kleinen Abstrichen. Auftrag erledigt?“, sprach Sherlock grinsend, als sie sich etwas von der Menge entfernt hatten, bei der es allmählich auch zur Auflösung kam und streckte ihr seine Faust entgegen.

„Erledigt. Im wahrsten Sinne des Wortes, ha, ha“, gab Miceyla ihm lachend ihre Antwort und drückte ihre eigene Faust gegen seine.

„Nur… Wie verfahren wir mit den Leichen im Turm?“, erkundigte sie sich vorsichtig wieder etwas ernster.

„Was das betrifft sind wir einfach mal so primitiv und vertuschen das Ganze. Heute Nacht gab es schon genug Geplänkel, findest du nicht auch? Das Vergehen unseres Unruhestifters, muss von den internen Aufträgen der Apostel differenziert werden. Es besteht nur ein indirekter Zusammenhang. Solange es unerwähnt bleibt, wird keine weitere Problematik ins Leben gerufen, für die bislang noch keiner eine taugliche Lösung parat hat. Schweigen ist meistens mehr wert als man denkt. Denn wie heißt es so schön: Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Ein sich anbahnender Konflikt, ist wie eine kleine Flamme. Wird sie nicht im Keim erstickt, entwickelt sich daraus ein unaufhaltsamer Brand… Ahhh! Meine müden Knochen, brauchen dringend eine vernünftige Pause! Du siehst mir ebenfalls danach aus, als wärst du kurz davor umzukippen. Suchen wir uns einen beschaulichen und ruhigen Ort, an dem wir uns ungestört weiter unterhalten können“, beschloss Sherlock und steckte sich ausgiebig. Sie verließen das Gebiet und erreichten ein stillgelegenes Zuggleis, auf dem ein einsamer Eisenbahnwaggon stand. Er öffnete am Waggon eine Tür, die sich quietschend öffnete und sie trat nach ihm in das muffig riechende Innere. Dort fand er eine alte Laterne mit einer kurzgebrannten Kerze, die er mithilfe seines Feuerzeugs anzündete. Danach ließ er sich geschafft auf einer Sitzbank nieder. Miceyla setzte sich neben ihm und war heilfroh, sich nun endlich ein wenig ausruhen zu dürfen. Sherlock zog leise fluchend seinen Umhang aus und warf ihn auf die gegenüberliegende Sitzbank.

„Wir mussten zwar ein paar Umwege in Kauf nehmen, aber letztendlich haben wir genau das erreicht, was wir von vorneherein geplant hatten. Das ist die Hauptsache. Wenn es auch sehr anstrengend war…“, meinte sie aufatmend. `Und wenn man die zwei Leichen in dem Glockenturm ausblendet, hat es während der Streitigkeiten, keinen einzigen Toten auf beiden Seiten gegeben. Nach Williams Vorsatz zu schließen, ist die Mission also erfolgreich ausgeführt worden`, dachte sie noch stolz.

„Ja… Die Aktion ist ziemlich ausgeartet… Auf den Schreck muss ich erst mal eine rauchen. Ach verflucht! Die ganzen Zigaretten sind ja völlig aufgeweicht! Na, wen wunderts…“, nörgelte er schlecht gelaunt.

„Hast du gesehen, wie glücklich Freesia und ihre Freunde am Ende waren? Das ist eine wundervolle Gemeinschaft…“, sagte sie lächelnd, mit der Erinnerung an die zufriedenen Gesichter.

„Du scheinst mir aber auch, eine verlässliche Gemeinschaft gefunden zu haben. Deine Kameraden waren die ganze Zeit über vor Ort und behielten ein Auge darauf, dass dir nichts zustößt. Es beruhigt mich zu wissen, dass du von loyalen Menschen umgeben bist. Eine Gemeinschaft kann zu einer wahrlich starken Kraft werden, die einem dabei hilft sich positiv zu verändern und markanterer Persönlichkeitsmerkmale zu entwickeln. Sie ist wie ein Schutz, der dir deine Ängste nimmt und dich bei Gefahr nicht alleine lässt. Eine aufrichtige Gemeinschaft, ist das Grundgerüst für eine glorreiche Zukunft“, verriet er ihr und blickte sie mit einem offenherzigen Lächeln an. `Fred und Moran waren also wirklich in der Nähe?! Das ist mir im Eifer des Gefechts völlig entgangen… Der Vorfall muss sie ebenfalls sehr erschüttert haben… Und es ist etwas merkwürdig, solche Worte von jemandem zu hören, der sich eigentlich als Einzelkämpfer durchs Leben schlägt, ha, ha`, dachte sie entlastend und war dennoch teilweise bekümmert.

