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In Zeiten des Krieges

Draco x Ginny
von

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Teil 2 – Kapitel 18

August 1998

 

„Da bist du ja endlich!“

 

Draco war gerade einmal zehn Sekunden zuhause, als auch schon die Tür zu seinem Zimmer aufflog und seine Mutter hereingestürmt kam. Es war spät in der Nacht. Er hatte noch lange mit dem Orden zusammengesessen und über die weitere Vorgehensweise gesprochen. Dabei hatte er angenommen, seine Mutter würde schon längst schlafen, wenn er nach Hause kam, immerhin war es weit nach Mitternacht. Narzissa trug einen lavendelfarbenen Morgenmantel, das lange, blonde Haar, das seinem so sehr ähnelte, hing in einem geflochtenen Zopf über ihre rechte Schulter. Ihr Blick war ernst und hellwach.

 

„Wo warst du?“ So wie sie diese Frage stellte klang sie eher nach einer Anschuldigung. Draco war gerade dabei seinen schwarzen Umhang abzustreifen. Achtlos ließ er ihn gemeinsam mit seinem Zauberstab auf sein Bett fallen. Irritiert wandte er sich zu seiner Mutter um. Seit wann interessierte sie das? Wieso bekam er das Gefühl er wäre wieder zehn und er hätte etwas angestellt?

 

Draco war inzwischen volljährig. Ständig trieb er sich irgendwo herum. Entweder war er im Auftrag des Dunklen Lords unterwegs oder aber er traf sich – zumindest früher – mit Blaise. Seine Eltern hatten nie Fragen gestellt und Draco glaubte, dass das so war, weil sie ihm vertrauten und nicht, weil es ihnen egal war.

 

„Ich war aus.“ Er fragte sich immer noch, was der Grund für ihr seltsames Verhalten sein mochte. In dem Gesicht seiner Mutter fand er zudem auch noch Besorgnis und ihm kam der Gedanke, dass etwas passiert sein musste. Sofort dachte er an seinen Vater. „Ist etwas–“

 

„Snape war hier“, unterbrach sie ihn mit einer forschen Handbewegung, womit sie all seine beängstigenden Vermutungen bezüglich seines Vaters beiseite wischte. In wenigen Schritten war sie bei ihm und stand nun nur eine Armeslänge entfernt vor ihm. Inzwischen war er so groß, dass er auf sie herabblicken konnte. Ihre blauen Augen musterten ihn sorgenvoll.

 

„Was?“, fragte er irritiert, obwohl er sie genau verstanden hatte.

 

„Er hat Fragen über dich gestellt.“

 

Hätte er sich nicht so gut unter Kontrolle wären ihm alle Gesichtszüge entglitten. Ein unangenehm ziehendes Gefühl machte sich in seinem Magen breit. „Was für Fragen?“, wollte er angespannt wissen. Verdammt, er hatte gehofft, er hätte noch mehr Zeit. War Snape etwa schon dahinter gekommen? War er ihm vielleicht gefolgt? Aber das war nicht möglich. Er war vorsichtig gewesen.

 

„Er wollte wissen wo du dich herumtreibst.“

 

Seine Kiefer pressten sich aufeinander. „Und was hast du ihm gesagt?“

 

Sie schüttelte den Kopf. „Dass ich es nicht weiß, was auch der Wahrheit entspricht.“

 

Draco wandte sich von ihr ab und fuhr sich fahrig durchs Haar. Unruhig ging er auf und ab. Er musste nachdenken.

 

„Wo warst du heute Abend?“, stellte Narzissa ausgerechnet die Frage, die er ihr nicht beantworten konnte. Draco blieb stehen und warf ihr einen langen Blick zu. Er wusste, dass ihr jede Kleinigkeit zum Verhängnis werden könnte. Sollte bekannt werden, dass sie von seinem Abstecher bei den Widerständlern wusste, würde man, sollte sie ihn nicht umgehend melden, der Mittäterschaft bezichtigen. Wissen war in dieser Welt tödlich.

 

Noch dazu wollte er seine Mutter nicht belügen. Dabei hatte er sich noch nie wohl gefühlt. Deshalb hielt er seine Antwort so vage wie möglich. „Das habe ich bereits gesagt. Ich war aus.“

 

„Mit wem?

 

„Mit Freunden.“

 

„Draco …“ Sie seufzte wie nur eine Mutter seufzen konnte. Es klang irgendwie enttäuscht. Langsam kam sie auf ihn zu. Selbst in ihrem Morgenmantel wirkte sie noch stolz und elegant. Sanft legte sie eine Hand auf seinen Oberarm. „Muss ich mir Sorgen machen?“

 

Die Wahrheit lautete: ja. Seit Voldemort an der Macht war gab es auch keine Alternative mehr, denn nicht einmal die Reinblüter waren vor ihm sicher. Jeder kleinste Fehler konnte mit dem Tode bestraft werden.

 

„Nein“, versprach er. „Was hat er noch gesagt?“ Snape musste bewusst sein, dass seine Mutter ihm umgehend von diesem Besuch berichten würde. Wenn er nicht gewollt hätte, dass Draco davon erfuhr, hätte er dafür gesorgt. Allem Anschein nach wollte Snape also, dass Draco wusste, dass man ihm hinterher schnüffelte.

