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Stolen Dreams Ⅹ

von

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8. Kapitel

Tarek hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so beschissen gefühlt. Er lag in seinem eigenen Erbrochenen, zitterte trotz der sommerlichen Temperaturen und spürte, wie ein Schmerz nach dem anderen durch seinen bebenden Körper jagte. Schweiß lief über seine ungesund blasse Haut und Fliegen schwirrten um ihn herum. Sie wurden bestimmt von dem abartigen Gestank angelockt, den Tarek gar nicht mehr wahrnahm, da er nichts anderes riechen konnte. Seine schwarzen, ursprünglich weichen Haare waren nur noch fettiges, verfilztes Stroh. Alles in einem sah er wie eine Leiche aus; das einzige, was noch fehlte, war, dass sein Herz zu schlagen aufhörte.

Der Mann, der Tarek hier eingesperrt hatte, kam täglich vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Er hatte sich erhofft, sich an dem Jungen vergehen zu können, sobald dieser seinen Entzug hinter sich gebracht hatte, doch anstatt der erwarteten Verbesserung durfte er beobachten, wie sich Tareks Zustand jeden Tag verschlechterte. Die Nachbarn fragten sogar schon, wo dieser bestialische Gestank herkam.
 

Nach knapp zwei Wochen gab er auf. Er betrat wie gewohnt das Bad, packte Tarek an den Haaren und zog ihn ins Schlafzimmer, wo er ihn auf die fleckige Matratze schubste.

„Du bist eine Enttäuschung“, knurrte er und öffnete seinen Gürtel. „Keinen einzigen Lek werde ich für dich bekommen.“

Er ließ seine Hose zu Boden fallen. Tarek blieb reglos liegen, seine braunen, nicht ganz geöffneten Augen waren auf einen unsichtbaren Punkt in der Luft gerichtet. Er rührte sich nicht vom Fleck, selbst als sich eine gierige Hand auf seinen Hintern legte.

„Aber das macht nichts. Die Erfahrung, jemanden zu Tode zu ficken, ist schließlich auch was wert, ne?“

Tarek wusste nicht, ob der Mann diese Worte ernst meinte, aber er war auch nicht sonderlich erpicht darauf, das herauszufinden. Sein Blick wanderte zu dem perversen Schwein, dessen wässrige Augen vor Wollust trieften. Es war doppelt so groß und dreimal so stark wie Tarek; ein direkter Angriff würde also scheitern.
 

Wie gut, dass ihm gerade eine Idee kam.

Als der Mann sich an Tareks Kleidung zu schaffen machen und sie ihm ausziehen wollte, legte der Junge plötzlich beide Hände um das teigige Gesicht – und presste die Daumen in seine Augen.

Der Kerl schrie auf und taumelte zurück, während Tarek sich hastig aufrichtete und nach einem Fluchtweg suchte. Ein winziger Teil seiner Kraft war schon vor einigen Tagen zurückgekehrt, aber er hatte es verborgen, damit er von dem Mann unterschätzt wurde, was anscheinend auch funktioniert hatte.

Tarek sprang vom Bett, stolperte, rappelte sich auf und hetzte Richtung Tür. Er hatte sie fast erreicht, als er auf einmal an den Haaren gepackt und mit einem kräftigen Ruck nach hinten gerissen wurde.

„Du kleines Miststück! Ich werde dir jeden Knochen einzeln brechen!“

Der Mann blutete aus beiden Augen, aber das hielt ihn nicht davon ab, nach Tarek zu langen und seine Fäuste auf ihn einprasseln zu lassen. Seine Wut war größer als der Schmerz.
 

Tarek versetzte ihm einen Tritt in die Weichteile und wich zurück. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und obwohl er geschwächt war und kaum laufen konnte, fühlte er sich so energiegeladen wie schon lange nicht mehr. Er wollte zum zweiten Mal Richtung Tür rennen, aber genau dort stand der Mann, der blind um sich schlug und nicht selten versehentlich die Möbel erwischte, was seine Schmerzen und damit auch seine Wut nur steigerte.

Der einzige alternative Weg aus dem Schlafzimmer war das Fenster. Tarek öffnete es und kletterte bereits auf die Fensterbank, als ihm auffiel, dass er sich nicht wie erwartet im Erdgeschoss befand, sondern im zweiten Stock. Panisch wich er zurück, doch der Mann hatte das Öffnen des Fensters gehört und den Abstand überwunden. Seine großen, zu Fäuste geballten Hände langten nach Tarek, der erst realisierte, was geschah, als er bereits das Gleichgewicht verlor. Vor Angst schreiend versuchte er sich an der Fensterbank festzukrallen, aber es war aussichtslos. Er konnte sich nicht halten.

