Zum Inhalt der Seite

Things That Should Not Be

Kunikida/Dazai
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 13

Die Tage vergingen und der Alltag kehrte zurück zur Armed Detective Agency. Das Telefon klingelte unbarmherzig, Fallakten stapelten sich und ein jeder ging seinen Aufgaben nach. Lautes Geplapper im Büroraum, surrende Computer und das Rascheln der Vorhänge bei jeder aufkommenden Brise. Ein ganz normaler Tag. Wie immer. Aber irgendwie auch nicht. Beinahe wehmütig warf Atsushi einen Blick auf die unbesetzte Couch. Dann zu Kunikidas Schreibtisch. Kunikida Doppo hatte in seinem ganzen Leben keinen einzigen Krankheitstag. Doch seit Dazais Entlassung hatte er sich Urlaub genommen und Fukuzawa hatte dies sofort bewilligt. Dazai wohnte derzeit bei seinem blonden Kollegen und war seit seiner Entlassung kein einziges Mal im Büro gewesen.
 

Daraufhin linste er zu Dazais Schreibtisch. Bis vor ein paar Tagen war ein großer Stapel Akten und Unterlagen auf seinem Schreibtisch gewesen – unbearbeitet, darauf wartend, endlich geöffnet zu werden. Kunikida hatte den Großteil erledigt, in der Zeit, als Dazai auf der Intensivstation lag. Und nun waren beide Schreibtische leer. Atsushi vermisste die beiden Streithähne. Ohne Dazai war die ganze Atmosphäre anders und da Kunikida nicht vor Ort war, blieben die meisten Akten ungeöffnet. Notfälle wurden sofort angenommen. Jedes Mal, wenn die Polizei anrief und um Verstärkung und Hilfe bat, machten sich Atsushi, Kyouka und Tanizaki auf den Weg.
 

Und schon wieder ein eingehender Anruf. Schon wieder ein brennendes Gebäude. Tanizaki und Atsushi machten sich auf den Weg, um die Ort des Verbrechens zu untersuchen und nach Hinweisen auf den Täter zu suchen.
 

„Schon wieder Brandstiftung? Hört das denn nie auf?“, grummelte Tanizaki, der seinen Kopf hängen ließ und mit Atsushi losgegangen war, um den Tatort nach weiteren Spuren zu untersuchen. Der Silberhaarige schluckte. Er kannte die Gegend. Tanizaki führte ihn direkt in Dazais Wohngegend. Man hatte zur Sicherheit große Teile abgeriegelt und die Polizisten hießen die beiden Detektive willkommen. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam Atsushi. Das war nicht irgendeine Wohnung, sondern Dazais Apartment, das dort lichterloh brannte. Die Außenwände des Gebäudes brachen langsam in sich hinein und eine riesige Staubwolke verhinderte ihnen die Sicht. Keuchend rang er nach Atem. Der Rauch und der aufkommende Staub ließen seine Augen tränen.
 

Der Polizist, der den Einsatzort abgeriegelt hatte, erklärte ihnen, was geschehen war und aufmerksam hörten die beiden zu.
 

„Ein Glück, dass niemand im Gebäude war“, meinte der Mann und verschränkte die Arme. Die Löscharbeiten der Feuerwehr hielten weiterhin an. Noch immer konnte Atsushi nicht fassen, was geschehen war. Dazais Wohnung war nichts weiter mehr als eine Ruine.
 

„Wir gehen von Brandstiftung aus, aber es könnte durchaus eine Gasexplosion gewesen sein“, hieß es und Atsushi fröstelte es am ganzen Körper.
 

Er hörte nur das Wort Brandstiftung und vor seinem geistigen Auge sah er den schwerverletzten Dazai, der Blut spuckend und röchelnd am Boden lag, als er angeschossen wurde. Er senkte den Blick. Unmöglich. Seine Konzentration war komplett weg. Tanizaki hörte den Männern aufmerksam zu, doch Atsushi starrte teilnahmslos auf den Boden. Kein einziges Wort drang zu ihm durch. Stattdessen sah er Bilder vor sich, die ihn lähmten. Genau hier hatten sie Dazai vor einigen Wochen halb tot aus seiner Badewanne gezogen. Und nun war nichts mehr übrig. Flammen, die sich ausbreiteten und drohten, auf die anderen Häuser überzugehen und das Rauschen von Wasser, das unnachgiebig gegen das alles auslöschende Feuer ankämpfte.
 

