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In Zeiten des Krieges

Draco x Ginny
von

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Teil 2 – Kapitel 16

August 1998

 

Die Nacht war finster. Nicht ein Stern war durch die dichte Wolkendecke zu erkennen. Eingehüllt in ihre schwarzen Kapuzenumhänge verschmolzen die zwei mit der Dunkelheit.

 

„Und du bist wirklich sicher, dass du das tun willst?“, fragte sie vorsichtig nach. „Danach gibt es kein Zurück mehr.“

 

Er schmunzelte leicht. „Willst du es mir wieder ausreden?“ Sein Handrücken strich federleicht über ihre Wange. „Ich dachte, das wäre das, was du dir gewünscht hast.“

 

Sie nickte, sah ihn sehnsuchtsvoll an und lehnte sich gegen seine zärtliche Berührung. Dabei hatte sie längst die Hoffnung aufgegeben, dass er diesen Schritt gehen würde.

 

„Was ist mit dir? Fürchtest du dich nicht vor der Reaktion deiner Familie?“ Unter der weiten Kapuze war sein Gesicht nur schwer zu erkennen. Einige blonde Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn, erreichten bereits seine grauen Augen.

 

Sie lächelte leicht. Anscheinend zweifelte er an ihrer Willensstärke. „Ich glaube, meine Familie muss sich im Moment über weitaus Schlimmeres Gedanken machen, als darüber, in wen ich mich verliebt habe.“

 

Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu dem schiefen Lächeln, das sie so sehr an ihm liebte. Er lehnte sich vor und seine Hand an ihrer Wange wanderte in ihren Nacken. Sanft zog er ihr Gesicht zu seinem heran, um sie zu küssen. Kurz gab sie sich diesem unbeschreiblichen Gefühl hin, das er in ihr auslöste. Sie vergaß alle Sorgen, alle Pläne und die Gedanken an die Reaktionen der anderen. Sie genoss einfach den Moment und dass sie bei ihm war.

 

Es war gefährlich, was er vorhatte, denn wenn er von diesem Verrat erfuhr würde er keine Milde walten lassen und ihn solange jagen, bis er seine angemessene Bestrafung erhalten hatte. Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich wie wahnsinnig um ihn sorgte, doch sie standen an einem Punkt, an dem sie nicht mehr viel verlieren konnten. Gemeinsam würden sie vielleicht das erreichen, was ihnen einzeln nicht vergönnt war.

 
 

* * *

 

Harry starrte auf die Heulende Hütte. „Das ist keine gute Idee“, murmelte er bereits schon zum dutzenden Male. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf. Alles in ihm schrie danach wieder in den Grimmauld Place zurückzukehren, denn alles andere war besser, als das, weswegen sie hier waren. Da hörte er sich sogar lieber Kreachers Gemurre über Schlammblüter an, als sich dem entgegenzustellen, was da drin auf ihn wartete. „Überhaupt keine gute Idee.“

 

„Du wiederholst dich“, meinte Dumbledore, wobei er leicht vergnügt klang.

 

„Wir können ihm nicht trauen!“, sprach Harry seine Gedanken aus.

 

Dumbledore sah ihn ruhig über seine Halbmondbrille hinweg an. „Und wieso sind wir dann hier?“

 

Harry verzog den Mund, weil ihm keine Antwort darauf einfiel. Mit verschränkten Armen vor der Brust starrte er auf die Heulende Hütte. Er und Dumbledore standen unter seinem Tarnumhang. Dieser Moment erinnerte ihn an damals, als er in seinem dritten Schuljahr mit dem Erbstück seines Vaters nach Hogsmeade geschlichen war und er die Gelegenheit der Unsichtbarkeit genutzt hatte, um Malfoy mit Schlamm zu bewerfen.

 

Dieser Kerl machte ihm seit sie sich kannten das Leben zur Hölle. Draco Malfoy war ein arrogantes Arschloch, ein eingebildeter Snob, der es liebte andere zu quälen. Am besten kam Harry mit ihm in den Schulferien zurecht, nämlich dann, wenn sie sich ein paar Wochen nicht über den Weg liefen. Obwohl er damit gerechnet hatte, dass Malfoy in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, war es dennoch ein Schock für ihn gewesen, als er davon erfuhr, dass er sich tatsächlich den Todessern angeschlossen hatte. Vielleicht war Harry doch noch so dumm gewesen, an das Gute in ihm zu glauben. Wahrscheinlich hätte er ihm tatsächlich zugehört, damals, in Hogwarts, doch nun, da Malfoy das Dunkle Mal auf seinem linken Unterarm trug, war sein ehemaliger Schulkamerad nur noch ein Feind für ihn. Malfoy hatte sich entschieden und Harry somit die Entscheidung abgenommen, welches Urteil er über ihn fällte.