Tarek fiel fast drei Meter, landete auf der gläsernen Terrassenüberdachung, die bei seinem Aufprall einbrach, fiel drei weitere Meter und kam schließlich auf dem steinernen Boden auf. Das Letzte, das er hörte, bevor er das Bewusstsein verlor, war das Brechen seiner Knochen.
 

~*~
 

Jakov lag rücklings auf der Couch im Wohnzimmer und starrte gedankenverloren nach oben an die kahle Decke. Die Sonne war schon vor ein paar Stunden untergegangen und Jakov war zu faul, das Licht anzumachen, weshalb er sich nun im Stockdunkeln befand. Das Einzige, was er gerade so erkennen konnte, waren der Glastisch und die darauf stehende Vase, auf deren Oberfläche sich das Mondlicht spiegelte.

Jakov seufzte. Er hatte alles – mehr Geld, als er jemals ausgeben könnte, eine Villa voller Gemälde, Vasen, Kunststücke und anderen Kram, den er aus Langeweile sammelte, mehr als genug Zeit für seine zahlreichen Hobbys – und trotzdem fehlte ihm etwas. Er fühlte sich wie ein undankbares Kind.

Ich hätte ihn entführen sollen...

Das, was Jakov zu seinem Glück noch fehlte (zumindest empfand er das so), war niemand Geringeres als Tarek. Der Junge mit den lakritzschwarzen Haaren und den schokobraunen Augen. Gemeinsam mit seiner kakaofarbenen Haut entsprach er genau Jakovs Typ. In Albanien gab es massenhaft junge Männer, die so aussahen, aber Jakov war nur an Tarek interessiert. Er hatte keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, in nur 24 Stunden so einen Narren an den Jungen zu fressen; es war einfach so.
 

Dabei war es vollkommen sinnlos, ihm jetzt noch hinterherzutrauern. Dass Jakov Tirana verlassen hatte, lag schon mehrere Wochen zurück, was für Tarek mehr als ausreichend Zeit war, an einer Überdosis oder durch andere Junkies zu sterben. Eigentlich war es für Jakov ein riesiger Abtörner, dass Tarek Gott-weiß-was einnahm, aber er konnte trotzdem nicht aufhören, an ihn zu denken.

Von sich selbst genervt erhob er sich von der Couch, schaltete das Licht an, schlenderte in sein Büro, pflanzte sich vor seinen Laptop und begann durchs Internet zu surfen. Das tat er immer, wenn er sich ablenken musste, und es half auch diesmal.

Nachdem er sich über lustige Katzenvideos amüsiert und über politische Artikel aufgeregt hatte, kam ihm die Idee, sich albanische Nachrichtenseiten anzusehen. Seine sprachlichen Fähigkeiten, die er sich nur für seinen Trip nach Tirana angeeignet hatte, reichten gerade so aus, die Texte zu verstehen, aber nach nur wenigen Minuten hatte er keine Lust mehr. Er war kurz davor, den Laptop zuzuklappen, als ihm plötzlich eine bestimmte Schlagzeile ins Auge sprang.

»Tarek M. gilt weiterhin als vermisst – hat seine Mutter auch ihn auf dem Gewissen?«
 

Jakov musste nicht darüber nachdenken, wie winzig die Wahrscheinlichkeit war, dass dieser Tarek „sein“ Tarek war. Direkt unter der Überschrift befand sich ein Bild von Tarek und zwei Leuten, die vermutlich seine Eltern waren, glücklich lächelnd an einem Strand stehend. Es war die Art von Photos, die man im Sommerurlaub aufnahm und dann in sozialen Netzwerken hochlud.

„Mensch, Tarek, ich wusste ja, dass du etwas Besonderes bist, aber du musst nicht gleich so übertreiben“, murmelte Jakov leise, während er neugierig den Artikel las. Allem Anschein nach hatte sich Folgendes abgespielt:

Tareks Vater war ein hohes Tier bei der Polizei gewesen, seine Mutter hatte im Krankenhaus gearbeitet. Eines Tages hatte sie ihn ermordet und behauptet, er hätte sie monatelang geschlagen und niedergemacht und sie hätte sich nur gewehrt. Tarek war seit diesem Tag verschwunden, niemand wusste, wo er war, und jetzt wurde vermutet, dass Tareks Mutter nicht nur ihren Gatten, sondern auch ihren Sohn umgebracht und die Leiche versteckt hatte. Tarek wurde nicht nur gesucht, weil er verschwunden war, sondern auch weil er der einzige Zeuge war, der die Behauptungen seiner Mutter bestätigen oder verneinen konnte. Solange er das nicht tat, war nicht klar, was mit ihr passieren sollte.
 