Atsushi sah auf, warf einen Blick in die Flammen, sah den aufkommen Qualm und den Bauschutt, der Staubwolken in die Luft transportierte und fühlte sich genauso hilflos wie an dem Abend, an dem er und Kunikida Dazai zur Rettung kommen wollten. Sämtliche Mitglieder von Henkō hatte er mit seinen mächtigen Tigerpranken niedergerissen und besiegt, während Dazai reglos am Boden lag. Ein verirrter Schuss. Nur eine Patrone, die sich gelöst hatte und Dazai traf. Und all das, weil wir uns eingemischt haben. Es war meine Schuld, dass Dazai beinahe gestorben wäre. Ich habe die Wand eingerissen. Die Schuldgefühle, die Atsushi verfolgten, ließen ihn nicht los.
 

An jenem Abend hatte er unüberlegt gehandelt...
 


 

———————————
 

„Dazai-san ist in Gefahr!“, rief Atsushi erschrocken aus und lauschte den Worten. Dazai war umzingelt und wenn sie nicht ihm nicht schnellstmöglich zur Hilfe kamen, würde er vielleicht umkommen. Seine Hände verwandelten sich in Tigerpranken und ohne großartig weiter zu überlegen, riss Atsushi die Wand nieder, während er irgendwo aus weiter Ferne noch Kunikidas mahnende Worte hörte, die ihn nicht mehr erreichten, sondern nichts weiter waren als ein Teil der Geräuschkulisse. Brüllend hetzte er in den Raum und rang die Männer nieder. Dann ein Schuss. Er sah aus dem Augenwinkel heraus, wie Kunikida mit bloßen Händen zwei Männer niederschlug. Elegant wich er ihren Angriffen aus, nutzte ihre eigene Kraft gegen sie und rang sie zu Boden. Der Staub legte sich langsam.
 

Als er endlich den Raum um sich herum erkennen konnte, sah er, wie Dazai zu Boden ging. Wie in Zeitlupe sah er, wie Dazai dem Boden immer näher kam, auf seinen Lippen ein Lächeln, während seine Augen eine merkwürdige Zufriedenheit ausstrahlten. Röchelnd lag er am Boden. Nur wenige Sekunden später bildete sich ein Blutlache unter ihm. Reglos betrachtete er die Decke. In diesem Moment gab es keine quälenden Gedanken mehr. Eine innere Ruhe kam in ihm auf. Seine Lunge gab auf und er konnte genau spüren, wie sein Herz immer langsamer schlug. Völlige Benommenheit. In Dazai herrschte eine Leere und obwohl er genau sehen konnte, dass sich Atsushi schreiend und weinend über ihn beugte, so nahm er ihn dennoch nicht wahr.
 

Immer war da diese Hand gewesen, die sein Herz umklammerte, es in der Faust zerdrückte und ihn quälend bewusst machte, dass er am Leben war. Dieser eigenartige Schmerz in seinem Herzen, das Bewusstsein am Leben zu sein und dieses schwarze Loch, das ihn tagtäglich erneut zu verschlingen drohte. Die Hand ließ sein Herz endlich los. Kein Schmerz. Sein Herz hörte auf zu schlagen und die Finsternis überkam ihn. Atsushis Wehklagen erreichte ihn nicht. Dass Kunikida ihre Gegner fesselte, die Polizei und den Notdienst rief, bekam er auch nicht mit. Selbst wenn er seine Umgebung noch wahrgenommen hätte, wäre es ihm egal gewesen, denn endlich kam er zur Ruhe. All die negativen, quälenden Stimmen verstummten mit einem Mal.
 

„Verdammt, weg da!“, brüllte Kunikida und schubste den weinenden Atsushi weg. Mit verheulten Augen sah er zu, wie Kunikida Dazai wiederbelebte. Minutenlang beatmete er ihn und massierte Dazais Herz, riss sich seine Weste und sein Hemd vom Leib, drückte seine Kleider auf die große Schusswunde in Dazais Brustkorb und ließ nicht locker, weiterhin Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Kollegen am Leben zu erhalten.
 

Atsushi hockte am Boden. Hilflos. Machtlos. Er war nichts weiter als eine Last. Nichts konnte er tun. Nur zusehen, wie Kunikida um Dazais Leben kämpfte. Und was tat er? Nichts. Er saß hier, während die Sirenen immer lauter wurden. Die Rettungskräfte nahmen Dazai und Galos mit, die beide so schwer verwundet waren, dass sie das Bewusstsein verloren hatten. Die Polizisten, die ihm Fragen zu dem Geschehen stellten, waren für ihn nichts weiter als schemenhafte Gestalten. Ihre Stimmen hörte er nicht. Obwohl er als Menschentiger sich sonst damit rühmte, fast jedes Geräusch noch aus weiter Entfernung zu hören, so fühlte er sich in diesem Moment, als hätte man ihn in Watte getaucht. Es war Kunikida, der Dazais Leben gerettet hatte.
 