 

„Er hat gewisse Andeutungen gemacht, bezüglich deiner früheren Bekanntschaften.“

 

Zuerst erstarrte er, als er unweigerlich an Ginny denken musste. Doch dann kamen ihm die Gesichter seiner verstorbenen Freunde in den Sinn. „Du meinst … Blaise und Pansy?“

 

Sie nickte. „Snape behauptet, dass über dich geredet wird. Vielleicht vermutet man, dass du ähnliche Interessen hast, wie Blaise, vielleicht sogar dass du … dass ihr …“ Sie schüttelte den Kopf, als würde sie ein unangenehmes Bild vor Augen vertreiben wollen. „Ich habe ihm versichert, dass dies nicht der Fall ist.“

 

Draco dachte nach. Natürlich wäre es für einige das Naheliegendste einfach anzunehmen, dass Draco etwas von den geheimen Vorlieben seines besten Freundes wusste und es, statt zu melden, toleriert hatte. So war es schließlich auch gewesen. Manch einer könnte in ihre Freundschaft mehr hineininterpretieren. Einige waren eifersüchtig, dass Draco von ihrem Meister mit einer wichtigen Aufgabe betreut worden war und Voldemort den gerade einmal Achtzehnjährigen achtete, etwas, das die meisten seiner Anhänger wohl nie erleben würden. Aus Neid könnten sie seinem Image schaden wollen, in dem sie behaupteten, Draco würde ebenfalls zu den Tabubrechern gehören. Zeugenaussagen ließen sich schnell fälschen.

 

Aber war das schon alles? Oder wusste Snape mehr? Wenn ja, von wem? Er dachte an Astoria, die noch bis vor kurzem von seiner Beziehung mit Ginny gewusst hatte. Aber er hatte sie obliviiert. Sie konnte ihn unmöglich verraten haben. Oder waren die Legilimentikkünste von Severus Snape so mächtig, dass sie selbst einen Vergessenszauber austricksen konnten? Hatte sie womöglich jemandem von ihrer Beobachtung berichtet, bevor Draco die Chance hatte ihr Gedächtnis zu manipulieren? Oder gab es beim Orden einen Spion, der ihn bereits ausgeliefert hatte? Seine Gedanken überschlugen sich.

 

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Ist Snape einem Hauselfen begegnet?“

 

Narzissa runzelte die Stirn. „Ja.“

 

Sein Mund wurde trocken. „Welchem?“

 

Sie überlegte einen Moment. Anscheinend hatte sie diesem Hauselfen nicht viel Beachtung geschenkt. „Ich glaube, es war Wicked.“

 

Draco fluchte laut. Resignierend ließ er sich auf sein Bett fallen und rieb sich mit einer Hand müde über das Gesicht. Snape war gekommen, um Informationen zu sammeln, und das war ihm allem Anschein nach auch gelungen. Wieso nur war er so dumm gewesen den Hauselfen damals nicht zu obliviieren? So weit hatte er an diesem Tag einfach nicht gedacht. Aber gut, was hatte Snape gesehen? Lediglich, dass Ginny bei ihm gewesen war und dass sie für einen kurzen Moment zusammen gewesen waren. Das war noch lange kein Grund zur Panik.

 

Und dennoch spürte er, wie die Angst wie eiskaltes Wasser durch seinen Körper strömte und all seine Hoffnungen zu Eis erfrieren ließen. Es bedeutete, dass sie ab sofort in Gefahr war. Noch mehr als zuvor.

 

Narzissa wurde augenblicklich ganz ruhig. Ihre Aufregung schien gemeinsam mit der ihres Sohnes zu verschwinden. Anscheinend zog sie ihre eigenen Schlüsse. „Du meinst, er hat die Gedanken des Dieners gelesen?“ Ihr Ton war kalt und schneidend.

 

„Wahrscheinlich nicht nur seine.“

 

„Der Tisch“, murmelte sie in der Erinnerung versunken. „Er muss den Tee absichtlich verschüttet haben.“

 

Wortlos sahen die beiden einander an. Draco wusste, dass Snape ein begabter Legilimentor war. Nicht nur wegen Voldemort hatte er von seiner Großmutter Okklumentik gelernt, sondern auch wegen seines einstigen Professors. Wenn jemand gewaltsam in die Gedanken eines anderen eindrang dann spürte derjenige das. Es war wie ein leichtes Kitzeln, eine fremde Präsenz im Kopf, die man intuitiv zurückzudrängen versuchte. Einige konnten allerdings in den Verstand eintauchen, ohne dass ihr Eindringen auffiel. Derjenige bemerkte nicht, dass er in diesem Augenblick seine schlimmsten Geheimnisse offenbarte. Doch selbst wenn Snape die Gedanken seiner Mutter gelesen hatte, sie wusste weder etwas, das ihren Sohn, noch ihren Ehemann belastete. Im Gegensatz zu Wicked.

 

„Was hat der Hauself ihm verraten, Draco?“

 

„Es ist besser, wenn du das nicht weißt“, meinte er ausweichend. Nur zu gerne hätte er mit ihr über alles gesprochen, so wie damals mit seiner Großmutter. Druella Black hatte ihn dazu ermutigt, gegen Voldemort vorzugehen, aber er hatte nie erfahren, wie seine Mutter zu diesem Thema stand. Dem Anschein nach war sie eine treue Unterstützerin des Dunklen Lords, aber Draco bezweifelte, dass sie es aus Überzeugung tat. Vielleicht tat sie es nur, um ihren Mann zu unterstützen, vielleicht auch nur, weil sie annahm, dass auch ihr keine andere Wahl blieb. Was würde sie sagen, wenn er ihr anvertrauen würde, dass er sich dazu entschlossen hatte sich den Widerständlern anzuschließen? Würde sie ihn dafür verabscheuen? Oder würde sie stolz auf ihn sein? Wenn sie von Anfang an offen drüber gesprochen hätten, wäre sie ihm vielleicht auf die gegnerische Seite gefolgt, um gemeinsam mit ihm zu kämpfen? Seite an Seite?