 

Harry sollte sich lieber von ihm fernhalten oder noch viel besser: ihn austricksen, mit dem versammelten Phönixorden hier aufschlagen und ihn schnellstmöglich ausschalten, damit er keinen Schaden mehr anrichten konnte. Denn nur ein toter Todesser war ein guter Todesser.

 

Harry nickte in Gedanken versunken. Malfoy war ein Todesser. Er hatte es nicht verdient, dass man ihm zuhörte. Was konnte er ihnen auch schon sagen? Wollte er angeben? Sie verspotten? Sie wahrscheinlich am Ende doch in eine Falle locken, um Voldemort den verhassten Erzfeind auszuliefern?

 

Ein frustriertes Seufzen entfuhr seiner Kehle. Wieso bei Merlins karierter Unterhose war er hier? Womöglich war es die simpelste Antwort der Welt: Neugierde. Er wollte wissen, weshalb Malfoy Dumbledore kontaktiert hatte, wie es ihm überhaupt möglich gewesen war, eine Nachricht zu schicken. Woher er wusste, wo sie sich derzeit befanden. Schließlich war es ihnen bisher immer gelungen, sich gut vor den Todessern zu verstecken. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Goldsteins Worte liefen seit ihrem Gespräch in seinem Kopf auf Dauerschleife. Dass die Nachricht es zu Dumbledore geschafft hatte bedeutete entweder: sehr viel Glück, fortgeschrittene Magie oder … ein Verbindungsmann. Harry wollte aber einfach nicht wahrhaben, dass Ginny etwas damit zu tun hatte.

 

Dumbledore hingegen wirkte weder schockiert noch überrascht von Malfoys Kontaktversuch. Er hatte Harry lediglich davon erzählt, dass der Slytherin sich mit ihnen beiden treffen wollte, dabei hatte er es so nebensächlich erwähnt, als handle es sich um eine Verabredung mit den Nachbarn zum Tee. Was Dumbledore von der ganzen Sache hielt konnte Harry nur erahnen, da sein ehemaliger Schulleiter wie immer recht verschlossen war.

 

„Vielleicht hätten wir doch jemandem sagen sollen, dass wir uns mit ihm treffen“, meinte Harry unsicher. „Falls es eine Falle ist, falls er–“

 

„Harry“, unterbrach Dumbledore ihn ruhig. Obwohl er leise gesprochen hatte verstummte Harry sofort. Dumbledore legte eine Hand auf seine Schulter. „Wenn wir jemandem davon berichtet hätten, wäre vermutlich ein Chaos ausgebrochen. Man hätte uns entweder begleiten oder daran hindern wollen, hierherzugekommen. Außerdem …“ In seine blauen Augen trat ein neckisches Funkeln. „Wo bleibt da sonst der Nervenkitzel?“ Er gluckste leise und Harry hätte am liebsten den Kopf geschüttelt. Dumbledore schaffte es immer wieder in den unmöglichsten Situationen Scherze zu reißen. Er beneidete ihn für seine Sorglosigkeit. „Keine Sorge, Harry, ich werde es schon noch mit einem Achtzehnjährigen aufnehmen können.“ Und mit einem kurzen Blick zu seinem Nebenmann fügte Dumbledore hinzu: „Nichts für ungut.“

 

„Du glaubst also, dass sonst keine weiteren Todesser da drin sind?“ Hoffnungsvoll sah er den alten Mann an. Dumbledore war mächtig. Vielleicht konnte er Präsenzen spüren. Immerhin war es ihm damals auch gelungen Harry unter dem Tarnumhang zu sehen.

 

Dumbledore betrachtete nachdenklich die Heulende Hütte. Dann nickte er. „Keine weiteren Todesser. Davon bin ich überzeugt.“

 

Einige Sekunden lang starrte Harry auf die Heulende Hütte. Ein interessanter Ort, den Malfoy da ausgesucht hatte. Einerseits war sie verlassen und niemand würde dem verfallenen, alten Gebäude einen zweiten Blick schenken, andererseits war sie perfekt für einen Hinterhalt. Harry fragte sich, ob Malfoy wohl von der Verbindung zur Peitschenden Weide wusste.

 

Letztendlich seufzte er kapitulierend. Die Neugierde siegte. Unter dem Tarnumhang gingen sie den Weg zur Heulenden Hütte entlang. Bevor sie die morsche Tür öffneten, zogen sie beide ihre Zauberstäbe. Dann traten sie ein.