Jakov lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte. Er fühlte sich, als hätte er soeben einen Roman verschlungen, von dem er noch nicht wusste, ob er ihn gut fand oder nicht.

Aber um auf das Wesentliche zurückzukommen – dass Tarek immer noch vermisst war, bedeutete, dass er noch lebte. Oder dass man seine Leiche noch nicht gefunden hatte, was Jakov aber eher für unwahrscheinlich hielt. Es gab also noch Hoffnung.

Toll. Und was sollte er jetzt machen? Alles fallen und liegen lassen, um zurück nach Tirana zu reisen und diesen verdammten Jungen zu suchen? Nun, rein theoretisch könnte er das machen. Rein theoretisch hatte er aber auch keine Zeit dafür. Sein Boss hatte Arbeit für ihn und diese Arbeit nicht zu erledigen, war keine Option.

Jakov klappte den Laptop zu, stellte sich kurz unter die Dusche und ging ins Bett, was ihn jedoch in die gleiche Position wie vor einer Stunde brachte: Er lag auf dem Rücken und starrte geistesabwesend die Decke an.
 

Was fand er an Tarek eigentlich so toll, dass er an nichts anderes mehr denken konnte? Ja, er war hübsch, und ja, Jakov wollte sein freches Lächeln noch einmal sehen, und ja, allein die Erinnerung an sein leises Stöhnen brachte Jakov auf gewisse Gedanken, aber...

Jakov entspannte sich und schloss die Augen. Er stellte sich vor, wie Tarek zu ihm ins Bett stieg und Kopf auf seiner Brust ablegte. Wie ihm die schwarzen Haarsträhnen ins hübsche Gesicht fielen und seine sanften braunen Augen auf Jakov fixiert waren, während er langsam nach vorne kroch und Jakov vorsichtig küsste. Wie seine Hand währenddessen nach unten wanderte und unter dem Saum von Jakovs Boxershorts verschwand.

Er würde sich Mühe geben. Dafür würde Jakov sorgen. Er verlangte von Tarek, alles richtig zu machen, und sollte Tarek das nicht tun, würde Jakov ihn bestrafen. Entweder indem er ihm den Höhepunkt verweigerte oder indem er dem Jungen den Hintern versohlte, bis er nicht mehr richtig sitzen konnte. Je mehr Jakov darüber nachdachte, desto mehr Dinge fielen ihm ein, die er mit Tarek anstellen könnte.

Er wollte diesen Jungen haben. Er wollte ihn vor sich knien sehen; nackt, verschwitzt, keuchend. Er wollte sehen, wie Tarek schüchtern und gleichzeitig ungeduldig zu ihm hochsah. Er wollte den flehenden Ausdruck in seinen großen Augen sehen.
 

Oh, Tarek, was machst du nur mit mir?

Jakov drehte sich auf die Seite und schlief nach mehreren Stunden endlich ein. Lange konnte er sich jedoch nicht erholen; die Sonne war gerade erst aufgegangen, als sein Handy zu klingen begann und ihn aus dem Schlaf riss.

„Boss? Was gibt‘s?“, murmelte er verschlafen und hielt das Smartphone von sich weg, während er gähnte.

„Ärger gibt es.“ Die Stimme klang ruhig, aber nicht beruhigend. Jakov runzelte leicht besorgt die Stirn und hörte, wie am anderen Ende der Leitung an einer Zigarette gezogen wurde. „Kannst du dich an den Typen erinnern, den ich dir vorletzten Monat vorgestellt habe? Der Typ aus Tirana?“

„Ja. Mir fällt sein Name nicht ein, aber ich weiß, wen du meinst. Was ist mit ihm?“

„Er hat gelogen.“

Jakov schloss die Augen und unterdrückte ein Seufzen. Drei simple Worte und schon erhöhte sich die Anzahl der Menschen, für deren Verschwinden er sorgen musste, um eins. Wenigstens brauchte er jetzt keine Ausrede mehr, um erneut nach Tirana zu reisen.



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