 

Ihr besorgter Blick brach ihm beinahe das Herz. Seine Mutter zeigte nicht oft ihre Gefühle. Doch genau in diesem Moment war ihr die Angst geradezu ins Gesicht geschrieben. „Bitte sag mir, dass du nichts Dummes anstellst.“

 

Draco stand auf, stellte sich vor sie und legte beide Hände auf ihre Schultern. Eindringlich sah er sie an. „Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich das Richtige tue.“

 
 

* * *

 

Das Opalauge bemerkte Snape, bevor er es tat. Die bunten, pupillenlosen Augen fixierten einen Punkt hinter ihm und als die ölige Stimme anfing zu sprechen, war Draco alles andere als überrascht, seinem ehemaligen Hauslehrer zu begegnen. Dass er auf Snape treffen würde war nur eine Frage der Zeit gewesen. Und doch hatte er gehofft, er wäre schnell genug, um mit den Drachen unbemerkt zu verschwinden.

 

„Wenn man mich fragt“, schnarrte Snape süffisant, „würde ich behaupten, es sähe so aus, als würdest du die Drachen fortbringen wollen.“

 

Draco warf einen kalten Blick über die Schulter zu dem Schwarzhaarigen, der trotz der sommerlichen Temperaturen in seinem üblichen schwarzen Umhang vor dem Zaun zum Drachengehege stand. „Dich fragt aber keiner.“ Dracos Stimme war kalt und glich beinahe einem Zischen. Das höfliche „Sie“ hatte er sich seit Hogwarts abgewöhnt. Seit ihrer letzten Unterhaltung in den Kellergewölben hatte sich nicht viel verändert. Seine Abneigung Snape gegenüber war nur noch mehr gewachsen. „Hör auf deine hässliche Nase in Angelegenheiten zu stecken, die dich nichts angehen.“

 

Snape ließ sich nicht provozieren, sondern schien Dracos unterdrückte Wut nur zu genießen, wie sein leichtes Schmunzeln verriet. „Klingt für mich, als stecke hinter diesen Worten eine versteckte Botschaft“, säuselte er vielsagend. Er schien zu wissen, dass Draco nicht von den Drachen sprach, sondern vielmehr auf Snapes Abstecher in seinem Elternhaus anspielte.

 

Nun drehte Draco sich zu ihm um. Snape stand etwa zehn Meter von ihm entfernt, mit aufrechter Haltung, die Mimik offenbarte eine selbstherrliche Sicherheit und nur der Zauberstab in seiner rechten Hand deutete darauf hin, dass Snape eventuell mehr erwartete, als ein bloßes Gespräch. Mit den drei Drachen an seiner Seite fühlte Draco sich beruhigend sicher. Das Antipodische Opalauge, der Norwegische Stachelbuckel und der Walisische Grünling fixierten Snape aus ihren Augen. Nach wie vor standen sie alle drei unter seinem Imperius-Fluch. Ein einziger gedachter Befehl würde genügen, um sie angreifen zu lassen.

 

Das arrogante Schmunzeln in Snapes Gesicht verschwand und wich nun einem kalkulierenden Ernst. „Wo willst du hin, Draco?“

 

Er musste sich keine Sorgen machen. Oder etwa doch? Snape hatte keine Beweise, höchstens Vermutungen. Nur Dracos Paranoia sorgte dafür, dass er vom schlimmsten Szenario ausging und die Flucht ergriff, bevor sie ihm letztendlich zuvorkamen. Die Todesser waren gnadenlos. Sie brauchten weder Beweis noch Grund, um jemanden zu inhaftieren oder zu foltern. Die Tatsache, dass Snape allein war, deutete darauf hin, dass auch er wusste, dass er mehr benötigte, als die bloßen Erinnerung eines Hauselfen, um Draco des Verrats zu beschuldigen. Dass der Slytherin vor einem Jahr Kontakt zu einer Blutsverräterin gehabt hatte könnte eventuell als jugendliches Fehlverhalten durchgehen – das Verlangen nach Zerstreuung gepaart mit den Gelüsten menschlicher Triebe – noch lange bevor sie ihm das Dunkle Mal auf seinen Unterarm gebrannt hatten.

 

Im schlimmsten Fall konnte aber allein schon das als Tabubruch durchgehen. Reinblüter ließen sich nicht mit Blutsverrätern ein, vor allem keine Todesser. Noch dazu war Ginevra Weasley bekannt als Widerständlerin und einer der engsten Vertrauten von Harry Potter, dem Staatsfeind Nummer Eins.

 

Der Grünling trat – unabhängig vom Imperius – einige Schritte näher, stellte sich direkt neben Draco, als wolle er seine Loyalität und Unterstützung demonstrieren. Aus den Nüstern des Stachelbuckels drangen dunkle Rauchschwaden hervor. Er musste mit seinen drei Drachen an seiner Seite ein angsteinflößendes Bild abgeben, doch auf Snapes blassem Gesicht zeigte sich nicht die kleinste Spur von Furcht. Bisher trennte sie nur die unsichtbare Schutzbarriere voneinander.

 

„Wir fliegen“, antwortete Draco schließlich. „Falls du es vergessen hast: Ich trainiere diese Drachen. Es ist meine Aufgabe sie auf den Kampf vorzubereiten und solange du nicht willst, dass sie das Hauptquartier in Brand setzen, müssen wir zu einem geeigneteren Ort fliegen.“

 

Snapes dunkle Augen blickten ihn unentwegt an. „Ist das so?“

 

Als Draco das bekannte Kitzeln in seinem Kopf spürte verschloss er sofort seine Gedanken und schützte sich Dank Okklumentik vor dem ungewollten Eindringen Snapes in seinem Verstand.