 

Der Tarnumhang mochte sie zwar für jedes Auge unsichtbar machen, allerdings war die knarzende, sich öffnende Tür ein offensichtlicher Beweis für ihr Eintreten und das Überraschungsmoment somit verloren. Malfoy war tatsächlich da. Bis zum letzten Moment hatte Harry sich gefragt, ob der Slytherin vielleicht kneifen würde, wie damals in ihrem ersten Schuljahr, als er ihn zum Duell um Mitternacht herausgefordert hatte. Doch da stand er, gegen einen staubigen Tisch gelehnt, in einen schwarzen Umhang gehüllt, die Kapuze zurückgeschlagen und die Arme locker vor der Brust verschränkt. Er sah auf, als die Tür geöffnet wurde. Malfoy hatte noch nicht einmal seinen Zauberstab gezogen. Seine übertrieben zur Schau gestellte Arroganz machte den Gryffindor wütend, dabei hatten sie noch nicht einmal ein Wort miteinander gewechselt.

 

Harry sah sich in der Hütte um, auf der Suche nach weiteren Todessern. „Homenum revelio“, flüsterte er, aber nichts geschah.

 

„Ich bin allein“, meinte Malfoy daraufhin nur.

 

Dumbledore nahm ihm die Entscheidung ab und zog den Tarnumhang herunter. Einen Moment lang sahen die beiden Erzfeinde einander an. Dadurch dass Malfoy immer noch unbewaffnet war ließ Harry seinen Stab ein wenig sinken, behielt ihn allerdings in der Hand. Die letzten sieben Jahre hatten dafür gesorgt, dass er diesem Schleimbeutel niemals vertrauen würde.
 

„Guten Abend, Draco“, grüßte Dumbledore leise, aber freundlich, während der Blonde mit leichtem Interesse den Tarnumhang betrachtete.

 

Malfoys Augen wanderten nun zu Dumbledore. Sein überheblicher Ausdruck aus Schulzeiten kehrte zurück. Süffisant grinsend blickte er seinen ehemaligen Schuldirektor an. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr tatsächlich auftaucht. Ihr glaubt wohl immer an das Gute im Menschen, was? Ziemlich naiv von euch.“

 

In Sekundenschnelle hatte er es geschafft Harry bis aufs Äußerste zu reizen. „Halt den Mund und erklär uns lieber, woher du wusstest, wo wir uns versteckt halten. Wie hat es dein Brief zu uns geschafft?“ Seine Finger waren wütend um seinen Zauberstab gekrallt. Dumbledore warf ihm einen mahnenden Blick zu, den er jedoch ignorierte.

 

Harrys Ärger schien Malfoy nur noch mehr anzustacheln. Belustigt betrachtete der den Schwarzhaarigen. „Sagen wir es so, Potter. Ein Vögelchen hat es überbracht.“

 

In Harrys Kehle bildete sich ein tiefes Knurren. „Du mieser …“

 

„Harry“, versuchte Dumbledore ihn zu beruhigen.

 

„Aber er spielt mit uns!“ Harry wollte sich nicht beruhigen. Er wollte Malfoy in die Fresse hauen und ihm das dämliche Grinsen aus dem Gesicht wischen.

 

Dumbledore seufzte, dann wandte er sich an Malfoy, der nach wie vor gelassen vor ihnen stand. „Ich nehme an, du bist hier, um uns etwas mitzuteilen. Ansonsten hättest du wohl niemals das Risiko auf dich aufgenommen, dass der Inhalt dieses Briefes in falsche Hände geraten könnte. Nun, es ist nicht so, dass wir heute noch wahnsinnig viele Termine hätten, nichtsdestotrotz wäre es mir lieber, wir überspringen den Smalltalk und kommen zum Wesentlichen.“

 

Harry und Malfoy tauschten bei Dumbledores Worten einen angesäuerten Blick. Er bezeichnete ihre Streitereien als Smalltalk? Harry musterte den Blonden. Dieser Kerl verkörperte alles, was er hasste. Er war ein verdammter Todesser geworden. Er hatte Unschuldige getötet, Muggel sowie Zauberer und Hexen. Vielleicht sogar Klassenkameraden. Er scherte sich keinen Knut um das Leben anderer. Malfoy war schon immer eine miese Ratte gewesen, doch dass er soweit sinken würde, sich Voldemort anzuschließen …

 

„Gib mir einen Grund“, zischte Harry leise, während er das Gefühl der bitteren Enttäuschung versuchte weit von sich wegzuschieben, „nur einen, wieso ich dir zuhören sollte!“ Seine Augen legten sich auf den linken Unterarm des Blonden, auf dem sich das Dunkle Mal unter dem schwarzen Stück Stoff verbarg. Es gab so vieles, das er ihm nur zu gerne an den Kopf werfen würde.

