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Kontrolle

Urban Fantasy Thriller
von

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Fehler

Nervosität breitete sich in Pakhets Magen aus, als sie aus dem Taxi ausstieg. Der Baoshan Distrikt war kein Ort, an dem sich Touristen üblicherweise aufhielten, was bedeutete, dass sie herausstach. Sicher, sie trug eine dunkle Perücke, doch war es offensichtlich, dass sie nicht von hier kam.

Sie sah sich um. Die Dunkelheit war bereits vor zwei Stunden über Shanghai hereingebrochen, so dass die Schluchten zwischen den grauen Wohnklötzen aus Beton vom gelblichen Licht alter Straßenlampen erleuchtet wurden. Dies war weit ab von den Neonlichtern, die viele Westler mit Shanghai verbunden hätten. Zugegebenermaßen hatte sie anderes erwartet, als Michael ihr gesagt hatte, dass sie ein Casino aufsuchen würde. Sie hatte an einen der Touristendistrikte und eine moderne Casinohalle gedacht – nicht an irgendeinen Mahjongg-Parlor.

Egal. Sie war vorbereitet. Sie hatte alles, was sie brauchte. Sie würde hoffentlich nicht zu lange brauchen. Morgen wäre sie im Flieger zurück nach Kapstadt. Ein ungutes Gefühl ließ sich dennoch nicht abschütteln. Die Tatsache, dass sie praktisch kein Mandarin sprach, machte die Dinge nicht einfacher.

Mit einem tiefen Atemzug machte sie den ersten Schritt auf dem Bürgersteig. Der Parlor müsste in einem der Wohnblöcke sein. Ihr Kontakt sollte davor warten, unter dem Vorwand eine Zigarette zu rauchen. Dann würde sie reinkommen, würde ihre Zielperson finden und hoffentlich nach spätestens einer Stunde verschwinden.

Sie hasste es. Assassinenaufträge waren nicht ihre liebste Art von Jobs. Dennoch konnte sie Michael nicht widersprechen: Huang Li war niemand, bei dem sie ein schlechtes Gewissen haben sollte. Er gehörte zu einer der Triaden, wurde mit diversen Dingen in Verbindung gebracht. Drogenschmuggel. Menschenhandel. Waffenhandel. Eine wilde Mischungen aus den Dingen, die man mit der Mafia verband.

Natürlich war derjenige, der sie beauftragt hatte, wahrscheinlich seinerseits ein Mitglied der Triaden. Vielleicht gehörte er zu einer rivalisierenden Triade, vielleicht zur selben und wollte Lees Position einnehmen. Doch das war der Lauf der Dinge. Sie hatte es sich nicht erlauben können, den Job abzulehnen. Nicht nach den Problemen, die sie sich bereits mit Michael eingehandelt hatte. Genau das hinterließ einen bitteren Geschmack auf ihrer Zunge.

Leichter Regen nieselte vom Himmel hinab, während Pakhet sich in Kleid mit einem übertriebenen übergeworfenen Mantel gekleidet den Bürgersteig entlang bewegte.

Am Ende konnte sie nur hoffen, dass sie ihre Spuren zurück zum Hotel gut genug verwischt hatte, hatte sie doch mehrere Umwege in Kauf genommen und ihre Schlüsselkarte für das Hotel in einem Bahnhofsschließfach gelassen.

Da. Im überdachten Eingangsbereich von einem der Wohnblöcke stand eine Gestalt. Ein recht groß gewachsener chinesischer Mann mit ordentlich zurückgekämmten Haaren. Er rauchte, zeigte damit einen verzierten Armreif an seinem Handgelenk. Ein Drache mit violetten Edelsteinaugen. Das solle Tenzien sein. Ihr Kontakt.

Einmal noch atmete Pakhet durch, ehe sie zu ihm hinüberkam.