 

„Für deine Okklumentik-Künste würde ich dir glatt Hauspunkte vergeben, wären wir noch in Hogwarts.“ Snapes schwarze Augen nahmen einen eiskalten Ausdruck an. „Aber das sind wir nicht mehr.“ Weder Lehrer noch Schüler, schien sein Blick zu sagen, gleiche Regeln für alle. Langsam hob Snape die rechte Hand, deutete mit der Zauberstabspitze auf seinen Gegenüber. In der Kehle des Opalauges ertönte ein gefährliches Brodeln, als würde er nur mit Mühe die herausbrechen wollenden Flammen unterdrücken. „Stattdessen stelle ich mir die Frage, was in deinem hübschen, blonden Köpfchen vor sich geht, dass du solch eine fortgeschrittene Magie beherrscht, die die wenigsten Zauberer erlernen können. Und zwar so gut, dass nicht einmal ich in deinen Verstand einzudringen vermag.“

 

Das typische arrogante Grinsen zeigte sich auf Dracos Gesicht. Das ungefilterte Lob seines ehemaligen Lehrers hätte ihm unter anderen Umständen vielleicht geschmeichelt. „Sei nicht dumm. Jeder hat seine Geheimnisse“, meinte Draco. „Sogar du.“

 

„Sogar ich“, gab Snape leise zu, den Stab weiterhin auf Draco gerichtet. Die magische Barriere sorgte dafür, dass die Drachen ebenso wie ihr Feuer nicht aus diesem Gehege heraus gelangen konnten, und ebenso schützte der Schutzzauber sie vor Angriffen – man wusste ja nie, auf was für Ideen die Todesser kamen. Snapes Zaubersprüche würden einfach an der unsichtbaren Barriere abprallen und doch wusste Draco, dass er den Schwarzhaarigen nicht unterschätzen durfte. „Allerdings spukt in meinen Gedanken keine rothaarige Gryffindor herum.“

 

Mit einem genervten Seufzen rollte Draco mit den Augen. „Was auch immer du glaubst gesehen zu haben …“

 

Snape verengte die Augen. „Na schön, erzähl schon deine tragische Liebesgeschichte. Ich brenne darauf die Details zu erfahren.“

 

Draco schnaubte beleidigt auf, als wäre dieser Vorwurf lächerlich. Offenbar hatte Snape seine Schlüsse gezogen. „Es war ein Versehen. Während des Angriffes auf Hogsmeade gab es ein regelrechtes Durcheinander und in dem Moment, in dem ich appariert bin, ist diese tollpatschige Gryffindor gegen mich gestolpert und ist gezwungenermaßen mit mir appariert. Ich kann froh sein, dass ich ihretwegen nicht zersplintert bin.“ Seine Stimme klang so fest und selbstsicher, dass er jeden überzeugt hätte.

 

Jeden nur nicht Snape. Auch ohne Legilimentik kaufte der ihm diese Lüge nicht ab. „Ich glaub dir kein Wort, Draco. Du hast dich schon früher ungerne an Regeln gehalten. Nicht nur, dass du dich mit einer Verräterin und einem Tabubrecher abgegeben hast, nun treibst du dich auch noch mit Blutsverrätern herum. Wer sagt mir, dass du keinen Kontakt mehr zu der kleinen Widerständlerin hast? Vielleicht hat sie dich ja dazu gebracht die Seiten zu wechseln.“

 

Dracos Gesicht verhärtete sich. „Das stimmt nicht.“ Sie war nicht der Grund. Zumindest nicht nur. Einer der Hauptgründe stand gerade vor ihm. Snape symbolisierte alles, was er als falsch erachtete.

 

Snapes dunkle Augen blitzten voller Erwartung auf. „Wenn du dir so sicher bist kannst du das bestimmt auch unter Veritaserum vor unserem Lord bezeugen.“

 

Freudlos lachte Draco auf. Es war typisch für Snape, seinen Willen mit Gewalt durchbringen zu wollen. Der Tränkemeister war schlimmer als jeder Bluthund. Und Draco bekam das Gefühl, dass er diese schnüffelnde Nase nicht mehr loswerden würde. Snape hatte einen Verdacht und er würde nicht eher Ruhe geben, bis er entweder ein Geständnis oder aber die überzeugende Wahrheit aus Draco herausbekommen hätte.

 

Von daher blieb ihm nur eine Möglichkeit.

 

Er gab den Befehl zum Angriff. Die drei Dachen bäumten sich auf und warfen die Köpfe nach vorne. Das Feuer zischte an ihm vorbei und in dem Moment, in dem er die Barriere aufhob, prallten die Flammen gegen Snapes Schutzzauber. Draco disapparierte und tauchte hinter den Drachen auf, um der Hitze der Flammen zu entgehen, die bereits seine blonden Haarspitzen angesengt hatten. Snape disapparierte ebenfalls, tauchte links von den Drachen wieder auf und feuerte Schockzauber auf sie ab. Draco wehrte sie ab. Mit einem weiteren Fluch versuchte Snape den Grünling mit langen Seilen zu fesseln, doch noch während sie sich um den gewaltigen Körper schwangen löste Draco sie mit einem Finite wieder auf. Der Stachelbuckel breitete seine langen Flügel aus und erhob sich in die Luft, spuckte von oben Feuer auf Snape herab, der es an einer heraufbeschworenen Wasserwand abprallen ließ. Während er sich gegen die Feuerattacken der Drachen zur Wehr setzte zielte er bei jeder Gelegenheit auf Draco.