 

Malfoy erwiderte seinen Blick. Seine Miene wurde ernster, angespannter. „Weil ich Informationen für euch habe.“

 

Einen Moment lang starrten Grün und Grau sich an. Dann schnaubte Harry verächtlich. „Ja, is‘ klar.“ Er wandte den Kopf zu Dumbledore, dessen Miene unergründlich war. Dieser sah nur zum Slytherin und wartete darauf, dass er weitersprach.

 

„Wieso?“, fragte Harry hitzig. „Aus welchem Grund solltest du uns Informationen verschaffen wollen?“ Bei diesen Worten hielt er seinen Zauberstab wieder höher und deutete direkt auf die Brust des Blonden.

 

„Meine Beweggründe gehen dich nichts an“, antwortete Malfoy kühl. Dann wandte er sich an Dumbledore. „Ich will euch einen Deal vorschlagen.“

 

„Ah, war ja klar. Du willst etwas als Gegenleistung“, sagte Harry mit gespielter Überraschung. „Wer hätte das gedacht.“

 

„Harry, wir sollten uns anhören, was er zu sagen hat.“ Dumbledores blaue Augen sahen ihn an und irgendwie schafften sie es, dass er ein wenig ruhiger wurde. Ohne Dumbledores Anwesenheit wäre es sicher schon zu einem Duell gekommen. Malfoy hielt zwar seinen Stab nicht in der Hand, aber Harry wusste, dass der Sucher schnell war, ebenso flink, wie er selbst. Das hatte er in mehreren Quidditchspielen hautnah miterlebt. Nur weil Harry besser war, hieß das nicht, dass Malfoy schlecht war. In Sekundenschnelle könnte er seinen Stab ziehen und ihm einen Fluch aufhalsen.

 

Dumbledore schien zwischen den beiden die neutrale Zone zu symbolisieren, wie der Lehrer, der einen Streit unter Schülern schlichtete und dafür sorgte, dass sie sich wieder miteinander vertrugen. Dumbledore wandte sich zu dem Blonden. „Wir hören.“

 

Der alte Zauberer wirkte in seinem lavendelfarbenen Umhang mit den Mondsichelapplikationen darauf alles andere als bedrohlich, doch selbst Malfoy hatte zumindest ein wenig Respekt vor Albus Dumbledore. Harry konnte beobachten, wie für einen kurzen Moment seine überhebliche Fassade bröckelte und ein Ausdruck von Unsicherheit über sein Gesicht huschte.

 

„Ich habe Informationen über den Dunklen Lord“, begann er schließlich. „Er hat den Dolch der Macht. Schon mal davon gehört?“

 

Dumbledore atmete einmal tief ein und stieß die Luft langsam aus. „In der Tat.“ Verwirrt sah Harry die beiden an. Was für ein Dolch? Wovon sprach Malfoy da? Dumbledore schritt langsam auf einen umgefallenen Stuhl zu und sorgte mit einem Schwenker seines Zauberstabs dafür, dass er sich fast geräuschlos aufrichtete. Der alte Zauberer ließ sich darauf nieder. Noch nie hatte er so alt gewirkt. „Das hatte ich leider befürchtet.“

 

Malfoy nickte. Auch er sah nicht gerade begeistert aus.
 

„Wovon redet ihr?“, platzte es aus Harry heraus, als er die Unwissenheit nicht mehr aushielt. Nur eins war klar: Dumbledores Reaktion nach zu urteilen musste es sich um etwas Schlimmes handeln.

 

Malfoy antwortete ihm auf seine Frage. „Der Dolch der Macht ist eine mächtige Waffe. Er nimmt die Magie desjenigen auf, den man mit ihm verletzt oder tötet, und gibt sie an seinen Besitzer weiter. Und wenn es stimmt, dass der Dolch bereits mehrere hundert Jahre alt ist, muss er enorme Kräfte besitzen.“

 

„Und du bist sicher?“, fragte Dumbledore.

 

„Ja. Er hat die letzten Jahre nach dem Dolch gesucht und anscheinend hat er einen Zauberer namens Leontes, der den Dolch vorher besessen hatte, im Dezember ausfindig gemacht. Wie die Geschichte danach weiterging brauche ich ja wohl nicht zu erklären.“ Harry schluckte. Das Datum würde er wohl sein Leben lang nicht vergessen. Am sechsten Januar hatten die Todesser Hogwarts angegriffen und das Ministerium gestürmt.