„Gut, wollen wir dann nicht mal langsam, deinem `Gespenst` einen Namen verpassen? Du hast doch bestimmt noch nicht, jenes bescheidene Kryptogramm vergessen? Das hast du dir garantiert, von deinem lieben Gatten entschlüsseln lassen“, hob Sherlock an und faltete in sich gehend die Hände ineinander.

„Da liegst du richtig. Der Lösungsname lautet Clay…“, begann Miceyla, doch er kam ihr damit zuvor den Namen preiszugeben.

„Clayton Fairburn. Ich habe mir den Inhalt des Kryptogramms gemerkt. War nicht sonderlich schwer. So, jetzt hast du die Auflösung zu der rätselhaften Person, der du deiner Reaktion im Turm nach zu urteilen, heute nicht zum ersten Mal begegnet bist… Er ist es auch gewesen, von dem Freesia so geschwärmt hat“, enthüllte Sherlock argwöhnisch.

„Dann handelt es sich dabei also um ein und dieselbe Person?!“, rief sie mit weit aufgerissenen Augen. `Und ausgerechnet diesen Mann, wollte ich unbedingt kennenlernen… Der Kerl hätte mich beinahe umgebracht…`, dachte sie und musste ihr verängstigtes Zittern unterdrücken.

„Wem ich momentan so verbissen hinterherjage, hast du nun auch erfahren. Clayton hat bereits etliche Mädchen jeden Alters, vor dem Tod oder der Unterdrückung bewahrt. Freesia ist da keine Ausnahme. Da müssen persönliche Grunde dahinterstecken. Was weiß der Teufel. Aber dies ist nur nebensächlich von Bedeutung. Das er über Leichen geht, spricht für sich. Dadurch ist nur schwer abzuwägen, in was für eine Kategorie Mensch man ihn einordnen sollte. Anfangs dachte ich, er würde bloß eine Show veranstalten, um etwas Aufmerksamkeit zu erregen. Mittlerweile hege ich sachte Zweifel und bin am Grübeln, ob sich da nicht ein weitaus größeres Desaster, aus dem Untergrund heraus anbahnt…“, sprach Sherlock und dachte währenddessen angestrengt nach.

„Dann vermutest du also, dass es sich bei Clayton Fairburn um den…“, begann sie mit pochendem Herzen.