 

———————————
 

An Ort und Stelle eingefroren. Kein Muskel bewegte sich. Ein trüber Blick auf die Überreste des Gebäudes. Atsushi stand bereits seit Stunden hier und beobachtete die Feuerwehrleute bei ihrer Arbeit, starrte unentwegt in die Flammen, die das Gebäude eingeschlossen hatten und langsam nachließen. Ein ausgebranntes und halb eingefallenes Gebäude war alles, was übrig blieb. Wie fühlte es sich an, ein geliebtes Heim zu verlieren? Atsushi kannte die Antwort nicht. Denn er hatte nie materielle Gegenstände besessen. In dem Waisenhaus, in dem er Jahre verbracht hatte, hatte er nicht mal ein eigenes Zimmer und den Großteil der Zeit hatte er im Kellergeschoss verbracht. Angekettet wie ein Tier. Hinter Gittern. Oft hatte er sich gewünscht, etwas zu haben, das nur ihm gehörte und das niemand ihn wegnehmen konnte. Obgleich er wusste, dass der Heimleiter ihn niemals erlauben würde, etwas als sein Eigentum zu bezeichnen.
 

„Es ist nichts übrig“, hauchte Tanizaki und legte tröstend eine Hand auf Atsushis Schulter.
 

„Dazai-san“, flüsterte Atsushi und biss sich auf die Unterlippe.
 

„Wir müssen den Brandstifter finden“, knurrte Tanizaki dann, ehe er seinen Griff um Atsushis Schulter verstärkte und ihn endlich aus seinem tranceähnlichen Zustand herausholte.
 

Es gab keinerlei Hinweise auf einen Täter. Alles, was sie hatten, waren Spekulationen. Wage Informationen von denen man nicht einmal sicher sein konnte, dass sie der Wahrheit entsprachen. Der komplette Bezirk war heruntergekommen. Ein Milieu in dem hauptsächlich einkommensschwache Menschen und Kriminelle lebten und das erst bei Anbruch der Nacht sein wahres Gesicht zeigte. Tagsüber befand sich niemand auf den Straßen. Man hätte meinen können, dass es sich um eine Geisterstadt handelte, doch bei einigen Fenstern konnten die beiden Ermittler Bewohner erkennen, die neugierig heraus linsten und dem Spektakel zusahen.
 

Atsushi schüttelte den Kopf. Hier ging es um seinen Mentor! Einen Freund! Ein geliebter Mensch, der bereits am Boden war und Hilfe brauchte und wer auch immer es gewagt hatte, sein Heim niederzubrennen, würde dafür bezahlen. Ein warmes Licht umgab Atsushi und er nutzte die Macht des Tigers. Seine Pranken erschienen, seine Augen leuchteten und sein Gesicht verzerrte sich, nahm Merkmale eines Tigers an. Dann schloss er die Augen und schnupperte. Der Gestank des Rauches war unerträglich, aber er war sich sicher, etwas anderes wahrzunehmen. Ein süßlicher Duft. Parfüm? Oder eher ein After-Shave? Er schnüffelte weiter und folgte einer Fährte. Tanizaki lief ihm wortlos hinterher. Das Bezirk ließen sie hinter sich.
 

Noch immer folgte Atsushi dieser Spur, während Tanizaki seinen Blick aufmerksam hin und herwandern ließ, um verdächtige Personen zu erkennen. Es war bereits Nachmittag und die vielen Menschen, die nun auf die Straßen strömten, machten es Atsushi weitaus schwerer, dem Geruch zu folgen, also hechtete er voraus. Tanizaki riss erschrocken die Augen auf und erhörte ebenfalls das Tempo. Keuchend lief er dem Tigerjungen hinterher. Tanizaki war nie sonderlich sportlich gewesen und seine Ausdauer war alles andere als rekordverdächtig. Bereits jetzt quälten ihn Seitenstiche und er rang nach Atem. Dann preschte Atsushi in eine kleine Seitenstraße. Hier waren kaum mehr Menschen unterwegs. Graffiti verzierte sämtliche Wände und der Boden war voller Müll. Vor allem die Bierflaschen und zerbrochenen Gläser sprangen ihm direkt ins Auge.
 

Eine kleine Treppe führte in das Kellergeschoss eines Gebäudes. Eine Klubtür?
 

„Tanizaki-kun... ist es möglich mithilfe deiner Fähigkeit ungesehen hereinzukommen?“
 

Angesprochener nickte.
 

„Bist du dir sicher, dass wir da einfach reinstürmen sollten?“
 

„Beim letzten Mal wurde Dazai-san verletzt, weil ich unüberlegt gehandelt habe. Aber dieses Mal bist du hier und wir mischen uns nicht ein, sondern sammeln Informationen. Wenn wir etwas Brauchbares finden, rufen wir Verstärkung“, erklärte Atsushi selbstbewusst.
 