Ihre Stöckelschuhe waren laut auf den Betonplatten, die hier den Boden bedeckten, ließen ihn aufsehen. Er musterte sie von oben bis unten, lächelte dann. „Sind Sie das, Ms Kirby?“, fragte er auf Englisch. Sein Dialekt identifizierte ihn deutlich als Hongkonger.

„Es ist ein schöner Abend, finden Sie nicht, Mr Han?“, erwiderte sie wie abgesprochen. Eine Aussage, die ob des nieselnden Regens wenig Sinn machte.

„Nicht so schön, wie ein bekanntes Gesicht zu sehen.“

„Dann haben Sie mich nicht vergessen.“

„Natürlich nicht.“ Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. Er trug einen Anzug, hatte das Jackett jedoch zusammengefaltet über den Arm gelegt. Jetzt streckte er ihr die Hand auf. „Wenn Sie schon hier sind: Darf ich Ihnen einige meiner Freunde vorstellen?“

„Warum nicht?“, erwiderte sie, nahm seine Hand und erwiderte das Lächeln steif.

„Dann begleiten Sie mich doch“, erwiderte Tenzien und zog sanft an ihrer Hand.

Pakhet presste die Lippen aufeinander, erlaubte es jedoch, dass er sie bei der Hand führte. Er ließ den Stummel seiner Zigarette fallen, drückte ihn mit seinem Schuh aus und führte sie dann zum Eingang des Gebäudes.

Dort angekommen drückte er auf eine der vielen Klingeln und wartete, bis eine tiefe Stimme über die Gegensprechanlage erklang. Kurze Worte wurden in Mandarin ausgetauscht, ehe ein Buzzer erklang.

Weiter ging es: Ins Gebäude hinein, hin zu einem Aufzug. Hinauf in den drittobersten Stock.

Noch immer hatte Pakhet den Kiefer angespannt, doch das konnte sie sich nicht erlauben. Sie durfte nicht nervös wirken. Es passte nicht zu ihrer Persona. Sie schloss die Augen, atmete einige Male gezielt durch, entspannte sich bewusst. Es würde nicht schwer sein. Laut ihren Informationen waren wenige Wachen dort und die, die es gab, würden kein Problem sein. Sie war stärker. Das waren einfache Schläger, sie war ausgebildete Soldatin – Söldnerin.

Also folgte sie Tenzien in das Treppenhaus, als der Aufzug hielt. Sie mussten den Aufzug einmal umrunden, um in einen dunklen Flur zu kommen. Gab es hier keinen Strom oder waren die Lampen einfach nur kaputt?

Zielsicher führte Tenzien sie zu einer Tür am Ende des Flurs. Die Türen waren alle gleich: Weiß gestrichen, jedoch gelblich verfärbt. Es gab einen Spion in jeder von ihnen. Die Mauer der Wand war offen sichtbar. Dunkler Beton. Das ganze Gebäude war wahrscheinlich eine Betonplattenkonstruktion.

Tenzien klopfte. Sofort wurde ihm auf Mandarin geantwortet. Er sagte etwas. Wahrscheinlich ein Passwort. Klischeehaft, doch oft die Realität.

Dann wurde die Tür geöffnet und ein Mann, der den Tattoos auf seiner Hand nach zu Urteilen russischer Abstammung war oder zumindest einen Aufenthalt in einem russischen Gefängnis genossen hatte, stand ihnen gegenüber.

„Das ist eine alte Freundin von mir“, meinte Tenzien auf Englisch zu dem Mann.

„Sie ist nicht eingeladen“, erwiderte der Mann. Er musterte Pakhet von oben bis unten.

„Das waren einige der anderen Damen doch auch nicht.“ Tenzien lächelte verschmitzt.

Pakhet wusste, dass dies ein Einsatz für sie war.

Vorsichtig und langsam griff sie in ihre Handtasche. Sie wollte nicht riskieren, dass die Wache auf die Idee kam, sie würde ihn angreifen wollen. Dann holte sie ihr Portemonnaie aus der Tasche, griff hinein und drückte ihm einen 100 Yuan-Schein in die Hand. „Ich will mich nur ein wenig amüsieren“, meinte sie und schenkte ihm einen verführenden Blick.