„…Meisterverbrecher handelt? Gut möglich. Ganz ausschließen kann ich es jedenfalls nicht. Allerdings gibt es noch zu viele Ungereimtheiten. Auch wenn es für mich fast schon eine Erleichterung darstellen würde, wäre er es… Ich habe einen Haufen an Theorien und versuche nach und nach die Fakten einzugrenzen. In Sachen Perfektion, sehe ich durchaus gewisse Ähnlichkeiten. Doch muss ich bei den verschiedenen Fällen, ganz klare Grenzen ziehen, um nicht auf eine falsche Fährte gelockt zu werden. Clayton mordet gezielt und versucht so gut es nur geht, seine diebischen Übergriffe im kleineren Rahmen zu halten, da ihm ein Tumult zu lästig wäre. Der Meisterverbrecher pickt sich seine Opfer, zwar ebenfalls sehr systematisch heraus, jedoch versucht er genau das Gegenteil und präsentiert förmlich seine Verbrechen. Dabei führt er noch zusätzlich alle Beteiligten an der Nase herum. Man sollte die zwei nicht über einen Kamm scheren. Sollte auf einmal ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden entstehen, dann nur weil der eine den anderen imitiert. Fest steht, sie sind zwei Meister wenn es darum geht, ein heimtückisches Schauspiel vorzuführen. Aber Clayton einen Verbrecher zu schimpfen, wäre anmaßend. Er ist weitaus mehr… Jetzt kommt es so rüber, als sähe ich ihn als die wahre Bedrohung, was jedoch völlig falsch ist. Das Licht welches auf den Meisterverbrecher scheint, wirft immer noch den größten Schatten. Clayton Fairburn hat eine gute Seite an sich, aus der ich meinen Nutzen ziehen kann. Denn ich vermute, gleichgültig was sich noch alles hinter seinem Namen verbirgt, dass er genau weiß, wer hinter dem Meisterverbrecher steckt. Daher habe ich mir zum Ziel gesetzt, die Verfolgung von Clayton aufzunehmen. Und am Ende schlage ich idealerweise zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Divise lautet: Allen Personen, die grausame Verbrechen begangen haben, dass Handwerk zu legen. Egal welche ehrenhaften Beweggründe dahinterstecken. Jemand der Menschen tötet muss damit rechnen, dass dessen Verfolger keine Gnade walten lassen werden. Daher bin ich auch so fuchsteufelswild, dass der Kerl vorhin für mich zum Greifen nah war! Zur Hölle mit ihm!“ Wutentbrannt schrie Sherlock seine letzten Worte und schlug mit der rechten Faust neben sich gegen die Fensterscheibe, welche daraufhin klirrend zersprang. Geschockt zuckte Miceyla bei seinem plötzlichen Wutanfall zusammen und blickte nachdenklich hinab. `Ob es gut oder schlecht ist, dass ein weiterer Verbrecher aufgetaucht ist, dem Sherlock nacheifern kann, weiß ich im Moment noch nicht. William wird dies sicherlich wieder ganz ungeniert als Sprungbrett, für einen weiteren Plan ausnutzen. Das waren zu viele Informationen auf einmal. Ich muss das alles erstmal verarbeiten, sonst platzt mir der Kopf…`, versuchte sie einen ruhigen Gedanken zu fassen.

„Ich…ich finde es gut, dass du deinen Zorn nicht unterdrückst. Emotionen müssen raus. Deshalb bin ich auch darüber besorgt, dass William sich stets unter Kontrolle hat und eine solche Besonnenheit ausstrahlt, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Doch was passiert, wenn auf einmal die ganze angestaute Wut zum Vorschein kommt? Die Vorstellung macht mir ein wenig Angst…“, sagte Miceyla so leise, dass es fast nur noch ein Flüstern war. Sherlocks Gesichtsausdruck hatte sich wieder etwas entspannt und ihre Blicke trafen sich. `Hätte ich das jetzt besser für mich behalten sollen?`, zweifelte sie nervös, als sie aus seinen forschenden Augen, die eine gefühlte Ewigkeit auf ihr ruhten, nicht schlau wurde.

„Stimmt, er besitzt eine ungewöhnliche Selbstbeherrschung. Ist doch gut so. Schätze sein sanftes Wesen. Ich würde tobsüchtig werden, falls er seine Wut an dir ausließe. Du musst dich ständig mit meiner Sprunghaftigkeit herumschlagen, das reicht schon, ha, ha! Danke, dass du auch mir Gehör schenkst und nicht gleich das Weite suchst“, sagte er lächelnd und lehnte sich seufzend gegen die gepolsterte Rückenlehne.

„Ich hoffe nur, egal was deine nächsten Vorhaben sein mögen, dass du nicht alles alleine stemmst…“, meinte sie voll Kummer.

„Dasselbe gilt für dich. Du hast gerade eben selbst erlebt, was passiert wenn man unüberlegt handelt“, ermahnte Sherlock sie fürsorglich. Nur ungern wurde Miceyla an ihre erst jüngst verspürte Todesangst erinnert.

„Dürfte ich dich um etwas bitten?“, fragte sie geheimnisvoll.

„Und das wäre? Ich bin ganz Ohr.“

„Bringst du mir ein paar deiner Fechttricks bei? Ich mag mir so viele Techniken wie nur möglich aneignen und mich nicht nur auf eine festlegen. Falls es dir nichts ausmacht, wenn ich mir hier und da ein wenig abgucke“, bat sie nun auch Sherlock, sie darin zu unterrichten.