Lag es an seiner Tigerkraft, die ihm mit diesem Elan und Selbstbewusstsein ausstattete oder daran, dass er eine persönliche Motivation bei diesem Fall verfolgte? Immerhin wollte er den Täter finden, der es gewagt hatte, Dazais Heim in Flammen aufgehen zu lassen! Die beiden Ermittler nickten einander zu. Tanizaki aktivierte seine Fähigkeit und zog sich seine Haarspange heraus, mit der er versuchte das Schloss zu knacken. Bei Dazai sah das immer so leicht aus, doch er kam hierbei wirklich an seine Grenzen. Angestrengt wendete er das kleine Stück Metall hin und her, hoffte auf das erlösende, klickende Geräusch, das ihm bestätigte, dass die Tür nun offen war, doch mit jeder verstreichenden Sekunde wurde er ungeduldiger und er machte mehr Fehler.
 

Beim vierten Versuch schaffte er es. Keine Leistung, auf die er stolz sein sollte, trotzdem fühlte er sich so gut bei diesem Verbrechen, als hätte er eine Eins in Mathe geschrieben. Als die Tür sich vor ihnen öffnete, war dies ein unglaublich belohnendes Gefühl. Sie traten hinein. Die Lichter waren gedimmt. Auch hier konnte man an den Wänden Graffiti erkennen. Leuchtende Neonröhren, die den weiteren Abstieg in den Keller erhellten. Die Treppenstufen waren aus Stein und mussten schon ziemlich alt sein. Erst jetzt wurde ihnen klar, dass es sich hierbei um eine kleine Kellerdiskothek handelte oder gehandelt haben musste. Mit Sicherheit konnten sie nicht sagen, ob hier gefeiert oder doch eher illegal gehandelt wurde.
 

Ein schmaler Gang führte zu mehreren Türen. Stimmen waren zu vernehmen. Atsushi schluckte hart, sammelte sich dann wieder und lauschte. Lautstarkes Lachen, das Klirren von Gläsern und stimmungsvolle Jazzmusik im Hintergrund, die es ihm erschwerte, jedes Wort genau zu verstehen. Vorsichtig öffnete Tanizaki die Tür einen Spalt breit. Der Raum war in einem pinken Licht erfüllt, über der Bar hingen pinke Neonröhren und an den Sitzhockern an dem Tresen konnte man mehrere Personen erkennen, die Gläser in der Hand hielten und auf irgendetwas anstießen.
 

„Wo schlagen wir als nächstes zu?“, fragte einer mit einer besonders tiefen Stimme, die Atsushi an einen wütenden Grizzlybären erinnerte.
 

„Das Zentrallager der Mori Corporation wäre ein super Ausgangspunkt“, sagte ein anderer und leerte sein Glas mit einem Zug.
 

„Wäre das nicht zu auffällig? Wir wollen die Port Mafia aus der Reserve locken und sie ein bisschen sticheln, aber wenn wir direkt ihre Scheinfirma attackieren, werden sie sämtliche Geschütze hochfahren.“
 

„Wenn wir sie herausfordern wollen, müssen wir da angreifen, wo es richtig wehtut. Die Mori Corporation ist eine der reichsten Immobilienverwaltungsfirmen in ganz Japan und hat hunderte Kunden weltweit, wenn wir sie angreifen, wird es zu starken Verzögerungen bei ihren zukünftigen Projekten kommen und dann muss Mori reagieren und sein Augenmerk auf seine Firma richten“, erklärte der andere und orderte eine weitere Flasche, die er öffnete und gierig zur Hälfte leerte, dann grinste er breit und lachte amüsiert.
 

„Und wenn er mit dem Ruf seiner Firma beschäftigt ist, zünden wir ihre Lagerhallen an und schnappen uns ihre Handelsgebiete“, fügte er hinzu. Ein anderer lachte daraufhin lauthals los, schlug begeistert auf die Tischplatte.
 

„Demon Prodigy ist ausgeschaltet, aber wir müssen noch die anderen Executives ablenken“, sagte einer und gestikulierte wild mit seinen Händen drauflos.
 

„Was? Du hast das Schnuckelchen gekillt?“
 

„Was denn? Du stehst auf den kleinen Dämon?“
 

„Ich habe ihn einmal persönlich getroffen, er hat ein wunderschönes Gesicht! Könnte glatt ein Model sein!“
 

„Ach, stimmt ja! Du hast ja als Informant agiert und sowohl für Henkō als auch für uns Informationen beschafft“, sagte der eine und sie lachten drauf los. An der Aussage war nichts Lustiges zu erkennen, doch sie hatten scheinbar so viel Alkohol intus, dass sie selbst über einen vorbeifliegenden Staubfusel gelacht hätten.
 