 

Severus Snape – wie hatte er diesen Mann jemals bewundern können? Bereits vor ihrem ersten Aufeinandertreffen in Hogwarts hatte Draco die Geschichten über den berühmten Lehrer für Zaubertränke gehört. Sein Vater hatte immer in den höchsten Tönen von ihm gesprochen und es war für ihn schon fast eine Ehre gewesen, in sein Haus eingeteilt zu werden. Sie teilten so vieles miteinander: den Stolz auf das Haus Slytherin, die Faszination für die Kunst der Tränkebrauerei, die offen zur Schau gestellte Abneigung gegenüber den Gryffindors sowie die geheime Vorliebe für die dunklen Künste und die Ideale, für die so viele Reinblüter standen. Snape war kalt, autoritär, kontrolliert und talentiert. All das, was Draco immer sein wollte. Doch wenn er nun an seinen ehemaligen Hauslehrer dachte verspürte er nichts anderes als Hass und Abscheu. Zu wissen, dass seine unbarmherzigen, schwarzen Augen das letzte gewesen waren, was Pansy gesehen, und seine ölige Stimme, das letzte, was sie gehört hatte …

 

Der Zauberstab in seiner Hand fing vor Wut gefährlich an zu zittern.

 

Das war die Gelegenheit. Er hatte sich geschworen, sich an Snape zu rächen, für das, was er den Slytherins, vor allem aber Pansy angetan hatte. Wie in blinder Wut feuerte er einen Fluch nach dem anderen auf Snape ab, griff sogar auf die Unverzeihlichen zurück, doch obwohl Snape gegen vier Gegner gleichzeitig kämpfte kamen sie nicht gegen ihn an. Jetzt war eh alles egal – Dracos Verrat war nun offiziell und er musste sich nicht länger zurückhalten. Insgeheim freute er sich sogar darüber, dass er Snape endlich angreifen konnte. Seit Monaten hatte es ihm danach verlangt. Snape verdiente es nicht zu leben. Draco wollte ihn tot sehen, denn er war verantwortlich für den Tod seiner besten Freundin. Snape hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt und Pansy getötet und er würde ebenso wenig Gnade mit ihm zeigen, wie Snape mit den Slytherins, die sich geweigert hatten für Voldemort zum Mörder zu werden.

 

Während zwei Drachen frontal und einer aus der Luft Snape angriffen versuchte Draco ihn zu umrunden und ihn von hinten zu erwischen. Sein nächster Fluch verfehlte Snape nur um wenige Zentimeter. Dieser traf jedoch mit einem Schockzauber den Grünling, der daraufhin vor Schmerz brüllte und mehrere Schritte zurückwich.

 

Das Geräusch der Apparationen ging im Kampfeslärm unter. Um sie herum erschien ein halbes Dutzend Todesser. Nicht alle trugen ihre Masken. Draco erkannte das erschrockene Gesicht von Mulciber beim Anblick des Opalauges, der sich vor ihm aufbäumte, ehe er in den todbringenden Flammen verschwand. Die Todesser mussten den Lärm mitbekommen haben. Vermutlich nahmen sie an, dass die Drachen aus ihrem Gehege ausgebrochen waren, denn sie widmeten sich nur ihnen und würdigten Draco keines Blickes. Erst Snapes Brüllen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihr eigentliches Ziel.

 

„Malfoy ist ein Verräter! Schnappt ihn euch!“

 

Während sich Gibbon zu Draco umdrehte und seinen Zauberstab erhob, um ihn anzugreifen, vergaß er den Drachen in seinem Rücken. Der Todesser neben ihm schaffte es noch zu disapparieren, ehe der Grünling ihn vollkommen verbrannte.

 

Draco wehrte zwei Schockzauber gleichzeitig ab und sprintete zum Opalauge. Gegen so viele Gegner hatte er keine Chance. Jetzt blieb ihm nur noch die Flucht. Er duckte sich unter einem weiteren Fluch und kletterte dann auf den Rücken des perlmuttfarbenen Drachens, der sich auch ohne Befehl seinerseits sofort in die Lüfte erhob. Während der Grünling am Boden gegen die Todesser kämpfte versuchte Draco deren Flüche abzuwehren, dann gab er schließlich den Befehl, dass auch er fliegen sollte. Augenblicklich breitete der Grünling seine Flügel aus und mit seinen kräftigen Schlägen wirbelte er so viel Wind auf, dass er zwei Todesser von den Beinen riss. Flüchtig erkannte Draco Rabastan und Macnair.

 

Das Opalauge flog höher in die Luft, während der Grünling und der Stachelbuckel erneut eine Wand aus Feuer den Todessern entgegen schmetterten. Einige versuchten sich mit Schutzzaubern zu wehren, andere wiederum disapparierten. Einer von ihnen wollte weglaufen, doch er war nicht schnell genug. Draco hörte noch kurz den verzweifelten Schrei, ehe Macnair dem Flammentod erlag.

 

Während die Drachen davonflogen attackierten die Todesser mit weiteren Flüchen, doch sie verfehlten meterweit oder wurden von Dracos Abwehrzaubern aufgehalten. Mit jedem Flügelschlag entfernten sie sich von der Gefahr und Draco ließ nicht nur das Hauptquartier der Todesser hinter sich sondern auch noch seine Zugehörigkeit zu Voldemort.