„Aha! Schau an, da hat mich doch glatt jemand, während des ganzen Trubels heimlich beobachtet. Wenn sich eine günstige Gelegenheit findet, erkläre ich mich gerne dazu bereit. Allerdings müssen wir darauf achten, dass du aufgrund deines anderen Trainings, nicht zu sehr überlastet wirst. Ich finde die Idee recht clever, von mehreren Personen lernen zu wollen. Dadurch liegt dir ein wesentlich weitläufigeres Spektrum an Möglichkeiten zu Füßen“, bot er ihr lächelnd seine Unterstützung an. `Genau! Und wer weiß, was sich später daraus ergibt, wenn ich Williams und Sherlocks Fechtstil, zu meinem ganz persönlichen vereine`, dachte sie motiviert.

„Noch eine klitzekleine Frage… Bewunderst du mich?“ Miceyla musste heimlich lächeln, als sie ihm diese Frage stellte. Er sah sie verwundert an und legte den Kopf etwas schräg.

„Ist das schon wieder eine deiner Anspielungen, mit versteckter Bedeutung? Ich schätze dich sehr und deinen gesamten Charakter. Du bist eine treue Seele, der ich Vertrauen schenken kann. Aber bewundern? Das käme ja praktisch anhimmeln gleich. Also lautet meine Antwort auf deine Frage ganz klar: Nein, tu ich nicht.“ Seine Worte klangen wieder so abgestumpft wie eh und je. Doch sie schmunzelte nur darüber, dass Sherlock Verstand und Gefühl, einfach nicht miteinander vereinbaren konnte.

„Oh! Da fällt mir auch noch eine Kleinigkeit ein! Vermisst du nicht etwas?“, fragte er frech und hielt plötzlich grinsend ihren Revolver in die Höhe.

„Richtig! Mir blieb ja nichts anderes übrig, als die Pistole vor Schreck fallen zu lassen. Ganz vergessen! Und du hast die Waffe, ohne das ich es mitbekommen habe, aufgelesen. Ich danke dir. Wärst du dann so gütig und gibst mir den Revolver?“, bat Miceyla ungeduldig und versuchte ihm rasch die Schusswaffe abzunehmen. Jedoch ärgerte Sherlock sie, indem er seine Hand so weit hochhielt, sodass sie nicht drankam.

„Mir gefällt das leichte Design. Könntest du mir nicht auch, ein solch schickes Exemplar besorgen?“, meinte er verschmitzt.

„Hey! Jetzt gib mir das olle Teil endlich wieder! Und ziel damit ja nicht auf mich!“, flehte Miceyla nervös, während er so tat, als würde er ein Ziel anvisieren. Miceyla verfiel noch immer in Panik, sobald sie jemanden mit einer Schusswaffe in der Hand sah. Reflexartig stoppte Sherlock seine Albernheiten, senkte den Arm und händigte ihr den Revolver aus.

„Mir müsste schon eine Gehirnwäsche verpasst werden, ehe ich eine Waffe auf dich richte…“, sprach er mit finsterer Miene und bereute seinen kleinen Scherz sofort. Eine Weile verfielen sie in Schweigen. Dann erhob er sich auf einmal unangekündigt und klatschte dynamisch in die Hände.

„Wie siehts aus? Langsam sollten wir beide mal aufbrechen, oder? Und eine weitere schlaflose Nacht… Ich werde mich für die nächsten zwei Tage, in meinem Zimmer verbarrikadieren. Da können John oder Mrs Hudson noch so viel quengeln“, entschied er gähnend und löschte die Kerze. Zusammen verließen sie den Zugwaggon.

„Und noch eine kleine Anregung zum Abschluss. Ein `für immer` existiert nicht. Nichts bleibt auf ewig bestehen. Also genieße die Zeit in deiner neuen `glücklichen` Familie. Auch wir beide, werden nicht immer eine Gelegenheit wie hier in Lambeth finden, um unbekümmert miteinander plaudern zu können. Behalte das im Hinterkopf…Mia… In diesem Sinne… Lass dich nicht unterkriegen“, sprach Sherlock sobald sie im Freien waren und lief gemächlich los. `Mia…`, wiederholte sie verträumt in Gedanken.

„Willst du mich hier jetzt einfach alleine zurücklassen?“, rief sie ihm schwermütig nach und versuchte ihre Trauer zu verbergen, dass es so früh wieder zum Abschied kam. Abrupt blieb er stehen und blickte grinsend über die Schulter hinter sich, wo Miceyla ein wenig zerstreut auf der Stelle trippelte.