 

„Das heißt“, meinte Harry ungläubig, „dass Voldemort, der ohnehin schon unheimlich mächtig ist, jetzt auch noch eine geheime Superwaffe hat?“

 

Dumbledore nickte betroffen. „Das ist gar nicht gut.“

 

Harry wusste nicht so recht, was er denken, geschweige denn fühlen sollte. Seitdem er einen Fuß in die magische Welt gesetzt hatte war der Name Voldemort stets sein stummer Begleiter gewesen. Während seiner Schulzeit war er ihm auf verschiedenste Weise begegnet und Harry war ihm nicht nur einmal um nur ein Haar entkommen. Sein Schicksal war es den mächtigsten Schwarzmagier aller Zeiten aufzuhalten, wobei Harry sich nicht nur einmal gefragt hatte, wie er – ein junger, unerfahrener Zauberer – das bewerkstelligen sollte. Ihm war durchaus bewusst, dass er es ohne die Hilfe von Ron, Hermine und Dumbledore nie soweit geschafft hätte. Was sollte er, ein achtzehnjähriger Junge, der über die Hälfte seines Lebens mit Muggeln verbracht hatte, und der immer noch Momente erlebte, in denen ihn die Zaubererwelt überraschte, gegen jemanden wie Lord Voldemort ausrichten? Vor allem, wenn dieser nun eine Waffe gefunden hatte, die ihn noch stärker machte?

 

Manchmal gab es Tage, da wollte Harry einfach alles hinschmeißen, sich im Ligusterweg verkriechen und sich mit Dudleys Launen auseinandersetzen, während er das von seiner Tante mit Absicht versalzene Essen aß, dabei heimlich den Anfeuerungsrufen des Kommentators im Fernsehen lauschen, weil Onkel Vernon ihn das Fußballspiel nicht mit ansehen ließ – und irgendein anderer Auserwählter konnte sich um die Angelegenheiten der Zaubererwelt kümmern.

 

Doch es dauerte nicht lange, da meldete sich sein Pflichtbewusstsein, das den Wunsch verdrängte in der Muggelwelt ein sorgloseres Leben zu führen. Womöglich lag es daran, dass Voldemort der Mörder seiner Eltern war. Deshalb war der Kampf gegen ihn nicht nur seine Pflicht sondern auch etwas Persönliches. Er wollte nicht nur England von der Tyrannei eines Wahnsinnigen befreien, sondern auch den Tod seiner Eltern rächen und dafür sorgen, dass nicht noch mehr Kinder wie er zum Waisen wurden.

 

Harry sah nun wieder zum Slytherin. Ihr beider Leben war von Anfang an völlig gegensätzlich verlaufen. Sein Instinkt riet ihm dieser Schlange kein Wort zu glauben. Weshalb auch sollte er seinen Lord verraten und den Widerständlern helfen? „Malfoy, wieso erzählst du uns das?“

 

Seine Antwort hätte ihn nicht weniger überraschen können. „Weil ich will, dass ihr ihn aufhaltet.“

 

Verdutzt sah Harry ihn an. War das wirklich der reinblütige Zauberer, der sich stets über Muggelgeborene lustig gemacht und sich auf seine Abstammung etwas eingebildet hatte? Derjenige, der in der Schlacht in Hogwarts gegen seine eigenen Lehrer und Schulkameraden gekämpft hatte?

 

„Schon vor Jahren“, fuhr Malfoy fort, „hatte ich mich dazu entschlossen, mich der Seite der Gewinner anzuschließen. Doch mittlerweile bin ich dazu in der Lage, darauf Einfluss nehmen zu können, wer am Ende gewinnt.“

 

„Wie meinst du das?“, wollte Harry wissen.

 

„Dass Voldemort den Dolch der Macht hat“, sagte Malfoy, „mag ihn vielleicht stärker machen, aber für jede Waffe …“

 

„…gibt es eine Gegenwaffe“, murmelte Dumbledore.

 

Draco nickte. „Ganz genau.“

 

Dumbledore erhob sich von seinem Stuhl. Nachdenklich sah er seinen ehemaligen Schüler an. Ein leichtes Lächeln umspielte dabei seine Mundwinkel. „Draco, du steckst anscheinend voller Überraschungen.“

 

Malfoy schmunzelte leicht. „Ich glaube, das ist die perfekte Überleitung.“ Er gab ein Handzeichen und plötzlich ertönte der Knall einer Apparation. Als Harry erkannte, dass neben Malfoy jemand erschien, zog er reflexartig seinen Zauberstab und richtete ihn auf die in einen schwarzen Kapuzenumhang gehüllte Person, in der Erwartung, einen Todesser zu erblicken und bereit, den Gegner mit einem Stupor zu schocken.