Der Mann sah auf den Schein in seiner Hand. Dann musterte er sie für einen weiteren langen Moment. Er war groß. In beinahe jeder Hinsicht entsprach er dem Klischee eines russischen Schlägers – inklusive des breiten kahlgeschorenen Schädels.

„Lassen Sie mich ihre Tasche durchsuchen“, murrte er schließlich.

Pakhet lächelte, reichte ihm dann die Handtasche, ließ sich schließlich auch so untersuchen. Sie hatte keine identifizierenden Gegenstände dabei. Keinen Hinweis auf Forrester Security. Nur ein Wegwerfhandy, zwei versteckte Waffen, Geld und die Spritze mit dem Gift. Ihr Auftragsgeber war dahingehend sehr spezifisch gewesen. Die Spritze war jedoch in der Gestalt eines Epipen getarnt. Etwas, das wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte.

Schließlich brummte der Mann. „Nimm sie mit.“

Tenzien verneigte sich und murmelte etwas auf Mandarin. Dann nahm er erneut Pakhets Hand.

Sie wurden in die vermeintliche Wohnung gelassen.

Pakhet wusste nicht, was sie erwartet hatte. Jedenfalls hatte sie sich das ganze verrauchter, dämmriger vorgestellt, als es war.

Der Raum, der wohl als ein Wohnzimmer gedacht gewesen war, war normal ausgeleuchtet. Ein paar quadratische, niedrige Tische waren aufgestellt. Darauf die Steine. Einige Leute, die meisten von ihnen Männer, saßen drum herum. Jedoch gab es auch Frauen – und das nicht nur als knapp bekleidete Kellnerinnen.

Die Frage war, welche dieser Frauen eigentlich Sicherheit waren. Da war ein junger Mann, an dessen Seiten direkt zwei chinesische Frauen saßen. Pakhet wusste, dass es gerade in den Triaden in Mode gekommen war, Frauen zur Sicherheit auszubilden. Man vermutete sie seltener als einen Mann. Sie konnten die Überraschung für sich nutzen.

Egal.

Insgesamt waren hier 25 Personen. Ihr Zielperson war nicht zu sehen. Doch ihr war auch nicht entgangen, dass vom Zimmer aus vier Türen abgingen. Eine davon stand offen, führte in eine ordentliche, wenngleich kleine Küche. Die anderen wahrscheinlich zu den Zimmern, die als Arbeits- und Schlafzimmer vorgesehen waren.

Sie würde ihn schon finden. Huang Li. Bis dahin musste sie sich anpassen. Sie durfte nicht auffallen.

„Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?“, meinte eine der knapp bekleideten Frauen in sehr brüchigem Englisch.

Pakhet nickte abwesend. „Ja, sicher.“

Ihre größte Sorge war, dass jemand den Arm bemerkte. Ihre Prothese war ein unbewegliches Ding mit nur einer Beuge am Arm. Zwar hatte Michael ihr einen teuren Glamour-Zauber bezahlt, doch war sie nicht sicher, dass es reichte. Sie hätte ihre normale Prothese bevorzugt, doch sah die nun einmal aus wie eine Prothese und erweckte nicht einmal den Eindruck, eines normalen Arms. Dagegen sah dieser Arm zumindest auf den ersten Blick echt aus – wenngleich er mehr an den Arm einer Schaufensterpuppe erinnerte. Er war eine bessere Grundlage für einen Zauber, als die Alternative. Für den Kampf war letzten Endes beides kaum zu gebrauchen.

Ihr wurde ein Glas in die Hand gedrückt. Sie dankte. Dann ließ sie sich von Tenzien zu einem der Tische ziehen.