„Keineswegs. Deine treuen Freunde, kommen mich doch gleich ablösen. Übrigens treffen wir uns nächste Woche im Theater. Ich werde dir am sechzehnten April um etwa achtzehn Uhr zwanzig, von unten zur Loge hinaufwinken, abgemacht?“

„Äh… Was? Im Theater?“, kam es perplex von ihr. `Natürlich! Clayton Fairburn arbeitet ja im Theater. Aber wie kommt er darauf, dass wir uns gerade an diesem Tag, ohne Verabredung dort treffen? Grundgütiger…! Glaubt er vielleicht, dass Will genau dasselbe vorhat?! Dies bedeutete rein theoretisch ein Aufeinandertreffen aller…`, folgerte sie erschaudernd und blickte Sherlock nach, wie er wortlos einen durch Laternen beleuchteten Weg entlangschlenderte. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen und hätte ihn begleitet. Doch die unabwendbare Tatsache erinnerte sie daran, dass ihr Platz bereits woanders war… Sie vernahm eine tiefe Kluft zwischen ihr und Sherlock, welche sich stetig vergrößerte. Als würde er in einen Zug steigen und sie blieb verlassen auf der Strecke zurück. Wieso hatte sie nur plötzlich dieses merkwürdige Gefühl? Beide folgten sie demselben Pfad und dennoch entfernten sie sich immer mehr voneinander. Was wäre wohl gewesen, hätte sie niemals vor William ihren Schwur abgelegt? Sich für eine Seite entscheiden zu müssen, käme einer Folter gleich… Da tauchten auf einmal zwei dunkle Gestalten hinter ihr auf, die sich wie schleichende Schatten auf sie zubewegten. Kurz darauf blieb Fred links neben Miceyla stehen und Moran kam an ihrer rechten Seite zum Stehen, welcher ihr lobend den Kopf tätschelte. Zu dritt blickten sie in die Richtung, wo Sherlock allmählich nicht mehr zu sehen war.

„Ich danke euch…für euren Schutz…“, flüsterte sie und schloss wehmütig die Augen. `Ihr beide seid ein wichtiger Bestandteil der Mission gewesen. Denn ihr habt über das Geschehen und mich gewacht…`, dachte sie lächelnd. Nichts wünschte sie sich nun mehr, als schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Miceyla sehnte sich danach, in Williams Armen zu versinken und seine beruhigende Stimme zu hören. Einige neue Erkenntnisse, nahm sie aus ihrem Abenteuer in Lambeth mit. Doch gleichzeitig war sie gezwungen, etwas sehr Wertvolles zurückzulassen. Nämlich Alberts eisblaue Halskette… Und zusätzlich musste sie sich auch noch, für eine bedrohliche Konfrontation wappnen. Bereits jetzt ahnte sie, dass danach nichts mehr so sein sollte, wie es einmal war…
 

Der Vorhang öffnete sich. Das leise Gemurmel in der Zuschauermenge verstummte, als ein Mann geräuschlos die Bühne betrat. Seine Haut war so blass, dass sie mit silbernem Mondschein konkurrieren konnte. Hell und ebenmäßig, wie die feinsten weiblichen Gesichtszüge. Seine blauen Augen glichen zwei Meeren, aus unendlich vielen Tränen. Sein Publikum blickte er nicht an, er sah geradewegs durch die Menschenmenge hindurch. Er wurde vom Licht angestrahlt, wobei sein prachtvolles Kostüm, das seine große und schlanke Statur betonte, gülden funkelte. Langsam hob er etwas den Kopf, als er betonend und voller Hingabe zu sprechen begann.