 

Doch dann schlug die Person die Kapuze zurück und er erstarrte mitten in der Bewegung.

 

Das rote Haar war das erste, das er zu sehen bekam. Ihr blasses, sommersprossiges Gesicht war unverkennbar und doch brauchte er einen Moment, um zu realisieren, dass tatsächlich sie es war, die da vor ihm stand.

 

„Ginny!?“ Seine Stimme überschlug sich beinah. Was bei Merlins Bart …

 

Dumbledore deutete eine Verbeugung an. „Ginevra, was für eine Überraschung.“

 

Draco schnaubte. Missbilligend betrachtete er den alten Zauberer. „Überraschung – und das soll ich Ihnen abkaufen? Als wenn der berühmte Albus Dumbledore sich von etwas überraschen ließe.“ Und mit einem Blick zu Ginny ergänzte er: „Ich verwette mein ganzes Erbe darauf, dass der alte Mann die ganze Zeit über Bescheid wusste.“

 

Dumbledore gluckste leise. „Nun ja, für gewöhnlich bin ich darüber im Bilde, was in meiner Schule vor sich geht. Und ich muss leider gestehen, dass einige Gemälde gerne plaudern. Vor allem jene im fünften Stock.“

 

Draco schenkte ihm einen kalten Blick. „Hogwarts ist nicht mehr Ihre Schule.“

 

Dumbledore behielt sein Lächeln bei. „Touché.“

 

Harry versuchte seine Gedanken zu ordnen. Goldsteins Worte echoten in seinem Kopf nun lauter als je zuvor. Er hatte die beiden zusammen gesehen, aber Harry hatte sich geweigert, dass auch nur in Betracht zu ziehen. Was hatte Ginny mit Malfoy zu schaffen? Sein erster Gedanke war, dass sie seine Geisel war, schließlich würde Ginny sich niemals mit dem Feind verbrüdern. Wie eine Geisel sah sie allerdings nicht aus. Und wenn sie nicht gegen ihren Willen hier war, dann konnte das nur eins bedeuten: Sie war seine Komplizin. Das würde zumindest auch erklären, wie der Brief es im Grimmauld Place zu Dumbledore geschafft hatte.

 

„Ginny, kannst du mir mal erklären, was hier vor sich geht?“ Die Enttäuschung in seiner Stimme war kaum überhörbar.

 

Reuevoll erwiderte sie seinen Blick. Wenigstens hatte sie die Courage ein schlechtes Gewissen zu haben. „Ich bin hier, um für ihn zu bürgen. Ich kann beweisen, dass seine Absichten ernst sind.“

 

„Aber … Wieso?“ Harry verstand immer noch nicht. Wollte es vielleicht auch einfach nicht verstehen, denn all seine Schlussfolgerungen ergaben keinen Sinn. „Was bei Merlins Bart hast du mit Malfoy zu tun?“ Es war absurd. Vollkommen absurd.

 

Ginnys Wangen färbten sich leicht rot. Ihre Augen wanderten kurz zu Malfoy, der nach wie vor Harry ansah. „Ist das nicht offensichtlich?“ Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unmissverständlich.

 

Schockiert weiteten sich seine grünen Augen. Von allen möglichen Szenarien, dass Malfoy Ginny als Geisel genommen oder sie manipuliert hätte, bis über der Möglichkeit, dass sie sich der Dunklen Seite zugewandt hatte, war ihm nie die Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass sie … dass sie …

 

Das war also dein Geheimnis?“, flüsterte er schon fast. Die ganze Geheimniskrämerei, ihr seltsames Verhalten im letzten Schuljahr, ihre wechselhaften Launen, von höchster Euphorie bis hin zur tiefsten Verzweiflung. „Der Unfall während des Quidditchspiels“, murmelte er leise. „Ihr beide lagt verletzt im Krankenflügel.“ Nach und nach setzten sich mehrere Puzzlestücke zusammen und ergaben ein Bild, das ihn in keinster Weise erfreute. Der überraschende Kuss von ihr auf seiner Wange und Malfoys halsbrecherischer Versuch ihn daraufhin während des Spiels vom Besen zu werfen.

 

Waren die beiden etwa …?

 

Ungläubig sah er zu Dumbledore, als würde der ihm eine logische Erklärung bieten können. Von dem Professor erhielt er nur einen vielsagenden Blick. Frustriert fuhr Harry sich durch das schwarze Haar, zerstrubbelte es dabei nur noch mehr, als ohnehin schon. Das musste er erst einmal verdauen. Erst die Nachricht, dass Malfoy die Seiten wechseln wollte und dann, dass sich Ginny mit einem Slytherin einließ. Heiliger Merlin, wenn das Ron erfuhr …

 

„Ich glaub, das war zu viel für den heiligen Sankt Potter“, murmelte Draco, der Harry skeptisch betrachtete, als erwartete er, dass er jeden Moment in Ohnmacht fiel.