Unauffällig bleiben, das war die oberste Priorität. Einer der seltsamsten Nebeneffekte ihres Jobs war, dass sie praktisch jedes weit verbreitete Glücksspiel auf dieser Welt gelernt hatte. Zu viele Jobs der letzten zweieinhalb Jahre hatten sie in Casinos gebracht. Es war eine gute Methode, Informationen zu bekommen.

Also ein Spiel Mahjongg. Einsätze wurden bar auf den Tisch gelegt. Sie verlor. Doch das war egal. Es war letzten Endes nicht ihr Geld.

Ein zweites Spiel Mahjongg, während sie ihre Umgebung aufmerksam musterte. Da kam eine junge Frau aus einem der benachbarten Zimmer. Sie war klein, zierlich, trug ein schönes Abendkleid. Auch Sicherheit?

Jemand bot Pakhet eine gerollte Zigarette an, die wahrscheinlich mehr als Tabak beinhaltete. Sie lehnte freundlich ab.

Wo war Huang Li? Wenn er nicht kam, tat sie sich die ganze Sache umsonst an! Vielleicht hätte sie ihn doch auf seinem Weg vom Haus abpassen sollen. Vor allem war der Raum hier klein. Es würde schwerer sein, ihren Plan unauffällig auszuführen. Selbst wenn es einige Minuten brauchen würde, ehe das Gift wirkte.

Nur nicht nervös werden. Sie musste ruhig bleiben. Selbst wenn es alles nicht so lief, wie sie eigentlich geplant hatte.

Dennoch schnitt sie bei diesem Spiel nicht so schlecht ab. Wenigstens etwas.

Selbst wenn es egal war.

Nette Worte wurden ausgetauscht. Jedenfalls ging sie davon aus. Die Hälfte verstand sie nicht. Egal. Es war alles egal.

Sollten die meisten Menschen hier nicht Englisch können? Nun, auch das war egal. Wahrscheinlich war es wie in Japan. Da sprach man auch kein Englisch, wenn es nicht unbedingt sein musste.

Ein drittes Spiel wurde gespielt, während nun doch einiger Rauch das Zimmer füllte. Zumindest Cannabis war deutlich zu riechen – wenngleich es harmloser war, als was sie vermutet hatte.

Bald war sie schon eine Stunde hier. Was sollte sie tun?

Nach dem dritten Spiel stand sie auf und entschuldigte sich mit der Frage nach der Toilette. Sie musste nicht wirklich, wollte sich jedoch einen Moment der Ruhe gönnen. Deshalb blieb sie für einige Minuten auf der Schüssel sitzen, atmete einige Male tief durch. Gerne hätte sie sich das Gesicht gewaschen, hatte jedoch wenig Lust, das Make-Up nachzuziehen. Nur weil „wasserfest“ draufstand, war es lange noch nicht wahr.

Als sie zurückkam zuckte sie beinahe zusammen, als ein chinesischer Mann um die fünfzig an dem Tisch saß, den sie eben noch verlassen hatte. Neben ihm eine deutlich jüngere Frau, die sich an seinen Arm klammerte. Er trug einen Anzug, auch wenn sein Jackett offen und seine Krawatte lose war. Jemand hatte sich vorher offenbar amüsiert. Die zurückgestriegelten Haare waren noch größtenteils schwarz. Eine dünne, kaum sichtbare Narbe zeigte sich unter seinem linken Auge. Das war fraglos Huang Li.

Na also. Dann würde ihr Job heute doch noch gelingen. Jetzt musste sie nur noch eine passende Situation schaffen.

Wieder stolzierte sie zum Tisch hinüber, setzte sich neben Tenzien, der ihr zunickte.

Huang schenkte ihr einen langen Blick.

Kein Wunder. Er kannte sie nicht. Wenn er eine hohe Position bei einer Triade hatte, würde er gelernt haben, misstrauisch zu sein.

Tenzien jedoch lächelte weiter, sagte einige Worte auf Mandarin. Offenbar stellte er sie vor.

Pakhet beließ ihre Beteiligung bei einem zurückhaltenden Lächeln, senkte den Blick und musterte die Steine auf dem Brett. Gut, er war hier. Wie ging sie nun vor?