„Dieser Idiot Mori denkt, er hätte den Krawallmacher endlich erledigt, aber er weiß nicht, dass Henkō lediglich ein Ablenkungsmanöver war. Der dumme Galos und seine Truppe sitzen jetzt hinter Gittern und kommen so schnell nicht mehr auf freien Fuß und jetzt haben wir freies Spiel.“
 

„Ich hab die Wohnung vom Dämon angezündet, aber er war nicht zuhause. Vielleicht versteckt er sich irgendwo, also wenn du ihn flachlegen willst, musst du ihn nur finden“, sagte er und man hörte in seiner Tonlage ein breites, angeheitertes Grinsen heraus.
 

Atsushi und Tanizaki schluckten beide und hielten den Atem an. Sie hatten eindeutig die Brandstifter gefunden. Verstärkung rufen? Rückzug? Sie brauchten eine Strategie. Sie durften nicht das Risiko eingehen, verletzt zu werden. Tanizaki wirkte angespannt und drückte Atsushi vorsichtig zur Seite, um so seinen Kopf durch den Spalt zu drücken und mehr von der Umgebung und den Personen im Raum sehen zu können. Sein Herz raste. Auf keinen Fall durfte er die Tür noch weiter öffnen, wenn er keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Auch wenn seine Fähigkeit sie unsichtbar machte, bedeutete das nicht, dass laute Geräusche oder plötzliche Veränderungen in der Umgebung, nicht zu sehen waren. Eine Tür, die sich auf magische Art und Weise öffnete, würde jeden alarmieren.
 

Angewidert verzog Tanizaki das Gesicht, als die Männer weiter über ihre Abenteuer tratschten. Dieser große Kerl hat einen Narren an Dazai-san gefressen. Wir sollten ihn besser warnen, bevor wirklich etwas passiert, dachte Tanizaki, bewegte sich dann vorsichtig zurück und schloss die Tür leise hinter sich, nickte seinem Kollegen entschlossen zu. Zumindest wussten sie nun, wo diese Kerle als nächstes zuschlagen würden. Dennoch war er sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, sich aus dieser Angelegenheit rauszuhalten. Das hier waren Gangster, die sich mit der Port Mafia anlegten. Wäre es nicht besser, die Probleme des Untergrunds dort zu lassen, wo sie hingehörten? In den Schatten?
 

Sie verließen das Gebäude. Als sie draußen ankamen, dämmerte es bereits und die bunten Straßenlichter erleuchteten die Straßen in vielen bunten Farben. Das Nachtleben erblühte und die Stadt zeigte ihre andere Seite. Tanizaki und Atsushi riefen bei der Detektei an und erklärten Fukuzawa, was sie ans Tageslicht bringen konnten. Fukuzawa seufzte tief.
 

„Wir sollten uns nicht in die Angelegenheiten der Mafia einmischen, aber bitte warnt Dazai und stellt sicher, dass er sich nicht unnötig in Gefahr bringt“, lautete Fukuzawas Befehl und die beiden Ermittler nickten. Endlich würden sie Dazai sehen und Atsushi stellte aufgeregt fest, dass er noch nie in Kunikidas Wohnung gewesen war. Wie er wohl lebte?
 


 

———————————
 

Nach jedem Mahl stand der Abwasch bevor. Für Kunikida war es das Normalste auf der Welt, sein gebrauchtes Geschirr exakt fünf Minuten im Wasser aufweichen zu lassen und dann mit einem Schwamm fein säuberlich zu reinigen. Das Wasser musste exakt 45° Grad Celsius haben, die Menge des Schaumes bestimmte die Reinigungskraft und je nach Material des Gegenstandes änderte sich die Länge des Schrubbens. Klare Richtlinien. In Kunikidas Wohnung gab es Regeln. Feste Regeln. Unumstrittene Regeln, die Hygiene ebenfalls regelten.
 

Kunikidas Augen zuckte gefährlich.
 

Als er seinen neuen Mitbewohner zum ersten Mal abwaschen ließ, wurde schnell klar, dass er niemals wieder auch nur einen Finger an sein Geschirr legen würde, geschweige denn in die Nähe des Abwasches kommen würde. Drei Teller waren seinem Mitbewohner heruntergefallen. Klirrend waren sie zu Boden gegangen und die Scherben waren in der ganzen Küche verteilt. Beim ersten Teller hatte er noch ein Auge zugedrückt. Das konnte jeden Mal passieren. Beim zweiten Teller ein schmerzerfülltes Lächeln. Wortlos hatte er die Scherben weggeräumt. Nur um im nächsten Moment wieder durch ein lautes, klirrendes Geräusch aufgeschreckt zu werden. Da hatte es ihm gereicht und er hatte Dazai lauthals angeschrien, ihm den Schwamm aus der Hand gerissen und laut fluchend den Rest des Abwasches selbst erledigt.
 