 

„Harry!“ Ginny eilte in wenigen Schritten auf ihn zu und legte eine Hand auf seinen Arm. Eindringlich sah sie ihn an. „Ich weiß, dass muss ein Schock für dich sein, aber du kannst doch sicher verstehen, wieso ich es für mich behalten habe, oder?“ Flehend sah sie ihn an. Schnell wandte er den Blick ab, damit er nicht unter ihrem Hundeblick einknickte. „Bitte“, drängte sie. „Ihr könnt Draco vertrauen. Er will sich uns anschließen. Er will genau so wie wir, dass Voldemort fällt.“

 

„Was? Und das soll ich dir glauben?“, fragte Harry vorwurfsvoll an Malfoy gewandt. „Dass du wegen Ginny die Seiten wechselst?“ Dass sie sich in Malfoy verliebte – okay, das konnte er vielleicht noch einsehen. Aber dass Malfoy tatsächlich Gefühle für eine Weasley empfand, einer Blutsverräterin, wie er sie so schön nannte? Niemals! All die Jahre der Häme, unter der nicht nur sie oder Ron, sondern alle Weasleys hatten leiden müssen, waren ihm noch gut in Erinnerung geblieben.

 

Malfoys Miene blieb unbewegt. „Sie ist ein Grund von vielen.“

 

Harry schnaubte missbilligend. Na, die anderen Gründe würde er gern mal hören. Fassungslos schüttelte er den Kopf, tief in Gedanken. Wie hatte er nur so blind sein können? Wieso war das niemandem aufgefallen? Nicht einmal Hermine hatte etwas bemerkt.

 

Bei dem Gedanken an Hermine kam ihm noch etwas in den Sinn: Ginnys Interesse an Malfoy, der Wahrsageunterricht und dieses Buch, das Hermine gesucht hatte. Lange Zeit hatte sie über nichts anderes gesprochen. „Der Mondstein“, murmelte er, als die Erinnerungen langsam zurückkehrten. Das einzige, das sie herausgefunden hatte, war, dass es sich bei diesem Objekt um einen mächtigen Schutzzauber handelte.

 

Ginny nickte. Sie griff unter ihrem Umhang nach dem Lederbeutel, den sie immer an ihrem Gürtel bei sich trug, und holte daraus etwas hervor. Behutsam hielt sie ihm und Dumbledore einen blauen Stein entgegen. „Draco hat den Mondstein gefunden und ihn mir gegeben. Ich trage ihn seitdem immer bei mir. Schon mehrmals hat er mir das Leben gerettet.“

 

Harry konnte nicht anders als dem Slytherin einen verblüfften Blick zuzuwerfen. Wenn das stimmte, dann musste es wohl wirklich bedeuten, dass Malfoy etwas an Ginny lag. Denn aus anderen Gründen hätte er so etwas Mächtiges womöglich niemals weggegeben. Etwas, das ganz und gar uneigennützig war und überhaupt nicht zu dem Slytherin passte.

 

Dumbledore trat einige Schritte näher und betrachtete neugierig den Mondstein. Seine blauen Augen funkelten leicht. „Faszinierend.“ Und an Malfoy gewandt sagte er: „Ich war mir nicht sicher, ob er nur eine Legende ist, da es kaum Aufzeichnungen über ihn gibt. Darf ich fragen, wo du ihn gefunden hast?“

 

„Er war im Verbotenen Wald.“ Malfoy sah ihn abschätzend an. „Vielleicht bemerken Sie doch nicht alles, was in Hogwarts vor sich geht.“

 

Dumbledore nickte. „Ja, vielleicht …“

 

„Der Mondstein ist die einzige Chance, sich gegen den Dolch zu schützen“, erklärte Ginny. „Mit ihm haben wir eine Chance gegen Voldemort.“

 

„Für jede Waffe gibt es eine Gegenwaffe“, wiederholte Harry. Malfoy nickte zustimmend. Beide Rivalen sahen sich wortlos in die Augen. Vielleicht meinte Malfoy es wirklich ernst. Vielleicht hatte er eingesehen, dass er auf der falschen Seite stand.