„Sagt mir, wer hat mir nur mein Lächeln geraubt? Wo habe ich es verloren? Ich ertrage diese Pein nicht, dich vergessen zu müssen. In einem sich ewig drehenden Rad bewege ich mich. Müde und antriebslos setze ich meine Reise fort. Doch mein Ziel wurde mir genommen. Ich höre sie reden, von etwas so Unwirklichem wie dem Schicksal. Das waren alles Schwindler, ich sage es euch. Welchen Preis muss ich zahlen, um dich wiederzufinden? Ich gebe dir sogar mein Leben. Aber wenn ich mich auch noch, von meiner kompletten Existenz verabschieden muss, was bringt es mir dann, wieder mit dir vereint zu sein? Wie ich sehe, verschwören die kalten Gesetze der Natur sich gegen mich. Dann soll es so sein. Wenn ich aus dem Gefängnis, der bitteren Realität nicht ausbrechen kann, wird diese Welt eben…zu meinem Feind!“
 

Liebes Tagebuch, 9.4.1880

mir waren gerade mal zwei Stunden Schlaf vergönnt, als Moran mich am frühen Morgen geweckt hatte und unsere Heimreise kundtat. Ich fühle mich noch immer so ausgelaugt, als hätte ich eine mehrtägige Schlacht hinter mir... Das ist ein Zeichen dafür, dass ich meine Kondition noch weiter ausdehnen sollte und gezielt daran arbeite, nicht gleich schlapp zu machen. Sonst kann ich mit den anderen nicht Schritt halten. Oder setze ich einfach meine Erwartungen an mich selbst zu hoch? Da bin ich mir etwas unsicher... Sobald wir wieder beim Anwesen ankamen, dauert es nicht lange und wir saßen alle für unsere Berichterstattung beisammen. Als das Dilemma im Glockenturm zur Sprache kam, fiel Albert aus allen Wolken und bombardierte Moran mit etlichen Vorwürfen. Ich verteidigte ihn rasch, dass er nicht zum Sündenbock gemacht werden sollte. Doch Alberts Entrüstung ließ sich nur schwer besänftigen. Das mir meine Kette gestohlen wurde, werde ich ihm vorerst verschweigen... Die ganze Geschichte mit Clayton Fairburn, schien Will nicht sonderlich zu bewegen. Doch er wirkte ein wenig resigniert. Ich merkte es sofort, vor mir kann er nichts verbergen. Und das ich mit Sherlock zusammengearbeitet habe, stellte ihn fast schon richtig zufrieden. Es ist auch verwunderlich, dass weder Sherlock noch William, mich viel über die jeweils andere Person ausfragen. Was mich aber froh stimmt, dass ich tatsächlich nicht als Spionin missbraucht werde. Vielleicht warten beide auch darauf, dass ich von mir aus die Initiative ergreife. Doch solange kein Leben auf dem Spiel steht, wird es nicht dazu kommen... An meiner Idee mit dem Schreiben an Scotland Yard, halte ich fest. Will entschied auch, dass wir und die Apostel von Lambeth, uns zukünftig gegenseitig unterstützen. Und da Sherlock es bereits angekündigt hatte, wunderte es mich nicht als Will davon berichtete, dass wir in der nächsten Woche eine Vorstellung im Theater besuchen werden. Es kommt mir so vor, als hätte Clayton uns alle zusammengerufen... Wenigstens bin ich beim erneuten Aufeinandertreffen, mit diesem undurchschaubaren Mann nicht alleine... Ich muss mich solange noch irgendwie ablenken. Luna und Lucy sind zwei unglaublich liebe Kätzchen. Diesen Abend bin ich glatt vorm Kamin eingeschlafen, während die beiden sich schnurrend an mich gekuschelt hatten. Nun haben auch sie ein neues, friedliches Zuhause gefunden.
 

Im Schutz einer Gemeinschaft
 

Zuversicht kommt und geht,

für einen neuen Vorsatz ist es nie zu spät.

Es tut nicht weh mit Hilfe etwas zu erreichen,

auch musst du nicht ständig alles nur begleichen.
 

Zusammen lässt sich viel Größeres vollbringen,

zur Isolation kann dich keiner zwingen.

Vielleicht kommt es ab und an zu einem Streit,

doch am Ende teilt ihr die Sorgen und das Leid.
 

Noch leichter wird es mit Vertrauen,

Akzeptanz wird dir keiner klauen.

In der Ferne warten neue Möglichkeiten,

fürchte dich nicht, du wirst geschützt von allen Seiten.
 

Nichts ist so unerschütterlich wie eine starke Gemeinschaft,

Mut und Zuversicht geben jedem Kraft.

Bedingung für ein glückliches Leben ist der Zusammenhalt,

du wirst sehen, in deinem Herzen ist es bald nicht mehr kalt.



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