 

Auch wenn er nun Angst haben sollte, mit dem Wissen, dass er nun vogelfrei war, da er sich dem größten Schwarzmagier aller Zeiten widersetzt hatte und dadurch damit rechnen musste, für diesen Verrat gejagt, gefoltert und getötet zu werden, so hatte er sich auf dem Rücken seines Drachens noch nie so frei gefühlt.

 
 

* * *

 

Sein Ziel stand schnell fest. Während des gesamten Fluges schaute er sich immer wieder um, um sicherzugehen, dass ihm niemand folgte. Die dunklen Flecken am Himmel stellten sich glücklicherweise jedesmal als wirres Wolkengebilde oder vorbeifliegende Vogel heraus. Und auch wenn er daraufhin immer erleichtert aufseufzte, wich die Anspannung nicht von ihm, und seine Finger spielten in seiner Hosentasche nervös mit dem kleingehexten Koffer, den er Stunden zuvor eingesteckt hatte. Draco war darauf vorbereitet gewesen, eventuell nicht nach Malfoy Manor zurückzukehren, falls etwas schief gehen sollte. Dort würden sie nun vermutlich als erstes nach ihm suchen.

 

Einen kurzen Moment verspürte er ein unangenehmes Ziehen in seiner Brust, bei dem Gedanken an seine Mutter und daran nicht zu wissen, wann er sie wiedersehen würde.

 

Ob er sie wiedersehen würde ...

 

Aus der Ferne erkannte er den bläulich schimmernden See in der Nähe von Ottery St. Chatchpole, der die grellen Strahlen der warmen Sommersonne reflektierte. Die Drachen überbrückten die letzte Distanz mit nur wenigen, kräftigen Flügelschlägen. Ihr Tempo war bemerkenswert. Selbst wenn die Todesser versucht hatten ihm zu folgen – bis sie einen Flugbesen in der Hand hätten waren sie längt Kilometer weit entfernt.

 

Draco gab den Befehl zur Landung. Das Opalauge zog einen weiten Kreis über dem See und suchte eine geeignete Stelle zwischen den vielen Bäumen, die den See umringten, um zu landen. Ein schwaches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als er die beiden Rotschöpfe auf dem Steg erkannte. Früher hätte er nie für möglich gehalten solch eine Erleichterung bei der Sichtung dieser Haarfarbe zu verspüren. Ginny musste die Schutzbarriere für ihn und die Drachen für einen kurzen Moment aufgehoben haben, denn sie hatten keine Probleme sie zu durchbrechen und zu landen. Nachdem Draco ihr empfohlen hatte ihre Schutzzauber für ihren geheimen Rückzugsort um einen Bann gegen nicht menschliche Wesen zu erweitern konnten nun auch keine Tierwesen oder Animagi mehr durch ihre Schutzzauber hindurch. Solche Zauber kannte er von seinen Eltern, die sie benutzten, um Malfoy Manor vor Eindringlingen zu schützen. Glücklicherweise hatte Ginny ihn zuvor nicht gekannt, denn sonst wäre Draco an jenem Tag nicht fähig gewesen sie in seiner Animagusform zu erreichen.

 

Während seiner Flucht vor Snape hatte er Ginny einen Patronus geschickt mit einer knappen aber aussagekräftigen Zusammenfassung was beim Aufeinandertreffen mit Snape geschehen war, sowie der Botschaft, sie sollte mit Charlie zum See kommen.

 

Das Opalauge berührte kaum den Boden, als Draco auch schon so elegant wie möglich von seinem Rücken hinuntersprang und sich direkt an Ginny wandte, die mit schnellen Schritten auf ihn zu eilte. Charlies Augen hingegen haften an den drei Drachen, die er der Reihe nach betrachtete. Sein Blick war interessiert und wissbegierig, wie ein Quidditchspieler, der einen neu entwickelten Besen zum ersten Mal in den Händen hielt und ihn unbedingt ausprobieren wollte.

 

„Ist alles in Ordnung?“, platzte es sofort aus Ginny heraus, die ihn mit besorgtem Blick von Kopf bis Fuß betrachtete. Draco nickte schwach. Für einen Moment fühlte er sich an seine Mutter erinnert, die in der Nacht zuvor den gleichen besorgten Blick aufgesetzt hatte.

 

„Das Gute daran ist“, begann Draco nüchtern, während er mit den Augen verfolgte, wie Charlie neben dem Walisischen Grünling stand und furchtlos dessen riesigen Kopf streichelte – ein leichtes Lächeln zierte das Gesicht des älteren Weasleys, „dass der Dunkle Lord drei seiner Todesser verloren hat. Mulciber, Macnair und Gibbon sind tot.“

 

Ginnys Lippen pressten sich zusammen und hinterließen nur noch eine schmale Linie. Er wusste nicht, ob die Namen ihr etwas sagten. Die drei gehörten nicht zu den beängstigsten Todessern, dennoch war keiner von ihnen ungefährlich. Ginny schien diese Nachricht allerdings nicht zu erfreuen, sie schien ihr vielmehr zu verdeutlichen, wie ernst die Situation gewesen war.

 

Entschlossen umfasste sie mit beiden Händen seine Oberarme. „Du kommt mit zu uns in den Grimmauld Place.“

 

Draco verzog das Gesicht, bei dem Gedanken an all die Gesichter derjenigen, die ihn dort nicht leiden konnten. Die Liste war lang. „Ich freu mich schon drauf.“

 

Zur Antwort erhielt er einen strengen Blick, der beinahe dem von Professor McGonagall Konkurrenz machen konnte, aber sie erwiderte nichts auf seine Aussage. Draco wusste, ohne den Orden wäre er ziemlich aufgeschmissen. Ohne sie würde er untertauchen und sich verstecken müssen, auf der Flucht sein, wie Sirius Black vor so vielen Jahren. Draco schauderte es bei der Vorstellung daran, wie er ungewaschen und stinkend durch dunkle und feuchte Straßen streunerte und nach Essensresten in Mülleimern wühlte. So zumindest hatte er es sich bei Black damals immer vorgestellt.