Zu ihrer Überraschung erhob Li die Stimme: „Sie sind aus Amerika?“, fragte er in gebrochenem Englisch.

Pakhet hob den Blick, wieder um ihr Lächeln bemüht. „Ja.“

„Woher?“

„Tampa, Florida“, erwiderte sie. Es war eine Lüge, doch zu viele Spuren auf ihre alte Existenz würde man ohnehin nicht mehr finden. Sie fühlte sich sicher.

„Ist das in der Nähe der Disney Parks?“

„Tatsächlich, ja.“

„Ah. Verstehe. Meine Tochter wollte früher immer dahin.“ Er schenkte ihr ein gewinnendes, aber doch berechnendes Lächeln.

Er hatte eine Tochter? Sie dachte besser nicht darüber nach. „Und Sie waren nie?“

„Nein. Zu viele Verpflichtungen hier“, erwiderte er und hob ein Glas, das offenbar mit Schnaps irgendeiner Art gefüllt war.

„Zu schade“, erwiderte Pakhet.

Das Spiel ging weiter. Sie erlaubte sich noch ein wenig weiter nachzuhaken, wohl wissend, dass sie es nicht sollte. „Wie alt ist ihre Tochter jetzt?“

„27.“ Li legte einen Stein.

Gut. Das war beruhigend. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen durfte. „Verstehe. Vielleicht schafft sie es ja einmal so dahin.“

Er lächelte. „Ja, vielleicht.“

Das Spiel ging weiter. Irgendwie musste sie es schaffen näher an ihn heran zu kommen. Doch für den Moment wäre ein Versuch zu auffällig. Dabei hatte sie noch Zeit. Die Nacht war noch relativ jung. Es war nur eine Frage der Zeit. Genau. Sie durfte nicht nervös werden. Denn wenn sie einmal nervös war, machte sie Fehler. Fehler, die sie sich nicht erlauben konnte.

Die Männer fingen wieder an in ihrer Muttersprache miteinander zu sprechen, zu scherzen. Li war dabei das Spiel zu gewinnen.

Pakhet seufzte leise, streckte sich. Konnte sie es sich erlauben noch einmal aufzustehen? Es war nicht ungewöhnlich, da sie gerade nicht spielte, oder?

Also erlaubte sie es sich. Sie wandte sich Tenzien zu. „Kann man den Balkon betreten?“

Sein Blick war fragend, doch er nickte. „Ja, sicher.“

„Ich gehe etwas frische Luft schnappen“, meinte sie.

Tenzien deutete ein Schulterzucken an und wandte sich wieder dem Spiel zu.

Wie sie gesagt hatte, stand Pakhet auf, ging zu der Schiebetür hinüber, die auf einen für hiesige Verhältnisse relativ länglichen, wenngleich sehr schmalen Balkon führte. Sie rauchte nicht, weshalb es hier wenig für sie zu tun gab.

Also lehnte sie sich über die Balustrade und atmete die Nachtluft ein – selbst wenn diese nicht weniger rauchig roch, als die im Zimmer. Die Berichte über die Luft hier in der Stadt waren echt nicht übertrieben. Wie hielten die Menschen es hier nur aus? So viele. So eng. Es war gruselig. Ihr war es gruselig.

Sie würde froh sein, wenn sie morgen im Flugzeug nach Kapstadt saß. Dort waren die Menschen zumindest auf mehr Fläche verteilt. Es war angenehmer. Nicht so stickig. Nicht so …

Die Tür hinter ihr wurde erneut aufgeschoben. Jemand trat hinter sie.

Es war Li in Begleitung der Dame, die auch zuvor schon an seiner Seite gehangen war. War sie einfach nur seine Kurtisane oder ein Bodygard? Es war schwer zu sagen. Dem aufmerksamen Blick nach tippte Pakhet fast auf zweiteres, selbst wenn die Kleidung eher auf das erste tippte.