Dazai war beschämt (vermutlich spielte er dies auch nur) und griff nach einem trockenen Tuch und unterstützte seinen Kollegen nach besten Gewissen, nur um im nächsten Moment ein Glas fallen zu lassen, welches glücklicherweise nicht in seine Einzelteile zersprang, doch Kunikidas Geduldsfaden endgültig reißen ließ. Seitdem hatte Dazai Küchenverbot. Nach einigen Tagen hatte er dieses gelockert. Dazai durfte seine benutzten Gläser in die Spüle zum Einweichen legen. Doch der Brünette tat genau dies nicht. Stattdessen stapelten sich mehrere benutzte Gläser neben dem Spülbecken. Mit Entsetzen stellte der Blonde fest, dass die Reste des Getränkes am Glasboden bereits getrocknet war.
 

Er zählte bis zehn. Ruhe bewahren. Dazai schlief auf der Coach. Die letzten Tage hatte Dazai nicht viel gemacht. Außer schlafen. Und nörgeln. Vor allem nörgeln! Die Coach wäre viel zu unbequem und Kunikida herzlos, da er einen verletzten Mann, ein weiches Bett verwehrte und ihn dazu verdonnerte, sein Leben mit endlosen Rückenschmerzen zu beenden. Dazai neigte eindeutig dazu überzudramatisieren und fand jeden Tag etwas Neues, das ihm gegen den Strich ging. Kunikida achtete sehr darauf, dass er liegen blieb und regelmäßig Mahlzeiten zu sich nahm – gerade letzteres war ein großes Streitthema.
 

Kunikida rieb sich angestrengt das Nasenbein. Wie konnte ein Mann in diesem Alter nur so wählerisch sein? Der Reis zu hart, die Soße zu scharf, das Gemüse zu bitter, der Fisch ungenießbar, der Kaffee nicht süß genug und das Wasser zu kohlensäurehaltig. Und wenn er mal etwas aß, dann so kleine Portionen, dass Kunikida zweifelte, dass ein Mann dieser Größe davon satt werden konnte. Doch ihn zum Essen zu zwingen, hatte beim letzten Mal zu einem Streit geführt. Zwei Tage hatte Dazai kein Wort mit ihm gewechselt und immer nur die Nase gerümpft, wenn er in seine Nähe kam und weil er einen schweigenden Dazai weitaus unerträglicher empfand, als einen sinnlos daher plappernden Dazai, hatte er beschlossen, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen und seinem Kollegen diesen Sieg zu schenken.
 

Das nächste Problem war, dass Dazai sich langweilte und ständig aufstand und nach Beschäftigung suchte. Ruckzuck hatte er seine Buchsortierung durcheinander gebracht. Jedes Buch, das er aus dem Regal zog, kommentierte er mit: „Langweilig“ oder „Kenne ich in und auswendig!“, nur um es dann achtlos neben sich fallenzulassen und das nächste herauszuziehen. Nachdem er ihn ausgeschimpft hatte, hatte er die Bücher ins Regal zurückgestellt. Unsortiert! Was für ein Ärgernis! Dabei hatte Kunikida peinlichst genau darauf geachtet, die Bücher nach Erscheinen einzusortieren und die für ihn wichtigsten Autoren nebeneinander einzugliedern, um Nachschlagewerke, von denen er wusste, sie öfter zu brauchen, schnell zur Hand zu haben.
 

Nichts blieb unkommentiert. Die Gardinen zu weiß, die Tapete zu hell, der Boden nicht bequem genug (bis jetzt wunderte sich Kunikida, warum dies überhaupt wichtig war, andererseits hätte es ihn nicht verwundert, Dazai auf dem Boden liegend schlafend vorzufinden) und die Badewanne zu klein, die Hygieneartikel nicht nach seinem Geschmack und eigentlich fand Dazai überall etwas, woran er etwas auszusetzen hatte und was er als Grund vorschob, endlich nach Hause gehen zu können. Doch Kunikida ließ nicht locker. Ließ seinen Kollegen nicht gehen und achtete weiterhin darauf, dass der Brünette sich ordentlich erholte. Dazai so zu bemuttern war anstrengend. Nervenaufreibend. Die wohl schwierigste Mission, die er je erhalten hatte.
 