 

Draco hatte es geschafft mit dem Orden des Phönix zu kooperieren, nicht nur Potters und Dumbledores, sondern auch das Vertrauen der anderen Mitglieder für sich zu gewinnen. Dann würde er es auch überstehen, in diesem schäbigen Anwesen seines Onkels zweiten Grades eine Weile mit ihnen unter einem Dach zu leben.

 

„Und was machen wir mit ihnen?“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Opalauges, das gerade aus dem See trank.

 

Nun trat Charlie auf die beiden zu, die Hände lässig in den Hosentaschen – Draco bemerkte mit gehobener Augenbraue das ausgefranste Loch auf Höhe seines Knies in seiner verblichenen Jeans – und mit einem leichten Funkeln in den Augen. „Ich habe da schon eine Idee.“

 

„Und die wäre?“

 

Charlie drehte sich um, betrachtete die Drachen mit einem liebevollen Blick, als wären sie nichts weiter als süße, harmlose Hundewelpen, die an einem Hausschuh knabberten, und nicht ausgewachsene, feuerspuckende Drachen, die einen Menschen in wenigen Sekunden zu einem Häufchen Asche verwandeln konnten. „Ich bringe sie mit einem Portschlüssel nach Rumänien ins Drachenreservat. Avram schuldet mir noch einen Gefallen.“

 

Irritiert ob des seltsam klingenden Vornamens – definitiv kein Engländer – zog Draco die Augenbrauen skeptisch zusammen. „Wer?“

 

„Avram. Mein alter Drachenmeister in Rumänien. Dort können wir sie verstecken und sie jederzeit wieder nach England holen, für den Fall, dass wir sie brauchen.“

 

Dracos Augen suchten unweigerlich das Opalauge. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken daran sie jemand anderem zu überlassen. Dieser Avram konnte wer weiß was mit ihnen anstellen. Noch dazu wusste er nicht, ob der Imperius über diese lange Distanz über aufrecht erhalten bleiben würde. Was wäre, wenn sie entwischten? Die Drachen waren seine mächtigste Waffe. Früher oder später würde er sie brauchen, wenn er Voldemort besiegen wollte. Noch dazu waren sie der Grund, weshalb er bei Snape aufgeflogen war. Das sollte nicht umsonst gewesen sein.

 

„Ich denke darüber nach“, zwang Draco sich zu sagen. Einem Weasley sofort zuzustimmen war gegen seine Natur. „Erst einmal bleiben sie hier.“ Seine Augen glitten zu Ginny. „Durch ihre Schutzzauber wird sie vorerst niemand finden.“

 

Charlie nickte. „Ganz wie du willst.“ Er lächelte nicht und dennoch wirkte sein Gesicht freundlich, was Draco stark irritierte. In den vergangenen Jahren hatte er in so viele Weasleygesichter geschaut und die meisten hatten ihn mit demselben Blick betrachtet. Sogar der von Ginny war damals anders gewesen: vorsichtig, skeptisch, argwöhnisch, manchmal auch verärgert, verletzt oder wütend.

 

Charles Weasley war irgendwie anders.

 

Ginny griff nach seiner Hand und sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. Draco warf einen letzten Blick zu den Drachen. Er würde noch dafür sorgen müssen, dass sie genug Futter hatten. Das war sein letzter Gedanke, bevor sie in den Grimmauld Place apparierten.

 
 

* * *

 

Er war rasend vor Zorn. Er schloss die Augen und biss die Zähne so sehr aufeinander, dass es schmerzte.

 

Beherrsche dich …

 

Mehrmals tief einatmend versuchte er sich zu beruhigen. Er war wütend, in ihm tobte ein Orkan, der aus ihm hinaus und zerstören wollte. Aber er versuchte diese Gefühle zu unterdrücken. Gefühle zeugten von Schwäche und er war das Gegenteil: Er war die Macht, beherrschte sie, atmete sie. Gefühle zeugten von Menschlichkeit. Und er war mehr als ein Mensch.

 

Und er würde nicht die Kontrolle verlieren, nicht über sich selbst, nicht wegen so etwas Banalem!

 

Einem Kind!

 

Ein Zischen verließ seinen lippenlosen Mund, eine wüste Beschimpfung, gesprochen in Parsel, das sein Gegenüber nicht verstand. Snape stand reglos im Raum, wartete auf die Reaktion – den Wutausbruch – seines Meisters.

 

Nach einem langen Moment öffnete er die roten Augen, blickte jedoch nicht zu Snape, sondern an die gegenüberliegende Wand, ohne sie wirklich zu sehen. In Gedanken war er immer noch viel zu sehr beschäftigt, um sich im Hier und Jetzt befinden zu können. Er plante bereits seine grausame Rache für diesen Verrat.

 

„Weiß Lucius schon davon?“, fragte Voldemort schließlich düster.

 

„Nein“, antwortete Snape mit seiner öligen Stimme. Er klang nicht betroffen, als würde der Verrat seines ehemaligen Schülers ihn nicht persönlich berühren. „Ich hielt es für angemessen erst Euch zu informieren.“

 

Sein Blick verdüsterte sich noch mehr. „Ich will es ihm sagen.“

 

Ich will seine Reaktion sehen, den Moment in seinen Augen, wenn er realisiert, dass sein eigener Sohn sich den Idealen seiner Familie widersetzt und sich mit unserem Feind verbündet. Ich will herausfinden, ob er etwas wusste und sollte dies der Fall sein wird er am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie gnadenlos ich sein kann.