„Was war noch gleich ihr Name?“, fragte Li.

Pakhet wandte sich um, lehnte sich nun rücklings an die Ballustrade. „Ilsa Kirby“, antwortete sie.

Er schenkte ihr ein gewinnendes und sicher hundertfach trainiertes Lächeln. „Und was bringt sie nach Shanghai?“

„Geschäftliches, fürchte ich“, erwiderte sie. Am leichtesten log man, indem man nahe an der Wahrheit blieb.

„Ach ja?“

„Ja. Ich arbeite für ein Aktienunternehmen.“

„Oh. Ich hätte sie nicht für eine Börsenarbeiterin gehalten.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Sie wissen, wie das ist, oder? Es ist die legalste Form des Glücksspiels.“ Damit bemühte auch sie sich wieder um ihr Lächeln. Etwas an seiner Körperhaltung kam ihr seltsam vor.

Jetzt war sie mit ihm allein. Sie konnte es nutzen. Sie konnte das ganze hinter sich bringen. Wenn die Frau ihr nicht in den Weg kam. Es durfte niemand mitbekommen, was sie hier tat. Immerhin wollte sie keinen Sprung aus dem zehnten Stock riskieren.

„Ich verstehe schon“, erwiderte er. „Woher kennen sie Mr Han?“

„Habe ihn in New York kennengelernt.“ Besser sie drehte das Blatt bald um. „Wir hatten uns vorher verabredet. Er meinte er kannte einen guten Ort zum Spielen.“

„Meinte er das?“

Pakhet deutete ein weiteres Schulterzucken an. Ein Instinkt sagte ihr, sie sollte vor Li zurückweichen, doch sie widerstand dem Drang. „Ich habe schon mitbekommen, dass es nicht im Sinne der hiesigen Regeln war.“

„Allerdings nicht.“

„Ich hoffe, Sie können ihm verzeihen.“

„Das werden wir sehen“, erwiderte Li. Nun trat er näher an sie heran. „Woher haben Sie den Zauber?“

„Zauber?“, fragte sie und bemühte sich zu klingen, wie ein normaler Mensch, der nicht verstand. So, wie sie noch vor zwei Jahren geklungen hatte.

„Der Zauber auf Ihrem Arm. Der Ihre Prothese verbirgt.“

Damit hatte Pakhet nicht gerechnet. Er hatte den Zauber durchschaut? Aber das hieß …

„Ich nehme nicht an, dass Sie den Arm durch einen Papierschnitt verloren haben, oder?“

„Nein, tatsächlich nicht.“ Sie durfte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, drückte die Prothese näher an den Körper. „Ich rede nicht gerne darüber.“

„Was für einen Grund haben Sie, ihn magisch zu verbergen?“

„Wie gesagt, ich rede nicht gerne darüber. Die Menschen stellen Fragen, und …“

Li griff nach der Hand ihrer Prothese und hielt sie fest. Sein Blick suchte den ihren. Er schaute ihr direkt in die Augen, einen kalten Blick in den eigenen.

Langsam brannten sich gleich zwei Erkenntnisse in ihren Geist: Er war Magier. Und er wusste, warum sie hier war. Verdammt.

Sie konzentrierte ihre Energie, bewegte sich schneller, als es normalen Menschen möglich war, griff in ihre Handtasche, um die Spritze herauszuholen, doch seine Begleitung hatte ihre Hand gegriffen.

Pakhet leitete mehr Energie in die Hand, schaffte es sich dem Griff der Frau zu entwinden. Mit der Spritze in der Hand versuchte sie, Lis Bein zu treffen. Er hatte es nicht ordentlich geschützt. Aber auch Li war nicht langsam. Jetzt packte er die Hand ebenfalls, drückte sie gegen die Balustrade. Seine Augen funkelten.