Er ließ die angetrockneten Gläser im Wasser aufweichen und entschloss nach Dazai zu sehen, um sicherzugehen, dass er nicht schon wieder Unsinn trieb. Er warf einen Blick ins Wohnzimmer. Dazai schlief immer noch auf der Coach. Kunikidas Auge zuckte. Dazai hatte seine Socken auf dem Boden verteilt! Und die Hose direkt vor der Coach auf dem Boden abgelegt. Typisch! Leise grummelnd hob Kunikida die Kleidungsstücke auf, faltete sie zusammen und legte sie auf den Coachtisch ab, dimmte das Licht etwas und deckte seinen Kollegen zu. Einen Moment verharrte er in seiner Position, beobachtete Dazais friedliches Gesicht, der das große Coachkissen an seine Brust gedrückt hielt und seine Beine angewinkelt hatte.
 

Kunikida hatte eines gelernt, seit er mit Dazai ein Dach teilte: es kam äußerst selten vor, dass Dazai ruhig schlief. Meistens wachte er mitten in der Nacht auf. Manchmal schrie er und wimmerte, doch Kunikida brachte den Mut nicht auf, ihn nach dem Grund seiner Alpträume zu fragen. Stattdessen setzte er sich mitten in der Nacht zu ihm und las aus seinen Büchern vor, solange bis Dazai sich wieder beruhigt hatte. Sie sprachen nicht darüber. Sie vermieden es über Dazais Schlafprobleme zu reden. Dazai reagierte gereizt, wenn Kunikida versuchte, das Thema anzuschneiden und Dazai blockte ohnehin nach nur wenigen Fragen ab.
 

Seit fünf Tagen lebten sie nun zusammen. Kunikida seufzte und ging in sein Schlafzimmer, wo er seinen Laptop hochfuhr und die neuesten Nachrichten durchging. Brandstiftung. Raub. Festnahme von Dealern. Beschlagnahmung von Drogen. Bis auf die Brandstiftung keine Nachricht, die ihm sonderlich ins Auge sprang. Er grübelte, was das zu bedeuten hatte und ob dies etwas mit dem Bombenleger zu tun haben könnte, den Dazai hatte entwischen lassen.
 

Sein Smartphone vibrierte. Tanizaki und Atsushi kündigten sich an. Eigentlich wollte er die beiden direkt abwimmeln, doch es schien so, als hätten sie wichtige Informationen, die sie unbedingt teilen mussten. Kunikida konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Im Zeitalter von Smartphones und Internet hätten sie ihn jederzeit erreichen können und ihm sofort sagen können, was sie zu sagen hatten, aber er wusste genau, dass die beiden in Wirklichkeit nach Dazai sehen wollten.
 


 

———————————
 

Kunikida ließ seine beiden Besucher in seine Wohnung.
 

„Seid aber bitte leise, Dazai schläft“, meinte er und führte die beiden in seine Küche.
 

Atsushi sah sich neugierig um und versuchte in das Wohnzimmer zu sehen, welches jedoch so abgedunkelt war, dass er kaum etwas erkennen konnte. Etwas enttäuscht, Dazai nicht gesehen zu haben, setzte er sich zu den anderen beiden. Kunikida hatte grünen Tee vorbereitet und bereits Tassen mit Untersetzern hingestellt. Er wirkte etwas angespannt.
 

„Was war so wichtig, dass es nicht bis morgen warten konnte?“
 

Tanizaki und Atsushi fuhren in sich zusammen, denn zu deutlich war der Vorwurf herauszuhören.
 

„Seit einigen Tagen gibt es einen Fall von Brandstiftung“, murmelte Tanizaki, sichtbar eingeschüchtert.
 

„Dazai-sans Wohnung wurde niedergebrannt und wir haben die Täter ausfindig gemacht“, sagte Atsushi selbstbewusst. In seinen Augen leuchtete Zorn und der Drang nach Gerechtigkeit.
 

Kunikida stellte seine Tasse laut hörbar ab und sah seine beiden Kollegen ungläubig an. Dazais Wohnung wurde verbrannt?! Das heißt, er wird wohl oder übel solange bei mir wohnen müssen, bis er eine neue Wohnung hat, überlegte er. Wäre Dazai ein etwas besserer Mitbewohner, der seine Regeln beachtete, hätte er kein Problem damit, ihn bis auf Weiteres in seiner Wohnung leben zu lassen, aber Dazai zeigte mit seiner Art ziemlich deutlich, dass er selbst nicht hier bleiben wollte. Es war ihm unangenehm, Kunikida den ganzen Tag an seiner Seite zu haben und seine zerbrechlichen Seiten zu offenbaren, die er unter allen Umständen zu verstecken versuchte.
 

„Das ist schrecklich“, hauchte Kunikida und rieb sich sein Kinn, überlegte, warum der Täter es auf Dazai abgesehen haben könnte. Nicht, dass dieser bereits den gesamten Untergrund auf seiner Feindesliste stehen hatte. Die Auswahl war somit gigantisch.
 