 

Snape neigte sein Haupt. „Jawohl, Mylord.“

 

Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, durchging mögliche Szenarien. Egal wie er die Fakten drehte und wendete, er kam immer wieder zu demselben Schluss. Er war nicht überrascht, dass Draco Malfoy sich dazu entschied ihm den Rücken zu kehren. Von Anfang an hatte er dieses leichte Gefühl der Ungewissheit in seiner Gegenwart verspürt, den leichten Anflug von Misstrauen, das er versucht hatte umso fester niederzustampfen. Nicht umsonst hatte er sich persönlich um Draco und seine Ausbildung bemüht, in dem er so viel Potenzial gesehen hatte. Der junge Slytherin schien loyal, unerschrocken, demütig. War das alles nur gespielt gewesen?

 

„Sag mir, Severus“, begann Voldemort, immer noch halb in Gedanken versunken, „was glaubst du mögen seine Beweggründe sein? Weshalb sollte Draco so dumm sein sich gegen unsere Seite zu entscheiden? Was mag verlockender sein, als die neue Welt, die ich ihm verspreche?“

 

Leicht drehte er den Kopf zur Seite und blickte in die schwarzen Augen von Snape. Das blasse Gesicht war regungslos. Leichte Falten bildeten sich um Augen und Mundwinkel. Auch an dem berühmten Tränkemeister ging die Zeit nicht spurlos vorbei. Nur eins blieb: seine dunklen Augen waren immer noch so kalt wie damals, als er ihm zum ersten Mal begegnet war.

 

„Ich habe mehrere … Theorien“, begann Snape langsam.

 

„Und welche davon hältst du für am wahrscheinlichsten?“

 

Für einen Moment verzog sich Snapes Gesicht. Kaum merkbar rümpfte sich seine Nase und die Mundwinkel sanken nach unten. „Sein zu weiches Herz.“ In seiner Stimme klangen Schärfe und Kälte wieder. „Mitgefühl“, spuckte er aus, als hätte er in einen verdorbenen Apfel gebissen.

 

„Ah.“ Voldemort wandte seinen Blick wieder ab. Voller Abscheu. Wenn das der Fall war, war Draco so gut wie verloren. Snape hatte ein Mädchen erwähnt. Gefühle, dachte er verächtlich. Lucius, du hast deinen Sohn nicht nur zu einem Verräter, sondern auch noch zu einem Weichei erzogen. Er wusste nicht, ob diese Antwort schlechter oder besser war, als die Gedanken, die er sich diesbezüglich gemacht hatte – dass die andere Seite ihm mehr Macht geboten hatte, denn was gab es in dieser Welt Wichtigeres, als Macht?

 

Und doch ergab alles irgendwie einen Sinn. Das erste, das ihm in den Sinn gekommen war, als er von Dracos Verrat erfahren hatte, war sie. Jenes Gesicht, das er schon so lange vergessen hatte. In seiner Erinnerung war es undeutlich, da er sich an ihr Aussehen nicht mehr erinnern konnte. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, dass er sie gekannt hatte. Inzwischen völlig belanglos. Ein unbedeutendes Ereignis in seiner Vergangenheit.

 

„Lebt Druella Black noch?“

 

Sollte Snape vom plötzlichen Themenwechsel überrascht sein ließ er es sich nicht anmerken. „Soweit ich weiß ist sie Anfang des Jahres verstorben, Mylord.“

 

Das wurde aber auch Zeit, dachte Voldemort verächtlich. „Weißt du, wie sie gestorben ist?“

 

„Nein. Aber ich kann es für Euch herausfinden.“

 

Erinnerungen erwachten, die jahrzehntelang vergessen schienen. Druella, damals noch Rosier, einer der wenigen Fehler in seiner Vergangenheit, der er selbst verschuldet hatte. Geteilte Geheimnisse, gemeinsame Sehnsüchte, Schwüre und Versprechungen, die ihn unvorsichtig hatten werden lassen. Heute schrieb er es seinem naiven, jugendlichen Ich zu, dass er sich jemand anderem anvertraut und Einblick in seine Ziele und Pläne gewährt hatte. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, bei dem Eingeständnis seiner damaligen Schwäche. Nichts anderes war es gewesen. Schwäche. Er hatte einen Fehler begannen und dafür gesorgt, dass dieser Fehler keine Konsequenzen verursachen würde.

 

Die langen, dünnen Finger seiner rechten Hand glitten zu dem Halter an dem Gürtel, der seine dunklen Roben zusammenhielt, und legten sich um den Griff des Dolches, den er immer bei sich trug. Der Dolch der Macht. Sie hatten ihn gemeinsam finden wollen. Doch nun war er es, der ihn sein Eigen nennen konnte. Die mächtigste Waffe der Welt, die seinen Besitzer unbesiegbar machte.

 

Druella hatte aber auch von dem Gegenstand gewusst, der diese Waffe unschädlich machen würde. Und er hatte sie bei ihrem Leben schwören lassen, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen.

 

Voldemort fasste einen Entschluss. Er würde nun auch nach dem Mondstein suchen müssen. Und wenn er ihn gefunden hatte, würde er ihn zerstören.

 

Als nächstes würde er sich aber erst einmal Lucius vorknöpfen. Dann würde er seine Todesser aussenden, um Draco zu suchen. Ebenso wie das Weasleymädchen.



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