 

Ein Teil in ihm wollte sich über diesen Seitenwechsel freuen. Der Orden brauchte weitere Anhänger, denn jeder weitere Widerständler würde ihre Gruppen stärken. Noch dazu konnte Malfoy mit Sicherheit eine Menge geheimer Informationen offenbaren, die ihnen von Nutzen sein könnten. Ein Spion in Voldemorts Reihen war Gold wert. Ein anderer Teil in ihm konnte jedoch einfach nicht über das hinwegsehen, was geschehen war. Harry mochte alles andere als nachtragend sein, aber er wollte auch nicht, dass Malfoy mit seinen Taten ungeschoren davonkam. Vor allem nicht, wenn er nicht mal das kleinste bisschen Reue zeigte.

 

Die Wut kochte erneut in ihm hoch. „Du machst es dir ziemlich leicht, was? Du denkst, wir nehmen dich mit Kusshand, dabei hättest du es verdient in Askaban zu verrotten, für das, was du getan hast.“

 

Dumbledore sah ihn eindringlich an. „Harry. Es ist nie zu spät, um auf die gute Seite zu wechseln“, appellierte er weise. „Wir können ihn im Kampf gegen Voldemort gut gebrauchen.“

 

 

„Ich weiß“, stieß er frustriert aus und fuhr sich mit beiden Handflächen verzweifelt über das Gesicht. „Aber ich kann ihm einfach nicht verzeihen. Er hat Unschuldige getötet.“ Harry warf Malfoy einen anklagenden Blick zu, wartete auf eine Reaktion, die nie kam. Malfoys Gesicht war eine emotionslose Maske. Dann sah Harry zu Ginny, die betreten zu Boden sah. Was sah sie in ihm – einem Todesser? Konnte sie ihm all das so einfach verzeihen?

 

„Das wissen wir nicht“, meinte Dumbledore ruhig. „Wir wissen nicht was oder wieso er etwas getan hat. Manche Beweggründe stehen außerhalb jeder Logik. Vielleicht hatte er keine andere Wahl.“

 

Harry schnaubte.

 

„Weißt du eigentlich, was ich in diesem Moment alles auf mich nehme?“, zischte Malfoy kalt. „Der Dunkle Lord killt mich, wenn er hiervon erfährt! Glaubst du, ich würde mein Leben riskieren, wenn es mir nicht vollkommen ernst wäre?“

 

Harry sah wieder zu Malfoy, hin- und hergerissen, was seine Emotionen betraf. Letztendlich war es immer noch die Wut, die obsiegte.

 

„Wenn du nicht mit ihnen redest, werde ich es tun“, meinte Ginny entschlossen. „Dir würden sie aber eher zuhören, als mir. Dein Wort hat mehr Gewicht. Wenn du Draco vertraust, wird der Orden ihm auch vertrauen.“

 

Harrys Hände verkrampften sich zu Fäusten. Er blickte zu Dumbledore, aber als er die nächsten Worte sprach schaute er ihm nicht in die Augen, sondern konzentrierte sich auf einen Knopf an dessen Umhang. „Ich will nicht den gleichen Fehler machen wie du“, murmelte er. Gleich als die Worte aus ihm raus waren bekam er ein schlechtes Gewissen. „Du hattest Snape auch vertraut und er hat dich verraten.“

 

„Snape ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin“, meinte Draco daraufhin. „Er schreckt nicht einmal davor zurück Schüler aus seinem eigenen Haus umzubringen.“ Er reckte das Kinn, ein eiskalter Ausdruck erreichte seine Augen. Sein Ton klang bitter. „Das werde ich ihm niemals verzeihen.“

 

Harry sah Malfoy lange an. Dass der Slytherin diesmal die Wahrheit sagte war kaum zu bezweifeln. Der gebrochene Ausdruck auf seinem Gesicht war definitiv nicht gespielt. Snape war für Harry nie ein Heiliger gewesen, aber dass er nicht einmal davor zurückschreckte Slytherins zu töten? Für einen Moment fragte er sich, von wem genau Malfoy wohl sprach.

 

Harry versuchte eine Entscheidung zu fällen. Aber am Ende, würde er die Entscheidung, ob sie ihm vertrauten, nicht allein treffen können. „Selbst wenn ich mich darauf einlassen würde“, sagte er schließlich an Dumbledore gewandt. „Der Orden wird ihn niemals akzeptieren. Dafür hat er zu viel angerichtet. Aus welchem Grund sollten sie mit ihm zusammenarbeiten wollen?“

 

„Ich hatte gehofft, dass du diese Frage stellen würdest, Potter.“ Malfoys überhebliches Grinsen kehrte wieder zurück. Die nächsten Worte brachten ein kleines, aber entscheidendes Argument:

 

„Ich habe drei Drachen.“



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