„Es scheint mit Henkō in Verbindung zu stehen“, begann Tanizaki und erzählte, was sie heute Nachmittag gesehen hatten.
 

„Ich kann es nicht gutheißen, dass ihr euch auf diese Weise in Gefahr gebracht habt, aber ihr habt richtig gehandelt. Dazai scheint immer noch in Gefahr zu sein“, fasste Kunikida zusammen und griff nun nach seiner Tasse, trank mehrere große Schlücke, mehr um sich wieder zu fassen, als um seinen Durst zu stillen. Es wurde leise. Tanizaki und Atsushi waren verwirrt.
 

„Der Präsident meinte, wir sollen uns nicht in die Angelegenheiten des Untergrundes einmischen“, meinte Atsushi, der seine Hände zu Fäuste ballte und ziemlich offensichtlich zeigte, dass er mit dieser Entscheidung nicht einverstanden war.
 

„Und das ist die beste Entscheidung“, kam es trocken von Kunikida. Atsushi sah ihn aufgebracht an.
 

„Aber!? Die haben Dazai-sans Wohnung niedergebrannt und einer von denen hat es ihn abgesehen, da können wir doch nicht einfach nur abwarten. Wir müssen etwas tun!“
 

„Nakajima Atsushi“, mahnte Kunikida und verschränkte seine Arme, sah dem Silberhaarigen tief in die Augen.
 

„Lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten, du gehst viel zu emotional an diese Sache heran. Muss ich dich daran erinnern, was das letzte Mal passiert ist, weil du Befehle missachtet hast?“
 

Atsushi senkte betroffen den Blick, schluckte hart und wagte es nicht einmal, nach einer Ausrede zu suchen. Er hatte überstürzt gehandelt und Dazais Leben unnötig in Gefahr gebracht.
 

„Bist du dir überhaupt im Klaren, wie viele Verbrechersyndikate im Untergrund agieren? Wir haben uns bereits einmal eingemischt und somit einen Milieukrieg verhindert, aber bei Henkō handelte es sich um eine relativ kleine Gruppierung, die keine Verbündete hatte. Was denkst du, passiert, wenn wir uns einmischen und diese Kerle, die ihr belauscht habt, zu einer größeren Organisation gehören? Die vielleicht hunderte oder gar tausende Mitglieder haben?“
 

„Ich“, murmelte Atsushi und biss sich auf die Unterlippe.
 

„Yokohama war einer der ersten Hafen in Japan, der für das Ausland geöffnet wurde und ist bis heute eine der bedeutendsten Industrie- und Handelsstädte ganz Japans. Wenn du dich unüberlegt mit einer kleinen Organisation anlegst, die zufällig gute Verbindungen hat, provozierst du einen Bandenkrieg und das würde bedeuten, dass wir einen weiteren Untergrund Konflikt hervorrufen könnten. Ryū'zu Kōsō[15] hat damals hunderte Menschen das Leben gekostet und das auch auf Seiten der Zivilisten“, erläuterte Kunikida weiter. Seine Stimme monoton.
 

„Bist du bereit die Verantwortung für einen weiteren Ryū'zu Kōsō zu tragen?“
 

„Nein“, kam es kleinlaut von Atsushi. Tanizaki wirkte ebenso niedergeschlagen und wagte es nicht, ein Wort zu sagen.
 

„Wir halten uns aus diesen Streitigkeiten heraus und schreiten nur dann ein, wenn es nötig ist. Dazai ist bei mir sicher. Ihm wird schon nichts passieren, außerdem unterschätzt ihr ihn.“
 

„Wie geht es Dazai-san?“, fragte Atsushi und sah nun endlich hoch und warf dem Blonden einen bittenden Blick zu.
 

„Es geht ihm gut. Das Zusammenleben mit ihm ist eine Herausforderung, aber ihr müsst euch keine Sorgen machen“, antwortete er und atmete tief ein. Das Wort Herausforderung war wirklich am passendsten. Ganz sicher wäre Kunikidas nächster Wutausbruch eine größere Gefahr für Dazai als jede Yakuza Organisation in ganz Yokohama.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kennt jemand die offizielle Bezeichnung des Ryū'zu Kōsō (Dragon's Head Conflict) auf Deutsch? Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Hinata_Shouyou
2020-04-15T00:21:33+00:00 15.04.2020 02:21
Der Drachenkopfkonflikt (龍頭 抗争, Ryū'zu Kōsō ) ist ein Untergrundkonflikt in Yokohama zwischen verschiedenen Untergrundorganisationen. Es dauerte 88 Tage und wird als der dunkelste Konflikt in der Geschichte von Yokohama bezeichnet.


Zurück