„Wer hat dich geschickt?“

Statt zu Antworten zog die das Bein nach oben, traf ihn zwischen den Beinen, ließ ihn kurz schwanken. Genug um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Mit gesammelter Energie warf sie ihn um. Tatsächlich landete er auf dem Rücken. Schon wollte sie mit der Spritze nachsetzen – wohl wissend, jetzt Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Erneut war jedoch seine Begleitung vor ihr. Sie positionierte sich vor ihrem Boss, wehrte erneut Pakhets Angriff ab, versuchte ihre Beine unter ihr wegzufegen.

Zumindest letzteres hatte Pakhet kommen sehen, schaffte es rechtzeitig zurückzuschreiten.

Das lief alles nicht so, wie gedacht.

Noch einmal sammelte sie Energie, im Versuch sich loszureißen, entwand ihre Hand dem Griff der anderen Frau, bekam deren Kleid zu fassen und warf sie gegen das Fenster. Dann warf sie sich auf Li, der versuchte sich auf die Beine zu kämpfen.

Sie musste ihn nur kurz überwältigen, dann konnte sie entkommen.

Dieses Mal versuchte sie seinen Hals zu erwischen, doch auch er hatte Kämpfen gelernt. Er brachte seine Beine vor sich, machte es damit schwerer, ihn zu erreichen.

Nein, so einfach würde sie sich nicht abwehren lassen. Selbst wenn der linke Arm zu wenig zu gebrauchen war, konnte sie ihn damit etwas ablenken. Sie brachte den Arm vor sich, um seine Hände abzuwehren, versuchte derweil ihn erneut mit der Spritze zu treffen.

Ein Schuss erklang. Genau so wie Stimmengewirr.

Sie musste hier weg. Aber vorher musste sie den Job zu Ende bringen. Sie konnte sich keinen weiteren Ärger erlauben.

Einmal noch schlug sie aus, als Li ihren Arm zu greifen bekam. Er rief etwas auf Mandarin, etwas, das seltsam in ihrem Kopf nachhallte.

Magie.

Verdammt.

Das war ihr letzter Gedanke.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Thrawni
2021-04-03T08:09:31+00:00 03.04.2021 10:09
Okay, ich weiß nicht, wie schnell ich mit den Kapiteln durchkomme, weil ich derzeit nicht so viel Zeit für alles habe, aber nachdem ich das erste Kapitel gerade gelesen habe, möchte ich einfach schreiben, dass es unfassbar toll geschrieben ist. Spezifischer gesagt: Du hast es hier während Pakhets Warten auf eine Gelegenheit geschafft, die Spannung wirklich großartig aufzubauen. Die ganze Zeit hing etwas subtil Bedrohliches über der Situation und ich war permanent "on the edge of my seat". Natürlich ahnt man aufgrund der Tatsache, dass es halt das erste Kapitel ist, dass die Sache nicht so laufen wird wie geplant, aber dennoch: Wie du das hier umgesetzt hast, war es wirklich spannend. Und verdammt, ich will eigentlich direkt weiterlesen, aber ... Seufz, es warten Aufgaben. Aber wie gesagt: Wirklich toll geschrieben und ein sehr guter Einstieg in die Geschichte!
Antwort von:  Alaiya
03.04.2021 11:56
Hi Thrawn. Überrascht mich jetzt dich mit einem Account hier zu sehen. Aber ich freue mich sehr über den Kommentar und darüber, dass die Geschichte die gefällt. Die wird noch sehr düster.
Auch: Ja, es ist halt in der Situation auch doof mit dem Warten. Aber an der Situation ist allgemein vieles ziemlich doof.
Von:  Taroru
2020-03-23T18:14:08+00:00 23.03.2020 19:14
oh okay.... in welche zeit ordne ich das jetzt nu ein? XD
ich freu mich jedenfalls über noch mehr pakhet input XD
Antwort von:  Alaiya
23.03.2020 19:24
Die Geschichte spielt 2006 :)
Antwort von:  Taroru
23.03.2020 19:46
ah okay, ich bin gespannt was dann noch auf mich als leser zu kommt :-D


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